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University of Toronto
http://www.archive.org/details/untersuchungbe1v2smit
Bibliothek
der
Volkswirtschaftslehre
und
Gesellschaftswissenschaft.
Begründet von F. Stöpel.
Fortgeführt
von
Robert Prager.
III.
BERLIN
VERLAG VON R. L. PRAGER
1905.
Adam Smith
Untersuchung
über
das Wesen und die Ursachen
des
Volkswohlstandes.
Aus dem Englischen übertragen
von
F. Stöpel.
Zweite Auflage durchgesehen und verbessert
von
Robert Prager.
Erster Band. — X' BK'
BERLIN
VERLAG VON R. L. PRAGER
1905.
HB,
A.dam Smith, geb. am 5. Juni 1723 zu Kirkaldy in Schott-
land, gest. zu Edinburg im Jahre 1790, kam vierzehnjährig auf
die Universität Glasgow, drei Jalu-e später nach Oxford. Seine
Mutter — der Vater war schon vor der Geburt Adams gestorben
— hatte ihn zum Geistlichen bestimmt, doch beschäftigte er sich
bereits auf der Universität mit ganz anderen als theologischen
Studien und kehlte nach siebenjährigem Aufenthalt in Oxford
1747 nach Schottland zurück, um lediglich den Wissenschaften
zu leben. 17-48 wandte er sich nach Edinburg und hielt dort
einige Jahre hindurch Vorlesungen über Rhetorik und schöne
Wissenschaften. Hier wurde er mit Hume, dessen philosophische
und ökonomische Werke großen Einfluß auf ihn übten, per-
sönlich bekannt. 1751 wurde er Professor der Logik, 1752 Pro-
fessor der Moralphilosophie in Glasgow. 1759 erschien seine
„Theoi'ie der sittlichen Empfindungen", worin er nachzuweisen
sucht, daß alle Moral ihre Grundlage in der Sympathie habe.
Einige Jahre später legte er seine Professur nieder, um den
jungen Herzog von Buccleugh auf Reisen zu begleiten (1764 — 66).
Nach längerem Aufenthalt im südlichen Frankreich verweilte er
mit seinem. Zögling von Weihnachten 1765 bis zum Oktober 1766
in Paris, wo er mit Tui-got, Quesnay, Necker und anderen aus-
gezeichneten Männern bekannt wurde. Nach der Rückkehr in
sein Vaterland ging Smith wieder nach Kirkaldy, wo er die
nächsten zehn Jahre lediglich mit Ausarbeitung seines epoche-
machenden Werkes über den Volkswohlstand beschäftigt war.
Dieses Werk erschien im Jahi-e 1776. Einige Jahre darauf erhielt
er auf Verwendung des Herzogs von Buccleugh die Stellung
eines Zollkommissärs für Schottland, und lebte als solcher in
Edinburg, ohne für die Wissenschaft noch Erhebliches zu leisten.
Einige kleinere Abhandlungen wurden nach seinem Tode ver-
öffentlicht ; den größten Teil seiner Handschriften aber ver-
brannte Smith einige Tage vor seinem Tode selbst. — Die erste
VI
Ausgabe des „Volkswohlstandes" wurde Ende des Jahres 1775
und anfangs des folgenden Jahres gedruckt. So oft daher vom
„gegenwärtigen" Zustande der Dinge die Rede ist, hat man
diese oder eine etwas frühere Zeit darunter zu verstehen. In
der dritten Ausgabe sind verschiedene Zusätze gemacht, nament-
lich zu dem Kapitel über Rückzölle und Ausfuhrprämien ; ferner
ist ein neues Kapitel „über das Merkantilsystem" und zum
Kapitel „über die Staatsausgaben" ein neuer Abschnitt hinzu-
gekommen. So oft in diesen Zusätzen von dem „gegenwärtigen"
Zustande der Dinge gesprochen wird, ist das Jahr 1783 und der
Anfang; des Jahres 1781 darunter zu verstehen.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite
Einleitung- und Plan des Werks 1
Erstes Buch.
Von den Ursachen der Zunahme in der Ertragskraft der
Arbeit und von den Regeln, nach welchen ihr Ertrag
sich naturgemäß unter die verschiedenen Volksklassen
verteilt.
Erstes Kapitel.
Teilung der Arbeit 6
Zweites Kapitel.
Über den Trieb, der die 'l'eilung der Arbeit veranlaßt . . 18
Drittes Kapitel.
Die Teilung der Arbeit hat ihre Schranken an der Aus-
dehnung des Marktes 24
Viertes Kapitel.
Vom Ursprung und Gebrauch des Geldes 31
Fünftes Kapitel.
Vom wahren und nominellen Preise der Waren oder von
ihi'em Preise in Arbeit und ihrem Preise in Geld . . 41
Sechstes Kapitel.
Die Bestandteile des Warenpreises 65
Siebentes Kapitel.
Der natürliche Preis und der Marktpreis der Waren ... 76
Achtes Kapitel.
Der Arbeitslohn 89
Neuntes Kapitel.
Der Kapitalgewinn 122
Zehntes Kapitel.
Lohn und Gewinn in den verschiedenen Verwendungen der
Arbeit und des Kapitals 137
Erste Abteilung.
Verschiedenheiten, die aus der Natur der Verwendungen
selbst entspringen 138
VIII
Zweite Abteilung. Seite
Ungleichheiten, welche durch die europäische Wirtschafts-
politik veranlaßt sind 165
Elftes Kapitel.
Die Grundrente , 201
Erste Abteilung.
Bodenerzeugnisse, die immer eine Rente abwerfen . . . 20-1
Zweite Abteilung.
Bodenerzeugnisse, die zuweilen Rente geben, zuweilen nicht 225
Dritte Abteilung.
Die Vei"änderungen in dem Verhältnis zwischen dem Werte
derjenigen Art von Produkten, welche immer eine Rente
bringen, und dem Werte derer, die zuweilen eine Rente
gewähren und zuweilen keine 245
Abschweifung, über die Schwankungen des Silberwertes
während der letzten vier Jahrhunderte.
Erste Periode 247
Zweite Periode 266
Dritte Periode 268
Veränderungen in dem Wertverhältnis zwischen Gold und
Silber 291
Gründe für die Vermutung, daß der Wert des Silbers noch
immer sinkt 298
Verschiedene Wirkungen des Fortschritts der Kultur auf
drei verschiedene Arten von Rohprodukten .... 299
Erste Art 300
Zweite Art , ... 302
Dritte Art 316
Ergebnis der Abschweifung über die Wertveränderungen
des Silbers 328
Wirkungen der Kulturfortschritte auf den Sachpreis der
Industrieerzeugnisse 336
Schluß des Kapitels 342
Die Weizenpreise in England nach Fleetwood 347
Untersuchung
über
das Wesen und die Ursachen
des
Volkswohlstandes.
Einleitung und Plan des Werkes.
Die jährliche Arbeit eines jeden Volkes ist der
Fonds, welcher es ursprünglich mit allen Bedürf-
nissen und Annehmlichkeiten des Lebens versorgt, die
es jährlich verbraucht, und die immer entweder in
dem unmittelbaren Erzeugnis dieser Arbeit oder in
demjenigen bestehen, was für dieses Erzeugnis von
anderen Völkern gekauft wird.
Je nachdem daher dieses Erzeugnis, oder das, was
mit ihm gekauft wird, in einem größeren oder kleineren
Verhältnis zu der Zahl derjenigen steht, welche es
verbrauchen wollen, wird auch das Volk mit allen Be-
dürfnissen und Annehmlichkeiten besser oder schlechter
versorgt sein.
Adam Smitti, Volkswohistaad. I. 1
2 Einleitung.
Dieses Verhältnis muß aber bei jedem Volke durch
zwei verschiedene Umstände bestimmt werden; erstens
durch die Geschicklichkeit, Fertigkeit und Einsicht, mit
der seine Arbeit im Allgemeinen verrichtet wird; und
zweitens durch das Verhältnis zwischen der Anzahl
derer, die einer nützlichen Arbeit obliegen und derer,
die dies nicht tun. Wie auch immer der Boden,
das Klima oder der Gebietsumfang eines bestimmten
Volkes beschaffen sein mag, der Überfluß oder die
Unzulänglichkeit seines jährlichen Vorrats muß in
dieser bestimmten Lage von jenen beiden Umständen
abhängen .
Der Überfluß oder die Unzulänglichkeit dieses
Vorrats scheint übrigens mehr von dem ersten Um-
stände abzuhängen, als von dem zweiten. Unter den
wilden Fischer- und Jägervülkern ist jedes arbeits-
fähige Individuum mehr oder weniger mit nützlicher
Ai'beit beschäftigt und sucht nach Kräften die Bedürf-
nisse und Annehmlichkeiten des Lebens für sich selbst
oder für solche Glieder seiner Familie oder seines Stam-
mes herbeizuschaffen, die zu alt, zu jung oderzu schwach
sind, um auf die Jagd und den Fischfang auszugehen.
Solche Völkerschaften sind jedoch so jämmerlich arm,
daß sie aus bloßem Mangel häufig gezwungen sind oder
sich wenigstens für gezwungen halten, ihre Kinder,
ihre Alten und die mit langwierigen Krankheiten Be-
hafteten entweder umzubringen oder auszusetzen und
dem Hungertode oder den wilden Tieren preiszugeben.
Unter gesitteten und blühenden Völkern hingegen ist,
obwohl oft eine große Menge Menschen gar nicht ai--
beiten und viele von ihnen das Produkt von zehn, ja
hundert Mal mehr Arbeit verbrauchen, als der größere
Teil der Arbeitenden, dennoch das Produkt der gesam-
ten Arbeit der Gesellschaft so groß, daß Alle oft reich-
lich versorgt sind und ein Arbeiter, selbst der niedrig-
Einleitung. 3
sten und ärmsten Klasse, wenn er mäßig und fleißig
ist, sich eines größeren Anteils an den Bedürfnissen
und den Annehmlichkeiten des Lebens erfreuen kann,
als ein Wilder sich je zu verschaffen imstande wäre.
Die Ursache dieser Zunahme in den produktiven
Kräften der Arbeit und die Ordnung, nach welcher ihr
Erzeugnis sich naturgemäß unter die verschiedenen
Stände und Klassen der Gesellschaft verteilt, macht den
Gegenstand des ersten Buches dieser Untersuchung aus.
"Welches auch der wirkliche Zustand der Geschick-
lichkeit, Fertigkeit und Einsicht ist, womit die Arbeit
in einem Volke verrichtet wird, der Überfluß oder die
Unzulänglichkeit seines jährlichen Vorrats muß wäh-
rend der Dauer dieses Zustandes von dem Verhältnisse
abhängen, in welchem die Zahl derer, die das Jahr hin-
durch mit nützlicher Arbeit beschäftigt sind, zur Zahl
derjenigen steht, welche es nicht sind. Die Zahl der
nützlichen und produktiven Arbeiter steht, wie sich
später zeigen wird, überall im Verhältnis zu der Menge
des Kapitalvorrats, welcher dazu verwendet wird, sie zu
beschäftigen, und zu der besondern Art, in welcher es
dazu verwendet wird. Das zweite Buch handelt daher
von der Natur des Kapitals, von der Art, wie es sich
allmählich anhäuft, und von den verschiedenen Mengen
der Arbeit, welche es je nach der verschiedenen Weise
seiner Anwendung in Bewegung setzt.
Völker, die es in der Geschicklichkeit, Fertigkeit
und Einsicht bei Verrichtung der Arbeit ziemlich weit
gebracht haben, folgten sehr verschiedenen Plänen in
ihrer allgemeinen Leitung oder Richtung; und diese
Pläne sind nicht alle der Größe des Arbeitserzeug-
nisses gleich günstig gewesen. Die Politik mancher
Völker begünstigte vorzüglich den Ackerbau, die ande-
rer den städtischen Gewerbfleiß. Kaum irgend ein Volk
hat jede Art des Gewerbfleißes gleich und unparteiisch
4 Einleitung.
behandelt. Seit dem Untergang des römischen Reiches
ist die Politik in Europa den Künsten, den Gewerben
und dem Handel — der Industrie der Städte — günsti-
ger gewesen, als der Agrikultur — der Industrie des
platten Landes. Die Umstände, welche diese Politik
eingeführt und befestigt zu haben scheinen, sind im
dritten Bache auseinander gesetzt.
Obgleich diese verschiedenen Pläne vielleicht zuerst
durch die privaten Interessen und Vorurteile einzelner
Stände, ohne Rücksicht und Voraussicht der Folgen,
welche sie für die allgemeine Wohlfahrt der Gesellschaft
haben mußten, zur Geltung kamen, so haben sie doch
zu sehr verschiedenen Theorien der politischen Ökono-
mie, von denen die einen die Wichtigkeit der städtischen,
die anderen die der ländlichen Industrie preisen, Ver-
anlassung gegeben. Diese Theorien haben nicht bloß
auf die Meinungen der Gelehrten, sondern auch auf die
Maßregeln der Fürsten und Staaten einen beträchtlichen
Einfluß geübt. Ich habe mich im vierten Buche be-
müht, diese verschiedenen Theorien und die hauptsäch-
lichsten Wirkungen, die sie in verschiedenen Zeiten und
bei verschiedenen Nationen geäuiiert haben, so voll-
ständig und klar, als ich es vermag, auseinanderzusetzen.
Zu erörtern, worin das Einkommen der großen
Masse des Volkes, oder jene Fonds bestanden, welche zu
verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Völkern
ihnen den jährlichen Bedarf lieferten, ist der Gegenstand
der vier ersten Bücher. Das fünfte und letzte Buch
handelt von dem Einkommen des Souveräns oder des
Gemeinwesens. In diesem Buche habe ich mich bemüht,
zu zeigen, erstens, welches die notwendigen Ausgaben
des Souveräns oder Gemeinwesens sind; welche dieser
Ausgaben durch allgemeine Beisteuern der ganzen Ge-
sellschaft bestritten, und welche nur von einem einzel-
nen Teile oder von einigen ihrer Glieder getragen
Einleitun.o-. 5
werden sollten; zweitens, nach welchen verschiedenen
Methoden die ganze Gesellschaft zur Bestreitung der
ihr obliegenden Ausgaben herangezogen werden kann,
und welche hauptsächlichen Vorteile und Nachteile jede
dieser Methoden hat; drittens endlich, welche Gründe
und Ursachen fast alle neueren Regierungen veranlaßt
haben, einen Teil dieses Einkommens zu verpfänden
oder Schulden zu kontrahieren, und welche Wirkung
diese Schulden auf den wahren Wohlstand: den jähr-
lichen Ertrag des Bodens und der Arbeit der Gesell-
schaft, gehabt haben.
Erstes Buch.
Von den Ursachen der Zunahme in der Ertrags-
kraft der Arbeit und von den Regeln, nach
welchen ihr Ertrag sich naturgemäss unter die
verschiedenen Volksklassen verteilt.
Erstes Kapitel.
Teilung der Arbeit.
Die größte Zunahme in der Ertragskraft der
Arbeit und der größere Teil der Geschicklichkeit,
Fertigkeit und Einsicht, womit sie irgendwo geleitet
oder verrichtet wird, scheint aus den Wirkungen der
Arbeitsteilung hervorgegangen zu sein.
Die Wirkungen der Arbeitsteilung in der allge«
meinen Tätigkeit der Gesellschaft werden leichter zu
verstehen sein, wenn man beachtet, in welcher Weise
sie in einigen besonderen Gewerben wirkt. Man nimmt
gewöhnlich an, daß sie in gewissen sehr unbedeutenden
Gewerben am weitesten getrieben sei; und vielleicht
wird sie in diesen wirklich weiter getrieben, als in anderen
von größerem Belang; aber in den unbedeutenderen Ge-
werben, welche die wenig umfangreichen Bedürfnisse
einer nur geringen Menschenzahl zu versorgen haben,
muß die Zahl der Arbeiter notwendig gering sein; und
die in den verschiedenen Zweigen der Arbeit Be-
schäftigten können oft in derselben Werkstatt bei-
Kap. 1. : Teilung der Arbeit. 7
sammen sein und sämtlich von einem Beobachter mit
einem BHck übersehen werden. In den großen Fabriken
dagegen, welche die wichtigsten Bedürfnisse des ganzen
Volks zu beschaffen haben, beschäftigt jeder einzelne
Arbeitszweig eine so große Zahl von Arbeitern, daß
es unmöglich ist, sie alle in derselben Werkstatt zu
versammeln. Man sieht da selten zu gleicher Zeit
mehr als diejenigen, welche in einem einzelnen Zweige
tätig sind. Obgleich daher in solchen Fabriken die
Arbeit in der Tat in viel mehr Abteilungen zerfallen
kann, als in Gewerben geringfügigerer Art, so ist die
Teilung doch nicht entfernt so augenfällig und deshalb
auch weit weniger beobachtet worden.
Nehmen wir also ein Beispiel von einem sehr unbe-
deutenden Betriebe, der jedoch sehr oft wegen der
darin herrschenden Teilung der Arbeit angeführt wor-
den, nämlich von dem Geschäfte des Nadlers, so könnte
ein für dieses Geschäft, aus dem die Teilung der Arbeit
ein eigenes Gewerbe gemacht hat, nicht angelernter
Arbeiter, der mit dem Gebrauch der dazu verwendeten
Maschinen, zu deren Erfindung wahrscheinlich erst die
Teilung der Arbeit Veranlassung gegeben hat, nicht
vertraut wäre, vielleicht mit dem äußersten Fleiße täg-
lich kaum eine, gewiß aber keine zwanzig Nadeln
machen. In der Art aber, wie dies Geschäft jetzt be-
trieben wird, ist nicht allein die ganze Verrichtung ein
eigenes Gewerbe, sondern es ist noch in eine Anzahl
von Zweigen eingeteilt, von denen die meisten ebenfalls
eigene Gewerbe sind. Ein Mann zieht den Draht, ein
Anderer streckt ihn, ein Dritter schneidet ihn in Stücke,
ein Vierter spitzt ihn zu, ein Fünfter schleift ihn am
oberen Ende, wo der Kopf angesetzt wird ; die Ver-
fertigung des Kopfes erfordert zwei oder drei ver-
schiedene Verrichtungen ; sein Ansetzen ist ein eigenes
Geschäft, die Nadeln weiß zu glühen ein anderes; sogar
8 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
das Einstecken der Nadeln in Papier bildet eine Arbeit
für sich. Und so ist das wichtige Gewerbe, Stecknadeln
zu machen, in ungefähr achtzehn verschiedene Tätig-
keiten geteilt, die in manchen Fabriken alle von ver-
schiedenen Händen verrichtet werden, während in
andern manchmal derselbe Mann zwei oder drei ver-
richtet. Ich habe eine kleine Fabrik dieser Art ge-
sehen, in der nur zehn Menschen beschäftigt waren
und manche daher zwei oder drei verschiedene Verrich-
tungen zu erfüllen hatten. Obgleich nun diese Leute
sehr arm und darum nur notdürftig mit den erforder-
lichen Maschinen versehen waren, so konnten sie doch,
wenn sie tüchtig arbeiteten, zusammen etwa zwölf
Pfund Stecknadeln täglich liefern. Ein Pfund enthält
über viertausend Nadeln von mittlerer Größe. Jene
zehn Personen konnten mithin zusammen täglich über
acht und vierzig Tausend Nadeln machen. Jeder Ein-
zelne kann daher, da er den zehnten Teil von acht
und vierzig Tausend Nadeln machte, als Verfertiger
von vier Tausend acht Hundert Nadeln an einem Tage
angesehen werden. Hätten sie jedoch alle einzeln
und unabhängig von einander gearbeitet und wäre
keiner für sein besonderes Geschäft angelernt worden,
so hätte gewiß keiner zwanzig, vielleicht nicht Eine
Nadel täglich machen können, d. h. nicht den zwei-
hundertvierzigsten, vielleicht nicht den viertausend
achthundertsten Teil von dem, was sie jetzt infolge
einer geeigneten Teilung und Verbindung ihrer ver-
schiedenen Verrichtungen zu leisten imstande sind.
In jeder andern Kunst und jedem anderen Ge-
werbe sind die Wirkungen der Arbeitsteilung ähnliche,
wie in diesem sehr unbedeutenden Geschäft; obgleich
in vielen von ihnen die Arbeit weder in so viele Unter-
abteilungen zerlegt, noch auf eine so große Einfachheit
in der Verrichtung zurückgeführt werden kann, so ver-
Kap. I.: Teilung der x\rbeit. y
anlaßt doch die Arbeitsteilung in jedem Grewerbe eine
dem Maße ihrer Durchführbarkeit entsprechende Steige-
rung der Ertragskraft der Arbeit. Die Trennung der
verschiedenen Gewerbe und Beschäftigungen scheint in-
folge dieses Vorteils Platz gegriffen zu liaben. Auch
geht diese Trennung gewöhnlich in denjenigen Ländern
am weitesten, welche sich der höchsten Entwickelung
der Industrie und Kultur erfreuen; was in einem rohen
Gesellschaftszustande das Werk eines einzigen Menschen
ist, pflegt in einem vorgeschrittenen dasjenige Mehrerer
zu sein. In jeder vorgeschrittenen Gesellschaft ist der
Landmann gewöhnlich nichts als Landmann, der Hand-
werker nichts als Handwerker. Auch die Arbeit, die
zur Herstellung irgend eines vollständigen Fabrikats
nötig ist, wird fast immer unter eine Menge von Hän-
den verteilt. Wie viele verschiedene Gewerbe sind in
•jedem Zweige der Leinen- und Wollen-Manufaktur be-
schäftigt, von den Flachs- und Wollzüchtern bis zu den
Bleichern und Mangern der Leinwand oder zu den
Färbern und Appreteuren des Tuches ! Die Natur der
Landwirtschaft läßt nicht so viele Unterabteilungen
der Arbeit noch eine so vollständige Trennung eines
Geschäftes vom andern zu, als die Gewerbe. Es ist
unmöglich, das Geschäft des Viehzüchters von dem des
Kornbauers so gänzlich zu trennen, wie das Gewerbe
des Zimmermanns von dem des Schmiedes gewöhnlich
getrennt ist. Der Spinner ist fast immer eine vom
Weber verschiedene Person ; aber der Pflüger, der Egger,
der Sämann und der Schnitter sind oft ein und dieselbe.
Da die Anlässe zu diesen verschiedenen Arten der Arbeit
mit den verschiedenen Jahreszeiten wiederkehren, so
ist es unmöglich, daß ein Mann fortwährend mit einer
von ihnen beschäftigt sein kann. Diese Unmöglichkeit
einer so gänzlichen Trennung aller in der Landwirtschaft
vorkommenden Arbeitszwoige ist vielleicht der Grund,
10 Erstes Buch: Zunahme in der Eitragskraft der Arbeit.
warum die Steigerung der Erfcragskräfte der Arbeit in
dieser Kunst nicht immer mit ihrer Steigerung in den
Gewerben gleichen Schritt hält. Die reichsten Nationen
übertreffen allerdings gewöhnlich alle ihre Nachbarn
sowohl in der Landwirtschaft wie in den Gewerben;
allein sie sind in der Regel mehr durch ihre Übeilegen-
heit in den letzteren, als in der ersteren ausgezeichnet.
Ihre Ländereien sind im allgemeinen besser kultiviert
und bringen, da mehr Arbeit und Kosten darauf ver-
wendet sind, im Verhältniß zur Ausdehnung und natür-
lichen Fruchtbarkeit des Bodens mehr hervor. Aber
diese Überlegenheit der Produktion ist selten größer
als der verhältnismäßige Mehraufwand an Arbeit und
Kosten. In der Landwirtschaft ist die Arbeit des reichen
Landes nicht immer viel produktiver, als die des armen,
oder wenigstens ist sie niemals in dem Grade produk-
tiver, als dies gewöhnlich bei den Gewerben der Fall
ist. Das Getreide des reichen Landes wird daher bei
derselben Güte nicht immer wohlfeiler zu Markte
kommen als das des armen. Das Getreide Polens ist
bei derselben Güte ebenso wohlfeil, als dasjenige Frank-
reichs, trotz des höheren Reichtums und der höheren
Kultur letzteren Landes. Das Getreide Frankreichs
ist in den Kornprovinzen ebenso gut und hat in den
meisten Jahren beinahe denselben Preis, wie das Ge-
treide Englands, obgleich Frankreich an Reichtum und
Kultur vielleicht gegen England zurücksteht. Dennoch
ist das englische Getreideland besser kultiviert, als
dasjenige Frankreichs, und das französische soll viel
besser kultiviert sein, als dasjenige Polens. Obgleich
aber das arme Land, trotz des niederen Standes seiner
Kultur, mit dem reichen bis auf einen gewissen Grad
in der "Wohlfeilheit und Güte seines Getreides zu wett-
eifern vermag, so kann es doch in seinen Gewerben
auf keine solche Konkurrenz Anspruch machen, wenig-
Kap. I.: Teilung der Arbeit. 11
stens dann nicht, wenn diese Gewerbe dem Boden, dem
Klima und der Lage des reichen Landes angemessen
sind. Die französischen Seidenwaren sind besser als
die englischen, weil die Seidenmanufaktur, wenigstens
unter den jetzigen hohen Zöllen auf die Einfuhr der
Rohseide, für das englische Klima nicht so gut paßt
als für das französische. Aber die englischen Kurz-
und groben "Wollenwaren sind ohne allen Vergleich
besser als die französischen, und überdies bei gleicher
Güte viel ^vohlfeiler. In Polen soll es kaum irgend
welche Gewerbe geben, ausgenommen wenige gröbere
Hausindustrien, ohne die wohl kein Land bestehen kann.
Diese große Zunahme in der Produktionsmenge,
welche in Folge der Arbeitsteilung die nämliche An-
zahl von Leuten zu erzielen vermag, ist drei verschie-
denen Umständen zu danken: erstens der gesteigerten
Geschicklichkeit jedes einzelnen Arbeiters, zweitens der
Ersparnis an Zeit, welche gewöhnlich bei dem Über-
gänge von einer Arbeit zur andern verloren geht, und
endlich der Erfindung zahlreicher Maschinen, welche
die Arbeit erleichtern und abkürzen und einen Mann
in Stand setzen, die Arbeit Vieler zu verrichten.
Erstens vergrößert die gesteigerte Geschicklichkeit
des Arbeiters notwendig die Menge dessen, was er
hervorbringen kann ; und die Arbeitsteilung, indem sie
Jedermanns Geschäft auf eine einfache Verrichtung
einschränkt und diese Verrichtung zur alleinigen Be-
schäftigung seines Lebens macht, steigert notwendig
die Geschicklichkeit des Arbeiters in hohem Maße. Ein
gewöhnlicher Schmied, der, wenn er auch den Hammer
zu führen gewohnt ist, doch niemals Nägel zu machen
pflegte, wird, wenn er es in einem besonderen Falle
versuchen muß, sicherlich kaum im Stande sein^ über
zwei- oder dreihundert Nägel des Tags zu verfertigen,
und auch diese werden schlecht genug sein. Ein Schmied,
der zwar Nägel zu machen pflegte, aber die Anfertigung
12 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
von Nägeln nicht als alleiniges oder hauptsäcliliclies
Geschäft betrieb, kann bei äußerstem Fleiße selten
mehr als achthundert bis tausend Nägel in einem Tage
machen. Dagegen habe ich Burschen unter zwanzig
Jahren gesehen, die nie etwas anderes getan hatten,
als Nägel zu machen, und die, wenn sie sich anstrengten,
je über zweitausend dreihundert Nägel an einem Tage
machen konnten. Das Verfertigen eines Nagels ist je-
doch keines weges eine der einfachsten Verrichtungen.
Ein und derselbe Mensch bläst die Bälge, schürt das
Feuer oder legt gelegentlich Feuerung zu, glüht das
Eisen und schmiedet jeden Teil des Nagels: beim
Schmieden des Kopfes ist er sogar genötigt, die Werk-
zeuge zu wechseln. Die verschiedenen Operationen, in
welche die Verfertigung einer Stecknadel oder eines
Metallknopfes zerfällt, sind sämtlich viel einfacher, und
die Fertigkeit desjenigen, der sein ganzes Leben kein
anderes Geschäft als dieses getrieben hat, ist gewöhn-
lich weit größer. Die Geschwindigkeit, mit welcher
einige Tätigkeiten dieser Gewerbe verrichtet werden,
übertrifft Alles, was dei'jenige, der es nie gesehen hat,
der menschlichen Hand zugetraut haben würde.
Zweitens ist der Vorteil, welcher durch Ersparung
der im Übergänge von einer Arbeit zur andern gewöhn-
lich verlorenen Zeit gewonnen wird, bei w^ eitern größer,
als wir es uns auf den ersten Blick denken mögen. Es
ist unmöglich, sehr schnell von einer Art Arbeit zur
andern überzugehen, wenn sie an einer andern Stelle
und mit ganz anderen Werkzeugen ausgeführt wird.
Ein Weber auf dem Lande, der ein kleines Gut be-
wirtschaftet, muß ein gut Teil Zeit damit verlieren, dal3
er von seinem Webstuhl aufs Feld und vom Felde zum
Webstuhl geht. Wenn die beiden Geschäfte in derselben
Werkstätto betrieben werden könnten, wäre der Zeit-
verlust ohne Zweifel weit geringer; doch ist er auch in
diesem Falle sehr beträchtlich. In der ßegel schlendert
Kap. I.: Teiluns: der Arbeit. 13
man ein wenig, wenn man seine Hand von einer Art
der Beschäftigung auf eine andere wendet. Wenn man
zuerst an die neue Arbeit geht, ist man selten recht
rührig und herzhaft: der Geist ist, wie man zu sagen
pflegt, noch nicht bei der Sache, und eine Zeit lang
trödelt man mehr, als daß man die Zeit zu Rate hält.
Die Gewohnheit des Schlenderns und des gleichgiltigen,
lässigen Arbeitens, welche natürlicher oder vielmehr
notwendiger Weise jeder Dorfhandwerker annimmt,
der seine Verrichtungen und Werkzeuge alle halben
Stunden wechseln und jeden Tag seines Lebens seine
Hände auf zwanzigerlei Art brauchen muß, macht ihn
fast immer träge und lässig und jedes angestrengten
Fleißes selbst in den dringendsten Fällen unfähig. Da-
her muß, abgesehen von seiner mangelhaften Fertigkeit,
schon dieser Grund allein das Arbeitsquantum, das er
herzustellen vermag, stets bedeutend reduzieren.
Drittens und letztens muß Jeder sehen, wie sehr
die Arbeit durch Anwendung geeigneter Maschinen er-
leichtert und abgekürzt wird. Es ist unnötig, ein Bei-
spiel anzuführen. Ich will daher nur bemer-ken, daß
die Erfindung aller jener Maschinen, durch welche
die Arbeit so sehr erleichtert und abgekürzt wird, ur-
spi'ünglich, wie es scheint, der Teilung der Arbeit zu
verdanken ist. Man entdeckt leichtere und be(|uemere
Methoden zur Erreichung eines Zweckes viel eher,
wenn die ganze Aufmerksamkeit auf diesen einzigen
Gegenstand gerichtet ist, als wenn sie auf eine große
Mannigfaltigkeit von Dingen zerstreut wird. In Folge
der Arbeitsteilung aber wird Jedermanns ganze Auf-
merksamkeit natürlicherweise auf einen sehr einfachen
Gegenstand gerichtet. Es ist daher selbstverständlich
zu erwarten, daß Einer oder der Andere unter denen,
welche je in einem besonderen Arbeitszweige beschäf-
tigt sind, bald leichtere und bequemere Methoden, ihre
14 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
besondere Arbeit zu verrichten, wenn anders ihre
Natur eine solche Vervollkommnung zuläßt, ausfindig
machen werden. Ein großer Teil der in solchen
Fabriken, in denen die Arbeit am meisten geteilt ist,
im Gebrauch befindlichen Maschinen waren ursprüng-
lich Eifindungen gemeiner Arbeitsleute, die, bei irgend
einer sehr einfachen Tätigkeit beschäftigt, natürlich
ihre Gedanken darauf richteten, leichtere und bequemere
Methoden der Herstellung zu ersinnen. Wer solche
Fabriken viel zu besuchen pflegte, dem müssen oft
sehr hübsche Maschinen gezeigt worden sein, die von
Arbeitern erfunden waren, um ihren besonderen Teil
der Arbeit zu erleichtern und zu beschleunigen. Bei
den ersten Dampfmaschinen war ein Knabe fortwährend
damit beschäftigt, die Kommunikation zwischen dem
Kessel und Zylinder wechselsweise zu öffnen und zu
schließen, je nachdem der Kolben hinauf- oder hin-
unterging. Einer dieser Knaben, der gern mit seinen
Kameraden spielte, bemerkte, daß, wenn man den
Griff des diese Kommunikation öffnenden Ventils
durch eine Schnur mit einem anderen Teil der Ma-
schine verbände, „ das Ventil sich ohne sein Zutun
öffnen und schließen und ihm Freiheit lassen würde,
sich mit seinen Spielkameraden zu unterhalten. Eine
der größten Vervollkommnungen, die an dieser Ma-
schine seit ihrer Erfindung gemacht wurden, war auf
diese Weise die Entdeckung eines Knaben, der sich
die Arbeit ersparen wollte.
Doch sind keineswegs alle Vervollkommnungen
im Maschinenwesen Erfindungen derjenigen gewesen,
welche sich mit den Maschinen zu beschäftigen hatten.
Viele Fortschritte sind durch das Genie der Mechaniker
gemacht worden, als der Maschinenbau ein eigenes Ge-
werbe wurde; und manche durch das Genie der soge-
nannten Denkei- oder Männer der Spekulation, deren
"Kap. T. : Teiluno- der Arbeit. 15
Geschäft es ist, nicht Etwas zu machen, sondern Alles
zu beobachten, und die deswegen oft imstande sind,
die Kräfte der entferntesten und unähnlichsten Dinge
mit einander zu kombinieren. Mit dem Fortschritt der
Gesellschaft wird das Denken oder Spekulieren so gut
wie jede andere Beschäftigung, das hauptsächliche oder
einzige Geschäft und Beruf einer besonderen Klasse
von Bürgern, und zerfällt, wie jede andere Beschäfti-
gung, in eine große Anzahl verschiedener Zweige,
deren jeder für eine besondere Gruppe oder Klasse von
Denkern zum Beruf wird; und diese Arbeitsteilung
steigert im Denkgeschäft so gut, wie in jedem anderen
Berufe, die Fertigkeit und erspart Zeit. Jeder Einzelne
wird dadurch in seinem besonderen Arbeitszweige er-
fahrener, es wird im Ganzen mehr ausgerichtet und
die Menge des Wissens ansehnlich vermehrt.
Die große durch die Arbeitsteilung herbeigeführte
Vervielfältigung der Produkte aller verschiedenen
Künste ist es, die in einer wohlregierten Gesellschaft
jene allgemeine AVohlhabenheit hervorbringt, die sich
bis auf die untersten Stände des Volkes erstreckt. Jeder
Arbeiter hat eine große Menge seiner Arbeitsprodukte,
außer denen, die er selbst braucht, zur Verfügung;
und da jeder andere Arbeiter sich genau in derselben
Lage befindet, so ist er imstande, einen großen Teil
seiner eigenen Waren gegen eine große Menge, oder,
was auf dasselbe hinauskommt, für den Preis einer
großen Menge der ihrigen auszutauschen. Er versorgt
sie reichlich mit dem, was sie brauchen, und sie ver-
sehen ihn ebenso vollkommen mit dem, dessen er be-
darf, und ein allgemeiner Überfluß verbreitet sich durch
alle verschiedenen Stände der Gesellschaft.
Man betrachte die Habseligkeiten des gemeinsten
Handwerkers oder Tagelöhners in einem zivilisierten
und blühenden Lande, und man wird gewahr werden,
daß die Zahl der Menschen, von deren Fleiß ein Teil,
16 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
wiewohl nur ein kleiner Teil, dazu gebraucht wurde,
ihm diese Sachen zu verschaffen, alle Berechnung über-
steigt. Der wollene Rock z. B., der den Tagelöhner
bekleidet, ist, so grob und gemein er auch aussehen
mag, doch das Produkt der vereinigten Arbeit einer
großen Menge von Arbeitern. Der Schäfer, der Woll-
sortierer, der Wollkämmer oder Krempler, der Färber,
der Schrobbler, der Spinner, der Weber, der Walker,
der Appreteur samt vielen anderen, sie Alle müssen
ihre verschiedenen Künste vereinigen, um auch nur
dieses grobe Produkt herzustellen. Wie viele Kaufleute
und Fuhrleute mußten außerdem mit dem Transport
der Materialien von den einen Arbeitern zu den andern,
die oft in einem sehr entfernten Teile des Landes
wohnen, beschäftigt sein! Wie viel Handel und Schiff-
fahrt, insbesondere wie viele Schiffbauer, Seeleute, Segel-
raacher, Seiler mußten tätig gewesen sein, um die vom
Färber gebrauchten Drogen, die oft von den entlegen-
sten Enden der Welt kommen, herbeizuschaffen ! Welch'
eine Mannigfaltigkeit der Arbeit ist ferner nötig, um
die Werkzeuge des geringsten unter diesen Arbeitern
hervorzubringen! Um nichts zu sagen von so kom-
plizierten Maschinen, wie ein Schiff, eine Walkmühle
oder selbst ein Webstuhl ist, erwäge man nur, welch'
mannigfaltige Arbeit erforderlich ist, um jene sehr
einfache Maschine herzustellen : die Scheere, mit welcher
der Schäfer die Wolle scheert. Der Bergmann, der
Erbauer des Hochofens, der Holzfäller, der Brenner
der im Schmelzofen verwendeten Holzkohlen, der Ziegel-
streicher, der Maurer, der Ofenheizer, der Mühlenbauer,
der Hammerschmied, der Schmied müssen sämtlich ihre
verschiedenen Künste zu ihrer Hervorbriugung ver-
einigen. Wollten wir auf dieselbe Weise alle verschie-
denen Teile seiner Kleidung und seines Hausrats
untersuchen, das grobe Leinenhemde, das er auf dem
Leibe trägt, die Schuhe, die seine Füße bedecken, das
Kap. I.: Teiluno- der Arbeit. 17
Bett, auf dem er liegt, und alle die verschiedenen Teile,
aus denen es besteht, den Küchenherd, auf dem er seine
Speisen zubereitet, die dazu gebrauchten Kohlen, die aus
den Schachten gegraben und ihm vielleicht durch eine
weite See- und Landreise zugeführt worden sind, alle
anderen Gerätschaften seiner Küche, alles Tischgeschirr,
die Messer und Gabeln, die irdenen oder zinnernen
Teller, auf denen er seine Gerichte aufträgt und schnei-
det, die verschiedenen Hände, welche mit Bereitung
seines Brots und Biers beschäftigt sind, die Glasfenster,
welche Wärme und Licht hereinlassen und Wind und
Regen abhalten, samt aller der Kenntnis und Kunst,
welche diese schöne und glückliche Erfindung vorbe-
reiten mußten: eine Erfindung, ohne welche diese nörd-
lichen Teile der Erde kaum eine recht behagliche Woh-
nung hätten erhalten können; samt den Werkzeugen
all' der vielen mit der Hervorbringung so verschiedener
Bedarfsgegenstände beschäftigten Arbeiter — wenn wir,
sage ich, alle diese Dinge prüfen, und erwägen, welche
MannigfaltigkeitderArbeitaufjedesvonihnen verwendet
worden ist, so werden wir einsehen, daß ohne den Bei-
stand und die Mitwirkung vieler Tausende nicht der
allergeringste Einwohner eines zivilisierten Landes auch
nur in der, wie wir sie uns fälschlich vorstellen, leichten
und einfachen Art. in der er gewöhnlich ausgestattet ist,
versorgt werden könnte. Verglichen freilich mit dem
ausschweifenderen Luxus der Großen muß seine Aus-
stattung ohne Zweifel außerordentlich einfach und gering
erscheinen; und dennoch ist es vielleicht wahr, daß der
Komfort eines europäischen Fürsten nicht immer den
eines fleißigen und mäßigen Bauern in dem Grade
übertrifft, wie der Komfort des letzteren denjenigen
manches afrikanischen Königs, des absoluten Herrn über
Leben und Freiheit von zehntausend nackten Wilden.
Adam Smitli, VolkswoLlstaiid. 1.
Zweites Kapitel.
Über den Trieb,
der die Teilung der Arbeit veranlaßt.
Diese Teilung der Arbeit, aus der so viele Vor-
teile gezogen werden, ist ursprünglich nicht das Werk
menschlicher Weisheit, welche die allgemeine Wohl-
habenheit, zu der es führt, vorhergesehen und bezweckt
hätte. Sie ist die notwendige, obwohl sehr langsame
und allmähliche Folge eines gewissen Hanges der
menschlichen Natur, der keinen so ausgebreiteten
Nutzen erstrebt: des Hanges zu tauschen, sich gegen-
seitig auszuhelfen und ein Ding gegen ein anderes zu
verhandeln.
Ob dieser Hang einer jener ursprünglichen Triebe
in der menschlichen Natur ist, von denen sich weiter
keine Rechenschaft geben läßt, oder- ob er, was wahr-
scheinlicher ist, die notwendige Folge des Vernunft-
und Sprachvermögens ist, das zu untersuchen gehört
nicht hierher. Er ist allen Menschen gemeinsam und
bei keiner anderen Gattung von Tieren zu finden, die
weder diesen noch irgend eine andere Art von Verträgen
zu kennen scheinen. Zwei Windhunde, die den näm-
lichen Hasen hetzen, erwecken zuweilen den Anschein,
als handelten sie in einer Art von Einverständnis.
Jeder treibt ihn seinem Gefährten zu, oder sucht ihn
abzufangen, wenn sein Gefährte ihn ihm zutreibt.
Dies ist jedoch nicht die Folge eines Vertrages, sondern
Kap. II.: Über den Trieb, dev d. Teilung d. Arbeit veranlaßt. 19
der zufälligen Konkurrenz ihrer zu gleicher Zeit auf
dasselbe Ziel gerichteten Leidenschaften. Niemand hat
je einen Hund mit einem andern einen gütlichen und
überlegten Tausch eines Knochens gegen einen andern
machen sehen. Niemand hat je ein Tier durch seine
Geberden und Natuilaute einem anderen andeuten
sehen: „dies ist mein, dies dein; ich bin willens, dies
für jenes zu geben." Wenn ein Tier entweder von
einem Menschen oder einem anderen Tiere Etwas er-
langen will, so hat es keine anderen Mittel der Über-
redung, als die Gunst derer zu gewinnen, deren Dienst
es begehrt. Ein Junges liebkost seine Alte, und ein
Hund sucht durch tausend Bewegungen die Aufmerk-
samkeit seines bei Tische sitzenden Herrn zu erregen,
wenn er von ihm etwas zu fressen haben will. Der
Mensch bedient sich bisweilen derselben Künste seinen
Mitmenschen gegenüber, und wenn er kein anderes
Mittel hat, sie seinen Wünschen geneigt zu machen,
so sucht er durch jede mögliche knechtische und
schweifwedelnde Aufmerksamkeit ihre Willfährigkeit
zu gewinnen. Er hat jedoch keine Zeit, dies bei jeder
Gelegenheit zu tun. In einer zivilisierten Gesellschaft
bedarf er allezeit der Mitwirkung und des Beistandes
vieler Menschen, während sein ganzes Leben kaum
hinreicht, die Freundschaft einiger weniger Personen
zu gewinnen. In fast allen anderen Tiergattungen ist
jedes einzelne Tier, wenn es zur Reife gelangt ist, ganz
unabhängig und bedarf in seinem Naturzustande keines
anderen lebenden Wesens Beistand. Der Mensch
braucht die Hilfe seiner Mitmenschen fast immer, und
würde diese vergeblich von ihrem Wohlwollen allein
erwarten. Er wird viel leichter Erfolg haben, wenn
er ihre Eigenliebe zu seinen Gunsten interessieren und
ihnen zeigen kann, daß es ihr eigener Vorteil ist, für
ihn zu tun, was er von ihnen fordert. Wer einem
2*
20 Ei'stes Biicli: Zunahme in dor Ertragskraft der Arbeit.
Anderen einen Handel irgend einer Art anträgt, ver-
fährt auf diese Weise. Gieb mir dies, was ich brauche,
und Du sollst das haben, was Du brauchst — ist der
Sinn jedes solchen Anerbietens; und auf diese Weise
erhalten wir von einander den bei Weitem größten
Teil der guten Dienste, deren wir benötigt sind. Nicht
von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder
Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von
ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir
wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihre
Eigenliebe, und sprechen ihnen nie von unseren Be-
dürfnissen, sondern stets von ihren Vorteilen. Nur ein
Bettler will lieber ganz vom Wohlwollen seiner Mit-
bürger abhängen. Und selbst ein Bettler hängt nicht
völlig davon ab. Die Mildtätigkeit gutherziger Leute
verschafft ihm allerdings den ganzen Fonds seiner
Unterhaltsmittel. Aber obgleich diese Triebfeder ihn
schließlich mit allen seinen Lebensbedürfnissen ver-
sorgt, versieht sie ihn doch nicht und kann sie ihn
nicht so damit versehen, wie es sein Bedürfnis erheischt.
Der größere Teil seines gelegentlichen Bedarfs wird
ebenso wie der anderer Leute beschafft, durch Über-
einkommen, Tausch und Kauf. Mit dem Grelde, was
ihm der Eine giebt, kauft er Nahrung. Die alten
Kleider, die ihm ein Anderer schenkt, vertauscht er
gegen andere alte Kleider, die ihm besser passen, oder
gegen Wohnung, Lebensmittel oder Geld, mit dem er
je nach Bedarf ebensowohl Lebensmittel, wie neue
Kleider oder Wohnung kaufen kann.
Wie wir durch Übereinkommen, Tausch und Kauf
von einander den größten Teil der gegenseitigen guten
Dienste, deren wir bedürfen, gewinnen, so giebt dieselbe
Neigung zum Tauschen ursprünglich Veianlassung zur
Teilung der Arbeit. Jn einem Jäger- oder Hirten-
stamm macht z. B. irixend Einer Bogen und Pfeile
Kap. IL: Über den Trieb, der d. Teüunisr d. Arbeit Aeranlaßt. 21
schneller und geschickter als ein Anderer. Er ver-
tauscht sie oft gegen zahmes Vieh oder AVildpret mit
seinen Gefährten und findet schliei^lich, daß er auf
diese Weise mehr Vieh und Wildpret gewinnen kann,
als wenn er selbst auf die Jagd ginge. Aus ßücksicht
auf sein eigenes Interesse macht er daher das Ver-
fertigen von Bogen und Pfeilen zu seinem Hauptge-
schäft, und wird eine Art Waffenschmied. Ein anderer
zeichnet sich im Bau und in der Bedachung ihrer
kleinen Hütten odor transportabeln Häuser aus. Er
pflegt auf diese Weise seinen Nachbarn nützlich zu
sein, die ihn dafür ebenso mit Vieh und Wildpret be-
lohnen, bis er es zuletzt in seinem Interesse findet,
sich gänzlich dieser Beschäftigung zu widmen und
eine Art Zimmermann zu werden. Auf dieselbe Art
wird ein Dritter ein Schmied oder Kupferschmied, ein
vierter ein Gerber oder Zubereiter von Häuten oder
Fellen, dem Hauj)tteil der Bekleidung wilder Völker.
Und so spornt die Gewißheit, allen Überschuß seiner
Arbeit, der über seinen eigenen Verbrauch hinausgeht,
für solche Erzeugnisse Anderer, wie er sie gerade
braucht, austauschen zu können, einen Jeden an, sich
einer bestimmten Beschäftigung zu widmen und das
Talent oder Genie, das er für diesen bestimmten Er-
werbszweig besitzt, auszubilden und zur Vollkommen-
heit zu bringen.
Die Verschiedenheit der natürlichen Talente bei
den verschiedenen Menschen ist in Wahrheit viel ge-
ringer, als wir glauben, und der sehr verschiedene
Geist, welcher, wenn er zur Eeife gelangt ist, Tjeute
von verschiedenem Beruf zu unterscheiden scheint, ist
in vielen Fällen nicht sowohl der Grund als die Folge
der Arbeitsteilung. Die Verschiedenheit zwischen den
unähnlichen Charakteren, wie z. B. zwischen einem
Philosophen und einem gemeinen Lastträger, scheint
22 Ki'stes Buch: Zunahme in der ErtTa,i^-skraft der Arbeit.
nicht sowohl ihrem Wesen, als der Gewöhnung und
Erziehung zu entspringen. Als sie auf die Welt kamen,
und in den ersten sechs bis acht Jahren ihres Daseins
waren sie einander vielleicht sehr ähnlich, und weder
ihre Eltern noch ihre Gespielen konnten eine merkliche
Verschiedenheit gewahr werden. Etwa in diesem Alter
oder bald darauf wurden sie zu sehr verschiedenen Be-
schäftigungen angehalten. Dann wird die Verschieden-
heit ihrer Talente bemerkt und erweitert sich nach und
nach, bis zuletzt die Eitelkeit des Philosophen kaum
noch irgend eine Ähnlichkeit anzuerkennen bereit ist.
Aber ohne den Hang zum Tausch und Handel würde
sich Jedermann die Notwendigkeiten und Annehmlich-
keiten des Lebens selber haben verschaffen müssen.
Alle hätten dieselben Obliegenheiten zu erfüllen und
dasselbe zu tun gehabt, und es hätte keine solche Ver-
schiedenheit der Beschäftigung eintreten können, wie
sie allein eine irgend bedeutende Verschiedenheit der
Talente herbeiführen konnte.
Wie nun dieser Hang jene unter den Menschen
verschiedenen Berufs so merkliche Verschiedenheit der
Talente bildet, so ist es derselbe Hang, der jene Ver-
schiedenheit nutzbringend macht. Viele Tierarten, die
anerkannter Weise zu derselben Gattung gehören,
haben von Natur weit verschiedenere Anlagen, als sie
vor der Gewöhnung und Erziehung unter den Menschen
platzzugreifen scheinen. Von Natur ist ein Philosoph
an Anlagen und Neigungen nicht halb so sehr von
einem Lastträger verschieden, als ein Bullenbeisser
von einem Windhund, oder ein Windhund von einem
Jagdhund, oder dieser von einem Schäferhunde. Gleich-
wohl sind diese verschiedenen Tierarten, obschon alle
derselben Gattung angehören, einander kaum irgend
wie nützlich. Die Stärke des Bulleubeissers wird nicht
im Geringsten durch die Schnelligkeit des Windhundes
Kap. II.: Über den Trieb, der d. Teilung d. Arbeit veranlaßt. 23
oder die Spürkraft des Jagdhundes oder die Gelehrig-
keit des Schäferhundes unterstützt. Da diese Tiere
derjenigen Fähigkeiten oder Triebe ermangeln, die
zum Tausch und zu gegenseitiger Aushülfe erforder-
lich sind, können die Erzeugnisse jener verschiedenen
Anlagen und Talente nicht zu einem Gesamtvorrat
vereinigt werden und tragen nicht das Geringste zur
besseren Versorgung und zum höheren Komfort der
Gattung bei. Jedes Tier ist gezwungen, sich abge-
sondert und unabhängig seinen Unterhalt zu ver-
schaffen und sich selbst zu verteidigen, und hat
keinerlei Vorteil von den mannigfaltigen Talenten,
mit denen die Natur seine Genossen ausgestattet hat.
Unter den Menschen sind im Gegenteil die unähn-
lichsten Anlagen einander von Nutzen, indem die ver-
schiedenen Erzeugnisse ihrer bezüglichen Talente durch
den allgemeinen Hang zum Tausch und zu gegen-
seitiger Aushülfe in einen Gesamtvorrat vereinigt wer-
den, woraus Jedermann den Teil des Erzeugnisses
der Talente anderer Menschen kaufen kann, dessen
er bedarf.
Drittes Kapitel.
Die Teilung der Arbeit hat ihre Schranken
an der Ausdehnung des Marktes.
Wie die Möglichkeit des Tauschens Anlaß zur Tei-
lung der Arbeit gibt, so muß das Maß dieser Teilung
stets durch das Maß jener Möglichkeit, oder mit andern
Worten, durch die Ausdehnung des Marktes begrenzt
sein. Wenn der Markt sehr klein ist, kann Niemand
sich ermutigt finden, sich gänzlich einer Beschäftigung
zu widmen, weil es an der Möglichkeit fehlt, den ganzen
Überschuß des Erzeugnisses seiner Arbeit, der über
seinen eigenen Verbrauch hinausgeht, für solche Teile
der Erzeugnisse Anderer, die er gerade braucht, aus-
zutauschen.
Es gibt einige Gewerbszweige, selbst der niedrig-
sten Art, die nirgendwo anders, als in einer großen
Stadt getrieben werden können. Ein Lastträger z. B.
kann an keinem anderen Orte Beschäftigung und Unter-
halt finden. Ein Dorf ist viel zu eng für ihn; selbst
ein gewöhnlicher Marktflecken ist kaum groß genug,
ihm fortwährend Beschäftigung zu geben. In den
einzeln stehenden Häusern und sehr kleinen Dcirfern,
die in einem so öden Lande, wie die schottischen Hoch-
lande es sind, zerstreut liegen, muß ein Jeder Bauer,
Fleischer, Bäcker und Brauer für seine eigene Familie
sein. In solchen Gegenden kann man kaum erwarten,
Kap. III.: Schranken der Arbeitsteilung. 25
auch nur einen Scliinied, Zimmermann oder Maurer
in weniger als einem Umkreise von zwanzig Meilen
zu finden. Die zerstreuten Familien, die acht oder zehn
Meilen von dem nächsten Handwerker entfernt leben,
müssen sehr viele kleine Sachen, welche sie in volk-
reicheren Gegenden von solchen Handwerkern machen
lassen würden, selbst zu verfertigen lernen. Dorfhand-
werker sind fast überall gezwungen, sich mit all' den
verschiedenen Gewerbszweigen zu befassen, die ein-
ander durch die Verwendung gleichen Materials ver-
wandt sind. Ein Dorfzimmermann gibt sich mit jeder
Art Holzarbeit ab, ein Dorfschmied mit jeder Art Eisen-
arbeit. Der erstere ist nicht blos Zimmermann, sondern
Schreiner, Kunsttischler und sogar Bildschnitzer, sowie
Rad-, Pflug- und Stellmacher. Die Beschäftigungen
des Schmieds sind noch mannigfacher. In den ent-
legenen inneren Teilen der schottischen Hochlande
kann unmöglich selbst ein Gewerbe wie das des Nagel-
schmieds bestehen. Ein solcher Handwerker würde,
nach dem Satze von Tausend Nägeln des Tages und
bei dreihundert Arbeitstagen im Jahr, jährlich dreimal-
hunderttausend Nägel machen; allein an einem solchen
Orte würde er jährlich kaum tausend, d. h. die Arbeit
eines einzigen Tages, absetzen können.
Da durch den Wassertransport für jede Art Indu-
strie ein ausgedehnterer Markt eröffnet wird, als ihn
der Landtransport allein gewähren kann, so sind es
die Meeresküste und die Ufer schiffbarer Flüsse, wo
der Gewerbfleiß jeder Art sich abzuteilen und zu ver-
vollkommnen anfängt, und diese Vervollkommnung
dehnt sich oft erst lange Zeit nachher auf die inneren
Teile des Landes aus. Ein Frachtwagen, der von zwei
Menschen begleitet und mit acht Pferden bespannt ist,
fährt in etwa sechs Wochen mit Waren im Gewicht
von ungefähr- vier Tonnen zwischen London und Edin-
26 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
bürg hin und zurück. In etwa derselben Zeit führt
ein Schiff", das mit sechs oder acht Menschen bemannt
ist, und zwischen den Häfen von London und Leith
segelt, oft Waren von zweihundert Tonnen an Gewicht
hin und her. Sechs oder acht Mann können demnach
mittelst Wassertransports in derselben Zeit dieselbe
Menge Waren zwischen London und Edinburg hin-
und herfahren, wie fünfzig von hundert Menschen
begleitete und von vierhundert Pferden gezogene
Frachtwagen. Auf zweihundert Tonnen Waren, die
mit der wohlfeilsten Landfracht von London nach
Edinburg gebracht werden, muß also der dreiwöchent-
liche Unterhalt von hundert Menschen und sowohl
der Unterhalt, wie, was dem Unterhalt ziemlich gleich-
kommt, die Abnutzung von vierhundert Pferden und
fünfzig Frachtwagen gerechnet werden; während bei
derselben Waren masse, wenn sie zu Wasser transpor-
tiert wird, nur der Unterhalt von sechs oder acht
Menschen und die Abnutzung eines Schiffes von zwei-
hundert Tonnen Gehalt, samt dem AVerte des größeren
Risikos oder des Unterschieds zwischen der Land-
und Wasserversicherung gerechnet zu werden braucht.
Gäbe es also keine andere Verbindung zwischen beiden
Plätzen, als die durch Landtransport, so wären sie,
da nur solche Waren von dem einen Ort zum andern
gebracht werden könnten, deren Preis im Verhältnis
zu ihrem Gewichte sehr hoch wäre, nur einen kleinen
Teil des Verkehrs zu unterhalten imstande, der jetzt
zwischen ihnen stattfindet, und mithin der beiderseitigen
Industrie nur einen kleinen Teil der Aufmunterung zu
teil werden zu lassen, die sie jetzt einander gewähren.
Zwischen den entfernten Teilen der Welt könnte
nur wenig oder gar kein Vorkehr stattfinden. Welche
Waren vermöchten die Kosten des Landtransports
zwischen London und Kalkutta zu ortragen? Oder, wenn
Kap. TIL: Schranken der Arbeitsteilung. 27
einige so wertvoll wären, daß sie diese Koston zu
ertragen vormöchten, mit welcher Sicherheit könnten
sie durch die Gebiete so vieler barbarischer Völker-
schaften gebracht werden? Jetzt hingegen treiben
diese beiden Städte einen sehr bedeutenden Handel
mit einander und spornen, indem sie einander einen
Markt bieten, die beiderseitige Industrio erheblich an.
Bei diesem großen Vorteil des Wassertransports
ist es natürlich, daß die ersten Fortschritte der Kunst
und Industrie da gemacht wurden, wo diese günstige
Gelegenheit die ganze "Welt zu einem Markte für die
Produkte jeglicher Art Arbeit eröffnet, und daß sie
sich immer erst viel später auf die inneren Teile des
Landes ausdehnen. Die inneren Teile des Landes
können lange Zeit hindurch keinen anderen Markt für
den größten Teil ihrer Waren haben, als die Land-
schaft, die sie umgiebt und die sie von der Seeküste
und den großen schiffbaren Flüssen trennt. Die Aus-
dehnung ihres Marktes hängt daher lange Zeit von
dem Reichtum und der Bevölkerungsdichtigkeit jener
Landschaft ab, und ihr Fortschritt muß folglich hinter
dem dieser Landschaft einherhinken. In unseren nord-
amerikanischen Kolonien sind die Pflanzungen beständig
der Seeküste oder den Ufern der schiffbaren Flüsse
gefolgt und haben sich kaum irgendwo beträchtlich
von beiden entfernt.
Die Völker, welche nach den glaubwürdigsten
Geschichtsschreibern am frühesten zivilisiert gewesen
zu sein scheinen, waren diejenigen, die rund um die
Küste des mittelländischen Meeres wohnten. Da dieses
Meer, die bei Weitem größte bekannte Bucht der Welt,
keine Ebbe und Flut und mithin keine anderen Wollen
hat, als die der Wind verursacht, so war es durch die
Glätte seiner Oberfläche nicht minder wie durch die
Menge seiner Inseln und die Nähe seiner Ufer der
28 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Schiffahrt in ihrer Kindheit außerordentlich günstig,
als noch die Menschen, unbekannt mit dem Kompaß,
sich fürchteten, die Küste aus dem Gesicht zu ver-
lieren, und wegen der Unvollkommonheit der Schiff-
baukunst nicht wagten, sich den stürmischen Wogen
des Ozeans zu überlassen. Über die Säulen des Her-
kules, d. h. durch die Meerenge von Gibraltar hinaus-
zusegeln, wurde in der alten Welt lange als eine
äußerst wunderbare und gefährliche Unternehmung
der Schiffahrt betrachtet. Selbst die Phönizier und
Karthager, die geschicktesten Seefahrer und Schiff-
bauer jener alten Zeiten, versuchten es erst spät und
waren lange die einzigen Völker, die es wagten.
Unter allen I^ändern an der Küste des mittel-
ländischen Meeres scheint Ägypten das erste gewesen
zu sein, in welchem sowohl der Ackerbau wie die
Gewerbe gepflegt und zu einer hohen Stufe entwickelt
wurden. Oberägypten erstreckt sich nirgends über
einige Meilen vom Nil, und in Unteräg3^pten teilt sich
dieser große Strom in viele Kanäle, welche durch
einige künstliche Nachhülfe eine Wasserverbindung
nicht nur zwischen allen großen Städten, sondern auch
zwischen allen ansehnlichen Dörfern und sogar bis zu
vielen Landgütern geführt zu haben scheinen, etwa
in derselben Art, wie heute der Rhein und die Maas
in Holland. Der Umfang und die Leichtigkeit dieser
Binnenschiffahrt war wahrscheinlich eine der Haupt-
ursachen der frühen Kultur Ägyptens.
Ebenso scheinen in den Provinzen Bcngalens in
Ostindien und in einigen östlichen Provinzen Chinas
die Fortschritte des Ackerbaus und der Gewerbe von
sehr hohem Alter zu sein, obwohl dies Alter durch
keine verläßlichen Geschichtsnachrichten, die es für
diesen Teil der Welt nicht giebt, verbürgt ist. In
Bengalen bilden der Ganges und einige andere große
Kap. TIT.: ?>rhranken der Avbeitstoilun.s,-. 29
Ströme eine bedeutende Menge schiffbarer Kanäle,
ganz so wie der Nil in Agyj^ten. In den östlichen
Provinzen Chinas bilden gleichfalls einige große Flüsse
durch ihre verschiedenen Arme eine Menge von Ka-
nälen und gestatten durch Verbindung untereinander
eine noch viel ausgedehntere Binnenschiffahrt als der
Nil oder Ganges oder vielleicht beide zusammen. Es
ist merkwürdig, daß weder die alten Ägypter, noch
die Inder, noch die Chinesen den auswärtigen Handel
ermunterten, sondern sämtlich ihren großen Iteichtum
aus dieser Binnenschiffahrt gezogen zu haben scheinen.
Alle inneren Teile Afrikas und jener ganze Teil
Asiens, der weit nördlich vom schwarzen und kaspi-
schen Meere liegt, das alte Scythien, die moderne
Tartarei, und Sibirien scheinen, so lange die Welt steht,
in demselben barbarischen und unzivilisierten Zustande
gewesen zu sein, in welchem wir sie noch heute finden.
Das Meer der Tartarei ist das Eismeer, das keine Schiff-
fahrt zuläßt, und obgleich einige der größten Ströme
der Welt durch dies Land fließen, so sind sie doch
zu weit von einander entfernt, um Handel und Verkehr
durch den größeren Teil von ihm herbeizuführen. In
Afrika gibt es keine so großen Buchten, wie das
baltische und adriatische Meer in Europa, das mittel-
ländische und schwarze Meer in Europa und Asien,
und den arabischen und persischen, indischen, benga-
lischen und siamesischen Meerbusen in Asien, um den
Seehandel nach den inneren Teilen jenes großen Kon-
tinents zu führen und die großen Flüsse Afrikas sind
zu weit von einander entfernt, um zu einer bedeuten-
deren Binnenschiffahrt Gelegenheit zu bieten. Überdies
kann der Verkehr eines Volks auf einem Flusse, der
sich nicht in eine große Menge von Armen oder
Kanälen teilt, und der, ehe er das Meer erreicht, in
ein anderes Gebiet fließt, niemals sehr bedeutend sein,
30 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
weil die Völker, die jenes andere Gebiet besitzen, es
stets in ihrer Macht haben, den Verkehr zwischen
dem Oberlande und dem Meere zu hemmen. Die
Donauschiffahrt ist für Baiern, Österreich und Ungarn
von sehr geringem Nutzen, im Vergleich zu dem-
jenigen, den sie haben könnte, wenn einer dieser
Staaten den ganzen Lauf des Flusses bis zu seiner
Mündung in das schwarze Meer beherrschte.
Viertes Kapitel.
Vom Ursprung und Gebrauch des Geldes.
Wenn die Teilung der Arbeit einmal durchweg
eingeführt ist, so ist es nur ein sehr kleiner Teil der
Bedürfnisse eines Menschen, der durch das Erzeugnis
seiner eigenen Arbeit beschafft werden kann. Ihren
bei weitem größten Teil verschafft er sich durch Aus-
tausch jenes Überschusses seines eignen Arbeitsertrags,
der über seinen Verbrauch hinausgeht, gegen solche
Erzeugnisse von anderer Leute Arbeit, die er gerade
braucht. Jedermann lebt so durch Tausch, oder wird
gewissermaßen ein Kaufmann, und die Gesellschaft
selbst wächst zu einer eigentlichen Handelsgesellschaft
heran.
Als jedoch die Teilung der Arbeit zuerst Platz
griff, muß die Möglichkeit zu tauschen häufig sehr ins
Stocken geraten und gehemmt worden sein. Nehmen
wir an, der Eine habe mehr von einer Ware, als er
selbst braucht, während ein Anderer weniger hat. Der
Erstere würde mithin froh sein, wenn er einen Teil
dieses Überflusses loswerden, der Letztere, wenn er
ihn kaufen könnte. Wenn aber dieser Letztere Nichts
hat, was der Erstere bedarf, so kann zwischen ihnen
kein Tausch Zustandekommen. Der Fleischer hat
mehr Fleisch in seinem Laden, als er selbst verzehren
kann, und der Biauer und Bäcker würden jeder gern
einen Teil davon kaufen. Allein sie haben Nichts zum
32 Efstes Bucli: Zimalime in dei- Ertragskraft der Arbeit.
Tauscli zu bieten, als die verschiedenen Erzeugnisse
ihrer bezüglichen Gewerbe, und der Fleischer ist schon
mit allem Brot und Bier, das er augenblicklich braucht,
versehen. In diesem Falle läßt sich kein Tausch
zwischen ihnen machen. Er kann nicht ihr Kaufmann,
noch sie seine Kunden sein, und alle drei leisten so
einander weniger Dienste. Um den Übelstand einer
solchen Lage zu vermeiden, muß jeder vorsichtige
Mann zu allen Zeiten der Gesellschaft nach der ersten
Einführung der Arbeitsteilung natürlich bemüht ge-
wesen sein, seine Einrichtungen so zu treffen, daß er
außer den besonderen Erzeugnissen seines eigenen
Fleißes jederzeit noch eine gewisse Menge von einer
oder der anderen Ware in Bereitschaft hatte, von der
er voraussetzen konnte, daß wahrscheinlich wenige Leute
sie in Tausch gegen das Erzeugnis ihres Fleißes zu-
rückweisen würden.
Zu diesem Zwecke sind im Laufe der Zeit wahr-
scheinlich viele Waren ausgedacht und verwendet
worden. In den rohen Zeitaltern der Gesellschaft soll
Vieh das gewöhnliche Werkzeug des Handels gewesen
sein, und obwohl es ein sehr unbequemes sein mußte,
so finden wir doch in alten Zeiten häufig Dinge nach
der Zahl des Viehs geschätzt, welches dagegen in
Tausch gegeben wurde. Die Rüstung des Diomedes,
sagt Homer, kostet nur neun Ochsen, die des Glaukus
aber hundert. Salz soll das gewöhnliche Handels- und
Tauschmittel in Abyssinien sein; eine Art Muscheln
in einigen Küstenstrichen Indiens; Stockfisch in Neu-
fundland; Tabak in Virginien; Zucker in einigen unserer
westindischen Kolonien ; Häute oder zugerichtetes Leder
in anderen Ländern; und noch heutigen Tages gibt es
ein Dorf in Schottland, wo es, wie man sagt, nichts
Ungewöhnliches ist, daß ein Arbeiter statt des Geldes
Nägel in den Bäckerladen oder ins Bierhaus bringt.
Kap. IV.: Vom Vi'spnmo- und Gebrauch des C ekles. 3,3
In allen Ländern jedoch scheinen die Menschen
zuletzt durch unwiderstehliche Gründe bestimmt worden
zu sein, den Metallen zu diesem Zwecke vor allen an-
deren AVaren den Vorzug zu geben. Metalle lassen
sich nicht allein mit so wenig Verlust, wie nur ii-gend
eine andere Ware, aufbewahren, da kaum irgend etwas
Anderes weniger als sie dem Verderben ausgesetzt ist,
sondern sie können auch ohne Verlust in irgend eine
Anzahl Teile zerlegt werden, da diese Teile durch
Schmelzung sich leicht wieder vereinigen lassen: eine
Eigenschaft, welche keine andere gleich dauerhafte
Ware besitzt, und die mehr als irgend etwas Anderes
sie zum Verkehis- und Umlaufsmittel geeignet macht.
Wer z. B. Salz kaufen wollte, und nur Vieh dagegen
zu geben hatte, war gezwungen, Salz zum Werte
eines ganzen Ochsen oder eines ganzen Schafes auf
einmal zu kaufen. Selten konnte er weniger kaufen,
weil dasjenige, was er dafür zu geben hatte, kaum
je ohne Verlust geteilt werden konnte; und wenn er
Lust hatte, mehr zu kaufen, so mußte er aus den-
selben Gründen das Doppelte oder Dreifache kaufen,
d. h. für den Wert von zwei oder drei Ochsen, von
zwei oder drei Schafen. Hatte er hingegen statt der
Schafe oder Ochsen Metalle in Tausch zu geben, so
konnte er leicht die Menge des Metalls nach der ge-
nauen Menge der Ware, die er augenblicklich brauchte,
abmessen.
Verschiedene Metalle sind von den einzelnen Na-
tionen zu diesem Zwecke angewandt worden. Eisen
war das gewöhnliche Verkehrsmittel unter den alten
Spartanern; Kupfer unter den alten Römern; und Gold
und Silber unter allen reichen und handeltreibenden
Nationen.
Diese Metalle scheinen ursprünglich in rohen Bar-
ren ohne Gepräge oder Ausmünzung zu jenen Zwecken
Adam Smith, Volkstv'ohlstand. I. 3
,^4 Erstes Biicli: Ziinahmo in flor Ertragskraft der Arbeit.
benutzt worden zu sein. So berichtet Plinius''') auf das
Zeugnis des Timäus, eines alten Geschichtsschreibers,
daß die Römer bis auf die Zeit des Servius Tullius
kein gemünztes Geld hatten, und ungestempelte Kupfer-
barren beim Einkauf ihrer Bedürfnisse gebrauchten. Diese
rohen Barren versahen also damals den Dienst des Geldes.
Der Gebrauch der Metalle in diesem rohen Zustande
war mit zwei sehr großen Übelständen verbunden: er-
stens mit der Umständlichkeit des Wagens und zweitens
mit der des Probierens. Bei den edlen Metallen, wo ein
geringer Unterschied in der Menge einen großen Unter-
schied im Werte ausmacht, erfordert schon das Geschäft
des Wagens, wenn es mit der gehörigen Genauigkeit aus-
geführt werden soll, wenigstens sehr genaue Gewichte
und Wagen. Namentlich das Wägen des Goldes ist
eine Handhabung von einiger Feinheit. Bei den gröberen
Metallen, wo ein kleiner Irrtum von wenig Belang ist,
wäre allerdings weniger Genauigkeit erforderlich. Man
würde es jedoch außerordentlich beschwerlich finden,
wenn ein armer Mann, so oft er für einen Dreier kaufen
oder verkaufen will, den Dreier zu Aviegen genötigt
wäre. Die Tätigkeit des Probierens ist noch schwieriger
und langweiliger, und wenn nicht ein Teil des Metalls
mit geeigneten Auflösungsmitteln im Schmelztiegel or-
dentlich geschmolzen wird, äußerst unsicher bezüglich
des Schlusses, der daraus zu ziehen ist. Gleichwohl
mußten vor der Einführung des gemünzten Geldes die
Leute stets den gröbsten Betrügereien und Täuschungen
ausgesetzt sein, wenn sie diese langweilige und schwierige
Arbeit nicht vornahmen, und konnten, statt eines Pfun-
des reinen Silbers oder reinen Kupfers, für ihre Waren
leicht eine gefälschte Zusammensetzung aus den gröb-
sten und wohlfeilsten Rohstoffen erhalten, die jedoch
in ihrem äußeren Ansehen jenen Metallen ähnlich er-
=••) I'linius, Mist. Nat., lib. 'X], cap. ."l
Kap. TV.: Vom I'rspriin.o- und Gebrauch des Geldes. 35
schien. Um solchen Mißbräuchen zuvorzukommen, die
Tausche zu erleichtern, und dadurch alle Arten der
Industrie und des Handels zu ermutigen, sah man sich
in allen Ländern, die beträchtliche Fortschritte in der
Kultur gemacht hatten, genötigt, gewisse Mengen sol-
cher Metalle, die daselbst gewöhnlich als Tauschmittel
benutzt wurden, von Staatswegen mit einem Stempel zu
versehen. Dies ist der Ursprung des gemünzten Geldes
und jener öffentlichen Anstalten, die Münzen heißen;
Einrichtungen genau von derselben Art, wie die der
.Schau- und Stempelmeister für die Wollen- und Leinen-
waren. Sie haben alle die gleiche Bestimmung, durch
einen öffentlichen Stempel die Menge und gleich-
förmige Güte dieser verschiedenen Waren, w'enn sie
zu Markt gebracht werden, zu verbürgen.
Die ersten öffentlichen Stempel dieser Art, die auf
die umlaufenden Metalle gedrückt wurden, scheinen in
vielen Fällen bestimmt gewesen zu sein, das zu ver-
bürgen, was zu vei'bürgen sowohl am schwierigsten, wie
am wichtigsten ist, nämlich die Güte und Feinheit des
Metalls, und scheinen der Sterling-Marke ähnlich ge-
wesen zu sein, die man jetzt auf Silbergeschirr und
Silberbarren prägt, oder der spanischen Marke, die zu-
weilen auf Goldstangen gesetzt wird und, da sie nur
auf einer Seite des Stückes steht und nicht die ganze
Oberfläche bedeckt, zwar die Feinheit, aber nicht das
Gewicht des Metalles verbürgt. Abraham wieot dem
Ephron die vierhundert Seckel Silber zu, welche er ihm
für das Feld von Machpelah zu zahlen versprochen hatte.
Sie sollen die Kourantmünzen des Kaufmanns gewesen
sein, und dennoch wurden sie zugewogen, nicht zuge-
zählt, gerade wie es mit den Goldstangen und Silber-
barren noch heute geschieht. Die Einkünfte der alten
sächsischen Könige Englands sollen nicht in Geld son-
dern in natura, d. h. in Lebensmitteln und Vorräten
36 Erstes Buch: Zunahme in der Ertrag-skraft der Arbeit.
aller Art gezahlt worden sein. Wilhelm der Eroberer
führte die Sitte ein, sie in Geld zu entrichten. Dieses
Geld wurde jedoch lange Zeit bei der Schatzkammer
nach dem Gewichte und nicht nach der Stückzahl in
Empfang genommen.
Die Unbeijuemlichkeit und Schwierigkeit, jene Me-
talle mit Genauigkeit zu wägen, veranlaßte die Ein-
führung von Münzen, deren Stempel beide Seiten des
Stückes und zuweilen auch die Ränder gänzlich be-
deckte, und als genügende Sicherheit nicht nur für die
Feinheit, sondern auch für das Gewicht des Metalls an-
gesehen wurde. Solche Münzen wurden daher wie
noch heute, ohne daß man sich die Mühe des Wagens
machte, nach der Stückzahl angenommen.
Die Namen dieser Münzen scheinen ursprünglich
das Gewicht oder die in ihnen enthaltene Metallmenge
ausgedrückt zu haben. Zur Zeit des Servius Tullius,
der zuerst in Rom Geld münzen ließ, enthielt das rö-
mische As oder Pondo ein römisches Pfund guten Kup-
fers. Es war nach der Art des Troyes-Pfundes in zwölf
Unzen geteilt, von denen jede eine wirkliche Unze
guten Kupfers enthielt. Das englische Pfund Sterling
enthielt zur Zeit Eduards I. nach Tower-Gewicht ein
Pfund Silber von einem bekannten Feinheitsgrade.
Das Tower-Pfund scheint etwas mehr, als das römi-
sche Pfund gewesen zu sein, und etwas weniger als
das Troj'es-Pfund. Dieses letztere wurde erst im
achtzehnten Regierungsjahre Heinrichs VIIT. in der
englischen Münze eingeführt. Das französische Pfund
(livre) enthielt zur Zeit Karls des Großen nach Troyes-
Gewicht ein Pfund Silber von bekanntem Feinheitsgrade.
Die Messe von Troyes in der Champagne wurde zu jener
Zeit von allen europäischen Völkern besucht, und die
Gewichte und Maße eines so berühmten Marktes waren
allgemein bekannt und geschätzt. Das schottische Geld-
Kap. IV.: Vom Ursprung und Gebrauch des Geldes. 37
pfund enthielt von Alexander dem Ersten an bis auf
Robert Bruce ein Pfund Silber von demselben Schrot
und Korn, wie das englische Pfund Sterling. Die eng-
lischen, französischen und schottischen Pence ent-
hielten gleichfalls ursprünglich alle ein wirkliches Penny-
gewicht Silber, den zwanzigsten Teil einer Unze und
den zweihundertundvierzigsten Teil eines Pfundes.
Auch der Schilling scheint ursprünglich die Bezeichnung
für ein Gewicht gewesen zu sein. „Wenn der Weizen
zwölf Schilling das Quarter kostet", sagt ein altes Statut
Heinrichs III., „dann soll ein Farthing-Brod elf Schilling
und vier Pence wiegen." Doch scheint das Verhältnis
zwischen dem Schilling und Penny einerseits oder dem
Pfund andrerseits nicht so beständig und gleichförmig
gewesen zu sein, als das zwischen dem Penny und dem
Pfund. Während der Zeit des ersten französischen
Königsgeschlechtes scheint der französische Sou oder
Schilling bald fünf, bald zwölf, bald zwanzig, bald
vierzig Pence enthalten zu haben. Unter den alten
Sachsen scheint der Schilling zu einer gewissen Zeit
nur fünf Pence enthalten zu haben, und es ist nicht
unwahrscheinlich, daß er bei ihnen eben so veränder-
lich war, als bei ihren Nachbarn, den alten Franken.
Seit der Zeit Karls des Großen unter den Franken, und
Wilhelms des Eroberers unter den Engländern scheint
das Verhältnis zwischen Pfund, Schilling und Penny
stets dasselbe gewesen zu sein, wie noch heute, obgleich
ihi- Wert sehr verschieden war. Denn in allen Ländern
der Welt haben, glaube ich, der Geiz und die Unge-
rechtigkeit der Fürsten und Staaten, das Vertrauen ihrer
Untertanen mißbrauchend, nach und nach den wirk-
Hchen Metallgehalt, der ursprünglich in ihren Münzen
vorhanden war, verringert. Das römische As wurde in
der letzten Zeit der Republik auf den vierundzwanzig-
sten Teil seines ursprünglichen Wertes verringert, so
38 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
daß es statt eines Pfundes nur eine halbe Unze wog.
Das englische Pfund und der Penny enthalten gegen-
wärtig etwa nur ein Drittel, das schottische Pfund und
der Penny etwa ein Sechsunddreißigstel, und das fran-
zösische Pfund und der Penny etwa ein Sechsundsech-
zigstel ihres ursprünglichen Wertes. Mittelst solcher
Maßnahmen waren die Fürsten und Staaten, die sich
ihrer bedienten, imstande, dem Scheine nach ihre
Schulden zu bezahlen, und ihre Verpflichtungen mit
einer geringeren Masse Silber, als sonst nötig gewesen
wäre, zu erfüllen. Allerdings nur dem Scheine nach;
denn die Gläubiger waren in Wirklichkeit um einen Teil
dessen, was ihnen zukam, betrogen. Allen anderen
Schuldnern im Staate wurde dasselbe Privileg zu Teil,
und sie konnten, was sie in alter Münze geborgt hatten,
mit derselben nominellen Summe der neuen und ver-
schlechterten Münze bezahlen. Solche Maßregeln er-
wiesen sich daher stets günstig für den Schuldner und
verderblich für den Gläubiger, und brachten zuweilen
eine größere und allgemeinere Umwälzung im Ver-
mögen der Privatpersonen hervor, als es durch die
größte öffentliche Kalamität hätte geschehen können.
Auf diese Weise ist das Geld bei allen zivilisierten
Völkern das allgemeine Handelsinstrument geworden,
durch dessen Vermittelung Waren aller Art gekauft und
verkauft, oder gegen einander ausgetauscht werden.
Welche Eegeln die Menschen beim Tausch der
Waren gegen Geld oder gegen einander der Natur der
Sache entsprechend beobachten, will ich nun unter-
suchen. Diese Eegeln bestimmen das, was man den
relativen oder Tauschwert der Waren nennen kann.
Das Wort Wert hat, was zu beachten ist, zwei
verschiedene Bedeutungen, und drückt bald die Brauch-
barkeit einer Sache, bald die dui'ch den Besitz dieser
Sache gegebene Möglichkeit aus, andere Güter dafür
Kap. ly. : Vom Ursprung luid Gebrauch des Geldes. 39
ZU kaufen. Das eine kann Gebrauchswert, das andere
Tauschwert genannt werden. Die Dinge, die den größten
Gebrauchswert haben, haben oft wenig oder gar keinen
Tauschwert, und umgekehrt haben solche, die den
gr()ßten Tauschweit haben, oft wenig oder gar keinen
Gebrauchswert. Nichts ist nützlicher als Wasser, aber
man kann selten etwas dafür kaufen, selten etwas dafür
in Tausch erhalten. Dagegen hat ein Diamant kaum
irgend einen Gebrauchswert, aber man kann oft eine
große Menge anderer Güter dafür im Tausch erhalten.
Um die Grundsätze zu erforschen, welche den
Tauschwert der Ware regeln, werde ich zu zeigen
suchen,
Erstens: Welches der wahre Maßstab dieses Tausch-
wertes ist, oder worin der wahre Preis aller Agaren
besteht;
Zweitens: Aus welchen verschiedenen Bestandteilen
dieser wahre Preis zusammengesetzt oder gebildet ist;
Und endlich: AVelche verschiedenen Umstände
einige oder alle diese verschiedenen Bestandteile des
Preises bald über, bald unter ihren natürlichen oder
gewöhnlichen Satz treiben, oder welche Ursachen den
Marktpreis, d. h. den wirklichen Preis der AVaren
hindern, genau mit dem, was man ihren natürlichen
Preis nennen kann, zusammen zu fallen.
Ich werde mich bemühen, diese drei Gegenstände
so vollständig und deutlich, als ich es vermag, in den
drei folgenden Kapiteln auseinanderzusetzen, für welche
ich mir die Geduld und Aufmerksamkeit des Lesers
auf Angelegentlichste erbitten muß: seine Geduld, um
ein Detail zu prüfen, welches ihm vielleicht an vielen
Stellen ohne Not weitschweifig zu sein scheint, und
seine Aufmerksamkeit, um dasjenige zu fassen, was
vielleicht nach der vollständigsten Auseinandersetzung,
die ich zu geben imstande hin, doch immer noch ziem-
40 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
lieh dunkel scheinen mag. Ich will stets lieber Gefahr
laufen, weitschweifig zu sein, wenn ich nur sicher bin,
klar zu bleiben, und, nachdem ich mir alle mögliche
Mühe gegeben habe, klar zu sein, kann es noch immer
scheinen, als ob über einen Gegenstand, der seiner
Natur nach höchst abstrakt ist, einige Dunkelheit
zurückgeblieben ist.
Fünftes Kapitel.
Vom wahren und nominellen Preise
der Waren, oder von ihrem Preise in Arbeit
und ihrem Preise in Geld.
Jeder Mensch ist reich oder arm in dem Grade,
wie er imstande ist, sich die Bedürfnisse, AnnohmHch-
keiten und Vergnügungen des menschlichen Lebens
zu beschaffen. Nachdem aber einmal die Teilung der
Ä-rbeit überall Eingang gefunden hat, kann eines
Menschen eigne Arbeit ihn nur mit einem sehr kleinen
Teil dieser Dinge versorgen. Den bei Weitem größeren
Teil von ihnen muß er von der Arbeit Anderer er-
warten, und er muß reich oder arm sein, je nach der
Menge von Arbeit, über die er verfügen oder die er
kaufen kann. Der Wert einer Ware ist demnach für
den, der sie besitzt und der sie nicht selbst zu ge-
brauchen oder zu verbrauchen, sondern gegen andere
Waren umzutauschen gedenkt, gleich der Menge Arbeit,
welche zu kaufen oder über welche zu verfügen sie
ihm gestattet. Die Arbeit ist also der wahre Maßstab
des Tauschwertes aller Waren.
Der wahre Preis jedes Dinges, der Preis, den jedes
Ding den Mann, der es sich verschaffen will, wirklich
kostet, ist die Mühe und Beschwerde, die er hat an-
wenden müssen, um es sich zu verschaffen. Was jedes
Ding dem Manne, der es sich verschafft hat und da-
rüber verfügen oder es gegen etwas Anderes ver-
42 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
tauschen will, wirklich wert ist, das ist die Mühe und
Beschwerde, welche er sich dadurch ersparen und auf
andere Leute abwälzen kann. Was mit Geld oder
Waren erkauft ist, wird ebenso wie das, was wir durch
die Beschwerde des eignen Körpers erwerben, mit
Arbeit erkauft. Jenes Geld oder jene Güter ersparen
uns in der Tat diese Boschwerde. Sie enthalten den
Wert einer gewissen Menge Arbeit, welche wir gegen
Etwas vertauschen, wovon wir zur Zeit glauben, daß
es den Wert einer gleichen Menge enthalte. Die Ar-
beit war der erste Preis, das ursprüngliche Kaufgeld,
welches für alle Dingo gezahlt wurde. Nicht mit Gold
oder Silber, sondern mit Arbeit wurden alle Güter der
Welt ursprünglich gekauft; und ihr Wert für die,
welche sie besitzen und gegen neue Erzeugnisse ver-
tauschen wollen, ist genau der Arbeitsmenge gleich,
welche zu kaufen oder über welche zu verfügen sie
dadurch instand gesetzt sind.
Reichtum, sagt Hobbes, ist Macht. Wer jedoch
ein großes Vermögen erwirbt oder ererbt, erwirbt oder
ererbt damit nicht notwendig politische Macht, sei es
im Zivil- oder Kriegsdienst. Sein Vermögen wird ihm
vielleicht die Mittel bieten, beide zu erwerben, aber
der bloße Besitz dieses Vermögens verschafft ihm nicht
notwendig die eine oder die andere. Die Macht, die
jener Besitz ihm unmittelbar und direkt verschafft, ist
die Macht zu kaufen, d. h. eine gewisse Herrschaft über
alle Arbeit oder alle Arbeitserzeugnisse, die sich auf
dem Markte befinden. Sein Vermögen ist größer oder
geringer genau im Verhältnis zum Umfange dieser
Macht, oder zur Menge der Arbeit oder, was dasselbe
ist, der Arbeitserzeugnisse Anderer, welche zu kaufen
oder über welche zu verfügen or dadurch instand ge-
setzt ist. Der Tauschwert eines jeden Dinges muß stets
Kap. v.: Vom wahren und nominellen Preise der Waren. 48
dem Umfange dieser Macht, die es seinem Besitzer
verschafft, vollkommen gleich sein.
Obwohl aber die Arbeit der wahre Maßstab des
Tauschwertes aller Waren ist, so ist sie doch nicht
der Maßstab, nach welchem ihr Wert gewöhnlich ge-
schätzt wird. Es ist oft schwer, das Verhältnis zwischen
zwei verschiedenen Arbeitsmengen genau zu bestimmen.
Die Zeit, die auf zwei verschiedene Arten von Arbeit
verwendet ist, wird allein dies Verhältnis nicht immer
entscheiden. Die verschiedenen Grade von erduldeter
Mühsal und von aufgewendetem Geist müssen ebenfalls
in Rechnung gebracht werden. Es kann in der schweren
Anstrengung einer Stunde mehr Arbeit stecken, als in
zw^ei Stunden leichter Beschäftigung, und in der ein-
stündigen Ausübung eines Geschäfts, dessen Erlernung
zehn Jahre Arbeit kostete, mehr als in dem Fleiß eines
ganzen Monats bei einer gewöhnlichen und alltäglichen
Beschäftigung. Allein es ist nicht leicht, einen genauen
Maßstab für die Mühsal wie für die Geisteskraft zu
finden. Allerdings wird beim wechselseitigen Austausch
der Erzeugnisse verschiedener Arbeitsgebiete auf beides
einige Rücksicht genommen. Indessen wird das nicht
nach einem genauen Maßstabe, sondern nach dem
Dingen und Feilschen des Marktes ausgeglichen, jener
rohen Ausgleichung gemäß, welche zwar nicht exakt ist,
aber für die Geschäfte des geraeinen Lebens ausreicht.
Überdies werden alle Waren häufiger gegen ein-
ander, als gegen Arbeit vertauscht und damit ver-
glichen. Es ist daher naturgemäßer, ihren Tauschwert
nach der Menge einer anderen Ware zu schätzen, als
nach der der Arbeit, die sie kaufen kann. Auch vor-
stehen die meisten Leute besser, was mit der Menge
einer bestimmten Ware, als was mit einer Menge Arbeit
gemeint ist. Jenes ist ein einfacher handgreiflicher
Gegenstand, dieses ein abstrakter Begriff, der sich
44 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
zwar hinreichend deutlich machen läßt, aber doch nicht
Allen so natürlich und geläufig ist.
Wenn aber der Tauschhandel aufhört, und das Geld
zum gewöhnlichen Yerkehrsinstrument geworden ist,
dann werden alle Waren häufiger gegen Geld, als gegen
andere Waren vertauscht. Der Fleischer bringt selten
sein Rind- oder Hammelfleisch zum Bäcker oder zum
Brauer, um es gegen Brot oder Bier zu vertauschen,
sondern er bringt es auf den Markt, wo er es gegen
Geld verhandelt; und später vertauscht er dies Geld
gegen Brot und Bier. Die Menge des Geldes, welches er
dafür einnimmt, bestimmt auch die Menge des Brotes
und Bieres, die er nachher kaufen kann. Es ist ihm
daher natürlicher und geläufiger, ihren Wert nach der
Menge des Geldes, der Ware, für welche er sie unmitel-
bar vertauscht, als nach der des Brotes und Bieres —
Waren, gegen welche er sie nur durch Vermittelung
einer anderen Ware vertauschen kann — zu schätzen
und zu sagen, sein Fleisch sei das Pfund drei oder vier
Pence wert, als es sei drei oder vier Pfund Brot, oder
drei oder vier Quart Dünnbier wert. Daher kommt es,
daß der Tauschwert aller Waren häufiger nach der
Menge des Geldes, als nach der Menge der Arbeit
oder einer andern Ware, die dafür eingetauscht werden
kann, geschätzt wird.
Übrigens schwanken Gold und Silber, wie jede
andere Ware, im Wert und sind bald wohlfeiler und
bald teurer, bald leichter und bald schworer zu kaufen.
Die Menge Arbeit, die für eine bestimmte Menge Gold
oder Silber zu kaufen ist oder zu Gebote steht, oder
die Menge anderer Güter, welche dafür eingetauscht
werden kann, hängt stets von der Ergiebigkeit oder
Armut der Bergwerke ab, die man zur Zeit gerade
kennt. Die Entdeckung der reichen Minen Amerikas
setzte im sechzehnten Jahrhundert den Wort von Gold
Kap. v.: Vom wahren iind nominellen Preise der Waren. 45
und Silbers in Europa ungefähr auf den dritten Teil
seines früheren hei-ab. Da es weniger Arbeit kostete,
jene Metalle aus den Minen auf den Markt zu bi'ingen,
so konnten sie auch, als sie auf den Markt kamen,
weniger Arbeit kaufen oder über weniger verfügen; und
diese Umwälzung in ihrem Werte, obwohl vielleicht die
größte, ist doch keineswegs die einzige, von der die
Geschichte berichtet. Wie aber ein Maßstab der Menge,
welcher selbst stets veränderlich ist, wie z. B. der natür-
liche Fuß, die Armlänge oder die Handvoll, niemals
einen genauen Maßstab für die Menge anderer Dinge
abgeben kann, so kann auch eine Ware, die in ihrem
eigenen Werte fortwährend veränderlich ist, niemals
ein genauer Maßstab des Wertes anderer Waren sein.
Gleiche Mengen Arbeit sind, wie man zu sagen berech-
tigt ist, zu allen Zeiten und an allen Orten für den
Arbeiter von gleichem Werte. Bei einem durchschnitt-
lichen Stande seiner Gesundheit, Kraft und Stimmung,
bei dem gewöhnlichen Grade seiner Geschicklichkeit
und Fertigkeit muß er stets denselben Teil seiner Muße,
seiner Freiheit und seines Glückes dafür einsetzen.
Der Preis, den er zahlt, bleibt immer der nämliche,
wie groß auch die Menge der Güter sei, welche er als
Ersatz dafür erhält. Allerdings kann seine Arbeit bald
eine größere, bald eine geringere Menge von Waren
kaufen; aber es ist ihr Wert, der schwankt, nicht dei-
der Arbeit, die sie kauft. Immer und übei'all ist
dasjenige teuer, was schwer zu beschaffen ist, oder
dessen Erwerbung viel Arbeit kostet, und dasjenige
wohlfeil, was leicht oder mit sehr wenig Arbeit zu
haben ist. Einzig und allein nur die Arbeit, die in
ihrem Werte niemals schwankt, ist mithin der letzte
und wahre Preismaßstab, nach welchem der Wert aller
Waren immer und überall geschätzt und verglichen
werden kann. Sie ist ihr wahrer Preis; Geld nur ihr
nomineller.
46 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Obwohl aber gleiche Mengen Arbeit für den Arbeiter
immer gleichen Wert haben, so scheinen sie doch für
den, der den Arbeiter beschäftigt, bald mehr, bald
weniger wert zu sein. Er erkauft sie bald mit einer
größeren, bald mit einer kleineren Menge von Gütern,
und ihm scheint der Preis der Arbeit ebenso wie der
aller andern Dinge zu schwanken. In dem einen Falle
erscheint sie ihm teuer, in dem anderen wohlfeil. In
Wahrheit jedoch sind es die Güter, die in dem einen
Falle wohlfeil, und im andern teuer sind.
In diesem volkstümlichen Sinne kann man daher
sagen, die Arbeit habe gleich den Waren einen wirk-
lichen und einen nominellen Preis. Ihr wirklicher, kann
man sagen, besteht in der Menge von Bedürfnissen und
Annehmlichkniten des . Lebens, welche dafür gegeben
wird; ihr nomineller Preis in der Menge Geld. Der
Arbeiter ist reich oder arm, gut oder schlecht belohnt,
je nach dem wirklichen, nicht dem nominellen Preise
seiner Arbeit.
Die Unterscheidung zwischen dem wirklichen oder
Sachpreise und dem nominellen Preise der Waren und
der Arbeit ist nicht etwa nur eine Sache der bloßen
Theorie, sondern kann bisweilen in der Praxis von
großem Nutzen sein. Der gleiche Sachpreis hat immer
den gleichen Wert; der nominelle Preis dagegen ist
wegen der Schwankungen im Werte des Goldes und
Silbers zuweilen von sehr verschiedenem Werte. Wenn
daher ein Landgut unter dem Vorbehalt einer immer-
währenden Rente verkauft wird, und die Kente stets
denselben Wert haben soll, so ist es für die Familie,
zu deren Gunsten dies ausgemacht wird, von Wichtig-
keit, daß sie nicht in einer bestimmten Summe Geldes
bestehe. In diesem Falle würde ihr Wert Schwan-
kungen doppelter Art ausgesetzt sein; erstens der,
welche aus den verschiedenen Mengen Goldes und
Silbers, die zu verschiedenen Zeiten in Münzen von
Kap. v.: Vom wahron iinrl nominpllen Preise der Waren. 47
demselben Nennwert enthalten sind, entspringt, und
zAveitens der, welche durch den verschiedenen Wert
gleicher Mengen Goldes und Silbers zu verschiedenen
Zeiten veranlaßt wird.
Fürsten und Republiken haben es oft für einen
zeitweihgen Voi'teil gehalten, die in ihren Münzen ent-
haltene Menge reinen Metalls zu vermindern ; aber
selten fanden sie es vorteilhaft, sie zu vermehren. Dem-
gemäß hat, glaube ich, die Menge des in den Münzen
aller Nationen enthaltenen Metalls sich fast beständig
vermindert und kaum jemals zugenommen. Solche Ver-
änderungen haben daher fast überall den Erfolg, den
Wert einer Geldrente zu verringern.
Die Entdeckung der amerikanischen Mineralschätze
verminderte den Wert des Goldes und Silbers in Eu-
ropa. Diese Verringerung geht, wie man gewöhnlich,
obgleich nach meinem Dafürhalten ohne sichern Be-
weis annimmt, noch immer stufenweise fort und wird
wahrscheinlich noch lange Zeit fortdauern. Ist diese
Annahme richtig, so werden solche Veränderungen den
Wert einer Geldrente eher vermindern, als vermehren,
selbst wenn ihre Zahlung nicht in einer bestimmten
Summe einer so oder so benannten Münzsorte (z. B.
in so und so viel Pfund Sterling), sondern in so und
so viel Pfund reinen Silbers oder Silbers von einem
gewissen Feingehalt ausbedungen wäre.
Die in Getreide ausbedungenen Renten haben
ihren Wert weit besser bewahrt, als die in Geld aus-
bedungenen, selbst wenn der Nennwert der Münze keine
Änderung erlitten hatte. Durch eine Parlamentsakte
aus dem achtzehnten Regierungsjahre Elisabeths wui'de
verordnet, daß der dritte Teil des Pachtzinses aller
Universitätsgüter in Getreide ausbedungon werden solle,
das entweder in natura oder nach dem Marktpreise zu
entrichten sei. Das Geld, welches aus dieser Gotreide-
rente einkommt, beträgt, obgleich ursprünglich nur ein
48 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskrat't der Arbeit.
Drittel des Ganzen, nach Dr. Blackstone gegenwärtig
in der Regel beinahe das Doppelte der andern zwei
Drittel. Die alten Geldi'enten der Universitäten müssen
hiernach beinahe auf den vierten Teil ihres früheren
Wertes gesunken sein oder sie sind kaum mehr wert,
als den vierten Teil des Getreides, welches sie früher
wert waren. Dennoch hat seit der Regierung Philipps
und Marias der Nennwert der englischen Münze wenig
oder keine Änderung erfahren, und dieselbe Zahl
Pfunde, Schillinge und Pence hat immer fast dieselbe
Menge reinen Silbeis enthalten. Jene Entwertung dei
Geldrenten der Universitäten ist daher ausschließlich
durch die Entwertung des Silbers entstanden.
Wenn zur Entwertung des Silbers noch eine Ver-
minderung seiner in den Münzen von gleicher Be-
nennung enthaltenen Menge hinzutritt, so ist der Verlust
oft noch grüßer. In Schottland, wo der Nennwert der
Münze viel größere Veränderungen erlitten hat, als
jemals in England, und in Frankreich, wo er noch
größere erlitt, als jemals in Schottland, sind manche alte
Renten, die uisprünglich einen ansehnlichenWert hatten,
auf diese Weise beinahe auf Nichts herabgesunken.
Gleiche Mengen Arbeit werden in entfernten
Epochen mit annähernd gleichen Mengen Getreides,
der Hauptnahrung der Arbeiter, weit weniger aber mit
gleichen Mengen Goldes und Silbers, oder vielleicht
auch aller anderen Waren erkauft. Gleiche Mengen
Getreide werden also in verschiedenen Zeiten denselben
Sachwert haben, oder den Besitzer befähigen, annähernd
dieselbe Menge Arbeit andei-er Leute damit zu erkaufen
oder über sie zu verfügen. Sie werden dies, sage ich
eher tun, als gleiche Mengen fast aller anderen Waren;
denn genau tun es selbst die gleichen Getreide-
mengen nicht. Die Unterhaltsmittel des Arbeiters
oder der wirkliche Preis der Arbeit ist, wie ich später
Kap. v.: Vom wahren und noininellen Preise der Waren. 49
zeigen weide, unter verschiedenen Umständen sehr
verschieden: reichlicher bemessen in einer zur Wohl-
habenheit fortschreitenden, als in einer stillstehenden
Gesellschaft, und reichlicher in einer stillstehenden, als
in einer rückwärtsgehenden. Alle andern Waren jedoch
werden zu einer gewissen Zeit eine größere oder kleinere
Menge Arbeit erkaufen, je nach der Menge von Lebens-
mitteln, welche sie zu dieser Zeit kaufen können. Eine
in Getreide ausbedungene Rente ist daher nur den
Veränderungen in der Arbeitsmenge unterworfen, die
eine bestimmte Getreidemenge kaufen kann. Eine in
irgend einer anderen Ware ausbedungene Rente ist
dagegen nicht nur den Veränderungen der mit einer
gewissen Getreidemenge erkaufbaren Arbeitsmenge,
sondern auch den Veränderungen der mit einer be-
stimmten Menge jener Ware erkauf baren Menge Ge-
treide ausgesetzt.
Man muß indeß beachten, daß der Wert einer
Getreidereute sich zwar von Jahrhundert zu Jahr-
hundert viel weniger verändert, als der einer Geld-
rente, dafür aber von Jahr zu Jahr desto mehr schwankt.
Der Geldpreis der Arbeit schwankt nicht, wie ich
später zu zeigen suchen werde, von Jahr zu Jahr mit
dem Geldpreise des Getreides, sondern scheint sich
überall nicht dem zeitweiligen oder gelegentlichen,
sondern dem Durchschnitts- oder gewöhnlichen Preise
dieses Lebensbedürfnisses anzupassen. Der Durch-
schnitts- oder gewöhnliche Preis des Getreides wird
wiederum, wie ich gleichfalls später zeigen werde,
durch den Wert des Silbers, durch die Ergiebigkeit
oder Unergiebigkeit der den Markt mit diesem Metall
versehenden Bergwerke oder durch die Arbeitsmenge,
die aufgewendet und folglich des Getreides, das ver-
zehrt werden muß, um eine bestimmte Menge Silbers
aus den Bergwerken auf den Markt zu bringen, be-
Adam Smitli, Volkswohlstand. I. i
50 Erstes Bncli: Ziinahme in der Ertragskraft der Arbeit.
stimmt. Der Wert des Silbers aber ändert sich zwar
zuweilen beträchtlich von Jahrhundert zu Jahrhundert,
doch selten bedeutend von Jahr zu Jahr; sondei-n er
bleibt oft ein halbes oder ein ganzes Jahrhundert hin-
durch derselbe oder nahezu derselbe. Mithin kann
auch der gewöhnliche oder durchschnittliche Geldpreis
des Getreides während einer solchen Periode derselbe
oder nahezu derselbe bleiben, und mit ihm auch der
Geldpreis der 'Arbeit, vorausgesetzt natürlich, daß die
Gesellschaft auch in anderer Beziehung in derselben
oder nahezu derselben Lage verharrt. Mittlerweile
kann der zeitweilige und gelegentliche Preis des Ge-
treides oft in dem einen Jahre doppelt so hoch sein als
im vorhergehenden, und z. B. der Quarter zwischen
fünfundzwanzig und fünfzig Schilling schwanken.
Wenn aber das Getreide auf letzterem Preise steht, so
wird nicht nur der nominelle, sondern auch der Sach-
wert einer Getreiderente gegen die vorhergehende der
doppelte sein oder man wird dafür die doppelte Menge
Arbeit oder die doppelte Menge der meisten anderen
Waren zur Verfügung haben, da der Geldpreis der
Arbeit und mit ihm der der meisten anderen Dinge
während all dieser Schwankungen unverändert bleibt.
Es leuchtet also ein, daß die Arbeit sowohl das
einzige allgemeine, als das einzige genaue Maß des
Wertes oder der einzige Maßstab ist, nach welchem
die Werte der verschiedenen Waren immer und überall
verglichen werden können. Es ist einzuräumen, daß
wir den wirklichen Wert verschiedener Waren nicht
von Jahrhundert zu Jahrhundert nach den Mengen
Silber, die dafür gegeben werden müssen, auch nicht
von Jahr zu Jahr nach den Getreidemengen schätzen
können. Aber nach den Arbeitsmengen kann man ihn
mit der grc)ßten Genauigkeit sowohl von Jahrhundert
zu Jahrhundert, als von Jahr zu Jahr schätzen. Von
Jahrhundert zu Jahrhundert ist Getreide ein besserer
Kap. v.: Vom waln-on und nominellen Prei.se der Waren. 51
Maßstab als Silbei-, weil von Jahilnmdert zu Jahrhundert
für gleiche Getreidomengen viel eher die nämliche Ar-
beitsmenge zu haben sein wiid, als für gleiche Mengen
Silber. Umgekehrt ist das Silber ein besserer Maßstab
von Jahr- zu Jahr, als das Getreide, weil für gleiche
Mengen Silber viel eher die nämliche Menge Arbeit
zur Verfügung stehen wird.
Obschon es aber bei Feststellung immerwährender
Renten oder selbst bei Abschließung sehr langer Pacht-
verti'äge von Nutzen sein kann, zwischen dem wahren
und dem nominellen Preis zu unterscheiden, so hat es
doch keinen Nutzen beim Kauf und Verkauf, den ge-
wöhnlicheren und häufigeren Geschäften des mensch-
lichen Lebens.
Zu derselben Zeit und an demselben Orte stehen
der wirkliche und der nominelle Preis aller Waren in
genauem Verhältnis zu einander. Je mehr oder weniger
Geld man für eine Ware z. B. auf dem Londoner
Markte erhält, desto mehr oder weniger Arbeit wird
man zu dieser Zeit und an diesem Orte dafür kaufen
und erhalten können. Zu derselben Zeit und an dem-
selben Ort ist daher Geld der genaue Maßstab des
wirklichen Tauschwerts aller Waren. Doch ist dies eben
nur zu derselben Zeit und an demselben Ort der Fall.
Obgleich an entfernten Plätzen kein geregeltes Ver-
hältnis zwischen dem wirklichen und dem Geldpreise
der Waren besteht, so hat doch der Kaufmann, der
Güter von einem Ort zum andern bringt. Nichts als
ihren Geldpreis oder den Unterschied zwischen der
Menge Silber, für die er sie kauft, und der, für die
er sie wahrscheinlich verkaufen wird, zu beachten. Für
eine halbe Unze Silber mag zu Canton in China mehr
Arbeit und mehr an Lebens- und Genußmitteln zu haben
sein, als für eine Unze in London. Eine Ware, die in
Canton für eine halbe Unze Silber verkauft wird, kann
4*
52 Erstes Euch: Zunahme in der Ertrag-skraft der Arbeit.
mithin an diesem Ort in Wirklichkeit teurer und für
ihren Besitzer von größerer Bedeutung sein, als es eine
Ware, die in London für eine Unze verkauft wird, für
ihren Besitzer in London ist. AVenn jedoch ein Londoner
Kaufmann zu Canton für eine halbe Unze Silber eine
Ware kaufen kann, die er hernach in London für eine
Unze zu verkaufen imstande ist, so gewinnt er hundert
Prozent bei dem Handel, gerade so viel, als wenn eine
Unze Silber in London ganz denselben AVert hätte, als
in Canton. Es kommt für ihn nicht in Betracht, daß
er für eine halbe Unze Silber in Canton mehr Arbeit
und eine gr()ßere Menge Lebens- und Genußmittel zur
Verfügung haben würde, als für eine Unze in London.
Eine Unze verschafft ihm auch in London doppelt so
viel, als was ihm eine halbe Unze daselbst verschaffen
könnte, und das ist es gerade, was er wünscht.
Da es also der nominelle oder Geldpreis ist, der
schließlich über die Vorsichtigkeit und Unvorsichtig-
keit aller Käufe und Verkäufe entscheidet, und des-
halb fast alle Geschäfte des täglichen Lebens, in denen
es auf den Preis ankommt, regelt, so ist es kein Wun-
der, daß man auf ihn so viel mehr als auf den wirk-
lichen Preis geachtet hat.
In einem Werke jedoch, wie das gegenwärtige,
kann es zuweilen nützlich sein, die wirklichen Werte
einer Ware zu verschiedenen Zeiten und an verschie-
denen Orten, oder die verschiedenen Grade der Macht
über die Arbeit Anderer, die sie in verschiedenen
Fällen ihren Besitzern verliehen haben kann, zu ver-
gleichen. Wir müssen in diesem Falle nicht sowohl die
verschiedenen Mengen Silber, für die die Ware ge-
wöhnlich verkauft wurde, als die verschiedenen Mengen
Arbeit, die für jene verschiedenen Mengen Silber zu
kaufen waren, vergleichen. Allein die üblichen Preise
der Arbeit in entlegenen Zeiten und Orten sind kaum
Kap. v.: Vom walircii uml nominellen Preise der Waren. 53
jemals mit einiger Genauigkeit zu ermitteln. Die Ge-
treidepreise sind, obwohl auch sie nur an wenigen
Orten regelmäßig aufgezeichnet wurden, im Allge-
meinen bekannt, und von Geschichtsschreibern und
anderen Schriftstellern öfters erwähnt worden. Daher
müssen wir uns im Allgemeinen an ihnen genügen
lassen; nicht weil sie zu dem üblichen Preise der Ar-
beit immer genau in demselben Verhältnis ständen,
sondern weil sie sich gewöhnlich diesem Verhältnis
am meisten nähern. Ich werde künftig Gelegenheit
haben, einige Vergleichungen dieser Art zu machen.
Bei zunehmender Betriebsamkeit fanden es die
handeltreibenden Nationen zweckmäßig, verschiedene
Metalle zu Geld auszuprägen ; Gold für größere Zahl-
ungen, Silber für Käufe von mäßigem Werte, und
Kupfer oder ein anderes unedles Metall für Käufe von
noch geringerem Belang. Doch betrachteten sie stets
eines dieser Metalle vorzugsweise als Maßstab des
Wertes, und diesei' Vorzug scheint im iVllgemeinen
demjenigen Metall gegeben worden zu sein, welches
sie gerade zuerst als Tauschwerkzeug gebraucht hatten.
Nachdem sie einmal angefangen hatten, es als ihren
Maßstab zu benutzen (was sie tun mußten, so lange
sie noch kein anderes Geld hatten), blieben sie ge-
wöhnlich dabei, auch wenn die Nötigung nicht mehr
die gleiche war.
Die Römer sollen bis zum fünften Jahre vor dem
ersten punischen Kriege'''), wo sie zuerst Silber aus-
münzten, nur Kupfei-geld gehabt haben. Daher scheint
Kupfer auch stets der Wertmaßstab in dieser Republik
geblieben zu sein. In Rom scheinen alle Rechnungen
und der Wert aller Grundstücke entweder nach Assen
oder Sestertien aufgestellt worden zu sein. As war
immer der Name einer Kupfermünze. Das Wort Sester-
''') Plinins lib. XXXIII, c. 3.
54 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
tius bedeutet zwei und einen halben As. Obgleich
also der Sestertius ursprünglich eine Silbermünze war,
so wurde sein Wert doch in Kupfer angegeben. Von
einem, der viel Geld schuldig war, sagte man in ßom,
er habe viel von anderer Leute Kupfer.
Die nordischen Völker, welche sich auf den Ruinen
des römischen Reiches festsetzten, scheinen gleich im
Anfang ihrer Niederlassungen Silbergeld gehabt und
noch lange Zeit danach weder Gold- noch Kupfer-
münzen gekannt zu haben. In England gab es zur Zeit
der Sachsen Silbermünzen, Gold aber wurde bis zur
Zeit Eduards III. nur wenig, und Kupfer bis auf
Jakob I. von Großbritannien gar nicht gemünzt. Des-
halb wurden in England, und aus dem gleichen Grunde
wohl unter allen andern neueren Völkern Europas, alle
Rechnungen und der Wert aller Waren und Grund-
stücke allgemein in Silber berechnet; und wenn wir die
Summe eines Vermögens angeben wollen, so sprechen
wir selten von der Anzahl Guineen, sondern gewöhnlich
von der Zahl Pfunde Sterling, auf die wir es schätzen.
Ursprünglich war, glaube ich, in allen Ländern nur
die Münze aus demjenigen Metall, welches vorzugsweise
als Wertmaßstab oder Wertmesser betrachtet wurde,
gesetzliches Zahlungsmittel. In England sah man das
Gold noch lange, nachdem es schon zu Geld gemünzt
wurde, nicht als gesetzliches Zahlungsmittel an. Das
Wertverhältnis zwischen dem Gold- und Silbergold
war nicht durch Gesetz oder Verordnung festgestellt,
sondern seine Bestimmung war dem Markte überlassen.
Wenn ein Schuldner Zahlung in Gold anbot, so konnte
der Gläubiger eine solche Zahlung entweder ganz zurück-
weisen, oder sie nach einer mit dem Schuldner zu ver-
einbarenden Schätzung des Goldes annehmen. Ku|)fer
ist gegenwärtig nur für die Verwechslung kleiner Silber-
münzen gesetzliches Zahlungsmittel. In diesem Stadium
Kap. v.: Vom vvuhron und nominellen Prei.se der Waren. 55
war die Unterscheidung zwischen dem Währungsmetall
und demjenigen, das dies nicht war, etwas mehr als
eine blos nominelle Unterscheidung.
Im Verlauf der Zeit, und als die Leute mit dem
Gebrauch der verschiedenen gemünzten Metalle all-
mählich vertrauter wurden und sich folglich an das
Verhältnis zwischen ihren bezüglichen Werten besser
gewöhnten, fand man es in den meisten Ländern, wie
ich glaube, zweckmäßig, dies Verhältnis festzustellen,
und durch Gesetz zu bestimmen, daß z. B. eine Guinee
von dem und dem Schrot und Korn einundzwanzig
Schilling gelten oder ein gesetzliches Zahlungsmittel
für eine Schuld von diesem Betrage sein solle. In
diesem Stadium und während der Dauer eines derartig-
geregelten Verhältnisses wird die Unterscheidung
zwischen dem Währungsmetall und demjenigen, das
dies nicht ist, wenig mehr als eine nominelle.
Infolge einer Veränderung dieses geregelten Ver-
hältnisses wird jedoch diese Unterscheidung wieder
etwas mehr, als eine bloß nominelle, oder scheint es
wenigstens zu werden. Wenn z. B. der geregelte Wort
einer Guinee entweder auf zwanzig Schilling vermindert
oder auf zweiundzwanzig erhöht würde, so könnte, da
alle Rechnungen in Silbergeld geführt und fast alle
Schuldverschreibungen in diesem ausgedrückt sind, der
größte Teil der Zahlungen zwar in beiden Fällen mit
derselben Summe Silbergeldes, wie früher, geleistet
werden, würde aber in Goldmünze eine sehr abweichende
Summe erfordern: eine größere in dem einen, eine
kleinere in dem anderen Falle. Das Silber würde in
seinem Werte unveränderlicher erscheinen, als das Gold;
es würde scheinen, daß das Silber den Wert des Goldes,
nicht aber das Gold den dos Silbers messe. Der Weit
des Goldes würde von der Monge Silbers, gegen die es
umtauschbar wäre, abhängig scheinen, und der Wert
56 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
des Silbers würde von der Menge Gold, die dafür
zu haben wäre, unabhängig scheinen. Dieser Unter-
schied hätte jedoch seinen Grund lediglich in der Ge-
wohnheit, die Rechnungen lieber in Silber als in Gold
zu führen und den Betrag aller großen und kleinen
Summen in Silbergeld auszudrücken. Eine von Herrn
Drummonds Noten über fünfundzwanzig oder fünfzig
Guineen würde nach einer solchen Veränderung immer
noch, wie früher, mit fünfundzwanzig oder fünfzig
Guineen zu bezahlen sein. Sie wäre nach einer solchen
Veränderung mit der nämlichen Menge Gold zu be-
zahlen, wie früher, aber mit sehr verschiedenen Mengen
Silbers. Hat man eine solche Note zu zahlen, so würde
das Gold in seinem Werte unveränderlicher zu sein
scheinen, als das Silber. Gold würde den Wert des
Silbers, nicht aber Silber den des Goldes zu messen
scheinen. Wenn die Gewohnheit, Rechnungen und
Zahlungsversprechen, so wie andere Schuldverschrei-
bungen, in dieser Weise auszustellen, einmal allgemein
werden sollte, so würde das Gold, und nicht das Silber
als das Metall betrachtet werden, das vorzugsweise der
Wertmaßstab oder Wertmesser wäre.
In Wirklichkeit regelt während der Dauer eines
zwischen den bezüglichen Werten der verschiedenen
Münzmetalle festgesetzten Verhältnisses der Wert des
kostbarsten Metalls den Wert des gesamten Geldes.
Zwölf Kupferpen ce enthalten ein halbes Pfund (Soll-
gewicht) Kupfer nicht von der besten Qualität, welches,
bevor es gemünzt ist, kaum sieben Pence an Silber wert
ist. Da aber gesetzlich zwölf solche Pence einen
Schilling gelten, so werden sie auf dem Markte als
einen Schilling wert betrachtet und kann man zu jeder
Zeit einen Schilling dafür erhalten. Vor der letzten
Umj)iägung der britischen Goldmünzen war das Gold,
wenigstens so viel davon in London und seiner Um-
Kap. v.: Vom wahren und nominellen Preise der Waren. 57
gegend im Umlauf war, im Allgemeinen weit weniger
als das meiste Silber, unter sein gesetzliches Gewicht
gesunken. Dennoch wurden einundzwanzig abgenutzte
und verwischte Schillinge als gleichwertig mit einer
Guinee betrachtet, welche allerdings Tielleicht auch ab-
genutzt und verwischt war, aber doch selten in solchem
Grade. Die neueren Regelungen haben die Goldmünze
ihrem Normalge wicht vielleicht so nahe gebracht, als
dies überhaupt mit dem Kurantgeld eines Landes
möglich ist, und die Verordnung, kein Gold bei den
Staatskassen anders als nach dem Gewicht anzunehmen,
wird dieses wahrscheinlich so lange vollwichtig erhalten,
als jene Verordnung aufrecht erhalten bleibt. Die
Silbermünze ist noch immer in demselben abgenutzten
und verschlechterten Zustande, wie vor dei" Umprä-
gung der Goldmünze. Auf dem Markt jedoch werden
einundzwanzig Schillinge dieser verschlechtorten Silber-
münze noch immer als dem Wert einer Guinee von dieser
ausgezeichneten Goldmünze entsprechend betrachtet.
Die Umprägung der Goldmünze hat offenbar den
Wert der Silbermünze, die dagegen umgewechselt
werden kann, gesteigert.
In der englischen Münze wird ein Pfund Gold zu
vierundvierzig einer halben Guinee ausgemünzt, was, die
Guinee zu einundzwanzig Schilling gerechnet, sechs-
undvierzig Pfund Sterling, vierzehn Schilling und sechs
Pence ausmacht. Die Unze gemünzten Goldes ist mithin
£3 17 sh. 10^2 d. in Silber wert. In England wird
kein Aufschlag oder Schlagschatz für das Prägen ge-
zahlt, und wer ein Pfund oder eine Unze vollwichtiges
Goldbullion zur Münze bringt, bekommt ein Pfund
oder eine Unze in gemünztem Golde ohne allen Ab-
zug zurück. Drei Pfund, siebzehn Schilling und zehn
und ein halber Penny die Unze, nennt man daher in
England den Münzpreis des Goldes oder die Menge
58 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
gemünzten Goldes, die die Münze für vollwichtiges
Goldbullion zurückgibt.
Vor der Umprägung der Goldmünze war der
Marktpreis der Unze vollwichtigen Goldbullions viele
Jahre hindurch über £ 3. 18 sh., manchmal £ 3. 19 sh. und
sehr oft £ 4; diese Summe wahrscheinlich in der ab-
genutzten und verschlechterten Goldmünze, die selten
mehr als eine Unze vollwichtigen Goldes enthielt. Seit
der Umprägung der Goldmünze übersteigt der Markt-
preis der Unze vollwichtigen Barrengoldes selten
£ 3. 17 sh. 7 d. Vor der Umprägung stand der Marktpreis
stets mehr oder weniger über dem Münzproise; nach
ihr hingegen beständig darunter. Doch ist dieser
Marktpreis derselbe, gleichviel ob er in Gold- oder
Silbermünze gezahlt wird. Die letzte Umprägung hat
mithin nicht nur den Wert der Goldmünze, sondern
gleicherweise den der Silbermünze im Verhältnis zum
Goldbullion und wahrscheinlich auch im Verhältnis
zu allen andern Waren erhöht, obgleich wegen des
Einflusses, den so manche andere Umstände auf den
Preis der meisten andern Waren haben, die Erhöhung
des Wertes sowohl der Gold- wie der Silbermünzen,
im Vergleich mit dem Warenpreise, nicht so deutlich
und fühlbar sein kann.
In der englischen Münze wird ein Pfund vollwich-
tigen Barrensilbers zu zweiundsochzig Schilling ausge-
münzt, die ebenfalls ein richtiges Pfund vollwichtigen
Silbers enthalten. Fünf Schillng und zwei Pence die
Unze, heißt daher in England der Münzpreis des Sil-
bers oder die Menge Siibermünze, die die Münze für
vollwichtiges Barrensilber gibt. Vor der Umprägung
der Goldmünze war der Marktpreis des vollwichtigen
Barrensilbers nach Umständen fünf Schilling und vier
Pence, fünf Schilling und fünf Pence, fünf Schilling
und sechs Pence, fünf Schilling und sieben Pence,
und sehr oft fünf Schilling und acht Pence die Unze.
Kap. v.: Vom wahren und nominellen Preise der Waren. 59
Doch scheint fünf Schilling und sieben Pence der ge-
wöhnlichste Preis gewesen zu sein. Seit der Uniprä-
gung der Goldmünze ist der Marktpreis des vollwichti-
gen Barrensilbers gelegentlich auf fünf Schilling und
drei Pence, fünf Schilling und vier Pence, und fünf
Schilling und fünf Pence die Unze gefallen, welchen
letzten Preis es kaum je überstiegen hat. Obgleich der
Marktpreis des Barrensilbers seit der Umprägung der
Goldmünze beträchtlich gefallen ist, so ist er doch
nicht so tief gefallen wie der Münzpreis.
Wie in dem Vorhältnisse zwischen den verschie-
denen Metallen der englischen Münzen das Ku[)Fer
weit über seinen wirklichen "Wert angesetzt ist, so das
Silber etwas unter ihm. Auf dem europäischen Markte,
in den französischen und holländischen Münzen gilt
eine Unze feinen Goldes etwa vierzehn Unzen feinen
Silbers. Nach englischem Münzfuß gilt sie etwa fünf-
zehn Unzen, d. h. mehr Silber als sie nach der allge-
meinen Schätzung Europas wert ist. So wenig aber
der Preis des rohen Kupfers in England durch den
hohen Preis des Kupfers in den englischen Münzen
gestiegen ist, so wonig ist der Preis des Barrensilbers
durch den niedrigen Satz des Silbers in den englischen
Münzen gefallen. Barrensilbor steht noch in seinem
richtigen Verhältnis zum Golde, aus demselben Grunde,
aus dem rohes Kupfer noch in seinem richtigen Ver-
hältnis zum Silber steht.
Nach der Umprägung der Silbermünze unter der
Regierung Wilhelms IIJ. blieb der Preis des Barren-
silbers noch immer etwas über dem Münzpreise. Locke
schrieb diesen hohen Preis dem Umstände zu, daf.5 es
wohl gestattet war, Barrensilber, aber nicht Silber-
münze auszufüliren. Jene Ausfulirorhiubnis, sagt er,
mache die Nachfrage nach iiai'rcnsilber größer als die
nach Silbermünzo. Allein die Zahl derer, die zum
60 Erstes Buch: Zmialime in der Ertragski-aft der Arbeit.
täglichen Gebrauch beim Kaufen und Verkaufen im Lande
Silbermünzc nötig haben, ist sicherHch weit gr()ßer, als
die Zahl derer, welche zur Ausfuhr oder zu irgend einem
anderen Zweck Barrensilber brauchen. Es ist gegen-
wärtig auch gestattet Goldbarren — und verboten, Gold-
münzen auszuführen; und dennoch ist der Preis der
Goldbarren unter den Münzpreis gefallen. Aber damals
wurde ganz so wie jetzt, in den englischen Münzen
das Silber im Verhältnis zum Golde zu niedrig ausge-
bracht, und die Goldmünze, von der man zu jener Zeit
auch nicht glaubte, daß sie einer Umprägung bedürfe,
regelte ebenso wie jetzt, den wahren Wert aller Mün-
zen. Da die Umprägung der Silbermünze den Preis
des Barrensilbers damals nicht auf den Münzpreis
herabsetzte, so ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß
eine ähnliche Umprägung dies jetzt bewirken würde.
Wäre die Silbermünze ihrem Normalgewicht so
nahe gebracht, wie das Gold, so würde man nach dem
jetzigen Verhältnis für eine Guinee wahrscheinlich mehr
Silber in Münze erhalten, als in Barren. Enthielte das
Silbergeld sein volles gesetzliches Gewicht, so würde
es vorteilhaft sein, es einzuschmelzen, um es erst in
Barren für Goldmünze zu verkaufen, und diese Gold-
münze dann wieder gegen Silbergeld umzuwechseln,
um dies gleichfalls einzuschmelzen. Eine Änderung im
gegenwärtigen Verhältnis scheint das einzige Mittel
zu sein, diesem Übelstande zu steuern.
Der Ubelstand wäre vielleicht geringer, wenn das
Silber in den Münzen um eben so viel über seinem
richtigen Verhältnis zum Golde ausgebracht würde,
als jetzt unter ihm, vorausgesetzt, es werde zu gleicher
Zeit verordnet, daß Silber nicht für mehr als eine Guinee
gesetzliches Zahlungsmittel sein solle, gerade so, wie
Kupfer nicht für mehr als einen Schilling gesetzliches
Zahlungsmittel ist. In diesem Falle könnte kein Gläu-
Kap. v.: Vom waliron ximl nominellen Preise der Waren, ßl
biger durch die hohe Wertung des Silbers in den Münzen
beeinträchtigt werden, so wenig jetzt ein Gläubiger durch
die hohe Wertung des Kupfers verkürzt wird. Nur die
Bankiers würden unter dieser Anordnung leiden. AVenn
ein Andrang zu ihren Zahlstellen entsteht, so suchen sie
zuweilen dadurch Zeit zu gewinnen, daß sie in Six-
pence-Stücken zahlen; durch jene Anordnung aber
würde ihnen dies schimpfliche Mittel, einer unmittelbaren
Zahlung auszuweichen, abgeschnitten sein. Sie würden
sich deshalb gezwungen sehen, stets eine größere Summe
baren Geldes in ihren Kassen liegen zu haben, als ge-
genwärtig und wenn dies auch ohne Zweifel eine große
Unbequemlichkeit für sie sein könnte, so wäre es doch
gleichzeitig für ihre Gläubiger eine große Sicherheit.
Drei Pfund, siebzehn Schilling und zehn und ein
halber Penn}^ (der Münzpreis des Goldes) enthalten selbst
in unserer dermaligen ausgezeichneten Goldmünze gewiß
nicht mehr als eine Unze vollwichtigen Goldes, und soll-
ten also, wie man denken könnte, auch nicht mehr in
vollwichtigen Barren zu kaufen vermögen. Allein ge-
münztes Gold ist bequemer als Gold in Stangen, und
obwohl in England das Prägen kostenfrei geschieht, so
kann doch das in Stangen zur Münze gebrachte Gold
dem Eigentümer selten früher, als nach Verlauf einiger
Wochen, gemünzt zurückgegeben werden. In dem jet-
zigen Geschäftsdrange der Münze könnte es erst nach
Verlauf mehrerer Monate zurückgegeben werden. Dieser
Verzug kommt einer kleinen Abgabe gleich und macht
gemünztes Gold etwas wertvoller, als eine gleiche Menge
Stangengold. AVenn in den englischen Münzen das
Silber nach seinem richtigen Verhältnis zum Golde aus-
gebracht würde, so würde der Preis des Barrensilbers
wahrscheinlich schon ohne alle Umprägung der Silber-
münzen unter den Münzpreis herabsinken, da sogar der
Wert der jetzigen abgenutzten und verwischten Silber-
62 Erstes Biich: Zunahme in der Ertragskral't der Arbeit.
münzen sich nach dem Werte der vortrefflichen Gold-
münzen richtet, für die es umgetauscht werden kann.
Ein kleiner Schlagschatz o.ler Aufschlag sowohl auf
die Gold- wie auf die Silbermünzen würde wahrschein-
lich die höhere Geltung dieser Metalle im gemünzten,
als im ungeprägten Zustande noch steigern. Das Prägen
würde in diesem Falle den Wert des gemünzten Metalls
um diese kleine Gebühr erhöhen, aus demselben Grunde,
aus dem die Facon den Wert eines Tafelgeschirrs um
den Preis der Facon erhöht. Die höhere Geltung der
Münzen als der Barren würde dem Einschmelzen der
Münze vorbeugen und von ihrer Ausfuhr abhalten.
Wenn irgend ein öffentliches Bedürfnis es nötig machen
sollte, die Münzen auszuführen, so würde der größte
Teil von ihnen bald von selbst wieder zurückkehren.
Im Auslande könnte sie nur nach ihrem Barrengewicht
verkauft werden; im Lande dagegen gilt sie mehr als
dies Gewicht, und es wäre daher vorteilhaft, sie wieder
nach Hause zu bringen. In Frankreich wird ein Schlag-
schatz von etwa acht Procent vom Prägen erhoben,
und die französische Münze soll, wenn sie ausgeführt
war, von selbst ins Land zurückkehren.
Die gelegentlichen Schwankungen im Marktpreise
der Gold- und Silberbarren entstehen aus denselben
Ursachen wie die gleichen Schwankungen im Preise
aller andern Waren. Das häufige Verlorengehen dieser
Metalle bei Unfällen zur See und zu Lande, ihr fort-
währender Abgang durch Vergolden und Plattieren, in
Borten und Stickereien, durch Abnutzung des Geldes
und Geschiirs erfordert in allen Ländern, die keine
eigenen Minen besitzen, zum Ersatz dieses Verlustes und
Abganges eine beständige Einfuhr. Die Importeure
werden, wie alle anderen Kaufleute, ihre gelegentlichen
Einfuhren wahrscheinlich der mutmaßlichen Nachfrage
anzupassen suchen. Doch tun sie darin trotz all
Kap. v.: Vom wahren und nominellen Preise der "Waren. (5.3
ihrer Aufmerksamkeit manchmal zu viel und manchmal
zu wenig. Wenn sie mehr Barren einführen, als bo-
gehit worden, so verkaufen sie bisweilen, um nur nicht
die Gefahr und Mühe der AViederausfuhr zu haben,
einen Teil von ihnen etwas unter dem gewöhnlichen
oder Durchschnittspreise. Haben sie dagegen weniger
eingeführt, als gebiaucht wird, so nehmen sie etwas
mehr als diesen Preis. Hält aber unter all diesen zu-
fälligen Schwankungen der Marktpreis der Gold- oder
Silbei'barren mehreie Jahre hindurch stetig und un-
unterbrochen sich entweder über oder unter dem Münz-
preise, so künnen wir sicher sein, daß diese feste Be-
ständigkeit des höheren oder niedrigeren Preises durch
Etwas in dem Zustande der Münze bewirkt sei, was
dermalen einer bestimmten Münzmenge entweder mehr
odei- weniger Weit gibt, als der genauen Menge Metall,
die sie enthalten sollte. Die Beständigkeit und »Stetig-
keit der Wirkung setzt eine gleiche Beständigkeit und
Stetigkeit in der Ursache voraus.
Das Geld eines Landes ist zu bestimmter Zeit und
an bestimmtem Orte ein mehr oder weniger genauer
Wertmesser, je nachdem die umlaufenden Münzen
mehr oder weniger vollwichtig sind, oder mehr oder
weniger genau die Quantität reineri Goldes oder Silbers
enthalten, die sie enthalten sollen. Enthielten z. B. in
England vierund vierzig und eine halbe Guinee genau
ein Pfund vollwichtigen Goldes, oder elf Unzen feines
Gold und eine Unze Zusatz, so würde die englische
Goldmünze ein so genauer Maßstab für den jeweiligen
Wert der Waren sein, als die Natur der Dinge dies
überhaupt zuläßt. Wenn aber vierundvierzig und eine
halbe Guinee infolge der Abnutzung im Allgemeinen
weniger als ein Pfund vollwichtiges Gold enthalten,
wobei jedoch die Verminderung in einigen Stücken
größer ist, als in andeien, so unterliegt der Wertmesser
(54 Ki'i^tes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
demselben Lose der Unzuverlässigkeit, dem alle anderen
Gewichte und Maße gewühnlicli ausgesetzt sind. Da
diese selten genau mit ihrem Original übereinstimmen,
so bestimmt der Kaufmann nicht nach dem, was diese
Gewichte und Maße sein sollten, sondern nach dem,
was sie nach seiner Erfahrung im Durchschnitt wirk-
lich sind, so gut er kann, den Preis seiner Waren.
Auf dieselbe Weise wird infolge einer gleichen Ver-
wirrung in der Münze der Preis der Güter nicht nach
der Menge reinen Goldes oder Silbers bestimmt, welche
das Geld enthalten sollte, sondern nach der, die es
erfahrungsmäßig im Durchschnitt wirklich enthält.
Unter dem Geldpreise der Güter verstehe ich, was
zu beachten ist, stets die Menge reinen Goldes oder
Silbers, für welche sie verkauft werden, ohne alle
Rücksicht auf die Benennung der Münze. Sechs
Schillinge und acht Pence zur Zeit Eduards I. sehe
ich z. B. als gleichwertig mit einem Pfund Sterling
in unserer Zeit an, weil sie, soweit wir darüber urteilen
können, dieselbe Menge reinen Silbers enthielten.
Sechstes Kapitel.
Die Bestandteile des Warenpreises.
In dem ersten rohen Zustande der Gesellschaft,
der der Kapitalanhäufung und Landaneignung vorher-
geht, scheint das Verhältnis zwischen den Arbeits-
raengen, die zur Erlangung der verschiedenen Gegen-
stände notwendig sind, der einzige Umstand zu sein,
der einen Maßstab für den Tausch des einen gegen
den anderen bilden kann. Wenn es z. B. unter einem
Jägervolke in der Regel zweimal so viel Arbeit kostet,
einen Biber zu erlegen, als ein Reh, so müßte natur-
gemäß ein Biber zwei Rehe wert sein. Es ist be-
greiflich, daß das, was gewöhnlich das Produkt zweier
Tage oder zweier Stunden Arbeit ist, doppelt so viel
wert sein muß, als das, was das Produkt von einer
eintägigen oder einstündigen Arbeit zu sein pflegt.
Ist die eine Art der Arbeit anstrengender, als die
andere, so wird natürlich eine Vergütung für die
größere Mühe zugestanden werden, und das Produkt
einer einstündigen schwereren Arbeit kann oft dem
Produkt einer zweistündigen leichteren Arbeit im
Tausch gleich gelten.
Oder wenn die eine Art Arbeit einen ungewöhn-
lichen Grad von Geschicklichkeit und Talent erfordert,
so wird die Achtung, die man für solche Talente hat,
ihrem Produkte einen höheren Wert geben, als den, der
nur der aufgewendeten Zeit gebührt. Solche Talente
Adam Smith, Volkswohlstand. 1. 0
6ß Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
können selten ohne langjährige Übung erworben werden,
und der höhere Wert ihres Produkts kann oft Nichts
weiter sein, als ein billiger Ersatz für die Zeit und Arbeit,
welche ihrer Erwerbung gewidmet wurden. In dem
vorgerückten Stande der Gesellschaft werden derartige
Zugeständnisse für grcjßere Mühe und Geschicklichkeit
gewöhnlich im Arbeitslohn gemacht; und etwas Ahn-
liches muß wahrscheinlich auch im ersten rohen Ge-
sellschaftszustande platzgegriffen haben.
In diesem Stadium der Dinge gehört das ganze
Arbeitsprodukt dem Arbeiter; und die zur Beschaffung
oder Hervorbringung einer Ware gewöhnlich aufge-
wendete Arbeitsmenge ist der einzige Umstand, nach
dem sich diejenige Arbeitsmenge richtet, für die man
jene Ware gewöhnlich kaufen oder eintauschen muß.
Sobald sich in den Händen einiger Personen Kapital
gesammelt hat, wird bald einer oder der andere unter
ihnen sein Kapital dazu verwenden, fleißige Leute zu
beschäftigen und mit Rohstoffen und Lebensmitteln zu
versorgen, um seinerseits aus dem Verkauf ihres Ar-
beitserzeugnisses, oder aus dem, was das Material
durch ihre Arbeit an Wert gewinnt, Vorteil zu ziehen.
Bei dem Austausch der fertigen Waren gegen Geld,
Arbeit oder andere Güter muß über die Kosten des
Rohstoffs und der Arbeit noch Etwas für den Gewinn
des Unternehmers herauskommen, der sein Kapital
dabei aufs Spiel gesetzt hat. Der Wert, den die Arbeiter
den Rohstoffen hinzufügen, löst sich daher in diesem
Falle in zwei Teile auf, von denen der eine ihren
Lohn, der andere den Gewinn des Arbeitgebers auf
das ganze für Materialien und Lohn vorgeschossene
Kapital bezahlt. Letzterer würde kein Interesse haben,
Arbeiter zu beschäftigen, wenn er nicht aus dem
Verkaufe ihrer Arbeit etwas mehr, als den Ersatz
seines Kapitals zu ziehen hoffte, und er würde kein
Kap. VI.: Die Bestandteile des Warenpreises. 67
Interesse haben, lieber ein großes als ein kleines
Kapital anzulegen, wenn sein Gewinn sich nicht nach
dem Umfange seines Kapitals richtete.
Man könnte glauben, der Kapitalgewinn sei nur ein
anderer Name für den Lohn einer besonderen Art Arbeit,
derjenigen nämlich, die in der Aufsicht und Leitung
besteht. Der Kapitalgewinn ist jedoch etwas ganz
anderes, wird durch ganz andere Prinzipien bestimmt
und steht zu der Menge, der Beschwerlichkeit und dem
Talenterforderniß jener vorausgesetzten Arbeit der Auf-
sicht und Leitung in keinem Verhältniß. Er richtet
sich lediglich nach dem Wert des aufgewendeten Ka-
pitals, und ist je nach dem Umfange dieses Kapitals
größer oder geringer. Nehmen wir z. B. an, daß an
einem Orte, wo der gewöhnliche Jahresgewinn gewerb-
licher Anlagen zehn Prozent beträgt, zwei Fabriken sich
befinden, in deren jeder zwanzig Arbeiter zu einem Lohn
von je fünfzehn Pfund jährlich beschäftigt sind, die also
im Ganzen je dreihundert Pfund Arbeitslohn zahlen.
Nehmen wir ferner an, daß die groben Materialien,
welche jährlich in der einen verarbeitet werden, nur
siebenhundert Pfund kosten, während die feineren in
der andern siebentausend kosten. Das in der einen
jährlich aufgewendete Kapital wird in diesem Falle nur
tausend Pfund betragen, wogegen das der andern sieben-
tausend dreihundert Pfund beträgt. Nach dem Satze von
zehn Prozent wird mithin der Unternehmer der einen
nur auf einen jährlichen Gewinn von etwa hundert Pfund
rechnen, während der Unternehmer der anderen auf etwa
siebenhundert und dreißig Pfund rechnen wird. Obgleich
aber ihr Gewinn so verschieden ist, kann doch ihre
Arbeit der Aufsicht und Leitung ganz oder nahezu
dieselbe sein. In manchen großen Fabriken wird fast
die ganze Arbeit dieser Art einem Geschäftsführer über-
tragen.^ Sein Lohn drückt den Wert dieser Arbeit der
68 Erstes Euch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Aufsicht und Leitung richtig aus. Obwohl bei Fest-
setzung seines Lohns gewöhnHch nicht nur auf seine
Arbeit und Geschicklichkeit, sondern auch auf das in
ihn gesetzte Vertrauen Rücksicht genommen wird, so
steht dieser Lohn doch niemals in einem geregelten
Verhältnis zu dem Kapital, dessen Verwaltung er be-
aufsichtigt: und obwohl der Eigentümer dieses Kapitals
fast aller Arbeit enthoben ist, rechnet er doch darauf,
daß sein Gewinn zu seinem Kapital in einem geregelten
Verhältnis stehe. Mithin bildet im Preise der Waren
der Kapitalgewinn einen vom Arbeitslohn durchaus
verschiedenen und nach ganz anderen Grundsätzen
geregelten Bestandteil.
Unter diesen Umständen gehört nicht immer das
ganze Produkt der Arbeit dem Arbeiter. Er muß es
in den meisten Fällen mit dem Kapitalisten, welcher
ihm Beschäftigung giebt, teilen. Auch ist die zur Er-
werbung oder Hervorbringung einer Wai'e gewöhnlich
erforderliche Arbeitsmenge nicht mehr das Einzige,
wonach sich die Menge, für welche man jene gewöhn-
lich kaufen oder eintauschen muß, richtet. Vielmehr
muß offenbar eine weitere Menge als Gewinn für
das den Lohn und die gelieferten Rohstoffe vor-
streckende Kapital hinzukommen.
Sobald aller Grund und Boden eines Landes
Privateigentum geworden ist, möchten auch die Grund-
besitzer, gleich allen anderen Menschen, da ernten,
wo sie nicht gesät haben, und verlangen sogar für
die freiwilligen Erzeugnisse des Bodens eine Rente.
Das Holz des Waldes, das Gras der Wiese und alle
von selbst wachsenden Früchte der Erde, die, so lange
der Boden Gemeingut war, den Arbeiter nur die Mühe
des Sammeins kosteten, werden nun auch für ihn mit
einem Zuschlagspreise belegt. Er muß nun für die Er-
laubnis, sie zu sammeln, bezahlen, und an dejt Grund-
Kap. VI.: Die Bestandteile des Warenpreises. 69
besitzer einen Teil dessen abgeben, \A'as seine Arbeit
einsammelt oder hervorbringt. Dieser Teil, oder (was
auf dasselbe hinauskommt) der Preis dieses Teiles
bildet die Grundrente, und macht in dem Preise der
meisten Waren einen dritten Bestandteil aus.
Der wirkliche Wert aller Bestandteile des Preises
wird, wie zu beachten ist, nach der Arbeitsmengo ge-
messen, die für einen jeden von ihnen zu haben ist.
Die Arbeit mißt den Wert nicht nur desjenigen Teiles
des Preises, der sich in Arbeit auflöst, sondern auch
dessen, der sich in Rente, und dessen, der sich in
Gewinn auflöst.
In jeder Gesellschaft löst sich am Ende der Preis
aller Waren in den einen oder andern, oder in alle
dieser drei Teile auf; und in jeder zivilisierten Gesell-
schaft treten alle drei mehr oder weniger als Bestand-
teile in den Preis der bei Weitem meisten Waren ein.
Im Getreidepreis z. B. zahlt der eine Teil die
Rente des Grundbesitzers, der andere den Arbeitslohn
oder Unterhalt der zur Getreideerzeugung verwendeten
Arbeiter und Arbeitstiere, und der dritte zahlt den
Gewinn des Pächters. Diese drei Teile scheinen ent-
weder sogleich oder zuletzt den ganzen Getreidepreis
auszumachen. Man könnte vielleicht meinen, es sei
ein vierter Teil nötig, um das Kapital des Pächters
wieder zu ersetzen, oder den Abgang an Zugvieh und
Wirtschaftsgerät auszugleichen. Allein man muß be-
denken, daß der Preis jedes Wirtschaftsstückes, wie
etwa eines Arbeitspferdes, selbst aus den nämlichen
drei Teilen besteht: der Rente von dem Lande, auf
dem es großgezogen wird, der Arbeit es zu warton
und aufzuziehen, und dem Gewinn des Pächters, der
sowohl die Rente jenes Landes wie den Arbeitslohn
vorschießt. Obschon daher im Getreidepreis sowohl
der Preis wie der Unterhalt des Pferdes bezahlt werden
70 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
kann, so löst sich doch der ganze Preis entweder so-
fort oder zuletzt in die nämlichen drei Teile der Rente,
der Arbeit und des Gewinnes auf.
Im Preise des Mehls muß man zum Getreide-
preise den Gewinn des Müllers und den Arbeitslohn
seiner Leute hinzurechnen; im Preise des Brotes den
Gewinn des Bäckers und den Lohn seiner Leute; und
im Preise beider die Arbeit, das Getreide von dem
Pächter zum Müller, und von diesem zum Bäcker zu
schaffen, so wie den Gewinn derer, die den Lohn für
diese Arbeit vorschießen.
Der Flachspreis löst sich in die nämlichen drei
Teile, wie der Getreidepreis, auf. Im Preise der Lein-
wand muß man noch den Arbeitslohn des Zurichters,
Spinners, Webers, Bleichers u. s. w. samt den Gewinnen
ihrer bezüglichen Arbeitgeber hinzurechnen.
Je mehr ein Stoff veredelt wird, desto größer wird
der Teil des Preises, der sich in Arbeitslohn und Ge-
winn auflöst, im Verhältnis zu dem anderen Teil, der
sich in Rente auflöst. Mit jedem neuen Arbeitsprozeß
wächst nicht nur die Zahl der Gewinne, sondern jeder
folgende Gewinn ist auch größer, als der vorhergehende,
weil das Kapital, woraus er fließt, stets größer sein
muß. So muß z. B. das Kapital, welches die Weber
beschäftigt, größer sein, als dasjenige, das die Spinner
beschäftigt, weil es nicht nur das let,ztere samt seinen
Gewinnen wieder erstattet, sondern außerdem auch
den Arbeitslohn der Weber bezahlt; und der Gewinn
muß stets dem Kapital entsprechen.
Auch in den zivilisiertesten Gesellschaften gibt
es jedoch einige Waren, deren Preis sich nur in zwei
Teile, nämlich in den Arbeitslohn und Kapitalgewinn,
auflöst, und eine noch kleinere Anzahl von Waren,
deren Preis nur im Arbeitslohn besteht. Im Preise
der Seefische z. B. deckt ein Teil die Arbeit der
Kap. VI.: Die Bestandteile des ^Warenpreises. 71
Fischer, und der andere den Gewinn des in der
Fischerei angelegten Kapitals. Die Rente macht sehr
selten einen Teil von ihm aus, obwohl es zuweilen
vorkommt, wie ich später zeigen w^erde. Anders ver-
hält es sich, wenigstens im größten Teile von Europa,
mit der Flußfischerei. Für den Lachsfang wird eine
Rente bezahlt, und die Rente, obwohl man sie nicht
gut Grundrente nennen kann, macht eben so wie
Arbeitslohn und Gewinn einen Teil des Lachspreises
aus. In einigen Teilen Schottlands machen einige
arme Leute ein Gewerbe daraus, längs der Meeres-
küste jene bunten Steinchen zu sammeln, welche
unter dem Namen der schottischen Kiesel allgemein
bekannt sind. Der Preis, welcher ihnen vom Stein-
schneider dafür bezahlt wird, ist lediglich der Lohn
für ihre Arbeit; weder Rente noch Gewinn machen
einen Teil von ihm aus.
Der Gesamtpreis jeder AVare muß sich jedoch
schließlich in den einen oder andern, oder in alle drei
dieser Teile auflösen, da jeder Teil davon, der nach
Bezahlung der Grundrente und des Preises der ge-
samten auf Erzeugung, Verarbeitung und Markttrans-
port verwendeten Arbeit übrig bleibt, notwendig der
Gevv'inn irgend Jemandes sein muß.
Wie der Preis oder Tauschwert jeder Ware, für
sich genommen, sich in den einen oder andern, oder
in alle drei jener Bestandteile auflöst, so muß der Go-
samtpreis aller Waren, die das ganze Jahreserzeugnis
der Arbeit eines Landes bilden, sich gleichfalls in jene
drei Teile auflösen, und sich unter die Bewohner des
Landes als Arbeitslohn, Kapitalgewinn oder Grundrente
verteilen. Die Gesamtheit dessen, was jährlich durch
die Arbeit einer Gesellschaft gesammelt oder hervor-
gebracht wird, oder (was auf dasselbe hinauskommt)
72 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
der Gesamtpreis dieses Ganzen wird auf diese Art
ursprünglich unter die verschiedenen Gesellschafts-
giieder verteilt. Arbeitslohn, Gewinn und Rente sind
die drei ursprünglichen Quellen alles Einkommens wie
aller Tauschwerte. Jedes andere Einkommen fließt
zuletzt aus einer oder der anderen dieser Quellen.
Wer sein Einkommen aus einem ihm als Eigentum
zugehörigen Fonds bezieht, muß es entweder von seiner
Arbeit, seinem Kapital, oder seinem Grund und Boden
beziehen. Das aus Arbeit gezogene Einkommen wird
Lohn genannt. Das aus der Verwaltung oder Be-
schäftigung von Kapital gezogene Einkommen heißt
Gewinn. Dasjenige Einkommen aus Kapital aber,
welches Jemand bezieht, der das Kapital nicht selbst
verwendet, sondern einem x\nderen leiht, heißt Zins.
Zins ist die Vergütung, die der Borger dem Darleiher
für den Gewinn zahlt, den er durch den Gebrauch
des Geldes machen kann. Ein Teil dieses Gewinnes
kommt natürlich dem Borgenden zu, der die Gefahr
und die Geschäftslast übernimmt; ein Teil aber dem
Darleiher, der jenem die Gelegenheit gibt, den Gewinn
zu machen. Der Geldzins ist immer ein abgeleitetes
Einkommen, das, wenn es nicht aus dem durch die
Geldbenutzung erzielten Gewinn gezahlt wird, aus
irgend einer andern Einkommensquelle gezahlt Averden
muß, wenn anders der Boi'ger nicht ein Verschwender
ist, der eine zweite Schuld macht, um die Zinsen der
ersten zu bezahlen. Das Einkommen, welches ledio--
lieh aus Grund und Boden gezogen wird, heißt Rente,
und gehört dem Grundbesitzer. Das Einkommen des
Pächters ist teilweise aus seiner Arbeit, teilweise aus
seinem Kapital entnommen. Für ihn ist der Boden
nur das Mittel, das ihn instand setzt, den Lohn dieser
Arbeit zu ernten und Gewinn aus diesem Kapital zu
Kap. VI.: Die Bestandteile des Warenpreises. 73
ziehen. Alle Steuern und alle auf diese gegründeten
Einkünfte, alle Besoldungen, Ruhegehälter und Jahr-
gelder jeder Art entstammen schließlich einer oder
der anderen jener drei ursprünglichen Einkommens-
quellen und werden unmittelbar oder mittelbar vom
Arbeitslohn, vom Kapitalgewinn oder von der Grund-
rente gezahlt.
Wenn diese drei Arten des Einkommens verschie-
denen Personen gehören, so lassen sie sich leicht unter-
scheiden; gehören sie aber einer einzigen, so werden
sie, wenigstens im Sprachgebrauch, zuweilen mit ein-
ander zusammengeworfen.
Ein Mann, der einen Teil seines Gutes selbst be-
wii'tschaftet, muß, nach Bezahlung der Wirtschafts-
kosten, sowohl die Rente des Gutsbesitzers, als den
Gewinn des Pächters erhalten. Allein er pflegt seinen
ganzen Ertrag Gewinn zu nennen, und wirft so, wenig-
stens im gewöhnlichen Sprachgebrauch, die Rente mit
dem Gewinn zusammen. Die meisten unserer nordarae-
rikanischen und westindischen Pflanzer sind in dieser
Lage. Sic bewirtschaften meistens ihre Güter selbst,
und man hört daher selten etwas von der Rente einer
Pflanzung, wohl aber häufig von dem Gewinn aus ihr.
Gewöhnliche Pächter haben selten einen Aufseher
zur Leitung der Wirtschaftsarbeiten. Auch arbeiten
sie in der Regel vieles selbst, wie pflügen, eggen u.s.w.
Was daher nach Zahlung der Rente von der Ernte
übrig bleibt, muß ihnen nicht nur ihr auf den Anbau
verwendetes Kapital samt den üblichen Zinsen wieder-
erstatten, sondern auch den Lohn bezahlen, welcher
ihnen, ebenso als Arbeitern, wie als Aufsehern zu-
kommt. Indessen heißt Alles, was nach Zahlung der
Rente und Erstattung des Kapitals übrig bleibt, Gewinn.
Offenbar aber bildet der Lohn einen Teil davon. Wenn
74 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
der Pächter diesen Lohn spart, muß er ihn notwendig
gewinnen. Folglich wird in diesem Falle der Arbeits-
lohn mit dem Gewinn zusammengeworfen.
Ein unabhängiger Gewerbtreibender, der Kapital
genug besitzt, um Eohstoffe zu kaufen und sich so
lange zu unterhalten, bis er seine Arbeit zu Markte
bringen kann, muß sowohl den Lohn eines Gesellen,
der unter einem Meister arbeitet, wie den vom Meister
durch den Verkauf der Arbeit des Gesellen zu er-
zielenden Gewinn herausschlagen. Dennoch wird sein
ganzer Erwerb gewöhnlich Gewinn genannt, und der
Lohn ist auch in diesem Falle mit dem Gewinn zu-
sammengeworfen.
Ein Gärtner, der seinen Garten mit eigner Hand
bestellt, vereinigt in seiner Person den dreifachen Cha-
rakter eines Grundbesitzers, Pächters und Arbeiters.
Daher müßte ihm sein Produkt die Rente des ersten,
den Gewinn des zweiten und den Lohn des dritten
eintragen. Indessen wird das Ganze gewöhnlich als sein
Arbeitserwerb angesehen. Sowohl Rente als Gewinn
sind in diesem Falle mit dem Lohn zusammengeworfen.
Da es in einem zivilisierten Lande nur wenige
Waren gibt, deren Tauschwert allein der Arbeit ent-
stammt, da Rente und Gewinn zum Tauschwei'te der
allermeisten Waren reichlich beitragen, so wird das
jährliche Erzeugnis der Arbeit des Landes stets hin-
reichen, eine viel größere Menge Arbeit zu bezahlen,
als zur Erzeugung und Zubereitung jenes Produkts
sowie zu seinem Transport auf den Markt aufgewendet
wurde. Wenn die Gesellschaft jährlich die ganze
Arbeit, die sie zu kaufen imstande ist, verwendete, so
würde ebensowohl die Arbeitsmenge mit jedem Jahre
mächtig wachsen, wie das Erzeugnis jedes folgenden
Jahres von weit größerem Werte sein, als das des
Kap. VI.: Die Bestandteile des Warenpreises. 75
vorhergehenden. Aber es gibt kein Land, in dem
das ganze Jahresprodukt zum Unterhalt der Ge-
werbtätigen verwendet wird. Überall verzehren die
Müssigen einen großen Teil von ihm; und je nach
den verschiedenen Verhältnissen, in denen es jährhch
unter diese beiden Volksklassen verteilt wird, muß sein
gewöhnlicher oder durchschnittlicher Wert entweder zu-
oder abnehmen, oder von Jahr zu Jahr gleich bleiben.
Siebentes Kapitel.
Der natürliche Preis und der Marktpreis
der Waren.
In jeder Gesellschaft oder Gegend giebt es einen
gewöhnlichen oder Dnrchschnittssatz sowohl des Ar-
beitslohns wie des Gewinns in allen verschiedenen
Verwendungen der Arbeit und dos Kapitals. Dieser
Satz wird, wie ich später zeigen will, auf natürliche
Weise teils durch die allgemeine Lage der Gesellschaft,
ihren Reichtum oder ihre Armut, ihr Fortschreiton,
Stehenbleiben oder Zurückgehen, und teils durch die
besondere Natur jedes Geschäfts bestimmt.
Ebenso giebt es in jeder Gesellschaft oder Gegend
einen gewöhnlichen oder Durchschnittssatz der Rente,
welcher gleichfalls, wie ich später zeigen werde, teils
durch die allgemeine Lage der Gesellschaft oder
Gegend, in der der Boden gelegen ist, und teils durch
die natürliche oder durch Kultur hervorgebrachte
Fruchtbarkeit des Bodens bestimmt wird.
Diese gewöhnlichen oder Durchschnittssätze kann
man die natürlichen Sätze des Arbeitslohns, des Ge-
winns und der Rente nennen zu der Zeit und an dem
Orte, wo sie herrschen.
Wenn der Preis einer Ware weder höher noch
niedriger ist, als er sein muß, um die Grundrente, den
Lohn der Arbeit und den Gewinn des Kapitals, die auf
Kap.VII.: Der natürliche Preis und der Marlctpreis der Waren. 77
Erzeugung und Zubereitung sowie auf den Markttrans-
port der Ware verwendet wurden, nach ihrem natür-
lichen Satze zu bezahlen, so wird die Ware für den
Preis verkauft, den man ihren natürlichen nennen kann.
Die Ware wird dann genau für das verkauft, was
sie wert ist, oder was sie den, der sie zu Markte bringt,
wirklich kostet; denn obgleich im gewöhnlichen Sprach-
gebrauch der sogenannte Einkaufspreis einer Ware
nicht den Gewinn des Wiederverkäufers mit einschließt,
so ist doch dieser, wenn er sie zu einem Preise ver-
kauft, der ihm nicht den in seiner Gegend gewöhn-
lichen Gewinnsatz gewährt, offenbar bei dem Handel
im Verlust, da er durch eine andere Verwendung
seines Kapitals diesen Gewinn hätte ziehen können.
Überdies ist sein Gewinn sein Einkommen, die eigent-
liche Quelle seines Unterhalts. Während er die Waren
zubereitet und zu Markte bringt, streckt er seinen
Arbeitern ihren Lohn oder Unterhalt vor, und ebenso
legt er für sich selbst den Unterhalt aus, der sich ge-
wöhnlich nach dem Gewinn richtet, den er vernünf-
tiger Weise vom Verkaufe seiner Waren erwarten
kann. Wenn sie ihm nun also diesen Gewinn nicht
einbringen, so erstatten sie ihm nicht, was sie ihn im
eigentlichen Sinne wirklich gekostet haben.
Obgleich nun der Preis, der ihm diesen Gewinn
läßt, nicht immer der niedrigste ist, zu dem ein Kauf-
mann zuweilen seine Waren verkaufen kann, so ist
er doch der niedi-igste, zu dem er sie wahrscheinlich
lange Zeit hindurch verkaufen kann; wenigstens da,
wo vollkommene Freiheit herrscht, oder wo er sein
Geschäft, so oft es ihm beliebt, wechseln kann.
Der wirkliche Preis, zu welchem eine Ware ge-
wöhnlich verkauft wird, heißt ihr Marktpreis. Er
kann über dem natürlichen Preise, oder unter ihm
stehen, oder ihm völlig gleich sein.
78 Ei"Stes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Der Marktpreis einer jeden Ware wird durch das
Verhältnis zwischen der Menge, welche wirklich zu
Markte gebracht wird, und der Nachfrage derer be-
stimmt, die den natürliclien Preis der Ware, d. h. den
ganzen Wert der Rente, der Arbeit und des Gewinnes,
die bis zu ihrer Feilbietung erforderlich waren, zu
zahlen gewillt sind. Solche Leute kann man die wirk-
samen Nachfrager und ihre Nachfrage die wirksame
Nachfrage nennen, insofern sie hinreichend sein kann,
um zu bewirken, daß eben die Ware zu Markte kommt.
Sie ist zu unterscheiden von der Nachfrage an sich.
Auch von einem ganz armen Manne läßt sich in ge-
wissem Sinne sagen, er habe ein Verlangen nach
Kutsche und Pferden; er möchte sie gern haben;
aber sein Verlangen ist keine wirkliche Nachfrage, da
ihr Gegenstand niemals zu Markte gebracht werden
kann, um es zu befriedigen.
Wenn die Menge einer Ware, die zu Markte
kommt, hinter der wirksamen Nachfrage zurückbleibt,
so können Alle die, die den ganzen Wert der Rente,
der Löhne und Gewinne, der bis zur Feilbietung
ausgelegt werden mußte, zu bezahlen gewillt sind,
nicht mit der Menge versorgt werden, deren sie be-
dürfen. Um sie nicht gänzlich zu entbehren, werden
einige unter ihnen bereit sein, mehr zu geben. Sogleich
beginnt ein Wettbewerb unter ihnen, und der Markt-
preis wird mehr oder weniger über den natürlichen
Preis steigen, je nach dem Grade des Bedürfnisses,
oder je nachdem die Wohlhabenheit und der begehr-
liche Luxus der Konkurrenten die Hitze des Wettbewerbs
mehr oder weniger entflammt. Unter Konkurrenten von
gleicher Wohlhabenheit und gleichem Luxusbedarf
wird dasselbe Verlangen gewöhnlich einen mehr oder
weniger eifrigen Wettbewerb hervorrufen, je nachdem
die Erwerbung der Ware für sie eine größere oder
Kap. VIT.: Der natürliche Preis und der Marktpreis der Waren. 79
geringere Wichtigkeit hat. Hieraus erklärt sich der
übermäßige Preis der Lebensmittel während einer Be-
lagerung oder bei einer Hungersnot.
Wenn die feilgebotene Menge die wirksame Nach-
frage übersteigt, so kann nicht Alles an die verkauft
werden, welche den ganzen Wert der Rente, des
Lohnes und des Gewinnes, der bis zur Feilbietung
ausgelegt werden mußte, zu bezahlen gewillt sind. Ein
Teil der Ware muß an solche abgelassen werden,
welche weniger zahlen wollen, und der niedrige Preis,
den sie dafür geben, muß den Preis des Ganzen er-
mässigen. Der Marktpreis wird mehr oder weniger
unter den natürlichen Preis sinken, je nachdem der
Umfang des Überflusses die Konkurrenz dei' Verkäufer
mehr oder weniger steigert oder je nachdem es für sie
mehr oder minder wichtig ist, die Ware auf der Stelle
loszuwerden. Der gleiche Uberschuf3 in der Zufuhr
leicht verderbender Waren (wie z. B. Orangen) wird
eine viel größere Konkurrenz veranlassen, als der-
jenige dauerhafter Waren (wie z. B. alten Eisens).
Wenn die feilgebotene Menge gerade hinreicht,
um die wirksame Nachfrage zu befriedigen, und nicht
mehr, so wird der Marktpreis natürlich entweder genau
oder- doch annähernd dem natürlichen Preise gleich-
kommen. Die ganze vorhandene Menge kann zu diesem
Preise abgesetzt werden, aber auch nicht zu einem
höheren. Der Wettbewerb der Verkäufer zwingt sie
alle, diesen Preis anzunehmen, zwingt sie aber nicht,
auf einen geringeren einzugehen.
Die Menge jeder zu Markt gebrachten Ware
richtet sich naturgemäß nach der wirksamen Nachfrage.
Im Interesse aller derer, welche ihren Grund und
Boden, ihie Arbeit oder ihr Kapital anwenden, um
eine Ware auf den Markt zu biingon, liegt es, daß
die Menge niemals die wirksame Nachfrage übersteigt;
80 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
und im Interesse aller andern Leute liegt es, daß sie
niemals hinter dieser Nachfrage zurückbleibt.
Wenn sie irgend einmal die wirksame Nachfrage
übersteigt, so müssen gewisse Bestandteile ihres Preises
unter ihrem natürlichen Satze bezahlt werden. Betrifft
dies die Rente, so wird das Interesse der Grundbe-
sitzer diese sogleich veranlassen, einen Teil ihres Bodens
anders zu verwenden; betrifft es den Arbeitslohn oder
den Gewinn, so wird das Interesse der Arbeiter in
dem einen und das ihrer Arbeitgeber im andern Falle
sie bewegen, einen Teil ihrer Arbeit oder ihres
Kapitals dieser Yerwendungsart zu entziehen. Dann
wird die feilgebotene Menge bald nur noch hinreichend
sein, um die wirksame Nachfrage zu befriedigen. Alle
Teile des Warenpreises werden auf ihren natürlichen
Satz, und der ganze Preis auf den natürlichen Preis
der Ware steigen.
Wenn dagegen die feilgebotene Menge irgend ein-
mal hinter der wirksamen Nachfrage zurückbleibt, so
müssen einige Bestandteile ihres Preises über ihren
natürlichen Satz steigen. Betrifft dies die Rente, so
wird das Interesse aller übrigen Grundbesitzer sie
naturgemäß bestimmen, mehr Land auf die Erzeugung
dieser Ware zu verwenden; betrifft es den Arbeitslohn
oder den Gewinn, so wird das Interesse aller übrigen
Arbeiter und Geschäftsleute sie veranlassen, mehr
Arbeit und Kapital auf die Herstellung der Ware und
auf ihren Transport nach dem Markte zu verwenden.
Dann wird die herbeigeschaffte Menge bald hin-
reichend sein, die wirksame Nachfrage zu befriedigen.
Alle Teile ihres Preises werden bald auf ihren natür-
lichen Satz, und der ganze Preis auf den natürlichen
Preis der Ware sinken.
Der natürliche Preis ist daher, so zu sagen, der
Zentralpreis, gegen den die Preise aller Waren beständig
Kap. YII.: Der natürliche Preis und der Marktpreis der Waren. Si
gravitieren. Mancherlei Zufälle können sie zuweilen
ein gut Teil über ihm erhalten, und sie zuweilen sogar
etwas unter ihn herabdrücken. Welche Hindernisse
sie aber auch abhalten mögen, sich in diesem Mittel-
punkte der Ruhe und Beständigkeit festzusetzen, so
streben sie doch beständig ihm zu.
Die ganze Menge der jährlich darauf verwendeten
Bemühungen, eine Ware auf den Markt zu bringen,
richtet sich auf diese Weise naturgemäß nach der
wirksamen Nachfrage. Der G-ewerbfleiß strebt natur-
gemäß immer genau die Menge herbeizuschaffen, die
die wirksame Nachfrage zu befriedigen, aber nur eben
zu befriedigen, hinreicht.
In manchen Gewerben bringt jedoch die gleiche
Menge Arbeit in verschiedenen Jahren sehr verschie-
dene Warenmengen hervor, während sie in anderen
stets die gleiche oder beinahe die gleiche Menge her-
vorbringt. Die gleiche Zahl landwirtschaftlicher Arbeiter
wird in verschiedenen Jahren sehr verschiedene Mengen
Getreide, Wein, Ol, Hopfen u. s. w. hervorbringen, die
gleiche Zahl Spinner und Weber hingegen jedes Jahr
die nämliche oder beinahe die nämliche Menge Leinen-
und Wollenstoffe. Bei der einen Art Gewerbe kann nur
die durchschnittliche Erzeugung sich der wirksamen
Nachfrage einigermaßen anpassen, und da ihre wirk-
liche Erzeugung oft viel größer, oft viel geringer ist,
als die durchschnittliche, so wird entweder die Menge
der zu Markt gebrachten Waren die wirksame Nach-
frage um ein gut Teil übersteigen, oder in andern
Fällen erheblich hinter ihr zurückbleiben. Sollte daher
auch jene Naclifrage immer die nämliche bleiben, so
wird dennoch ihr Marktpreis großen Schwankungen
unterworfen sein, und bald erheblich unter ihren natür-
lichen Preis fallen, bald erheblich über ihn steigen.
Bei der andern Art Gewerbe kann die Erzeugung, da
Adam Smith, Volkswohlstand. I. O
82 Ei"stes Blich: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
das Produkt gleicher Arbeitsmengen immer das näm-
liche oder beinahe das nämliche ist, der wirksamen
Nachfrage genauer angepaßt werden. So lange daher
diese Nachfrage die gleiche bleibt, wird auch wahr-
scheinlich der Marktpreis der Waren sich gleich bleiben,
und entweder völlig oder nahezu der gleiche sein, wie
der natürliche Preis. Daß der Preis der Leinen- und
Wollenzeuge weder so häufigen noch so großen Ver-
änderungen unterworfen ist, wie der Getreidepreis, be-
stätigt die tägliche Erfahrung. Der Preis der einen Art
Waren ändert sich nur mit den Veränderungen in der
Nachfrage, der der andern Art schwankt nicht allein
mit den Veränderungen in der Nachfrage, sondern auch
mit den weit größeren und häufigeren Veränderungen
in der Menge dessen, was zur Befriedigung der Nach-
frage auf den Markt gebracht wird.
Die gelegentlichen und zeitweiligen Schwankungen
im Marktpreise einer Ware fallen hauptsächlich auf die-
jenigen Teile ihres Preises, die sich in Arbeitslohn
und Gewinn auflösen. Der in die Rente sich auflösende
Teil wird weniger davon betroffen. Eine in Geld fest-
gesetzte Rente wird davon weder in ihi-em Satz, noch
in ihrem Werte auch nur im Mindesten berührt. Eine
Rente, welche in einem bestimmten Teile oder einer
bestimmten Menge des Rohprodukts besteht, wird durch
alle gelegentlichen und zeitweiligen Schwankungen im
Marktpreise dieses Rohproduktes ohne Zweifel in ihrem
jährlichen Werte, selten aber in ihrem jährlichen Satze
berührt. Bei Festsetzung der Pachtbedingungen be-
mühen sich der Grundbesitzer und Pächter nach bestem
Ermessen diesen Satz nicht nach dem zeitweiligen und
gelegentlichen, sondern nach dem durchschnittlichen
und gewöhnlichen Preise des Erzeugnisses festzusetzen.
Solche Schwankungen treffen den Wert wie den
Satz sowohl des Arbeitslohns als auch des Gewinns, je
Kap. VII.: Der natürliclie Preis und der Marktpreis der Waren. 83
nachdem der Markt gerade mit Waren oder mit Arbeit,
mit geleisteter oder noch zu leistender Arbeit überführt,
oder unzulänglich versorgt ist. Eine allgemeine Landes-
trauer treibt den Preis schwarzer Zeuge, mit denen der
Markt bei solchen Gelegenheiten niemals zureichend
versorgt ist, in die Höhe, und steigert die Gewinne der
Kaufleute, die eine beträchtliche Menge davon besitzen.
Sie hat aber keinen Einfluß auf den Arbeitslohn der
Weber. Der Markt leidet Mangel an Waren, nicht an
Arbeit : an schon geleisteter, nicht an erst zu leistender
Arbeit. Sie steigert dagegen den Arbeitslohn der
Schneidergesellen. Hier ist der Markt mit Arbeit un-
zulänglich versorgt, und es ist eine wirksame Nachfrage
nach mehr Arbeit, nach erst noch zu leistender Arbeit
vorhanden. Den Preis farbiger Seiden- und Wollen-
zeuge erniedrigt die Trauer und schmälert hierdurch
die Gewinne der Kaufleute, die davon eine ansehnliche
Menge vorrätig haben. Gleicherweise erniedrigt sie
auch die Löhne der Arbeiter, die mit Anfertigung
solcher Waren, für die auf sechs, vielleicht auf zwölf
Monate alle Nachfrage aufhört, beschäftigt sind. Hier ist
der Markt ebenso mit Waren wie mit Arbeit überführt.
Obgleich aber der Marktpreis jeder Ware auf diese
Art beständig gegen den natürlichen Preis gravitiert,
so können doch bald besondere Umstände, bald natür-
liche Ursachen, bald polizeiliche Anordnungen den
Marktpreis vieler Waren lange Zeit hindurch erheblich
über dem natürlichen Preise erhalten.
Wenn durch ein Anwachsen der wirksamen Nach-
frage der Marktpreis einer Ware beträchtlich über den
natürlichen Preis steigt, so sind die, welche ihre Kapi-
talien in dem bezüglichen Geschäft angelegt haben, ge-
wöhnlich bemüht, diese Veränderung zu verheimlichen.
Würde sie aligemein bekannt, so würde ihr großer
Nutzen so viele neue Mitwerber reizen, ihre Kapitalien
6*
84 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
in gleicher Weise anzulegen, daß die wirksame Nach-
frage vollkommen befriedigt und der Marktpreis bald
auf den natürlichen Preis, ja vielleicht eine Zeit lang
selbst unter ihn zurückgeführt werden würde. Wenn
der Markt weit von dem Wohnorte derer, die ihn
versorgen, entfernt ist, so können sie manchmal das
Geheimnis Jahre lang bewahren, und so lange Zeit
ihre außerordentlichen Gewinne ohne alle neue Mit-
werber genießen. Allein selten können solche Geheim-
nisse lange bewahrt werden, und der außergewöhnliche
Gewinn kann nicht viel länger dauern, als das Ge-
heimnis bewahrt wird.
Fabrikgeheimnisse lassen sich länger bewahren als
Handelsgeheimnisse. Ein Färber, der ein Verfahren
entdeckt hat, eine gewisse Farbe mit halb so teuren
Materialien als den gewöhnlich gebrauchten herzu-
stellen, kann bei gehöriger Vorsicht den Vorteil seiner
Entdeckung sein ganzes Leben lang genießen, ja ihn
als ein Vermächtnis seinen Nachkommen hinterlassen.
Seine außergewöhnlichen Gewinne entspringen aus
dem hohen Preise, der für seine geheim betriebene
Arbeit gezahlt wird. Sie bestehen eigentlich ganz in
dem hohen Lohn dieser Arbeit. Da sie sich jedoch
auf jeden Teil seines Kapitals wiederholen, und da
ihr Gesamtbetrag sonach in einem regelrechten Ver-
hältnis dazu steht, so werden sie in der Regel als
außergewöhnlicher Kapitalgewinn betrachtet.
Solche Erhöhungen des Marktpreises sind offenbar
Wirkungen besonderer Umstände, deren Einfluß jedoch
bisweilen viele Jahre dauern kann.
Manche Naturprodukte erfordern eine so eigen-
tümliche Beschaffenheit des Bodens und der Lage, daß
aller Grund und Boden in einem großen Lande, der zu
ihrer Hervorbringung geeignet ist, nicht hinreicht, um
die wirksame Nachfrage zu befriedigen. Daher kann
die ganze zu Markt gebrachte Menge an Käufer ab-
Kap. VII.: Der natürliche Preis uiTd der Marktpreis der Waren. Ho
gesetzt werden, die mehr zu geben geneigt sind, als zur
Bezahlung der Rente des Landes, auf dem sie gezogen
sind, sowie des Arbeitslohns und des Kapitalgewinns
ihren natürlichen Sätzen entsprechend hinreichend wäre.
Solche "Waren können ganze Jahrhunderte hinduroh zu
diesem hohen Preise verkauft werden, und der Teil
davon, welcher sich in die Grundrente auflöst, ist in
diesem Falle der Teil, welcher im Allgemeinen über
seinen natürlichen Satz bezahlt wird. Die Rente des
Bodens, der so seltene und geschätzte Produkte her-
vorbringt, wie z. B. die Rente einiger französischer
Weinberge von besonders glücklicher Bodenbeschaffen-
heit und Lage, steht zu der Rente anderen gleich frucht-
baren und gut angebauten Bodens der Umgegend in
keinem geregelten Verhältnis. Dagegen übersteigen
die Löhne der Arbeit und die Gewinne des Kapitals,
die auf die Erzeugung und Herbeischaffung verwendet
wurden, selten das natürliche Verhältnis zum Lohn
und Gewinn der anderen Aufwendungen von Arbeit
und Kapital in ihrer Umgegend.
Solche Erhöhungen des Marktpreises sind offenbar
Wirkungen natürlicher Ursachen, welche es verhindern
können, daß der wirksamen Nachfrage stets völlig
genügt werde, und welche deshalb auch dauernd fort-
wirken können.
Ein einem Einzelnen, oder einer Handelsgesell-
schaft verliehenes Monopol hat die nämliche Wirkung,
wie ein Handels- oder Fabrikgeheimnis. Indem die Mo-
nopolisten den Markt nie vollständig versorgen und die
wirksame Nachfrage nie völlig befriedigen, verkaufen
sie ihre Waren weit über dem natürlichen Preise, und
steigern ihre Vorteile, ob sie nun in Arbeitslohn oder
Gewinn bestehen, weit über ihren natürlichen Satz.
Der Monopolpreis ist jederzeit der höchste, der zu
erreichen ist. Der natürliche Preis, oder der Preis des
freien Wettbewerbs hingegen ist der niedrigste, der sich
86 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
zwar nicht jedesmal, aber doch im Durchschnitt einer
längeren Zeit erzielen läßt. Der erstere ist jedesmal
der höchste, der von den Käufern erpreßt werden
kann, oder den sie mutmaßlich bewilligen werden; der
andere ist der niedrigste, mit dem die Verkäufer im
Allgemeinen auskommen können, ohne ihr Geschäft
einstellen zu müssen.
Die ausschließlichen Piivilegien von Korporationen,
die Bestimmungen über das Lehrverhältnis und alle die
Gesetze, welche in gewissen Gewerben den Wettbewerb
auf eine geringere Anzahl Mitwerber beschränken, als
sonst auftreten würden, haben, wenn auch in minderem
Grade, die nämliche Neigung. Sie sind eine Art aus-
gedehnter Monopole und können oft Menschenalter
hindurch in ganzen Klassen von Gewerben den Markt-
preis einer Ware über dem natürlichen Preise erhalten,
und sowohl den Arbeitslohn als den Kapitalgewinn
etwas über ihren natürlichen Satz steigern.
Solche Erhöhungen des Marktpreises können so
lange dauern, als die Verwaltungsmaßregeln, durch
die sie veranlaßt werden, aufrecht erhalten bleiben.
Der Marktpreis einer Ware kann sich zwar lange
überdem natürlichen Preise halten, aber selten lange unter
ihm stehen. Welcher Teil auch unter dem natürlichen
Satze bezahlt würde, die dabei interessierten Personen
würden doch immer den Verlust sogleich fühlen, und so
viel Land, Arbeit oder Kapital aus dem Betriebe zurück-
ziehen, daß die zu Markt gebrachte Ware bald nur
noch hinreichen würde, die wirksame Nachfrage zu
befriedigen. Mithin würde ihr Marktpreis bald auf
den natürlichen Preis steigen. Wenigstens träte dieser
Fall da ein, wo vollkommene Freiheit herrscht.
DieselbenBestiramungen über das Lehrlingsverhält-
nis und die anderen Zunftgesetze, welche den Arbeiter,
so lange ein Gewerbszweig blüht, instand setzen, seinen
Kap. VII.: Der natürliche Treis und der Marktpreis der Waren. 87
Arbeitslohn weit übor den natürlichen Satz zu steigern,
nötigen ihn übrigens zuweilen auch, wenn das Gewerbe
in Verfall gerät, den Lohn weit unter jenen Satz fallen
zu lassen. Wie sie im ersteren Falle viele Leute von
seinem Gewerbe ausschließen, so schließen sie im
letzteren ihn von vielen anderen Gewerben aus. Doch
ist die Wirkung solcher Verordnungen nicht enfernt so
andauernd auf die Herabsetzung als auf die Steigerung
des Arbeitslohns über seinen natürlichen Satz. In der
ersteren Richtung kann ihr Einfluß Jahrhunderte
dauern, in der anderen aber nicht länger, als das Leben
der Arbeiter währt, welche zu dem Geschäfte in der
Zeit seiner Blüte erzogen wurden. Sind sie gestorben,
so wird sich die Zahl derer, die später für dies Gewerbe
erzogen werden, naturgemäß nach der wirksamen Nach-
frage richten. Die Verwaltung müßte so t3a-annisch sein,
wie in Hindostan oder im alten Ägypten, wo Jedermann
durch religiöse Vorschriften gezwungen war, das Ge-
schäft seines Vaters zu betreiben und wo es für den
schrecklichsten Frevel galt, es mit einem andern zu ver-
tauschen, wenn sie in einem Gewerbe mehrere Genera-
tionen hindurch den Arbeitslohn oder denKapitalgewinn
unter ihrem natürlichen Satze sollte erhalten können.
Dies ist Alles, was ich vorläufig über die gelegent-
lichen oder dauernden Abweichungen des Marktpreises
der Waren vom natürlichen Preise bemerken zu
müssen glaubte.
Der natürliche Preis selbst schwankt mit dem
natürlichen Satze jedes seiner Bestandteile, des Arbeits-
lohnes, des Gewinnes und der Rente; und in jeder
Gesellschaft schwankt dieser Satz je nach ihrer Lage,
ihrem Reichtum oder ihrer Armut, ihrem Fortschritt,
Stillstande oder Rückgange. Die Ursachen dieser ver-
schiedenen Schwankungen werde ich so vollständig
und deutlich, als ich es vermag, in den vier folgenden
Kapiteln behandeln.
88 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Erstens werde ich auseinanderzusetzen suchen,
welche Umstände naturgemäß den Satz des Arbeits-
lohns bestimmen, und in welcher Art diese Umstände
durch den Eeichtum oder die Armut, durch das Fort-
schreiten, den Stillstand oder den Rückgang der Ge-
sellschaft berührt werden.
Zweitens werde ich mich zu zeigen bemühen,
welche Umstände naturgemäß den Satz des Kapital-
gewinnes bestimmen, und in welcher Art auch diese
Umstände durch die gleichen Veränderungen im Zu-
stande der Gesellschaft berührt werden.
Obgleich der Geldlohn und Geldgewinn in den
verschiedenen Verwendungen von Arbeit und Kapital
sehr verschieden sind, so scheint doch gewöhnlich so-
wohl zwischen den Löhnen in allen verschiedenen Ver-
wendungen von Arbeit, wie zwischen den Gewinnen
in allen verschiedenen Verwendungen von Kapital ein
gewisses Verhältnis stattzufinden. Dies Verhältnis
hängt, wie sich später zeigen wird, teils von der Natur
der verschiedenen Anlagen, teils von den verschiedenen
Gesetzen und der Politik der Gesellschaft ab, in der
sie gemacht werden. Wenn dies Verhältnis aber auch
in vieler Beziehung von den Gesetzen und der Politik
abhängig ist, so scheint es doch wenig vom Reichtum
oder der Armut jener Gesellschaft, von ihrem Fort-
schreiten, Stillstande oder Rückgange berührt zu
werden, sondern in allen diesen Zuständen das näm-
liche oder beinahe das nämliche zu bleiben. Ich werde
drittens alle die verschiedenen Umstände, die dies
Verhältnis regeln, darzulegen suchen.
Viertens und letztens werde ich zu zeigen suchen,
welche Umstände die Grundrente regeln und den Sach-
preis aller der Stoffe, welche das Land erzeugt, er-
höhen oder erniedrigen.
Achtes Kapitel.
Der Arbeitslohn.
Das Produkt der Arbeit bildet die natürliche
Vergütung oder den Lohn der Arbeit.
In jenem ursprünglichen Zustande, der sowohl der
Bodenaneignung wie der Kapitalienansammlung vor-
hergeht, gehört das ganze Arbeitsprodukt dem Arbeiter.
Er hat weder mit einem Grundbesitzer, noch mit einem
Meister zu teilen.
Hätte dieser Zustand fortgedauert, so würde der
Lohn der Arbeit mit all den Steigerungen ihrer pro-
duktiven Kräfte, welche durch die Arbeitsteilung her-
beigeführt werden, zugleich gewachsen sein. Alle Dinge
würden nach und nach wohlfeiler geworden sein. Sie
würden durch eine geringere Menge Arbeit hervoi'ge-
bracht, und, da bei diesem Zustande die durch gleiche
Arbeitsmengen hervorgebrachten Waren natürlich gegen
einander ausgetauscht würden, auch mit dem Erzeugnis
einer kleineren Arbeitsmenge gekauft worden sein.
Obschon aber in Wirklichkeit alle Dinge wohlfeiler
geworden wären, so könnten doch dem Anscheine nach
viele teurer als zuvor, oder gegen eine größere Menge
anderer Waren vertauschbar geworden sein. Man nehme
z. B. au, daß in den meisten Gewerben die Produktiv-
kraft der Arbeit um das Zehnfache gewachsen wäre, oder
daß eines Tages Arbeit zehnmal mehr als im Anfange
90 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
hervorbringen könnte, daß aber in einem einzelnen
Gewerbe sich jene Produktivkraft nur verdoppelt hätte,
oder eines Tages Arbeit nur zweimal so viel als früher
hervorbringen könnte. Beim Tausch des Produkts
eines Tagewerks in den meisten Grewerben gegen das
Produkt eines Tagewerks in diesem einzelnen Gewerbe
würde also das Zehnfache der ursprünglichen Arbeits-
menge in jenen, aber nur das Doppelte der ursprüng-
lichen Menge in diesem kaufen können. Eine bestimmte
Menge davon, z. B. ein Pfund, würde mithin fünfmal
teurer als früher zu sein scheinen. In Wirklichkeit wäre
sie zweimal so wohlfeil. Denn obwohl ihr Ankauf eine
fünfmal so große Menge andrer Waren erheischt, er-
fordert doch ihre Hervorbringung oder ihr Kauf nur
eine halb so große Menge Arbeit. Ihre Erwerbung
wäre mithin doppelt so leicht als früher.
Allein dieser ursprüngliche Zustand, in welchem
der Arbeiter das ganze Produkt seiner Arbeit genoß,
konnte nicht länger dauern, als bis die Bodenaneignung
und Kapitalienansammlung eingetreten waren. Er war
daher auch längst zu Ende, ehe die bedeutendsten
Steigerungen in den Produktivkräften der Arbeit ein-
traten, und es wäre nutzlos, weiter nachzuforschen,
welchen Einfluß er auf die Vergütung oder den Lohn
der Arbeit gehabt haben würde.
Sobald der Boden Privateigentum wird, fordert
der Grundbesitzer einen Teil von fast allen Erzeug-
nissen, die der Arbeiter auf ihm hervorbringen oder
sammeln kann. Seine Rente bildet den ersten Abzug
von dem Erzeugnis der auf den Boden verwendeten
Arbeit.
Es kommt selten vor, daß derjenige, der das Land
bestellt, die Mittel hat, sich bis zur Zeit der Ernte zu
erhalten. Sein Unterhalt wird ihm gewöhnlich aus dem
Kapital eines Herrn, des Pächters, der ihn beschäftigt,
Kap. VIII.: Der Arbeitslohn. 91
vorgeschossen, der kein Interesse haben würde, ihn zu
beschäftigen, wenn er nicht von dem Erzeugnis seiner
Arbeit einen Anteil erhielte, oder wenn sein Kapital
ihm nicht mit Gewinn zurückerstattet würde. Dieser
(Tcwinn bildet einen zweiten Abzug von dem Er-
zeugnis der auf den Boden verwendeten Arbeit.
Das Erzeugnis fast aller anderen Arbeit ist dem
gleichen Gewinnabzuge unterworfen. In allen Hand-
werken und Fabriken bedarf der größere Teil der
Arbeiter Jemandes, der ihnen das Arbeitsmaterial,
ihren Lohn und ihren Unterhalt bis zur Vollendung
ihrer Arbeit vorschießt. Er fordert von dem Erzeugnis
ihrer Arbeit oder von dem Werte, den diese dem
Material hinzufügt, einen Anteil, und in diesem Anteil
besteht sein Gewinn.
Manchmal kommt es freilich vor, daß ein einzelner
unabhängiger Arbeiter genügend Kapital besitzt, um
selbst die Rohstoffe zu kaufen und sich bis zur Voll-
endung der Arbeit zu unterhalten. Dann ist er Meister
und Arbeiter zugleich, und genießt das ganze Produkt
seiner Arbeit, oder den ganzen Wert, welchen diese
dem 'Rohstoffe hinzufügt. Dies umfaßt zweierlei ge-
wöhnlich getrennt erscheinende, zwei verschiedenen
Personen gehörende Einkommensarten, nämlich den
Kapitalgewinn und den Arbeitslohn.
Indeß sind solche Fälle nicht sehr häufig, und in
allen Teilen Europas dienen zwanzig Arbeiter unter einem
Meistei' gegen einen, der unabhängig ist, und der Arbeits-
lohn wird überall als das verstanden, was er gewöhn-
lich ist, wenn der Arbeiter die eine und der Kapital-
besitzer, der ihn beschäftigt, eine andere Person ist.
Der gebräuchliche Arbeitslohn hängt überall von
dem zwischen jenen beiden Parteien, deren Interessen
keineswegs die nämlichen sind, gewöhnlich geschlossenen
Vertrage ab. Die Arbeiter wollen so viel als möglich er-
92 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
halten, die Meister so wenig als möglich geben. Die
ersteren sind zu Koalitionen geneigt, um den Arbeitslohn
hinaufzutreiben, die letzteren, um ihn herunterzudrücken.
Es ist indeß nicht schwer vorauszusehen, welche
der beiden Parteien unter den gewöhnlichen Umständen
in diesem Streite die Oberhand behalten, und die andere
zur Einwilligung in ihre Bedingungen zwingen wird.
Die Meister können sich, da ihre Zahl geringer ist,
leichter verbinden; und überdies gestattet das Gesetz
ihre Koalitionen oder verbietet sie wenigstens nicht,
während es die der Arbeiter verbietet. Wir haben keine
Parlamentsakten gegen Verabredungen zur Herabsetzung
des Arbeitspreises, wohl aber viele gegen Verabredungen
zu seiner Erhöhung. In allen solchen Streitigkeiten
können die Herren es viel länger aushalten. Ein Guts-
besitzer, ein Pächter, ein Handwerksmeister oder ein
Kaufmann können, wenn sie auch keinen einzigen
Arbeiter beschäftigen, doch im Allgemeinen ein oder
zwei Jahre von den Kapitalien leben, die sie bereits
erworben haben. Viele Arbeiter dagegen können nicht
eine Woche, nur wenige einen Monat, und kaum einer
ein Jahr ohne Beschäftigung bestehen. Auf die Dauer
freilich kann der Arbeiter dem Meister ebenso not-
wendig werden, wie der Meister ihm; aber die Not-
wendigkeit ist keine so unmittelbare.
Man hört, wird hierauf erwidert, von Koalitionen
der Meister selten, häufig aber von solchen der Arbeiter.
Wer sich aber darum einbildet, daß sich die Meister
selten koalierten, kennt eben so wenig die Welt, wie
diesen Gegenstand. Die Meister stehen stets und über-
all in einer Art stillschweigender, aber fortwährender
und gleichförmiger Übereinkunft, den Arbeitslohn nicht
über seinen dermaligen Satz steigen zu lassen. Diese
Übereinkunft zu verletzen, ist überall sehr mißliebig
und gilt für einen Meister unter seinen Nachbarn
Kap. VIII.: Der Arbeitslohn. 93
und Gevverbsgenossen als eine Art Schande. Man hört
allerdings selten von dieser Übereinkunft, weil sie der
gewöhnliche und, man darf sagen, natürliche Zustand
der Dinge ist, von dem Niemand Etwas hört. Mitunter
gehen die Meister auch besondere Verbindungen ein,
um den Arbeitslohn sogar unter seinen Satz herunter-
zudrücken. Diese werden immer in äußerster Stille
und ganz geheim betrieben, bis der Augenblick der
Ausführung da ist, und wenn dann die Arbeiter, wie
es zuweilen geschieht, ohne Widerstand nachgeben, so
hören andere Leute nichts davon, so schmerzlich es jene
auch empfinden. Oft jedoch stellt sich solchen Ver-
bindungen eine abwehrende Verbindung der Arbeiter
entgegen, die manchmal auch ohne eine solche Heraus-
forderung sich zur Erhöhung des Preises ihrer Arbeit
zusammen tun. Ihre gewöhnlichen Vorwände sind
bald der hohe Preis der Lebensmittel, bald der große
Gewinn, den die Meister aus ihrer Arbeit ziehen.
Mögen diese Verbindungen aber angreifender oder ver-
teidigender Natur sein, ruchbar werden sie immer. Um
die Sache zu einer schnellen Entscheidung zu bringen,
nehmen sie immer zu lautestem Geschrei ihre Zuflucht
und zuweilen zu den schlimmsten Gewalttätigkeiten
und Mißhandlungen. Sie sind verzweifelt und handeln
mit der Torheit und Maßlosigkeit verwegener Men-
schen, die entweder verhungern oder ihre Meister
durch Schrecken zu sofortiger Einwilligung in ihr Be-
gehren bringen müssen. Die Meister ihrerseits erheben
bei solchen Gelegenheiten nicht weniger Lärm, rufen
unaufhörlich nach dem Beistande der Behörden und
verlangen die strikte Ausführung der Gesetze, die mit
so großer Härte gegen die Verbindungen der Dienst-
boten, Arbeiter und Gesellen gegeben sind. Demgemäß
haben die Arbeiter sehr selten einen Nutzen von dem
Ungestüm dieser lärmenden Verbindungen, die teils
wegen des Einschreitens der Behörden, teils wegen der
94 Ei">>tes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
überlegenen Beharrlichkeit der Meister, teils weil der
größere Teil der Arbeiter gezwungen ist, sich um des
täglichen Unterhalts willen zu unterwerfen, gewöhn-
lich mit nichts anderem, als der Bestrafung oder dem
Untergange der Rädelsführer enden.
Wenn aber auch die Meister bei Streitigkeiten mit
ihren Arbeitern gewöhnlich im Vorteil sind, so gibt es
doch einen bestimmten Satz, unter den der gewöhnliche
Lohn selbst der geringsten Art von Arbeit nicht auf
längere Zeit herabgedrückt werden zu können scheint.
Ein Mensch muß stets von seiner Arbeit leben und
sein Lohn muß wenigstens hinreichend sein, um ihm
den Unterhalt zu verschaffen. In den meisten Fällen
muß er sogar noch etwas höher sein; sonst wäre der
Arbeiter nicht im Stande, eine Familie zu gründen, und
das Geschlecht solcher Arbeiter würde mit der ersten
Generation aussterben. Aus diesem Grunde nimmt Can-
tillon an, daß die geringste Art gewöhnlicher Arbeiter
immer wenigstens den doppelten Unterhalt verdienen
muß, damit durchschnittlich Jeder zwei Kinder ernähren
kann, wobei die Arbeit der Frau wegen der notwendigen
Pflege der Kinder nur als hinreichend angenommen
wird, um sie selbst zu erhalten. Allein die Hälfte der
Kinder stirbt, wie man berechnet hat, vor dem mann-
baren Alter. Demgemäß müssen die ärmsten Arbeiter
durchschnittlich wenigstens vier Kinder aufzuziehen
suchen, wenn zwei davon Aussicht haben sollen, jenes
Alter zu erleben. Der notwendige Unterhalt für vier
Kinder wird aber ungefähr dem eines Mannes gleich-
geschätzt. Die Arbeit eines kräftigen Sklaven ist, wie
derselbe Schriftsteller hinzufügt, als doppelt soviel wert
zu betrachten, wie sein L^nterhalt, und diejenige des
geringsten Arbeiters, meint er, könne doch nicht weniger
wert sein, als die eines kräftigen Sklaven. So viel scheint
allerdings gewiß zu sein, daß, um eine Familie zu er-
nähren, die Arbeit des Mannes und der Frau zusammen,
Kap. Vni.: Der Arbeitslohn. 95
selbst in den untersten Klassen gewöhnlicher Arbeiter,
etwas mehr einbringen muß, als gerade für ihren
eigenen Unterhalt nötig ist; in welchem Verhältnis
dies aber geschehen müsse, ob in dem oben erwähnten
oder in einem änderten, das getraue ich mir nicht zu
bestimmen.
Es gibt jedoch gewisse Umstände, die den Arbeitern
zuweilen einen Vorteil gewähren und sie instand setzen,
ihren Lohn weit über jenen Satz zu erhöhen, welcher
offenbar der niedrigste ist, der sich mit der gewöhn-
lichsten Menschlichkeit verträgt.
Wenn in einem Lande die Nachfrage nach denen,
die vom Lohn leben — Arbeiter, Gesellen, Dienstboten
aller Art — andauernd wächst; wenn jedes Jahr für
eine größere Anzahl von ihnen Beschäftigung liefert,
als das vorhergehende: so haben die Arbeiter keinen
Anlaß, sich zur Erhöhung des Lohnes zu verbinden.
Der Mangel an Händen ruft einen Wettbewerb unter
den Meistern hervor, die, um Arbeiter zu erhalten, ein-
ander überbieten und so freiwillig die natürliche Über-
einkunft der Meiste)', den Lohn nicht zu steigern,
durchbrechen.
Die Nachfrage nach Lohnarbeitern kann offenbar
nur im Verhältnis zur Zunahme der Fonds wachsen,
welche zur Lohnzahlung bestimmt sind. Diese Fonds
sind von zweierlei Art; sie bestehen erstens aus dem
Einkommen, welches die Kosten des notwendigen Unter-
halts, und zweitens aus dem Kapital, welches die Aus-
lagen für die Beschäftigung ihrer Meister übersteigt.
Wenn der Gutsbesitzer, Rentner oder Geldmann
ein größeres Einkommen hat, als ihm zum Unterhalt
seiner Familie hinreichend erscheint, so verwendet er
den ganzen Überschuß oder einen Teil davon dazu,
einen oder mehrere Dienstboten zu halten. Nimmt
dieser Überschuß zu, so wird er natürlich die Zahl
der Dienerschaft vermehren.
96 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Wenn ein unabhängiger Handwerker, etwa ein
Weber oder ein Schuhmacher, mehr Kapital erworben
hat, als er zum Kauf der für seine eigene i^rbeit er-
forderlichen Rohstoffe und zu seinem Unterhalte bis
zum Verkauf der Arbeit braucht, so beschäftigt er
natürlich mit dem Überschuß einen oder mehrere Ge-
sellen, um aus ihrer Arbeit Gewinn zu ziehen. Nimmt
dieser Überschuß zu, so wird er natürlich auch die
Zahl seiner Gesellen vermehren.
Die Nachfrage nach Lohnarbeitern wächst also
notwendig mit der Zunahme des Einkommens und
Kapitals eines Landes; und kann unmöglich auch
ohne diese wachsen. Die Zunahme des Einkommens
und Kapitals ist die Zunahme des National Wohlstandes.
Folglich wächst die Nachfrage nach Lohnarbeitern
naturgemäß mit der Zunahme des National Wohlstandes
und kann unmöglich ohne sie w-achsen.
Nicht die dermalige Größe des Nationalwohlstandes,
sondern seine beständige Zunahme bringt ein Steigen des
Arbeitslohns hervor. Demnach steht der Arbeitslohn
nicht in den reichsten Ländern am höchsten, sondern in
den aufblühenden oder am schnellsten reich werdenden.
England ist gegenwärtig sicher ein viel reicheres Land,
als ii-gend ein Teil von Nordamerika. Der Arbeitslohn
steht aber in Nordameiika weit höher, als in irgend
einem Teile Englands. In der Provinz New-York ver-
dienen gewöhnliche Arbeiter*) täglich drei Schilling
sechs Pence Papier, d. h. zwei Schilling Sterl. ; Schiffs-
zimmerleute zehn Schilling sechs Pence Papier nebst
einer Pinte Rum, die einen halben Schilling Sterl. wert
ist, also im Ganzen sechs und einen halben Schilling
Sterl.; andere Zimmerleute und Maurer acht Schilling-
Papier, d. h. vier und einen halben Schilling Sterl.;
*) Dies wurde im Jahre 1778 vor dem Beginn der letzten
Unruhen geschrieben.
Kap. Vni.: Der Arbeitslohn. 97
Schneidergesellen fünf Schilling Papier, d. h. etwa zwei
Schilling zehn Pence Sterl. Diese Löhne sind insge-
samt höher als die Londoner, und wie es heißt, steht
der Arbeitslohn in den übrigen Kolonien ebenso hoch
als in New-York. Der Preis der Nahrungsmittel ist in
Nordamerika durchweg weit niedriger, als in England.
Eine Teuerung hat man dort nie gekannt. In den
schlechtesten Jahren hatten sie immer noch genug für
sich, wenn auch zu wenig zur Ausfuhr. Wenn also der
Geldpreis der Arbeit dort höher ist, als irgend wo im
Mutterlande, so muß ihr Sachpreis, nämlich dasjenige,
was dem Arbeiter dafür an Lebens- und Genußmitteln
wirklich zu Gebote steht, noch weit höher sein.
Obgleich nun Nordamerika noch nicht so reich als
England ist, so ist es doch viel mehr im Aufblühen be-
griffen und schreitet weit rascher zu weiterer Erwerbung
von Reichtümern fort. Das entscheidendste Kennzeichen
des Gedeihens eines Landes ist die Zunahme seiner Ein-
wohnerzahl. In Großbritannien und den meisten übiigen
Ländern Europas verdoppelt sich diese Zahl, wie man
annimmt, erst in fünfhundert Jahren. In den britischen
Kolonien Nordamerikas hat man gefunden, daß sie sich
in zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren verdoppelt. Und
gegenwärtig ist diese Zunahme nicht hauptsächlich der
fortdauernden Einwanderung neuer Bewohner, sondern
der großen Vermehrung der Rasse zuzuschreiben. Leute,
die ein hohes Alter erreichen, sollen dort oft fünfzig bis
hundert Menschen, ja manchmal noch mehr als Nachkom-
men um sich sehen. Die Arbeit wird dort so gut ge-
lohnt, daß eine zahlreiche Familie, statt eine Last für
die Eltern zu sein, vielmehr zu einer Quelle der Wohl-
habenheit und des Gedeihens für sie wird. Man rechnet
die Arbeit jedes Kindes, bevor es das elterliche Haus
verläßt, auf hundert Pfund reinen Gewinn für die Eltern.
Um eine junge Witwe mit vier oder fünf jungen
Adam Smith, Volkswohlstand. I. '
98 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Kindern, die in den mittleren oder unteren Ständen
der Bewohner Europas nur wenig Aussicht auf einen
zweiten Mann haben würde, wird dort oft als um eine
glückliche Partie gefreit. Der Wert der Kinder ist die
bei Weitem grüßte aller Ermunterungen zur Heirat.
Daher darf man sich auch nicht wundern, daß die
Leute in Nordamerika gewöhnlich so jung heiraten.
Dennoch wird dort trotz dieses durch solche frühzeitigen
Heiraten bewirkten großen Zuwachses forwährend über
Mangel an Händen geklagt. Die Nachfrage nach
Arbeitern und die zu ihrem Unterhalt bestimmten
Fonds nehmen, wie es scheint, noch schneller zu, als
die Arbeiter, die Beschäftigung suchen.
Mag der Reichtum eines Landes noch so groß sein,
so darf man doch, wenn er lange Zeit stillstehend ge-
blieben ist, keinen sehr hohen Arbeitslohn zu finden
erwarten. Die zur Lohnzahlung bestimmten Fonds, das
Einkommen und das Kapital seiner Einwohner mag noch
so bedeutend sein; aber, wenn sie mehrere Jahrhunderte
gleich oder nahezu gleich geblieben sind, könnte die Zahl
der jedes Jahr beschäftigten Arbeiter leicht zureichen
oder selbst mehr als zureichen, um die Nachfrage des
folgenden Jahres zu bestreiten. Da kann selten ein Mangel
an Händen eintreten, noch werden die Meister gezwungen
sein, einander zu überbieten, um Arbeiter zu erhalten.
Im Gegenteil würden in diesem Falle natürlich viele
Hände unbeschäftigt sein. Es würde ein beständiger
Mangel an Beschäftigung statthaben und die Arbeiter
würden gezwungen sein, sich diese einander streitig zu
machen. Wenn in einem solchen Lande der Arbeitslohn
auch einmal mehr als hinreichend war, um den Arbeiter
zu unterhalten und ihn zu befähigen, seine Familie
zu ernähren, so wird doch der Wettbewerb der Ar-
beiter und das Interesse der Meister ihn bald auf den
niedrigsten Satz reduzieren, der mit der gewöhnlichsten
Menschlichkeit sich vereinigen läßt. China ist lange
Kap. VIIT.: Der Arbeitslohn. 99
eines der reichsten, d. h. eines der fruchtbarsten, best-
bebauten, gewerbfleißigsten und bevölkertsten Länder
der Welt gewesen. Es scheint jedoch lange im Still-
stande verharrt zu sein. Marco Polo, der es vor mehr
als fünfhundert Jahren besuchte, beschreibt seine Boden-
kultur, seinen Gevverbfleiß und seinen Volksreichtum
fast mit denselben Ausdrücken, mit denen es von
heutigen Reisenden geschieht. Es hatte vielleicht sogar
schon lauge vor seiner Zeit jene Fülle des Reichtums
erlangt, welche die Natur seiner Gresetze und Institu-
tionen ihm zu erreichen gestattete. Die Berichte aller
Reisenden stimmen, so unzuverlässig sie auch in man-
cher anderen Beziehung sind, in Betreff des niedrigen
Arbeitslohnes und der Schwierigkeit, welche ein Arbeiter
findet, eine Familie in China zu ernähren, völlig über-
ein. Wenn er sich durch Ackern den ganzen Tag über
so viel erwerben kann, um abends eine kleine Portion
Reis zu kaufen, so ist er zufrieden. Die Lage der Hand-
werker ist wo möglich noch schlimmer. Statt, wie in
Europa, ruhig in ihren Werkstätten die Bestellungen
ihrer Kunden abzuwarten, ziehen sie mit ihren Werk-
zeugen unaufhörlich durch die Straßen, bieten ihre
Dienste an und betteln so zu sagen um Beschäftigung.
Die Armut der niederen Stände in China übertrifft bei
Weitem die der bettelhaftesten Völker Europas. In
der Umgegend von Kanton haben viele hundert, ja
wie es allgemein heißt, viele tausend Familien keine
Wohnung auf dem Lande, sondern leben beständig in
kleinen Fischerkähnen auf den Flüssen und Kanälen.
Der Unterhalt, den sie da finden, ist so kärglich, daß
sie die ekelhaftesten Abfälle, welche von einem euro-
päischen Schiffe über Bord geworfen werden, gierig
auffischen. Jedes Aas, z. B. das eines verreckten
Hundes oder einer Katze, wenn es auch halb faul und
stinkend ist, ist ihnen so willkommen, wie den Leuten
7*
loo Ei'stes Buch: Zunahme in der Ertragski'ai't der Arbeit.
in andern Länder die gesündeste Nahrung. Die Ehe
wird in China nicht durch die Eintiäglichkeit der
Kinder, sondern durch die Freiheit, sie umzubringen,
befördert. In allen großen Städten werden nächtlich
mehrere in den Straßen ausgesetzt oder gleich jungen
Hunden ertränkt. Die Besorgung dieses schrecklichen
Geschäftes soll sogar ein zugestandener Erwerbszweig
sein, durch den Manche ihren Unterhalt verdienen.
Obgleich indeß China vielleicht stillsteht, so scheint
es doch nicht rückwärts zu gehen. Seine Städte sind
nirgends von ihren Einwohnern verlassen. Das einmal
angebaute Land wird nirgends vernachlässigt. Daher
muß immer noch die nämliche oder fast die nämliche
jährliche Arbeit verrichtet werden, und die für ihren
Unterhalt bestimmten Fonds müssen folglich noch nicht
merkbar abgenommen haben. Die unterste Schicht der
Arbeiter muß also ungeachtet ihrer kärglichen Existenz
sich soweit forthelfen, um die Rasse fortzupflanzen und
die gewöhnliche Volkszahl aufrecht zu halten.
Anders würde es in einem Lande stehen, wo die
für den Unterhalt der Arbeit bestimmten Fonds eine
merkliche Abnahme erlitten. Da würde die Nachfrage
nach Dienern und Arbeitern in allen Arten der Beschäf-
tigung mit jedem Jahre geringer werden. Viele, die in
den höhern Klassen aufgezogen waren, würden in ihrem
eigentlichen Gewerbe keine Beschäftigung mehr finden
und sie gern in dem niedrigsten suchen. Da nun aber
die niedrigste Klasse nicht nur mit ihren eigenen Ar-
beitern, sondern auch mit den aus allen anderen Klassen
einströmenden überfüllt wäre, so würde die Konkurrenz
um Arbeit in ihr so groß werden, daß der Arbeitslohn
auf den elendesten und kärglichsten Unterhalt des Arbei-
ters herabgedrückt würde. Selbst unter diesen harten
Bedingungen würden viele keine Beschäftigung finden
können, sondern entweder verhungern müssen oder sich
Kap. VTTT.: Der Arbeitslohn, 101
genötigt sehen, durch Betteln oder durch Frevel der
schlimmsten Art ihr Leben zu fristen. Mangel, Hunger
und Sterblichkeit würde in dieser Klasse sofort um sich
greifen und sich von da über alle höheren Klassen ver-
breiten, bis die Zahl der Einwohner so weit verringert
wäre, um von dem Einkommen und Kapital, welches
im Lande geblieben, und der Tyrannei oder dem
Unglück, wodurch das Übrige zerstört wurde, ent-
gangen ist, leicht erhalten werden könnte. Dies ist
vielleicht so ziemlich der gegenwärtige Zustand Ben-
galens und einiger anderer Niederlassungen der Eng-
länder in Ostindien. In einem fruchtbaren Lande, das
zuvor sehr entvölkert gewesen war, wo mithin der
Unterhalt nicht schwierig sein sollte, und wo dessen-
ungeachtet in einem Jahre drei bis viermal hundert-
tausend Menschen Hungers sterben, befinden sich, wie
wir mit Sicherheit annehmen können, die für den Unter-
halt der arbeitenden Armen bestimmten Fonds sehr
in Abnahme. Der Unterschied zwischen dem Geiste
der britischen Staatsverfassung, welche Nordamerika
schützt und regiert, und demjenigen der Handelsgesell-
schaft, die Ostindien unterdrückt und beherrscht, kann
vielleicht durch Nichts besser ins Licht gestellt werden,
als durch den verschiedenen Zustand dieser Länder.
Der reichliche Lohn der Arbeit ist demnach eben-
sowohl die notwendige Wirkung, wie das natürliche
Merkmal wachsenden Nationalreichtums. Der kärgliche
Unterhalt der arbeitenden Armen andererseits ist das
natürliche Merkmal, daß die Dinge im Stillstand, und
ihre Not, daß sie gewaltig im Rückschritt begriffen sind.
In Großbritannien scheint gegenwärtig der Arbeits-
lohn offenbar höher zu sein, als gerade nötig ist, um
eine Familie zu erhalten. Um uns über diesen Punkt
zu vergewissern, wird es nicht nötig sein, eine weit-
läufige und zweifelhafte Berechnung der niedrigsten
102 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Summe, womit dies möglicher Weise geschehen kann,
anzustellen. Es sind viele klare Merkmale dafür vor-
handen, daß der Arbeitslohn in diesem Lande nirgends
nach seinem niedrigsten Satze, der sich mit gewöhn-
licher Menschlichkeit verträgt, geregelt wird.
Erstens besteht in fast allen Teilen Großbritanniens,
selbst in den niedrigsten Arten der Arbeit, ein Unter-
schied zwischen dem Sommer- und Winterlohn. Im
Sommer ist der Lohn immer am höchsten. Allein wegen
der außerordentlichen Ausgabe für Brennmaterial ist
der Unterhalt einer Familie im Winter am kostspielig-
sten. Da nun der Arbeitslohn am höchsten ist, wenn
diese Ausgabe am niedrigsten, so scheint es klar, daß
er sich nicht nach dem, was zu dieser Ausgabe er-
forderlich ist, sondern nach der Menge und dem mut-
maßlichen Werte der Arbeit richtet. Ein Arbeiter
sollte allerdings einen Teil seines Sommerlohnes sparen,
um seine Winterausgaben damit zu bestreiten und man
kann sagen, daß sein Lohn des ganzen Jahres nicht
mehr als gerade hinlänglich sei, um seine Familie
während des ganzen Jahres zu unterhalten. Ein Sklave
hingegen oder ein in seinem Unterhalt von uns durch-
aus abhängiger Mensch würde nicht so behandelt werden.
Seine täglichen Lebensmittel würden ihm nach seinem
täglichen Bedarf zugemessen werden.
Zweitens schwankt in Großbritannien der Arbeits-
lohn nicht zugleich mit dem Preise der Nahrungsmittel.
Dieser ändert sich überall von Jahr zu Jahr, oft von
Monat zu Monat. An vielen Orten hingegen bleibt der
Geldpreis der Arbeit bisweilen ein halbes Jahrhundort
hindurch sich gleich. Wenn daher der arbeitende Arme
an diesen Orten seine Familie in teuren Jahren ernähren
kann, so muß er in Zeiten mäßiger Fülle bequem und
in Zeiten außerordentlicher Wohlfeilheit reichhch zu
leben haben. Der hohe Preis der Lebensmittel während
Kap. VIII.: Der Arbeitslohn. 103
der letzten zehn Jahre war nur in wenigen Teilen des
Königreichs von einer merklichen Steigerung des Geld-
preises der Arbeit begleitet. In einigen Teilen war
es allerdings der Fall, wahrscheinlich mehr in Folge
der wachsenden Nachfrage nach Arbeit, als des teureren
Preises der Lebensmittel.
Drittens wechselt der Preis der Lebensmittel mehr
als der Arbeitslohn von Jahr zu Jahr und andererseits
wechselt der Arbeitslohn mehr als der Preis der Lebens-
mittel von Ort zu Ort. Die Brot- und Fleischpreise sind
im größten Teile des vereinigten Königreichs so ziem-
lich die nämlichen. Diese und die meisten anderen
Dinge, welche im Kleinen verkauft werden (die Art wie
der arbeitende Arme Alles kauft), sind gewöhnlich in
großen Städten eben so wohlfeil oder noch wohlfeiler,
als in abgelegenen Gegenden, aus Gründen, die ich
später zu entwickeln Gelegenheit haben werde. Da-
gegen ist der Arbeitslohn in einer großen Stadt und
ihrer Umgegend oft um ein Viertel oder ein Fünftel,
zwanzig oder fünfundzwanzig Prozent höher, als wenige
Meilen davon. Achtzehn Pence täglich kann als ge-
wöhnlicher Preis der Arbeit in London und seiner Um-
gegend angesehen werden, wenige Meilen davon fällt
er auf vierzehn und fünfzehn Pence. Zehn Pence
kann als ihr Preis in Edinburg und Umgegend gerech-
net werden. Wenige Meilen davon fällt er auf acht
Pence, den gewöhnlichen Preis gemeiner Arbeit im
größten Teile des schottischen Tieflands, wo er viel
weniger wechselt, als in England. Solch ein Unter-
schied der Preise, der anscheinend nicht immer hin-
reicht, um einen Menschen aus einem Kirchspiel in das
andere zu überführen, würde notwendig eine so starke
Versendung der massigsten Waren nicht nur von einem
Kirchspiel ins andere, sondern von einem Ende des
Königreichs zum anderen, ja beinahe von einem Ende
der Welt zum anderen bewirken, daß die Preise bald
X04 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ins Gleichgewicht kommen würden. Trotz allem, was
von dem Leichtsinn und der Unbeständigkeit der
menschlichen Natur gesagt worden ist, geht doch
deutlich aus der Erfahrung hervor, daß keine Last so
schwer von der »Stelle zu bringen ist, als der Mensch.
Wenn also der arbeitende Arme seine Familie in den
Teilen des Königreichs, in denen der Arbeitspreis am
niedrigsten steht, ernähien kann, so muß er da, wo
er am höchsten ist, reichlich leben können.
Viertens entsprechen die Veränderungen im Preise
der Arbeit nicht nur denen im Preise der Lebensmittel
nicht, sei es im Ort oder in der Zeit, sondern sie
sind oft durchaus entgegengesetzt.
Das Korn, die Nahrung des gemeinen Volkes, ist
in Schottland teurer als in England, woher Schottland
fast alle Jahre sehr bedeutende Zufuhren erhält. Aber
englisches Korn muß in Schottland, wohin es gebracht
wird, teurer bezahlt werden, als in England, woher
es kommt; und im Verhältnis zu seiner Güte kann es
in Schottland nicht teurer verkauft werden, als das
schottische Korn, welches mit ihm auf demselben
Markte in Wettbewerb tritt. Die Güte des Korns
hängt besonders von der Mehlmenge ab, die es auf der
Mühle liefert, und in dieser Beziehung ist englisclies
Korn dem schottischen so überlegen, daß es, obwohl
anscheinend oder im Verhältnis seines Maßes oft teurei-,
doch in Wirklichkeit oder im Verhältnis zu seiner Be-
schaffenheit, ja sogar zu seinem Gewicht gewöhnlich
wohlfeiler ist. Der Preis der Arbeit ist hingegen in
England teurer als in Schottland. Wenn demnach der
arbeitende Arme in dem einen Teile des vereinigten
Königreichs seine Familie ernähren kann, so muß er
in dem anderen reichlich loben. Allerdings macht für
die gemeinen Leute in Schottland Hafermehl den
größten und besten Teil ihrer Nahrung aus, die über-
haupt weit schlechter ist, als die ihrer Nachbarn
Kap. VIII.: Per Arbeitslohn. 105
gleichen Standes in England. Doch ist dieser Unter-
schied in der Art ihres Lcbensuntei'halts nicht die Ui'-
sache, sondern die Wirkung des Unterschiedes in iliron
Löhnen, obwohl ich ihn, durch ein befremdliches Miü-
vorständi^is, oft als die Ursache habe angeben h('»ren.
Nicht deshalb, weil sich der eine eine Kutsche hält,
während sein Nachbar zu Fuße geht, ist jener reich
und dieser arm, sondern weil jener reich ist, darum
hält er sich eine Kutsche, und weil der andere arm
ist, darum geht er zu Fuße.
Im Laufe des vorigen Jahrhunderts war, ein Jahr
ins andere gerechnet, das Korn in beiden Teilen des
vereinigten Königreichs teurer, als in dem gegenwärti-
gen. Dies ist eine Tatsache, die sich vernünftiger
Weise nicht bezweifeln läßt, und für die der Beweis
hinsichtlich Schottlands wo möglich noch entscheiden-
der ist, als hinsichtlich Englands. In Schottland wird
er durch das Zeugnis der öffentlichen Fiars geführt,
d. h. jährlicher Preislisten vereideter Sachverständiger
über alle Getreidearten, welche auf die Märkte der ver-
schiedenen schottischen Grafschaften kommen. Wenn
solch ein direkter Beweis noch einer Ergänzung und
Bestärkung bedürfte, so würdeich hinzufügen, daß jenes
gleicherweise in Fi'ankreich und wahrscheinlich auch in
den meisten übrigen Teilen Europas der Fall gewesen
ist. Bezüglich Frankreichs ist der klarste Nachweis
vorhanden. So gewiß es aber ist, daß in beiden Teilen
des vereinigten Königsreichs das Getreide im letzten
Jahrhundert etwas teurer war, als im gegenwärtigen,
eben so gewiß ist es, daß die Arbeit viel wohlfeiler
war. Wenn daher die arbeitenden Armen ihre Familien
damals ernähren konnton, so muß es ihnen jetzt um so
leichter werden. Im vorigen Jahrhundert betrug der
übl#;hste Tagelohn gemeiner Arbeit im größten Teile
Schottlands sechs Pence im Sommer und fünf Pence im
106 Ei'stes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
"Winter. Drei Schilling die Woche, also so ziemlich
dasselbe, wird noch heute in einigen Teilen der Hoch-
lande und auf den westlichen Inseln bezahlt. Im größten
Teile des Tieflandes ist der üblichste Lohn für gemeine
Arbeit acht Pence täglich; zehn Pence, bisweilen einen
Schilling, beträgt er um Kdinburg, in den an England
grenzenden Grafschaften, wahrscheinlich wegen dieser
Nachbarschaft, und an einigen wenigen Orten, wo sich
jüngst eine beträchtliche Zunahme der Nachfrage nach
Arbeit eingestellt hat, um Glasgow, Carron, Ayrshire
u. s. w. In England begannen die Fortschritte im
Landbau, in den Gewerben und im Handel viel früher,
als in Schottland. Mit diesen Fortschritten mußte not-
wendig die Nachfrage nach Arbeit und folglich ihr Preis
steigen. Daher war sowohl im vorigen wie im jetzigen
Jahrhundert der Arbeitslohn in England höher, als in
Schottland. Er ist seit jener Zeit noch beträchtlich ge-
stiegen, obgleich wegen der größeren Schwankungen
der Löhne je nach den verschiedenen Orten schwer zu
bestimmen ist, wie sehr er stieg. Im Jahre 1614 war
der Sold eines Fußsoldaten der nämliche, wie jetzt,
nämlich acht Pence den Tag. Als er zuerst festgesetzt
wurde, wurde er natürlich nach dem üblichen Lohn
gemeiner Arbeiter bestimmt, d. h. desjenigen Standes,
aus dem Fußsoldaten gewöhnlich genommen werden.
Der Lord-Oberrichter Haies, der zur Zeit Karls II.
schrieb, berechnet die notwendigen Ausgaben einer
Arbeiterfamilie, die aus sechs Personen, dem Vater,
der Mutter, zwei zu etwas Arbeit fähigen und zwei
arbeitsunfähigen Kindern besteht, auf zehn Schilling-
die "Woche oder sechsundzwanzig Pfund im Jahr. "Wenn
sie dies mit ihrer Arbeit nicht verdienen können, so
müssen sie es nach seiner Meinung durch Betteln oder
Stehlen aufbringen; und er scheint sehr sorgfältige
Untersuchungen über diesen Gegenstand angestellt zu
Kap. YLII.: Der Arbeitslohn. 107
haben*) Im Jahre 1688 berechnete Gregory King,
dessen statistisches Geschick von Doktor Davenant so
sehr gerühmt wird, das gewöhnliche Einkommen der
Arbeiter und Lohndiener auf jährhch fünfzehn Pfund
für eine Familie, deren Bestand er im Durchschnitt
zu drei und einer halben Person annahm. Seine Be-
rechnung ist, obwohl scheinbar von der des Richters
Haies verschieden, im Grunde doch mit dieser ziemlich
übereinstimmend. Beide nehmen die wöchentliche Aus-
gabe solcher Familien auf etwa zwanzig Pence für den
Kopf an. Seit dieser Zeit sind sowohl die Einkünfte
als die Ausgaben solcher Familien im größten Teile
des Königreichs ansehnlich gewachsen; an dem einen
Orte mehr, an einem anderen weniger, obgleich vielleicht
nirgends so sehr, wie gewisse übertriebene Berech-
nungen des gegenwärtigen Arbeitslohns sie neuerdings
dem Publikum darstellten. Der Preis der Arbeit kann,
wie bemerkt werden muß, nirgends sehr genau fest-
gestellt werden, da oft an demselben Orte und für
dieselbe Sorte von Arbeit nicht blos je nach der ver-
schiedenen Geschicklichkeit der Arbeiter, sondern
auch nach der Willigkeit oder Kargheit der Meistor
verschiedene Preise gezahlt werden. Wo der Arbeits-
lohn nicht gesetzlich geregelt ist, können wir nicht
beanspruchen, etwas anderes festzustellen als, welches
der üblichste ist, und die Erfahrung scheint zu be-
weisen, daß Gesetze ihn niemals angemessen regeln,
so oft sie auch mit diesem Anspruch auftraten.
Die Sachvergütung der Arbeit, die wirkliche
Menge von Lebens- und Genußmitteln, welche sie dem
Arbeiter einbringt, nahm im Laufe des gegenwärtigen
Jahrhundert vielleicht in noch größerem Maße zu, als
*) Man sehe sein Scheme for the maintenance of the pour,
in Burn's Histori/ of the Poor-laws-
108 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ihr Geldpreis. Nicht nur das Getreide ist etwas wohl-
feiler geworden, sondern auch viele andere Dingo, welche
den fleißigen Armen eine angenehme und gesunde Ab-
wechslung in den Nahrungsmitteln darbieten, sind um
ein gut Teil billiger geworden. Die Kartoffeln z. B.
kosten jetzt im größten Teil des Königreichs nur halb
soviel, als vor dreißig oder vierzig Jahren. Dasselbe
läßt sich von den Hüben, dem Kohl, den Mohrrüben
sagen, lauter Gewächse, die früher mit dem Spaten,
jetzt aber gewöhnlich mittels des Pfluges bestellt werden.
Auch alle Arten von Gartengewächsen sind wohlfeiler
geworden. Die Apfel und selbst die Zwiebeln kamen
im vorigen Jahrhundert meist aus Flandern. Die großen
Fortschritte in der Verfertigung der gröberen Leinen-
und Wollenzeuge haben den Arbeitern billigere und
bessere Kleidung und die Fortschritte in der Verfer-
tigung der groben Metallwaren billigeres und besseres
Handwerkzeug, sowie viele angenehme und bequeme
Hausgeräte verschafft. Seife, Salz, Lichter, Leder
und gegohrene Getränke sind allerdings, hauptsächlich
durch die darauf gelegton Steuern, viel teurer geworden.
Allein die Menge, die der arbeitende Arme von diesen
Dingen notwendig braucht, ist so gering, daß die Er-
höhung ihres Preises der Verminderung des Preises so
vieler anderen Dinge nicht gleichkommt. Die gewöhn-
liche Klage, daß der Luxus sich selbst bis auf die
untersten Volksklassen erstreckt und die arbeitenden
Armen jetzt nicht mehr mit der Nahrung, Kleidung
und Wohnung zufrieden sein wollen, an der sie sich
früher haben genügen lassen, kann uns überzeugen,
daß nicht nur der Geldpreis der Arbeit, sondern auch
ihre Sachvergütung gestiegen ist.
1st nun diese Verbesserung in den Umständen der
niederen Volksklassen als ein Vorteil oder als ein
Nachteil für die Gesellschaft anzusehen? Die Antwort
Kap. VIIL: Der Arbeitslohn. 109
scheint auf den ersten Blick außerordentlich einfach.
Dienstboten, Tagelöhner und Arbeiter verschiedener Art
machen den bei Weitem größten Teil jeder großen
politischen Gemeinschaft aus. Was immer aber die Um-
stände des größten Teils verbessert, kann niemals als
ein Nachteil für das Ganze angesehen werden. Sicher-
lich kann keine Gesellschaft blühend und glücklich sein,
deren meiste Glieder arm und elend sind. Überdies ist
es nicht mehr als billig, daß die, die die gesamte
Masse des Volkes mit Nahrung, Kleidung und Wohnung
versorgen, einen solchen Anteil von dem Produkt ihrer
eigenen Arbeit erhalten, um sich selbst erträglich
nähren, kleiden und wohnen zu können.
Die Armut ermutigt zwar nicht zur Ehe, verhindert
aber auch sie nicht immer. Sie scheint sogar der Kin-
dererzeugung günstig zu sein. Eine halbverhungerte
Bergschottin bringt oft mehr als zwanzig Kinder zur
Welt, während eine wohlgenährte schöne Dame oft
unfähig ist, ein einziges zu gebären und im Allge-
meinen höchstens zwei oder drei Niederkünften abhält.
Die unter vornehmen Frauen so häufige Unfruchtbar-
keit ist unter den Frauen niederen Standes sehr selten.
Während die Üppigkeit im schönen Geschlecht zwar
vielleicht die Begierde nach Genuß entflammt, scheint
sie stets die Zeugungskraft zu schwächen und oft
ganz zu zerstören.
Allein die Armut ist, obwohl sie die Kindererzeu-
gung nicht hemmt, höchst ungünstig für die Kinder-
erziehung. Die zarte Pflanze ist hervorgebracht, muß
aber in so kaltem Boden und so rauhem Klima bald
welken und sterben. Es ist, wie man mir oft gesagt
hat, in den schottischen Hochlanden nichts Ungewöhn-
liches, daß eine Mutter, die zwanzig Kinder geboren
hat, nicht zwei am Leben behält. Einige sehr erfahrene
Offiziere haben mich versichert, daß sie, weit entfernt,
ihr Regiment damit rekrutieren zu können, niemals im-
110 Erstes Bucli: Zunahme in der Erti'agskraft der Arbeit.
Stande waren, mit allen in ilim geborenen Soldaten-
kindern auch nur die Zahl der Trommler und Pfeifer
voll zu machen. Dennoch sieht man selten irgend wo
so viele hübsche Kinder, als um eine Kaserne herum ;
aber sehr wenige von ihnen erreichen, wie es scheint,
das vierzehnte oder fünfzehnte Jahr. An einigen Orten
stirbt die Hälfte der Kinder vor dem vierten Jahre,
an vielen vor dem siebenten, und fast überall vor dem
neunten oder zehnten. Aber diese große Sterblichkeit
findet sich überall hauptsächlich unter den Kindern des
niederen Volkes, das sie nicht mit der Sorgfalt warten
kann, wie die besseren Stände. Obgleich ihre Ehen
im Allgemeinen fruchtbarer sind, als die der vor-
nehmen Leute, so gelangen doch weniger Kinder aus
jenen zur Reife. In Findelhäusern und unter den auf
Kosten der Gemeinde verpflegten Kindern ist die
Sterblichkeit noch größer, als unter den Kindern der
gewöhnlichen Leute.
Jede Tiergattung vermehrt sich naturgemäß im
Verhältnis zu den Mitteln ihres Unterhalts, und keine
Gattung kann sich jemals darüber hinaus vermehren.
Aber in einer zivilisierten Gesellschaft kann der Mangel
an Nahrungsmitteln nur unter den unteren Volksklassen
einer weiteren Vermehrung der Menschen Schranken
setzen ; und er kann dies nur dadurch, daß er einen
großen Teil der Kinder, die ihre fruchtbaren Ehen
hervorbringen, vernichtet.
Die reichliche Belohnung der Arbeit, welche die
niederen Volksklassen in Stand setzt, für ihre Kinder
besser zu sorgen und also eine größere Anzahl von
ihnen durchzubringen, bewirkt naturgemäß eine Erwei-
terung und Ausdehnung jener Schranken. Es verdient
bemerkt zu werden, daß sie dies möglichst genau in dem
Verhältnisse tut, welches die Nachfrage nach Arbeit
erfordert. Wenn diese Nachfrage beständig wächst.
Kap. Vrn.: Dei- Arbeitslohn. Hl
SO muß die Belohnung der Arbeit notwendig zur Ehe
und zur Vermehrung der Arbeiter derart ermuntern,
um sie instand zu setzen, jene stets wachsende Nach-
IVage durch eine stets zunehmende Volkszahl zu be-
friedigen. Wäre der Lohn einmal geringer, als es zu
diesem Zweck nötig ist, so würde der Mangel an Händen
ihn bald in die Höhe treiben, und wäre er einmal größer,
so würde die unmäßige Vermehrung der Hände ihn
bald wieder auf seinen notwendigen Satz herunter-
bringen. Der Markt würde in dem einen Falle so
schlecht mit Arbeit versorgt und in dem anderen so
sehr damit überfüllt sein, daß ihr Preis bald auf den
richtigen Satz zurückkäme, den die Verhähnisse der
Gesellschaft erheischen. So regelt die Nachfrage nach
Menschen, gleich der nach jeder anderen Ware, not-
wendig auch die Erzeugung der Menschen, beschleunigt
sie, wenn sie zu langsam vor sich geht, und verzögert
sie, wenn sie zu rasch fortschreitet. Es ist diese Nach-
frage, die die Fortpflanzung in allen Ländern der Welt,
in Nordamerika, in Europa und in China regelt und be-
stimmt, die sie zu einer reißend schnellen in dem ersten,
zu einer langsamen und schrittweisen in dem zweiten,
und zu einer völlig stillstehenden in dem letzten macht.
Die Abnutzung eines Sklaven, hat man gesagt, geht
auf Kosten seines Herrn, die eines freien Dieners auf
seine eigenen Kosten. Allein die Abnutzung des letzteren
geht in Wahrheit ebenso auf Kosten seines Herrn, als
die des ersteren. Der an Taglöhner und Dienstboten
aller Art bezahlte Lohn muß diese im Ganzen ge-
nommen instand setzen, das Geschlecht der Taglöhner
und Dienstboten in dem Maße fortzupflanzen, als es
die wachsende, abnehmende oder sich gleichbleibende
Nachfrage der Gesellschaft gerade verlangt. Wenn in-
deß auch die Abnutzung eines freien Dieners gleich-
falls auf Kosten seines Herrn geschieht, so kostet sie
112 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
letzteren doch in der Regel weit weniger, als die eines
Sklaven. Der zum Ersatz oder so zu sagen zur Wieder-
herstellung eines abgenutzten Sklaven bestiuimte Fonds
wird gewöhnlich von einem nachlässigen Heri'n oder
einem sorglosen Aufseher verwaltet. Der zu demselben
Zwecke für einen freien Mann bestimmte Fonds wird
von dem freien Manne selbst verwaltet. Die Unordnung,
welche gewöhnlich im Haushalt des Reichen herrscht,
macht sich naturgemäß in der Beaufsichtigung des Er-
steren geltend: die strikte Mäßigkeit und aufmerksame
Sparsamkeit des Armen herrscht eben so natürlich in
der Beaufsichtigung des Letzteren. Unter so ungleicher
Aufsicht muß derselbe Zweck sehr ungleiche Kosten
verursachen. Und so lehrt, wie ich glaube, die Erfahrung
aller Zeiten und Völker, daß die Arbeit freier Leute
am Ende wohlfeiler ist, als die der Sklaven. Dies findet
sich sogar in Boston, New- York und Philadelphia be-
stätigt, wo doch der Lohn gemeiner Arbeit sehr hoch ist.
Die reichliche Belohnung der Arbeit ist mithin eben-
sowohl die Wirkung des zunehmenden Reichtums wie
die Ursache der zunehmenden Volksmenge. Darüber
klagen heißt über die notwendige Wirkung und Ur-
sache der größten öffentlichen Wohlfahrt jammern.
Es verdient vielleicht bemerkt zu werden, daß die
Lage der arbeitenden Armen, der großen Masse des
Volks, mehr in dem fortschreitenden Stadium, wo die
Gesellschaft weiterem Erwerb zueilt, als in dem, wo sie
eine Fülle des Reichtums bereits erworben hat, am
glücklichsten und behaglichsten zu sein scheint. Sie
ist hart in dem Stadium des Stillstands und elend in
dem des Verfalls. Der Zustand des Fortschritts ist in
der Tat für alle Gesellschaftsklassen ein Zustand des
Frohsinns und der Kraft. Der Stillstand macht träge,
der Verfall traurig.
Die reichliche Belohnung der Arbeit ermuntert eben-
Kap. Vin.: Der Arbeitslohn. 113
sowohl den gemeinen Mann zur Fortpflanzung, wie sie
ihn zum Fleiße anspornt. Der Arbeitslohn ist die Auf-
munterung zum Fleiße, der, wie jede andre menschliche
Eigenschaft, in dem Grade zunimmt, wie er Aufmunte-
rung erfährt. Reichliche Nahrung stärkt die Körper-
kräfte des Arbeiters, und die wohltuende Hoffnung
seine Lage zu verbessern, und seine Tage vielleicht in
Ruhe und Fülle zu beschließen, feuert ihn an, seine
Kräfte aufs Ausserste anzustrengen. Wo der Arbeits-
lohn hoch ist, finden wir demnach stets die Arbeiter
tätiger, fleißiger und flinker, als da, wo er niedrig ist;
in England z. B. mehr als in Schottland, in der Um-
gebung großer Städte mehr, als an entlegenen Orten
des platten Landes. Freilich werden manche Arbeiter,
wenn sie in vier Tagen soviel verdienen können, um
eine Woche davon zu leben, in den übrigen drei Tagen
müßig gehen ; aber dies ist durchaus nicht bei der Mehr-
zahl der Fall. Im Gegenteil sind die Arbeiter, wenn sie
reichlich nach dem Stück bezahlt werden, sehr geneigt,
sich zu überarbeiten, und in wenigen Jahren ihre Gesund-
heit undKürperbeschaffenheit zu ruinieren. Ein Zimmer-
mann in London und einigen anderen Orten bleibt, wie
man annimmt, nicht über acht Jahre bei vollen Kräften.
Ahnlich verhält es sich in vielen anderen Gewerben,
in denen der Arbeiter nach dem Stück bezahlt wird,
wie dies allgemein in den Fabriken der Fall ist und
selbst bei den Feldarbeiten überall, wo der Lohn hoher
als gewöhnlich ist. BeinahejedeKlasse von Handwerkern
ist einer eigentümlichen Krankheit ausgesetzt, die durch
übermäßige Anstrengung bei der besonderen Art ihrer
Arbeit veranlaßt wird. Ramuzzini, ein ausgezeichneter
italienischer Arzt, hat über solche Krankheiten ein be-
sonderes Buch geschrieben. Wir rechnen unsre Soldaten
nicht gerade zu den fleißigsten Leuten unter uns. Wenn
aber Soldaten zu gewissen Arbeiten gebraucht und reich-
Adam Smith, Volkswohlstand. I. 8
i 14 Erstes Buoli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
lieh nach dem Stück bezahlt wurden, mußten ihre
Offiziere mit dem Unternehmer das Abkommen treffen,
daß ihnen nicht gestattet sein solle, bei dem Satze,
nach welchem sie bezahlt wurden, mehr als eine gewisse
Summe täglich zu verdienen. Ehe dies ausgemacht
worden war, reizte sie oft ihr- gegenseitiger Wetteifer
und das Verlangen nach größerem Gewinn, sich zu
überarbeiten und ihrer Gesundheit durch übermäßige
Anstrengung zu schaden. Der übertriebene Fleiß wäh-
rend vier Tagen der Woche ist oft die wirkliche Ursache
jenes Müssiggangs an den drei übrigen, über den so viele
und so laute Klage geführt wird. Großer Anstrengung
des Geistes oder des Körpers, mehrere Tage hinterein-
ander fortgesetzt, folgt bei den meisten Menschen na-
turgemäß ein starkes Verlangen nach Ei-holung, das,
wenn es nicht mit Gewalt oder durch herbe Not bc'
zwungen wird, fast unwiderstehlich ist. Es ist der Ruf
der Natur, die eine gewisse Schonung fordert, zuweilen
durch bloße Ruhe, zuweilen auch durch Zerstreuung
und Vergnügung. Wird ihm nicht nachgegeben, so
sind die Folgen oft gefährlich und manchmal tödlich
und fast immer so, daß sie früher oder später zu der
dem Gewerbe eigentümlichen Krankheit führen. Wenn
die Meister immer auf die Eingebungen der Vernunft
und Menschlichkeit hörten, so würden sie oft Veran-
lassung haben, den Fleiß vieler ihrer Arbeiter eher zu
mäßigen als anzufeuern. Es wird sich, wie ich glaube,
bei jedem Gewerbe herausstellen, daß der Mann, der
mit Maßen arbeitet, um auf die Dauer zur Arbeit
tauglich zu sein, nicht nur seine Gesundheit am
längsten erhält, sondern auch im Laufe eines Jahres
die größte Menge Arbeit verrichtet.
Man hat behauptet, daß die Arbeiter in wohlfeilen
Jahren träger, und in teuren arbeitsamer als gewöhnlich
zu sein pflegen, und man schloß daraus, daß reich-
Kap. VIIL: Der Arbeitslohn. liö
liehe Nahrung ihren Fleiß erschlaffe und kärgliche ihn
ansporne. Daß eine etwas mehr als gewöhnliche
Nahrungsfülle manche Arbeiter träge macht, läßt sich
allerdings nicht leugnen; daß sie diese Wirkung aber
bei der Mehrzahl haben sollte, oder daß die Leute im
Allgemeinen besser arbeiten sollten, wenn sie schlecht,
als wenn sie gut genährt werden; besser, wenn sie
entmutigt, als wenn sie gut aufgelegt sind; besser,
wenn sie oft krank, als wenn sie fast immer gesund
sind: ist nicht sehr wahrscheinlich. Jahre der Teurung
sind, was zu beachten ist, unter den gewöhnlichen
Leuten in der Regel Jahre der Krankheit und Sterb-
lichkeit, wodurch sich das Produkt ihres Fleißes not-
wendig vormindern muß.
In Jahren der Fülle verlassen die Dienenden oft
ihre Herren, und hoffen durch Fleiß ihren Unterhalt
selbständio- zu gewinnen. Aber dieselbe Wohlfeilheit
der Lebensmittel spornt durch Vergrößerung des für
den Unterhalt der Dienenden bestimmten Fonds auch
die Herren, besonders die Pächter an, eine größere
Arbeitermengo zu beschäftigen. Die Pächter erwarten
in solchen Fällen von ihrem Getreide einen größeren
Gewinn, wenn sie etwas mehr Dienstleute unterhalten,
als wenn sie es zu einem niedrigen Preise auf dem
Markte verkaufen. Die Nachfrage nach Dienstleuten
wächst, während die Anzahl derer, die sich anbieten,
abnimmt. Daher geht der Preis der Arbeit in wohl-
feilen Jahren oft in die Höhe.
In Notjahren macht die Schwierigkeit und Un-
sicherheit des Unterhalts alle solche Leute begierig, in
den Dienst zurückzukehren. Der hohe Preis der Lebens-
mittel aber, wodurch die für den Unterhalt der Dienen-
den bestimmten Fonds verringert werden, bewegt die
Arbeitgeber eher, die Anzahl derei', die sie haben, zu
vermindern, als zu vergrößern. Auch verzehren oft in
116 Erstes Buch: Ziunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
teuren Jahren arme unabhängige Handwerker das ge-
ringe Kapital, mit dem sie sich sonst ihr Arbeitsmaterial
verschafften, und sehen sich gezwungen, Gesellen zu
werden, um leben zu können. Dann verlangen mehr
Leute Arbeit, als zu bekommen ist; und viele sind be-
reit, sie unter schlechteren Bedingungen, als gewöhn-
lich, anzunehmen, und so geht der Arbeitslohn der
Knechte und Gesellen in teuren Jahren oft herunter.
Die Arbeitgeber aller Art machen deshalb oft in
teuren Jahren an ihren Dienstleuten ein besseres Ge-
schäft, als in wohlfeilen, und finden sie in den ersteren
demütiger und abhängiger, als in den letzteren. Sie
erklären also natürlicherweise die teuren Jahre als dem
Gewerbfleiß günstiger. Gutsbesitzer und Pächter, die
beiden größten Klassen von Arbeitgebern, haben über-
dies noch einen andern Grund über teure Jahre froh zu
sein. Die Renten des einen und die Gewinne des andern
hängen gar sehr von dem Preise der Lebensmittel ab.
Nichts kann jedoch alberner sein, als sich einzubilden,
daß die Menschen im Allgemeinen weniger arbeiten
sollten, wenn sie für sich arbeiten, als wenn sie für
andere Leute arbeiten. Ein armer unabhängiger Hand-
werker wird gewöhnlich arbeitsamer sein, als selbst ein
Geselle der nach dem Stück arbeitet. Der eine hat von
dem Produkt seines Fleißes den vollen Genuß, der
andere teilt ihn mit seinem Meister. Der eine ist in
seiner abgesonderten, unabhängigen Stellung den Ver-
suchungen schlechter Gesellschaft, die in großen Fabri-
ken die Sitten des anderen so häufig verderben, weniger
ausgesetzt. Die Überlegenheit unabhängiger Hand-
werker über die Arbeiter, welche monats- oder jahr-
weise gedungen werden, und deren Lohn und Unter-
halt derselbe bleibt, ob sie viel oder wenig tun, ist
wahrscheinlich noch weit größer. Wohlfeile Jahre er-
höhen der Natur der Sache nach das Verhältnis unab-
Kap. VIII.: Der Arbeitslohn. 1]^7
hängiger Handwerker zu den Gesellen und Dienenden
aller Art und teure Jahre erniedrigen es.
Ein französischer Schriftsteller von vielem Wissen
und Scharfsinn, Messance, Steuereinnehmer in dem
Bezirk von St. Etienne, sucht zu zeigen, daß die Armen
in wohlfeilen Jahren mehr arbeiten, als in teuren, und
vergleicht zu diesem Zwecke die Menge und den Wert
der in diesen verschiedenen Fällen in drei Fabrik-
zwoigen gefertigten Waren, nämlich in den Fabriken
grober Wollenwaren zu Elbeuf, und in den Leinen-
und Seidenfabriken, die sich über das ganze Gebiet
von Rouen erstrecken. Aus seiner auf die amtlichen
Berichte gestützten Rechnung ergibt sich, daß die
Menge und der Wert der in allen drei Fabrikzweigen
hergestellten Waren in wohlfeilen Jahren größer als
in teuren, und daß sie in den wohlfeilsten stets am
größten, in den teuersten am kleinsten war. Alle drei
scheinen stillstehende, d. h. solche Industriezweige zu
sein, die, wenn auch die Menge ihrer Erzeugnisse von
einem Jahre zum anderen etwas schwanken mag, doch
im Ganzen weder zurück noch vorwärts gehen.
Die Leinenindustrie in Schottland und diejenige
grober Wollenzeuge im westlichen Bezirk von York-
shire sind zunehmende Industrien, deren Produkt im
Allgemeinen, wenn auch mit gewissen Schwankungen,
an Menge und Wort zunimmt. Bei Prüfung der über
ihre jährliche Produktion veröffentlichten Berichte habe
ich jedoch nicht bemerken können, daß ihre Schwank-
ungen mit der Teuerung oder Wohlfeilheit der Jahre
in merkbarem Zusammenhang ständen. Im Jahre 1740,
in dem großer Mangel herrschte, scheinen allerdings
beide Industriezweige sehr gedrückt gewesen zu sein.
Im Jahre 1756 aber, in dem ebenfalls großer Mangel
herrschte, machte die schottische Industrie außerge-
wöhnliche Fortschritte. Die Yorkshirer Industrie nahm
lis Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit,
allerdings ab, und ihr Produkt stieg seit 1755 nicht
mehr auf die Höhe dieses Jahres, bis 1766 die ameri-
kanische Stempelakte abgeschafft wurde. In diesem
und dem folgenden Jahre stieg ihr Produkt höher, als
zuvor, und sie hat seitdem immer größere Fortschritte
gemacht.
Die Produktion aller großen exportierenden Indu-
striezweige muß notwendigerweise nicht sowohl von
der Teuerung oder Wohlfeilheit der Jahre in den
Ländern, wo sie betrieben werden, als von den Um-
ständen abhängen, welche die Nachfrage in den Ländern
bestimmen, in denen sie verbraucht werden; vonFrieden
oder Krieg, vom Gedeihen oder Verfall anderer riva-
lisierender Industrien, und von der guten oder üblen
Laune ihrer Hauptkunden. Überdies kommt ein großer
Teil der in wohlfeilen Jahren wahrscheinlich verrich-
teten außergewöhnlichen Arbeit niemals in die öffent-
lichen Industrieregister. Die männlichen Arbeiter,
welche ihre Arbeitgeber verlassen, werden Arbeiter auf
eigene Bechnung, und die Arbeiterinnen kehren zu
ihren Eltern zurück, und spinnen gewöhnlich für ihren
eigenen vmd ihrer Familien Kleidungsbedarf, Selbst
die unabhängigen Handwerker arbeiten nicht immer
für den öffentlichen Verkauf, sondern werden von ihren
Nachbarn für deren Hausbedarf beschäftigt. Daher fehlt
ihr Arbeitsprodukt häufig in jenen öffentlichen Re^
gistern, deren Ergebnisse zuweilen mit so vielem Stolz
veröffentlicht werden, und nach denen unsere Kauf-
leute und Fabrikanten das Gedeihen oder den Verfall
der größten Reiche anzukündigen oft vergeblich be^
ansprachen würden.
Obgleich die Veränderungen im Preise der Arbeit
nicht immer mit denen im Preise der Lebensmittel über-
einstimmen, ihnen vielmehr oft gerade entgegengesetzt
sind, darf man darum doch nicht denken, daß der
Kap. VIII.: Der Arbeitslohn. HQ
Preis der Lebensmittel auf den der Arbeit keinen Ein-
fluß habe. Der Geldpreis der Arbeit wird notwendig
durch zweierlei Umstände bestimmt, durch die Nach-
frage nach Arbeit, und durch den Preis der Lebens-
und Genußmittel. Je nachdem die Nachfrage nach Ar-
beit zunimmt, sich gleichbleibt oder abnimmt; je nach-
dem sie also eine zunehmende, sich gleichbleibende oder
abnehmende Volkszahl erfordert, bestimmt sie die Men-
ge von Lebens- und Genußmitteln, die dem Arbeiter
zugebilligt werden muß ; und der Geldpreis der Arbeit
wird durch die Summe bestimmt, die zum Ankauf dieser
Menge notwendig ist. Wenn daher auch der Geldpreis
der Arbeit zuweilen hoch ist, während der Preis der
Nahrungsmittel niedrig steht, so würde er doch, wenn
die Nachfrage dieselbe bliebe, noch höher sein, falls
der Preis der Nahrungsmittel hoch stände.
Weil die Nachfrage nach Arbeit in Jahren plötz-
licher und ungewöhnlicher Fülle zu-, in solchen plötz-
lichen und ungewöhnlichen Mangels dagegen abnimmt,
steigt der Geldpreis der Arbeit in den einen und sinkt
in den anderen.
In einem Jahre plötzlicher und ungewöhnlicher
Fülle befinden sich in den Händen vieler Arbeitgeber
hinreichende Fonds, um eine größere Anzahl fleißiger
Leute zu unterhalten und zu beschäftigen, als im vor-
hergehenden Jahre beschäftigt worden sind; und diese
ungewöhnliche Anzahl ist nicht immer gleich zu haben.
Daher überbieten sich die Arbeitgeber, die Arbeiter
brauchen, und infolgedessen steigt sowohl der Sach-
wie der Geldpreis ihrer Arbeit.
Das Gegenteil davon tritt in einem Jahre plötz-
lichen und ungewöhnlichen Mangels ein. Die zur Be-
schäftigung von Arbeitern bestimmten Fonds sind ge-
ringer, als im vorhergehenden Jahre. Eine große Menge
Leute werden beschäftigungslos, und diese bieten, um
120 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Arbeit zu erhalten, einander herunter, wodurch bis-
weilen sowohl der Sach- wie der Geldpreis der Arbeit
sich erniedrigt. Im Jahre 1740, wo ungewöhnlicher
Mangel herrschte, waren Viele bereit, für die nackte
Existenz zu arbeiten. In den darauf folgenden Jahren
der Fülle war es schwerer, Arbeiter und Dienstboten
zu bekommen.
Der Mangel in einem teuren Jahre wirkt durch
Verminderung der Nachfrage nach Arbeit naturgemäß
auf Erniedrigung ihres Preises, während der hohe Preis
der Nahrungsmittel auf seine Erhöhung wii-kt. Die
Fülle eines wohlfeilen Jahres wirkt hingegen durch
Vermehrung der Nachfrage auf Erhöhung des Arbeits-
preises, während die Wohlfeilheit der Nahrungsmittel
auf seine Ermäßigung wirkt. Bei den gewöhnlichen
Schwankungen der Nahrungsmittelpreise scheinen diese
beiden entgegengesetzten Ursachen einander die Wage
zu halten, was wahrscheinlich teilweise der Grund ist,
warum der Arbeitslohn überall so viel stetiger und
dauernder ist, als der Preis der Nahrungsmittel.
Das Steigen des Arbeitslohnes erhöht notwendig
den Preis vieler Waren, weil es den Teil des Preises
erhöht, der sich in Lohn auflöst, und insofern bewirkt
es eine Verminderung im Verbrauch dieser Waren
daheim und im Auslande. Dieselbe Ursache jedoch,
die den Arbeitslohn steigert, die Zunahme des Kapitals
nämlich, bewirkt eine Zunahme der erzeugenden Kräfte
der Arbeit und die Herstellung eines größeren Arbeits-
produktes durch eine geringere Arbeitermenge. Der
Kapitalist, der eine große Anzahl Arbeiter beschäftigt,
ist notwendig um seines eigenen Vorteils willen be-
müht, die Beschäftigung so angemessen zu verteilen,
daß die Arbeiter eine größtmögliche Menge Waren
hervorzubringen vormögen. Aus demselben Grunde
bemüht er sich, ihnen die besten Maschinen zu ver-
Kap. V III.: Der Arbeitslohn. 121
schaffen, die er oder sie kennen. Was aber unter den
Arbeitern einer Werkstatt platzgreift, greift aus dem-
selben Grunde auch unter denen einer großen Gesell-
schaft Platz. Je größer ihre Anzahl, desto mehr teilen
sie sich naturgemäß in verschiedene Gattungen und
Unterarten der Beschäftigung. Es sind mehr Köpfe
beschäftigt, die geeignetsten Maschinen für jeden Pro-
duktionszweig zu erfinden, und desto mehr werden
sie folglich erfinden. Es gibt mithin viele Waren,
die infolge dieser Verbesserungen mit so viel weniger
Arbeit, als früher, hervorgebracht werden, daß der
erhöhte Preis der Arbeit durch die Verringerung der
zu ihrer Herstellung nötigen Arbeit mehr als aufge-
wogen wird.
Neuntes Kapitel.
Der Kapitalgewinn.
Das Steigen und Fallen im Kapitalgewinn hängt von
denselben Ursachen ab, wie das Steigen und Fallen im
Arbeitslohn, nämlich von dem wachsenden oder abneh-
menden Reichtum der Gesellschaft; aber diese Ursachen
berühren den einen ganz anders, als den anderen.
Das Wachsen des Kapitals, das den Lohn erhöht,
wirkt auf Verminderung des Gewinns. Wenn die Ka-
pitalien vieler reicher Kaufleute demselben Geschäfts-
zweige zugewendet werden, so wirkt ihre gegenseitige
Konkurrenz natürlich auf Verringerung des Gewinns;
und wenn in all den verschiedenen Geschäftszweigen,
die in derselben Gesellschaft betrieben werden, eine
gleiche Kapitalienvermehrung stattfindet, so muß die
Konkurrenz dieselbe Wirkung in ihnen allen äußern.
Es ist, wie schon bemerkt worden, nicht leicht, den
durchschnittlichen Arbeitslohn selbst eines bestimmten
Orts und eines bestimmten Zeitpunktes festzustellen. Wir
können auch in dieser Beschränkung selten etwas anderes
feststellen, als den üblichsten Arbeitslohn. Aber in Be-
zug auf den Kapitalgewinn kann auch dies nur selten
geschehen. Der Gewinn ist so schwankend, daß der
Geschäftstreibende selbst nicht immer sagen kann, wie
viel sein mittlerer Jahresgewinn beträgt. Dieser wird
nicht nur durch jede Preisveränderung der Waren, mit
denen er handelt, beeinflußt, sondern auch durch das
Kap. IX.: Der Kapitalgewinn. 123
Glück oder Unglück seiner Mitbewerber und seiner
Kunden, so wie durch tausend andere Zufälle, denen
die Güter, ob sie nun zu Wasser oder zu Lande ver-
schickt oder ob sie in einem Lagerhause aufbewahrt
werden, unterworfen sind. Er schwankt daher nicht
nur von Jahr zu Jahr, sondern von Tag zu Tag, und
beinahe von Stunde zu Stunde. Den mittleren Gewinn
aller verschiedenen Gewerbe eines großen Königreichs
festzustellen, müßte noch viel schwieriger sein; und
mit einiger Genauigkeit zu beurteilen, wie hoch er
früher oder in längst verflossenen Zeiten gewesen ist,
muß ganz unmöglich sein.
Wenn es aber auch unmöglich ist, mit einiger Ge-
nauigkeit anzugeben, wie viel der mittlere Kapitalge-
winn heute beträgt oder früher betragen hat, so kann
man sich doch einen gewissen Begriff davon machen
nach dem Geldzins. Es kann als Grundsatz gelten,
daß, wo mit der Nutzung von Geld ein großes Geschäft
gemacht werden kann, gewöhnlich auch für seine
Nutzung viel bezahlt wird; und daß, wo nur ein ge-
ringes Geschäft damit gemacht werden kann, in der
Regel auch weniger dafür bezahlt wird. Je nachdem
also der übliche Zinsfuß in einem Lande sich ändert,
kann man auch mit Gewißheit annehmen, daß der ge-
wöhnliche Kapitalgewinn sich mit ihm ändert; sinkt,
wenn jener sinkt, und steigt, wenn jener steigt. Die
Entwicklung des Zinsfußes kann uns mithin zu einem
Schlüsse auf die Entwicklung des Gewinnes leiten.
Durch die Akte aus dem 37. Jahre Heinrichs VllL
wurde aller Zins über zehn Prozent für ungesetzlich
erklärt. Früher, scheint es, hatte man bisweilen mehr
genommen. Unter der Regierung Eduards VL verbot
der religiöse Eifer allen Zins. Dieses Verbot soll jedoch,
gleich allen anderen dieser Art, keinen Erfolg gehabt
haben und hat wahrscheinlich eher das Übel des
124 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Wuchers verschlimmert, als ihm gesteuert. Das Statut
Heinrichs VIII. wurde durch das Statut aus dem
13. Jahre Elisabeths, Kapitel 8, erneuert, und zehn
Prozent blieb der gesetzliche Zinsfuß bis ins 21. Jahr
Jakobs I., wo er auf acht ermäßigt wurde. Bald nach
der Restauration wurde er auf sechs Prozent und im
12. Jahre der Königin Anna auf fünf herabgesetzt. Alle
diese Verordnungen scheinen den Zeitverhältnissen sehr
angemessen gewesen zu sein. Sie scheinen lediglich dem
Zinsfuße des Marktes, oder dem, zu welchem Leute mit
gutem Kredit Geld zu borgen pflegten, gefolgt zu sein.
Seit der Zeit der Königin Anna scheinen fünf vom
Hundert eher über als unter dem marktgängigen Zins-
fuße gewesen zu sein. Vor dem letzten Kriege machte
die Begierung ein Anlehen zu drei Prozent, und Leute
mit gutem Kredit borgten in der Hauptstadt und an
vielen anderen Orten des Königreichs zu drei und ein
halb, vier, und vier und ein halb Prozent.
Seit der Zeit Heinrichs VIII. hob sich der Reich-
tum und das Einkommen des Landes ohne Unter-
brechung, und ihr Fortschritt scheint im weiteren Ver-
laufe eher beschleunigt, als aufgehalten worden zu sein.
Sie haben, wie es scheint, nicht nur zugenommen, viel-
mehr ist diese Zunahme schneller und schneller erfolgt.
Der Arbeitslohn war während dieser Periode stets im
Steigen, und der Kapitalgewinn war in den meisten
Zweigen des Handels und Gewerbes im Fallen.
Es erfordert in der Regel ein größeres Kapital,
ein Geschäft in einer großen Stadt, als in einem Land-
städtchen zu betreiben. Die in Geschäften aller Art
angelegten grollen Kapitalien und die Menge der reichen
Wettbewerber verringerten in der Regel den Gewinn-
satz in der großen Stadt mehr, als in der Landstadt.
Der Arbeitslohn aber ist in einer großen Stadt gewöhn-
lich höher, als in einem Landstädtchen. In einer leb-
Kap. IX.: Der Kaiiitalgewinn. 125
haften Stadt können diejenigen, die große Kapitalien
anzulegen haben, oft nicht soviel Arbeiter erhalten, als
sie brauchen, und überbieten einander, um so viele als
möglich zu erhalten: hierdurch steigt der Arbeitslohn
und der Kapitalgevvinn sinkt. In den entlegenen Teilen
des Landes fehlt es häufig an Kapital, alle Leute zu
beschäftigen, und diese unterbieten einander, um
Arbeit zu erhalten, wodurch der Arbeitslohn sinkt und
der Kapitalgewinn steigt.
Obgleich in Schottland der gesetzliche Zinsfuß der-
selbe ist, wie in England, so ist doch der marktgängige
etwas höher. Leute mit bestem Kredit erhalten dort
selten Geld unter fünf Prozent. Selbst Privatbankiers
in Edinburg geben auf ihre trockenen Wechsel, deren
Zahlung im ganzen oder teilweise zu jeder beliebigen
Zeit gefordert werden kann, vier Prozent. In London
geben Privatbankiers keine Zinsen für das Geld, das
bei ihnen niedergelegt wird. P^s gibt nur wenige Ge-
werbe, die nicht in Schottland mit einem geringeren
Kapital betrieben werden können, als in England. Des-
halb muß dort der gewöhnliche Gewinnsatz etwas
größer sein. Der Arbeitslohn ist, wie schon bemerkt,
in Schottland niedriger, als in England. Auch ist das
Land nicht nur viel ärmer, sondern der Fortschritt zu
einem besseren Zustande — denn Fortschritte macht
es offenbar — scheint auch weit langsamer und träger
zu sein.
Der gesetzliche Zinsfuß in Frankreich ist im Laufe
des gegenwärtigen Jahrhunderts nicht immer nach dem
marktgängigen geregelt worden'''). Im Jahre 1720 wurde
der Zins vom zwanzigsten auf den fünfzigsten Pfennig,
oder von fünf auf zwei Prozent heruntergesetzt. 1724
wurde er auf den dreißigsten Pfennig oder 3V a " o,
1725 wieder auf den zwanzigsten Pfennig: oder 5 "/o
'■■■) Siehe Denisart, Article: Taux des Interets, toni. III. p. 18.
126 Ei'Ntes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
gesteigert. 1766 unter Laverdys Administration wurde
er auf den fünfundzvvanzigsten Pfennig oder 4 ° o
herabgesetzt. Der Abbe Terray erhöhte ihn nachher
auf den alten Satz von fünf vom Hundert. Der beab-
sichtigte Zweck vieler dieser gewaltsamen Zinsherab-
Setzungen war der, den Weg zu einer Zinsverminderung
der Staatsschulden zu bahnen, ein Zweck, der zuweilen
auch erreicht worden ist. Frankreich ist jetzt vielleicht
kein so reiches Land, als England, und obgleich der
gesetzliche Zinsfuß dort oft niedriger war, als in Eng-
land, so war der Marktsatz doch in der Regel höher;
denn, wie in andern Ländern, hat man dort sichere
und leichte Mittel, das Gesetz zu umgehen. Der Ge-
werbsgewinn ist, wie mir britische Kaufleute, die in
beiden Ländern Geschäfte trieben, versicherten, in
Frankreich höher, als in England, und hierin liegt ohne
Zweifel der Grund, warum viele britische Untertanen
es vorziehen, ihre Kapitalien in einem Lande anzulegen,
wo der Handel verachtet wird, anstatt in einem Lande,
wo er in hoher Achtung steht. Der Arbeitslohn ist in
Frankreich niedriger als in England. Wenn man von
Schottland nach England kommt, so deutet der Unter-
schied, den man zwischen der Kleidung und dem Aus-
sehen der gewöhnlichen Leute in dem einen und in dem
anderen Lande bemerkt, hinlänglich auf die Ungleichheit
ihrer Lage hin. Aber der Gegensatz ist noch größer,
wenn man aus Frankreich zurückkehrt. Frankreich, ob-
wohl ohne Zweifel ein reicheres Land als Schottland,
scheint nicht so schnell vorwärts zu schreiten. Es ist
eine verbreitete und sogar populäre Meinung im Lande,
daß es rückwärts gehe; eine Meinung, die, wie ich
glaube, selbst in Bezug auf Frankreich unbegründet
ist, in Bezug auf Schottland aber unmöglich von Je-
mand gehegt werden kann, der dieses Land jetzt sieht,
und es vor zwanzig oder dreißig Jahren gesehen hat.
Holland andrerseits ist nach Verhältnis seiner Ge-
Kap. TX.: Der Kapitalgewinn. 127
bietsausdehnung und Volkszahl ein reicheres Land als
England. Die Regierung borgt dort zu zwei, und Pri-
vatleute mit gutem Kredit zu drei Prozent. Der Ar-
beitslohn soll in Holland höher als in England sein, und
der Holländer handelt, wie bekannt, mit geringerem
Gewinn, als irgend Jemand in Europa. Manche haben
behauptet, daß Hollands Handel im Verfall sei, und
von einigen Geschäftszweigen mag dies vielleicht richtig
sein. Allein jene Symptome scheinen hinreichend dafür
zu sprechen, daß der Verfall kein allgemeiner ist. Wenn
der Gewinn sich verringert, so sind die Kaufleute sehr
geneigt über Verfall der Geschäfte zu klagen, obwohl
die Verminderung des Gewinns die natürliche Folge ihres
Gedeihens, oder einer umfangreicheren Kapitalienver-
wendung in den Geschäften ist. Im letzten Kriege ge-
wannen die Holländer den ganzen Speditionshandel
Frankreichs, und sie haben noch jetzt einen großen
Teil davon in Händen. Ihr großer Besitz in franzö-
sischen und englischen Staatspapieren — von den
letzteren haben sie etwa vierzig Millionen, wie es heißt
— wobei ich jedoch eine starke Übertreibung vermute,
die großen Summen, welche sie in Ländern, wo der
Zinsfuß höher als in dem ihrigen steht, an Privatper-
sonen ausleihen, sind Umstände, welche ohne Zweifel
Überfluß an Kapital beweisen, indem dieses größer ge-
worden ist, als daß sie es mit erträglichem Gewinn in
den Geschäften ihres eigenen Landes anlegen könnten ;
aber sie beweisen nicht, daß diese Geschäfte abgenommen
haben. Wie das Kapital eines Privatmannes, das bei
einem Geschäfte gewonnen worden ist, für das Geschäft
zu groß werden und das Geschäft sich doch vergrößern
kann, so auch das Kapital einer großen Nation.
In unseren nordamerikanischen und westindischen
Kolonien ist nicht nur der Arbeitslohn, sondern auch
der Geldzins, und folglich der Kapitalgewinn höher
128 Erstes Buch: Zunalime in der Ertragskraft der Arbeit.
als in England. Sowohl der gesetzliche, als der markt-
gängige Zinsfaß schwankt in den verschiedenen Kolo-
nien zwischen sechs und acht Prozent. Hoher Arbeits-
lohn und hoher Kapitalgewinn sind indessen vielleicht
Dinge, die sich selten zusammenfinden, außer unter
den ganz besonderen Umständen in neuen Kolonien.
Eine neue Kolonie muß immer eine Zeit lang im Ver-
hältnis zu ihrer Gebietsausdehnung kapitalärmer und
im Verhältnis zum Umfang ihrer Kapitalien dünner
bevölkert sein, als andere Länder. Man hat mehr Land,
als Kapital vorhanden ist, es anzubauen. Was man hat,
wird deshalb nur auf die Kultur des fruchtbarsten und
günstigst gelegenen Landes, des Landes an der Seeküste
und an den Ufern schiffbarer Flüsse, verwendet. Auch
solches Land wird oft zu einem Preise verkauft, der
selbst unter dem Werte seiner wildwachsenden Produkte
steht. Das zum Kaufe und zur Verbesserung solchen
Landes angewandte Kapital muß einen sehr reichen Ge-
winn abwerfen und dadurch ermöglichen, sehr hohe
Zinsen zu zahlen. Seine rasche Anhäufung bei so ge-
winnreichen Anlagen macht es dem Pflanzer möglich,
die Zahl der arbeitenden Hände rascher zu vermehren,
als sie in einer neuen Niederlassung aufzutreiben sind.
Deshalb werden die vorhandenen Arbeitskräfte sehr
reichlich bezahlt. Wächst die Kolonie, so werden
die Kapitalgewinne stufenweise geringer. Wenn die
fruchtbarsten und bestgelegenen Ländereien alle in
Besitz genommen sind, so läßt sich aus der Kultur
der an Boden und Lage minder begünstigten nur ein
geringerer Gewinn ziehen, und für das in ihnen an-
gelegte Kapital kann nur geringerer Zins gezahlt werden.
In den meisten unserer Kolonien ist deshalb der gesetz-
liche wie der marktgängige Zinsfuß während des gegen-
wärtigen Jahrhunderts viel niedriger geworden. Je
mehr der lleichtum, die Kultur und die Bevölkerung
ivap. IX.: Der Kapitalgewinn. 129
zunahmen, desto mehr fiel der Zins. Der Arbeitslohn
aber sinkt nicht mit dem Kapitalgewinn. Die Nachfrage
nach Arbeit wächst mit der Vermehrung des Kapitals,
welchen Gewinn dasselbe auch erzielen mag; und ob-
gleich der letztere sinkt, kann das Kapital dennoch nicht
nur ohne Unterbrechung, sondern sogar noch schneller
zunehmen, als vorher. Es ist mit fleißigen Völkern, die
in der Erwerbung von Reichtümern fortschreiten, wie
mit fleißigen Einzelwesen; ein großes Kapital mit ge-
ringen Gewinnen wächst in der E-egel schneller, als ein
kleines Kapital mit großen Gewinnen. Geld, sagt das
Sprichwort, macht Geld. Hat man erst Etwas ge-
wonnen, so ist es oft leicht, mehr zu gewinnen. Die
große Schwierigkeit besteht darin. Etwas zu gewinnen.
Der Zusammenhang zwischen der Zunahme des Kapi-
tals und der der Gewei'bstätigkeit oder der Nachfrage
nach nützlicher Arbeit ist zum Teil bereits erklärt
worden, soll aber später bei der Besprechung der
Kapitalanhäufung noch ausführlicher behandelt werden.
Die Erwerbung eines neuen Gebietes, oder das
Aufkommen neuer Geschäftszweige kann zuweilen den
Kapitalgewinn, und mit ihm den Geldzins selbst in
einem Lande, welches im Erwerb von Reichtümern
rasch fortschreitet, in die Höhe treiben. Da das Kapital
des Landes dann für die hinzutretende Beschäftigung,
die sich durch solchen Erwerb den verschiedensten
Personen darbietet, nicht mehr hinreicht, so wird es
nur in denjenigen Geschäftszweigen angelegt, die den
größten Gewinn bringen. Ein Teil des Kapitals, das
früher in anderen Gewerben angelegt war, wird
diesen notwendig entzogen, um den neuen und gewinn-
reicheren zugewendet zu werden. In all jenen alten
Gewerben wird mithin der Wettbewerb geringer und
der Markt wird mit vielen Sorten von Gütern weniger
vollständig versorgt. Ihr Preis steigt notwendig mehr
Adam Smith, Volkswohlstand. I, 9
130 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
oder weniger, und liefert denen, die damit handeln,
einen größeren Gewinn, so daß sie auch zu höheren
Zinsen borgen können. Nach Beendigung des letzten
Krieges borgten nicht nur Privatleute mit bestem Kredit,
sondern auch einige der größten Handelsgesellschaften
in London gewöhnlich zu fünf Prozent, während sie
früher nicht mehr als vier oder vier und ein halb vom
Hundert zu geben pflegten. Es erklärt sich dies hin-
länglich aus dem durch unsere Erwerbungen in Nord-
amerika und Westindien entstandenen großen Zuwachs
von Gebiet und Handel, ohne daß man eine Verringe-
rung des Gesellschaftskapitals anzunehmen braucht.
Ein so starker Zuwachs neuer Geschäfte, die mit dem
alten Kapital betrieben wurden, mußte notwendig die
in vielen Geschäftszweigen, in denen die Konkurrenz
geringer und der Gewinn größer geworden war, an-
gelegte Kapitalmenge vermindern. Ich werde später
Gelegenheit haben, die Gründe anzugeben, die mich
zu dem Glauben bestimmen, daß der Kapitalvorrat
Großbritanniens sogar durch die enormen Ausgaben
des letzten Krieges nicht verringert worden ist.
Wie jedoch die Verringerung des Kapitalvorrats
der Gesellschaft, oder der zur Erhaltung der Gewerb-
tätigkeit bestimmten Fonds den Arbeitslohn ermäßigt,
so steigert sie den Kapitalgewinn und dadurch den
Geldzins. Infolge der Ermäßigung des Arbeitslohns
können die Eigentümer der in der Gesellschaft verblie-
benen Kapitalien ihre Waren mit geringeren Kosten
als früher auf den Markt bringen, und da zugleich we-
niger Kapital auf die Versorgung des Marktes verwendet
wird, als zuvor, so können sie sie teurer verkaufen.
Ihre Waren kosten sie weniger, und sie erhalten
mehr dafür. Da ihr Gewinn sich auf beiden Seiten
vermehrt, kann er auch hohe Zinsen zahlen. Die in
Bengalen und den übrigen britischen Niederlassungen
Kap. IX.: Der Kapitalgewinn. Igl
in Ostindien so schnell und leicht erworbenen großen
Reichtümer können uns davon überzeugen, daß in
diesen zu Grunde gerichteten Ländern der Arbeitslohn
ebenso niedrig ist, wie der Kapitalgewinn hoch. Der
Geldzins ist es verhältnismäßig ebenso. In Bengalen
leihen die Pächter oft zu vierzig, fünfzig und sechzig
Prozent Geld, und für die Rückzahlung wird die Ernte
des nächsten Jahres verpfändet. Wie die Gewinne, die
einen solchen Zins abwerfen können, fast die ganze
Rente des Grundbesitzers aufzehren müssen, so muß
auch ein so unmäßiger Wucher den größten Teil jener
Gewinne verschlingen. Vor dem Untergange der rö-
mischen Republik scheint ein wucherischer Zins der-
selben Art in den Provinzen unter der verderblichen
Verwaltung ihrer Prokonsuln etwas Gewöhnliches ge-
wesen zu sein. Der tugendhafte Brutus verlieh, wie
wir aus Ciceros Briefen erfahren, in Cypern Geld zu
achtundvierzig Prozent.
In einem Lande, das den vollen Reichtum erworben
hat, den es vermöge der Natur seines Bodens und Klimas
und vermöge seiner Lage gegen andere Länder erwerben
kann, das also nicht weiter fortschreitet, aber auch keine
Rückschritte macht, würde wahrscheinlich sowohl der
Arbeitslohn wie der Kapitalgev^inn sehr niedrig sein.
In einem, im Verhältnis zu seinem Gebiet und seinen
Kapitalien sehr dicht bevölkerten Lande wird die Kon-
kurrenz um Arbeit notwendiger Weise so groß sein,
um den Arbeitslohn auf das Niveau zu drücken, wo
er gerade noch hinreicht, die bisherige Anzahl von Ar-
beitern zu erhalten; und diese Anzahl kann, da das
Land schon vollkommen bevölkert ist, sich nicht weiter
vermehren. In einem, im Verhältnis zu all seinen Ge-
schäften vollkommen mit Kapital versehenen Lande
wird gerade so viel Kapital in jedem Gewerbszwoige
angelegt werden, als seine Natur und Ausdehnung zu-
132 Ei'stes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
läßt, und es wird der Wettbewerb so groß und folg-
lich der Gewinn so niedrig wie möglich sein.
Doch ist vielleicht bis jetzt noch kein Land zu
diesem Grade der Wohlhabenheit gelangt. China scheint
lange auf ein und demselben Punkte stehen geblieben
zu sein, und hatte wahrscheinlich schon längst das volle
Maß des Reichtums erreicht, das sich mit der Natur
seiner Gesetze und Einrichtungen verträgt. Allein
dieses Maß dürfte weit geringer sein, als es die Natur
seines Bodens, seines Klimas und seiner Lage unter
anderen Gesetzen und Einrichtungen wohl zuließe.
Wenn ein Land den auswärtigen Handel vernachlässigt
oder verschmäht, und die Schiffe fremder Nationen nur
in einen oder zwei seiner Häfen einlaufen läßt, so kann
es nicht eben so viele Geschäfte machen, als es unter
anderen Gesetzen und Einrichtungen machen könnte.
In einem Lande ferner, in dem zwar die Reichen oder
Eigentümer großerKapitalien große Sicherheit genießen,
die Armen aber oder die Eigentümer kleiner Kapitalien
fast gar keine, vielmehr jederzeit unter Vorwänden der
Rechtspflege den Plünderungen und Räubereien der
niederen Mandarinen ausgesetzt sind, kann die in den
verschiedenen Geschäftszweigen angelegte Kapitalmenge
niemals so groß sein, als die Natur und Ausdehnung der
Geschäfte es erlaubt. In jedem Geschäft muß die Unter-
drückung des Armen das Monopol des Reichen begrün-
den, der das ganze Geschäft an sich reißt und dadurch
sehr große Gewinne machen kann. Zwölf Prozent soll
demgemäß der übliche Geldzins in China sein, und
der gewöhnliche Kapitalgewinn muß groß genug sein,
um diesen hohen Zinsfuß möglich zu machen.
Ein Fehler im Gesetze kann bisweilen den Zinsfuß
weit über das Maß erhöhen, das der Zustand des Landes,
sein Reichtum oder seine Armut erfordert. Wenn das
Gesetz die Erfüllung von Verträgen nicht erzwingt, so
Kap. IX.: Der Kapitalgewinn. 133
setzt es alle Borger so ziemlich auf denselben Fuß mit
Bankerottierern oder Leuten von zweifelhaftem Kredit
in besser verwalteten Ländern. Die Ungewißheit, sein
Geld wieder zu bekommen, veranlaßt den Darleiher,
denselben Wucherzins zu fordern, der von Banke-
rottierern genommen zu werden pflegt. Unter den
Barbaren, die die westlichen Provinzen des römischen
Reichs überschwemmten, war die Erfüllung der Ver-
träge lange Zeit hindurch der Ehrlichkeit der kontra-
hierenden Teile überlassen. Die Gerichte ihrer Könige
mischten sich nur selten ein. Diesem Umstände mag
wohl zum Teil der hohe Zinsfuß beizumessen sein,
der in jenen alten Zeiten gewöhnlich war.
Verbietet das Gesetz den Zins völlig, so beseitigt
es ihn damit nicht. Viele Menschen müssen borgen, und
Niemand wird etwas verleihen, ohne eine Vergütung
für die Nutzung seines Geldes, wie sie nicht nur
dem Dienste, den es leisten kann, sondern auch der
Schwierigkeit und Gefahr, welche die Gesetzesumgehung
verursacht, entspricht. Den hohen Zinsfuß bei allen
muhamedanischen Völkern schreibt Montesquieu nicht
ihrer Armut, sondern teils jener Gefahr, und teils der
Schwierigkeit zu, Geld wieder zu bekommen.
Der niedrigste übliche Gewinnsatz muß immer
etwas größer sein, als zur Ausgleichung der zufälligen
Verluste, denen jede Kapitalanlage ausgesetzt ist, or-
fordert wird. Nur dieser Überschuß ist reiner oder Netto-
gewinn. Was Bruttogewinn genannt wird, schließt oft
nicht nur diesen Überschuß, sondern auch die zur Aus-
gleichung solcher außergewöhnlichen Verluste zurück-
gelegte Summe in sich ein. Der Zins, den der Borger
zahlen kann, richtet sich nur nach dem reinen Gewinn.
Der niedrigste übliche Zinsfuß muß in gleicher
Weise etwas höher sein, als zur Ausgleichung der zu-
fälligen Verluste, denen das Darleihen selbst bei ge-
134 Erstes Buch: Zunahme in der Ertr agskraft der Arbeit.
höriger Vorsicht ausgesetzt ist, orfordert wird. Wäre
er nicht höher, so könnte nur Mildtätigkeit oder Freund-
schaft zum Darleihen bewegen.
In einem Lande, das sein volles Maß des Reich-
tums erworben hätte, und in dem in jedem Geschäfts-
zweige die größte Kapitalmenge steckte, die darin an-
gelegt werden könnte, würde sowohl der gewöhnliche
Satz des reinen Gewinnes, als auch der marktgängige
Zinsfuß, der von jenem Gewinn bestritten werden muß,
so niedrig stehen, daß es nur den reichsten Leuten
möglich wäre, von den Zinsen ihres Geldes zu leben.
AVer nur ein kleines oder mittelmäßiges Vermögen be-
säße, sähe sich genötigt, die Beschäftigung seiner Ka-
pitalien selbst zu übernehmen; fast Jeder müßte ein
Geschäftsmann sein, oder irgend ein Gewerbe treiben.
Holland scheint sich diesem Zustand zu nähern. Es
ist dort gegen den guten Ton, nicht ein Geschäftsmann
zu sein. Die Notwendigkeit macht es fast Jedem zur
Gewohnheit, und die Gewohnheit bestimmt überall den
guten Ton. Wie es lächerlich ist, sich nicht wie die
anderen Leute zu kleiden, so ist es gewissermaßen
lächerlich, nicht wie sie beschäftigt zu sein Wie ein
Mann, der ein bürgerliches Gewerbe treibt, in einem
Lager oder einer Garnison eine schlechte Figur macht,
und sogar Gefahr läuft, verlacht zu wei'den, so geschieht
es einem Müßiggänger unter geschäftstätigen Leuten.
Der höchste übliche Gewinnsatz kann ein solcher
sein, daß er in dem Preise der meisten Waren Alles
verschlingt, was der Grundrente zufallen sollte, und nur
soviel übrig läßt, als zur Bezahlung der Arbeit, durch
welche die Waren hergerichtet und auf den Markt ge-
bi'acht werden, erforderlich ist, und zwar zu so geringer
Bezahlung, wie irgend möglich, nämlich wobei nur die
nackte Existenz des Arbeiters bestritten wird. Der Ar-
beiter muß stets auf die eine oder andere Art so lange
Kap. IX.: Der Kapitalgewinn. ^35
ernährt werden, wie er bei der Arbeit ist; aber der
Grundbesitzer braucht nicht immer seine Rente zu er-
halten. Die Gewinne der Geschäfte, welche die Bedien-
steten der ostindischen Kompagnie in Bengalen treiben,
dürften nicht weit von diesem Satze entfernt sein.
Das Verhältnis, in welchem der marktgängige Zins-
fuß zu dem gewöhnlichen Satz des Reingewinns stehen
muß, ändert sich notwendig je nach dem Steigen oder
Fallen des Gewinns. Doppelte Zinsen werden von den
Kauflouten in Grossbritannien als ein guter, massiger,
billiger Gewinn angesehen, — Ausdrücke, mit denen
man nur einen gewöhnlichen und üblichen Gewinn meint.
In einem Lande, wo der gewöhnliche Satz des Reinge-
winns acht bis zehn Prozent beträgt, mag es billig sein,
daß bei Geschäften, die mit erborgtem Gelde getrieben
werden, die Hälfte des Reingewinns als Zins abgeht.
Das Risiko der Kapitalseinlage trägt der Borger, der es
dem Darleiher so zu sagen versichert; und vier oder
fünf Prozent können in den meisten Geschäften ein hin-
länglicher Gewinn für die Gefahr dieser Versicherung,
sowie eine ausreichende Entschädigung für die Mühe der
Beschäftigung des Kapitals sein. Indessen kann das Ver-
hältnis zwischen den Zinsen und dem Reingewinn in
Ländern, wo der gewöhnliche Gewinnsatz entweder viel
niedriger oder viel höher ist, nicht das nämliche sein.
Ist er viel niedriger, so kann für den Zins vielleicht
nicht die Hälfte des Reingewinns bewilligt weiden ; ist
er viel höher, so kann weit mehr gegeben werden.
In Ländern, die schnell zu Reichtum gelangen,
kann der niedrige Gewinnsatz dem hohen Arbeitslohn
in dem Preise vieler Waren das Gegengewicht halten,
und diese Länder instand setzen, ebenso wohlfeil zu
verkaufen, als ihre weniger aufblühenden Nachbarn,
bei denen der Arbeitslohn niedriger ist.
In der Tat tragen hohe Gewinne viel mehr zur
Erhöhung des Warenpreises bei, als hoher Arbeitslohn.
136 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Wenn z. B. in der Leinenmanufaktur der Lohn der ver-
schiedenen Arbeiter, der Flachszurichter, der Spinner,
der Wober usw. um 2 Pence täglich erhöht wird, so
braucht der Preis eines Stückes Leinwand nur so vielmal
um zwei Pence erhöht zu werden, als die Zahl der da-
mit beschäftigten Leute, multipliziert mit der Zahl der
dabei zugebrachten Tage beträgt. Derjenige Teil des
Warenpreises, welcher sich in Arbeitslohn auflöst, würde
durch alle Stufen der Bearbeitung nur nach arithmeti-
schem Verhältnis zu jener Lohnerhöhung steigen. Wenn
dagegen die Gewinne aller Arbeitgeber um fünf Prozent
steigen sollten, würde derjenige Teil des Warenpreises,
der sich in Gtewinn auflöst, durch alle Stufen der Bear-
beitung im geometrischen Verhältnis zu jener Gewinn-
erhöhung steigen. Der Arbeitgeber der Flachszurichter
würde beim Verkauf seines Flachses einen weiteren Ge-
winn von fünf Prozent auf den ganzen Wert des Ma-
terials und des den Arbeitern vorgeschossenen Lohns
fordern. Der Arbeitgeber der Spinner würde sowohl auf
den vorgeschossenen Preis des Flachses, wie auf den
Lohn der Spinner weitere fünf Prozent, und der Arbeit-
geber der Weber auf den vorgeschossenen Preis des
Leinengarns und den Lohn der Weber ebenfalls fünf
Prozent haben wollen. Das Steigen des Arbeitslohns
wirkt auf die Erhöhung des Warenpreises ebenso, wie
einfache Zinsen auf die Anhäufung einer Schuld; das
Steigen des Gewinnes aber wirkt wie Zinseszins. Unsere
Kaufleute und Fabrikherren klagen viel über die
schlimmen Wirkungen der hohen Löhne auf die P]rhö-
hung der Preise und die daraus folgende Verminderung
des Absatzes im In- und Auslande. Sie sagen aber
Nichts von den schlimmen Wirkungen hohen Kapital-
gewinns. Von den verderblichen Folgen der Vorteile,
die ihnen zufließen, schweigen sie und klagen nur über
die, die anderen zufallen.
Zehntes Kapitel.
Lohn und Gewinn in den verschiedenen
Verwendungen der Arbeit und des Kapitals.
Im Ganzen müssen die Vorteile oder Nachteile
bei den verschiedenen Verwendungen der Arbeit und
des Kapitals in der nämlichen Gegend entweder ganz
gleich sein, oder doch beständig nach Ausgleichung
streben. Wäre in der nämlichen Gegend irgend eine
Vervv^endung offenbar mit mehr oder weniger Vorteil
verknüpft, als die übrigen Verwendungen, so würden
in dem einen Falle sich so viele Leute dazu drängen,
und in dem andern so viele sie aufgeben, daß ihre
Vorteile bald auf das Niveau der übrigen kämen.
Dies würde wenigstens in einer Gesellschaft der Fall
sein, wo man den Dingen ihren natürlichen Lauf
ließe, wo vollkommene Freiheit waltete, und wo es
Jedermann frei stände, sowohl seine Beschäftigung
nach Belieben zu wählen, wie sie so oft zu wechseln,
als es ihm gut dünkt. Jeden würde sein Interesse
bestimmen, vorteilhafte Geschäfte zu suchen und un-
vorteilhafte zu meiden.
Geldlohn und Geldgewinn sind freilich in Europa
überall je nach den verschiedenen Verwendungen von
Arbeit und Kapital äußerst verschieden. Allein diese
Verschiedenheit rührt teils von gewissen Umständen in
den Verwendungen selbst her, die entweder wirklich
oder wenigstens in der Einbildung der Einzelnen bei
138 Erstes Buch: Ziinahine in der Ertragskraft der Arbeit.
den P]inen den geringen Geldgewinn ersetzen, und
bei den Anderen einen großen Geldgewinn aufwiegen;
teils von der Politik Europas, die nirgends den Dingen
vollständige Freiheit läßt.
Die gesonderte Betrachtung dieser Umstände und
jener Politik scheidet dieses Kapitel in zwei Abteilungen.
Erste Abteilung.
Verschiedenheiten, die aus der Natur der Verwendungen
selbst entspringen.
Die folgenden fünf Umstände sind es, soweit ich
beobachten konnte, hauptsächlich, die einen geringen
Geldgewinn in einigen Geschäften ersetzen, und einen
großen in anderen aufwiegen: erstens die Annehmlich-
keit oder Unannehmlichkeit der Geschäfte selbst; zwei-
tens die Leichtigkeit und Wohlfeilheit, oder die Schwie-
rigkeit und Kostspieligkeit, sie zu erlernen ; drittens
die Beständigkeit oder Unbeständigkeit der Arbeit in
ihnen; viertens das geringe oder große Vertrauen,
welches man auf die Leute setzen muß, die das Ge-
schäft ausüben, und fünftens die Wahrscheinlichkeit
oder Unwahrscheinlichkeit eines Erfolgs in ihnen.
Erstens, der Arbeitslohn schwankt, je nachdem das
Geschäft leicht oder schwer, reinlich oder unreinlich,
ehrenvoll oder verachtet ist. So verdient an den meisten
Orten ein Schneidergeselle im ganzen Jahre weniger,
als ein Webergeselle: weil seine Arbeit leichter ist. Ein
Webergeselle verdient weniger, als ein Schmiedegeselle:
weil seine Arbeit zwar nicht immer leichter, aber viel
reinlicher ist. Ein Schmiedogeselle, obgleich ein ge-
lernter Handwerker, verdient in zwölf Stunden kaum
so viel, wie ein Bergmann, der nur ein Tagelöhner ist,
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durcli die Natur d. Verwendg. 139
in acht: weil seine Arbeit nicht ganz so schmutzig
und weniger gefährlich ist, auch bei Tageslicht und
über der Erde verrichtet wird. Die Ehre macht bei
allen ehrenvollen Gewerben ein gut Teil der Belohnung
aus. Vom Gresichtspunkte des Geldgewinns werden
sie, wie ich gleich zeigen werde, im Allgemeinen zu
schlecht bezahlt. Die Anrüchigkeit hat eine entgegen-
gesetzte Wirkung. Das Gewerbe eines Fleischers hat
etwas Rohes und Abstoßendes; aber es ist an den
meisten Orten gewinnbringender, als die meisten anderen
Geschäfte. Das abscheulichste von allen Geschäften,
das des Scharfrichters, wird im Verhältnis zu der
Arbeitsmenge, die es erfordert, besser bezahlt, als
ii'gend ein anderes gewöhnliches Geschäft.
Jagd und Fischfang, die wichtigsten Beschäftigun-
gen der Menschen im rohen Zustande der Gesellschaft,
werden im zivilisierten Zustande ihre angenehmsten
Vergnügungen, und sie treiben dann zum Zeitvertreib,
was sie früher aus Not taten. Im gesitteten Zustande
der Gesellschaft sind es deshalb nur Arme, die aus
dem, was Anderen zum Zeitvertreib dient, ein Ge-
weibe machen. Die Fischer waren arm seit der Zeit
Theokrits.*) Ein Wildschütz in Großbritannien ist
stets ein ganz armer Mann. In allen Ländern, wo die
Strenge der Gesetze keine "Wildschützen duldet, befindet
sich der berechtigte Jäger in keiner viel besseren Lage.
Aus natürlicher Lust an diesen Beschäftigungen wid-
men sich ihnen mehr Menschen, als bequem davon
leben können, und das Produkt ihrer Arbeit kommt
im Verhältnis zu ihrer Menge immer zu wohlfeil zu
Markte, um den Arbeitern mehr als das kärglichste
Auskommen zu verschaffen.
Widerwärtigkeit und Anrüchigkeit des Geschäfts
berührt den Kapitalgewinn ebenso, wie den Arbeitslohn.
*) S. Idylle 21.
140 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragski-aft der Arbeit.
Der Inhaber einer Schenke oder Kneipe, der nie Herr
in seinem eigenen Hanse und der Brutalität jedes
Trunkenbolds ausgesetzt ist, treibt weder ein sehr
angenehmes, noch ein sehr geachtetes Geschäft. Aber
es gibt kaum ein gewöhnliches Gewerbe, bei dem ein
kleines Kapital so großen Gewinn abwirft.
Zweitens, der Arbeitslohn schwankt je nach der
Leichtigkeit und Wohlfeilheit, oder der Schwierigkeit
und Kostspieligkeit, das Geschäft zu erlernen.
Wenn eine kostspielige Maschine errichtet ist, wird
die durch sie gelieferte ungemein umfangreiche Arbeit
das für ihre Herstellung bis zu ihrer Abnutzung aus-
gelegte Kapital wenigstens mit den gewöhnlichen Ge-
winnen wieder ersetzen müssen. Ein Mensch, der mit
viel Arbeit und Zeit zu einem der Geschäfte erzogen
wurde, die ungewöhnliche Fertigkeit und Geschicklich-
keit erfordern, kann mit einer solchen kostspieligen
Maschine verglichen Averden. Die erlernte Arbeit wird,
wie zu erwarten ist, ihm über den üblichen Lohn für
gemeine Arbeit alle Kosten seiner Erziehung wenigstens
mit dem gewöhnlichen Gewinn eines gleich wertvollen
Kapitals wieder ersetzen. Auch muß dies in Anbe-
tracht der höchst Ungewissen Dauer des menschlichen
Lebens, wie der gewisseren Dauer einer Maschine, in
angemessener Zeit geschehen.
Der Unterschied zwischen den Löhnen erlernter
und gewöhnlicher Arbeit beruht auf diesem Grundsatze.
Die europäische Gewerbepolitik betrachtet die Ar-
beit aller Künstler, Handw-erker und Fabrikarbeiter als
gelernte Arbeit, und die der ländlichen Arbeiter als ge-
meine Arbeit. Hierbei scheint vorausgesetzt zu werden,
daß die Arbeit der Ersteren eigener und feiner sei, als
die der Letzteren. In manchen Fällen mag es so sein,
in den meisten aber ist es, w'ie ich sogleich zeigen werde,
ganz anders. Die europäischen Gesetze und Gewohn-
Kap. X,T.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwendg. 141
heiten legen daher, um Jemanden zur Ausübung der
einen Art von Arbeit zu befähigen, ihm den Zwang
einer Lehrzeit auf, obwohl nicht überall mit gleicher
Strenge. Die andere Ait Arbeit lassen sie für Jeder-
mann frei und offen. Während der Dauer der Lehrzeit
gehört die ganze Arbeit des Lehrlings dem Meister.
Häufig muß er auch von seinen Eltern oder Verwandten
beköstigt, und fast immer von ihnen gekleidet werden.
Auch wird dem Meister gewöhnlich eine Geldsumme
dafür bezahlt, daß er ihn sein Gewerbe lehrt. Wer kein
Geld geben kann, gibt Zeit, d. h. er bindet sich auf
mehr als die gewöhnliche Zahl von Jahren — ein Ab-
kommen, das zwar wegen der gewöhnlichen Trägheit
der Lehrlinge für den Meister nicht immer von Vorteil,
für den Lehrling aber stets von Nachteil ist. In der
ländlichen Arbeit erlernt dagegen der Arbeiter, während
er mit den leichteren Teilen des Geschäfts zu tun hat,
seine schwereren Teile und verdient auf allen Stufen
seiner Beschäftigung durch eigene Arbeit seinen Unter-
halt. Darum ist es auch billig, daß in Europa der
Lohn der Künstler, Handwerker und Fabrikarbeiter
etwas höher sei, als der der gemeinen Arbeiter. Er ist
es auch in der Tat, und wegen ihres größeren Ge-
winnes sieht man die städtischen Arbeiter vielfach als
eine höhere Volksklasse an. Doch ist der Vorrang ge-
wöhnlich sehr gering; der tägliche oder wöchentliche
Verdienst eines Gesellen in den gewöhnlichen Gewerbs-
zweigen, wde z. B. in den Fabriken der groben Leinen-
und Wollenzeuge, beträgt an den meisten Orten durch-
schnittlich wenig mehr, als der Tagelohn gemeiner
Arbeiter. Freilich ist ihre Beschäftigung stetiger und
gleichmäßiger, und die Summe ihres Verdienstes mag,
das ganze Jahr zusammengenommen, etwas größer
sein. Aber höher scheint sie sich offenbar nicht zu be-
laufen, als daß sie gerade die höhereu Kosten der
Ausbildung deckt.
|4^ Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
In den freien Künsten und gelehrten Berufsarten
ist die Erziehung noch langwieriger und kostspieliger.
Die Belohnung der Maler und Bildhauer, der Juristen
und Arzte in Geld muß deshalb eine viel reichlichere
sein, und ist es in der Tat.
Der Grewinn des Kapitals scheint durch die Leich-
tigkeit oder Schwierigkeit der Erlernung des Geschäfts,
in das Kapital gesteckt wird, nur sehr wenig berührt
zu werden. Die verschiedenen Arten, wie Kapital in
großen Städten gewöhnlich angelegt wird, scheinen
in der Tat fast gleich leicht oder gleich schwer zu er-
lernen. Der eine Zweig des auswärtigen oder inneren
Handels kann nicht wohl ein verwickelteres Geschäft
sein, als der andere.
Drittens, der Arbeitslohn in den verschiedenen
Beschäftigungen schwankt je nach der Beständigkeit
oder Unbeständigkeit der Beschäftigung.
Die Beschäftigung ist in einem Gewerbe viel be-
ständiger, als in anderen. In den meisten Gewerben
kann ein Geselle fast sicher sein, alle Tage des
Jahres Beschäftigung zu finden, wenn er arbeitsfähig
ist. Ein Maurer dagegen kann weder bei hartem
Frost, noch bei schlechtem Wetter arbeiten, und seine
Beschäftigung hängt zu allen andern Zeiten von den
zufälligen Bestellungen seiner Kunden ab; er ist folg-
lich oft der Gefahr ausgesetzt, ohne Arbeit zu sein.
Sein Verdienst, so lange er beschäftigt ist, muß ihm
daher nicht nur für die Zeit, in der er nichts zu
tun hat, den Unterhalt verschaffen, sondern ihn auch
einigermaßen für jene Augenblicke der Angst und
des Kleinmuts schadlos halten, die der Gedanke an
eine so prekäre Lage bisweilen in ihm erwecken
muß. Während demgemäß der Gesamtverdienst der
meisten industriellen Arbeiter auf den Tag berechnet
nicht viel mehr als den Tagelohn gemeiner Arbeit
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Yerwendg. 143
beträgt, ist der Lohn der Maurer gewöhnlich anderthalb
oder noch einmal so hoch. Wo gemeine Arbeiter vier
oder fünf Schilling die Woche verdienen, verdienen
Maurer oft sieben bis acht; wo die ersteren sechs,
da verdienen die letzteren oft neun bis zehn, und wo
die ersteren neun bis zehn verdienen, wie in London,
verdienen die letzteren in der Regel fünfzehn bis
achtzehn. Dennoch scheint keine Art gelernter Arbeit
leichter zu erlernen, als die der Maurer. In London
sollen zuweilen die Sänftenträger während des Sommers
als Maurer beschäftigt sein. Mithin ist der hohe Lohn
dieser Arbeiter nicht sowohl eine Belohnung für ihre
(xeschicklichkeit, als eine Entschädigung für die Un-
beständigkeit ihres Erwerbs.
Ein Zimmermann scheint noch eher ein eigneres
und künstlicheres Gewerbe zu treiben, als ein Maurer.
Dennoch ist sein Tagelohn an den meisten Orten etwas
niedriger. Seine Beschäftigung hängt zwar auch stark
von den zufälligen Bestellungen seiner Kunden ab, aber
doch nicht so völlig, und ist der Gefahr nicht ausge-
setzt, durch das Wetter unterbrochen zu werden.
Wenn Gewerbe, die in der Regel unausgesetzte
Beschäftigung bieten, dies an bestimmten Orten nicht
tun, so steigt der Lohn der Arbeiter immer ein gut
Teil über ihr gewöhnliches Yerhältnis zum Lohn ge-
meiner Arbeit. In London können fast alle Handwerks-
gesellen gerade so wie Tagelöhner an anderen Orten,
von ihren Meistern von Tag zu Tag oder von Woche
zu Woche angenommen oder entlassen werden. Die
niedrigste Klasse der Handwerker, die Schneiderge-
sellen, verdienen demgemäß dort eine halbe Krone
(2^/2 Schilling) täglich, während als Tagelohn für ge-
meine Arbeit nur achtzehn Pence gerechnet werden.
In kleinen Städten und auf dem Lande kommt der
Lohn der Schneidergesellen oft kaum dem für gemeine
144 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertrag'skraft der Arbeit.
Arbeit gleich; in London aber sind sie oft viele
Wochen ohne Beschäftigung, besonders im Sommer.
Wenn zu der Unbeständigkeit der Beschäftigung
noch die Schwierigkeit, Unannehmlichkeit und Unrein-
lichkeit der Arbeit kommt, so erhöht dies bisweilen den
Lohn der gemeinsten Arbeit über den der geschicktesten
Handwerker. Ein Bei'gmann, der im Gedinge arbeitet,
soll in Newcastle gewöhnlich doppelt, und in manchen
Teilen Schottlands dreimal so viel verdienen, als der
Tagelohn für gemeine Arbeit beträgt. Sein hoher Lohn
entspringt aus der Schwierigkeit, Unannehmlichkeit und
Unreinlichkeit seiner Arbeit zugleich. Die Dauer seiner
Beschäftigung hängt dagegen fast ganz von ihm selbst
ab. Die Kohlenträger in London treiben ein Geschäft,
das an Schwierigkeit, Schmutz und Unannehmlichkeit
dem der Bergleute fast gleichkommt, und ihre Beschäf-
tigung ist wegen der unvermeidlichen Unregelmäßig-
keit im Anlangen der Kohlenschiffe meist sehr unbe-
ständig. Wenn daher die Bergleute doppelt und drei-
mal so viel verdienen, als für gemeine Arbeit bezahlt
wird, so dürfte es nicht unbillig erscheinen, daß Kohlen-
träger zu Zeiten vier bis fünfmal so viel verdienen.
In der Untersuchung, welche man vor einigen Jahren
über ihre Lage anstellte, ergab sich, daß sie nach dem
Satze, nach welchem sie damals bezahlt wurden, sechs
bis zehn Schiling des Tages verdienen konnten. Sechs
Schilling sind etwa viermal soviel, wie der Lohn für
gemeine Arbeit in London, und in jedem Geschäft
kann der niedrigste gewöhnliche Verdienst stets als
der der Mehrzahl angesehen werden. So übermäßig
jener Verdienst auch erscheinen mag, so würde doch,
wenn er mehr als hinreichend wäre, um alle die un-
angenehmen Umstände des Geschäfts auszugleichen, in
einem Gewerbe, das kein ausschließliches Privilegium
hat, bald ein so großer Zufluß von Mitbewerbern ein-
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwendg. 145
treten, daß der Verdienst bald auf einen niedrigeren
Satz zurückschnellen würde.
Die Beständigkeit oder Unbeständigkeit der Be-
schäftigung kann auf den gewöhnlichen Kapitalgewinn
in einem Geschäftszweige keinen Einfluß üben. Ob das
Kapital beständig verwendet wird oder nicht, hängt
nicht vom Geschäft, sondern vom Geschäftstreibenden ab.
Viertens, der Arbeitslohn schwankt je nach dem
größeren oder geringeren Vertrauen, das in den Ar-
beiter gesetzt werden muß.
Der Lohn der Goldschmiede und Juweliere ist
überall höher, als der vieler anderer Arbeiter, nicht
allein von gleicher, sondern von weit höherer Be-
gabung: nämlich wegen der kostbaren Materialien, die
ihnen anvertraut werden.
Dem Arzte vertrauen wir unsere Gesundheit, dem
Sachwalter und Advokaten unser Vermögen und mit-
unter unser Leben und unsern guten Ruf an. Ein
solches Vertrauen könnte man nicht mit Sicherheit
auf Leute setzen, die sich in einer sehr mittelmäßigen
oder schlechten Lage befinden. Darum muß ihre
Belohnung der Art sein, daß sie ihnen den gesell-
schaftlichen Rang verschafft, den ein so großes Ver-
trauen erfordert. Wird zu diesem Umstände noch die
lange Zeit und die Kostspieligkeit ihrer Erziehung
gerechnet, so muß dies notwendig den Preis ihrer
Arbeit noch mehr erhöhen.
Legt Jemand nur sein eigenes Kapital in einem
Geschäfte an, so kann von einem in ihn gesetzten Ver-
trauen keine Rede sein, und der Kredit, den er bei
anderen Leuten findet, hängt nicht von der Natur
seines Geschäfts, sondern von der Meinung ab, welche
sie von seinem Glück, seiner Rechtschaffenheit und
Klugheit hegen. Die verschiedenen Gewinnsätze in den
verschiedenen Geschäftszweigen können also nicht aus
Adam S in i Mi . Volkswuhlstaml. I. 10
146 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
den verschiedenen Graden des Vertrauens entspringen,
das man auf die Greschäftstreibenden setzt.
Fünftens, der Arbeitslohn in den mancherlei Be-
schäftigungen schwankt je nach der Wahrscheinlichkeit
oder UnWahrscheinlichkeit des Erfolgs in ihnen.
Die Wahrscheinlichkeit, daß Jeder zu dem Ge-
schäft, das er erlernt hat, sich auch befähigt zeigen
werde, ist in den verschiedenen Erwerbszweigen sehr
verschieden. Bei den meisten Handwerkern ist der Er-
folg fast sicher; äußerst unsicher hingegen ist er in
den freien Berufsarten. Gieb deinen Sohn zu einem
Schuhmacher in die Lehre, und es unterliegt kaum
einem Zweifel, daß er ein Paar Schuhe machen lernen
wird; laß ihn aber die Rechte studieren, und es steht
zwanzig gegen eins, ob er so weit kommen wird, von
seinem Beruf leben zu können. In einer ganz ehrlichen
Lotterie müßten die, welche die Treffer ziehen, den
ganzen Verlust derer, auf die die Nieten fallen, ge-
winnen. In einer Berufsart, wo zwanzig ihr Ziel ver-
fehlen, während nur Einer es erreicht, müßte dieser
Eine alles gewinnen, was die verunglückten Zwanzig
gewonnen haben sollten. Der Anwalt, der vielleicht
erst im vierzigsten Jahre anfängt, aus seinem Beruf
einigen Erwerb zu ziehen, würde die Vergütung nicht
allein für seine eigene so langwierige und kostspielige
Erziehung, sondern auch für die der zwanzig Andern
erhalten müssen, die wahrscheinlich niemals durch ihren
Beruf etwas erwerben werden. So übermäßig auch die
Gebühren des Anwalts zuweilen erscheinen mögen, so
erreicht ihre wirkliche Bezahlung doch niemals diese
Höhe. Man berechne für einen bestimmten Ort, wie
viel die Arbeiter in einem gewöhnlichen Geschäft, z. B.
in dem Schuhmacher- oder Weberhandwerk jährlich
ungefähr gewinnen, und wie viel sie jährlich ausgeben,
so wird man finden, daß die erstere Summe gewöhn-
lich prößor ist, als die letztere. Man mache aber die-
Kap. X,T.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwende,-. 147
selbe Berechnung bei allen Anwälten und denen, die
es werden wollen, und man wird finden, daß ihre
jährlichen Gewinne zu ihren jährlichen Ausgaben in
umgekehrtem Verhältnis stehen, auch wenn man die
ersteren so hoch und die letzteren so niedrig als möglich
anschlägt. Folglich ist die Lotterie der Juristerei sehr
weit davon entfernt, eine ganz ehrliche Lotterie zu
sein; und dieser wie viele andere freie und ehrenvolle
Berufe werden vom Gesichtspunkte des Goldgewinns
aus offenbar zu schlecht bezahlt.
Diese Berufsarten halten gleichwohl den übrigen
die Wage, und die besten und strebsamsten Köpfe
drängen sich trotz dieser entmutigenden Umstände mit
Eifer zu ihnen. Zu ihrer Empfehlung dient zweierlei:
erstens das Yerlangen nach dem Ansehen, welches
denen zu Teil wird, die es in ihrem Beruf zu etwas
Hervorragendem bringen, und zweitens das natürliche
Vertrauen, das Jeder mehr oder weniger auf seine
Fähigkeiten und sein gutes Glück setzt.
In einem Berufe hervorzuragen, in welchem es
nur Wenige zur Mittelmäßigkeit bringen, ist der ent-
scheidendste Beweis von dem, was man Genie oder
höhere Talente nennt. Die allgemeine Bewunderung,
die so hervorragenden Fähigkeiten zu Teil wird, macht
immer, je nach dem Grade des Ansehens, einen größe-
ren oder kleineren Teil ihrer Belohnung aus. Einen
erheblichen Teil der Belohnung bildet sie in dem Be-
rufe eines Arztes; einen noch größeren vielleicht in
dem eines Anwalts; beinahe die ganze Belohnung aber
macht sie bei Dichtern und Philosophen aus.
Es gibt einige höchst angenehme und schöne Ta-
lente, die ihrem Besitzer eine gewisse Bewunderung
eintragen, deren Ausübung für Geld aber, sei es mit
B-echt oder aus Vorurteil, für eine Art von öffentlicher
Selbstentwürdigung angesehen wird. Darum muß der
148 Erstes Buch: Zunahme in der Ei-tra/^'skraft der Arbeit.
Geldlohn derjenigen, die von ihnen in dieser Weise
Gebrauch machen, groß genug sein, um sie nicht blos
für die auf die Ausbildung ihrer Talente verwendete
Zeit, Arbeit und Kosten, sondern auch für die Gering-
schätzung, welche mit ihrer Verwertung als Unterhalts-
mittel verknüpft ist, schadlos zu halten. Die über-
mäßigen Gehalte der Schauspieler, Opernsänger, Opern-
tänzer u. s. w. beruhen auf diesen beiden Gründen: auf
der Seltenheit und Schönheit ihrer Talente, und auf
der Geringschätzung, mit der man ihre Verwertung be-
trachtet. Es scheint beim ersten Anblick abgeschmackt,
daß wir ihre Personen verachten und ihre Talente doch
mit der verschwenderischsten Freigebigkeit belohnen.
Aber gerade, weil wir das Eine tun, müssen wir not-
wendig auch das Andere tun. Sollte sich einmal die
öffentliche Meinung oder das Vorurteil über diese Er-
werbsarten ändern, so würde sich ihre Geldbelohnung
bald verringern. Es würden sich dann mehr Leute
darauf legen, und der Wettbewerb würde den Preis der
Arbeit schnell herunterdrücken. Denn wenn solche
Talente auch durchaus nicht gewöhnlich sind, so sind
sie doch keineswegs so selten, als man es denkt. Viele,
die es verschmähen, davon Gebrauch zu machen, be-
sitzen sie in großer Vollkommenheit, und viele Andere
würden fähig sein, sie zu erwerben, wenn sich daraus
mit Ehren etwas erzielen ließe.
Der übertriebene Begriff der meisten Menschen
von ihren Fähigkeiten ist ein altes Übel, auf das von
den Denkern und Sittenlehrern aller Zeiten hingewiesen
wird. Ihre alberne Einbildung auf ihr gutes Glück hat
man weniger beachtet, und doch ist diese wo möglich
noch allgemeiner. Es gibt keinen Menschen, der, so
lange er leidlich gesund und wohlauf ist, nicht seinen
Teil davon hätte. Die Aussicht auf Gewinn wird von
Jedermann mehr oder weniger überschätzt, die Chance
Kap. X,l.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwendg. 149
des Verlustes aber von den Meisten zu gering und kaum
von irgend Jemandem, so lange er leidlich gesund und
wohlgemut ist, nach ihrem wahren Wert angeschlagen.
Daß die Aussicht auf Gewinn überschätzt wird,
kann man ans dem allgemeinen Erfolg der Lotterien
ersehen. Eine vollkommen ehrliche Lotterie, wobei der
ganze Gewinn dem ganzen Verlust gleichkommt, ist
nie dagewesen und wird nie vorkommen, sonst hätte
der Unternehmer keinen Vorteil davon. In den Staats-
lotterien sind die Lose tatsächlich den Preis nicht wert,
den die Abnehmer dafür zahlen, und dennoch werden
sie im Handel gewöhnhch noch mit einem Aufschlag
von zwanzig, dreißig und mitunter vierzig Prozent
verkauft. Die eitle Hoffnung, einen der großen Ge-
winne zu treffen, ist die alleinige Ursache dieser Nach-
frage. Selbst die nüchternsten Leute sehen darin selten
eine Torheit, eine kleine Summe für die Aussicht zu
bezahlen, daß man zehn oder zwanzig tausend Pfund
gewinnen kann, und doch weiß man, daß auch die
kleine Summe vielleicht zwanzig bis dreißig Prozent
mehr beträgt, als die Gewinnwahrscheinlichkeit wert
ist. In einer Lotterie, in welcher kein Gewinn mehr
als zwanzig Pfund betrüge, würde, auch wenn sie in
anderer Hinsicht einer vollkommen ehrlichen weit näher
käme, als die gewöhnlichen Staatslotterien, doch nicht
eine gleiche Nachfrage nach Losen stattfinden. Um
mehr Aussicht auf einen der großen Gewinne zu
haben, kaufen Manche mehrere Lose und Andere kleine
Anteile an vielen Losen. Und doch gibt es keinen ge-
wisseren mathematischen Satz, als den, daß die Wahr-
scheinlichkeit zu verlieren, um so größer ist, auf je
mehr Lose man setzt. Besetze alle Lose in der Lotterie,
und du wirst gewiß verlieren; und je größer die Zahl
deiner Lose ist, desto näher kommst du der Sicherheit
des Verlustes.
Daß die Verlustwahrscheinlichkeit oft zu gering
150 Krstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
und fast nie so hoch angeschlagen wird, als sie es
verdient, ersieht man aus dem sehr massigen Gewinne
der Versicherer. Soll das Versichern gegen Feuers-
oder Seegefahr überhaupt ein Geschäft sein, so muß
die gewöhnliche Prämie hinreichen, die gewöhnlichen
Verluste zu decken, die Kosten der Verwaltung zu
tragen und einen solchen Gewinn zu liefern, wie ihn
ein in jedem andern Geschäft angelegtes gleiches Ka-
pital abwerfen müßte. Wer nicht mehr als dies bezahlt,
bezahlt offenbar nur den wirklichen Wert der Gefahr,
oder den niedrigsten Preis, zu welchem diese zu ver-
sichern er billiger Weise erwarten kann. Wenn nun
aber auch Viele durch Versicherung einiges Geld ge-
wonnen haben, so haben doch nur sehr Wenige ein
großes Vermögen damit gemacht; und schon aus diesem
Umstände ergibt sich klar genug, daß die gewöhnliche
Bilanz von Gewinn und Verlust in diesem Geschäft
nicht vorteilhafter ist, als in anderen gewöhnlichen Ge-
werben, durch die so viele Leute Vermögen erwerben.
So mäßig auch die Versicherungsprämie gewöhnlich
ist, so schätzen doch Viele die Gefahr zu gering, als
daß sie Lust hätten, sie zu bezahlen. Im ganzen König-
reich sind durchschnittlich unter zwanzig Häusern neun-
zehn, oder vielleicht unter hundert neunundneunzig
gegen Feuersgefahr nicht versichert. Die Seegefahr ist
für die meisten Leute beunruhigender, und das Ver-
hältnis der versicherten zu den unversicherten Schiffen
ist weit größer. Dennoch gehen zu allen Jahreszeiten
und selbst in Kriegszeiten Viele ohne Versicherung in
See. Mitunter geschieht dies vielleicht nicht aus Un-
vorsichtigkeit. Wenn eine große Gesellschaft oder auch
ein reicher Kaufmann zwanzig oder dreißig Schiffe
auf dem Meere hat, so versichert so zu sagen eines
das andere. Die auf alle gesparte Prämie kann Ver-
luste, wie sie im gewöhnlichen Laufe der Dinge wahr-
scheinlich eintreten, reichlich ausgleichen. Aber in den
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Yerwendg. 151
meisten Fällen ist die Vernachlässigung der Versicherung
der Schiffe, gleich der der Häuser, nicht der Effekt
einer so feinen Berechnung, sondern lediglich gedanken-
lose oder vermessene Verachtung der Gefahr.
Die Verachtung der Gefahr und die vermessene
Hoffnung auf Erfolg sind in keiner Periode des Lebens
reger, als in dem Alter, in welchem junge Leute ihren
Beruf wählen. Wie wenig dann die Furcht vor Miß-
geschick imstande ist, der Hoffnung auf gutes Glück
die Wage zu halten, zeigt sich noch klarer in der Be-
reitwilligkeit gewöhnlicher Leute, sich als Soldaten oder
zum Seedienst einschreiben zu lassen, als in dem Eifer
junger Leute besseren Standes, in die sogenannten
freien Berufsarten einzutreten.
Was ein gemeiner Soldat verlieren kann, ist deut-
lich genug. Dennoch lassen sich junge Freiwillige,
ohne der Gefahr zu achten, zu keiner Zeit so gern
anwerben, als beim Beginn eines neuen Krieges ; und
obgleich sie kaum irgend welche Aussicht auf Beför-
derung haben, spiegeln sie sich in ihrer jugendlichen
Phantasie doch tausend Gelegenheiten, Ehre und Aus-
zeichnung zu gewinnen, vor, die niemals eintreffen.
Diese romantischen Hoffnungen sind der ganze Preis,
für den sie ihr Blut verkaufen. Ihr Sold ist geringer,
als der Lohn gewöhnlicher Arbeiter, und im aktiven
Dienst sind ihre Beschwerden weit größer.
Die Lotterie der Marine ist nicht ganz so unvor-
teilhaft, als die des Landdienstes. Der Sohn eines ge-
achteten Arbeiters oder Handwerkers geht oft mit väter-
licher Einwilligung zur See; läßt er sich aber als Soldat
anwerben, so geschieht es immer ohne sie. Auch aiider-e
Leute sehen einige Möglichkeit, im ersten Beruf Glück
zu machen; im andern sieht Keiner, als allein der Be-
treffende, eine solche Chance. Der große Admiral ist
weniger ein Gegenstand öffentlicher Bewunderung, als
152 Erstes Buch: Zunalmie in der Ertragskraft der Arbeit.
der große General, und der glücklichste Erfolg im See-
dienst verspricht ein weniger glänzendes Vermögen
und Ansehen, als ein gleicher Erfolg auf dem Lande.
Derselbe Unterschied zieht sich durch alle unteren
Rangstufen beider Dienste. Nach den Ranglisten steht
ein Kapitän in der Flotte einem Obersten in der Armee
gleich; aber in der gemeinen Schätzung steht er ihm
nicht gleich. Da die großen Gewinne in der Lotterie
geringer sind, müssen die kleineren desto zahlreicher
sein. Daher gewinnen auch gemeine Matrosen öfter
einiges Vermögen und Beförderung, als gemeine Sol-
daten; und die Hoffnung auf diese Gewinne ist es, was
dieses Gewerbe hauptsächlich empfiehlt. Obgleich die
Geschicklichkeit und Fertigkeit der gemeinen Matrosen
weit größer ist, als die fast jedes Handwerkers, und
obgleich ihr ganzes Leben eine fortlaufende Reihe von
Mühseligkeiten und Gefahren ist, erhalten sie doch, so
lange sie gemeine Matrosen bleiben, für alle diese Ge-
schicklichkeit und Fertigkeit, für alle diese Mühselig-
keiten und Gefahren kaum eine andere Belohnung, als
das Vergnügen, jene üben und diese überwinden zu
können. Ihr Lohn ist nicht größer, als der gemeiner
Arbeiter an dem Hafen, in dem der Lohn des Matrosen
bedungen wird. Da sie beständig von Hafen zu Hafen
gehen, so gleichen die monatlichen Löhne derer, welche
aus allen Häfen Großbritanniens absegeln, einander viel
mehr als der Lohn anderer Arbeiter an diesen ver-
schiedenen Orten; und der Lohnsatz des Hafenplatzes,
von und nach welchem die meisten segeln, d. h. des
Hafens von London, bestimmt den Satz für alle übrigen.
In London beträgt der Lohn der meisten Arbeiter-
klassen etwa das Doppelte des Lohns, den sie in Edin-
burg erhalten. Aber die Matrosen, die aus dem Hafen
von London segeln, verdienen selten über drei oder
vier Schilling monatlich mehr, als die, Avelcho aus dem
Hafen von Leith abfahren, und oft ist der Unterschied
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwcndg. 153
nicht einmal so groß. In Friedenszeiten und in der
Handelsmarine schwankt der Londoner Preis zwischen
einer Guinee und etwa siebenandzwanzig Schilling für
den Kalendermonat. Ein gemeiner Arbeiter kann in
London, nach dem Satze von neun oder zehn Schilling
die "Woche, zwischen vierzig und fünf und vierzig Schil-
ling im Kalendermonat verdienen. Freilich erhält der
Matrose außer seinem Lohn noch Kost; aber ihr "Weit
wird wohl nicht immer den Unterschied zwischen
seiner Bezahlung und der gemeiner Arbeiter über-
steigen, und wenn es mitunter der Fall, ist dieses
Mehr doch für den Matrosen kein reiner Gewinn, weil
er es nicht mit Weib und Kind teilen kann, die er
daheim von seinem Lohne erhalten muß.
Die dem Abenteurerleben so eigenen Gefahren
und Errettungen bei eines Haares Breite scheinen, an-
statt die jungen Leute zu entmutigen, ihnen vielmehr
oft ein Gewerbe reizvoll zu machen. Eine zärtliche
Mutter aus den unteren Volksklassen fürchtet oft schon,
ihren Sohn in einer Hafenstadt zur Schule zu schicken,
aus Besorgnis, daß der Anblick der Schiffe und die
Gespräche und Abenteuer der Matrosen ihn zum See-
dienst veiiocken mochten. Die entfernte Aussicht auf
Gefahren, aus denen wir durch Mut und Gewandtheit
uns zu befreien hoffen können, ist uns nicht unange-
nehm, und steigert den Arbeitslohn in keinem Geschäfte.
Anders verhält es sich mit Gefahren, gegen die Mut
und Gewandtheit nichts nützen. In Gewerben, die als
sehr ungesund bekannt sind, ist der Arbeitslohn immer
ziemlich hoch. Ungesundheit ist eine Widerwärtigkeit,
und ihr Einfluß auf den Arbeitslohn ist unter diese
allgemeine Rubrik einzureihen.
Bei allen Kapitalanlagen schwankt der gewöhnliche
Gewinnsatz mehr oder weniger, je nach der Gewißheit
oder Ungewißheit des Wiedereingangs. Dieser ist im
154 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Allgemeinen im inneren Handel weniger ungewiß als
im auswärtigen, und in einigen Zweigen des auswärtigen
weniger, als in anderen: so z. B. in dem Handel nach
Nordamerika weniger, als in dem nach Jamaika. Der
gewöhnliche Gewinnsatz steigt stets mehr oder weniger
mit der Gefahr; doch scheint er nicht in genauem Ver-
hältnis mit ihr oder so, daß er sie völlig ausgleicht,
zu steigen. Bankerotte sind in den gefährlichsten Han-
delszweigen am häufigsten. Das gefährlichste aller Ge-
werbe, das eines Schmugglers, führt, obgleich es im
Falle des Gelingens wahrscheinlich das gewinnreichste
ist, ganz sicher zum Bankerott. Die vermessene Hoff-
nung auf Erfolg scheint hier ebenso zu wirken, wie
in allen anderen Fällen, und in diese gefährlichen
Gewerbe so viele Abenteurer zu verlocken, daß der
Wettbewerb ihren Gewinn tiefer diückt, als zur Aus-
gleichung der Gefahr geschehen dürfte. Um sie voll-
ständig auszugleichen, müßte der gewöhnliche Ertrag
außer dem üblichen Kapitalgewinn nicht nur alle zu-
fälligen Einbußen decken, sondern den Abenteurern
auch eine Art Versicherungsprämie als Überschuß ab-
werfen. Wäre der gewöhnliche Ertrag für dies Alles
zureichend, so würden Bankerotte in diesem Gewerbe
nicht häufiger sein, als in anderen.
Von den fünf Umständen, welche den Arbeitslohn
verschieden gestalten, berühren also nur zwei den
Kapitalgewinn : nämlich die Annehmlichkeit oder Un-
annehmlichkeit des Geschäfts und die Gefahr oder
Sicherheit, welche mit ihm verbunden ist. Was die An-
nehmlichkeit oder Unannehmlichkeit betrifft, so ist der
Unterschied in dem bei Weitem größeren Teile der
Kapitalanlagen gering oder fällt ganz fort, ist aber
beträchtlich in den verschiedenen Arbeitszweigen; und
wenn der übliche Kapitalgewinn auch mit der Gefahr
steigt, so scheint er doch nicht immer genau im Ver-
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwendg. 155
hältnis zu ihr zu steigen. Aus allem diesem dürfte
folgen, daß in ein und derselben Gesellschaft oder
Gegend der Durchschnittssatz des Gewinnes in den
verschiedenen Kapitalanlagen eher auf die gleiche Höhe
kommen müßte, als der Geldlohn der verschiedenen
Sorten von Arbeit. Und so ist es auch. Der Unter-
schied zwischen dem Verdienst eines gewöhnlichen
Arbeiters und dem eines viel beschäftigten Anwalts
oder Arztes ist offenbar weit größer, als die Differenz
zwischen dem übhchen Kapitalgewinn in zwei ver-
schiedenen Gewerbszweigen. Überdies ist der schein-
bare Unterschied in dem Gewinn verschiedener Ge-
schäfte gewöhnlich eine Täuschung, die daraus ent-
springt, daß man nicht immer das, was als Lohn be-
trachtet werden sollte, von dem unterscheidet, was als
Gewinn zu betrachten ist.
Apothekergewinn ist zum Sprichwort geworden,
um etwas besonders Übermässiges zu bezeichnen. Der
scheinbar hohe Gewinn ist gleichwohl oft nur ein
billiger Arbeitslohn. Die Geschicklichkeit eines Apo-
thekers ist viel eigenerer und zarterer Natur als die
eines Handwerkers, welcher es auch sei, und das Ver-
trauen, welches man auf ihn setzt, ist von weit größerer
Wichtigkeit. Er ist der Arzt der Armen in allen Fällen,
und der Reichen, wenn das Leiden oder die Gefahr
nicht sehr groß ist. Darum muß sein Lohn dieser
Geschicklichkeit und diesem Vertrauen angemessen
sein, und er ergiebt sich gewöhnlich aus dem Preise,
zu dem er seine Waren verkauft. Aber die sämtlichen
Waren, die der beschäftigtste Apotheker in einer großen
Stadt in einem Jahr verkauft, kosten ihn vielleicht
nicht mehr als dreißig oder vierzig Pfund. Verkauft
er sie nun auch mit drei- oder vierhundert oder tausend
Prozent Gewinn, so mag das oft doch nicht mehr sein,
als der billige Lohn für seine Arbeit, den er auf nichts
anderes schlagen kann, als auf den Preis seiner Waren.
156 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Der größere Teil des scheinbaren Gewinnes ist in der
Tat Arbeitslohn, in der Maske eines Gewinns.
In einer unbedeutenden Hafenstadt kann ein
kleiner Krämer vierzig oder fünfzig Prozent auf ein
Kapital von einem einzigen Hundert Pfund gewinnen,
während ein bedeutender Großhändler an demselben
Platze auf ein Kapital von zehntausend Pfund kaum
acht bis zehn Prozent macht. Das Geschäft des Krä-
mers kann für die Bequemlichkeit der Einwohner
nötig sein, und die Beschränktheit des Marktes eine
größere Kapitalanlage in dem Geschäfte nicht zulassen.
Allein der Mann muß nicht nur von seinem Handel
leben, sondern auch den Fähigkeiten, die man bei
ihm voraussetzt, angemessen leben. Abgesehen davon,
daß er ein kleines Kapital nötig hat, muß er auch
lesen, schreiben und rechnen können, und vielleicht
fünfzig bis sechzig verschiedene Arten von Waren,
ihre Preise, ihre Qualität und die Märkte, wo sie am
wohlfeilsten zu haben sind, leidlich kennen. Kurz,
er muß alle die Kenntnisse besitzen, die einem Groß-
händler nötig sind, und es hindert ihn nichts als der
Maugel eines hinreichenden Kapitals, selbst ein Groß-
händler zu werden. Dreißig oder vierzig Pfund jähr-
lich können nicht als eine zu große Belohnung für
die Arbeit eines solchen Mannes betrachtet werden.
Man ziehe dies von dem anscheinend großen Gewinn
seines Kapitals ab, und es wird vielleicht kaum mehr
übrig bleiben, als der übliche Kapitalgewinn. Auch
in diesem Falle ist der größte Teil des scheinbaren
Gewinnes wirklicher Arbeitslohn.
Der Unterschied zwischen dem scheinbaren Gewinn
des Klein- und des Großhandels ist in der Hauptstadt
weit geringer, als in kleinen Städten. Wo zehntausend
Pfund im Kramhandel angelegt werden können, macht
der Lohn für des Krämers Arbeit nur einen sehr ge-
j-ingen Zusatz zu dem wirklichen Gewinn eines so großen
Kap. X,I.: Versehiodeiiheiten durch die Natur d. Vorwenrlo-. [^'J
Kapitals aus. Der scheinbare Gewinn des großen Klein-
händlers kommt daher hier dem Gewinn des Großhänd-
lers weit näher. Aus diesem Grunde sind auch Waren,
die im Einzelnen verkauft werden, in der Hauptstadt
im Allgemeinen ebenso wohlfeil und oft noch wohlfeiler,
als in kleinen Städten und Flecken. Materialwaren
z. B. sind im Allgemeinen viel wohlfeiler; Brot und
Fleisch oft ebenso wohlfeil. Es kostet nicht mehr, die
Materialwaren in eine große Stadt, als in einen Markt-
flecken zu bringen, aber es kostet viel mehr, Korn und
Vieh dahin zu bringen, da dies meistenteils aus einer
viel größeren Entfernung herbeigeschafft werden muß.
Da der Einkaufspreis der Materialwaren an beiden
Orten derselbe ist, so sind sie da am wohlfeilsten, wo
der geringste Gewinn darauf geschlagen wird. Der Ein-
kaufspreis von Brot und Fleisch ist in der großen Stadt
höher, als in dem Landorte, und obgleich der Gewinn
geringer ist, so sind sie dort zwar nicht immer wohl-
feiler, aber oft ebenso wohlfeil. Bei solchen Artikeln,
wie Brot und Fleisch, erhöht derselbe Grund, der den
scheinbaren Gewinn verringert, den Einkaufspreis. Der
Umfang des Marktes verringert durch Gestattung größe-
rer Kapitalanlagen den scheinbaren Gewinn; die Not-
wendigkeit jedoch, ihn aus gi'ößerer Entfernung zu ver-
sorgen, erhöht den Einkaufspreis. Diese Verringerung
des einen und Erhöhung des andern scheint in den
meisten Fällen einander ziemlich aufzuwiegen, und dies
ist wahrscheinlich der Grund, warum die Brot- und
Fleischpreise im größten Teile des Königreiches so
ziemlich die nämlichen sind, obgleich die Korn- und
Viehpreise in den verschiedenen Teilen des Landes
gewöhnlich sehr verschieden sind.
Obgleich der Kapitalgewinn sowohl beim Groß- wie
beim Kleinhandel in der Hau[)tstadt gewöhnlich geringer
ist, als in kleinen Städten und Flecken, so wird doch
158 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
in der ersteren aus kleinen Anfängen oft ein großes
Vermögen erworben, was in den letzteren fast nie der
Fall ist. In kleinen Städten und Flecken kann wegen
der Beschränktheit des Marktes der Handel nicht immer
so ausgedehnt werden, wie das Kapital sich vergrößert.
Daher kann an solchen Orten, selbst wenn der Gewinn-
satz eines Einzelnen sehr hoch ist, doch die Summe des
Gewinns und folglich auch des jährlich zurückgelegten
Kapitals nie sehr groß sein. In großen Städten kann
das Geschäft sich mit dem Kapital vergrößern, und der
Kredit eines sparsamen und emporkommenden Mannes
wächst noch schneller, als sein Kapital. Sein Geschäft
dehnt sich nach Verhältnis beider aus, die Summe sei-
nes Gewinns richtet sich nach der Ausdehnung seines
Geschäfts, und die Summe des jährlich zurückgelegten
Kapitals nach dem Betrage seines Gewinns. Doch wer-
den auch in großen Städten selten in einem regel-
mäßigen, altbegründeten und wohlbekannten Geschäfts-
zweige große Vermögen erworben, außer durch ein
langes Leben voll Fleiß, Sparsamkeit und Rührigkeit.
Schnell werden zuweilen an solchen Orten Reichtümer
im sogenannten Spekulationshandel erworben. Der
Spekulant betreibt keinen regelmässigen, altbegründeten
oder wohlbekannten Geschäftszweig. Er ist in dem
einen Jahre Kornhändler, im anderen Weinhändler, und
im folgenden Zucker-, Tabak- oder Teehändler. Er
ergreift jedes Geschäft, wenn er erwartet, es werde un-
gewöhnlich gewinnreich sein, und er gibt es wieder
auf, wenn er voraussieht, daß sein Gewinn wahrschein-
lich auf das Niveau der anderen Geschäftszweige zurück-
geht. Seine Gewinne und Verluste können daher in kei-
nem regelmäßigen Verhältnis zu denen eines soliden und
wohlbekannten Geschäftszweiges stehen. Ein kühner
Wagehals kann zuweilen durch zwei oder drei glück-
liche Spekulationen ein bedeutendes Vermögen erwer-
Kap. X,r.: Verschiedenlieiton durch die Natur d. Verwendg. 159
ben; aber ebenso wahrscheinlich kann er durch zwei
oder drei unglückliche es verlieren. Ein solches Ge-
schäft kann nur in großen Städten getrieben worden.
Nur an Orten des ausgedehntesten Verkehrs und der
vielseitigsten Verbindungen sind die dazu erforder-
lichen Nachrichten einzuziehen.
Die fünf oben erwähnten Umstände verursachen
zwar erhebliche Ungleichheiten im Arbeitslohn und
Kapitalgewinn, aber keine in der Gesamtheit der wirk-
lichen oder eingebildeten Vorteile und Nachteile der
einen Kapitals- oder Arbeitsverwendung vor der andern.
Jene Umstände sind der Art, daß sie in einigen für
den kleinen Gewinn schadlos halten und in anderen
einen großen aufwiegen.
Damit indeß diese Gleichheit in der Gesamtheit
ihrer Vorteile und Nachteile platzgreifen könne, sind
selbst da, wo die vollkommenste Freiheit herrscht,
drei Dinge nötig. Erstens müssen die Gewerbe in der
Umgebung wohlbekannt und altbegründet sein; zwei-
tens müssen sie in ihrem gewöhnlichen oder so zu
sagen natürlichen Zustande sein; und drittens müssen
sie das einzige oder hauptsächlichste Geschäft derer
sein, die sich damit befassen.
Erstens, diese Gleichheit kann nur in solchen Ge-
werben stattfinden, die in ihrer Umgebung wohlbe-
kannt und seit langer Zeit begründet sind.
Unter sonst gleichen Umständen ist der Arbeits-
lohn in neuen Gewerben in der Regel höher, als in
alten. Wenn ein Unternehmer einen neuen Fabrik-
zweig einzuführen sucht, muß er zuerst die nötigen
Arbeiter durch einen höheien Lohn, als den, den sie
in ihrem eigenen Gewerbe verdienen können, oder
den sein neues Gewerbe eigentlich bieten kann, aus
anderen Geschäften weglocken, und er muß eine ge-
raume Zeit verstreichen lassen, che er es wagen darf,
sie auf das gewöhnliche Maß herabzusetzen. Manu-
160 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
fakturen, für welche die Nachfrage durchaus von der
Mode und Phantasie abhängt, wechseln beständig und
dauern selten lange genug, um als altbegründete Manu-
fakturen angesehen werden zu können. Solche hin-
gegen, deren Nachfrage aus dem täglichen Gebrauch
und Bedarf entspringt, sind der Veränderung weniger
unterworfen, und dieselbe Form und dasselbe Fabrikat
kann Jahrhunderte lang gesucht werden. Der Arbeits-
lohn in Manufakturen der ersteren Art ist daher wahr-
scheinlich höher, als in denen der letzteren Art. Bir-
mingham hat besonders Manufakturen der ersteren,
Sheffield der letzteren Art; und der Arbeitslohn an
diesen beiden Orten soll jenem Unterschiede im Wesen
ihrer Manufakturen angemessen sein.
Die Einführung einer neuen Manufaktur, eines
neuen Handelszweiges oder einer neuen Land wirtschafts-
methode ist immer eine Spekulation, von der sich der
Unternehmer außergewöhnliche Gewinne verspricht.
Diese Gewinne sind zuweilen sehr groß ; manchmal aber,
vielleicht sogar am häufigsten, gerade das Gegenteil
davon: aber im Allgemeinen stehen sie zu den Ge-
winnen anderer alten Geschäfte der Umgegend in
keinem regelmäßigen Verhältnis. Gelingt das Unter-
nehmen, so ist der Gewinn im Anfang gewöhnlich
sehr hoch. Wird das Gewerbe oder die Praxis aber
erst einmal überall eingeführt und wohlbekannt, so
führt der Wettbewerb den Gewinn auf das Niveau
der übrigen Gewerbe zurück.
Zweitens, jene Gleichheit in der Gesamtheit der
Vorteile und Nachteile der verschiedenen Arbeits- und
Kapitalanlagen kann nur in ihrem gewöhnlichen, oder
so zu sagen natürlichen Zustande platzgreifen.
Die Nachfrage nach fast allen Arten von Arbeit ist
einmal größer und ein andermal geringer, als gewöhn-
lich. In dem einen Falle steigen die Vorteile des
Geschäftes über, in dem anderen fallen sie unter das
Kap. X,T.: Yersrhiodenheiten durch die Natur d. Ver\vend,2,-. IQI
gewöhnliche Maß. Die Nachfrage nach ländlicher Arbeit
ist zur Zeit des Mähens und der Ernte grüßer, als
während des übrigen Jahres, und der Lohn steigt mit
der Nachfrage. Im Kriege, wo vierzig oder fünfzig
tausend Matrosen aus dem Kauffahrteidienst für den
Dienst des Königs ausgehoben werden, steigt notwendig
die Nachfrage nach Matrosen für die Handelsmarine mit
ihrer Seltenheit, und ihr Lohn steigt in solchen Fällen
gewöhnlich von einer Guinee und siebenundzwanzig
Schilling monatlich bis zu vierzig Schilling und drei
Pfund hinauf. In einem verfallenden Gewerbszweige da-
gegen begnügen sich viele Arbeiter lieber mit einem ge-
ringeren Lohn, als er sonst der Natur ihres Geschäfts
angemessen wäre, als daß sie ihr altes Gewerbe aufgäben.
Der Kapitalgewinn schwankt mit dem Preise der
Waren, in denen das Kapital angelegt ist. Steigt der
Preis einer Ware über seinen gewöhnlichen oder Durch-
schnittssatz, so steigt auch der Gewinn wenigstens eines
Teils vom Kapital, der im Markttransport Verwendung
findet, über sein gehöriges Maß, und fällt der Preis,
so sinkt auch der Gewinn darunter. Alle Waren sind
Preisveränderungen ausgesetzt, aber die einen mehr,
die anderen weniger. Bei allen Waren, welche durch
menschlichen Fleiß hervorgebracht werden, wird die
Menge des jährlich aufgewendeten Fleißes notwendig
durch die jährliche Nachfrage bestimmt, und zwar so,
daß das durchschnittliche Jahreserzeugnis dem durch-
schnittlichen Jahresverbrauch so nahe als möglich
kommt. In einigen Gewerben wird, wie bereits bemerkt,
mit der nämlichen A)beitsmenge stets die nämliche oder
doch beinahe die nämliche Warenmenge hervorge-
bracht. So wird in der Leinen- und Wollenmanufaktur
eine gleiche Zahl von Händen jährlich so ziemlich die
gleiche Menge Leinen- und Wollenzeuge herstollen. Die
Veränderungen im Marktpreise solcher Waren können
Adam S in i Ui , Volkswolilstaml. I. 11
162 Erstes Buch: Zunahme in der Ertrag'skraft der Arbeit.
daher nur aus einer zufälligen Veränderung in der
Nachfrage entspringen. Eine Landestrauer steigert den
Preis der schwarzen Zeuge. Aber wie die Nachfrage
nach den meisten Sorten glatter Leinen- und Wollen-
zeuge sich ziemlich gleich bleibt, so auch ihr Preis.
Doch gibt es andere Gewerbe, in denen die gleiche
Arbeitsmenge nicht immer die gleiche Warenmenge
herstellen wird. So wird dieselbe Arbeitsmenge in ver-
schiedenen Jahren sehr verschiedene Mengen Korn,
Wein, Hopfen, Zucker, Tabak u. dgl. hervorbringen.
Der Preis solcher Waren ändert sich mithin nicht blos
nach den Schwankungen der Nachfrage, sondern auch
nach den weit größeren und häufigeren Schwankungen
der Menge und ist folglich äußerst veränderlich. Der
Gewinn der Händler aber muß notwendig mit dem
Preise der Waren schwanken. Die Tätigkeit des Spe-
kulanten wendet sich hauptsächlich solchen Waren zu.
Er sucht sie aufzukaufen, wenn er voraussieht, daß ihr
Preis wahrscheinlich steigen wird, und zu verkaufen,
wenn er zu fallen droht.
Drittens, diese Gleichheit in der Gesamtheit der
Vorteile und Nachteile der verschiedenen Arbeits- und
Kapitalanlagen kann nur in solchen Gewerben statt-
finden, die das einzige oder doch hauptsächlichste Ge-
schäft derer sind, welche sich damit befassen.
Wenn jemand seinen Unterhalt aus einem Geschäft
zieht, das nicht seine volle Zeit in Anspruch nimmt,
so ist er oft in Stunden der Muße bereit, in einem
anderen für einen geringeren Lohn zu arbeiten, als es
sonst die Natur des Geschäfts erlauben würde.
In vielen Teilen Schottlands kommen noch eine Art
Leute vor. Cotters oder Cottagers (Häusler) ge-
nannt, die allerdings vor einigen Jahren noch häufiger
waren, als jetzt. Sie sind eine Art außer dem Hause
beschäftigter Dienstleute der Grundherren und Pächter.
Kap. X,I.: Verschiedenheiten durch die Natur d. Verwendg. 163
Der übliche Lohn, den sie von ihren Herren empfangen,
besteht in einem Hause, einem kleinen Gremüsegarten,
Gras, um eine Kuh zu halten, und etwa einem oder
zwei Morgen schlechten Ackerlandes. Hat der Herr ihre
Arbeit nötig, so gibt er ihnen außerdem noch zwei Peck
(etwas mehr als einen Scheffel) Hafermehl die Woche,
im Werte von etwa sechzehn Pence. Während eines
großen Teils des Jahres hat er wenig oder gar keine
Arbeit für sie, und die Bestellung ihrer eigenen kleinen
Besitzung ist nicht hinreichend, ihre verfügbare Zeit aus-
zufüllen. Als diese Häusler noch zahlreicher waren, als
jetzt, sollen sie ihre erübrigte Zeit gern Jedem für einen
geringen Entgelt hingegeben und für weniger Lohn ge-
dient haben, als andere Arbeiter. In alten Zeiten schei-
nen sie über ganz Europa verbreitet gewesen zu sein.
In schlecht kultivierten und spärlich bewohnten Län-
dern konnten die meisten Gutsbesitzer und Pächter sich
die ungewöhnliche Zahl Hände, welche der Landbau
zu gewissen Zeiten erheischt, auf keine andere Weise
verschaffen. Der Tag- oder Wochenlohn, den solche
Arbeiter gelegentlich von ihren Herren erhielten, war
offenbar nicht der ganze Preis ihrer Arbeit. Ihre kleine
Stelle machte einen beträchtlichen Teil davon aus.
Doch scheint dieser Tag- oder Wochenlohn von vielen
Schriftstellern, welche die Preise der Arbeit und der
Lebensmittel in alten Zeiten gesammelt und beide als
wunderbar niedrig darzustellen beliebt haben, als der
ganze Lohn angesehen worden zu sein.
Das Produkt solcher Arbeit kommt oft wohlfeiler
zu Markt, als es sonst angemessen wäre. Strümpfe
werden in vielen Teilen Schottlands weit billiger ge-
strickt, als sie anderwärts auf dem Stuhl gewirkt
werden können. Sie sind die Arbeit von Dienstboten
und Arbeitern, die ihren Hauptverdienst aus einer
anderen Beschäftigung ziehen. Mehr als tausend Paar
1 1-^-^
164 Erstes Buch: Zunahme in rler Ertragskraft der Arbeit.
Strümpfe werden jährlich von den Shetlandsinseln nach
Leith gebracht, deren Preis fünf bis sieben Pence das
Paar beträgt. In Learwick, der kleinen Hauptstadt der
Shetlandsinseln, sind, wie man mir versichert, zehn
Pence täglich der gewöhnliche Preis für gemeine Arbeit.
Auf denselben Inseln strickt man wollene Strümpfe
zum Werte von einer Guinee das Paar und darüber.
Das Spinnen des Leinengarns wird in Schottland
fast ebenso wie das Stricken der Strümpfe von Dienst-
boten betrieben, die hauptsächlich zu anderen Zwecken
gemietet werden. Wer mit dem einen oder anderen
dieser Geschäfte seinen ganzen Lebensunterhalt ge-
winnen wollte, dürfte kaum das liebe Brot verdienen.
In den meisten Teilen Schottlands ist die eine gute Spin-
nerin, die in der Woche zwanzig Pence verdienen kann.
In reichen Ländern ist der Markt in der Regel so
ausgedehnt, daß jedes Gewerbe hinreichend ist, die Ar-
beit und das Kapital derer, welche sich ihm widmen,
ganz in Anspruch zu nehmen. Beispiele davon, daß
Leute von einem Geschäfte leben und daneben aus
einem anderen einen kleinen Gewinn ziehen, kommen
hauptsächlich in armen Ländern vor. Folgenden ganz
ähnlichen Fall jedoch findet man in der Hauptstadt
eines der reichsten Länder. Ich glaube, es gibt keine
Stadt in Europa, in welcher der Hauszins teurer wäre
als in London, und doch kenne ich keine Hauptstadt,
in der ein möblieites Zimmer so wohlfeil zu mieten
ist. Ein Zimmer in London ist nicht nur viel wohl-
feiler als in Paris, sondern auch viel wohlfeiler als
in Edinburg, und zwar bei derselben Ausstattung,
und befremdlicher Weise ist gerade die Höhe des
Hauszinses der Grund jener Wohlfeilheit der möbher-
ten Zimmer. Die Höhe des Hauszinses in London
rührt nicht nur von den Ursachen her, die ihn in
allen großen Hauptstädten teuer machen, — von der
teuren Arbeit, den teuren Baumaterialien, die ge-
Kap. X, IL: Ungleichheiten infolge cl.europ. Wirtschaftspolitik. 165
wohnlich aus weiter Ferne herbeigebracht werden
müssen, und vor Allem von der hohen Grundrente, da
jeder Grundeigentümer als Monopolist verfährt, und oft
für einen einzigen Morgen schlechten Bodens in der
Stadt eine höhere Rente fordert, als man für hundert
Morgen des besten Bodens auf dem Lande erhalten
kann, — sondern sie entspringt zum Teil aus den be-
sonderen Gebräuchen und Gewohnheiten der Bewohner,
wonach jeder Hausvater ein ganzes Haus von oben bis
unten mieten muß. Eine „Wohnung" in England heißt
so viel, wie Alles, was unter demselben Dache enthalten
ist. In Frankreich, Schottland und vielen anderen
Teilen Europas bedeutet es oft nicht mehr, als ein ein-
zelnes Stockwerk. Ein Gewerbsmann in London ist ge-
nötigt, in dem Stadtteile, in dem seine Kunden wohnen,
ein ganzes Haus zu mieten. Sein Laden ist zur ebenen
Erde; er selbst aber schläft mit seiner Familie unter
dem Dache, und sucht einen Teil seines Hauszinses
dadurch zu bezahlen, daß er die beiden mittleren Stock-
werke an Aftermieter abläßt. Den Unterhalt seiner
Familie hofft er durch sein Gewerbe, nicht durch seine
Mieter zu bestreiten, wohingegen Leute, welche in Paris
und Edinburg Zimmer vermieten, gewöhnlich keine
anderen Unterhaltsmittel haben, und der Preis der
Zimmer nicht nur den Hauszins, sondern die ganzen
Ausgaben der Familie bestreiten muß.
Zweite Abteilung.
Ungleichheiten, welche durch die europäische Wirtschafts-
politik veranlaßt sind.
Dies sind die in der Gesamtheit der Vorteile und
Nachteile bei den verschiedenen Arbeits- und Kapital-
anlagen vorkommenden Ungleichheiten, welche die Ab-
166 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Wesenheit eines der drei oben erwähnten Erfordernisse
auch da veranlaßt, wo die vollkommenste Freiheit
herrscht. Aber andere viel bedeutendere Ungleich-
heiten veranlaßt die europäische AVirtschaftspolitik da-
durch, daß sie den Dingen nicht ihre volle Freiheit läßt.
Dies geschieht vornehmlich auf dreierlei Weise.
Erstens dadurch, daß in gewissen Gewerben die Kon-
kurrenz auf eine geringere Anzahl von Mitwerbern
beschränkt wird, als sich sonst damit befassen würden;
zweitens dadurch, daß in anderen die Mitwerber über
das natürliche Maß vermehrt werden und drittens da-
durch, daß die freie Bewegung von Arbeit und Ka-
pital, sowohl von Grewerbe zu Gewerbe, als von Ort
zu Ort gehemmt wird.
Erstens, die europäische "Wirtschaftspolitik veran-
laßt eine sehr bedeutende Ungleichheit in der Gesamt-
heit der Vorteile und Nachteile bei den verschiedenen
Arbeits- und Kapitalanlagen dadurch, daß sie in ge-
wissen Gewerben die Konkurrenz auf eine geringere
Anzahl von Mitwerbern beschränkt, als sich sonst da-
mit befassen würden.
Die ausschließlichen Zunftprivilegien sind das
hauptsächlichste Mittel, dessen sie sich zu diesem
Zwecke bedient.
Das ausschließliche Privilegium eines zünftigen Ge-
werbes schränkt notwendig in der Stadt, in der es be-
trieben wird, den Wettbewerb auf diejenigen ein, die
zur Zunft gehören. Das notwendige Erfordernis zur
Erlangung des Zunftrechts besteht gewöhnlich darin,
daß man in der Stadt unter einem gehörig qualifi-
zierten Meister gelernt hat. Die Zunftordnungen be-
stimmen öfters die Zahl der Tjehrlinge, welche einem
Meister zu halten gestattet ist, und fast immer die Zahl
der Jahre, die ein Lehrling dienen muß. Die Absicht
dieser beiden Bestimmungen geht dahin, die Konkur-
Kap.X,II.: Ungleichheiten infolge d.europ.Wirtschaftspolitik. 167
renz auf eine geringere Anzahl einzuschränken, als sich
sonst auf das Geschäft einlassen würden. Die Beschrän-
kung der Zahl der Lehrlinge beschränkt den Wettbe-
werb direkt; eine lange Lehrzeit tut es mehr indirekt,
aber ebenso wirksam durch die vermehrten Kosten
der Ausbildung.
In Sheffield kann zufolge eines Ortsstatuts der Zunft
kein Messerschmidt zu gleicher Zeit mehr als einen Lehr-
ling halten. In Norfolk und Norwich kann kein Weber-
meister, bei Strafe von fünf Pfund monatlich, mehr als
zwei Lehrlinge haben. In ganz England und den eng-
lischen Kolonien darf ein Hutmacher nicht mehr als
zwei Lehrlinge haben, bei Strafe von fünf Pfund monat-
lich, die halb dem Fiskus und halb dem Angeber zu-
fallen. Diese beiden Bestimmungen sind, obgleich sie
durch ein allgemeines Staatsgesetz bestätigt sind, offen-
bar von demselben Zunftgeiste diktiert, der die Shef-
fielder Verordnung eingegeben hat. Kaum waren die
Seiden wirker in London ein Jahr lang eine Zunft, als
sie auch schon eine Verordnung erließen, die jedem
Meister untersagte, mehr als zwei Lehrlinge zu gleicher
Zeit zu haben. Es bedurfte einer eigenen Parlaments-
akte, um dieses Ortsstatut umzustoßen.
In früherer Zeit scheinen sieben Jahre in ganz
Europa der übliche Zeitraum gewesen zu sein, der für
die Dauer der Lehrjahre in den meisten zünftigen Ge-
werben festgesetzt war. Alle diese Zünfte wurden
früher Universitäten genannt, was in der Tat der
eigentliche lateinische Name für jede Körperschaft ist.
Die Universität der Schmiede, die Universität der
Schneider u.s.w., sind Ausdrücke, denen man in den
vergilbten Dokumenten alter Städte oft begegnet. Als
jene besonderen Korporationen, die man noch jetzt
Universitäten nennt, gegründet wurden, hat man augen-
scheinlich die Anzahl der Jahre, die man studieren
mußte, um den Grad eines Magisters der freien Künste
1(38 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ZU erlangen, von den Feststellungen der Lehrzeit in
den gewöhnlichen Gewerben, deren Vereinigungen viel
älter waren, kopiert. Wie man sieben Jahre unter einem
gehörig qualifizierten Meister gearbeitet haben mußte,
wenn man in einem gewöhnlichen Gewerbe die Be-
rechtigung, Meister zu werden und selber Lehrlinge zu
halten erwerben wollte, so mußte man auch sieben Jahre
unter einem gehörig (|ualifizierton Meister studiert haben,
um das Recht zu erwerben, in den freien Künsten Ma-
gister, Lehrer oder Doktor (früherhin gleichbedeutende
Wörter) zu werden, und Schüler oder Lehrlinge (ur-
sprünglich ebenfalls gleichbedeutende Ausdrücke) zu
haben, die unter dem Meister studierten.
Durch ein Statut aus dem fünften Jahre Elisabeths,
gewöhnlich das Lehrzeitstatut genannt, wurde bestimmt,
daß in Zukunft Niemand ein zu jener Zeit in England
betriebenes Handwerk, Gewerbe oder Geschäft treiben
sollte, wenn er nicht zuvor darin wenigstens sieben
Lehrjahre bestanden hätte; und was früher bloßes Orts-
statut einzelner Zünfte gewesen war, wurde nun in Eng-
land allgemeines Staatsgesetz für alle in Marktstädten
betriebenen Geschäfte. Die Worte des Statuts lauten
zwar ganz allgemein, und scheinen das ganze König-
reich zu umfassen, doch ist seine Wirkung durch Aus-
legung auf die Marktstädte beschränkt worden, weil man
dafür hielt, daß auf dem Lande dieselbe Person ver-
schiedene Gewerbe müsse treiben können, auch ohne in
jedem sieben Jahre gelernt zu haben, da Handwerker
für den Bedarf der Einwohner nötig, und diese doch
nicht immer zahlreich genug sind, um einen Mann,
der nur sein Handwerk betreibt, zu ernähren.
Ferner ist durch eine strenge Auslegung der Worte
die Wirkung dieses Statuts auf die Gewerbe beschränkt
worden, welche in England vor dem fünften Regierungs-
jahre Elisabeths bestanden haben, und niemals auf solche
Kap. X,II.: Ungleichheiten infolge d. eiirop. Wirtschaftspolitik. J ßQ
ausgedehnt worden, die seit jener Zeit erst eingeführt
worden sind. Diese Beschränkung hat zu einigen Unter-
scheidungen Anlaß gegeben, die als Maßregeln der
Wirtschaftspolitik betrachtet, so töricht als möglich er-
scheinen. So ist z. B. entschieden worden, daß ein
Wagner seine Wagenräder weder selbst machen, noch
durch Gesellen machen lassen darf, sondern sie von
einem ßadmachermeister kaufen muß, weil letzteres
Handwerk schon vor dem fünften liegierungsjahre
Elisabeths existiert hat. Dagegen kann ein Radmacher,
wenn er auch niemals bei einem Wagner in der Lehre
gewesen ist, selbst Wagen machen oder von Gesellen
machen lassen, weil das Gewerbe eines Wagners in dem
Statut nicht inbegriffen ist, da es in England zur
Zeit, als jenes erlassen worden ist, noch nicht bestanden
hat. Viele Gewerbe zu Manchester, Birmingham und
Wolverhampton sind dem Statut ebenfalls nicht unter-
worfen, weil sie vor dem fünften Regierungsjahre
Elisabeths in England nicht betrieben worden sind.
In Frankreich ist die Dauer der Lehrjahre in ver-
schiedenen Städten und Gewerben verschieden. Li
Paris sind bei vielen fünf Jahre der vorgeschriebene
Zeitraum; ehe Jemand jedoch das Recht erhält, das
Gewerbe als Meister zu treiben, muß er in vielen Ge-
werben noch fünf Jahre als Gehilfe gearbeitet haben.
In dieser Zeit heißt er der Geselle seines Meisters, und
die Zeit selbst heißt seine Gesellenschaft.
In Schottland gibt es kein allgemeines Gesetz, das
die Dauer der Lehrjahre überhaupt bestimmte; die Zeit
ist in den einzelnen Zünften verschieden. Wo sie lang
ist, kann in der Regel ein Teil von ihr durch eine
kleine Geldsumme abgelöst werden. Auch ist in den
meisten Städten eine sehr mäßige Summe hinreichend,
um die Zunftgerechtigkeit zu erkaufen. Die Weber von
leinenen und hänfenen Zeugen — das Hauptgewerbe
170 Erstes Buch: Zunahme in der Eitragskraft der Arbeit.
des Landes — sowie alle die für sie beschäftigten Hand-
werker, wie die Verfertiger der Spinnräder, Haspeln
usw., können ihr Gewerbe in jeder korporierten Stadt
treiben, ohne etwas dafür zu zahlen. In allen korpo-
rierten Städten steht es Jedermann frei, an einem vom
Gesetz bestimmten Wochentage Fleisch zu verkaufen.
Drei Jahre sind in Schottland die gewöhnliche Zeit der
Lehrjahre selbst in manchen recht schwierigen Gewer-
ben ; und im Allgemeinen kenne ich kein Land in Europa,
in dem die Zunftgesetze so wenig drückend wären.
Wie das Eigentum, das Jeder an seiner Arbeit hat,
die ursprüngliche Grundlage alles anderen Eigentums
ist, so ist es auch die heiligste und unverletzlichste.
Das Erbteil eines armen Mannes liegt in der Kraft und
Geschicklichkeit seiner Hände: ihn zu hindern, diese
Kraft und Geschicklichkeit so anzuwenden, wie er es
passend findet, ohne dadurch seinen Nächsten zu schä-
digen, ist eine klare Verletzung dieses heiligsten Eigen-
tums. Es ist ein offenbarer Eingriff in die rechtmäßige
Freiheit sowohl des Arbeiters, wie derer, die ihn be-
schäftigen wollen. Wie es den Einen hindert, das zu
arbeiten, wozu er sich am geschicktesten weiß, so hin-
dert es die Anderen, Solche zu beschäftigen, die ihnen
geeignet erscheinen. Das Urteil darüber, ob Jemand
sich für die Arbeit eignet, kann sicherlich den Arbeit-
gebern überlassen werden, deren Interesse es so nahe
angeht. Die erheuchelte Ängstlichkeit des Gesetzgebers,
sie könnten einen ungeeigneten Menschen beschäftigen,
ist offenbar ebenso ungehörig wie lästig.
Die Anordnung einer langen Lehrzeit kann keine
Sicherheit gewähren, daß nicht oft mangelhafte Arbeit
zum Verkauf komme. Wenn dies geschieht, so ist ge-
wöhnlich Betrug und nicht Ungeschicklichkeit daran
Schuld ; gegen Betrug aber kann auch die längste Lehr-
zeit keinen Schutz bieten. Zur Abstellung dieses Miß-
Kap. X,II.: Ungleichheiten infolge d. europ. Wirtschaftspolitik. [ 7 [
brauchs sind ganz andere Vorkehrungen erl'orderlich.
Die Marke auf Geschirr von Gold und Silber und die
Stempel auf Leinen- und Wollenzeug geben dem Käufer
eine weit größere Sichei'heit, als irgend ein Lehrlings-
statut. Auf jene sieht er in der Regel, aber niemals
hält er es der Mühe wert, zu untersuchen, ob der Ar-
beiter eine siebenjährige Lehrzeit bestanden habe.
Die Anordnung einer langen Lehrzeit hat nicht den
Erfolg, die jungen Leute an Fleiß zu gewöhnen. Ein
Geselle, der nach dem Stück arbeitet, wird wahrschein-
lich fleißig sein, weil er von seinem Fleiße Vorteil hat;
ein Lehrling wird voraussichtlich faul sein, und ist es
fast immer, weil er kein unmittelbares Interesse hat
fleißig zu sein. In den niedrigeren Geschäften besteht
der Reiz der Arbeit durchaus nur in ihrem Lohn.
Wer am frühesten in der Lage ist, die Früchte der
Arbeit zu genießen, wird auch am schnellsten Geschmack
daran finden und sich frühzeitig an Fleiß gewöhnen.
Ein junger Mensch faßt natürlich eine Art Abneigung
gegen die Arbeit, wenn er lange Zeit keinen Gewinn
aus ihr zieht. Die Knaben, welche auf Kosten der
öffentlichen Armenpflege in die Lehre gegeben werden,
müssen in der Regel eine längere Reihe von Jahren,
als sonst üblich, darin bleiben, und werden gewöhn-
lich Faullenzer und Taugenichtse.
Bei den Alten war das Lehrlingsvvesen ganz unbe-
kannt. Dagegen machen die gegenseitigen Pflichten des
Meisters und Lehrlings in jedem modernen Gesetzbuch
einen starken Artikel aus. Das römische Recht schweigt
darüber gänzlich, und ich kenne kein griechisches oder
lateinisches Wort, und ich darf wohl behaupten, es
gibt keines, welches den Begriff ausdiückt, den wir
heute mit dem Worte Lehrling verbinden, nämlich
einen Dienenden, der in einem bestimmten Gewerbe
eine Reihe von Jahren hindurch zum Vorteil eines
172 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Meisters zu arbeiten verpflichtet ist unter der Bedin-
gung, daß der Meister ihn dies Gewerbe lehrt.
Eine lange Lehrzeit ist durchaus unnötig. Künste,
die weit höher stehen, als gewöhnliche Handwerke, wie
z. B. die Uhrmacherkunst, enthalten keine Geheimnisse,
die einen langen Unterrichtskursus erforderten. Die
erste Erfindung so schöner Maschinen, und auch die
Erfindung einiger zu ihrer Verfertigung nötigen Werk-
zeuge mußte allerdings das Ergebnis eines tiefen Nach-
denkens und langer Zeit sein, und kann mit Recht zu
den glücklichsten Früchten des menschlichen Geistes
gezählt werden. Aber nachdem sie einmal erfunden
und vollkommen bekannt sind, kann es kaum den Unter-
richt einiger Wochen erfordern, einen jungen Menschen
mit der Handhabung der Werkzeuge und dem Bau
der Maschinen vertraut zu machen. Vielleicht reichen
schon ein paar Tage dazu hin, und in den gew^öhnlichen
Handwerken ist dies sicher der Fall. Die Fertigkeit der
Hand kann allerdings selbst in gewöhnlichen Hand-
werken nicht ohne viele Übung und Erfahrung er-
worben werden. Aber ein junger Mensch würde viel
fleißiger und aufmerksamer sein, wenn er von Anfang
an als Geselle arbeitete und nach Verhältnis seiner
geringen Leistungen bezahlt würde, seinerseits aber die
Rohstoffe bezahlte, die er etwa aus Ungeschicklickeit und
Unerfahrenheit zuweilen verdirbt. Seine Ausbildung
würde auf diese Weise gewöhnlich erfolgreicher und stets
weniger langwierig und kostspielig sein. Der Meister
würde dabei allerdings verlieren. Er würde den Lohn
des Lehrlings, den er jetzt spart, volle sieben Jahre
hindurch verlieren. Am Ende wäre vielleicht auch der
Lehrbursche selbst im Verluste: denn er würde in einem
so leicht erlernten Gewerbe mehr Konkurrenten haben,
und sein Lohn würde, sobald er ein ausgelernter Hand-
werker geworden, viel geringer sein, als jetzt. Dieselbe
Kap. X,II.: ITngleichheiten infol,s,'e d. europ.Wirtscliaftspolitik. 173
Zunahme des Wettbewerbs würde ebenso den Gewinn
der Meister wie den Lohn der Arbeiter vermindern.
Die Geschäfte, die Gewerbe, die Geheimnisse würden
alle dabei verlieren. Aber das Publikum würde dabei
gewinnen, da alle Handwerkserzeugnisse viel wohl-
feiler zu Markte kämen.
Gerade um dieses Sinken des Preises und folge weise
des Lohnes und Gewinnes durch Hemmung der freien
Konkurrenz, die zu einem solchen führen würde, zu ver-
hindern, sind alle Zünfte und die meisten Zunftgesetze
eingeführt worden. Zur Errichtung einer Zunft bedurfte
es in früheren Zeiten an vielen Orten Europas keiner
anderen Genehmigung, als der der korporierten Stadt,
in welcher sie eingeführt wurde. In England war zwar
auch ein Privilegium des Königs nötig; aber dieses Vor-
recht der Krone scheint mehr den Zweck gehabt zu
haben, Geld von dem Untertanen zu erpressen, als die
allgemeine Freiheit gegen drückende Monopole zu schüt-
zen. Wenn dem Könige eine Geldsumme gezahlt
wurde, scheint das Privilegium in der Regel gern be-
willigt worden zu sein, und wenn eine Klasse von Ge-
werbsleuten es für angemessen hielt, ohne ein Privi-
legium als Zunft aufzutreten, so wurden solche unächte
Gilden, wie man sie nannte, nicht immer ihrer Vor-
rechte beraubt, sondern nur genötigt, für die Erlaubnis,
ihre ursurpierten Rechte auszuüben, jährlich eine Geld-
summe an den König zu entrichten. Die unmittelbare
Aufsicht über alle Zünfte und über die Ortsstatuten,
welche sie behufs ihrer Verwaltung zu erlassen für gut
fanden, hatte die korporierte Stadt, in der sie sich be-
fanden, zu führen; und die Disziplin, in der sie ge-
halten wurden, ging in der Regel nicht von der Re-
gierung, sondern von der größeren Körperschaft aus,
deren untergeordnete Teile oder Glieder sie waren.
Die Regierung de)- korporierten Städte war durch-
174 Ei"stes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
aus in den Händen der Geschäftsleute und Handwerker,
und es lag offenbar im Interesse jeder Klasse, zu ver-
hindern, daß der Markt, wie sie sich auszudrücken
pflegten, mit den Produkten ihres besonderen Gewerbs-
zvveiges überführt wurde, was in Wirklichkeit nichts
Anderes heißt, als daß er niemals vollständig versorgt
wurde. Jede Klasse war beeifert, zu diesem Zweck
geeignete Verordnungen zu erlassen, und war, was ihr
eilaubt wurde, gern bereit, auch den andern Klassen
zu gestatten. Durch solche Verordnungen wurde freilich
jede Klasse gezwungen, die Waren, die sie brauchte,
von einei- anderen Klasse in der Stadt etwas teurer zu
kaufen, als es sonst nötig gewesen wäre. Zum Ersatz
konnte sie aber auch die ihrigen um so viel teurer ver-
kaufen, so daß es, wie man zu sagen pflegt, so lang
wie breit war, und in dem Handel der verschiedenen
Klassen innerhalb der Stadt keine durch jene Verord-
nungen Etwas verlor. Aus dem Verkehr mit dem
Lande dagegen zogen sie großen Gewinn, und in
diesem Verkehr besteht das ganze Geschäft, das jede
Stadt aufrecht erhält und bereichert.
Jede Stadt bezieht ihren ganzen Unterhalt und alle
Rohstoffe für ihren Gewerbfleiß von dem Lande. Sie
bezahlt dafür besonders auf zweierlei Art: erstens da-
durch, daß sie einen Teil dieser- Kohstoffe verarbeitet
und nach dem Lande zurückschickt, in welchem Falle
ihr Pieis durch den Lohn der Arbeiter und den Gewinn
ihrer Meister oder unmittelbaren Arbeitgeber vermehrt
wird, und zweitens dadurch, daß sie einen Teil sowohl
der rohen wie der verarbeiteten Produkte anderer
Länder oder entfernter Gegenden desselben Landes in
die Stadt einführt und wieder nach dem platten Lande
ausführt, in welchem Falle gleichfalls der ursprüngliche
Preis dieser Güter um den Lohn der Fuhrleute oder
Schiffer, und um den Gewinn der Kaufleute, die letztere
Kap. X, II.: Ungleichheiten infolge fl. euvop.Wirtsrhaftspolitik. ] 75
beschäftigen, erhöht wird. In den Gewinnen aus dem
ersteren dieser Handelszweige besteht der Vorteil, den
die Stadt von ihren Gewerben hat, und in den Ge-
winnen aus dem letzteren besteht der Vorteil des in-
und ausländischen Handels. Der Lohn der Arbeiter und
der Gewinn der verschiedenen Arbeitgeber ist Alles,
was in beiden Fällen gewonnen wird. Daher dienen
alle Verordnungen, welche diesen Lohn und diesen
Gewinn über ihren sonstigen Stand zu erhöhen be-
zwecken, nur dazu, daß die Stadt mit weniger Arbeit
das Produkt einer größeren Arbeit des platten Landes
kaufen kann. Sie geben den Geschäftsleuten und Hand-
werkern der Stadt ein Übergewicht über die Gutsbe-
sitzer, Pächter und Arbeiter des platten Landes, und
heben die natürliche Gleichheit auf, welche sonst in
dem zwischen ihnen stattfindenden Verkehr Platz
greifen würde. Das ganze Jahresprodukt der Arbeit
der Gesellschaft verteilt sich jährlich unter diese beiden
Klassen der Bevölkerung, und durch jene Verordnungen
erhalten die Städter einen größeren und die Land-
bewohner einen kleineren Anteil, als er ihnen sonst
zufallen würde.
Der Preis, den die Stadt für die Jahr für Jahr
eingeführten Lebensmittel und Rohstoffe wirklich be-
zahlt, besteht in der Menge der Industriccrzeugnisse
und anderen Waren, die jährlich von ihr ausgeführt
wird. Je teurer die letzteren verkauft werden, desto
wohlfeiler werden die ersteren gekauft, und der städti-
sche Gewerbfleiß wird desto gewinnbringender, je
weniger es der ländliche ist.
Daß der städtische Gewerbfleiß in ganz Europa
einträglicher ist, als der ländliche, davon kann man
sich, ohne auf sehr genaue Berechnungen einzugehen,
leicht durch eine einfache, in die Augen fallende Be-
obachtung überzeugen. In jedem Lande P^uropas findet
man wenigstens hundert Leute, die in Handel und Ge-
176 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
werbe, den eigentlich städtischen Beschäftigungen, klein
angefangen haben und dabei reich geworden sind, gegen
einen, der durch Landwirtschaft, d. h. Vermehrung der
Rohprodukte durch Verbesserung und Kultur des
Bodens dazu gelangte. Es muß also in dem einen Falle
offenbar der Fleiß besser belohnt und der Arbeitslohn
und Kapitalgewinn größer sein, als in dem anderen.
Da aber Kapital und Arbeit naturgemäß die einträg-
lichste Beschäftigung suchen, so ziehen sie sich so viel
als möglich nach der Stadt, und verlassen das Land.
Die Städter können vermöge ihres nahen Bei-
sammen wohnens sich leicht mit einander vereinbaren.
Selbst die unbedeutendsten Gewerbe sind daher hier
oder dort zu Zünften zusammengetreten, und wo sie
keine Zunft bildeten, war doch der Zunftgeist, die Eifer-
sucht gegen Fremde, die Abneigung, Lehrlinge anzu-
nehmen, oder ihr Gewerbsgeheimnis mitzuteilen, im
Allgemeinen unter ihnen stark, und lehrte sie oft,
durch freiwillige Verbindungen und Übereinkünfte den
freien Wettbewerb, den sie nicht durch Verordnungen
verbieten konnten, zu hemmen. Gewerbe, die nur
wenige Hände beschäftigeu, treffen solche Verab-
redungen am leichtesten. Ein halbes Dutzend Woll-
kämmer reicht wohl hin, um tausend Spinnern und
Webern das Material zu liefern. Wenn sie überein-
kommen, keine Lehrlinge zu nehmen, so können sie
nicht nur das ganze Geschäft an sich reißen, sondern
auch die gesamte Manufaktur in eine Art von sklavi-
scher Abhängigkeit bringen, und den Preis ihrer Ar-
beit weit höher treiben, als er ihrer Natur nach wäre.
Die Bewohner des platten Landes können in ihrer
Zerstreuung über verschiedene Orte nicht leicht dei-artige
Vereinigungen zu Stande bringen. Sie haben nicht nur
niemals eine Zunft gebildet, sondern der Zunftgeist ist
auch niemals unter ihnen henschend geworden. Nie hat
man Lehrjalno zur Erlernung der Landwirtscliaft, des
Kap. X, IL: Ungleichheiten in folge d.europ. Wirtschaftspolitik. 177
großen ländlichen Gewerbes, für nötig gehalten. Und
doch gibt es nächst den schönen Künsten und freien
Berufsarten vielleicht kein Gewerbe, das eine solche
Mannigfaltigkeit von Kenntnissen und Erfahrungen
voraussetzt. Die zahllosen Bücher, die darüber in allen
Sprachen geschrieben worden sind, können uns den Be-
weis liefern, daß die Landwirtschaft unter den weisesten
und unterrichtetsten Nationen niemals für eine ganz
leicht zu begreifende Sache gehalten worden ist. Und in
allen diesen Büchern würde man vergebens jene Kenntnis
der mancherlei zusammengesetzten Handgriffe suchen,
die jeder gewöhnliche Landmann zu besitzen pflegt, so
affektiert hochmütig auch die verächtlichen Verfasser
einiger dieser Bücher von ihnen sprechen. Dagegen gibt
es kaum irgend ein gewöhnliches Handwerk, dessen Fer-
tigkeiten sich nicht in einem Büchlein von wenigen Seiten
so vollständig und deutlich darstellen ließen, als es durch
Wort und Zeichnung überhaupt möglich ist. In der
Geschichte der Gewerbe (Histoire des Arts et Metiers),
welche jetzt von der französischen Akademie der Wissen-
schaften herausgegeben ward, sind einige von ihnen auf
diese Art beschrieben worden. Überdies erfordert die
Leitung derjenigen Tätigkeiten, die sich nach jedem
Wetterwechsel und an deren Zufällen richten müssen, viel
mehr Urteil und Vorsichtigkeit, als bei immer ganz oder
beinahe gleichbleibenden Handlungen erforderlich ist.
Aber nicht nur die Kunst des Landwirts: die all-
gemeine Leitung der landwirtschaftlichen Operationen,
sondern auch viele untergeordnete Zweige der länd-
lichen Arbeit erfordern viel mehr Geschicklichkeit und
Erfahrung, als die meisten Handwerke. Der Mann, der
Messing und Eisen bearbeitet, arbeitet mit Werkzeugen
und Rohstoffen, deren Beschaffenheit sich immer völlig
oder beinahe gleichbleibt. Der Mann dagegen, der den
Boden mit einem Gespann Pferden oder Ochsen pflügt,
Adam Smith, Volkswohlstand. 1. l«^
178 Erstes Buch: Zunahme in dei- Ertra,s,skraft der Arbeit.
arbeitet mit Werkzeugen, deren Gesundheit, Kraft und
Temperament in verschiedenen Fällen sehr verschieden
sind. Die Beschaffenheit der Stoffe, die er bearbeitet,
ist eben so verschieden, wie es seine Werkzeuge sind,
und beide müssen mit vielem Urteil und großer Vor-
sicht behandelt werden. Der gewöhnliche Bauer, der in
der Regel als ein Muster von Einfalt und Dummheit
angesehen wird, ermangelt dieses Urteils und dieser
Vorsicht nur selten. Allerdings ist er weniger an ge-
selligen Umgang gewöhnt, als der in der Stadt lebende
Handwerker: seine Stimme und Sprache ist rauher
und für den, der nicht daran gewöhnt ist, schwerer zu
verstehen; aber sein Verstand, der sich täglich mit
einer größeren Mannigfaltigkeit von Gregenständen be-
schäftigen mul3, ist in der Regel dem der Anderen,
deren ganze Aufmerksamkeit vom Morgen bis zum
Abend an eine oder zwei höchst einfache Verrich-
tungen gefesselt ist, weit überlegen. Wie sehr in der
Tat die niederen Volksklassen auf dem Lande denen
in der Stadt überlegen sind, weiß Jeder, der durch
Geschäfte oder Neugierde veranlaßt war, viel mit
beiden zu verkehren. Darum sollen auch in China und
Hindostan der Rang und die Löhne der Landleute
höher sein, als die der meisten Handwerker. Ver-
hinderten dies nicht die Zunftgesetze und der Zunft-
geist, so wäre es wahrscheinlich aller Orten so.
Die Überlegenheit, welche der städtische Gewerb-
fleiß in ganz Europa über den ländlichen behauptet,
hat freilich ihren Grund nicht ausschließlich in den
Zünften und Zunftgesetzen; sie wird auch durch an-
dere Maßregeln aufrecht erhalten. Die hohen Steuern
auf fremde Industrieerzeugnisse und alle von aus-
wärtigen Kaufleuten eingeführten Waren haben den-
selben Zweck. Die Zunftgesetze ermöglichen es den
Städtern, ihre Preise zu erhöhen, ohne befürchten zu
müssen, durch die freie Konkurrenz ihrer eignen
Kap. X, II.: Ungleichheiten infolge d. europ. Wirtschaftspolitik. 179
Landsleutebedrängt ZU weiden; jene andern Maßregeln
sichern sie gleicher Weise gegen die Konkurrenz der
Fremden. Diese doppelte Preiserhöhung muß am Ende
von den Gutsbesitzern, Pächtern und Bauern bezahlt
werden, die sich selten der Errichtung solcher Mono-
pole widersetzt haben. Sie haben gewöhnlich weder
Neigung noch Geschick, Vereinigungen zu bilden
und lassen sich leicht durch das Geschrei und die
Sophisterei der Kaufleute und Gewerbetreibenden über-
reden, daß das Privatinteresse eines Teils, und noch
dazu eines untergeordneten Teils der Gesellschaft, das
allgemeine Interesse des Ganzen sei.
In Großbritannien scheint die Überlegenheit des
städtischen Gewerbfleißes über den ländlichen früher viel
größer gewesen zu sein, als jetzt. Der Lohn der länd-
lichen Arbeit kommt jetzt dem der gewerblichen, und
der Gewinn der auf den Landbau verwendeten Kapitalien
dem in Gew^erben angelegten näher, als es im vorigen
Jahrhundert, oder im Anfang des gegenwärtigen der Fall
gewesen sein soll. Dieser Umschwung kann als die not-
wendige, wenn auch sehr späte Folge des außerordent-
lichen Sporns angesehen werden, den man der städti-
schen Industrie zu Teil werden ließ. Das in den
Städten aufgehäufte Kapital wird mit der Zeit so groß,
daß es sich nicht länger mit dem alten Gewinn in den
eigentlich städtischen Industriezweigen anlegen läßt.
Der städtische Gewerbfleiß hat wie alles andere seine
Grenzen, und das Anwachsen der Kapitalien steigert
den Mitbewerb und ermäßigt dadurch notwendig den
Gewinn. Das Sinken des Gewinnes in der Stadt treibt
das Kapital aufs Land hinaus, wo es eine neue Nach-
frage nach ländlicher Arbeit hervorruft und dadurch
notwendig ihren Lohn erhöht. Dann verstreut es sich
so zu sagen über das flache Land und wird durch seine
Anlegung im Ackerbau dem Lande, auf dessen Kosten
12*
180 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
es sich ursprünglich in der Stadt bedeutend angesammelt
hatte, zum Teil wieder erstattet. Daß überall in Europa
die größten Verbesserungen des Landes solchen Er-
gießungen des ursprünglich in den Städten aufgehäuf-
ten Kapitals beizumessen sind, werde ich später zeigen,
und ich werde dann auch dartun, daß, obschon einige
Länder auf diesem Wege einen hohen Grad von Reich-
tum erlangt haben, dieser Weg selbst doch notwendig
langsam, ungewiß, unzähligen störenden und unter-
brechenden Zufällen ausgesetzt und der natürlichen und
vernünftigen Ordnung in jeder Beziehung entgegenge-
setzt ist. Die Interessen, Vorurteile, Gesetze und Ge-
wohnheiten, die dazu Veranlassung geben, werde ich im
dritten und vierten Buche dieser Untersuchung, so voll-
ständig und klar ich es vermag, auseinandersetzen.
Leute desselben Gewerbes kommen, selbst auch
nur zur Erholung und zum Vergnügen selten zu-
sammen, ohne daß ihre Unterhaltung mit einer Ver-
schwörung gegen das Publikum oder einem Plane zur
Erhöhung der Preise endigt. Es ist allerdings nicht
möglich, solchen Zusammenkünften durch ein Gesetz
vorzubeugen, das ausführbar oder mit Freiheit und Ge-
rechtigkeit verträglich wäre. Wenn aber das Gesetz
Leute desselben Gewerbes nicht hindern kann, zu-
weilen zusammenzukommen, so sollte es wenigstens
Nichts tun, diese Zusammenkünfte zu erleichtern, ge-
schweige denn, sie zu fordern.
Eine Verordnung, welche alle Angehörigen des-
selben Gewerbes in einer Stadt verpflichtet, ihre
Namen und Wohnungen in ein öffentliches Register-
eintragen zu lassen, erleichtert jene Zusammenkünfte.
Sie bringt Individuen in Berührung mit einander, die
ohne dies vielleicht niemals mit einander bekannt ge-
worden wären, und gibt jedem die Richtung an, wo
er seinesgleichen finden kann.
Kap. X,II.: Ungleichheiten infolge d. eiirop. Wirtschaftspolitik. J g J^
Eine Verordnung, die die Angehörigen eines Ge-
werbes ermächtigt, sich selbst Steuern aufzulegen, um
für ihre Armen, Kranken, "Witwen und Waisen zu
sorgen, zeitigt ein gemeinsames Interesse an der Ver-
waltung und macht dadurch jene Zusammenkünfte
erforderlich.
Eine Zunft aber macht sie nicht allein notwendig,
sondern gibt auch den Beschlüssen der Mehrheit eine
bindende Kraft für das Ganze. In einem freien Gewerbe
kann eine wirksame Verbindung nur durch die einmütige
Zustimmung aller einzelnen Gewerbtreibenden zustande
kommen, und kann nicht länger dauern, als Alle eines
Sinnes bleiben. Die Mehrheit einer Zunft aber kann
Statuten mit Strafandrohungen begleiten, wodurch die
Konkurrenz wirksamer und dauernder eingeschränkt
wird, als durch irgend eine freiwillige Verbindung.
Das Vorgeben, daß Zünfte zur besseren Leitung
des Gewerbes notwendig seien, entbehrt aller Begrün-
dung. "Die wahre und wirksame Aufsicht, die über einen
Arbeiter geführt wird, geht nicht von seiner Zunft, son-
dern von seinen Kunden aus. Die Furcht, seine Arbeit
zu verlieren, hält ihn vom Betrüge ab, und zügelt
seine Nachlässigkeit. Ein Zunftmonopol schwächt not-
wendig die Kraft dieser Aufsicht. Eine bestimmte Klasse
von Arbeitern muß dann beschäftigt werden, mögen
sie ihre Sache gut oder schlecht machen. Dies ist der
Grund, warum in mancher großen korporierten Stadt
selbst in den notwendigsten Gewerbszweigen keine er-
träglichen Arbeiter aufzutreiben sind. AVill man eine
Arbeit ordentlich ausgeführt sehen, so muß man sie
in den Vorstädten machen lassen, wo die Arbeiter kein
ausschliessliches Privilegium haben, sondern nur auf
ihren Ruf angewiesen sind, und man muß sie dann,
so gut es geht, in die Stadt einschmuggeln.
Auf diese Weise führt die europäische Wirtschafts-
politik durch die Einschränkung der Konkurrenz auf
182 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
eine geringere Zahl von Mitwerbern, als sich sonst ein-
zustellen geneigt finden würde, zu einer sehr bedeu-
tenden Ungleichheit in der Gesamtheit der Vorteile
und Nachteile bei den verschiedenen Arbeits- und
Kapitalsanlagen.
Zweitens, die europäische Wirtschaftspolitik bringt
durch Steigerung der Konkurrenz in einigen Ge-
schäften über ihr natürliches Maß, eine andere gerade
entgegengesetzte Ungleichheit in der Gesamtheit der
Vorteile und Nachteile bei den verschiedenen Arbeits-
und Kapitalsanlagen hervor.
Man hat es für so wichtig gehalten, eine gehörige
Zahl junger Leute für bestimmte Berufsarten auszu-
bilden, daß bald die Behörden, bald der fromme Sinn
mildtätiger Privatleute eine Menge von Stipendien, Kost-
geldern, Stiftungen usw. zu diesem Zwecke gegründet
hat, die viel mehr junge Leute zu diesen Berufsarten
heranbilden, als sich sonst dazu drängen würden. In
allen christlichen Ländern, glaube ich, wird die Aus-
bildung der meisten Geistlichen auf diese Weise be-
stritten. Nur sehr wenige werden ganz auf ihre eigenen
Kosten gebildet. Letzteren verschafft daher ihre lange,
mühselige und kostspielige Erziehung nicht immer eine
angemessene Belohnung, da der geistliche Stand mit
Leuten überfüllt ist, die, um nur eine Anstellung zu
bekommen, gern ein viel geringeres Gehalt annehmen,
als eine derartige Ausbildung sonst fordern könnte; und
die Konkurrenz der Armen nimmt auf diese Weise den
Reichen ihren Lohn weg. Es wäre ungehörig, einen
Pfarr'verweser oder Kaplan mit dem Gesellen in einem
geraeinen Handwerk zu vergleichen. Ein wesentlicher
Unterschied in der Bezahlung eines Pfanverwesers oder
Kaplans und dem Lohne eines Gesellen besteht jedoch
nicht. Sie werden alle drei für ihre Arbeit nach Maßgabe
des Vertrages bezahlt, den sie mit ihren Vorgesetzten
gemacht haben. Bis nach der Mitte des vierzehnten Jahr-
Kap. X,n.: Ungleichheiten infolge d. eiirop. Wirtschaftspolitik. 183
hunderts waren in England fünf Mark, die ungefähr so
viel Silber enthielten, als zehn Pfund unseres jetzigen
Geldes, das übliche Gehalt eines Pfarrverwesers oder
eines besoldeten Gemeindepfarrers, wie es in den De-
kreten verschiedener Landeskonzilien festgesetzt ist. Zu
dieser Zeit wurden fünf Pence, die so viel Silber ent-
hielten, als unser jetziger Schilling, als Tagelohn eines
Maurermeisters, und drei Pence, d. h. neun Pence unseres
jetzigen Geldes, als der eines Maurergesellen erklärt*).
Der Lohn dieser beiden Handwerker wird also, unter
der Voraussetzung, daß Letztere den dritten Teil des
Jahres keine Beschäftigung haben, einem Pfarrverweser-
gehalt vollständig gleich gekommen sein. Durch ein
Statut aus dem zwölften Regierungsjahre der Königin
Anna, Kapitel 12, wird verordnet: „daß da aus Mangel
an genügendem Unterhalt und hinlänglicher Aufmunte-
rung für die Pfarrverweser an manchen Orten die
Pfarren nicht besetzt sind, der Bischof ermächtigt ist,
durch ein mit seiner Unterschrift und seinem Siegel
versehenes Dokument ein hinreichendes festes Gehalt
anzuweisen, das nicht mehr als fünfzig und nicht
weniger als zwanzig Pfund des Jahres betragen darf."
Vierzig Pfund werden gegenwärtig für ein sehr gutes
Pfarrverwesergehalt angesehen, und es gibt trotz jener
Parlamentsakte noch manche Pfarrverweserstellen unter
zwanzig Pfund Jahrgehalt. Schuhmachergesellen in
London verdienen jährlich bis zu vierzig Pfund, und
es wird sich schwerlich ein Handwerker irgend einer
Art in dieser Hauptstadt finden, der nicht mehr als
zwanzig verdiente. Die letztere Summe übersteigt in
der Tat nicht den Verdienst gewöhnlicher Arbeiter
in manchen Landgemeinden. So oft das Gesetz ver-
sucht, den Lohn der Arbeiter zu regeln, hat es ihn
stets eher erniedrigt, als erhöht. Dagegen hat das Ge-
*) S. das Arbeitergesetz aus dem i'üni'undzwanzigston Ke-
gierungsjahi'e Eduards III.
X84 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
setz bei vielen Gelegenheiten das Grehalt der Pfarrver-
weser zu erhöhen und um der Würde der Kirche willen
die Rektoren der Kirchspiele zu verpflichten gesucht,
ihnen mehr als den elenden Unterhalt zu geben, den
sie anzunehmen bereit waren. In beiden Fällen aber
scheint das Gesetz gleich unwirksam geblieben zu sein,
und hat nie weder das Gehalt der Pfarrverweser auf
das beabsichtigte Maß zu erhöhen, noch den Lohn
der Arbeiter so weit herunter zu drücken vermocht,
weil es jene nicht hindern konnte, sich bei der Dürf-
tigkeit ihrer Lage und der Menge ihrer Mitbewerber mit
einem geringeren, als dem gesetzlichen Jahrgehalt zu
begnügen, und weil es andrerseits diese nicht hindern
konnte, mehr als den gesetzlichen Lohn zu nehmen,
da ihnen der Wettbewerb derer, die sich von ihrer
Arbeit Gewinn versprachen, gern mehr bewilligte.
Die großen Pfründen und sonstigen geistlichen
Ehrenstellen halten die Ehre der Kirche trotz der
ärmlichen Umstände einiger ihrer niederen Glieder
aufrecht. Auch bietet die dem Stande gezollte Achtung
letzteren für die Ärmlichkeit ihrer Geldbelohnung
einigen Ersatz. In England und in allen römisch-
katholischen Ländern ist das Los der Kirche in der
Tat weit günstiger, als es nötig wäre. Das Beispiel
der schottischen, genfer und einiger anderen pro-
testantischen Kirchen kann uns überzeugen, daß in
einem geachteten Berufe, in welchem die Ausbildung
so wohlfeil erworben wird, schon die Hoffnung auf
weit geringere Pfründen dem geistlichen Stande eine
hinlängliche Zahl von gelehrten, anständigen und
achtbaren Leuten zuführen wird.
Wenn für Berufsarten, in denen es keine Pfründen
gibt, z. B. die Jurisprudenz und Medizin, eine gleiche
Zahl Leute auf öffentliche Kosten ausgebildet würde,
so würde die Konkurrenz bald so groß werden, daß
der Geldlohn sich bedeutend niedriger stellen müßte.
Kap. X, IL: Ungleichheiten infolge d. eiirop. Wirtschaftspolitik. 185
Es würde dann nicht der Mühe lohnen, seinen Sohn
auf eigene Kosten zu einem solchen Stande erziehen
zn lassen, der vielmehr gänzlich denen überlassen
würde, die ihre Erziehung öffentlichen Stiftungen ver-
dankten und wegen ihrer Menge und Dürftigkeit sich
im Allgemeinen mit recht elendem Lohn begnügen
müßten, zum Schaden der jetzt so achtbaren Stände
des Rechtsgelehrten und Arztes.
Die wenig glückliche Klasse von Leuten, die man
gewöhnlich Literaten nennt, befindet sich ziemlich ge-
nau in der Lage, in welcher Rechtsgelehrte und Arzte
sich wahrscheinlich unter der obigen Voraussetzung
befinden würden. In allen europäischen Ländern sind
die meisten von ihnen für den Kirchendienst erzogen
worden, aber durch verschiedene Gründe verhindert,
in den geistlichen Stand zu treten. Sie haben also
ihre Bildung in der Regel auf öffentliche Kosten er-
halten, und ihre Menge ist überall so groß, daß dadurch
der Preis ihrer Arbeit auf eine höchst klägliche Be-
lohnung zusammenzuschrumpfen pflegt.
Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst bestand
die einzige Arbeit, durch die ein Literat mit seinem
Talente etwas erwerben konnte, darin, daß er öffent-
licher oder Privatlehrer wurde, d. h. anderen Leuten die
wissenswerten und nützlichen Kenntnisse mitteilte, die
er sich erworben hatte. Und dies ist sicherlich noch
ein ehrenwerteres, nützlicheres und in der Regel auch
einträglicheres Geschäft, als die Schriftstellerei für einen
Buchhändler, wozu die Buchdruckerkunst Veranlassung
gegeben hat. Es sind wenigstens eben so viel Zeit,
Studium, Geist, Kenntnisse und Fleiß dazu erforderlich,
ein ausgezeichneter Lehrer der Wissenschaften, als ein
hervorragender Arzt oder Rechtsgelehrter zu werden.
Doch steht der übliche Lohn eines tüchtigen Lehrers
in keinem Verhältnis zu dem eines RechtsiJ:elehrten oder
186 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Arztes, weil das Geschäft des einen mit dürftigen Leuten,
die auf öffentliche Kosten ausgebildet wurden, überfüllt
ist, während in die beiden anderen Geschäfte sich nur
Wenige eindrängen, die nicht auf eigene Kosten stu-
diert haben. So gering aber auch der übliche Lohn
öffentlicher und Privatlehrer erscheint, so würde er
doch ohne Zweifel noch geringer sein, wenn nicht die
Konkurrenz der noch dürftigeren Gelehrten abginge,
die fürs Brot schreiben. Vor der Erfindung der Buch-
druckerkunst scheinen Schüler und Bettler so ziemlich
gleichbedeutende Ausdrücke gewesen zu sein. Die
Kektoren der Universitäten stellten vor dieser Zeit
ihren Studenten oft Erlaubnisscheine zum Betteln aus.
Im Altertum, wo keine Stiftungen der erwähnten
Art dürftige Leute zu gelehrten Berufsarten ausbilden
ließen, war anscheinend die Bezahlung tüchtiger Lehrer
viel beträchtlicher. Isokrates wirft in seiner sogenann-
ten Rede gegen die Sophisten den Lehrern seiner Zeit
einen Widerspruch vor. „Sie machen, sagt er, ihren
Schülern die glänzendsten Versprechungen und wollen
sie lehren, weise, glücklich und gerecht zu sein, ver-
langen aber für einen so wichtigen Dienst nur einen
lumpigen Lohn von vier oder fünf Minen. Wer Weis-
heit lehrt — fährt er fort — sollte doch selbst weise
sein; wenn aber einer einen solchen Handel für solch
einen Preis abschließt, so beweist er augenscheinlichste
Torheit". An dieser Stelle wird er gewiß den Lohn
nicht größer gemacht haben, als er wirklich war. Vier
Minen sind aber so viel, wie dreizehn Pfund, sechs
Schilling und acht Pence; fünf Minen sind sechzehn
Pfund, dreizehn Schilling und vier Pence. Es wurde
also damals den hervorragendsten Lehrern in Athen eine
Summe gezahlt, die wenig hinter dem größeren Betrage
zurückgeblieben sein wird. Isokrates selbst verlangte
zehn Minen, oder dreiunddreißig Pfund, sechs Schilling
Kap. X,II.: Ungleichheiten infolge d.europ.Wirtschaftspolitik. 187
und acht Pence von jedem seiner Schüler. Bei seinen
Vorträgen in Athen soll er hundert Zuhörer gehabt
haben. Ich verstehe dies von der Anzahl, denen er
gleichzeitig Vorträge hielt, oder die, wie wir das nennen,
einen Kursus bei ihm hörten, und diese Anzahl wird in
einer so großen Stadt bei einem so berühmten Lehrer,
der noch dazu eine Wissenschaft, die Rhetorik, vortrug,
die damals eine Modewissenschaft war, durchaus nicht
ungewöhnlich groß erscheinen. Er muß mithin in
jedem Kursus tausend Minen oder £ 3333, 6 sh. 8 d.
eingenommen haben. Auch von Plutarch wird an einer
Stelle angegeben, daß tausend Minen sein Didaktron
oder gewöhnliches Honorar gewesen sei. Viele andere
berühmte Lehrer jener Zeit scheinen ein großes Ver-
mögen erworben zu haben. Gorgias schenkte dem Tem-
pel von Delphi seine eigene Statue aus gediegenem Golde.
Wir brauchen allerdings nicht anzunehmen, daß sie le-
bensgroß gewesen sei. Der Fuß, auf dem er, sowie
Hippias und Protagoras, zwei andere ausgezeichnete
Lehrer jener Zeit, lebten, war nach Plato glänzend bis
zur Prahlerei. Plato selbst soll großen Aufwand ge-
macht haben. Nachdem Aristoteles Erzieher des Alex-
ander gewesen und sowohl von diesem, als von seinem
Vater Philipp, wie alle Zeugnisse bekunden, aufs Glän-
zendste belohnt worden war, hielt er es doch noch der
Mühe für weit, nach Athen zurückzukehren, um seine
Vorträge wieder aufzunehmen. Lehrer der Wissen-
schaftenwaren zu jener Zeit anscheinend weniger häufig,
als ein oder zwei Menschenalter später, wo der Wett-
bewerb wahrscheinlich sowohl den Preis ihrer Arbeit
als auch die Bewunderung für ihre Por'son etwas oi'-
mäßigt hatte. Doch scheinen die heivorj-agendsten unter
ihnen noch immer einen Grad von Achtung genossen
zu haben, wie ihn heutigen Tages kein Mann gleichen
Standes irgendwo erreicht. Die Athener betrauten den
188 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Akademiker Karneades und den Stoiker Diogenes mit
einer feierlichen Gesandtschaft nach Rom, und wenn ihre
Stadt damals auch schon von ihrer früheren Größe herab-
gesunken war, so war sie doch immer noch eine unab-
hängige und ansehnliche Republik. Überdies war Kar-
neades ein Babylonier von Geburt, und da niemals ein
Volk eifersüchtiger als die Athener darüber wachte, keine
Fremden zu öffentlichen Würden zuzulassen, so muß
ihre Achtung für ihn sehr groß gewesen sein.
Im Ganzen ist übrigens dieser Umschwung für das
Publikum vielleicht eher vorteilhaft als schädlich. Der
Stand eines öffentlichen Lehrers ist dadurch etwas her-
abgesetzt worden; aber die Wohlfeilheit der gelehrten
Erziehung ist sicherlich ein Vorteil, der diesen kleinen
Übelstand weit überwiegt. Auch würde davon das
Publikum noch viel größeren Gewinn haben, wenn
die Einrichtungen der gelehrten Schulen und Univer-
sitäten vernünftiger wären, als sie es jetzt durchweg
in Europa sind.
Drittens, die europäische Wirtschaftspolitik bringt
durch Hemmung der freien Bewegung der Arbeit und
des Kapitals sowohl von Geschäft zu Geschäft, als von
Ort zu Ort, in manchen Fällen eine sehr schädliche
Ungleichheit in der Gesamtheit der Vorteile und Nach-
teile ihrer Anlagen hervor.
Das Lehrlingsgesetz hemmt die freie Arbeitsbewe-
gung von einem Geschäft zum anderen sogar an ein
und demselben Orte. Die ausschließenden Zunftprivi-
legien hemmen sie von einem Orte zum anderen sogar
in ein und demselben Geschäfte.
Es kommt häufig vor, daß, während den Arbeitern
in dem einen Gewerbe hoher Lohn gegeben wird, sie
in einem anderen mit der nackten Existenz vorlieb
nehmen müssen. Das eine gedeiht und hat einen steten
Begehr nach frischen Arbeitskräften; das andere hin-
Kap. X,IT.: Uno-leioliheitpn infnl.o-o d. curop.Wirtscliaftspolitik. 189
gegen verfällt und der Überfluß an Arbeitskräften
nimmt stets zu. Zwei solche Gewerbe können bald in
einer und derselben Stadt, bald in einer und derselben
Gegend sein, ohne daß sie im Stande wären, einander
nur die geringste Hilfe zu leisten. In dem einen Falle,
ist das Lehrlingsgesetz hinderlich und in dem anderen
sowohl dieses als die ausschließende Zunft. Gleichwohl
sind in vielen Gewerben die Operationen einander so
ähnlich, daß die Arbeiter leicht aus dem einen in das
andere übertreten könnten, wenn jene abgeschmackten
Gesetze es nicht verhinderten. Das Weben glatter
Leinenzeuge und glatter Seidenzeuge ist z. B. fast ganz
dasselbe. Das Weben glatter Wollenwaren ist etwas
Anderes, aber der Unterschied ist so unbedeutend, daß
ein Seiden- oder Leinweber in wenigen Tagen ein ganz
guter Tuchweber werden könnte. Geriete nun eines
dieser drei Hauptgewerbe in Verfall, so könnten die
Arbeiter leicht in einem der beiden anderen, deren Lage
glücklicher ist, Zuflucht finden, und ihr Lohn würde
weder in dem blühenden Gewerbe zu hoch, noch in dem
verfallenden zu niedrig werden. Die Leinweberei steht
zwar in England laut einem besonderen Statut Jedermann
offen ; da sie aber in den meisten Gegenden des Landes
wenig betrieben wird, so kann sie den Arbeitern an-
derer verfallender Gewerbe keine allgemeine Zuflucht
bieten, und diese haben überall, wo das Lehrlingsge-
setz in Geltung ist, keine andere Wahl, als entweder
dem Kirchspiel zur Last zu fallen, oder sich als Tage-
löhner zu verdingen, wozu sie sich vermöge ihrer bis-
herigen Gewohnheiten weit weniger schicken, als zu ir-
gend einem anderen Gewerbszweige, der mit dem ihrigen
einige Ähnlichkeit hat. Darum ziehen sie es denn auch^
in der Regel vor, dem Kirchspiel zur Last zu fallen.
Alles, was die freie Bewegung der Arbeit von einem
Geschäfte zum andern hemmt, hemmt auch die des
Kapitals, da die Größe des Kapitals, das in einem Ge-
190 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Schäftszweige angelegt werden kann, sehr von derMenge
der Arbeit abhängt, die in ihm aufgewendet wird. Doch
legen Zunftgesetze dem freien Umlauf des Kapitals
von einem Orte zum anderen weniger Hindernisse in
den Weg, als der Arbeit. Für einen reichen Kaufmann
ist es übei'all leichter, in einer korporierten Stadt ein
Handelsprivilegium zu erlangen, als für einen armen
Handwerker die Erlaubnis, in ihr arbeiten zu dürfen.
Die Hemmung, die Zunftgesetze der freien Be-
wegung der Arbeit auflegen, ist, glaube ich, allen Teilen
Europas gemein; diejenige aber, welche durch die
Armengesetze bewirkt wird, ist, so viel ich weiß, nur
England eigentümlich. Sie besteht in der Schwierigkeit
für einen armen Mann, sich in einem andern Kirch-
spiel als dem, zu welchem er gehört, niederlassen oder
auch nur sein Geschäft treiben zu dürfen. Durch Zunft-
gesetze wird nur die freie Bewegung der Arbeit der
Handwerker und industriellen Arbeiter gehemmt; die
Erschwerung der Niederlassung aber hemmt auch die
der gemeinen Arbeit. Es ist der Mühe wert, den Ur-
sprung, Fortschritt und gegenwärtigen Zustand dieses
Übels, vielleicht des größten der englischen Wirt-
schaftspolizei, kurz zu berichten.
Als durch die Aufhebung der Klöster die Armen
der Unterstützung dieser frommen Häuser beraubt
worden waren, wurde nach einigen anderen frucht-
losen Versuchen zu ihren Gunsten durch ein Gesetz
aus dem 43. Jahre Elisabeths, Kapitel 2, verordnet,
daß jedes Kirchspiel für seine Armen zu sorgen ver-
pflichtet sein, und jährlich Armenaufseher bestellt
werden sollten, die in Gemeinschaft mit den Kirchen-
vorstehern eine diesem Zwecke angemessene Summe
durch eine Kirchspielsteuer zu erheben hätten.
Dieses Gesetz legte jedem Kirchspiel die unerläß-
liche Pflicht auf, für seine Armen zu sorgen. Es ent-
Kap. Xjr.: Ungleichheiten infol.o-e d. ourop.Wirtschaftspolitik. 191
stand dadurch die wichtige Frage, wer denn als Armer
eines Kirchspiels zu betrachten sei. Diese Frage wurde
nach einigem Schwanken endlich durch Statut aus dem
13. und 14. Regierungsjahre Karls II. entschieden, in
dem verordnet war, daß vierzig Tage eines ungestörten
Aufenthalts Jedem die Ansässigkeit in einem Kirch-
spiel erwerben sollten; doch sollte innerhalb dieser
Zeit zwei Friedensrichtern das Recht zustehen, auf
Klage seitens der Kirchenvorsteher oder Armenauf-
seher, jeden neuen Einwohner in das Kirchspiel, in
dem er zuletzt rechtmäßig ansässig gewesen, zu ver-
weisen, wenn er nicht entweder eine Pachtung von
zehn Pfund jährlicher Pacht übernehmen oder dem
Kirchspiel eine ausreichende Bürgschaft stellen könne,
daß er ihm nicht zur Last fallen werde.
Dieses Gesetz soll manche Betrügereien veranlaßt
haben. Kirchspielbeamte bestachen mitunter ihre eigenen
Armen, heimlich in ein anderes Kirchspiel auszuwan-
dern, und hielten sie vierzig Tage lang daselbst ver-
borgen, damit sie die Ansässigkeit gewönnen, um das
Kirchspiel, dem sie eigentlich angehörten, von ihnen zu
befreien. Darum verordnete ein Statut aus dem ersten
Regierungsjahre Jakobs II., daß die vierzig Tage un-
gestörten Aufenthalts, die zur Erwerbung der An-
sässigkeit erforderlich waren, erst von dem Augenblick
an gerechnet werden sollten, an dem Jemand einem
der Vorsteher oder Armenaufseher des Kirchspiels, in
dem er künftig wohnen wollte, schriftlich seinen Wohn-
ort und die Stärke seiner Familie angemeldet hätte.
Indeß waren die Kirchspielsbeamten gegen ihr
eigenes Kirchspiel nicht immer ehrlicher, als sie es
gegen fremde gewesen waren, und drückten hie und
da bei solchen Einnistungen die Augen zu, indem sie
zwar die Anmeldung in Emi)fang nahmen, aber nicht
die erforderlichen Schritte taten. Da man annahm, daß
jeder Einwohner eines Kirchspiels ein Interesse daran
192 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
haben müsse, der Belastung durch solche Eindringlinge
so viel als möglich vorzubeugen, so wurde im dritten
ßegierungsjahre Wilhelms III. ferner verordnet, daß
die vierzig Aufenthaltstage erst von dem Tage an ge-
rechnet werden sollten, an dem die schriftliche Anmel-
dung Sonntags in der Kirche unmittelbar nach dem
Gottesdienste öffentlich verlesen worden sei.
„Am Ende", sagt Dr. Burn, „wurde diese Art der
Ansässigkeit, die man erst durch einen vierzigtägigen
Aufenthalt nach der öffentlichen Verlesung der schrift-
lichen Anmeldung erwerben konnte, nur sehr selten er-
langt, und der Zweck dieser Anordnungen ist nicht so-
wohl der, Jemand die Ansässigkeit zu erleichtern, als
vielmehr die Ansässigkeit von Leuten, die heimlich in
das Kirchspiel kommen, zu hintertreiben ; denn sich an-
melden heißt nur, das Kirchspiel nötigen, sie wieder
wegzuschaffen. Ist aber die Lage Jemandes der Art,
daß es zweifelhaft bleibt, ob er wirklich zurückgeschickt
werden dürfe oder nicht, so wird er durch seine An-
meldung das Kirchspiel nötigen, ihm entweder dadurch,
daß es ihn vierzig Tage bleiben läßt, eine unbestrittene
Ansässigkeit zu bewilligen, oder dadurch, daß es ihn
wegschafft, die Sache vor den Kichter zu bringen."
Dieses Statut machte es also für einen armen Mann
fast unmöglich, auf die frühere Weise durch vierzig-
tägigen Aufenthalt einen festen Wohnsitz zu gewinnen.
Damit es aber nicht den Anschein habe, als sollten die
gewöhnlichen Leute gänzlich von der Ansiedelung in
einem anderen Kirchspiel ausgeschlossen wei'den,
wurden vier andere Arten festgesetzt, wie ohne eine
abgegebene oder öffentlich verlesene Anmeldung die
Ansässigkeit gewonnen werden könne. Erstens konnte
man sie erwerben, wenn man zu den Kirchspielsabgaben
zugezogen wurde und sie bezahlte; zweitens, wenn man
auf ein Jahr zu einem Kirchspielsamte gewählt wurde
und es diese Zeit über versah ; drittens, wenn man im
Kap. X,II.: Ungleiclilieiton infolge d. europ.Wirtschaftspolitik. 1 93
Kirchspiel seine Lehrzeit bestand ; viertens endlich, wenn
man dort auf ein Jahr in Dienst genommen wurde und
ein ganzes Jahr lang in diesem Dienste verblieb.
Auf eine der beiden ersteren Arten ist indessen die
Ansässigkeit nur durch einen öffentlichen Akt des ganzen
Kirchspiels zu erlangen, das dabei wohl auf die Folgen
Acht gibt, die daraus hervorgehen, wenn es einen
neuen Ankömmling, der keine anderen Unterhaltsmittel
als seine Arbeit hat, durch Zuziehung zu den Abgaben
oder durch Wahl zu einem Amte bei sich aufnimmt.
Auf eine der beiden letzteren Arten kann hin-
gegen kein Verheirateter Ansässigkeit erwerben. Ein
Lehrling ist schwerlich jemals verheiratet, und es ist
ausdrücklich bestimmt, daß kein verheirateter Dienst-
bote durch Anstellung auf ein Jahr Ansässigkeit er-
werben solle. Die Haupt wirkung, welche die Einführung
einer durch Dienst zu erlangenden Ansässigkeit gehabt
hat, hat namentlich darin bestanden, daß die alte Ge-
wohnheit, auf ein Jahr zu mieten, die früher in England
so herkömmlich war, daß noch bis auf den heutigen
Tag das Gesetz in jedem Falle, wo kein bestimmter
Zeitraum ausgemacht worden, annimmt, daß der Dionst-
bote auf ein Jahr gemietet sei, großenteils außer Übung
gekommen ist. Die Arbeitgeber sind nicht immer willens,
ihren Dienstboten durch Mieten auf ein Jahr die An-
sässigkeit zu verschaffen, und die Dienstboten mögen
sich nicht immer so vermieten, weil sie, da stets der
letzte Wohnsitz die früheren aufhebt, die ursprüngliche
Ansässigkeit in ihrer Heimat, wo ihre Eltern und Ver-
wandten wohnen, dadurch einbüßen könnten.
Ein selbständiger Arbeiter, sei er Tagelöhner oder
Handwerker, wird offenbar nicht leicht eine neue
Ansässigkeit durch Lehr- oder Dienstjahro erwerben.
Wendet sich eine solche Person mit ihrem Gewerbe
in ein neues Kirchspiel, so setzt sie sich, wie gesund
Adam Smith, Volkswohlstand. I. 1<^
194 Erstes Buch: Zunahme in fler Ertragskraft der Arbeit.
und fleißig sie auch sein mag, der Gefahr aus, nach
der Laune eines Kirchenvorstehers oder Armenauf-
sehers wieder entfernt zu werden, wenn sie nicht ent-
weder für zehn Pfund im Jahre eine Pachtung über-
nimmt — was für jemanden, der nur von seiner Arbeit
lebt, unmöglich ist — oder eine zwei Friedensrichtern
genügend erscheinende Bürgschaft bietet, daß sie dem
Kirchspiel nicht zur Last fallen werde. Welche Sicherheit
sie fordern wollen, ist freilich ganz ihrem Gutdünken
überlassen ; aber sie können nicht wohl weniger als
dreißig Pfund verlangen, da eine Verordnung vor-
handen ist, nach der sogar der Kauf eines Freigutes
von weniger als dreißig Pfund Wert kein Ansässig-
keitsrecht geben soll, weil es nicht hinreichend sei,
das Kirchspiel vor der Armenbelastung zu sichern.
Diese Bürgschaft wird aber jemand, der von seiner
Arbeit lebt, kaum je geben können, und doch wird
oft noch eine viel größere gefordert.
Um jedoch einigermaßen die freie Bewegung der
Arbeit, die durch jene verschiedenen Gesetze fast
gänzlich aufgehoben war, wiederherzustellen, ist man
auf die sogenannten Zertifikate verfallen. Im achten
und neunten ßegierungsjahre Wilhelms III. wurde
festgesetzt, daß, wenn jemand aus dem Kirchspiel, in
dem er zuletzt rechtmäßig ansässig war, ein von den
Kirchenvorstehern und Armenaufsehern unterschriebe-
nes und von zwei Friedensrichtern bestätigtes Zertifikat
mitbringt, jedes andere Kirchspiel ihn aufzunehmen
verbunden ist; daß er nicht schon darum, weil er wahr-
scheinlich später zur Last fallen würde, sondern nur,
wenn er wirklich zur Last fällt, entfernt werden darf;
und daß dann das Kirchspiel, welches das Zertifikat
ausstellte, verpflichtet sein soll, die Kosten des Unter-
halts und der Fortschaffung zu tragen. Um aber dem
Kirchspiel, wohin ein mit einem Zertifikat ausgestatteter
Kap.X,II.: Ungleichheiten infolge d. europ.Wirtschaftsx^olitik. 195
Mann sich wendet, die ausreichendste Bürgschaft zu
geben, wurde durch dasselbe Gesetz ferner verordnet,
daß der Mann das Niederlassungsrecht nur dann er-
halten solle, wenn er eine Pachtung für zehn Pfund
jährlich übernehme, oder unentgeltlich ein Jahr lang
ein Kirchspielamt verwalte. Er konnte mithin weder
durch Anmeldung, noch durch Dienst, Lehrlingschaft
oder Zahlung der Kirchspielabgaben dazu gelangen.
Auch wurde im zwölften Regierungsjahre der Königin
Anna (Stat. I. c. 18.) noch verordnet, daß weder die
Dienstboten noch die Lehrlinge solcher auf Grund
von Zertifikaten zugelassener Leute in dem Kirchspiel
Ansässigkeit erwerben können.
Inwiefern diese Erfindung die freie Bewegung der
Arbeit, die durch die früheren Statute fast gänzlich auf-
gehoben war, wiederhergestellt habe, ersieht man aus
der folgenden sehr verständigen Bemerkung des Dr.
Burn. „Offenbar", sagt er, „liegen verschiedene gute
Gründe vor, von Personen, die sich an einem Orte nieder-
lassen wollen, Zertifikate zu verlangen, namentlich da-
mit die Inhaber nicht durch Lehrlingsschaft, Dienst,
Anmeldung, oder Zahlung der Kirchspielsteuern an-
sässig werden; damit sie weder Lehrlinge, noch Dienst-
boten ansässig machen können, damit man ferner, so-
bald sie dem Kirchspiel zur Last fallen, genau weiß,
wohin man sie zu bringen und an wen man sich wegen
der Fortschaffungs- und Unterhaltskosten in dieser
Zeit zu halten hat; und damit endlich, wenn sie krank
werden, und nicht fortgeschafft werden können, das
Kirchspiel, von dem das Zertifikat ausgestellt ist, den
Unterhalt erstattet — was alles ohne ein Zertifikat nicht
geschehen kann. Aber diese Gründe sind ebenso viele
Gründe für die Kirchspiele, in gewöhnlichen Fällen
keine Zertifikate auszustellen; denn es ist nur zu wahr-
scheinlich, daß sie ihre Inhaber zurückerhalten werden,
196 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
und dies noch dazu in einer schlechteren Lage". Die
Moral dieser Bemerkung scheint zu sein, daß das Kirch-
spiel, in dem ein Armer sich niederlassen will, stets Zer-
tifikate fordert, daß aber von dem, welches er zu ver-
lassen gedenkt, nur sehr selten solche bewilligt werden.
„Es liegt hierin", sagt derselbe einsichtsvolle Schrift-
steller in seiner Geschichte der Armengesetze, „eine
große Härte", indem es in die Macht eines Kirchspiel-
beamten gestellt ist, einen Menschen gewißermaßen für
sein ganzes Leben gefangen zu halten, mag es für ihn
auch noch so nachteilig sein, an dem Orte bleiben zu
müssen, an dem er das Unglück hatte, sogenannte An-
sässigkeit zu erwerben, oder mag er sich die größten
Vorteile von einem Aufenthalte am fremden Orte ver-
sprechen".
Obgleich ein Zertifikat kein Zeugnis des guten Be-
tragens enthält und nur bescheinigt, daß sein Inhaber
dem oder dem Kirchspiel angehöre, so steht es doch
ganz im Belieben der Kirchspielsbeamten, es zu ver-
weigern oder zu gewähren. Es sind, erzählt Dr. Burn,
einmal gerichtliche Schritte getan worden, um die
Kirchenvorsteher und Armenaufseher zur Ausstellung
eines Zertifikats zu nötigen, aber der Gerichtshof der
King's Bench hat den Antrag verworfen.
Der sehr ungleiche Arbeitspreis, den wir häufig in
England an gar nicht weit von einander liegenden Orten
finden, hat seinen Grund wahrscheinlich in den Hinder-
nissen, welche das Ansässigkeitsgesetz einem Armen,
der ohne Zertifikat mit seinem Gewerbe von einem Kirch-
spiel in das andere wandern möchte, entgegenstellt.
Ein einzelner, gesunder und fleißiger Mann wird zwar
hie und da ohne ein Zertifikat geduldet; aber wenn ein
Mann mit Weib und Kind es versuchen wollte, würde
er sicher in den meisten Kirchspielen entfernt werden,
und selbst der einzelne Mann würde, wenn er sich
Kap.XJI.: Ungleichheiten infolge d.europ.WirtschaftspoHtik. 197
später verheiratete, in der Hegel ausgewiesen werden.
Daher kann dem Mangel an Arbeitern in dem einen
Kirchspiel nicht immer durch den Überfluß in einem
anderen abgeholfen werden, wie das in Schottland und
wohl in allen anderen Ländern, in denen die Ansässig»
keit keine Schwierigkeiten bietet, so unablässig ge-
schieht. Wenn auch in solchen Ländern zuweilen
der Lohn in dei- Nähe einer großen Stadt, oder wo
sonst eine außergewöhnliche Nachfrage nach Arbeit
besteht, ein wenig steigt, und umgekehrt je nach der
größeren Entfernung von solchen Plätzen sinkt, bis
er wieder den gewöhnlichen Satz des Landes erreicht,
so begegnet man doch niemals so plötzlichen, uner-
klärlichen Verschiedenheiten im Arbeitslohn benach-
barter Orte, wie bisweilen in England, wo es oft für
einen Armen schwieriger ist, die künsthchen Schran-
ken eines Kirchspiels zu überschreiten, als einen
Meeresarm oder hohen Gebirgsrücken, d. h. natürliche
Grrenzen, die in anderen Ländern zuweilen die Lohn-
sätze sehr deutlich von einander scheiden.
Einen Mann, der sich Nichts hat zu Schulden
kommen lassen, aus dem Kirchspiel, in dem er wohnen
will, zu entfernen, ist eine offenbare Verletzung natür-
licher Freiheit und Gerechtigkeit. Dennoch hat das
gemeine Volk Englands, das auf seine Freiheit so eifer-
süchtig ist, aber gleich dem gemeinen Volke der meisten
anderen Länder nie recht weiß, worin sie besteht, diesen
Druck, dem es hilflos erliegt, jetzt schon länger als ein
Jahrhundert ruhig ertragen. Haben auch zuweilen den-
kende Männer das Ansässigkeitsgesetz als ein öffent-
liches Unglück beklagt, so hat es doch niemals einen
so allgemeinen Schrei des Unwillens heivorgerufen,
wie die generellen Verhaftsbefehle, die ohne Zweifel
auch ein Mißbrauch sind, aber doch nicht leicht einen
so allgemeinen Druck zur Folge hatten. Ich wage zu
198 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
behaupten, daß es in England kaum einen einzigen
armen Mann von vierzig Jahren gibt, der nicht zu
irgend einer Zeit seines Lebens durch dies unselige An-
sässigkeitsgesetz sich grausam bedrückt gefühlt hätte.
Ich schließe dieses lange Kapitel mit der Bemer-
kung, daß es zwar vor alters üblich war, den Lohn
festzusetzen und zwar anfänglich durch allgemeine für
das ganze Königreich gültige Gesetze und später durch
besondere Anordnungen der Friedensrichter in jeder
Grafschaft, — daß diese beiden Geu-ohnheiten aber
jetzt gänzlich abgekommen sind. „Nach der Erfah-
rung von mehr als vierhundert Jahren," sagt Dr.
Burn, „scheint es endlich Zeit zu sein, alle Versuche,
unter feste Hegeln zu bringen, was seiner Natur nach
jeder genauen Begrenzung unfähig scheint, aufzugeben;
denn wenn alle Arbeiter in einem Gewerbe gleichen
Lohn erhalten, hört der Wetteifer auf, und für Fleiß
und Talent wäre kein Raum mehr."
Dennoch wird zuweilen noch versucht, durch be-
sondere Parlamentsakte den Lohn für bestimmte Ge-
werbe und Orte festzustellen. So verbietet eine Akte
aus dem 8. Regierungsjahre Georgs III. unter schwerer
Geldstrafe allen Schneidermeistern in London und fünf
Meilen im Umkreise, mehr als zwei Schilling, sieben
und einen halben Pence täglich an Arbeitslohn zu
zahlen, es sei denn zur Zeit einer allgemeinen Landes-
trauer, — und eben so den Gesellen, mehr als diesen
Lohn anzunehmen. So oft die Gesetzgebung sich dazu
herbei läßt, die Unstimmigkeiten zwischen den Meistern
und ihren Arbeitern auszugleichen, ist sie stets von den
Meistern beraten. Wenn daher die Bestimmung zu
Gunsten der Arbeiter ausfällt, so ist sie stets gerecht
und billig; öfters aber, wenn sie zugunsten der Meister
ausfällt, ist sie es nicht. So ist das Gesetz, welches in
einigen Gewerben die Meister verpflichtet, ihre Ar-
Kap.X,II.: Ungleichheiten infoige d. europ.Wirtschaftspolitili. 1 99
beiter in Geld und nicht in Waren zu bezahlen, ganz
gerecht und billig; denn es legt den Meistern keine
wirkliche Last auf, sondern nötigt sie nur, den Geld-
wert zu bezahlen, den sie in Waren bezahlen zu wollen
vorgaben, aber nicht immer wirklich bezahlten. Dieses
Gesetz ist zugunsten der Arbeiter; dagegen die Akte
aus dem achten Regierungsjahre Georgs III. zugunsten
der Meister. Wenn die Meister sich zusammentun, um
den Lohn ihrer Arbeiter herabzusetzen, so schließen
sie gewöhnlich privatim einen Bund oder eine Über-
einkunft, bei Strafe nicht mehr als einen bestimmten
Lohn zu geben. Wollten die Arbeiter eine entgegen-
gesetzte Übereinkunft derselben Art schließen, bei
Strafe jenen Lohn nicht anzunehmen, so würde sie das
Gesetz sehr strenge bestrafen. Verführe es wirklich
unparteiisch, so müßte es gegen die Meister ebenso
handeln. Aber die Akte aus dem achten Regierungs-
jahre Georgs III. erteilt gerade der Regel, welche die
Meister durch derartige Verbindungen zuweilen ein-
zuführen suchen, gesetzliche Kraft, Die Klage der
Arbeiter, daß dadurch der geschickteste und fleißigste
Arbeiter mit dem mittelmäßigen auf eine gleiche Stufe
gesetzt werde, scheint durchaus wohlbegründet.
In früheren Zeiten war es auch üblich, den Ge-
winn der Kaufleute und anderer Händler durch Fest-
setzung des Preises für Lebensmittel und andere
Waren zu regeln. Die Brottaxe ist, so viel ich
weiß, der letzte Rest dieses alten Brauchs. Wo es
eine geschlossene Zunft gibt, da mag es gut sein, den
Preis der ersten Lebensbedürfnisse festzusetzen; wo
dies aber nicht der Fall ist, wird die Konkurrenz ihn
weit besser regeln, als irgend eine Taxe. Die durch
ein Gesetz aus dem 31. Regierungsjahre Georgs II.
eingeführte Methode, eine Brottaxe festzusetzen, konnte
in Schottland wegen eines Mangels im Gesetze nicht
200 Ei'ötes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
zur Ausführung gebracht werden, insofern die Voll-
ziehung auf dem Amte eines Marktschreibers ruhte,
das in Schottland nicht vorhanden ist. Dieser Mangel
wurde erst im dritten Regierungsjahre Georgs III.
gehoben. Inzwischen stiftete der Mangel einer Taxe
keinen merklichen Schaden, und ihre Einführung hat
an den wenigen Orten, an denen sie bestand, keinen
merklichen Vorteil gewährt. In den meisten schotti-
schen Städten gibt es jedoch eine Bäckerzunft, die
ausschließliche Berechtigungen in Anspruch nimmt,
ohne daß diese jedoch strenge gewahrt würden.
Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Lohn-
und Gewinnsätzen in den einzelnen Arbeits- und Ka-
pitalanlagen erleidet, wie schon bemerkt wurde, durch
den ßeichtum oder die Armut, durch einen fortschrei-
tenden, stillstehenden oder zurückgehenden Zustand
der Gesellschaft keine großen Veränderungen. Obwohl
solche Revolutionen in der öffentlichen Wohlfahrt den
Lohn- und Gewinnsatz im Ganzen treffen, so müssen
sie ihn am Ende doch in allen verschiedenen Anlage-
arten gleichmäßig treffen. Das Verhältnis zwischen
ihnen muß daher das nämliche bleiben, und kann
durch solche Umwälzungen wenigstens nicht für lange
Zeit gestört werden.
Elftes Kapitel.
Die Grundrente.
Die Rente, als der für die Nutzung des Bodens
gezahlte Preis betrachtet, ist naturgemäß der höchste,
den der Pächter nach der jeweiligen Bodenbeschaffen-
heit zu zahlen vermag. Bei der Feststellung der Pacht-
bedingungen sucht der Grundherr dem Pächter keinen
größeren Anteil am Krtrage zu lassen, als zur Erhal-
tung des Kapitals, von dem er die Aussaat bestreitet,
die Arbeit bezahlt und das Vieh nebst anderem Wirt-
schaftsinventar kauft und unterhält, so wie zur Gewäh-
rung des gewöhnlichen Gewinnes landwirtschaftlicher
Kapitalanlagen in der Gegend, ausreicht. Dies ist
offenbar der kleinste Anteil, an dem sich der Pächter
genügen lassen kann, wenn er nicht geradezu verlieren
will; der Grundherr aber ist selten bereit, ihm mehr
als diesen Anteil zu lassen. Was von dem Ertrage,
oder mit andern Worten von dem Preise des Ertrags
nach Abzug jenes Anteils übrig bleibt, sucht der Be-
sitzer natürlich für sich als Grundrente zu reservieren
— und dies ist offenbar das höchste, was der Pächter
nach der jeweiligen Bodenbeschaffenheit zu zahlen ver-
mag. Manchmal nimmt der Grundherr aus Fieigebigkeit,
öfters aus Unkenntnis etwas weniger; manchmal zahlt
auch der Pächter, obgleich dieser Fall seltener ist, aus
Unkenntnis etwas mehr, d. h. er begnügt sich mit einem
202 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
geringeren, als dem in der Gegend üblichen Gewinn
landwirtschaftlichen Kapitals. Dieser Teil jedoch kann
noch als die natürliche oder als die Grundrente ange-
sehen werden, für welche Ländereien dieser Art ge-
wöhnlich verpachtet werden.
Man könnte glauben, die Grundrente sei oft nichts
weiter als ein billiger Gewinn oder Zins für das vom
Grundherrn auf die Bodenverbesserung verausgabte Ka-
pital. Das kann unter Umständen allerdings teilweise
der Fall sein; aber eben auch nur teilweise. Der Grund-
eigentümer verlangt sogar für unangebautes Land eine
ßente, und der vermeinte Zins oder Gewinn auf die Ver-
besserungskosten sind gewöhnlich nur ein Zusatz zur
ursprünglichen Rente. Überdies werden die Verbesse-
rungen nicht immer vom Kapital des Grundeigentümers,
sondern manchmal von dem des Pächters gemacht.
Kommt aber die Zeit, wo der Pachtkontrakt erneuert
werden soll, so fordert der Grundeigentümer gewöhn-
lich dieselbe Erhöhung der Rente, als wenn er die
Verbesserungen aus eigenen Mitteln bewirkt hätte.
Zuweilen verlangt er eine Rente für Dinge, die
der Verbesserung durch Menschenhand durchaus un-
fähig sind. Kelp ist eine Art Seegras, das verbrannt
ein alkalisches Salz liefert, das zur Bereitung von
Glas, Seife und zu anderen Zwecken dient. Es wächst
an einigen Orten Großbritanniens, namentlich in Schott-
land, nur auf solchen Felsen, die innerhalb der Flut-
grenze liegen und täglich zweimal vom Wasser bedeckt
werden, so daß es unmöglich durch menschlichen
Fleiß vermehrt werden kann. Dennoch wird ein
Grundeigentümer, dessen Gut von einem Kelpufer
eingeschlossen ist, eben so gut von diesem, wie von
seinen Kornfeldern, eine Rente verlangen.
Das Meer in der Umgebung der Shetlandsinseln ist
vorzugsweise reich an Fischen, die ein Hauptnahrungs-
Kap. XI.: Die Grundrente. 203
mittel ihrer Bewohner ausmachen. Um aber von diesem
Produkt des "Wassers Nutzen zu ziehen, müssen sie
ihre Wohnung am anstoßenden Laude haben. Die
Rente des Grundeigentümers richtet sich hier nicht
bloß danach, was der Pächter aus dem Lande ziehen
kann, sondern danach, was ihm beide, Land und Wasser,
einbringen. Sie wird zum Teil in Seefischen bezahlt,
und es tritt hier einer von den sehr seltenen Fällen
ein, in dem die Rente einen Teil des Preises dieser
Ware ausmacht.
Die Grundrente ist daher, als der für die Benutzung
des Bodens bezahlte Preis, natürlich ein Monopolpreis.
Er richtet sich durchaus nicht nach dem, was der Grund-
eigentümer für die Verbesserung des Landes verausgabt
hat, oder woran er sich genügen lassen könnte, sondern
nach dem, was der Pächter zu geben imstande ist.
In der Regel können nur solche Bodenprodukte zu
Markte gebracht werden, deren gewöhnlicher Preis hoch
genug ist, um das darauf verwendete Kapital samt dem
gewöhnlichen Kapitalgewinn wieder einzubringen. Be-
trägt der gewöhnliche Preis mehr, so wird der Über-
schuß natürlich auf die Grundrente fallen; beträgt er
weniger, so kann die Ware zwar zu Markte gebracht
werden, dem Grundeigentümer aber keine Rente ab-
werfen. Ob der Preis höher oder niedriger ist, hängt
von der Nachfrage ab.
Es gibt gewisse Bodenprodukte, nach denen stets
eine derartige Nachfrage sein muß, daß die Gewährung
eines höheren Preises, als hinreichend ist, sie auf den
Markt zu bringen, gesichert ist; und es gibt andere,
bei denen es einmal der Fall ist, ein anderes Mal aber
nicht. Die ersteren müssen dem Grundeigentümer
immer eine Rente gewähren; die letzteren hingegen
tun dies nach Umständen.
Die Rente tritt daher, wie zu beachten ist, auf eine
andere Weisein die Zusammensetzung des Warenpreises
204 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ein, als der Lohn und der G-evvinn. Hoher oder niedri-
ger Lohn und Gewinn sind die Ursachen eines hohen
oder niedrigen Preises; hohe oder niedrige Rente ist
seine Wirkung. Weil hoher oder niedriger Lohn und
Gewinn gezahlt werden muß, damit eine bestimmte
Ware zu Markte komme, ist ihr Preis hoch oder niedrig.
Aber ob eine hohe, niedrige oder gar keine Rente ge-
zahlt wird, hängt davon ab, ob der Preis der Ware
hoch oder niedrig ist, d. h. ob er viel mehr oder etwas
mehr oder gar nicht mehr beträgt, als zur Bezahlung
des Lohns und Gewinns erforderlich ist.-
Die gesonderte Betrachtung erstens derjenigen
Teile des Bodenertrags, die stets eine Rente gewähren;
zweitens derjenigen, die bald eine gewähren und bald
nicht; und drittens der Schwankungen, welche in den
verschiedenen Perioden der Kultur in dem relativen
Werte dieser beiden Arten roher Produkte naturgemäß
eintreten, ob man sie unter einander oder mit den In-
dustrieerzeugnissen vergleicht, — läßt dieses Kapitel
in drei Abteilungen zerfallen.
Erste Abteilung.
Bodenerzeugnisse, die immer eine Rente abwerfen.
Da die Menschen gleich allen anderen lebenden
Wesen sich natürlich nach dem Maße der vorhandenen
Unterhaltsmittel vermehren, so ist nach Nahrungs-
mitteln allezeit mehr oder weniger Nachfrage. Gegen
Nahrungsmittel steht stets eine größere oder kleinere
Menge Arbeit zu Gebote, und es finden sich immer
Menschen, die etwas zu tun bereit sind, um sie zu
erhalten. Die Menge Arbeit, welche gegen Nahrungs-
mittel gekauft werden kann, ist wegen der hohen
Löhne, die zuweilen für Arbeit gezahlt werden, zwar
Kap. XT,I.: Bodenerzeu^-nisse mit stetiger Rente. 205
nicht immer nur genau so groß, als zum Unterhalt der
Arbeiter erforderlich wäre, wenn die Nahrungsmittel aufs
sparsamste zugemessen würden. Aber stets ist so viel
Arbeit dafür zu haben, als die Nahrungsmittel je nach
dem Satze unterhalten können, zu welchem diese Art von
Arbeit in der Umgegend gewöhnlich unterhalten wird.
Der Boden bringt jedoch fast in jeder Lage mehr
Nahrung hervor, als zum reichlichsten Unterhalt aller
der Arbeiter, deren es bedarf, um sie auf den Markt zu
bringen, erforderlich ist. Auch ist der Überschuß stets
mehr als hinreichend, um das in die Arbeit gesteckte
Kapital mit Zinsen wieder zu erstatten. Etwas bleibt
mithin stets als Rente für den Grrundeigentümer übrig.
Die ödesten Moore Norwegens und Schottlands
bringen etwas Weide für das Vieh hervor, dessen Milch
und Nachwuchs stets mehr als hinreichend ist, nicht nur
die zur Wartung des Viehes erforderlichen Arbeiter zu
ernähren, und dem Pächter oder Eigentümer der Her-
den den gewöhnlichen Kapitalgewinn zu verschaffen,
sondern auch für den Grundherrn eine kleine Rente ab-
zuwerfen. Diese Rente steigt mit der Güte des Weide-
landes. Ein ebenso großes Stück Land ernährt zuweilen
nicht allein eine größere Menge Vieh, sondern erfordert
auch, da es auf kleinerem Räume beisammen ist, woni-
ger Arbeit zu seiner Wartung und zur Einsammlung
des Milchertrags. Der Grundeigentümer gewinnt dop-
pelt: durch die Zunahme des Ertrags und durch die
Verminderung der Arbeit, die aus ihm unterhalten wird.
Die Grundrente ist nicht nur je nach der Frucht-
barkeit, welcher Art die Produkte auch sein mögen,
sondern auch bei gleicher Fruchtbarkeit, je nach der
Lage verschieden. Land in der Nähe einer Stadt wirft
eine größere Rente ab, als gleich fruchtbares Land in
einer entlegenen Gegend. Kostet der Anbau dos einen
auch nicht mehr als der des anderen, so muß es doch
206 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
immer mehr Kosten verursachen, die Produkte eines
entlegenen Grundstücks auf den Markt zu bringen.
Da mithin eine größere Menge Arbeit davon bezahlt
werden muß, so wird notwendig der Überschuß, aus
dem der Gewinn des Pächters und die Rente des
Grundeigentümers gezogen wird, geringer werden.
Aber in entlegenen Gegenden ist, wie schon gezeigt
wurde, der Gewinnsatz gewöhnlich höher als in der
Nähe einer großen Stadt und es muß daher dem
Grundeigentümer ein kleinerer Anteil an diesem ver-
ringerten Überschuß zufallen.
Gute Wege, Kanäle und schiffbare Flüsse er-
mäßigen die Frachtkosten und stellen dadurch die
entlegenen Teile eines Landes mit der Umgegend
einer Stadt ziemlich auf denselben Fuß. Sie sind
deswegen der größte aller Fortschritte. Sie ermuntern
den Anbau der entlegenen Gegenden eines Landes, die
stets am umfangreichsten sind. Sie sind vorteilhaft für
die Stadt, indem sie das Monopol des platten Landes
der Umgegend aufheben ; sie nützen aber auch dieser
Umgegend selbst. Obwohl sie konkurrierende Waren
auf ihren frühern Markt bringen, öffnen sie doch auch
ihren Erzeugnissen manche neuen Märkte. Überdies
ist das Monopol ein großer Feind guter Wirtschaft,
die nur infolge jenes freien und allgemeinen Wett-
bewerbs, der jedermann um seiner eigenen Selbstver-
teidigung willen zwingt, sein Geschäft ordentlich zu
treiben, sich allgemein verbreiten kann. Es ist kaum
fünfzig Jahre her, daß einige Grafschaften in der
Nähe von London bei dem Parlament gegen die Aus-
dehnung der Chausseen bis in die entfernteren Ge-
genden des Landes vorstellig wurden. Diese ent-
legeneren Gegenden, behaupteten sie, würden sich
durch die Wohlfeilheit ihrer Arbeit instand gesetzt
sehen, Heu und Getreide auf dem Londoner Markte
Kap. XI,I.: BodenerzetigTiis.se mit stetiger r?ente. 207
wohlfeiler als sie zu verkaufen, und dadurch ihre
Renten vermindern und ihren Landbau zu Grunde
richten. Ihre Renten sind jedoch seitdem gestiegen
und ihr Bodenanbau hat sich verbessert.
Ein Getreidefeld von massiger Fruchtbarkeit bringt
viel mehr Nahrungsmittel für die Menschen hervor, als
der beste Weideplatz von gleichem Umfang. Erfordert
seine Bestellung auch weit mehr Arbeit, so ist doch
der nach Abzug der Saat und des Unterhalts der Ar-
beiter übrig bleibende Ertrag gleichfalls weit größer.
Wäre mithin ein Pfund Fleisch zu keiner Zeit mehr
wert gewesen, als ein Pfund Brot, so würde jener
größere Überschuß auch immer von größerem Werte
sein, und sowohl den Gewinn des Pächters wie die
Rente des Grundherrn erhöhen. Und so scheint es
wirklich in den rohen Anfängen der Bodenkultur all-
gemein der Fall gewesen zu sein.
Aber der relative Wert dieser verschiedenen Nah-
rungsmittel, des Brotes und des Fleisches, ist in den
verschiedenen Zeiten der Landwirtschaft sehr ungleich.
In ihren rohen Anfängen werden die nicht urbar ge-
machten Wildnisse, die zu dieser Zeit den bei weitem
größten Teil des Landes einnehmen, samt und sonders
dem Vieh überlassen. Es gibt dann mehr Fleisch, als
Brot, und folglich ist das Brot dasjenige Nahrungs-
mittel, für das die größte Konkurrenz vorhanden ist,
und das darum auch höher im Preis steht. In Buenos-
Aires waren, wie Ulloa erzählt, noch vor vierzig oder
fünfzig Jahren vier Realen (21^/2 Pence) der gewöhn-
liche Preis eines aus einer Herde von zwei oder drei
hundert Stück ausgesuchten Rindes. Vom Preise des
Brotes redet Ulloa nicht, wahrscheinlich weil er nichts
Auffallendes daran fand. Ein Rind, sagt er, kostet dort
wenig mehr, als die Arbeit, es zu fangen. Dagegen
kann Getreide nicht ohne viele Arbeit gezogen werden,
208 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
und in einem Lande, das am La Plata liegt, damals der
direkten Straße von Europa nach den Silberminen von
Potosi, konnte der Geldpreis der Arbeit nicht sehr wohl-
feil sein. Anders verhält sich die Sache, wenn der An-
bau sich schon über den größten Teil des Landes aus-
gedehnt hat. Dann giebt es mehr Brot als Fleisch, der
Wettbewerb ändert seine Richtung, und der Preis des
Fleisches wird höher, als der des Brotes.
Durch die Ausdehnung der Bodenkultur wird ohne-
hin das unbebaute Weideland unzureichend, der Nach-
frage nach Fleisch zu genügen. Dann muß ein großer
Teil des bestellten Landes zur Zucht und Mast des
Yiehs hergegeben werden, und der Preis des letzteren
muß also hoch genug sein, um nicht nur die zur Vieh-
zucht nötige Arbeit, sondern auch die Rente, welche
der Grundeigentümer, und den Gewinn, den der Pächter
aus solchem Lande zog, so lange es als Ackerland be-
nutzt wurde, zu bezahlen. Das Vieh, das auf völlig
unbebautem Haideland aufwächst, erzielt auf dem Markte
je nach dem Gewicht oder der Güte denselben Preis
wie das auf den besten Ländereien aufgezogene. Die
Eigentümer solcher Haiden gewinnen dabei, und steigern
die Rente ihres Landes nach dem Verhältnis des Vieh-
preises. Noch vor einem Jahrhundert war in vielen
Gegenden der schottischen Hochlande Fleisch ebenso
wohlfeil, oder noch wohlfeiler, als Haferbrot. Nachdem
aber die Vereinigung der beiden Königreiche dem Vieh
des Hochlandes den englischen Markt geöffnet hat, ist
der gewöhnliche Preis dreimal so hoch, als am Anfang
des Jahrhunderts, und die Renten vieler hochländischen
Güter haben sich in derselben Zeit verdrei- und vervier-
facht. Fast durchweg ist heute in Großbritannien ein
Pfund des besten Fleisches mehr wert, als zwei Pfund
des besten Weizenbrots; und in Jahren reicher Ernten
ist es mitunter drei oder vier Pfund Weizenbrot wert.
Kap. XI,I.: Eodenerzeugnisse mit stetiger Ixente. 209
So wird bei fortschreitender Kultur die Rente und
der Gewinn unangebauten "Weidelandes in einem ge-
wissen Grade durch die ßente und den Gewinn des
angebauten Landes und diese ihrerseits werden durch
die Rente und den Gewinn des Getreides bedingt. Ge-
treide erntet man Jahr aus, Jahr ein, Fleisch hingegen
braucht vier oder fünf Jahre, um zum Verbrauch des
Menschen reif zu werden. Bringt nun ein Morgen viel
weniger von dem einen, als von dem andern Nahrungs-
mittel hervor, so muß die geringere Menge durch
den höheren Preis ausgeglichen werden. Würde sie
mehr als ausgeglichen, so würde man mehr Getreide-
land in Weideplätze verwandeln; wäre dies nicht der
Fall, so würde man einen Teil der Weideplätze wieder
zum Getreidebau verwenden.
Man muß jedoch festhalten, daß diese Gleichheit
zwischen Rente und Gewinn von Gras, d. h. von einem
Boden, dessen unmittelbares Erzeugnis Nahrung für
Vieh, und einem andern, dessen unmittelbares Er-
zeugnis Nahrung für Menschen ist, nur durchschnitt-
lich vom größten Teil des kultivierten Bodens eines
großen Landes gilt. Gewisse örtliche Lagen aber
können dies ändern, und Rente und Gewinn vom
Grasland sind dort weit höher, als vom Getreideland.
So bewirkt oft in der Nähe einer großen Stadt
die Nachfrage nach Milch und Pferdefutter, so wie der
hohe Preis des Fleisches eine Steigerung des Werts von
Grasland über sein so zu sagen natürliches Verhältnis
zum Getreideland. Dieser örtliche Vorteil kann jedoch
offenbar entfernteren Ländereien nicht zu Gute kommen.
Manche Länder sind durch besondere Umstände so
volkreich geworden, daß ihr ganzes Gebiet in ähnlicher
Weise, wie die Ländereien in der Nähe einer großen
Stadt, unzureichend geworden ist, um das für den Bedarf
der Einwohner nötige Getreide und das Viehfutter zu
Adam Smith, VolkswoLüstand. I. ü
210 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
liefern. Ihr Boden wird deshalb hauptsächlich zum
Ziehen von Futterpflanzen benutzt, die wegen ihrer
Massigkeit nicht so leicht aus weiter Ferne herbeige-
schafft werden können, wohingegen das Getreide, das
Nahrungsmittel der großen Masse des Volks, meist aus
fremden Ländern eingeführt wird. GegenAvärtig befindet
sich Holland in dieser Lage, und in der Blütezeit der
Römer scheint es mit einem großen Teil des alten Italiens
eben so gewesen zu sein. Eine gute Viehzucht, sagte
nach Ciceros Bericht der ältere Cato, ist das erste und
gewinnreichste in der Landwirtschaft, leidliche Vieh-
zucht das zweite, und schlechte das dritte. Der Feld-
wirtschaft wies er erst den vierten Platz im Gewinn und
Vorteil an. In der Tat muß die Feldwirtschaft in der
Umgegend Roms durch die häufigen Verteilungen von
Getreide an das Volk, entweder umsonst oder zu sehr
niedrigem Preise, damals außerordentlich entmutigt
worden sein. Dies Getreide wurde aus den eroberten
Provinzen gebracht, von denen manche dem Staate an
Stelle von Steuern den zehnten Teil ihrer Bodenerzeug
nisse zu einem festgesetzten Preis, etwa sechs Pence für
das Peck, liefern mußten. Der niedrige Preis, zu dem
dies Getreide an das Volk verteilt wurde, mußte not-
wendig den Preis des aus Latium, dem alten Gebiete
Roms, zu Markt kommenden, drücken und vom Ge-
treidebau abschrecken.
In einer waldlosen Gegend, deren Haupterzeugnis
Getreide ist, wird ebenfalls ein wohl gehegtes Weideland
oft besser rentieren, als ein benachbartes Getreidefeld.
Es dient zum Unterhalt des für den Ackerbau nötigen
Viehs, und seine Rente wird in diesem Falle nicht so-
wohl von dem AVerte seines eignen Erzeugnisses, als
von dem des Getreidelandes gezahlt, das als "Weide
dient. Die Rente würde wahrscheinlich sinken, wenn
die benachbarten Ländereien alle zu Weide gemacht
würden. Die gegenwärtige hohe Rente eingehegter
Kap. XlJ.: Bodenerzeiignisse mit stetiger Rente. 211
Weiden in Schottland scheint von ihrer Seltenheit
herzurühren, und wird wahrscheinlich nur so lange
dauern, wie diese Seltenheit. Der Vorteil des Einhegens
ist für die Weide größer, als für das Getreide, da
hierdurch die Arbeit des Hüters erspart wird, und
das Yieh auch viel besser gedeiht, wenn es nicht von
dem Hirten und seinem Hunde beunruhigt wird.
Wo sich aber kein ähnlicher örtlicher Vorteil findet,
muß natürlich die ßente und der Gewinn, die das Ge-
treide, oder was sonst die gewöhnliche Pflanzennahrung
des Volkes bildet, auf den dazu geeigneten Ackern er-
giebt, die Rente und den Gewinn der Weiden bestimmen.
Es wäre zu erwarten, daß die Einführung der künst-
lichen Futterkräuter, der Rüben, der Möhren, des Kohls
und anderer Auskunftsmittel, auf die man gekommen
ist, um auf einem gleich großen Stück Land eine
größere Anzahl Vieh zu ziehen, als es mit dem wild-
wachsenden Gras tunlich ist, den höheren Preis des
Fleisches gegen das Brot etwas ermäßigte. In der
Tat scheint es auch so zu sein, und man hat einigen
Grund zu glauben, daß wenigstens auf dem Londoner
Markte der Preis des Fleisches im Verhältnis zu dem
des Brotes in neuerer Zeit viel niedriger ist, als er
es im Anfang des vorigen Jahrhunderts war.
In dem Anhange zum Leben des Prinzen Heinrich
hat uns Doktor Birch ein Verzeichnis der im Haushalt
dieses Prinzen gewöhnlich gezahlten Fleischpreise ge-
geben. Es heißt dort, daß die vier Viertel eines Ochsen
von 600 Pfd. ihn gewöhnlich ungefähr £ 9. 10 sh.
gekostet haben; das macht 31 sh. 8 d. für 100 Pfund.
Prinz Heinrich starb am 6. November 1612, in seinem
neunzehnten Jahre.
Im März 1764 wurde vom Parlament eine Unter-
suchung über die Ursachen der dermaligen hohen Le-
bensmittelpreise angeordnet. Unter anderem wurde
212 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
von einem Rheder festgestellt, daß er im März 1763
für die Verproviantierung seiner Schiffe Rindfleisch mit
24 oder 25 Schilling für 100 Pfund bezahlt habe, was
seiner Ansicht nach der gewöhnliche Preis war, wäh-
rend er in diesem teuren Jahre 27 sh. habe zahlen
müssen. Gleichwohl ist dieser hohe Preis des Jahres
1764 um 4 sh. 8 d. wohlfeiler, als der vom Prinzen
Heinrich gezahlte gewöhnliche Preis, und nur das
beste Rindfleisch eignet sich zum Einsalzen für weite
Reisen.
Der vom Prinzen Heinrich bezahlte Preis beträgt
3^/5 Pence auf das Pfund vom ganzen Ochsen, gute
und schlechte Stücke zusammen; folglich konnten nach
diesem Satze ausgesuchte Stücke im Detailverkauf
nicht unter 4V2 — 5 d. das Pfund abgelassen werden.
Bei der erwähnten Enquete von 1764 gaben die
•Zeugen an, daß ausgesuchte Stücke vom besten Rind-
fleisch den Verbraucher auf 4 und 4^-2 d. das Pfund
und ordinäre Stücke im Allgemeinen auf 7 Farthing
(1-^/4 d.) bis zu 2V2 und 2^/4 d. zu stehen kommen;
ein Preis, der nach ihrer Aussage im Ganzen um
einen halben Penny höher ist, als der, für den die-
selben Stücke im März verkauft zu werden pflegten.
Dennoch ist auch dieser hohe Preis noch viel wohl-
feiler, als der gewöhnliche Detailpreis zur Zeit des
Prinzen Heinrich sein mußte.
Während der ersten zwölf Jahre des vorigen Jahr-
hunderts war der Durchschnittspreis des besten Wei-
zens auf dem Markte zu Windsor £ 1. 18 sh. 3^G d.
der Quarter ä neun Winchester Busheis.
Dagegen war in den zwölf Jahren vor 1764,
letzteres Jahr mit inbegriffen, der Durchschnittspreis
derselben Quantität Weizens auf dem nämlichen Markte
£ 2. 1 sh. 9V2 d.
Hieraus geht hervor, daß in den zwölf ersten Jahren
Kap. XI,I.: Bodenerzeugnisse mit stetiger Rente. 213
des vorigen Jahrhunderts der Weizen viel wohlfeiler
und das Fleisch viel teurer war, als in den zwölf
Jahren vor 1764, mit Einschluß des letzteren Jahres.
In allen großen Ländern wird der größte Teil des
angebauten Bodens zur Erzeugung von Nahrung für
Menschen oder Vieh verwendet. Rente und Gewinn
dieses Teiles regeln die Rente und den Gewinn alles
anderen angebauten Landes. Bringt irgend ein Produkt
weniger ein, so wird man den Boden bald in Korn-
feld oder Weide verwandeln; bringt es mehr ein, so
wird man einen Teil des Getreide- und Weidelandes
auf das entsprechende Produkt verwenden.
Produkte, die entweder größere Ausgaben beim
ersten Anbau, oder einen größeren jährlichen Zuschuß
für ihre weitere Kultur erfordern, scheinen zwar ge-
wöhnlich eine größere Rente oder aber einen größeren
Gewinn abzuwerfen, als Getreide oder Futterkräuter;
selten aber wird dieser Mehrertrag einen billigen Zins
oder Ersatz für die Mehrkosten übersteigen.
Bei einem Hopfen-, Obst- oder Gemüsegarten pflegt
die Rente des Grundeigentümers und der Gewinn des
Pächters höher zu sein, als bei einem Getreidefeld oder
Weideland. Aber es erfordert auch mehr Kosten, den
Boden dazu herzurichten, und muß deshalb dem Grund-
eigentümer eine höhere Rente bringen. Andererseits
erfordert solches Land eine aufmerksamere und ge-
schicktere Behandlung: deshalb gebührt dem Pächter
ein größerer Gewinn. Auch ist die Ernte, wenigstens
der Hopfen- und Obstgärten, ungewisser, und der Preis
muß deshalb außer dem Ersatz gelegentlicher Verluste
auch noch eine Art Versicherungsprämie liefern. Die
in der Regel ärmlichen, immer aber nur mäßigen Ver-
mögensumstände der Gärtner, beweisen hinlänglich,
daß ihre große Geschicklichkeit in der Regel nicht zu
gut belohnt wird. Ihre angenehme Kunst wird von so
214; Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
vielen reichen Leuten zum Zeitvertreib ausgeübt, daß
die, welche davon leben wollen, nur wenig Vorteil
daraus ziehen können, weil die Leute, die eigentlich
ihre besten Kunden sein sollten, sich mit ihren kost-
barsten Produkten selber versorgen.
Der Vorteil, den der Grundeigentümer aus solchen
Anlagen zieht, scheint zu keiner Zeit größer gewesen
zu sein, als zum Ersatz der ursprünglichen Bestellungs-
kosten hinreichend war. In der Landwirtschaft des
Altertums scheint nächst dem Weinberge ein gutbe-
wässerter Gemüsegarten derjenige Teil des Gutes ge-
wesen zu sein, den man für den einträglichsten hielt.
Doch meinte Demokrit, der ungefähr vor zweitausend
Jahren über Landwirtschaft geschrieben hat, und bei
den Alten als einer der Väter dieser Kunst galt, es
sei nicht vorteilhaft, einen Gemüsegarten einzuhegen.
Sein Gewinn, sagte er, ersetze die Kosten einer Stein-
mauer nicht und Ziegel — er verstand darunter, wie
ich glaube, an der Sonne gebackene Ziegel — ver-
witterten durch Regen und rauhe Winde und bedürften
beständiger Ausbesserung. Columella, der dies Urteil
Demokrits mitteilt, widerspricht ihm nicht, sondern rät
nur zu einer sehr wohlfeilen Einhegungsart, nämlich
einem Zaune aus Brombeersträuchern und Dornen, der,
wie er aus eigener Erfahrung wisse, sehr haltbar und
undurchdringlich sei, zur Zeit Demokrits aber wenig-
bekannt gewesen zu sein scheint. Palladius tritt der
Meinung Columellas, die auch Varro bestätigt hatte,
bei. Nach dem Urteil dieser alten Schriftsteller war,
wie es scheint, der Ertrag eines Gemüsegarten kaum
mehr als hinreichend, um die ungemeine Pflege und
die Kosten der Bewässerung bezahlt zu machen; denn
damals, wie noch heute, erachtete man es in so heißen
Ländern für notwendig, ein fließendes Wasser zu
haben, das auf jedes Gartenbeet geleitet werden konnte.
Kap. XI,I.: Bodenerzeugnis.se mit stetiger Rente. 215
Auch jetzt noch hält man im größten Teil Europas
einen Gremüsegarten nicht für einträglich genug, um
einen besseren Zaun, als den von Columella empfoh-
lenen, zu verdienen. In Großbritannien und mehreren
anderen nördlichen Ländern können die feineren Früchte
nur unter dem Schutze einer Mauer zur Reife gebracht
werden. In solchen Ländern muß daher der Preis des
Obstes hoch genug sein, um die Kosten des Baues und
Unterhalts der unentbehrlichen Einfriedigung zu be-
streiten. Die Mauer des Obstgartens schließt oft auch
den Gemüsegarten ein, dem dadurch der Vorteil einer
Einhegung zu teil wird, die aus seinem Ertrage nicht
hätte bezahlt werden können.
Daß ein gut gehaltener und zur Vollkommenheit
gebrachter Weinberg der wertvollste Teil eines Gutes
sei, scheint in der Landwirtschaft der Alten ein unbe-
zweifelter Grundsatz gewesen zu sein, wie er es heute
noch in allen AVeinländern ist. Ob es aber vorteilhaft
sei, einen neuen "Weinberg anzulegen, war, wie man
aus Columella ersieht, unter den alten italienischen
Landwirten eine Streitfrage. Er selbst entscheidet sich
als ein wahrer Liebhaber aller sorgfältigen Kultur zu
gunsten des Weinbergs und sucht durch einen Vor-
gleich des Gewinnes mit den Kosten zu beweisen,
daß der Weinbau eine sehr vorteilhafte Kultur sei.
Vergleiche zwischen Gewinn und Kosten sind jedoch
bei neuen Produkten in der Regel höchst trügerisch,
am allermeisten aber in der Landwirtschaft. Wäre
der aus solchen Pflanzungen sich ergebende Gewinn
in der Regel so groß gewesen, wie Columella an-
nahm, so hätte kein Streit darüber bestehen können.
Der nämliche Punkt ist auch heute noch in Wein-
ländern oft streitig. Die dortigen Schriftsteller über
Landwirtschaft scheinen wie Columella, als Freunde
und Beförderer einer hohen Kultur, allerdings im All-
gemeinen geneigt sich zu Gunsten des Weinbaues zu
216 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
erklären. Auch scheint in Frankreich der Eifer, mit
dem die Eigentümer alter Weinberge die Anlagen
neuer zu hintertreiben suchen, für ihre Meinung zu
sprechen und darauf hinzudeuten, daß diejenigen, bei
denen die nötige Erfahrung vorausgesetzt werden kann,
diesen Kulturzvveig vorläufig für vorteilhafter halten
als jeden andern im Lande. Es scheint jedoch gleich-
zeitig auch darauf hinzudeuten, daß der höhere Ge-
winn nicht länger dauern kann, als die Gesetze, welche
gegenwärtig den freien Anbau dos Weins einschränken.
Im Jahre 1731 wurde ein Ministerialbefehl erwirkt,
der sowohl die Anlegung neuer Weinberge, als auch
die Wiederherstellung derer, deren Bebauung zwei
Jahre lang unterblieben war, verbot, es sei denn, daß,
auf Bericht des Intendanten der Provinz, daß das
Land untersucht und zu jeder anderen Kultur un-
tauglich befunden sei, der König eine ausdrückliche
Erlaubnis hierzu gebe. Den Vorwand zu diesem Erlaß
gab der Mangel an Getreide und Viehfutter und der
Überfluß an Wein. Wäre dieser Überfluß aber wirk-
lich festgestellt worden, so würde er auch ohne einen
Ministerialerlaß die Anlegung neuer Weinberge da-
durch verhindert haben, daß er den Gewinn dieses
Kulturzweiges unter sein natürliches Verhältnis zu dem
Gewinn vom Getreide und Viehfutter heruntergebracht
hätte. Was den Kornmangel betrifft, der durch die
Vermehrung der Weinberge angeblich verursacht sein
soll, so wird in ganz Frankreich nirgends so sorgfältig
Getreide gebaut, wie gerade, so weit der Boden sich
dazu eignet, in den Weinprovinzen, wie in Burgund,
Guienne und Ober-Languedoc. Die vielen Arbeiter,
die in dem einen Kulturzweige gebraucht werden, mun-
tern notwendig zu dem andern auf, indem sie für die
Produkte des letzteren einen nahen Markt schaffen. Die
Zahl der zahlungsfähigen Verbraucher zu verringern,
ist gewiß ein höchst ungeeignetes Mittel, den Getreide-,
Kap. XI, I.: Bodenerzeugnis.se mit .stetiger Rente. 217
bau zu fördern. Es ist das eine ähnliche Wirtschafts-
politik, wie die, welche den Landbau dadurch fördern
will, daß sie die Industrie schwächt.
Rente und Gewinn von den Erzeugnissen, die ent-
weder größere anfängliche Kosten zur Herrichtung des
Landes, oder größere jährliche Kosten erfordern, sind
also zwar oft weit höher, als die von Getreide und
Weideland, werden aber, wenn sie nur diese au Bei -
gewöhnlichen Kosten wieder erstatten, in Wahrheit
durch die Rente und den Gewinn dieser gewöhnlichen
Ernten bestimmt.
Allerdings kommt es zuweilen vor, daß das Stück
Landes, welches für ein bestimmtes Produkt eingerichtet
werden kann, zu klein ist, um die wirksame Nachfrage
zu befriedigen. Der gesamte Ertrag kann an solche
Abnehmer verkauft werden, die etwas mehr zu geben
bereit sind, als die Bezahlung der Rente, des Gewinns
und Lohns nach ihren natürlichen oder in den meisten
Teilen des übrigen kultivierten Landes bewilligten Sätzen
zusammen erfordert. Der Rest des Preises, der nach
Bezahlung der gesamten Anlage- und Kulturkosten
übrig bleibt, mag in diesem Falle, aber auch nur in
diesem, gewöhnlich in keinem regelmäßigen Verhältnis
zu dem gleichen Überschuß von Getr-eide und Vieh-
futter stehen, sondern es in beliebigem Maße über-
schreiten, und das Meiste von diesem Überschuß
kommt dem Grundeigentümer als Rente zu gute.
Das gewöhnliche und natürliche Verhältnis, z. B.
zwischen der Rente und dem Gewinn des Weins und
denen des Getreides und Futters, kann man nur bei
denjenigen Weinbergen anzutreffen erwarten, die bloß
die gewöhnlichen guten Weine hervorbringen, d. h.
solche, die fast überall auf jedem leichten Kies- oder
Sandboden wachsen und sich nur durch ihre Stärke
und Zuträglichkeit empfehlen. Nur mit solchen AVein-
bergen kann der gewöhnliche Boden des Landes in
218 Eryte« Buch: Zunahme in der Ertrag.skraft der Arbeit.
Wettbewerb treten; daß er es mit denen von ausge-
zeichneter Qualität nicht kann, ist von selbst klar.
Der Wein wird durch die Verschiedenheit des Bodens
mehr beeinflußt, als jede andere Frucht. Mancher Boden
erteilt ihm eine Blume, die, wie man annimmt, weder
Kultur noch Behandlung ihm auf einem anderen Boden
geben kann. Diese wirkliche oder eingebildete Blume
ist zuweilen dem Produkte einiger weniger Weinberge
eigen, bald erstreckt sie sich über die meisten Wein-
berge eines kleinen Gebiets, bald endlich über einen
beträchtlichen Teil einer großen Provinz. Die ganze
auf den Markt gebrachte Quantität solcher Weine bleibt
hinter der wirksamen Nachfrage d. h. der Nachfrage
derer, die Rente, Gewinn und Lohn nach den üblichen
oder für gewöhnliche Weinberge geltenden Sätzen voll-
auf zu bezahlen bereit sind, zurück. Die ganze Quan-
tität kann mithin an Leute verkauft werden, die mehr
zu zahlen bereit sind, und hierdurch steigt der Preis
notwendig über den des gewöhnlichen Weins. Die
Differenz ist größer oder kleiner, je nachdem die Mode
und der geringe Vorrat den Wettbewerb der Käufer
mehr oder weniger anfeuert. Stets aber fällt das meiste
davon der Rente des Grundeigentümers zu. Denn ob-
schon solche Weinberge gewöhnlich sorgfältiger bestellt
werden, als die meisten übrigen, so scheint doch der
hohe Preis des Weines nicht sowohl eine Wirkung, als
die Ursache dieser sorgfältigen Kultur zu sein. Bei
einem so wertvollen Produkte ist ein durch Nachlässig-
keit herbeigeführter Verlust groß genug, um auch den
Fahrlässigsten zur Aufmerksamkeit zu nötigen. Dem-
nach ist ein kleiner Teil des hohen Preises hinreichend,
den Lohn für die ungewöhnlich große Arbeit und den
Gewinn für das mehr als gewöhnlicheKapital zu erstatten.
Die Zuckerpflanzungen, die die europäischen Na-
tionen in Westindien besitzen, lassen sich mit diesen
edeln Weinbergen vergleichen. Ihr gesamtes Erträgnis
Kap. XI,I.: Bodenerzeugnis.se mit stetiger Rente. 219
bleibt hinter der wirksamen Nachfrage von Seiten Eu-
ropas zurück und läßt sich an Abnehmer verkaufen,
die mehr zu geben bereit sind, als zur Deckung der
Rente, des Gewinnes und Lohnes nach den Sätzen hin-
reicht, zu welchen sie durch andere Produkte bezahlt
zu werden pflegen. In Cochinchina pflegt nach der An-
gabe Poivres'''), eines sehr sorgfältigen Beobachters der
Landwirtschaft dieses Landes, der Zentner vom feinsten
weißen Zucker für drei Piaster, also etwa 18 sh. 6 d.
unseres Geldes, verkauft zu werden. Der dortige
Zentner wiegt zwischen 150 — 200, oder in einer Durch-
schnittszahl 175 pariser Pfund, was den Preis eines
englischen Zentners von hundert Pfund auf etwa 8 sh.
stellt, also nicht den vierten Teil dessen, was gewöhn-
lich für den aus unseren Kolonien eingeführten braunen
Zucker (Muskovade) gezahlt wird, und nicht den
sechsten Teil dessen, was der feinste weiße Zucker
kostet. Auf dem größten Teil des kultivierten Landes
in Cochinchina werden Getreide und Reis, die Nah-
rungsmittel der Volksmassen, gebaut. Die Preise des
Getreides, Reises und Zuckers stehen dort wahrschein-
lich in ihrem natürlichen Verhältnis zu einander, d. h.
in demjenigen, welches naturgemäß zwischen den ver-
schiedenen Erzeugnissen des meisten kultivierten Landes
platzgreift und sowohl den Grundeigentümer wie den
Pächter für die anfänglichen Kosten der Anlage und
die jährlichen Kosten der Bebauung ungefähr ent-
schädigt. Dagegen steht der Preis des Zuckers in
unseren Zuckerpflanzungen zu dem des Reises und
Getreides in Europa und Amerika in keinem solchen
Verhältnis. Man sagt, daß nach den Erwartungen der
Zuckerpflanzer Rum und Syrup alle Kosten der Pflan-
zung decken müssen, der Zucker selbst aber als reiner
Gewinn übrig bleibt. Wenn dies wahr ist, was ich dahin
*) Voyage dim philosophe.
220 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
gestellt sein lasse, so wäre es ungefähr dasselbe, als
wenn ein Getreidepächter für alle seine Kosten durch
Streu und Stroh entschädigt zu werden erwartete, um
das Korn als reinen Gewinn übrig zu behalten. In
London und anderen Handelsstädten sieht man oft
Handelsgesellschaften wüste Ländereien in unseren
Zuckerkolonien kaufen, um sie durch Faktoren und
Verwalter mit Gewinn anbauen und kultivieren zu
lassen, trotz der weiten Entfernung und trotzdem, daß
bei der mangelhaften Rechtspflege in jenen Ländern
die Wiedererstattung des Kapitals höchst unsicher ist.
Niemandem fällt es dagegen ein, selbst die fruchtbarsten
Ländereien Schottlands und Irlands, oder die Korn-
provinzen Nordamerikas durch Agenten und Verwalter
bewirtschaften zu lassen, obwohl sich wegen der ge-
ordneteren Rechtspflege dieser Länder von dorther eine
regelmäßigere Wiedererstattung erwarten läßt.
In Virginien und Mar3'land wird der Tabaksbau
dem Getreidebau als einträglicher vorgezogen. Der
Tabak könnte in den meisten europäischen Ländern
mit Vorteil gebaut werden, ist aber fast überall eines
der hauptsächlichsten Steuerobjekte geworden, und man
denkt, es werde schwieriger sein, die Steuer von jedem
einzelnen Gute, auf dem diese Pflanze gezogen würde,
einzutreiben, als sie am Zollhause bei der Einfuhr zu
erheben. Aus diesem Grunde verbot man törichter
Weise den Tabaksbau in den meisten europäischen
Ländern, und verschaffte dadurch notwendig den Län-
dern, in denen er erlaubt ist, eine Art Monopol; und
da Virginien und Maryland die größte Menge Tabak
hervorbringen, so haben sie, obgleich nicht ganz ohne
Konkurrenten, reiche Vorteile von diesem Monopol.
Indeß scheint der Tabaksbau doch nicht so vorteilhaft
zu sein, als der Bau des Zuckers. Ich habe nie von
einer Tabakspflanzung gehört, die durch das Kapital
in Großbritannien wohnender Kaufleute angelegt und
Kap. XI,I.: ßodenerzeug-nisse mit stetiger Rente. 221
kultiviert wäre, und unsere Tabakskolonien schicken uns
keine so reich gewordenen Pflanzer nach Hause, wie wir
sie oft aus unseren Zuckerinseln anlangen sehen. Obwohl
nach dem Vorzug, den man in jenen Kolonien dem
Tabaksbau vor dem Getreidebau gibt, geschlossen wer-
den zu müssen scheint, daß die wirksame europäische
Nachfrage nach Tabak nicht vollständig befriedigt wird,
so ist es doch wahrscheinlich mehr der Fall, als beim
Zucker; und obwohl der jetzige Preis des Tabaks wahr-
scheinlich mehr als hinreichend ist, Rente, Lohn und
Gewinn nach den Sätzen, die in Getreideländern bezahlt
zu werden pflegen, zu decken, so kann er doch nicht
um so Vieles hoher sein, als es der gegenwärtige Preis
des Zuckers ist. Darum haben auch unsere Tabaks-
pflanzer dieselbe Furcht vor einem Überfluß an Tabak
an den Tag gelegt, wie die Eigentümer alter Weinberge
in Frankreich vor einem Überfluß an Wem. Durch ge-
setzliche Akte schränken sie den Tabaksbau auf sechs-
tausend Pflanzen (die etwa tausend Pfund Tabak lie-
fern) für jeden Neger zwischen sechzehn und sechzig
Jahren ein. Ein Neger kann, wie man rechnet, außer
dieser Menge Tabak noch vier Acres Mais besorgen.
Um den Markt vor Überführung zu bewahren, soll
man, wie Dr. Douglas*) — wohl nach unzuverlässigen
Quellen — berichtet, zuweilen in ertragreichen Jahren
eine bestimmte Menge Tabak, im Verhältnis zur Zahl
der Neger, verbrannt haben, wie es auch die Holländer
angeblich mit ihren Gewürzen machen. Wenn ein so
gewaltsames Verfahren nötig ist, um den gegenwär-
tigen Preis des Tabaks aufrecht zu erhalten, so wird
der etwaige größere Vorteil, den der Tabaksbau vor
dem Getreidebau voraus hat, wahrlich nicht mehr von
langer Dauer sein.
Auf diese Weise also bestimmt die Rente des mit
menschlichen Nahrungsmitteln angebauten Landes, die
*) Douglas, Summary. Vol. II, i). 372, 373.
222 Erstes Buch: Zuiialime in der Ertragskraft der Arbeit.
Rente des meisten übrigen angebauten Landes. Sein
Produkt kann lange Zeit hindurch weniger abwerfen,
weil sonst der Boden sogleich zu einem anderen Ge-
brauche eingerichtet würde; wenn aber ein Produkt
für gewöhnlich mehr abwirft, so hat das seinen Grund
darin, daß die Menge Landes, welches dazu gebraucht
werden kann, zu klein ist, um die wirksame Nachfrage
zu befriedigen.
In Europa ist das Getreide das hauptsächlichste
unmittelbar zur Nahrung der Menschen dienende Er-
zeugnis des Bodens. Daher bestimmt hier auch mit
Ausnahme weniger Fälle die Rente des Getreidelandes
die alles anderen angebauten Landes. Britannien braucht
weder Frankreich um seine Weinberge, noch Italien um
seine Olivenhaine zu beneiden. Mit wenigen Ausnahmen
wird ihr Wert durch den des Getreides bestimmt, und
in diesem steht Britannien keinem der beiden Länder
an Fruchtbarkeit viel nach.
Wenn in irgend einem Lande das allgemeinste und
beliebteste pflanzliche Nahrungsmittel des Volkes in
einer Pflanze bestände, von der der gewöhnlichste Bo-
den bei gleicher oder fast gleicher Kultur eine weit
größere Menge hervorbrächte, als der fruchtbarste Ge-
treideboden, so würde die Rente des Grundeigentümers
oder der Überschuß, der ihm nach Bezahlung der Ar-
beit und Wiedererstattung des Kapitals samt üblichem
Gewinn übrig bliebe, notwendig viel größer sein. Wie
hoch auch der gewöhnliche Unterhalt der Arbeiter in
diesem Lande zu stehen käme, so könnte doch jener
Überschuß stets eine größere Zahl von ihnen unter-
halten und folglich den Grundeigentümer instand setzen,
über die größere Anzahl zu verfügen. Der wahre Wert
seiner Rente, seine wahre Macht und Autorität, seine
Verfügungskraft über die Bedürfnisse und Genußmittel
des Lebens, die er durch anderer Arbeit erlangen
könnte, würde notwendig viel größer sein.
Kap. Xr,T.: Bodenerzeugnisse mit stetiger Kente. 223
Ein Reisfeld bringt eine weit größere Menge Nah-
rung hervor, als das fruchtbarste Kornfeld. Zwei Ernten
des Jahres, von dreißig bis sechzig Bushel jede, sollen
der gewöhnliche Ertrag eines Acre sein. Obgleich nun
der Reisbau mehr Arbeit erfordert, so bleibt doch
nach Abzug des Unterhalts aller Arbeiter ein weit
größerer Überschuß zurück. Daher muß in den Reis-
ländern, wo der Reis die allgemein beliebte pflanzliche
Nahrung des Volkes ist, und wo die Landarbeiter selbst
fast ihren ganzen Unterhalt damit bestreiten, von diesem
größeren Überschuß auch dem Grundeigentümer ein
größerer Anteil zu gute kommen, als in den Getreide-
ländern. In Carolina, wo die Pflanzer, wie in anderen
britischen Kolonien, zugleich Pächter und Grundeigen-
tümer sind, und wo deshalb die Rente mit dem Ge-
winn zusammenfällt, findet man den Reisbau einträg-
licher, als den Getreidebau, obgleich die Felder nur
eine Ernte im Jahre geben, und der Reis wegen der
vorherrschenden europäischen Lebensart nicht das all-
gemein beliebte Nahrungsmittel des Volkes ist.
Ein gutes Reisfeld bildet das ganze Jahr hindurch
einen Sumpf, und in einer Jahreszeit einen mit Wasser
bedeckten Sumpf. Es eignet sich weder für Getreide-
noch für Futterbau noch für Weinbau, oder überhaupt
für irgend eine Nutzpflanze; und Ländereien, die sich
zu diesen Zwecken eignen, sind nicht tauglich zum
Reisbau. Daher kann auch selbst in Reisländern die
Rente der Reisfelder nicht die Rente des übrigen an-
gebauten Bodens bestimmen, da dieser niemals zum
Reisbau gebraucht werden kann.
Die auf einem Kartoffelfelde erzeugte Nahrung steht
dem Produkte eines Reisfeldes an Menge nicht nach,
und übertrifft den Ertrag eines Weizenfeldes bei weitem.
Zwölftausend Pfund Kartoffeln von einem Acre Land
ist im Verhältnis nicht mehr, als zweitausend Pfund
224 Erstes Bvich: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Weizen. Zwar steht der soKde Nahrungsstoff, der aus
jeder dieser beiden Pflanzen gewonnen werden kann,
in keinem Verhältnis zu ihrem Gewichte, da die Kar-
toffeln viel Wasser enthalten; aber auch zugegeben, das
halbe Gewicht dieser Wurzel werde zu Wasser — in
Wahrheit ist es nicht so viel — , so bringt doch ein
Kartoffelfeld sechstausend Pfund soliden Nahrungs-
stoffes, also dreimal so viel als ein gleich großer Weizen-
acker hervor. Ein Kartoffelfeld läßt sich mit weniger
Kosten bestellen, als ein Weizenfeld, da die Brache,
die gewöhnlich der Aussaat des Weizens vorhergeht,
das Hacken und die übrige Arbeit, deren die Kartoffel
bedarf, mehr als aufwiegt. Sollte diese Wurzel jemals
in einem europäischen Lande eben so wie der Reis in
manchen Reisländern zum allgemein beliebten pflanz-
lichen Nahrungsmittel des Volkes werden, so daß ihr
eben so viel Boden gewidmet würde, als man jetzt
für Weizen und andere Getreidearten bestimmt, so
würde eine gleiche Menge Landes eine weit größere
Menschenmenge ernähren, und da die Arbeiter allge-
mein von Kartoffeln lebten, würde nach Wiederer-
stattung des Kapitals und des Unterhalts aller zur
Bodenkultur nötigen Arbeit ein größerer Überschuß
bleiben. Auch der Anteil des Grundbesitzers an diesem
Überschuß würde größer werden. Die Bevölkerung
würde wachsen, und die Renten würden weit höher
steigen, als sie gegenwärtig stehen.
Ein Boden, der sich zum Kartoffelbau eignet, ist
zu fast allen anderen Nutzpflanzen tauglich. Nähmen
die Kartoffeln eben so viel bebautes Land ein, als jetzt
das Getreide, so würden sie gerade so wie dieses die
Rente des meisten übrigen bebauten Landes bestimmen.
In einigen Gegenden von Lancashire behauptet man,
wie man mir gesagt hat, daß Haferbrot eine kräftigere
Nahrung für Arbeiter sei, als Weizenbrot; und dieselbe
Ansicht habe ich in Schottland oft aufstellen hören.
Kap. XIJI.: Boclenerzciignisse mit und ohne Rente. 225
Ich hege indeß einigen Zweifel an ihrer Richtigkeit.
Die unteren Volksklassen in Schottland, die von Hafer-
mehl leben, sind im Allgemeinen weder so stark noch
so hübsch, als dieselben Volksklassen in England, wo
sie "Weizenbrot essen. Die Schotten arbeiten weder so
gut, noch sehen sie so gut aus, und da unter den
besseren Klassen der beiden Länder kein solcher Unter-
schied besteht, so scheint die Erfahrung zu lehren,
daß die Nahrung der unteren Volksklassen in Schott-
land dem menschlichen Körper nicht so zuträglich
ist, als die der nämlichen Volksklassen in England.
Anders verhält sich die Sache bei den Kartoffeln. Die
Londoner Sänften-, Last- und Kohlenträger sind viel-
leicht die kräftigsten Männer, und jene unglücklichen
Weiber, die von der Prostitution leben, die schönsten
Frauen im ganzen britischen Gebiete, und doch sollen
sie größtenteils der untersten Volksklasse Irlands an-
gehören, die fast nur von jener Wurzel lebt. Einen
sprechenderen Beweis seiner Nahrhaftigkeit und Zu-
träglichkeit für den menschlichen Körper hat kein
anderes Nahrungsmittel aufzuweisen.
Es hält schwer, die Kartoffeln ein Jahr lang,
und ist unmöglich, sie wie das Getreide zwei oder drei
Jahre aufzubewahren. Die Furcht, sie nicht verkaufen
zu können, ehe sie faulen, hält von ihrem Anbau ab,
und ist vielleicht das hauptsächlichste Hindernis, warum
sie nicht, gleich dem Brot, in großen Ländern das
vegetabilische Hauptnahrungsmittol für alle Klassen
des Volkes werden.
Zweite Abteilun,^*.
Bodenerzeugnisse, die zuweilen Rente geben,
zuweilen nicht.
Menschliche Nahrungsmittel scheinen das einzige
Bodenerzeugnis zu sein, das stets und notwendig dem
Adam Smith, VolkswoLdstand. I. '"^
226 Erstes Buch: Zunahme in fler Ertrao-skraft fler Arbeit.
Grundeigentümer eine Rente abwirft. Andere Arten
von Produkten geben unter Umständen Eente, unter
anderen aber auch keine.
Nächst der Nahrung sind Kleidung und AVohnung
die beiden großen Bedürfnisse der Menschen.
Der Boden in seinem natürlichen rohen Zustande
kann für viel mehr Menschen Stoffe zu Kleidung und
Wohnung, als zur Nahrung gewähren ; im Kulturzu-
stande dagegen kann er zuweilen weit mehr Menschen
mit Nahrung, als mit jenen Stoffen versorgen, wenig-
stens mit solchen, wie sie sie wünschen und zu be-
zahlen bereit sind. In dem ersteren Zustande ist daher
immer ein Überfluß an diesen Stoffen vorhanden, die
deswegen oft nur von geringem oder gar keinem Werte
sind. Im anderen dagegen tritt oft ein Mangel ein, der
ihren Wert notwendig steigert. In dem einen Zustande
wird ein großer Teil von ihnen als nutzlos wegge-
worfen, und der Preis der benutzten Stoffe nicht höher
angeschlagen, als zum Werte der Arbeit und der Kosten
der Nutzbarmachung, so daß also für den Grundeigen-
tümer keine Rente verbleibt; in dem anderen dagegen
wird Alles gebraucht und oft mehr verlangt als zu
haben ist. Irgend Jemand ist stets bereit, für einen
oder den andei'en dieser Stoffe mehr zu geben, als
zur Deckung der Kosten, welche sie bis zum Verkauf
verursachen, nötig ist. Der Preis kann mithin stets
eine Rente für den Grundeigentümer abwerfen.
Die ursprünglichen Kleidungsstoffe waren die
Häute der größeren Tiere. Unter Jäger- und Hirten-
völkern, deren Nahrung hauptsächlich in dem Fleisch
dieser Tiere besteht, versorgt sich mithin Jeder zugleich
mit Nahrung und den Stoffen zur Kleidung in größerer
Menge, als er selbst verwenden kann. Gäbe es keinen
auswärtigen Handel, so würde das Meiste als wertlos
weggeworfen werden. So geschah es wahrscheinlich
bei den Hirtenvölkern Nordamerikas zu der Zeit, als
Kap. XI,II.: Bodenerzeugnisse mit und ohne Rente. 227
ihr Land noch nicht von den Europäern entdeckt war,
mit denen sie jetzt ihr überflüssiges Pelzwerk gegen
wollene Decken, Feuergewehre und Branntwein ver-
tauschen, wodurch das Pelzwerk einen Wert erhält.
Unter den gegenwärtigen Handelsverhältnissen der
bekannten Welt haben wohl die rohesten Völker, bei
denen das Eigentum an Grund und Boden eingeführt
ist, einen auswärtigen Handel dieser Art, und finden
unter ihren wohlhabenderen Nachbarn eine solche Nach-
frage nach allen Stoffen zur Bekleidung, die ihr Land
hervorbringt, und die sie weder verarbeiten noch ver-
brauchen können, daß ihr Preis die Kosten übersteigt,
die die Versendung an diese wohlhabenderen Nachbarn
verursacht. Mithin werfen sie für den Grundeigen-
tümer eine Rente ab. Als das Vieh der Hochlande
noch größtenteils auf den eigenen Bergen verzehrt
wurde, machte die Ausfuhr der Häute den bedeutend-
sten Handelsartikel des Landes aus, und der Preis,
den man dafür in Tausch erhielt, gewährte einen Zu-
schuß zur Rente der Güter in den Hochlanden. Die
englische Wolle, die in früheren Zeiten im Lande
weder verbraucht noch verarbeitet werden konnte, fand
in dem damals reicheren und gewerbfleissigeren Flan-
dern einen Markt, und ihr Preis lieferte zu der Rente
des Bodens, auf dem sie hei-vorgebracht wurde, einen
Beitrag. In Ländern, die nicht besser kultiviert sind,
als England es damals war, oder die schottischen
Hochlande jetzt, und die keinen auswärtigen Handel
haben, werden die Bekleidungsstoffe offenbar in einem
solchen Überfluß vorhanden sein, daß sie großenteils
als nutzlos weggeworfen und dem Grundeigentümer
keine Rente liefern werden.
Die Baumaterialien können nicht immer so weit
verschickt werden, wie die Bekleidungsstoffe, und
w^erden nicht so leicht ein Gegenstand des auswärtigen
15'-
228 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Handels. Sind sie in dem Erzeugungslande im Über-
fluß vorhanden, so ist selbst bei dem gegenwärtigen
Stande des Welthandels der Fall nicht selten, daß sie
für den Grundeigentümer wertlos sind. Ein guter
Steinbruch in der Nähe von London würde eine an-
sehnliche Rente abwerfen ; in vielen Gegenden von Schott-
land und Wales bringt er gar keine. Bauholz hat in
einem bevölkerten und wohlbebauten Lande großen Wert,
und der Boden, auf dem es wächst, gewährt eine ziemlich
hohe Rente. Dagegen würde in vielen Gegenden Nord-
amerikas der Grundeigentümer jedem zu Dank ver-
pflichtet sein, der ihm seine großen Baumstämme fort-
fahren wollte. In einigen Teilen der schottischen Hoch-
lande ist wegen mangelnder Land- und Wasserfracht
die Rinde der einzige Teil des Holzes, der zu Markte
gebracht werden kann; das Bauholz läßt man auf dem
Boden verfaulen. Sind Baumaterialien in solchem Über-
fluß vorhanden, so ist der Teil von ihnen, den man nutzt,
nur die Arbeit und die Kosten der Nutzbarmachung
wert. Er bringt dem Grundeigentümer, der in der Regel
jedem, der um die Erlaubnis nachsucht, die Benutzung
gestattet, keine Rente. Doch setzt ihn zuweilen die
Nachfrage reicherer Nationen instand, eine Rente dar-
aus zu ziehen. Di© Straßenpflasterung in London ge-
währte den Eigentümern einiger kahler Felsen an der
schottischen Küste die Möglichkeit, eine Rente aus
einem Gegenstande zu ziehen, der früher niemals eine
geliefert hatte. Die Wälder in Norwegen und an den
Küsten des baltischen Meeres finden in vielen Gegen-
den Großbritanniens einen Markt, den sie zu Hause
nicht finden konnten, und verschaffen dadurch ihren
Eigentümern eine Rente.
Der Volksreichtam eines Landes hängt nicht von
der Zahl von Leuten ab, denen es ihre Kleidung und
Wohnung verschaffen kann, sondern davon, wie viele
Menschen es zu ernähren vermag. Ist Nahrung vor-
Kap. XI, IL: Bodenerzeugnisse mit und ohne Rente. 229
banden, so fällt es nicht schwer, die nötige Kleidung
und Wohnung zu finden; aber nicht immer, wenn diese
vorhanden sind, ist es leicht Nahrung zu finden. Selbst
in einigen Gegenden des britischen Reichs giebt es
menschliche Wohnungen, die von einem einzigen Manne
an einem Tage hergestellt werden können. Etwas, aber
nicht viel mehr Arbeit erfordert die Herstellung der ein-
fachsten Art der Bekleidung aus Tierhäuten. Bei wilden
und rohen Völkern reicht der hundertste oder etwas
mehr als der hundertste Teil der Jahresarbeit hin, das
geringe Kleidungs- und Wohnungsbedürfnis zu befrie-
digen, die übrigen neunundneunzig Teile dagegen aber
oft kaum, sich die Nahrungsmittel zu verschaffen.
Aber wenn vermöge der fortschreitenden Kultur des
Landes die Arbeit einer Familie für zwei Familien Nah-
rung hervorbringt, dann bedarf es nur der Arbeit der
halben Bevölkerung, um die ganze mit Nahrungsmitteln
zu versehen. Die andere Hälfte oder wenigstens ihr
größter Teil kann sich nun mit der Herstellung anderer
Dinge beschäftigen, oder mit der Befriedigung anderer
wirklicher und eingebildeter Bedürfnisse der Menschen.
Kleidung und Wohnung, Hausgerät und sonstige Aus-
stattungen bilden die Hauptgegenstände unter diesen
wirklichen und eingebildeten Bedürfnissen. Der Reiche
verzehrt nicht mehr Nahrung als sein armer Nächster.
An Quahtät mag sie eine andere sein, und es mag mehr
Arbeit und Kunst erfordern, sie zu bereiten ; aber die
Quantität bleibt so ziemlich die nämliche. Man ver-
gleiche jedoch den geräumigen Palast und die große
Garderobe des einen mit der Hütte und den wenigen
Lumpen des Anderen, und man wird merken, daß der
Unterschied zwischen ihrer Kleidung, Wohnung und
ihrem Hausgerät der Menge nach fast ebenso groß ist,
wie der Beschaffenheit nach. Das Verlangen nach Nah-
rung ist bei jedem Menschen durch die Verdauungs-
fähigkeit des Magens beschränkt; aber das Verlangen
230 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
nach Bequemlichkeiten und Schmuck in Gebäuden, im
Anzug, in der ganzen Ausstattung scheint ohne Gren-
zen und bestimmte Schranken zu sein. Darum sind
diejenigen, denen mehr Nahrung zu Gebote steht, als
sie selbst verzehren können, immer gern bereit, ihren
Überschuß oder, was auf dasselbe hinauskommt, den
Preis dafür gegen Genüsse jener Art zu vertauschen.
"Was nach Befriedigung des begrenzten Verlangens übrig
bleibt, wird zur Erfüllung derjenigen Wünsche ver-
wendet, denen nie genug getan werden kann, sondern
die endlos zu sein scheinen. Der Arme müht sich, um
Nahrung zu erhalten, ab, die eingebildeten Bedürfnisse
des Reichen zu befriedigen, und um jene sicherer zu
erhalten, überbieten sie einander in der Wohlfeilheit und
Vollendung ihrer Arbeit. Die Zahl der Arbeiter wächst
mit der zunehmenden Menge von Nahrungsmitteln oder
mit der steigenden Kultur des Bodens ; und da die Natur
ihres Geschäfts die äußerste Arbeitsteilung zuläßt, so
nimmt die Menge der Stoffe, die sie verarbeiten können,
in einem weit größeren Maßstabe zu, als ihre Anzahl.
Daraus entspringt eine Nachfrage nach allen Arten von
Stoffen, die der erfinderische Geist der Menschen ent-
weder zum Nutzen oder als Zierrat an Gebäuden, an
der Kleidung, an Möbeln und anderem Gerät zu ver-
wenden weiß; also eine Nachfrage nach den im Inneren
der Erde verborgenen Fossilien und Mineralien, nach
edeln Metallen und Edelsteinen.
So sind also die Nahrungsmittel nicht nur die
ursprüngliche Quelle der Rente, sondern auch jedes
andere Bodenprodukt, das später Rente abwirft, leitet
diesen Teil seines Werts von den durch die steigende
Bodenkultur vervollkommneten Kräften der auf Nali-
rungserzeugung verwendeten Arbeit ab.
Doch werfen jene anderen Bodenprodukte, die
später eine Rente liefern, sie nicht immer ab. Selbst
Kap. XI, IL: Bodenerzeugnisse mit und ohne Rente. 231
in w ollibebauten Ländern ist die Nachfrage nach ihnen
nicht immer so groß, daß sie einen Preis zu Wege
brächten, der mehr als hinreichend wäre, die Arbeit
bezahlt zu machen und das Kapital, welches zu ihrer
Herstellung gebraucht wurde, samt seinem gewöhn-
lichen Gewinn wiederzuerstatten. Ob dies geschieht
oder nicht, hängt von verschiedenen Umständen ab.
Ob z. ß. eine Kohlengrube eine Rente geben
kann, hängt zum Teil von ihrer Ergiebigkeit, zum
Teil von ihrer Lage ab.
Ein Bergwerk wird als ergiebig oder geringhaltig
betrachtet, je nachdem die Menge an Erzen, die sich
durch eine bestimmte Menge Arbeit daraus gewinnen
läßt, grüßer oder kleiner ist, als die, welche durch
eine gleiche Arbeit aus den meisten ähnlichen Berg-
werken gezogen werden kann.
Manche vorteilhaft gelegenen Kohlenlager können
wegen ihrer Geringhaltigkeit nicht erschlossen werden:
ihr Produkt deckt die Kosten nicht, und sie können
weder Gewinn noch Rente bringen.
Manche gibt es, deren Ertrag eben hinreicht, die
Arbeit bezahlt zu machen und das in ihren Betrieb
gesteckte Kapital samt dem gewöhnlichen Gewinn
wiederzuerstatten. Dem Unternehmer des Betriebs
bringen sie einigen Gewinn, für den Grundeigentümer
aber werfen sie keine Rente ab. Sie können daher nur
vom Grundeigentümer mit Vorteil abgebaut werden,
der, wenn er selbst Unternehmer ist, den gewöhnlichen
Gewinn des hineingesteckten Kapitals bezieht. Viele
schottische Kohlengruben werden auf diese Weise ab-
gebaut, und könnten sonst nicht benutzt werden. Der
Grundeigentümer wird niemandem gestatten, sie ohne
Zahlung einer Rente zu bearbeiten, und doch kann
niemand eine Rente zahlen.
Andere Kohlengruben desselben Landes, die er-
232 Erstes Bxich: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
giebig genug sind, können wegen ihrer Lage nicht
ausgeboutet werden. Zwar könnten durch die gewöhn-
liche Arbeitsmenge genug Kohlen gefördert werden,
um die Betriebskosten zu decken, aber die geförderte
Menge ließe sich in dem spärlich bewohnten und weder
mit Land- noch Wasserstraßen versehenen Binnenlande
nicht verkaufen.
Kohlen sind ein weniger angenehmes Brennmaterial,
als Holz und sollen auch weniger zuträglich sein. Darum
müssen die Kosten der Kohlen an dem Verbrauchsorte
im allgemeinen etwas geringer sein, als die des Holzes.
Der Preis des Holzes seinerseits ändert sich je nach
dem Stande der Landwirtschaft, und zwar so ziemlich
in derselben Art und genau aus denselben Gründen, wie
der des Viehs. In ihren ersten rohen Anfängen ist der
größte Teil jedes Landes mit Holz bedeckt, das für
den Grundeigentümer eine reine Last ohne allen Wert
ist und gern dem ersten besten gegeben würde, der
es schlagen wollte. Bei steigender Kultur werden die
AVälder teils durch die Fortschritte des Feldbaus ge-
lichtet, teils durch die wachsende Menge des Viehs
verringert. Das Vieh vermehrt sich zwar nicht in dem-
selben Maße, wie das Getreide, das gänzlich eine Frucht
des menschlichen Fleißes ist, aber seine Vermehrung
wird doch durch die Pflege und den Schutz der Men-
schen begünstigt, die in der Zeit der Fülle so viel auf-
speichern, um in der des Mangels den Unterhalt des
Viehs zu bestreiten und ihm das ganze Jahr hindurch
mehr Futter zu geben, als es in einer Wildnis finden
könnte, und die ihm den freien Genuß der Lebensbe-
dürfnisse dadurch sichern, daß sie seine Feinde töten
und ausrotten. Zahlreiche Heerden, denen man durch
die Wälder zu streifen gestattet, vernichten zwar nicht
die alten Bäume, lassen aber den jungen Nachwuchs
nicht aufkommen, so daß im Laufe von einem oder
zwei Jahrhunderten der ganze Forst zu Grunde geht.
Kap. XI,II.: Bodenerzeugnisse nnit nnd ohne Rente. 233
Dann steigert der Mangel an Holz seinen Preis; es
liefert eine gute Rente und der Grundeigentümer kann
zuweilen seine besten Ländereien nicht vorteilhafter
benutzen, als wenn er Zimmerholz darauf zieht, bei
dem die Größe des Gewinns oft die Verspätung der
Erträge aufwiegt. Dies scheint ungefähr der jetzige
Stand der Dinge in einigen Teilen Großbritanniens zu
sein, wo man bei der Holzzucht einen ebenso großen
Gewinn findet, als beim Getreide- oder Futterbau. Der
Vorteil, den der Grundeigentümer von der Holzzucht
hat, kann nirgends, wenigstens nicht auf lange Zeit,
die Rente übersteigen, welche ihm der Getreide- und
Futterbau gewähren würde, und wird in einem hoch-
kultivierten Binnenlande auch nicht weit hinter dieser
Rente zurückbleiben. An der Meeresküste eines gut-
bebauten Landes, mag es freilich, wenn man Kohlen
zur Feuerung leicht haben kann, zuweilen billiger
sein, Zimmerholz aus weniger kultivierten fremden
Ländern kommen zu lassen, als es im Lande zu ziehen.
In der jetzt innerhalb weniger Jahre erbauten Neu-
stadt von Edinburg ist vielleicht nicht ein einziges
Stück schottischen Bauholzes zu finden.
Welches auch der Preis des Holzes sein mag:
wenn der der Kohlen so hoch ist, daß die Kosten der
Kohlenfeuerung denen der Holzfeuerung ziemlich gleich-
kommen, kann man sich versichert halten, daß der
Kohlenpreis an diesem Orte und unter diesen Umständen
der höchstmögliche ist. Dies scheint in einigen Gegen-
den im Innern Englands, besonders in Oxfordshire, der
Fall zu sein, wo es selbst bei den unteren Klassen
üblich ist, zur Feuerung Kohlen und Holz zu mischen,
und wo also der Unterschied in den Kosten dieser
beiden Brennstoffe nicht sehr groß sein kann.
In den Kohlengegenden stehen die Kohlen überall
weit unter diesem höchsten Preise. Wäre das nicht so,
234 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskral't der Arbeit.
SO könnten sie die Kosten einer weiten Land- oder
Wasserfracht nicht tragen. Es könnte nur eine geringe
Menee verkauft werden; die Unternehmer und Besitzer
von Kohlenbergwerken finden es aber mehr in ihrem
Interesse, eine große Menge etwas über dem niedrigsten
Preise, als eine kleine zum höchsten Preise zu ver-
kaufen. Überdies bestimmt die ergiebigste Kohlengrube
den Preis der Kohlen für alle anderen benachbarten
Gruben. Der Eigentümer sowohl als der Unternehmer
des Werkes finden, daß, wenn sie etwas wohlfeiler
verkaufen, als ihre Nachbarn, jener eine größere Rente,
und dieser einen größeren Gewinn ziehen kann. Bald
sehen sich ihre Nachbarn gezwungen, zu demselben
Preise zu verkaufen, obgleich sie es nicht so gut er-
tragen können und stets ihre Rente und ihren Gewinn
dadurch verringern, ja oft verlieren. Manche Gruben
werden dann gänzlich verlassen; andere können keine
Eente mehr liefern, und nur noch vom Eigentümer
ausgebeutet werden.
Der niedrigste Preis, zu welchem für längere Zeit
Kohlen verkauft werden können, ist, wie bei allen an-
deren Waren, der Preis, der gerade hinreicht, das bis
zum Markttransport verwendete Kapital samt seinem
gewöhnlichen Gewinn wiedereinzubringen. Bei einer
Kohlengrube, von der der Eigentümer keine Rente
ziehen kann, und die er entweder selbst in Gang er-
halten oder ganz aufgeben muß, wird der Kohlenpreis
im Allgemeinen etwa diese Höhe haben.
Werfen aber auch Kohlen wirklich eine Rente ab,
so bildet diese doch gewöhnlich in ihrem Preise einen
kleineren Teil, als in dem der meisten anderen Roh-
produkte des Bodens. Die Rente eines Grundstücks über
der Erde beläuft sich gewöhnlich auf etwa den dritten
Teil des Rohertrags, und ist im Ganzen sicher und von
den zufälligen Schwankungen der Ernte unabhängig.
Kaj). XI, II.: Bodenerzeugnis.se mit und ohne Rente. 235
Bei Kohlengruben ist ein Fünftel des Rohertrags eine
sehr große Rente, und ein Zehntel die gewöhnliche;
überdies aber ist diese Rente selten sicher, sondern
hängt von den zufälligen Schwankungen des Ertrags
ab. Diese Schwankungen sind so groß, daß in einem
Lande, wo der Ertrag dreißigfach kapitalisiert, als ein
mäßiger l'reis für ländliche Grundstücke betrachtet
wird, ein zehnfach kapitalisierter Ertrag als ein guter
Preis für Kohlengruben gilt.
Der Wert, den eine Kohlengrube für ihren Eigen-
tümer hat, hängt oft ebenso sehr von ihrer Lage, als
von ihrer Ergiebigkeit ab. Der Wert eines Metallberg-
werks hängt mehr von seiner Ergiebigkeit und weniger
von seiner Lage ab. Die Metalle, besonders die edlen,
sind, nachdem sie aus den Erzen geschieden worden,
so wertvoll, daß sie gewöhnlich die Kosten einer sehr
langen Land- und der entferntesten Seereise tragen
können. Ihr Markt ist nicht auf die umliegenden
Gegenden beschränkt, sondern erstreckt sich über die
ganze Welt. Das japanische Kupfer macht in Europa,
das spanische Eisen in Chili und Peru einen Handels-
artikel aus, und das peruanische Silber findet nicht
nur nach Europa, sondern von Europa wieder nach
China seinen Weg.
Die Kohlenpreise in Westmoreland oder Shropshire
können nur wenig, und der Preis im Lyonnais kann gar
keinen P]influß auf den Preis zu Newcastle haben. Die
Erzeugnisse so weit entfernter Kohlengruben können
niemals mit einander in Wettbewerb geraten, dagegen
können es die Erzeugnisse der entferntesten Metallberg-
werke oft, und tun es tatsächlich fast immer. Daher
muß notwendig der Preis, den Metalle, und besonders
die edlen, an den ergiebigsten Minen der Welt haben,
mehr oder weniger auf den Preis an allen anderen Minen
wirken. Der Preis des Kupfers in Japan muß auf den
236 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Preis bei den europäischen Kupferminen Einfluß haben.
Der Preis des Silbers in Peru, odor die Menge von
Arbeit oder Waren, welche dort dafür zu kaufen ist,
muß auf den Silberpreis nicht nur bei den europä-
ischen, sondern auch bei den chinesischen Bergwerken
Einfluß haben. Nach der Entdeckung der peruanischen
Minen wurden die europäischen Silberbergwerke größten-
teils aufgegeben. Der Wert des Silbers sank so sehr,
daß ihr Ertrag nicht mehr die Kosten der Ausbeutung
decken, oder die bei ihr verbrauchte Nahrung, Kleidung,
Wohnung und sonstigen Bedürfnisse mit Gewinn wieder-
erstatten konnte. Der gleiche Fall trat auch bei den
Bergwerken von Kuba und St. Domingo, und selbst
bei den alten Minen Perus nach Entdeckung der Minen
von Potosi ein.
Da mithin der Preis jedes Metalls bei jedem Berg-
werk in gewissem Maße durch seinen Preis bei der
ergiebigsten Mine der Welt bestimmt wird, so kann
er bei den meisten Minen wenig mehr als die Kosten
des Betriebs decken, und für den Eigentümer nur
selten eine hohe Rente abwerfen. Die Rente scheint
demgemäß bei den meisten Minen nur einen geringen
Teil vom Preise der unedlen, und einen noch geringe-
ren von dem der edlen Metalle auszumachen. Arbeit
und Gewinn bilden den größeren Teil bei beiden.
Bei den Zinnbergwerken von Cornwall, den er-
giebigsten, die man kennt, rechnet man nach der An-
gabe ihres Yizedirektors Borlace, ein Sechstel des Roh-
ertrags als durchschnittliche Rente. Einige, sagt er,
werfen mehr, andere nicht so viel ab. Den sechsten
Teil des Bruttoertrages beträgt die Rente auch bei
einigen sehr ergiebigen Bleiminen in Schottland.
In den Silberminen Perus verlangt der Eigentümer,
wie Frezier und Ulloa berichten, von dem Unternehmer
des Baues oft weiter Nichts, als daß er das Erz auf
Kap. XTjr.: Boflenerzeugnisso mit und ohne Rente. 237
seiner Mühle mahlt, und ihm dafür das gewöhnliche
Mahl- oder Pochgeld zahlt. Bis 1736 belief sich frei-
lich die Abgabe an den König von Spanien auf ein
Fünftel des feinen Silbers, und dies konnte bis dahin
als die wahre Rente der meisten peruanischen Silber-
minen, der reichsten, die man kennt, angesehen werden.
Ohne diese Abgabe würde jenes Fünftel natürlich dem
Grundeigentümer gehöi't haben, und viele Minen konnten
in Angriff genommen werden, die man, so lange die
Abgabe bestand, unbenutzt lassen mußte. Die Steuer
des Herzogs von Cornwall auf Zinn soll sich auf mehr
als fünf Prozent oder den zwanzigsten Teil vom Wert
belaufen; wie dem aber auch sei, sie würde natürlich
dem Eigentümer des Bergwerks zufallen, wenn das Zinn
steuerfrei wäre. Fügt man ein Zwanzigstel zu einem
Sechstel, so findet man, daß die ganze bezahlte Durch-
schnittsrente der Cornwaller Zinngruben sich zu der
der peruanischen Silberminen wie dreizehn zu zwölf
verhält. Doch sind jetzt die peruanischen Silberberg-
werke nicht imstande, auch nur diese niedrige Rente
zu zahlen, und die Abgabe auf Silber wurde 1736 von
einem Fünftel auf ein Zehntel herabgesetzt. Aber auch
diese Abgabe auf Silber verführt immer weit mehr
zum Schmuggel, als die Abgabe von einem Zwanzig-
stel auf Zinn, denn der Schmuggel ist bei einer kost-
baren Ware viel leichter, als bei einer massigen. Da-
her soll auch die Taxe des Königs von Spanien sehr
schlecht, die des Herzogs von Cornwall sehr gut ein-
gehen. Sonach macht wahrscheinlich die Rente einen
größeren Teil des Zinnpreises an den ergiebigsten
Zinnminen, als des Silberpreises an den ergiebigsten
Silberminen der Welt aus. Nach Wiedererstattung des
im Betriebe dieser verschiedenen Minen angelegten
Kapitals samt üblichem Gewinn scheint der für den
Eigentümer übrig bleibende Rest bei dem unedlen
Metall größer zu sein, als bei dem edlen.
238 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Auch die Gewinne der Unternehmer des Bergbaus
auf Silber sind in Peru gewöhnlich nicht sehr groß.
Dieselben achtungswerten und wohlunterrichteten
Scliriftsteller berichten uns, daß, wer in Peru eine
neue Mine in Betrieb setzte, allgemein als ein Mann,
dem ein sicherer Bankerott und Untergang bevorstehe,
angesehen und deshalb von Jedermann gemieden wurde.
Der Bergbau wird dort ebenso, wie bei uns, als eine
Lotterie betrachtet, in welcher die Gewinne den Nieten
nicht gleichkommen, obgleich die Größe einiger Ge-
winne manchen Glücksritter reizt, in so ungedeihlichen
Projekten sein Vermögen fortzuwerfen.
Da der Souverän jedoch einen großen Teil seines
Einkommens aus dem Ertrag der Silberminen bezieht,
so gibt in Peru das Gesetz alle mögliche Aufmunterung
zur Entdeckung und zum Bau neuer Minen. Wer eine
neue Mine entdeckt, ist berechtigt, in der Richtung,
in welcher er die Ader vermutet, zweihundert und
sechsundvierzig Fuß in der Länge und halb so viel
in der Breite abzumessen. Dieser Teil der Mine
wird sein Eigentum und er darf ihn bearbeiten, ohne
dem Grundherrn eine Abgabe dafür zu entrichten.
Den Herzog von Cornwall veranlaßte sein Interesse
zu einer ganz ähnlichen Verordnung in diesem frü-
heren Herzogtum. Auf wüstem und uneingezäuntem
Boden darf Jeder, der eine Zinnmine entdeckt, ihre
Grenzen in einem gewissen Umfang abstecken, was
man eine Mine umgrenzen nennt. Der Abgrenzende
wird der wirkliche Eigentümer der Grube, und kann
ihren Betrieb entweder selbst übernehmen, oder sie
einem Anderen in Pacht geben, ohne daß er dazu
die Zustimmung des Grundeigentümers braucht, dem
jedoch für die Arbeiten auf der Oberfläche eine
kleine Abgabe zu entrichten ist. In beiden Verord-
nungen werden die heiligsten Rechte des Privateigen-
Kap. XT.ir.: Borlenerzeuft-nisse mit und ohne Rente. 289
turns dem vorausgesetzten Interesse der Staatseinnah-
men geopfert.
Die nämliche Aufmunterung läßt man in Peru der
Entdeckung und Bearbeitung neuer Goldminen zu Teil
werden. Beim Golde beläuft sich die königliche Taxe
nur auf den zwanzigsten Teil des reinen Metalls. Früher
war es ein Fünftel und dann ein Zehntel, wie beim Silber;
aber man fand, daß der Bau auch nicht die kleinere
dieser beiden Abgaben tragen konnte. Wenn es aber,
sagen dieselben Schriftsteller, Frezier und Ulloa, etwas
seltenes ist, jemand zu finden, der durch eine Silber-
mine reich geworden wäre, so ist es noch weit seltener,
jemand zu finden, der durch eine Goldmine großes Ver-
mögen erworben hätte. Jener zwanzigste Teil scheint
die ganze Rente zu sein, die von den meisten Gold-
minen in Chili und Peru aufgebracht wird. Auch ist
das Gold dem Schmuggel viel leichter ausgesetzt, als
selbst das Silber, nicht bloß wegen seines höheren Wertes
im Verhältnis zu seiner Masse, sondern auch wegen der
besonderen Art, wie es in der Natur vorkommt. Das
Silber wird sehr selten in gediegenem Zustande ge-
funden, sondern kommt, wie die meisten übrigen Metalle
gewöhnlich in Verbindung mit anderen Metallen vor,
aus denen es in solchen Mengen, daß die Kosten ge-
deckt werden, nur durch ein sehr mühsames und lang-
wieriges Verfahren geschieden werden kann, ein Ver-
fahren, das nur in besonderen zu diesem Zwecke ein-
gerichteten Hüttenwerken ausgeführt, und aus diesem
Grunde der Aufsicht der königlichen Beamten nicht
entzogen werden kann. Dagegen findet sich das Gold
fast überall gediegen vor. Manchmal findet es sich in
Stücken von ziemlicher Größe; wenn es aber auch in
kleinen, kaum bemerkbaren Teilchen mit Sand, Erde
oder anderen fremden Körpern vermischt ist, läßt es
sich doch durch ein wenig zeitraubendes und einfaches
Verfahren, das in jedem Privathause von jedem, der
240 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
etwas Qaecksilber besitzt, vorgenommen werden kann,
von ihnen scheiden. Greht also schon die königliche
Taxe auf Silber schlecht ein, so wird dies bei Gold
wahrscheinlich noch mehr der Fall sein, und die Rente
muß in dem Preise des Goldes einen weit geringeren
Teil ausmachen, als in dem des Silbers.
Der niedrigste Preis, zu dem die edlen Metalle
verkauft werden können, oder die kleinste Menge an-
derer Waren, gegen die man sie für längere Zeit ver-
tauschen kann, wird durch dieselben Grundsätze be-
stimmt, die den niedrigsten gewöhnlichen Preis aller
anderen Waren regeln. Er wird bestimmt durch das
Kapital, das zu diesem Behuf gewöhnlich angelegt
werden muß, sowie die Nahrung, Kleidung und Woh-
nung, die verbraucht werden, bis die Metalle aus dem
Bergwerk auf den Markt kommen. Er muß wenigstens
hinreichend sein, um jenes Kapital samt den gewöhn-
lichen Gewinnen wieder einzubringen.
Ihr höchster Preis hingegen scheint nicht not-
wendig durch etwas anderes als durch die jeweilige
Seltenheit oder Häufigkeit dieser Metalle selbst be-
stimmt zu werden. Er wird nicht durch den Preis einer
anderen Ware bestimmt, wie der Preis der Kohlen durch
den des Holzes, über den hinaus kein Mangel ihn stei-
gern kann. Steigt der Mangel an Gold bis auf einen
gewissen Grad, so kann sein kleinstes Stückchen kost-
barer werden und im Tausch eine größere Menge
anderer Waren gelten, als ein Diamant.
Die Nachfrage nach diesen edlen Metallen ent-
springt teils aus ihrer Nützlichkeit, teils aus ihrer Schön-
heit. Mit Ausnahme des Eisens sind sie nutzbarer, als
vielleicht jedes andere Metall. Da sie dem Rosten und
der Verunzierung weniger ausgesetzt sind, können sie
leichter rein gehalten werden, und das aus diesen Me-
tallen verfertigte Tafel- und Küchengerät ist darum an-
Kap. XI.IT.: Bodenerzeiignisse mit und ohne Rente. 241
genehmer. Ein silberner Kessel ist reinlicher, als ein
bleierner, kupferner oder zinnerner, und ein goldener
würde noch besser sein. Ihr Hauptvorzug jedoch ist
ihre Schönheit, die sie besonders zu Zierraten der Klei-
dung und Gerätschaften geeignet macht. Keine Farbe
gibt einen solchen Glanz, wie die Vergoldung. Der
Vorzug ihrer Schönheit wird durch ihre Seltenheit noch
bedeutend gehoben. Bei den meisten reichen Leuten be-
steht der Hauptgenuß, den sie von ihrem Eeichtum
haben, in seiner Schaustellung, die in ihren Augen nie
so vollständig ist, als wenn sie jene entscheidenden
Zeichen des Überflusses besitzen, die außer ihnen nie-
mand besitzen kann. In ihren Augen wird der Vorzug
eines Gegenstandes, der in irgend einem Grade nützlich
oder schon ist, bedeutend erhöht durch seine Seltenheit,
d. h. durch die große Arbeit, die es erfordert, eine
beträchtliche Menge davon zu sammeln, eine Arbeit,
welche außer ihnen niemand bezahlen kann. Solche
Gegenstände kaufen sie gern zu einem höheren Preise,
als viel schönere und nützlichere, aber gewöhnlichere
Dinge. Diese Eigenschaften der Nützlichkeit, Schön-
heit und Seltenheit sind der ursprüngliche Grund des
hohen Preises dieser Metalle, oder der großen Menge
anderer TTaren, gegen die sie überall ausgetauscht
werden können. Dieser Wert ging ihrer Verwendung
zu Münzen voran, und war unabhängig davon; er war
vielmehr die Eigenschaft, die sie zu seiner Verwen-
dung geeignet machte. Doch mag diese Verwendung
dadurch, daß sie eine neue Nachfrage verursachte,
und die zu anderen Zwecken verwendbare Menge
beschränkte, später dazu beigetragen haben, ihren
Wert aufrecht zu erhalten oder zu erhöhen.
Die Nachfrage nach Edelsteinen beruht allein auf
ihrer Schönheit. Sie werden zu nichts anderem gebraucht,
als zum Schmuck und der Vorzug ihrer Schönheit wird
Adam Sinith. Volkswohlstand. I. It*
242 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
noch durch ihre Seltenheit, d. h. durch die Schwierig-
keit und die Kosten ihrer Gewinnung bedeutend ver-
mehrt. Arbeitslohn und Gewinn machen demgemäß in
den meisten Fällen fast die Gesamtheit ihres hohen
Preises aus. Die Rente hat nur einen sehr kleinen, oft
gar keinen Anteil daran, und nur die ergiebigsten Minen
liefern eine bedeutendere Rente. Als der Juwelier
Tavernier die Diamantengruben von Golkonda und
Yisapur besuchte, sagte man ihm, daß der Herrscher
des Landes, für dessen Rechnung sie ausgebeutet
wurden, alle Gruben, bis auf die, welche die größten
und schönsten Steine lieferten, hatte schließen lassen.
Es scheint also, daß die übrigen für den Eigentümer
den Betrieb nicht lohnten.
Da der Preis sowohl der edlen Metalle wie der
Edelsteine überall in der Welt durch ihren Preis an
den ergiebigsten Minen bestimmt wird, so richtet sich
die Rente, die eine derartige Mine für ihren Eigen-
tümer abwerfen kann, nicht nach ihrer absoluten,
sondern nach ihrer relativen Ergiebigkeit, d. h. nach
ihrer Überlegenheit über andere Minen derselben Art.
Würden neue Minen entdeckt, die die potosischen um
eben so viel überträfen, als diese die europäischen
übertroffen haben, so würde der Wert des Silbers so
sehr sinken, daß selbst die Minen von Potosi den
Betrieb nicht mehr verlohnten. Vor der Entdeckung
des spanischen Westindiens mögen die gehaltreichsten
Minen in Europa ihren Eigentümern eine eben so
große Rente geliefert haben, als die reichsten Minen
von Peru gegenwärtig den ihrigen gewähren. War
auch die Menge des gewonnenen Silbers weit geringer,
so konnte man doch ebenso viele andere Waren damit
eintauschen und der Eigentümer konnte für seinen Anteil
eine gleiche Menge Arbeit oder Waren damit kaufen.
Der Wert sowohl der Ausbeute wie der Rente, das
Kap. XI,II.: Bodenerzeugnisse mit und ohne l^ente. 243
wirkliche Einkommen, das sie sowohl dem Staate wie
dem Eigentümer brachten, mag ähnlich gewesen sein.
Aber die reichsten Minen sowohl der Metalle wie
der Edelsteine können dem Reichtum der Welt nur
wenig hinzufügen. Ein Erzeugnis, dessen Wert haupt-
sächlich seiner Seltenheit zuzuschreiben ist, wird not-
wendig durch seinen Überfluß entwertet. Ein Tafel-
geschirr und der übrige eitle Tand in Kleidung und
Gerätschaften würde im letzteren Falle für eine gerin-
gere Menge Arbeit oder für eine geringere Menge Waren
gekauft werden, und hierin würde der ganze Vorteil
bestehen, den die Welt aus jenem Überfluß zöge.
Anders ist es mit Grundstücken über der Erde. Der
Wert sowohl ihrer Produkte wie ihrer Rente richtet
sich nach ihrer absoluten und nicht nach ihrer relati-
ven Fruchtbarkeit. Das Land, das eine gewisse Quan-
tität Nahrung, Kleidung und Wohnungsbedürfnisse her-
vorbringt, kann stets eine gewisse Zahl Menschen nähren,
kleiden und mit Wohnung versorgen : und welchen An-
teil davon auch der Grundherr bezieht, stets wird er
ihm eine verhältnismäßige Verfügung über die Arbeit
dieser Leute und über die Waren geben, mit welchen
diese Arbeit ihn versehen kann. Der Wert der unfrucht-
barsten Ländereien wird durch die Nachbarschaft der
fruchtbarsten nicht verringert; er wird im Gegenteil ge-
wöhnlich dadurch erhöht. Die große Menge Menschen,
die auf dem fruchtbaren Lande ihre Nahrung findet,
bietet für viele Produkte des unfruchtbaren einen Markt,
den sie unter den Leuten, die seine eigene Produktion
zu erhalten vermochte, niemals hätte finden können.
Alles, was die Fruchtbarkeit des Bodens derart
vermehrt, daß er mehr Nahrungsmittel hervorbringt,
erhöht nicht nur den Wert der Ländereien, denen die
Verbesserung zu Teil wird, sondern trägt auch dazu
bei, den Wert vieler anderer Ländereien dadurch zu
16*
244 T]i'''tps Ruch : Zuniihmo in rler Ertra^'skraft dor Arbeit.
steigern, daß es für ihre Produkte eine neue Nachfrage
schafft. Der Überschuß an Nahrungsmitteln, der in
Folge der Bodenverbesserung vielen Leuten 'über ihren
eigenen Bedarf noch etwas abwirft, ist die wirkliche
Ursache der Nachfrage nach edlen Metallen und Edel-
steinen, sowie nach allen anderen Gegenständen der
Bequemlichkeit und des Zierrats an Kleidung, Woh-
nung, Haushalt usw. Die Nahrungsmittel bilden nicht
nur den Hauptteil alles Reichtums in der Welt, son-
dern ihr Überfluß giebt auch vielen anderen Gütern
erst ihren hauptsächlichen Wert. Bei der Entdeckung
von Cuba und St. Domingo durch die Spanier hatten
die armen Eingebornen die Gewohnheit, kleine Stück-
chen Gold als Zierrat im Haar und an manchen Stellen
ihres Anzugs zu tragen. Sie schienen sie eben so zu
schätzen, wie wir etwa kleine Kieselsteine von etwas
mehr als gewöhnlicher Schönheit schätzen, und hielten
sie allenfalls des Aufhebens wert, aber nicht für kost-
bar genug, um sie dem, der sie darum bat, zu ver-
weigern. Sie gaben sie ihren neuen Gästen auf ihren
ersten Wunsch und schienen nicht zu glauben, daß
sie ihnen ein besonders wertvolles Geschenk gemacht
hätten. Mit Erstaunen bemerkten sie die Gier der
Spanier nach ihrem Besitze und begriffen nicht, wie
es ein Land geben konnte, wo viele Leute über einen
solchen Überfluß an Nahrungsmitteln, die bei ihnen
so unzureichend waren, verfügen konnten, daß sie für
eine geringe Menge jenes glitzernden Flitters gern so
viel Nahrungsmittel, wie eine ganze Familie auf mehrere
Jahre braucht, hergaben. Hätte ihnen dies begreiflich
gemacht werden können, so w^ürde sie die Leidenschaft
der Spanier nicht mehr befremdet haben.
Kap. XI.TTI.: Veränderung in d. WertA-erh. v. Produkten, etc. 245
Dritte Abteilung.
Die Veränderung in dem Verhältnis zwischen dem Werte
derjenigen Art von Produkten, welche immer eine Rente
bringen, und dem Werte derer, die zuweilen eine Rente
gewähren und zuweilen keine,
Der infolge zunehmender Kultur wachsende Über-
fluß von Nahrungsmitteln muß notwendig auch die
Nachfrage nach den anderen Bodenprodukten, die nicht
Nahrungsmittel sind, sondern zu anderem Gebrauch
oder zur Zierde dienen, vermehren. Man sollte dem"
nach erwarten, daß im gesamten Fortschritt der Kultur
nur eine einzige Veränderung in dem Wertverhältnis
dieser beiden Arten von Produkten eintreten und der
"Wert derjenigen Art von Produkten, die zuweilen eine
Hente abwirft und zuweilen nicht, stets gerade so zU'
nehmen würde, wie der AA'ert derjenigen, welche stets
eine Rente geben. In dem Maße, wie Künste und Ge»
werbe fortschreiten, müßten auch die Stoffe für Klei-
dung und Wohnung, die nützlichen Fossilien und
Mineralien der Erde, und die edlen Metalle und Edel-
steine allmählich mehr und mehr im Begehr steigen,
sich allmählich gegen eine immer größere Menge von
Nahrungsmitteln vertauschen lassen, mit anderen
Worten allmählich immer teurer werden. Dies ist
auch beim größten Teil dieser Dinge meist der Fall,
und würde dies unter allen Umständen sein, wenn
nicht besondere Umstände in manchen Fällen das An-
gebot noch höher gesteigert hätten, als die Nachfrage.
Der Wert eines Steinbruchs z. B. wird notwendig
mit der zunehmenden Kultur und Bevölkerung der
Umgegend steigen, namentlich wenn er der einzige in
der ganzen Gegend ist. Dagegen steigt der Wert einer
Silbermine, wenn auch innerhalb tausend Meilen keine
andere vorhanden wäre, durchaus nicht notwendig mit
246 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragski-aft der Arbeit.
der Kultur des Landes, in dem sie sich befindet. Der
Markt für das Produkt eines Steinbruchs kann sich
selten weiter als auf einige Meilen in der Runde er-
strecken, und die Nachfrage danach wird sich im Ganzen
nach der Kultur und Bevölkerung dieses kleinen Um-
kreises richten. Der Markt für das Piodukt einer Silber-
mine hingegen kann sich über die ganze bekannte Welt
ausdehnen. Wenn daher nicht die Welt im Ganzen an
Kultur und Bevölkerung zunimmt, braucht die Nach-
frage nach Silber infolge der fortschreitenden Kultur
selbst eines großen Landes in der Nähe der Mine
keineswegs zu steigen. Selbst wenn die Welt im Ganzen
an Kultur zunähme, gleichzeitig aber neue Minen von
weit größerer Ergiebigkeit, als die bisher bekannten,
entdeckt würden, so würde trotz der notwendig wachsen-
den Nachfrage nach Silber sein Angebot doch so be-
deutend steigen, daß der Sachpreis dieses Metalls nach
und nach sinken müßte, d. h. daß eine bestimmte
Menge von ihm etwa ein Pfund, nach und nach eine
immer geringere Menge von Arbeit kaufen könnte,
oder sich nur gegen eine immer kleiner werdende
Monge Getreides, des Hauptlebensmittels der Arbeiter,
vertauschen ließe.
Der große Markt für Silber ist der handeltreibende
und zivilisierte Teil der Welt.
Wenn durch den allgemeinen Fortschritt die Nach-
frage dieses Marktes wüchse, während zu gleicher Zeit
das Angebot nicht in demselben Verhältnis zunähme,
so würde der Wert des Silbers allmählich im Verhältnis
zu dem des Getreides steigen. Eine gegebene Menge
Silber würde im Tausch eine immer größere Monge
Getreide gelten, oder mit anderen Worten, der durch-
schnitthche Geldpreis des Getreides würde allmählich
immer niedriger werden.
Wenn umgekehrt zufällig das Angebot viele Jahre
Kap. XL: Die Schwankungen de« Silberwerts. I. 247
hindurch in größerem Maße wächst, als die Nachfrage,
so würde jenes Metall allmählich immer wohlfeiler
\\ierden, oder mit anderen Worten, der durchschnitt-
liche Geldpreis des Getreides würde trotz aller Fort-
schritte der Kultur allmählich immer höher werden.
Stiege jedoch andererseits das Angebot des Metalls
fast in demselben Maße, wie die Nachfrage, so würde
man auch ferner fast dieselbe Menge Getreide dafür
kaufen können, und der durchschnittliche Geldpreis
des Getreides würde trotz aller Kulturfortschritte un-
gefähr der nämliche bleiben.
Diese drei Fälle scheinen alle möglichen Eventu-
alitäten, die sich im Fortschritt der Kultur ereignen
können, zu erschöpfen, und im Laufe der letzten vier
Jahrhunderte ereigneten sich, soweit man nach den
Vorgängen in Frankreich und Großbritannien urteilen
kann, alle drei Fälle auf dem europäischen Markt, und
zwar so ziemlich in derselben Reihenfolge, in der ich
sie liier aufgeführt habe.
Abschweifung
Über die Schwankungen des Silberwerts während der
letzten vier Jahrhunderte.
Erste Periode.
Um das Jahr 1350 scheint der Durchschnittspreis
des Quarters Weizen in England nicht weniger als
vier Unzen Silber Towergewicht, etwa gleich zwanzig
Schilling unsres jetzigen Geldes, gekostet zu haben. Von
diesem Preise scheint er allmählich bis auf zwei Unzen
Silber, also etwa zehn Schilling unsres Geldes gefallen
zu sein, zu welchem Preise wir ihn am Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts veranschlagt finden, und
den er bis ungefähr 1570 behalten haben mag.
248 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Im Jahre 1350, dem fünfundzwanzigsten Eduards
III., wurde das sogenannte Arbeiterstatut erlassen.
Im Eingange dazu wird über die Ungebührlichkeit
der Dienstboten geklagt, die ihren Herrschaften einen
höheren Lohn abzunötigen suchen. Deshalb wird
verordnet, daß alle Dienstboten und Arbeiter in Zu-
kunft sich mit den nämlichen Löhnen und Livreen
(Livery bedeutete damals nicht blos Kleidung, son-
dern auch Beköstigung) begnügen sollten, die sie im
zwanzigsten ßegierungsjahre dos Königs und in den
vier vorhergehenden zu erhalten pflegten; daß deshalb
die Lieferuns von Weizen an sie niemals höher an-
geschlagen werden solle, als 10 d. für den Bushel,
und daß den Meistern stets die Wahl bleiben solle,
Weizen oder Geld zu geben. 10 d. für den Bushel
sah man also im fünfundzwanzigsten Regierungsjahre
Eduards 111. als einen sehr mäßigen Preis des Weizens
an, da es eines besonderen Gesetzes bedurfte, die
Dienstboten zu seiner Annahme anstatt ihrer üblichen
Beköstigung zu nötigen; und schon zehn Jahre früher,
im sechzehnten Regierungsjahre des Königs, auf
welchen Zeitpunkt das Gesetz zurückgeht, wurde es
für einen billigen Preis gehalten. Im sechzehnten Re-
gierungsjahre Eduards III. enthielten aber 10 d. un-
gefähr eine halbe Unze Silber Towergewicht, und
waren etwa so viel, als eine halbe Krone (2^2 sh.)
unsres heutigen Geldes. Vier Unzen Silber Towor-
gewicht, also 6 sh. 8 d. im Gelde jener Zeit, oder
beinahe 20 sh. des jetzigen Geldes, galten als ein
mäßiger Preis für den Quarter von acht Bushel.
Dies Gesetz beweist sicherlich besser, was zu jener
Zeit als ein mäßiger Preis des Getreides galt, als die
von Geschichtsschreibern und anderen Schriftstellern
gewöhnlich aufgezeichneten Preise einzelner besonders
teurer oder wohlfeiler Jahre, nach denen man sich
Kap. XI.: Die Sch^yankung•en des Silberwerts. I. 2-19
eben deshalb kein sicheres Urteil über den Durch-
schnittspreis bilden kann. Es gibt indessen noch andere
Gründe, die es glaubhaft mächen, daß zu Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts und etwas früher der ge-
wöhnliche Preis des Weizens nicht unter vier Unzen
Silber der Quarter betrug, und der Preis der übrigen
Gretreidearten im Verhältnis dazu stand.
1309 gab Ralph de Born, Prior des Augustiner-
klosters zu Canterbury, am Tage seiner Einsetzung
ein Fest, von dem uns William Thorn nicht nur den
Speisezettel selbst, sondern auch die Preise vieler
Einzelheiten aufbewahrt hat. Bei diesem Feste wurden
verzehrt: 1) 53 Quarter Weizen, die zusammen neun-
zehn Pfund, oder 7 sh. 2 d. der Quarter, d. h. 21 sh. 6 d.
jetzigen Geldes kosteten. 2) 58 Quarter Malz, die zu-
sammen 17 £ 10 sh., oder (3 sh. der Quarter, d. h. 18 sh.
unseres Geldes kosteten. 3) 20 Quarter Hafer, welche
zusammen 4 £, oder -t sh. der Quarter, d. h. 12 sh.
unseres Geldes kosteten. Die Preise von Malz und
Hafer scheinen hier höher zu sein, als nach ihrem ge-
wöhnlichen Verhältnis zum Preise des Weizens anzu-
nehmen wäre.
Die Preise wurden nicht wegen ihrer außerge-
wöhnlichen Höhe oder Wohlfeilheit aufgezeichnet,
sondern nur zufällig als die Preise großer Getreide-
mengen, die bei einem durch seine Pracht berühmten
Feste verbraucht wurden, erwähnt.
Im Jahre 1262, dem 51sten Heinrichs HI., wurde
ein altes Gesetz, die sogenannte Brot- und Biertaxe,
das, wie der König im Eingange sagt, in den Zeiten
seiner Voreltern, unter denen einige Könige von Eng-
land, gegeben worden, wieder erneuert. ¥]s fällt dem-
nach wahrscheinlich in die Zeit seines Großvaters,
Heinrichs H., oder kann auch bis in die Zeit der Er-
250 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
oberung zurückreichen. Das Gesetz regelt den Preis
des Brotes nach den jedesmaligen Weizenpreisen, die
von einem bis zu zwanzig sh. damaligen Geldes der
Quarter schwankten. Gesetze dieser Art pflegen aber
ihre Fürsorge auf alle Abweichungen vom mittleren
Preise, also sowohl die unter, als die über ihm zu
ei-streckcn. Unter dieser Voraussetzung müssen 10 sh.
oder sechs Unzen Silber Towergewicht, gleich 30 sh.
unseres jetzigen Geldes, als der mittlere Preis des
Quarters Weizen zu der Zeit, als jenes Gesetz zuerst
gegeben wurde, angesehen worden und es auch bis
in das ölste Jahr Heinrichs III. geblieben sein. Wir
werden daher kaum irregehen, wenn wir annehmen,
daß der Mittelpreis nicht weniger als ein Drittel des
von jenem Gesetze für den Brotpreis festgesetzten
höchsten Preises betrug, d. h. 6 sh. 8 d. damaligen
Geldes oder vier Unzen Silber Towergewicht.
Diese verschiedenen Tatsachen berechtigen wohl
zu dem Schlüsse, daß um die Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts und ziemlich lange vorher der Durch-
schnittspreis des Quarters Weizen nicht unter vier
Unzen Silber Towergewicht betrug.
Ungefähr von der Mitte des vierzehnten bis zum
Anfang des sechszehnten Jahrhunderts scheint dieser
als billig und massig, d. h. als der Durschschnittspreis
angesehene Preis allmählich auf etwa die Hälfte ge-
sunken zu sein, so daß er zuletzt bis auf zwei Unzen
Silber Towergewicht oder etwa 10 sh. unseres Geldes
fiel. Auf diesem Satze verblieb er bis gegen 1570.
In dem Haushaltungsbuche Heinrichs, des fünften
Grafen von Northumberland, für 1512 finden sich
zweierlei Schätzungen des Weizens. Nach der einen
wird der Quarter zu G sh. 8 d., nach der anderen nur zu
5 sh. 8 d. berechnet. 1512 enthielten aber 6 sh. 8 d.
Kap. XI.: Die Schwankungen des Silberwerts. I. 251
nur zwei Unzen Silber Towoi'gewicht und betrugen
nach heutigem Gelde etwa 10 sh.
Vom 25. Regierungsjahre Eduards III. bis in den
Anfang der Regiei'ung Ehsabeths, in einem Zeitraum
von mehr als zweihundert Jahren, blieben, wie man aus
verschiedenen Gesetzen ersieht, sechs Schilling und
acht Pence der Durchschnittspreis des Weizens. Die
in dieser nominellen Summe enthaltene Silbermenge
nahm jedoch im Laufe dieser Zeit infolge einiger
Münzveränderungen beständig ab; allein der gleich-
zeitig steigende Wort des Silbers scheint die Vermin-
derung der in der gleichnamigen Summe enthaltenen
Silbermenge soweit ausgeglichen zu haben, daß die
Gesetzgebung es nicht für nötig erachtete, diesen Um-
stand zu berücksichtigen.
So wurde 1436 bestimmt, daß der Weizen in dem
Falle ohne besondere Erlaubnis ausgeführt worden dürfe,
wenn sein Preis bis auf 6 sh. 8 d. gefallen wäre, und
1463 wurde bestimmt, daß, wenn der Preis des Quar-
ters nicht über 6 sh. 8 d. stände, kein Weizen einge-
führt werden solle. Der Gesetzgeber war also der
Meinung, daß die Ausfuhr bei so niedrigem Preise
keinen Schaden bringe, daß aber, sobald der Preis
höher steige, die Einfuhr aus Vorsicht zu gestatten sei.
Mithin galten 6 sh. 8 d., die ungefähr die nämliche
Menge Silber enthielten, wie jetzt 13 sh. 4 d. (ein
Drittel weniger, als die gleichnamige Summe zur Zeit
Eduards III. enthielt), damals für einen mäßigen und
billigen Preis des Weizens.
Im Jahre 1554 unter Philipp und Maria, und im
Jahre 1558, dem ersten Regierungsjahre Elisabeths,
wurde die Ausfuhr des Weizens gleicherweise für den
Fall verboten, daß der Preis des Quarters nicht 6 sh.
8 d. übersteige, eine Summe die damals kaum für 2 d.
mehr Silber enthielt als die gleiche Summe in unserer
252 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Zeit. Indessen fand man bald, daß diese Beschrän-
kung der Weizenausfuhr in der Tat einem völligen Ver-
bote gleichkomme. Deshalb wurde 1562, im fünften
Jahre Elisabeths, die Ausfuhr des Weizens aus ge-
wissen Häfen für den Fall gestattet, daß der Preis des
Quarters nicht mehr als 10 sh., die ungefähr dasselbe
Silberquantum enthielten wie jetzt, betrage. Mithin
galt dieser Preis damals als ein mäßiger und billiger.
Es stimmt dies mit der Schätzung des Baches North-
umberlands vom Jahre 1512 ziemlich üborein.
Daß auch in Frankreich der Durchschnittspreis
des Getreides um das Ende des 15. und im Anfang
des 16. Jahrhunderts viel billiger war, als in den
beiden vorhergehenden Jahrhunderten, ist sowohl von
Dupre de St. Maur, als auch von dem eleganten Ver-
fasser des Versuchs über die Gretreidepolitik beobachtet
worden. Und wahrscheinlich war in den meisten Län-
dern Europas während jener Periode der Getreidepreis
ebenso gesunken.
Das Steigen des Silberwertes im Verhältnis zum
Werte des Getreides konnte seinen Grund haben ent-
weder ausschließlich in der wachsenden Nachfrage nach
diesem Metall infolge der zunehmenden Kultur, bei
gleichbleibendem Angebot; oder in der allmählichen
Verminderung des Angebots bei gleichbleibender Nach-
frage, indem die meisten damals bekannten Bergwerke
sehr erschöpft waren, und größere Betriebskosten ver-
ursachten; oder endlich teils in dem einen, teils in dem
anderen dieser beiden Umstände. Gegen das Ende des
15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts bildete sich
in den meisten europäischen Ländern allmählich eine
festere ßegierungsform heraus, als man seit verschiede-
nen Menschenaltern sich ihrer erfreut hatte. Die zuneh-
mende Sicherheit mußte natürlich auch den Gewerb-
fleiß und die Bodenkultur heben, und die Nachfrage
Kap. XL: Die Sohwanknn.o-en des Silborwerts. T. 253
nach den edlen Metallen, gleich wie nach allen anderen
Luxus- und Schmuckgegenständen mußte mit dem
wachsenden Reichtum gleichen Schritt halten. Ein
größeres Jahresprodukt erforderte eine größere Menge
Geld zum Umlauf und eine größere Zahl reicher Leute
brauchte mehr silberne Gerätschaften und Schmuck-
sachen. Auch muß man annehmen, daß die meisten
Bergwerke, die damals den europäischen Markt mit
Silber versorgten, sehr erschöpft waren, und höhere
Betriebskosten erheischten. Viele unter ihnen waren
seit der ßömerzeit abgebaut worden.
Die meisten Schriftsteller über die Warenpreise
in früheren Zeiten sind der Meinung, daß der Wert
des Silbers seit der Eroberung, vielleicht sogar schon
seit dem Einfalle Julius Cäsars, bis zur Entdeckung
Amerikas beständig gesunken sei. Zu dieser Ansicht
scheinen sie teils durch die Beobachtungen über die
Preise des Getreides und anderer Bodenprodukte, teils
durch die populäre Meinung verleitet worden zu sein,
daß, wie in jedem Lande mit dem zunehmenden Wohl-
stande naturgemäß auch die Silbermenge wächst, eben-
so sein Wert abnimmt, je mehr die Menge zunimmt.
In ihren Betrachtungen über die Getreidepreise
scheinen dreierlei Umstände sie oft irre geleitet zu
haben.
Erstens, in früheren Zeiten wurden fast alle Renten
in natura entrichtet, in einer bestimmten Menge Ge-
treide, Yieh, Geflügel usw. Mitunter kam es jedoch
vor, daß der Grundeigentümer sich die freie Wahl
vorbehielt, vom Pächter die jährliche Zahlung ent-
weder in natura oder in einer bestimmten Geldsumme
zu fordern. Der Preis, zu welchem die Naturallieferung
in eine gewisse Geldsumme verwandelt wurde, heißt
in Schottland der Konversionspreis. Steht nun stets
dem Grundeigentümer die Wahl zu, so erfordert die
254 Erstes Buch: Zunahme in der Eitragskraft der Arbeit.
Sicherheit des Pächters, daß der Konversionspreis eher
unter als über dem mittleren Marktpreise stehe. Er
beträgt demnach auch an vielen Orten nicht viel mehr,
als die Hälfte von diesem. In Bezug auf Geflügel be-
steht diese Gewohnheit noch in dem größeren Teile
Schottlands, inbezug auf Yieh noch hie und da. Sie
würde wahrscheinlich auch für Getreide fortbestanden
haben, wenn nicht die Einrichtung der öffentlichen
Fiars dem ein Ende gemacht hätte. Dies sind jährliche,
nach richterlichem Ermessen vorgenommene Schätzun-
gen des mittleren Preises aller Getreidearten und ihrer
verschiedenen Sorten, nach Maßgabe des wirklichen
Marktpreises in den verschiedenen Grafschaften. Diese
Einrichtung machte es für den Pächter hinreichend
sicher und für den Grundeigentümer bequemer, die
Getreiderente lieber in jedem Jahre nach dem Preise
der Fiars, als nach einem festen Preise umzuwandeln.
Die Schriftsteller aber, die die Getreidepreise früherer
Zeiten sammelten, scheinen oft irrtümlich den in Schott-
land sogenannten Konversionspreis für den wirklichen
Marktpreis genommen zu haben. Fleetwood räumt an
einer Stelle ein, daß er diesen Irrtum begangen habe.
Da er jedoch sein Buch zu einem besonderen Zwecke
schrieb, hielt er es nicht für nötig, dieses Geständnis
abzulegen, als nachdem er jenen Konversionspreis fünf-
zehnmal abgeschrieben hatte. Der Preis ist 8 sh. der
Quarter Weizen. Diese Summe enthielt im Jahre 1423,
mit dem er beginnt, ebenso viel Silber, als jetzt 16 sh.;
dagegen enthielt sie 1562, mit welchem Jahre er schließt,
nicht mehr, als die heutige gleichnamige Summe darstellt.
Zweitens: sie ließen sich durch die Nachlässigkeit
irreleiten, womit manche alte Taxordnungen von un-
aufmerksamen Abschreibern kopiert und zuweilen viel-
leicht von der Behörde selbst verfaßt waren.
Die alten Taxordnungen scheinen stets mit der
Kap. XL: Die Schwankungen des Silbervverts. L 255
Bestimmung begonnen zu haben, wie hoch der Preis
des Brotes und Bieres sein solle, wenn der "Weizen-
und Gerstenpreis am niedrigsten stand, und scheinen
dann allmählich zu den Bestimmungen vorgeschritten
zu sein, wie hoch der Preis sein soll, wenn die Preise
jener beiden Getreidearten sich über ihren niedrigsten
Satz erheben. Allein die Abschreiber scheinen es oft
für hinreichend gehalten zu haben, die Taxordnung
bis auf die drei oder vier ersten und niedrigsten Preise
fortzuführen; sie ersparten sich auf diese Weise Ar-
beit, und dachten wahrscheinlich, dies genüge, um das
Verhältnis nachzuweisen, das bei den höheren Preisen
eintreten sollte.
So wurde in der Brot- und Bierordnung aus dem
51. ßegierungsjahre Heinrichs III. der Brotpreis nach
den zwischen einem und zwanzig Schillingen damali-
gen Geldes der Quarter schwankenden Weizenpreisen
geregelt. In den Handschriften aber, nach welchen die
verschiedenen Ausgaben der Statuten, bis auf die Ruff-
headschen, gedruckt wurden, waren die Abschreiber nie
über den Preis von 12 sh. hinausgegangen. Durch diese
mangelhafte Art des Abschreibens sind viele Schrift-
steller irregeleitet worden, und haben ganz natürlich
geschlossen, daß der in der Mitte liegende Preis, also
6 sh. der Quarter, oder etwa 18 sh. unseres Geldes, zu
jener Zeit der gewöhnliche oder Durchschnittspreis
des Weizens gewesen ist.
In dem Tumbrel- und Pillory-Statut''% das um
dieselbe Zeit gegeben wurde, wird der Preis des
Bieres nach dem Steigen des Gerstenpreises, von 2 sh.
bis auf 4 sh. der Quarter und zwar von sechs zu
sechs Pence, goregelt. Daß jedoch 4 sh. nicht als der
•'') Tumbrel, Richtkarren, Pillory, Pranger. Auf dem er.steren
wurden die Brauer, an dem andern die Bäcker, die .sich gegen
die Taxen vergingen, der öffentlichen Schande preisgegeben.
256 Erstes Buch: Zunahme in der Ertra,2;skraft der Arbeit.
höchste Preis betrachtet wurde, auf den die Gerste
steigen konnte, und daß diese Preise nur als ein Bei-
S{)iel für das Verhältnis, das bei höheren oder niedri-
geren Preisen beobachtet vver'den sollte, aufgestellt
worden sind, läßt sich aus den letzten Worten des Sta-
tuts schließen: et sie deinceps crescetur vel diminuetur
per sex denarios. Der Ausdruck ist sehr nachlässig,
aber der Sinn ist deutlich genug, nämlich „daß der
Preis des Bieres steigen oder fallen soll, je nachdem
der Preis der Gerste um 6 d. steigt oder fällt." Der
Gesetzgeber scheint bei der Abfassung dieses Statuts
eben so nachlässig gewesen zu sein, als es die Ab-
schreiber bei der Abschrift anderer waren.
In einer alten Handschrift des „Regiam Majesta-
tem", eines alten schottischen Gesetzbuches, findet sich
eine Taxordnung, in welcher der Preis des Brotes nach
den verschiedenen Preisen des Weizens von 10 d. an
bis zu 8 sh. für den schottischen Boll, (etwa ein
halber englischer Quarter) geregelt ist. Drei schottische
Schillinge waren zur Zeit dieser Taxordnung etwa
so viel wie neun Schilling Sterling unseres Geldes.
Ruddiman*) scheint hieraus zu schließen, daß drei
Schilling der höchste Preis war, den der Weizen zu
jener Zeit überhaupt erreichte, und daß zehn Pence,
bezw. ein Schilling, oder höchstens zwei Schilling der
gewöhnliche Preis war. Befragt man die Handschrift
selbst, so ersieht man deutlich, daß alle diese Preise
nur als Beispiele des Verhältnisses aufgestellt wurden,
das zwischen den Preisen des Weizens und des Brotes
festgehalten werden sollte. Die letzten Worte des
Statuts lauten: „relicjua judicabis secundum praescripta
habende respectum ad pretium bladi" — „die übrigen
Fälle sind nach Obigem mit Rücksicht auf den Preis
des Getreides zu beurteilen."
*) S. dessen Vorrede zu Andersons Diploraata Scotiae.
Kap. XI.: Die Schwankungen des Silberwerts. I. 257
Drittens scheint man sich auch durch den sehr
niedrigen Preis, zu dem der Weizen zuweilen in der
frühesten Zeit verkauft wurde, zu dem Glauben haben
verleiten zu lassen, daß, da der niedrigste Preis damals
niedriger war als in späterer Zeit, der gewöhnliche
Preis gleichfalls niedriger gewesen sein müsse. Man
hätte jedoch wissen können, daß damals der höchste
Preis weit über dem späteren, und der niedrigste weit
unter ihm stand. So gibt uns Fleetwood für das
Jahr 1270 zwei Preise des Quarters Weizen. Der eine
ist £ 4. 16 sh. im Gelde jener Zeit, d. h. £ 14. 8 sh.
im unsrigen, der andere £ 6. 8 sh., d. h. £ 19. 4 sh.
unsres Geldes. Am Ende des fünfzehnten oder zu
Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ist kein Preis
zu finden, der diesem übertriebenen Satze nahe käme.
Der Preis des Getreides, obwohl er stats Schwankun-
gen unterworfen ist, schwankt am auffallendsten doch
in jenen unruhigen und ungeordneten Gesellschaften,
in denen die Unterbrechung alles Handels und aller
Verbindungen den Überfluß des einen Landesteils
hindert, dem Mangel des andern zu Hilfe zu kommen.
In dem verwirrten Zustande Englands unter den Plan-
tagenets, die das Land von der Mitte des zwölften
bis gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts be-
herrschten, konnte der eine Bezirk Überfluß haben,
während ein anderer benachbarter seine Ernte ent-
weder durch Zufälle der Witterung oder durch den
Einfall eines benachbarten Barons zerstört sah und
alle Schrecken einer Hungersnot zu ertragen hatte;
denn wenn die Ländereien eines feindlichen Lords
dazwischen lagen, konnte der eine dem andern nicht
den geringsten Beistand leisten. Unter der kräftigen
Regierung der Tudors, die seit der zweiten Hälfte
des fünfzehnten und das ganze sechzehnte Jahrhundert
hindurch in England herrschten, war kein Baron
Adam Smith, Volkswohlstand. I. IT
258 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
mächtig genug, um es wagen zu können, die öffent-
liche Sicherheit zu stören.
Am Ende dieses Kapitels wird der Leser alle von
Fleetwood gesammelten Weizenpreise finden, von 1202
bis 1597, auf unser heutiges Geld zurückgeführt, und
nach der Zeitfolge in sieben Perioden von je zwölf
Jahren geordnet. Auch findet er am Ende jeder Periode
den Durchschnittspreis der zwölf Jahre, aus denen sie
besteht. Für den ganzen langen Zeitraum hat Fleet-
wood nur die Preise von achtzig Jahren zusammen-
zubringen vermocht, so daß vier Jahre fehlen, um das
letzte Dutzend vollzumachen. Ich habe daher aus den
.Rechnungen des Eton College die Preise von 1598,
1599, 1600 und 1601 hinzugesetzt, ohne mehr hinzu-
zufügen. Der Leser wird ersehen, daß vom Anfang
des dreizehnten bis nach der Mitte des sechzehnten
Jahrhunderts der Durschnittspreis von je zwölf Jahren
allmählich immer niedriger wird, um sich gegen das
Ende des sechzehnten Jahrhunderts wieder zu heben.
Freilich scheinen die Preise, welche Fleetwood zu-
sammenzubringen vermochte, vorzugsweise solche zu
sein, die wegen ungewöhnlicher Teurung oder Wohl-
feilheit merkwürdig waren, und ich behaupte nicht,
daß sich sichere Schlüsse daraus ziehen lassen. Soweit
sie jedoch überhaupt etwas beweisen, bestätigen sie
das, was ich nachzuweisen suchte. Fleetwood selbst
scheint hingegen, wie die meisten anderen Schriftsteller,
geglaubt zu haben, daß während dieser ganzen Periode
der Wert des Silbers sich infolge des steigenden Über-
flusses stetig verringert habe. Allein die Getreidepreise,
die er selber gesammelt hat, unterstützen diese Meinung
gewiß nicht. Dagegen stimmen sie vortrefflich mit der
Ansicht des Herrn Dupre de St. Maur und der von
mir entwickelten überein. Bischof Fleetwood und Dupre
de St. Maur sind die beiden Schriftsteller, die mit der
• Kap. XT.: Die Schwankungen des .Silberwerts. T. 259
größten Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Preise frü-
herer Zeiten gesammelt haben, und merkwürdigerweise
treffen, trotz ihrer verschiedenen Ansichten, doch die
von beiden festgestellten Tatsachen, wenigstens soweit
sie sich auf die Getreidepreise beziehen, sehr genau
zusammen.
Es sind indessen nicht sowohl die niedrigen Preise
des Getreides, als die mancher anderen Bodenprodukte,
aus denen die urteilfähigsten Schriftsteller den hohen
Wert des Silbers in jenen früheren Zeiten gefolgert
haben. Getreide, hat man gesagt, ist eine Art Fabrikat,
und in jenen rohen Zeiten verhältnißmäßig weit teurer,
als die meisten andern Waren, worunter man vermut-
lich die meisten ohne Mitwir'kung menschlicher Arbeit
entstandenen Dinge, wie Vieh, Geflügel, Wildpret aller
Art usw. versteht. Daß diese in Zeiten der Armut
und Barbarei verhältnißmäßig viel wohlfeiler als Korn
waren, ist unzweifelhaft richtig. Allein diese Wohlfeil-
heit war nicht die Wirkung des hohen Silberwertes,
sondern die des niedrigen Wertes jener Waren. Sie
rührte nicht daher, daß das Silber in solchen Zeiten
eine größere Menge Arbeit kauft oder darstellt, son-
dern daher, daß solche Waren eine weit geringere
Menge Arbeit kaufen oder darstellen, als in Zeiten
größerer Wohlhabenheit und Kultur. Das Silber muß
sicherlich im spanischen Amerika wohlfeiler sein, als in
Europa, in dem Erzeugungslande wohlfeiler, als in dem
Lande, wohin es mit den Kosten einer langen Land-
und Wasserfracht und der Versicherung gebracht wird.
Gleichwohl betrug, nach Ulloa, noch vor nicht langer
Zeit in Buenos-Ayres der Preis eines ausgesuchten
Ochsen nur 21V2 d. und 16 sh. ist nach Bj^ron der
Preis eines guten Pferdes in der Hauptstadt von Chili.
In einem von Natur fruchtbaren Lande, dessen größter
Teil jedoch durchaus unkultiviert ist, kann man Vieh,
17*
260 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Geflügel, Wildpret aller Art usw. mit einer sehr ge-
ringen Arbeitsmenge erwerben, und man kann sich
daher auch nur eine sehr geringe Arbeitsmenge dafür
verschaffen. Der niedrige Geldpreis, zu dem sie ver-
kauft werden, ist kein Beweis, daß der Sachwert des
Silbers dort sehr hoch, sondern nur, daß der Sachwert
jener Waren sehr niedrig ist.
Die Arbeit und nicht irgend eine Ware oder
Gattung von Waren ist, wie man festhalten muß, das
wahre Wertmaß sowohl des Silbers, als aller anderen
Waren.
Da in fast noch unangebauten oder nur dünn be-
völkerten Ländern Vieh, Geflügel, Wildpret aller Art
usw. freiwillige Erzeugnisse der Natur sind, so bringt
diese sie oft in weit größeren Mengen hervor, als die
Einwohner verbrauchen können. Unter solchen Um-
ständen übersteigt das Angebot gewöhnlich die Nach-
frage. In verschiedenen Zuständen der Gesellschaft,
auf verschiedenen Stufen der Kultur werden daher
solche Waren sehr verschiedene Mengen von Arbeit
darstellen oder aufwiegen.
Getreide aber ist in jedem Zustande der Gesell-
schaft, auf jeder Stufe der Kultur das Erzeugnis mensch-
lichen Fleißes. Die durchschnittliche Produktion jeder
Art von Gewerbfleiß paßt sich nun immer mehr oder
weniger dem durchschnittlichen Verbrauch, das durch-
schnittliche Angebot der durchschnittlichen Nachfrage
an. Überdies erfordert die Erzeugung gleicher Getreide-
mengen in demselben Boden und Klima auf jeder Stufe
der Kultur durchschnittlich fast gleiche Arbeitsmengen,
oder, was auf dasselbe hinausläuft, den Preis gleicher
Arbeitsmengen, denn die beständige Zunahme in den
produktiven Kräften der Arbeit wird bei fortschreiten-
der Kultur mehr oder weniger durch den beständig
steigenden Preis des Viehs, des hauptsächlichsten Werk-
zeuges des Ackerbaues, aufgewogen. Aus allen diesen
Kap. XI.: Die Schwankungen des Silberwert«. 1. 261
Gründen darf man annehmen, daß gleiche Getreide-
mengen in jedem Zustande der Gesellschaft, auf jeder
Stufe der Kultur weit eher gleiche Arbeitsmengen dar-
stellen oder aufwiegen werden, als gleiche Mengen an-
derer Bodenerzeugnisse. Mithin ist das Getreide wie
bereits bemerkt, auf allen Stufen des Reichtums und
der Kultur ein genaueres Wertmaß, als jede andere
Ware oder Gattung von Waren. Auf allen diesen
Stufen werden wir daher den Sachwert des Silbers
weit besser durch einen Vergleich mit Getreide, als
mit irgend einer anderen Ware oder Gattung von
Waren beurteilen.
Überdies macht Getreide oder was sonst das ge-
wöhnliche und allgemein beliebte pflanzliche Nahrungs-
mittel des Volks ist, in jedem zivilisiertem Lande den
Hauptteil der Lebensmittel des Arbeiters aus. Infolge
der Ausdehnung des Ackerbaus bringt der Boden eines
jeden Landes eine viel größere Menge pflanzlicher als
tierischer Nahrung hervor, und der Arbeiter lebt überall
vorzugsweise von demjenigen gesunden Nahrungsmittel,
welches das wohlfeilste und reichlichste ist. Fleisch
bildet, außer in den blühendsten D&ndern, in denen
die Arbeit am höchsten bezahlt wird, nur einen unbe-
deutenden Teil seiner Nahrungsmittel; Geflügel einen
noch kleineren Teil von ihnen und Wildpret gar keinen.
In Frankreich, und selbst in Schottland, wo die Arbeit
etwas besser als in Frankreich bezahlt wird, genießt
der ärmere Arbeiter, außer an Feiertagen und bei
anderen außerordentlichen Gelegenheiten, selten Fleisch.
Daher hängt der Geldpreis der Arbeit weit mehr von
dem durchschnitthchen Geldwert des Getreides, des
Nahrungsmittels der Arbeiter, als von dem des Fleisches
oder irgend eines anderen Bodenproduktes ab. Mithin
hängt auch der Sachwert des Goldes und Silbers, be-
ziehungsweise die Arbeitsmenge, welche damit erkauft
werden kann, weit mehr von der Getreidemenge, die
262 Ki"«tes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
dafür zu haben ist, als von der Menge Fleisch oder
anderer Bodenprodukte ab.
So nachlässige Beobachtungen über die Preise des
Getreides oder anderer Waren würden wahrscheinlich
nicht so viele einsichtige Schriftsteller irre geleitet
haben, wenn sie nicht gleichzeitig durch die volkstüm-
liche Meinung beeinflnßt worden wären, daß in dem
Maße, in dem die Menge des Silbers naturgemäß in
jedem Lande mit der Zunahme des Reichtums wächst,
auch sein Wert sich vermindere. Diese Meinung scheint
aber durchaus grundlos zu sein.
Die Menge der edlen Metalle kann in jedem Lande
aus zweierlei Ursachen zunehmen: erstens infolge
steigender Ergiebigkeit der Bergwerke, die sie liefern[;
zweitens infolge zunehmenden Reichtums des Volks,
zunehmenden Ertrags seiner Arbeit. Die erste dieser
Ursachen ist ohne Zweifel mit der Verringerung im
Werte der edlen Metalle notwendig verknüpft; die
andere nicht.
Wenn ergiebigere Bergwerke entdeckt werden,
kommt eine größere Menge edler Metalle auf den
Markt, und wenn" die Menge der Lebens- und Genuß-
mittel, für welche sie vertauscht werden, die nämliche
bleibt, so müssen gleiche Metallmengen gegen ge-
ringere Warenmengen vertauscht werden. Sofern also
die zunehmende Menge der edlen Metalle in einem
Lande aus der zunehmenden Ergiebigkeit der Berg-
werke entspringt, ist sie notwendig mit einer Ver-
ringerung in ihrem Werte verknüpft.
Wenn hingegen der Reichtum eines Landes wächst,
und der jährliche Ertrag seiner Arbeit allmählich immer
größer wird, so wird für den Umlauf einer größeren
Warenmenge eine größere Menge gemünzten Geldes
nötig; und da die Leute mehr Mittel besitzen und
mehr Waren dafür zu geben haben, so werden sie
auch immer mehr Gerät von edlem Metall kaufen. Ihre
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. I. 263
Geldmenge wird mit dem Bedürfnis wachsen, die des
Geräts mit ihrer Eitelkeit und Prunksucht aus dem-
selben Grunde, aus welchem auch die Zahl schöner
Statuen, Gemälde und anderer Gegenstände des Luxus
und der Liebhaberei unter ihnen wahrscheinlich zu-
nehmen wird. Wie aber Bildhauer und Maler in Zeiten
des Keichtums und Glückes schwerlich schlechter be-
zahlt werden, als in den Zeiten der Armut und Not,
so wird auch Gold und Silber wohl nicht schlechter
bezahlt werden.
"Wie der Preis von Gold und Silber, wenn er
nicht durch die zufällige Entdeckung ergiebigerer Berg-
werke nieder gehalten wird, mit dem Reichtum jedes
Landes naturgemäß steigt, so ist er, der Stand der
Bergwerke sei welcher er wolle, allezeit in einem
reichen Lande naturgemäß höher, als in einem armen.
Gold und Silber suchen, wie alle anderen Waren den
Markt auf, auf dem der beste Preis für sie bezahlt
wird, und der beste Preis pflegt für jede Sache in dem
Lande bewilhgt zu werden, das ihn am leichtesten zu
geben imstande ist. Die Arbeit ist, wie man festhalten
muß, der letzte Preis, der für alle Dinge bezahlt wird,
und in Ländern, wo die Arbeit gleich gut bezahlt wird,
richtet sich der Geldpreis der Arbeit nach dem der
Lebensmittel des Arbeiters. Nun wird für Gold und
Silber in einem reichen Lande natürlich eine größere
Menge von Lebensmitteln zu haben sein, als in einem
armen, d. h. in einem Lande, das an Lebensmitteln
Überfluß hat, eine größere, als in einem Lande, das
nur mäßig damit versorgt ist. Sind die beiden Länder
weit von einander entfernt, so kann der Unterschied
sehr groß sein, weil, obschon die Metalle von selbst
von dem schlechteren zu dem besseren Markte gehen,
es doch .schwierig kann, sie in solchen Mengen dahin
zu bringen, um ihren Preis an beiden Orten ins Gleich-
264 Erstes Buch: Zuricahme in der Ertragskraft der Arbeit.
gewicht zu setzen. Liegen die Länder dagegen nahe
bei einandei-, so wird der LTnterschied geringer und
manchmal kaum merkbar sein, weil die Versendung
in diesem Falle leicht ist. China ist ein weit reicheres
Land, als irgend ein europäisches, und der Unterschied
im Preise der Lebensmittel zwischen China und Europa
ist sehr groß; der Reis ist in China viel wohlfeiler,
als der Weizen irgendwo in Europa. England ist ein
viel reicheres Land als Schottland, aber der Unter-
schied in dem Geldpreise des Getreides ist in diesen
beiden Ländern weit geringer und kaum bemerkbar.
Der Menge oder dem Maße nach scheint das schottische
Getreide^ zwar um Vieles wohlfeiler zu sein, als das
englische; aber der Beschaffenheit nach ist es gewiß
etwas teurer. Schottland erhält fast alle Jahre starke
Zufuhren aus England, und jede Ware muß in dem
Lande, wohin sie gebracht wird, etwas teurer sein, als
in demjenigen, aus dem sie kommt. Daher muß das
englische Getreide in Schottland teurer sein, als in
England, und kann seiner Beschaffenheit nach, oder
entsprechend der Menge und Güte des Mehls, das aus
ihm bereitet wird, in der ßegel dort nicht teurer ver-
kauft werden, als das schottische Getreide, das mit
ihm in Wettbewerb tritt.
Der Unterschied zwischen dem Geldpreise der
Arbeit in China und in Europa ist noch größer, als
der zwischen dem Geldpreise der Lebensmittel, weil
der wirkliche Lohn der Arbeit in Europa höher ist,
als in China; denn der größte Teil Europas ist im
Fortschreiten begriffen, während China still zu stehen
scheint. In Schottland ist der Geldpreis der Arbeit
niedriger als in England, weil der wirkliche Lohn der
Arbeit weit niedriger ist; denn wenn Schottland auch
fortschreitet, so schreitet es doch langsamer fort, als
England. Die Häufigkeit der Auswanderung aus Schott-
Kap. XL: Die Schwankungen des vSilberwerts. T. 265
land und ihre Seltenheit aus England beweist deutlich,
daß^"^ die Nachfrage nach Arbeit in beiden Ländern
sehr verschieden ist. Das Verhältnis zwischen dem
wirklichen Lohn der Arbeit in verschiedenen Ländern
richtet sich, wie festzuhalten ist, nicht nach ihrer der-
maligen Wohlhabenheit oder Armut, sondern darnach,
ob sie fortschreiten, still stehen, oder zurückgehen.
Wie Gold und Silber unter den reichsten Nationen
naturgemäß den größten Wert haben, so unter den
ärmsten den geringsten. Unter den Wilden, den ärm-
sten der Menschen, haben sie fast gar keinen Wert.
In großen Städten ist das Getreide stets teurer,
als in entfernten Teilen des Landes. Dies ist jedoch
nicht die Folge der tatsächlichen Wohlfeilheit des Sil-
bers, sondern der tatsächlichen Teurung des Getreides.
Es kostet nicht weniger Arbeit, das Silber in die große
Stadt, als in die entfernten Teile des Landes zu schaffen :
aber es kostet viel mehr Arbeit, Getreide dahin zu schaffen.
In einigen sehr reichen Handelsstaaten, wie in
Holland und dem Gebiete von Genua, ist das Getreide
aus demselben Grunde tourer, als in großen Städten.
Sie bringen nicht genug für den Unterhalt ihrer Be-
wohner hervor. Sie sind reich an Fleiß und Geschick
ihrer Künstler und Handwerker, reich an jeder Art von
Maschinen, die die Arbeit erleichtern und abkürzen,
reich an Schiffen und allen anderen Werkzeugen und
Mitteln des Transports und Handels; aber sie sind arm
an Getreide, das, da es aus fernen Ländern dahin ge-
bracht werden muß, durch einen Aufschlag auf seinen
Preis die Fracht zu zahlen hat. Es kostet nicht weniger
Arbeit, Silber nach Amsterdam als nach Danzig zu
bringen, aber es kostet bedeutend mehr, Getreide dahin
zu bringen. Die wirklichen Kosten des Silbers müssen
an beiden Orten fast die nämlichen, die des Getreides
aber sehr verschieden sein. Minderte sich der wirkliche
266 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ßeichtum Hollands oder Genuas, während gleichzeitig
die Zahl ihrer Einwohner dieselbe bliebe, minderte sich
ihre Fähigkeit, sich aus fernen Ländern zu versorgen:
so würde der Preis des Getreides mit dieser Verringe-
rung in der Menge ihres Silbers, die jene Abnahme not-
wendig entweder als Ursache oder als Wirkung be-
gleiten muß, nicht sinken, sondern vielmehr bis zu
Hungersnotpreisen steigen. Fehlt uns das Notwendige,
so müssen wir uns der überflüssigen Dinge entschlagen,
deren Wert in Zeiten dos Reichtums und Glücks steigt
und ebenso in Zeiten der Not und Armut sinkt. Anders
ist es mit den notwendigen Dingen. Ihr Sachpreis, die
Arbeitsmenge, welche dafür zu haben ist, steigt in
Zeiten der Armut und Not, und fällt in Zeiten des
Keichtums und Gedeihens, die stets Zeiten großen
Überflußes sind, da sie sonst nicht Zeiten des Reich-
tums und Gedeihens sein könnten. Getreide ist etwas
Notwendiges, Silber etwas Überflüßiges.
Wie groß also auch die Zunahme in der Menge
der edlen Metalle gewesen sein mag, die zwischen der
Mitte des 14. und der des 16. Jahrhunderts aus der
Zunahme des Reichtums und der Kultur hervorging,
so konnte sie dennoch weder in Großbritannien noch
in einem anderen Teile Europas ihren Wert verrin-
gern. Hatten daher die Schriftsteller über die Preise
früherer Zeiten keinen Grund, aus Beobachtungen über
die Preise des Getreides und anderer Waren die Ver-
ringerung des Silberwertes zu folgern, so hatten sie
noch weniger Grund, sie aus einer vorausgesetzten
Zunahme des Reichtums und der Kultur herzuleiten.
Zweite Periode.
So verschieden die Meinungen der Gelehrten über
das Fortschreiten des Silbervverts während der ersten
Kap. XL: Die 8clnvankung-en des Silberwerts. IT. 267
Periode waren, so einstimmig sind sie in dieser Hin-
sicht während der zweiten Periode.
Etwa von 1570 bis 1640, während eines Zeitraums
von ungefähr 70 Jahren, nahm die Änderung in dem
Wertverhältnis des Silbers zum Getreide eine ganz
entgegengesetzte Richtung. Das Silber sank in seinem
Sachwerte, d. h. es konnte nur gegen eine geringere
Arbeitsmenge als früher vertauscht werden, das Ge-
treide dagegen stieg in seinem Nominalpreise, und wurde
mit der Zeit, statt für etwa zwei Unzen Silber der
Quarter, oder etwa zehn Schilling unseres heutigen
Geldes, für sechs bis acht Unzen Silber oder etwa
dreißig bis vierzig Schilling unseres Geldes verkauft.
Die Entdeckung der reichen amerikanischen Minen
scheint die einzige Ursache der Abnahme des Verhält-
nisses zwischen Silber und Getreide gewesen zu sein.
So wird die Sache von jedermann erklärt, und es er-
hob sich weder über die Tatsache selbst, noch über
seine Ursache jemals ein Streit. Der größte Teil Eu-
ropas schritt in diesem Zeiträume im Gewerbfleiß und
in der Bodenkultur fort, und die Nachfrage nach Silber
mußte daher stets zunehmen; allein die Zunahme des
Angebots überstieg allem Anschein nach die Nachfrage
so sehr, daß der "Wert jenes Metalls bedeutend fiel.
Die Entdeckung der amerikanischen Minen scheint,
was beachtenswert ist, auf die Preise der Dinge in
England bis nach 1570 nicht merklich eingewirkt zu
haben, obgleich selbst die Minen von Potosi mehr als
zwanzig Jahre früher entdeckt worden waren.
Von 1595 bis 1620 einschließlich war der Durch-
schnittspreis des Quarters von neun Bushel des besten
"Weizens, wie aus den Rechnungen des Eton College her-
vorgeht, auf dem Markte zu Windsor £ 2. 1 sh. 6'* i:j d.
Läßt man von dieser Summe den Bruch weg, und
zieht ein Neuntel oder 4 sh. 7^^ d. ab, so kommt für
268 Krstes Buch: Zunahme in der Ertrag.skraft der Arbeit.
den Quarter von 8 Bushel der Preis von £l 16 sh. 10-/ s d.
heraus. Läßt man von dieser Summe ebenfalls den
Bruch weg, und zieht ein Neuntel oder 4 sh. 1\'9 d. für
den Unterschied zwischen dem Preise des besten
Weizens und dem des Mittelweizens ab, so kommt fin-
den Preis des Mittelvveizöns heraus £ 1. 12 sh. 8* o d.,
oder etwa sechs und ein Drittel Unzen Silbers.
Von 1621 bis 1636 einschließlich war nach denselben
Rechnungen der Durchschnittspreis des gleichen Maßes
vom besten Weizen auf demselben Markte £ 2. 10 sh.
Macht man hiervon die nämlichen Abzüge, wie im
vorigen Falle, so kommt für den Durchschnittspreis des
Quarters von acht Bushel Mittelweizen £ 1. 19 sh. 6 d.,
oder etwa sieben und zwei Drittel Unzen Silbers heraus.
Dritte Periode.
Zwischen 1630 und 1640, oder um 1636, scheint'_die
Wirkung der Entdeckung der amerikanischen Minen
auf die Entwertung des Silbers ihr Ende gefunden zu
haben und das Wertverhältnis zwischen diesem Metall
und dem Getreide niemals tiefer gesunken zu sein,
als um diese Zeit. Im Laufe des gegenwärtigenJahr-
hunderts dürfte es sich etwas gehoben haben, und
hatte damit wahrscheinlich schon einige Zeit vor dem
Ende des vorigen angefangen.
Von 1637 bis 1700 einschließlich, also in den 64
letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, war nach den-
selben Rechnungen der Durchschnittspreis des Quarters
von neun Bushel vom besten Weizen auf dem Markte
zu Windsor £2. 11 sh. \3 d., nur 1 sh. ^'a d. teurer,
als während der vorhergehenden sechzehn Jahre. Aber
im Laufe dieser vierundsechzig Jahre traten zwei Er-
eignisse ein, die einen weit größeren Mangel an Ge-
treide verursachen mußten, als durch den bloßen Ein-
fluß der Witterung zu erklären wäre, und die, auch ohne
Kap. XT.: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 269
die Annahme eines weiteren Rückganges im Silberwerte,
jene kleine Erhöhung des Preises vollständig erklären.
Das erste dieser Ereignisse war der Bürgerkrieg,
der durch Entmutigung des Ackerbaues und Unter-
brechung des Handels den Preis des G-etreides höher
hinauftrieb, als er durch den Einfluß von Mißernten
hätte steigen können. Diese Wirkung mußte mehr oder
weniger auf allen Märkten des Reichs eintreten, ins-
besondere aber auf denen in der Nähe von London,
die sich ihren Vorrat aus der größten Entfernung ver-
schaffen müssen. Der Preis des besten Weizens betrug
demgemäß 1648 auf dem Markte zu Windsor £4. 5 sh.,
und 1649 £ 4 für den Quarter von 9 Bushel. Dies
übersteigt den Durchschnittspreis der sechzehn Jahre
vor 1637, der £ 2. 10 sh. betrug, um £ 3. 5 sh., was,
über die vierundsechzig letzten Jahre des vorigen Jahr-
hunderts veiteilt, schon allein jene kleine Preiserhöhung
erklärt, die während dieser Periode stattgefunden zu
haben scheint. Diese Preise sind übrigens zwar die
höchsten, doch keineswegs die einzigen hohen Preise,
die durch die Bürgerkriege verursacht worden sind.
Das zweite Ereignis war die im Jahre 1688 be-
willigte Prämie auf die Ausfuhr von Getreide. Nach
der Annahme Vieler hat diese Prämie dadurch, daß
sie den Ackerbau ermutigte, lange Jahre hindurch
einen größeren Überfluß und folglich eine größere
Wohlfeilheit des Getreides auf dem heimischen Markte
hervorgebracht, als ohne sie eingetreten wäre. Inwie-
fern die Prämie jemals diese Wirkung haben kann,
werde ich später untersuchen; für jetzt will ich nur
bemerken, daß sie zwischen 1688 und 1700 keine Zeit
hatte, eine solche Wirkung hervorzubringen. In diesem
kurzen Zeiträume konnte ihre Wirkung nur die sein,
daß sie zur Ausfuhr des jährlichen Überschusses auf-
munterte, eine Ausgleichung des Überflusses eines
270 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Jahres und des Mangels eines anderen verhinderte und
dadurch den Preis auf dem heimischen Markte hin-
auftrieb. Der Mangel, welcher in England von 1693
bis 1699 einschließlich beider Jahre herrschte, konnte,
obwohl er ohne Zweifel vorzugsweise den Einflüssen
des Wetters zuzuschreiben ist und sich darum auch
über einen großen Teil von Europa erstreckte, durch
die Prämie nur vergrößert werden. Daher wurde auch
1699 die Getreideausfuhr auf neun Monate verboten.
Noch ein drittes Ereignis trat in demselben Zeit-
räume ein, das, wenn es auch keinen Getreidemangel
erzeugen, noch die tatsächliche für Getreide zu zahlende
Silbermenge vermehi'en konnte, doch notwendig eine
nominelle Erhühung des Silberwerts veranlassen mußte.
Dies war die große Verschlechterung der Silbermünzen
durch Beschneiden und Abnutzung. Dieses Übel hatte
unter der Regierung Karls des Zweiten begonnen, und
dauerte ununterbrochen bis 1695 fort, zu welcher
Zeit, wie wir von Lowndes erfahren, das Silberkourant
durchschnittlich fast fünfundzwanzig Prozent unter
seinem Normalwert stand. Nun wird die nominelle
Summe, welche den Marktpreis der Waren ausmacht,
nicht sowohl durch die Silberraenge bestimmt, die
nach dem Münzfuße in ihr enthalten sein sollte, als
durch diejenige, die erfahrungsmäßig wirklich in ihr
enthalten ist. Diese nominelle Summe ist daher not-
wendig höher, wenn die Münze durch Beschneiden
und Abnutzung sehr verschlechtert ist, als wenn sie
ihrem gesetzlichen Werte nahe kommt.
Im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts ist die
Silbermüuze nie tiefer unter ihrem gesetzlichen Gewicht
gewesen als jetzt. So verunstaltet sie aber auch ist,
so wurde doch ihr Wert durch den der mit ihr ver-
tauschbaren Goldmünze aufrecht erhalten; denn wenn
auch die Goldmünze vor der letzten Umprägung eben-
Kap. XI.: Die !~!chwankun,o'en des Silberwerts. IIT. 271
falls sehr entwertet war, so war sie es doch weniger
als das Silber. Im Jahre 1695 dagegen wurde der
Wert des Silbergeldes nicht durch den der Goldmünzen
aufrecht erhalten; eine Guinee wurde damals gewöhn-
lich für dreißig Schillinge des abgenutzten und be-
schnittenen Silbers gewechselt. Vor der letzten Um-
prägung des Goldes war der Preis des Barrensilbers
selten höher als 5 sh. 7 d. die Unze, was nur fünf Pence
über den Münzpreis ist. Im Jahre 1695 aber war der
gewöhnliche Preis des ßarrensilbers 6 sh. 5 d. die Unze,
was fünfzehn Pence mehr ist, als der Münzpreis*).
Selbst vor der letzten Umprägung des Goldes wurde
sowohl die Gold- wie die Silbermünze im Vergleich
zum Barrensilber als kaum acht Prozent unter ihrem
gesetzlichen Wert stehend betrachtet. 1695 dagegen
wurde sie als beinahe fünfundzwanzig Prozent niedri-
ger angesehen. Zu Anfang des gegenwärtigen Jahr-
hunderts, d. h. unmittelbar nach der großen Umprä-
gung zu König Wilhelms Zeit, muß das meiste Silber-
kourant seinem gesetzlichen Gewicht noch näher ge-
kommen sein als jetzt. Auch hat im gegenwärtigen
Jahrhundert kein großes öffentliches Unglück wie etwa
«in Bürgerkrieg, den Ackerbau gestört, oder den inne-
ren Handel des Landes unterbrochen. Und obgleich
die Prämie, die fast das ganze Jahrhundert hindurch
bewilligt wurde, den Preis des Getreides stets etwas
höher hinauf treiben mußte, als er sonst bei dem der-
maligen Stande der Landwirtschaft gewesen wäre, so
läßt sich doch, da die Prämie während dieses Jahr-
hunderts Zeit genug hatte, alle die ihr gewöhnlich zu-
geschriebenen guten Wirkungen zu offenbaren, also
zum Ackerbau aufzumuntern und die Getreidemenge
auf dem heimischen Markte zu vermehren, nach den
*) Lowndes, Essay on the Silver Coin, p. G8.
272 Erstes Buch: Zunahme in der Ertraft'skraft der Arbeit.
Grundsätzen eines Systems, das ich später erklären
und prüfen werde, annehmen, daß sie den Preis dieser
Ware auf die eine Weise etwas zu verringern, wie auf
die andere Weise ihn etwas zu erhöhen beitrug. Viele
schlagen ihren Einfluß höher an. In den ersten vier-
undsechzig Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts war
der Durchschnittspreis des Quarters von neun Bushel
des besten Weizens auf dem Markte zu Windsor nach
den Rechnungen des Eton College £ 2. 6^'''/32 d., 10 sh.
6 d. oder fünfundzwanzig Prozent wohlfeiler, als wäh-
rend der letzten vierundsechzig Jahre des vorigen Jahr-
hunderts; 9 sh. 6 d. wohlfeiler, als in den sechzehn
Jahren vor 1636, wo die Entdeckung der reichen ame-
rikanischen Minen vermutlich ihre volle Wirkung ge-
äußert hatte; und 1 sh. wohlfeiler, als in den sechs-
undzwanzig Jahren vor 1620, ehe jene Entdeckung
ihre volle Wirkung äußern konnte. Nach dieser Rech-
nung stellt sich der Durchschnittspreis des Mittelweizens
in den ersten vierundsechzig Jahren dieses Jahrhun-
derts auf etwa 82 sh. für den Quarter von acht Bushel.
Der Wert des Silbers scheint sonach im Verhältnis
zum Werte des Gretreides im gegenwärtigen Jahr-
hundert etwas gestiegen zu sein, und hatte wahr-
scheinlich schon einige Zeit vor dem Ende des vorigen
Jahrhunderts zu steigen angefangen.
Im Jahre 1687 betrug der Preis des Quarters von
neun Bushel vom besten Weizen auf dem Markte zu
Windsor £1.5 sh. 2 d., was der niedrigste Preis ist,
den er seit 1595 jemals gehabt hat.
Im Jahre 1688 schätzte Gregory King, eine Au-
torität in diesen Dingen, den Durchschnittspreis des
Weizens, wie er in Jahren einer Mittelernte den Pro-
duzenten zu stehen komme, auf 3 sh. 6 d. den Bushel,
oder 28 sh. den Quarter. Unter dem Produzentenpreis
verstehe ich das, was man zuweilen den Kontraktpreis
Kap. XI.: Die Schwankungen des Silbenverts. III. 973
nennt, oder den Preis, zu dem ein Pächter sich ver-
pflichtet, mehrere Jahre hinter einander dem Händler
eine bestimmte Menge Getreide zu liefern. Da ein
solcher Vertrag dem Pächter die Kosten und Mühe
des Markttransports erspart, so ist der Kontraktpreis
gewöhnlich niedriger, als der durchschnittliche Markt-
preis. King nahm an, daß in Jahren einer Mittelernte
28 sh. für den Quarter zu jener Zeit der gewöhnliche
Kontraktpreis war. Vor dem durch die jüngste Reihe
ungewöhnlich schlechter Jahre verursachten Mangel
war dies, wie man mir versichert, der übliche Kon-
traktpreis in allen gewöhnlichen Jahren.
1688 bewilligte das Parlament die schon erwähnte
Prämie auf die Getreideausfuhr. Die Landedelleute, die
damals einen größeren Teil der gesetzgebenden Ver-
sammlung ausmachten als jetzt, hatten gemerkt, daß
der Geldpreis des Getreides fiel. Die Prämie war ein
Mittel, es künstlich auf den hohen Preis zu bringen, zu
dem es zu den Zeiten Karls I. und II. oft verkauft
worden war. Sie sollte daher so lange gegeben werden,
bis der Weizen auf 48 sh. für den Quarter gestiegen
wäre, d. h. bis er 20 sh. oder um fünf Siebentel teurer
war, als King in demselben Jahre den Produzenten-
preis in Mitteljahren berechnet hatte. Wenn seine Be-
rechnungen den guten Ruf einigermaßen verdienen,
den sie allgemein haben, so waren 48 sh. für den
Quartei- ein Preis, der ohne ein Mittel wie die Prämie
zu jener Zeit sich nur in Jahren ungewöhnlichen
Mangels erwarten ließ. Allein die Regierung König
Wilhelms war damals noch nicht fest gegründet. Sie
war nicht in der Lage, den Landedelleuten, von denen
sie gerade damals die Festsetzung der jährlichen
Grundsteuer forderte, etwas abschlagen zu können.
Der Wert des Silbers ist daher im Verhältnis zu
dem des Getreides vor dem Ende des letzten Jahr-
Adam Smith, Volkswohlstand. I. 18
274 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
hunderts etwas gestiegen, und scheint es bei diesem
Steigen während des größten Teils des jetzigen Jahr-
hunderts geblieben zu sein, obgleich die Wirkung der
Prämie das Steigen nicht so fühlbar werden ließ, als
es sonst bei dem jetzigen Stande der Landwirtschaft
gewesen sein würde.
In Jahren des Überflusses erhöht die Prämie
durch Veranlassung einer ungewöhnlichen Ausfuhr
den Preis des Getreides mehr, als es sonst in solchen
Jahren der Fall sein würde. Es war ja auch der aus-
gesprochene Zweck der Maßregel, der Landwirtschaft
dadurch, daß der Preis des Getreides selbst in Jahren
des größten Überflusses gehalten würde, eine Auf-
munterung zu Teil werden zu lassen.
In Jahren großen Mangels wurde allerdings die
Prämie gewöhnlich beseitigt. Sie mußte jedoch auch auf
die Preise mancher dieser Jahre Einfluß haben; denn
die bedeutende Ausfuhr, die sie in Jahren der Fülle
verursachte, mußte die Ausgleichung der Fülle des einen
Jahres gegen den Mangel des andern oft verhindern.
Daher steigert die Prämie in Jahren sowohl der
Fülle als des Mangels den Preis des Getreides über den
Punkt hinaus, den er bei dem dermaligen Stande der
Landwirtschaft ohne künstliche Hülfe erreichen würde.
Wenn mithin der Durchschnittspreis in den ersten vier-
undsechzig Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts
niedriger gewesen ist, als in den letzten vierundsechzig
Jahren des vorigen, so hätte er bei dem nämlichen
Stande des Ackerbaus noch weit niedriger sein müssen,
wenn die Prämie nicht auf ihn eingewirkt hätte.
Aber, kann man sagen, ohne die Prämie würde der
Zustand des Ackerbaus nicht der nämliche gewesen sein.
Welche Wirkungen jene Maßregel auf die Landwirt-
schaft des Landes gehabt haben kann, werde ich später
aufzuklären suchen, wenn ich von den Prämien beson-
Kap. XI.: Die Schwankungen ties Silberwerts. III. 275
ders handle; für jetzt will ich nur bemerken, daß dieses
Steigen des Silbervverts im Verhältnis zum Getreide
England nicht allein betroffen hat. In Frankreich hat
sich, nach den Beobachtungen dreier sehr glaubwürdiger,
sorgfältiger und fleißiger Forscher, Dupre de St. Maur,
Messance und des Verfassers des Versuchs über die Ge-
treidepolitik, dieselbe Erscheinung in dem nämlichen
Zeiträume und beinahe in dem nämlichen Verhältnis
ebenfalls geltend gemacht. In Frankreich aber war bis
1764 die Ausfuhr des Getreides verboten, und es ist
einigermaßen schwer zu glauben, daß fast dieselbe Ver-
ringerung des Preises, die in dem einen Lande trotz
dieses Verbots eintrat, in dem anderen der ungewöhn-
lichen Aufmunterung zur Ausfuhr zuzuschreiben sei.
Es würde vielleicht richtiger sein, diese Änderung
in dem durchschnittlichen Geldpreise des Getreides als
die Wirkung eines allmählichen Steigens im Sachwerte
des Silbers auf dem europäischen Markte anzusehen,
statt als die Wirkung des Sinkens im durchschnittlichen
Sachwerte des Getreides. Das Getreide ist, wie bereits
bemerkt, für längere Zeiträume ein genaueres Wertmaß,
als Silber oder vielleicht jede andere Ware. Als nach
der Entdeckung der ergiebigen amerikanischen Minen
das Getreide einen drei bis vier Mal höheren Geldpreis
erreichte, schrieb man diesen Umschwung ganz allge-
mein nicht einem Steigen im Sachwerte des Getreides,
sondern dem Sinken im Sachwerte des Silbers zu. Wenn
daher in den ersten vierundsechzig Jahren des gegen-
wärtigen Jahrhunderts der durchschnittliche Geldpreis
des Getreides etwas niedriger geworden ist, als er in
den meisten Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen
ist, so sollte man diesen Umschwung gleichfalls nicht
dem Sinken im Sachwerte des Getreides, sondern dem
Steigen im Sachwerte des Silbers auf dem europäi-
schen Markte zuschreiben.
18*
276 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Der hohe Preis des Getreides während der letzten
zehn oder zwölf Jahre hat allerdings die Vermutung
erregt, daß der Sachwert des Silbers auf dem euro-
päischen Markte noch immer sinke. Indessen scheint
dieser hohe Preis des Getreides in Wahrheit durch die
ungewöhnlich schlechten Wetterverhältnisse verursacht
zu sein, und kann daher nicht als dauernd, sondern
nur als vorübergehend und zufällig betrachtet werden.
Die Witterungsverhältnisse waren in diesen zehn oder
zwölf Jahren fast in ganz Europa ungünstig, und die
Unruhen in Polen haben den Mangel in all' den Län-
dern vermehrt, die sich in teuren Jahren von dort her
zu versorgen pflegten. Eine so lange anhaltende Un-
gunst der Witterung ist zwar keine sehr gewcihnhche,
aber auch keineswegs eine unerhörte Erscheinung, und
wer sich viel mit der Geschichte der Getreidepreise in
früheren Zeiten beschäftigt hat, dem wird unschwer
manches ähnliche Beispiel einfallen. Auch sind zehn
Jahre außerordentlichen Mangels nichts Wunderbareres,
als zehn Jahre außerordentlicher Fülle. Der niedrige
Getreidepreis von 1741 bis 1750, einschließlich beider
Jahre, kann sehr wohl dem hohen Preise in den letzten
acht oder zehn Jahren entgegengestellt werden. Von
1741 bis 1750 war, wie aus den Rechnungen des Eton
College hervorgeht, der Durchschnittspreis des Quarters
von neun Bushel des besten Weizens auf dem Markte
zu Windsor nur £ 1. 13 sh. 9^/5 d., beinahe 6 sh. 3 d.
unter dem Durchschnittspreise der ersten 64 Jahre des
laufenden Jahrhunderts. Hiernach stellte sich der
Durchschnittspreis des Quarters von acht Bushel Mittel-
weizen in jenen zehn Jahren nur auf £ 1. 6 sh. 8 d.
Zwischen 1741 und 1750 verhinderte aber die Prä-
mie, daß der Preis des Getreides auf dem heimischen
Markte so tief fiel, als er der Natur der Sache nach
hätte fallen müssen. Während dieser zehn Jahre betrug,
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 277
nach den Zollregistern, die Menge aller Sorten ausge-
führten Getreides nicht weniger als 8,029,156 Quarter
und 1 Bushel. Die dafür bezahlte Prämie belief sich
auf £ 1,514,962. 17 sh. 4^2 d. Daher bemerkte 1749
der damalige Premierminister Pelham im Unterhause,
daß in den drei letzten Jahren eine ganz außerordent-
liche Summe als Prämie für Getreideausfuhr bezahlt
worden sei. Er hatte guten Grund, diese Bemerkung
zu machen und hätte im folgenden Jahre noch einen
besseren gehabt. In diesem einzigen Jahre belief sich
die Prämie auf nicht weniger als £ 324,176. 10 sh.
6 d. ''■■). Es bedarf nicht der Bemerkung, wie sehr
diese forzierte Ausfuhr den Getreidepreis über den
Stand hinauf treiben mußte, den er sonst auf dem
heimischen Markte gehabt haben würde.
Am Schlüsse der diesem Kapitel beigefügten Ta-
bellen wird der Leser die Tabelle für diese zehn Jahre
von den übrigen getrennt finden; ebenso die Tabelle
über die vorhergehenden zehn Jahre, deren Durch-
schnitt wahrscheinlich etwas, wenn auch nicht viel
niedriger ist, als der Durchschnitt der ersten vierund-
sechzig Jahre des Jahrhunderts. Das Jahr 1740 war
aber ein Jahr ungewöhnlichen Mangels. Die zwanzig
Jahre vor 1750 können also sehr wohl den zwanzig
Jahren vor 1770 entgegengestellt werden. "Wie die
ersteren mit Ausnahme von einem oder zwei teureren
Jahren weit unter dem. allgemeinen Durchschnitt des
Jahrhunderts blieben, so die letzteren mit Ausnahme
von einem oder zwei wohlfeilen Jahren, z. B. 1759,
weit über ihm. Sind die ersteren nicht eben so weit
unter dem allgemeinen Durchschnitt zurückgeblieben,
als die letzteren ihn überschritten haben, so ist dies
wahrscheinlich der Prämie zuzuschreiben. Der Wechsel
ist auch offenbar ein zu plötzlicher gewesen, als daß
*) Siehe Tracts on the Corn Trade : T^ract 8d.
278 Ei"stes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
man ihn der stets langsamen und allmählichen Wert-
veränderung des Silbers hätte zuschreiben können. Die
Plötzlichkeit der Wirkung kann nur aus einer Ursache,
die plötzlich wirkt, nämlich aus den zufälligen Schwan-
kungen der Witterung, erklärt werden.
Der Geldpreis der Arbeit ist im Laufe dieses Jahr-
hunderts in Großbritannien allerdings gestiegen; doch
scheint dies nicht sowohl die Folge einer Entwertung
des Silbers auf dem europäischen Markte, als der zu-
nehmenden Nachfrage nach Arbeit in Großbritannien
gewesen zu sein, die aus der großen und fast allge-
meinen Wohlfahrt des I^andes hervorging. In Frank-
reich, das Großbritannien im Wohlstande nachsteht,
ist der Geldpreis der Arbeit, wie man beobachtet hat,
seit Mitte des vorigen Jahrhunderts allmählich mit dem
durchschnittlichen Geldpreise des Getreides gesunken.
Sowohl im vorigen wie in diesem Jahrhundert soll der
Tagelohn gemeiner Arbeit fast unverändert etwa den
zwanzigsten Teil des durchschnittlichen Preises eines
Septier Weizen (etwas mehr als vier Winchester Busheis)
betragen haben. In Großbritannien hat, wie bereits ge-
zeigt worden, der Sachpreis der Arbeit, haben die
wirklichen Mengen von Lebens- und Genußmitteln, die
dem Arbeiter gegeben werden, im Laufe dieses Jahr-
hunderts beträchtlich zugenommen. Das Steigen des
Geldpreises der Arbeit scheint nicht von einer Ent-
wertung des Silbers auf dem allgemeinen europäischen
Markte, sondern vom Steigen des Sachpreises der Arbeit
auf den einzelnen Märkten Großbi'itanniens, das dem
besonders glücklichen Zustande des Landes zu ver-
danken ist, herzurühren.
Eine Zeitlang nach der Entdeckung Amerikas
wurde das Silber immer noch zu seinem früheren Preise,
oder nicht viel darunter, verkauft. Die Gewinne der
Bergwerke waren eine Zeitlang sehr groß, und weit
Kap. XL: Die Schwankungen des 8ilber\vcrts. TIT. 279
über ihrem natürlichen Satze. Indessen fanden die-
jenigen, die Silber einführten, bald, daß die ganze
jährliche Einfuhr nicht zu diesem hohen Preise abge-
setzt werden könne. Das SiJber wurde allmählich gegen
eine immer geringere "Warenmenge vertauscht. Sein
Preis sank tiefer und tiefer, bis er auf seinen natür-
lichen Satz, d. h. auf den Betrag fiel, der gerade hin-
reichend war, um den Arbeitslohn, den Kapitalgewinn
und die Grundrente, die für Ausbringung und Markt-
transport gezahlt werden müssen, nach ihrem natür-
lichen Satze aufzubringen. In den meisten Silberberg-
werken von Peru verschlingt, wie bereits bemerkt, die
Abgabe an den König von Spanien, die sich auf ein
Zehntel des Rohertrages beläuft, die ganze Grundrente.
Diese Abgabe bestand ursprünglich in der Hälfte; bald
fiel sie auf ein Fünftel, und zuletzt auf ein Zehntel,
auf dem sie noch steht. Dies ist anscheinend Alles, was
in den meisten peruanischen Silberbergwerken nach
Wiedererstattung des Unternehmerkapitals samt seinem
üblichen Gewinn übrig bleibt; und dieser Gewinn, der
einst sehr hoch war, ist anerkanntermaßen jetzt so
niedrig, wie es sich überhaupt noch mit der Weiter-
führung der Werke verträgt.
Die Abgabe an den König von Spanien wurde
150-1*), einundvierzig Jahre vor 1545, dem Jahre der
Entdeckung der Minen von Potosi, auf den fünften
Teil des produzierten Silbers herabgesetzt.
Im Laufe von neunzig Jahren, bis 1636, hatten
diese Bergwerke, die ergiebigsten in ganz Amerika,
Zeit genug, ihre volle Wirkung zu üben, oder den
Wert des Silbers auf dem europäischen Markte so weit
herabzusetzen, als er eben fallen konnte, so lange jene
Abgabe an den König von Spanien noch entrichtet
wurde. Neunzig Jahre sind eine hinlängliche Zeit, um
*) Solorzano, Vol. TT.
280 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
eine Ware, die kein Monopol hat, auf ihren natür-
lichen, d. h. den niedrigsten Preis herunterzubringen,
zu welchem sie, so lange eine Abgabe darauf ruht,
längere Zeit hindurch verkauft werden kann.
Der Preis des Silbers hätte vielleicht auf dem
europäischen Markte noch tiefer fallen und es hätte
nötig werden können, entweder die Abgabe darauf
nicht bloß auf ein Zehntel wie im Jahre 1736, sondern
wie beim Golde auf ein Zwanzigstel herabzusetzen,
oder den größten Teil der amerikanischen Minen, die
gegenwärtig abgebaut werden, still zu legen. Wahr-
scheinlich ist die allmähliche Zunahme der Nachfrage
nach Silber, oder die allmähliche Erweiterung des
Marktes für das Produkt der amerikanischen Silber-
minen der Grund, der dies verhinderte und den Wert
des Silbers auf dem europäischen Markte nicht nur
auf seiner Höhe erhielt, sondern vielleicht sogar noch
etwas höher steigerte, als er um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts gestanden hatte.
Seit der Entdeckung Amerikas hat der Markt
für das Produkt seiner Silberminen allmählich immer
größere Ausdehnung gewonnen.
Erstens: der europäische Markt hat sich allmählich
immer mehr ausgedehnt. Seit der Entdeckung Amerikas
hat der größte Teil Europas an Kultur sehr zugenommen.
England, Holland, Frankreich und Deutschland, selbst
Schweden, Dänemark und Rußland haben im Ackerbau
und den Gewerben bedeutende Fortschritte gemacht.
Italien scheint w^enigstens nicht zurückgegangen zu
sein. Vor der Eroberung von Peru w^ar Italien im
Verfall; seitdem scheint es sich eher etwas erholt zu
haben. Spanien und Portugal werden allerdings als
zurückgekommen betrachtet. Indessen ist Portugal nur
ein kleiner Teil von Europa, und der Verfall Spaniens
ist vielleicht nicht so groß, als man gewöhnlich an-
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. TIT. 281
nimmt. Am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts
war Spanien selbst im Vergleich mit Frankreich, das
seit jener Zeit so bedeutend fortgeschritten ist, ein sehr
armes Land. Kaiser Karl der Fünfte, der so oft durch
beide Länder gereist war, machte die bekannte Bemer-
kung, daß in Frankreich an allen Dingen Überfluß, in
Spanien an allen Dingen Mangel sei. Das zunehmende
Produkt des Ackerbaus und der Gewerbe in Europa
mußte notwendig einen allmählichen Zugang an Silber-
münzen erfordern, um es in Umlauf zu setzen; und
die wachsende Zahl reicher Leute mußte eine gleiche
Zunahme an silbernem Grerät und anderen Schmuck-
gegenständen zur Folge haben.
Zweitens : Amerika selbst ist für das Produkt seiner
Silberminen ein neuer Markt, und da es im Ackerbau,
in der Industrie und an Volkszahl weit schnellere Fort-
schritte macht als die blühendsten europäischen Länder,
so muß sein Bedarf noch weit schneller zunehmen.
Die englischen Kolonien sind ein durchaus neuer Markt,
der teils für Münze, teils für Geräte eine stets wach-
sende Silberzufuhr für einen ganzen Erdteil, in dem
früher nie eine Nachfrage darnach bestanden hatte,
nötig macht. Auch die meisten spanischen und portu-
giesischen Kolonien sind ganz neue Märkte. Neu-Gra-
nada, Yucatan, Paraguay und Brasilien waren, ehe sie
von den Europäern entdeckt wurden, von wilden Völker-
schaften bewohnt, die weder Künste noch Ackerbau
kannten. Seitdem sind diese Länder erheblich kultiviert
worden. Selbst Mexiko und Peru, wenn sie auch nicht
als durchaus neue Märkte betrachtet werden können,
sind doch gewiß jetzt weit bedeutendere Märkte, als
je zuvor. Wer nach all' den wunderbaren Geschichten,
die über den glänzenden Zustand dieser Länder in
fi'üheren Zeiten geschrieben worden sind, mit einiger
Nüchternheit die Geschichte ihrer Entdeckung und Va-
oberung liest, wird bald erkennen, daß ihre Bewohner
282 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
von Gewerben, Ackerbau und Handel weit weniger
wußten, als heutzutage die Tartaren der Ukraine. Selbst
die Peruaner, das zivilisierteste der beiden Völker be-
dienten sich zwar des Goldes und Silbers zum Schmuck,
kannten aber keinerlei gemünztes Geld. Ihr ganzer
Handel war ein Tauschhandel, und es gab deshalb auch
kaum irgend eine Arbeitsteilung unter ihnen. Wer den
Boden bestellte, mußte sich auch sein Haus selbst bauen,
seine Möbel, Kleider, Schuhe und sein Ackergerät selbst
verfertigen. Die wenigen Handwerker unter ihnen sollen
von dem König, den Adeligen und Priestern gehalten
worden sein und waren wahrscheinlich ihre Diener oder
Sklaven. Alle die früheren Gewerbe Mexikos und Perus
haben niemals auch nur ein einziges Fabrikat nach Eu-
ropa geliefert. Die spanischen Heere fanden, obwohl
sie kaum jemals über fünfhundert Mann und oft kaum
halb so stark waren, es dennoch fast überall sehr schwer,
sich Lebensmittel zu verschaffen. Die Hungersnot, die
sie fast überall, wohin sie kamen, selbst in Gegenden,
die als sehr bevölkert und wohlangebaut geschildert
werden, verursacht haben sollen, beweist hinlänglich,
daß das Märchen von diesem Volksreichtum und dieser
hohen Kultur meist auf Dichtung beruht. Die spani-
schen Kolonien stehen unter einer Regierung, die in
vielen Beziehungen dem Ackerbau, der Kultur und Be-
völkerungszunahme weniger günstig ist, als die der
englischen Kolonien. Gleichwohl scheinen sie in all'
dem weit schnellere Fortschritte zu machen, als irgend
ein europäisches Land. Auf einem fruchtbaren Boden
und unter einem glücklichen Klima scheint der große
Überfluß und die Wohlfeilheit von Grund und Boden,
ein Umstand, der allen neuen Kolonien gemeinsam ist,
ein so großer Vorteil zu sein, daß er viele Mängel der
bürgerlichen Regierung wieder gut macht. Nach Frezier,
der Peru 1713 besuchte, soll Lima zwischen 25,000 und
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 283
28,000 Einwohner haben ; Ulloa, der sich dort zwischen
1740 und 1746 aufhielt, giebt die Einwohnerzahl auf
etwa 50,000 an. Der Unterschied in ihren Schätzungen
der Einwohnerzahl verschiedener anderer größerer Städte
in Chili und Peru ist ziemlich eben so groß, und da
kein Grund vorliegt, sie für schlecht unterrichtet zu
halten, so deutet dies auf eine kaum geringere Zunahme,
als die in den englischen Kolonien. Amerika ist mithin
für das Produkt seiner eigenen Silberminen ein neuer
Markt, dessen Nachfrage weit schneller zunehmen muß,
als die der blühendsten europäischen Länder.
t Drittens: ein fernerer Markt für das Produkt der
amerikanischen Silberminen ist Ostindien, und zwar ein
Markt, der seit der Entdeckung jener Minen ununter-
brochen eine immer größere Menge Silber aufnahm.
Seit jener Zeit hat der direkte Handel zwischen Amerika
und Ostindien, der auf den Acapulko-Schiffen getrieben
wird, beständig zugenommen, und der indirekte Ver-
kehr über Europa ist in noch weit höherem Maße ge-
stiegen. Im sechszehnten Jahrhundert waren die Portu-
giesen die einzigen Europäer, die einen regelmäßigen
Handel nach Ostindien trieben. In den letzten Jahren
dieses Jahrhunderts begannen die Holländer dieses
Monopol anzugreifen, und vertrieben jene innerhalb
weniger Jahre aus ihren bedeutendsten Besitzungen in
Indien. Während der größeren Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts teilten sich diese beiden Nationen in den
größten Teil des ostindischen Handels, wobei der
holländische Handel in noch größerem Maße zunahm,
als der portugiesische sank. Die Engländer und Fran-
zosen trieben schon im vorigen Jahrhundert einigen
Handel mit Indien, aber erst im Laufe des jetzigen
wurde er bedeutend. Der ostindische Handel der
Schweden und Dänen begann im Laufe des jetzigen
Jahrhunderts. Selbst die Moskowiter haben jetzt einen
regelmäßigen Verkehr mit China mittelst einer Art von
284 Erstes Biich: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Karawanen, die über Land durch Sibirien und die
Tartarei nach Peking ziehen. Der ostindische Handel
aller dieser Nationen war, bis auf den der Franzosen,
den der letzte Krieg fast ganz vernichtet hatte, in fast
ununterbrochener Zunahme. Der steigende Verbrauch
ostindischer Waren in Europa ist anscheinend groß
genug, um allen diesen Nationen eine stets wachsende
Beschäftigung zu gewähren. Thee z. B. war ein Artikel,
der vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts nur wenig
gebraucht wurde. Gegenwärtig beläuft sich der Wert
des von der englisch - ostindischen Compagnie alle
Jahre zum Gebrauch ihrer Landsleute eingeführten
Thees auf mehr als anderthalb Millionen, und selbst
das reicht nicht hin, da aus den Häfen Hollands, von
Gothenburg in Schweden und auch von den Küsten
Frankreichs, wenigstens so lange die französisch-ost-
indische Compagnie in Blüte war, fortwährend eine
große Menge in das Land eingeschmuggelt wird.
Beinahe in gleichem Verhältnis ist der Gebrauch des
chinesischen Porzellans, der Gewürze von den Mo-
lukken, der bengalischen Stückgüter und unzähliger
anderer Artikel gewachsen. Der Tonnengehalt aller im
Ostindienhandel beschäftigten europäischen Schiffe war
demgemäß im vorigen Jahrhundert wohl nie größer,
als allein der der Schiffe der englisch-ostindischen
Compagnie vor der neuerdings erfolgten Beschränkung
ihrer Schiffszahl.
Der Wert der Metalle aber war in Ostindien, be-
sonders in China und Hindostan, als die Europäer zuerst
mit diesen Ländern Handel zu treiben anfingen, weit
höher als in Europa, und er ist es noch heute. In
Reisländern, die gewöhnlich zwei, zuweilen drei Ernten
im Jahre liefern, deren jede reichlicher ist, als eine ge-
wöhnliche Getreideernte, muß der Überschuß an Nah-
rungsmitteln weit größer sein, als in irgend einem Ge-
treidelande von gleicher Ausdehnung. Solche Länder
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 285
sind daher auch weit mehr bevölkert. Da hier den
Reichen ein größerer Überschuß von Nahrungsmitteln
über ihren eignen Verbrauch zu Gebote steht, so können
sie eine weit größere Menge Arbeit anderer Leute kaufen.
Das Grefolge eines chinesischen oder hindostanischen
Großen ist demgemäß, nach allen Berichten, weit zahl-
reicher und glänzender, als das der reichsten nichtfürst-
lichen Personen in Europa. Derselbe Überfluß an
verfügbaren Nahrungsmitteln setzt sie in den Stand,
eine größere Menge von ihnen für alle jenen eigenarti-
gen und seltenen Erzeugnisse zu geben, die die Natur
nur in sehr geringen Mengen liefert, wie die edlen
Metalle und Edelsteine, um die unter den Reichen so
viel Wettbewerb besteht. Wären daher auch die Berg-
werke, die den indischen Markt versorgten, ebenso er-
giebig gewesen als die, die den europäischen Markt
ergänzten, so würden jene Waren doch in Indien eine
größere Menge Nahrungsmittel austauschen, als in
Europa. Nun scheinen aber die Bergwerke, welche
den indischen Markt mit edlen Metallen versorgten,
viel weniger ergiebig, dagegen die, welche ihn mit
Edelsteinen versahen, viel ergiebiger gewesen zu sein
als die europäischen, und die edlen Metalle gelten des-
halb in Indien eine etwas größere Menge von Edel-
steinen und eine noch weit größere Menge von Nah-
rungsmitteln, als in Europa. Der Geldpreis der Dia-
manten, dieses überflüssigsten aller Dinge, wird in dem
einen Lande etwas geringer, und der der Nahrungs-
mittel, des ersten aller Bedürfnisse, viel geringer sein,
als in dem anderen. Aber der Sachpreis der Arbeit,
die wirkliche Menge von Lebensbedürfnissen, die die
Arbeiter erhalten, ist, wie bereits bemerkt, sowohl in
China wie in Hindostan, den beiden großen Märkten
des Orients, niedriger als in den meisten Teilen Eu-
ropas. Der Lohn des Arbeiters wird dort eine gerin-
286 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
gere Menge von Nahrungsmitteln kaufen, und da der
Geldpreis der Nahrungsmittel in Indien weit geringer
ist als in Europa, so ist der Geldpreis der Arbeit dort
in doppelter Hinsicht niedriger, einerseits wegen der
geringen Menge von Nahrungsmitteln, die dafür zu
haben ist, und andererseits wegen ihres geringen Preises.
Doch wird in Ländern von gleicher gewerblicher Ent-
wicklung der Geldpreis der meisten Fabrikate sich nach
dem Geldpreise der Arbeit richten, und wenn auch
China und Hindostan in dieser Beziehung nicht ganz
an Europa heranreichen, so stehen sie doch nicht er-
heblich zurück. Der Geldpreis der meisten Industrie-
erzeugnisse wird daher natürlich in diesen großen
Reichen viel niedriger sein, als irgendwo in Europa.
In den meisten Gegenden Europas vermehren auch die
Kosten der Landfracht sowohl den Sach- wie den No-
minalpreis der Industrieerzeugnisse beträchtlich. Es
kostet hier mehr Arbeit, und darum auch mehr Geld,
zuerst das Material und dann die fertige Ware auf den
Markt zu bringen. In China und Hindostan wird durch
die weitverzweigte Binnenschiffahrt der größte Teil
dieser Arbeit und folglich dieses Geldes erspart, und
sowohl der Sach- wie der Nominalwert der meisten
Industrieerzeugnisse stellt sich dadurch noch niedriger.
Aus allen diesen Gründen war es jederzeit äußerst vor-
teilhaft, die edlen Metalle von Europa nach Indien zu
verführen, und ist es noch heute. Es gibt schwerlich
eine Ware, die dort einen besseren Preis ergiebt oder
nach Verhältnis der Menge von Arbeit und Waren, die
sie in Europa kostet, eine größere Menge von Arbeit
und Waren in Indien zu kaufen vermag. Es ist auch
vorteilhafter, Silber als Gold dahinzuführen, weil das
Verhältnis zwischen Eeinsilber und Feingold in China
und auf den meisten anderen orientalischen Märkten
nur wie zehn oder höchstens wie zwölf zu eins steht,
Kap. XL: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 287
während es in Europa wie vierzehn oder fünfzehn zu
eins ist. In China und auf den meisten anderen orien-
talischen Märkten kauft man für zehn oder höchstens
zwölf Unzen Silber eine Unze Gold; in Europa braucht
man vierzehn bis fünfzehn Unzen dazu. Deshalb macht
das Silber in den meisten europäischen Schiffen, die
nach Indien segeln, gewöhnlich den wertvollsten Be-
standteil der Ladung aus ; ebenso wie bei den Acapul-
koschiffen, die nach Manila segeln. So scheint das Silber
des neuen Kontinents eine der hauptsächlichsten Waren
zu sein, die den Handel zwischen den beiden äußersten
Enden des alten Festlandes vermitteln, und großenteils
durch seine Dazwischenkunft werden jene soweit von
einander entfernten Teile mit einander verknüpft.
Um einen so weit ausgedehnten Markt zu ver-
sorgen, muß die jährlich aus den Bergwerken ge-
wonnene Silbermenge nicht nur groß genug sein, um
jenen beständigen Zugang an gemünztem Gelde und
an Gerät, der in allen blühenden Ländern erforderlich
ist, zu unterhalten, sondern auch die beständige Ab-
nutzung des Silbers zu ersetzen, die überall vorkommt,
wo dies Metall im Gebrauch ist.
Der beständige Abgang der edlen Metalle durch
die Abnutzung der Münzen und Geräte ist sehr be-
deutend, und würde allein schon bei Waren, die so
allgemein angeAvendet werden, eine sehr große jähr-
liche Zufuhr erfordern. Der Abgang dieser Metalle in
einigen Gewerben ist zwar vielleicht im Ganzen nicht
größer, als jener alimähliche Abgang; aber merklicher,
weil viel schneller. In den Manufakturen von Bir-
mingham allein soll die Menge des jährlich zum Ver-
golden und Plattieren verwendeten Goldes und Silbers,
das niemals wieder in der Gestalt dieser Metalle er-
scheinen kann, sich auf mehr als fünfzig tausend Pfund
belaufen. Danach kann man sich einen Begriff machen,
288 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
wie groß der jährliche Verbrauch in allen Teilen der
Welt sein muß, sei es für ähnliche "Waren wie die von
Birmingham, sei es für Tressen, Stickereien, Gold- und
Silberstoffe, Vergoldungen an Büchern und Möbeln usw.
Eine bedeutende Menge dieser Metalle muß jährlich
auch beim See- und Landtransport verloren gehen. Die
in den meisten asiatischen Ländern herrschende Sitte,
Schätze zu vergraben, von denen die Kenntnis oft mit
der Person, die sie vergraben hat, stirbt, muß einen
noch weit größeren Verlust verursachen.
Die Menge des nach Cadix und Lissabon einge-
führten Goldes und Silbers — einschließlich des ein-
geschmuggelten — beläuft sich nach den besten
Schätzungen auf etwa sechs Millionen £ im Jahr.
Nach Meggens*) betrug die jährliche Einfuhr der
edlen Metalle nach Spanien in einem Durchschnitt von
sechs Jahren, nämlich von 1748 bis 1753, und die
nach Portugal in einem Durchschnitt von sieben Jahren,
nämlich von 1747 bis 1753, an Silber 1,101,107 Pfund
und an Gold 49,940 Pfund. Das Silber, zu 62 sh.
das Troy-Pfund, beträgt £ 3,413,431. 10 sh. Sterling.
Das Gold, zu 44^2 Guineen das Troy-Pfund, beträgt
£ 2,333,446. 14 sh. Sterling. Beide zusammen betragen
£ 5,746,878. 4 sh. Die Angaben über das, was unter
Register eingeführt worden ist, erklärt er für ganz
zuverlässig. Über die Herkunftsorte und die Mengen
beider Metalle, die die einzelnen Plätze den Registern
zufolge lieferten, erhalten wir umständliche Auskunft,
und von der Menge der als eingeschmuggelt angenom-
menen edlen Metalle möglichst sorgfältige Schätzungen.
*) Nachschrift zu dem Universal Merchant p. 15 u. 16. Diese
Nachschrift wurde erst 1756, drei Jahre nach der Herausgabe
des Buches, das niemals eine zweite Auflage erlebte, gedruckt.
Diese Nachschrift findet sich daher nur in wenigen Exemplaren ;
sie berichtigt einie-e Irrtümer des Buches.
Kap. XI.: Die Schwankungen des Silberwerts. III. 289
Die große Erfahrung dieses verständigen Kaufmanns
gibt seinen Ansichten ein bedeutendes Gewicht.
Nach dem beredten und zuweilen wohl unterrich-
teten Verfasser der „Philosophischen und politischen
Greschichte der Niederlassung der Europäer in beiden
Indien" betrug die jährliche Einfuhr des registrierten
Goldes und Silbers nach Spanien im Durchschnitt von
elf Jahren, nämlich von 1754 bis 1764, 13,984, 185^^5
Piaster von zehn Realen. Mit Hinzurechnung dessen,
was eingeschmuggelt sein mag, nimmt er jedoch den
Betrag der gesamten jährlichen Einfuhr zu 17,000,000
Piaster an, was, den Piaster zu 4 sh. 6 d. gerechnet,
eine Summe von £ 3,825,000 ergibt. Er führt eben-
falls die Herkunftsorte und die Mengen jedes Metalls
an, welche den E-egistern zufolge die einzelnen Plätze
lieferten. Die jährlich von Brasilien nach Lissabon ein-
geführte Menge Goldes, nach dem Betrage der an den
König von Portugal entrichteten Auflage geschätzt, die
anscheinend ein Fünftel des reinen Metalls ausmacht,
schlägt er auf 18,000,000 Cruzados oder 45,000,000
französische Livres, also etwa £ 2,000,000. Für ein-
geschmuggelte "Ware noch ein Achtel oder £ 250,000
hinzugerechnet, würde nach diesem Gewährsmann das
Ganze sich auf £ 2,250,000 belaufen. Nach dieser Rech-
nung beträgt mithin die jährliche Gesamteinfuhr edler
Metalle nach Spanien und Portugal etwa £ 6,075,000.
Einige andere sehr gut beglaubigte, obwohl nur hand-
schriftliche, Schätzungen stimmen, wie man mir sagt, da-
mit überein, indem sie den Betrag der gesamten jährlichen
Einfuhr im Durchschnitt auf etwa £ 6,000,000 angeben.
Die jährhche Einfuhr der edlen Metalle nach Cadix
und Lissabon kommt freilich dem gesamten Jahres-
produkt der amerikanischen Bergwerke nicht gleich.
Einiges geht jährlich auf den Acapulko-Schiffen nach
Manila, einiges wird in dem Schleichhandel der spa-
Adam Smith, Volkswohlstand. I. 19
290 Erstes Buch: Zimahme in der Ertragskraft der Arbeit.
nischen Kolonien mit den Kolonien andrer europäischer
Völker verwendet, und einiges bleibt ohne Zweifel im
Erzeugungslande. Außerdem sind die amerikanischen
Bergwerke keineswegs die einzigen Gold- und Silber-
minen in der Welt. Allein sie sind bei "Weitem am
ergiebigsten. Der Ertrag aller anderen bekannten Minen
ist anerkanntermaßen im Vergleich mit den amerika-
nischen unbedeutend ; auch wird der bei Weitem größte
Teil des Ertrags ebenso unbestritten nach Cadix und
Lissabon gebracht. Nun beträgt der Verbrauch Bir-
minghams allein nach dem Maßstabe von 50,000 Pfund
im Jahr den hundertundzwanzigsten Teil jener jähr-
lichen Einfuhr von sechs Millionen. Der gesamte
jährliche Verbrauch von Gold und Silber in allen
Ländern der Welt, wo man diese Metalle benutzt,
kann daher dem gesamten Jahresprodukt ziemlich nahe
kommen. Der Rest wird wohl kaum hinreichen, die
wachsende Nachfrage aller blühenden Länder zu be-
friedigen; ja vielleicht bleibt er soweit dahinter zurück,
daß er den Preis dieser Metalle auf dem europäischen
Markte etwas in die Höhe treibt. Die jährlich aus den
Bergwerken auf den Markt gebrachte Menge Kupfer
und Eisen ist unverhältnismäßig größer, als die von
Gold und Silber. Doch glauben wir deswegen nicht,
daß diese gröberen Metalle sich über den Bedarf
hinaus vermehren, d. h. allmählich immer wohlfeiler
werden. Warum sollten wir daher glauben, daß dies
bei den edlen Metallen der Fall sein werde? Die un-
edlen Metalle werden freilich, obwohl sie härter sind,
stärker abgenutzt und ihres geringeren Werts wegen
weniger sorgfältig aufbewahrt; aber die edlen Metalle
sind nicht unvergänglicher als jene und gleichfalls dem
Verlorengehen, der Abnutzung und dem Verbrauch
auf tausenderlei Weise ausgesetzt.
Der Preis aller Metalle ist jenen langsamen und
allmählichen Veränderungen unterworfen, schwankt
Kap. XI.: Wertverhiiltnis zwischen Gold und Silber. 291
aber weniger von Jahr zu Jahr, als der anderer Roh-
produkte des Bodens; auch ist der Preis der edlen
Metalle plötzlichen Veränderungen weniger ausgesetzt,
als der der unedlen. Der Grund dieser außerordent-
lichen Stetigkeit des Preises liegt in der Dauerhaftig-
keit der Metalle. Das jährlich zu Markt gebrachte
Gretreide ist vor Ende des folgenden Jahres ganz oder
beinahe ganz verbraucht; dagegen kann Eisen, das
vor zwei- oder dreihundert Jahren, und Gold, das vor
zwei- oder dreitausend Jahren aus den Minen gefördert
wurde, noch heute im Gebrauch sein. Die Massen Ge-
treides, die in verschiedenen Jahren den Verbrauch
der Welt decken müssen, werden stets dem Ertrage
dieser Jahre ziemlich nahe kommen; dagegen wird
das Verhältnis zwischen den verschiedenen Massen
Eisens, die in zwei verschiedenen Jahren gebraucht
werden, durch eine zufällige Verschiedenheit in der
Eisenerzeugung dieser beiden Jahre sehr wenig berührt,
und das Verhältnis der Massen Goldes durch eine
solche Verschiedenheit in der Gold prod uktion noch we-
niger. Obgleich daher der Ertrag der meisten Metallberg-
werke von Jahr zu Jahr vielleicht noch mehr wechselt,
als der der meisten Getreidefelder, so haben diese Ver-
änderungen doch nicht denselben Einfluß auf den Preis
der einen Art Ware, wie auf den der andern.
Veränderungen in dem Wertverhältnis zwischen
Gold und Silber.
Vor der Entdeckung der amerikanischen Minen
wurde das Wertverhältnis zwischen Feingold und Fein-
silber in den verschiedenen europäischen Münzen auf
1 : 1(3 oder 1 : 12 festgestellt, d. h. eine Unze Feingold
zehn oder zwölf Unzen Feinsilber gleich geachtet. Um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde es auf 1 : i-1
19^'=
292 Erstes Buch: Zunahme in der Ei-tragskraft der Arbeit.
oder 1 : 15 festgestellt, d. b. eine Unze Feingold 14
bis 15 Unzen Feinsilber wert geacbtet. Das Gold stieg
in seinem Nominalwerte, d. b. es wurde eine größere
Menge Silber dafür gegeben. Beide Metalle aber sanken
in ihrem wirklichen Werte, d. h. in der Arbeitsmenge,
die man dafür kaufen konnte; doch sank das Silber
mehr als das Gold. Obgleich sowohl die Gold- wie die
Silberminen Amerikas alle anderen bis dahin bekannten
an Ergiebigkeit übertrafen, scheint doch die Ergiebig-
keit der Silberminen verhältnismäßig noch größer ge-
wesen zu sein, als die der Goldminen.
Die großen jährlich von Europa nach Indien ge-
brachten Silbermengen haben in einigen englischen
Niederlassungen den Wert dieses Metalls gegen den
des Goldes allmählich verringert. In der Münze von
Calcutta gilt eine Unze Feingold 15 Unzen Feinsilber,
ganz wie in Europa, doch wird es in der Münze nach
dem Werte, den es auf dem bengalischen Markte hat,
vielleicht zu hoch angeschlagen. In China ist das Ver-
hältnis des Goldes zum Silber noch 1 : 10 oder 1 : 12.
In Japan soll es wie 1 : 8 sein.
Das Verhältnis zwischen den Gold- und Silber-
mengen, die jährlich nach Europa kommen, ist nach
Meggens' Berechnung beinahe wie 1 : 22, d. h. für
1 Unze Gold werden etwas mehr als 22 Unzen Silber
eingeführt, und die große Silbermenge, die jährlich
nach Ostindien geschickt wird, führt nach seiner An-
sicht die in Europa bleibenden Gold- und Silbermengen
auf das Verhältnis von 1 : 14 oder 1 : 15 zurück —
ihr Wertverhältnis. Er scheint zu glauben, daß ihr
Wertverhältnis notwendig dasselbe sein müsse, wie
das ihrer Mengen, und mithin wie 1 : 20 stehen würde,
wenn jene größere Silberausfuhr nicht stattfände.
Allein das gewöhnliche Verhältnis zwischen dem
Wert zweier Waren ist nicht notwendig das gleiche,
Kap. XI.: "Wertverhältnis zwischen Gold und Silber. 293
wie das zwischen seinen in der Regel auf dem Markte
befindlichen Mengen. Der Preis eines Ochsen, zu
zehn Guineen gerechnet, ist etwa sechzigmal so groß,
als der Preis eines Lammes, zu 3 sh. 6 d. gerechnet.
Es wäre aber töricht, daraus zu schliessen, daß in der
Regel ein Schock Lämmer für einen Ochsen auf dem
Markte wären, und ebenso töricht würde es sein, zu
schließen, daß, weil eine L^nze Gold gewöhnlich 14
oder 15 Unzen Silber gilt, auch vierzehn oder fünf-
zehnmal mehr Silber als Gold auf dem Markte vor-
handen sei.
Die auf dem Markte gewöhnlich vorhandene Menge
Silber ist im Verhältnis zum Gold wahrscheinlich weit
größer, als nach ihrem Wertverhältnis vorauszusetzen
wäre. Die Gesamtmenge einer an den Markt gebrachten
wohlfeilen Ware ist in der Regel nicht nur größer,
sondern auch von größerem Wert, als die Gesamt-
menge einer teuren. Die Gesamtmenge des jährlich
an den Markt gebrachten Brotes ist nicht nur größer,
sondern auch von größerem Werte als die Gesamt-
menge des Fleisches; die des Fleisches größer und von
größerem Werte, als die des zahmen Geflügels ; und
die Gesamtmenge des zahmen Geflügels größer und
von größerem AVerte, als die des wilden Geflügels.
Es gibt so viele Käufer mehr für die wohlfeile als
für die teure Ware, daß gewöhnlich nicht nur eine
größere Menge, sondern auch ein größerer Wert von
ihr verkauft werden kann. Daher muß die Gesamt-
menge der billigen Ware im Verhältnis zu der der
teuren größer sein, als der Wert einer gewissen Menge
der teuren im Verhältnis zum Wert einer gleichen
Menge der wohlfeilen. A'ergleicht man die edlen Me-
talle mit einander, so ist das Silber eine wohlfeile, das
Gold eine teure Ware. Es ist daher auch zu erwarten,
daß auf dem Markte stets nicht nur eine größere
294 Ei"«te.s Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Menge, sondern auch ein größerer Wert an Silber,
als an Gold vorhanden ist. Wer von beiden etwas
hat, vergleiche sein Silber- mit seinem Goldgerät, und
er wird wahrscheinlich finden, daß nicht nur die
Menge, sondern auch der Wert des ersteren weit
größer ist, als die Menge und der Wert des letzteren.
Viele haben wohl Silbersachen, aber keine Goldsachen,
und letztere sind auch bei denen, die sie haben, im
Allgemeinen auf Uhrgehäuse, Tabaksdosen und ähn-
liche Kleinigkeiten beschränkt, deren ganzer Betrag
selten von großem Wert ist. In den britischen Münzen
überwiegt allerdings der Wert des Goldes bei Weitem,
aber in allen anderen Ländern ist es nicht der Fall.
In den Münzen einiger Länder ist der Wert ziemlich
gleich. In den schottischen Münzen überwog, wie man
aus den Münzrechnungen ersieht, vor der Union mit
England das Gold ein wenig.'-') In den Münzen vieler
Länder überwiegt das Silber. In Frankreich werden
die größten Summen gewöhnlich in diesem Metall
gezahlt, und es ist dort schwer, sich mehr Gold zu
verschaffen, als man in der Tasche bei sich führen
muß. Doch dürfte der in allen Ländern anerkannt
höhere Wert des Silbergeräts das hier und da sich
findende Überwiegen der Goldmünzen über die Silber-
münzen mehr als ausgleichen.
Obgleich in einem gewissen Sinne des Worts Silber
immer viel wohlfeiler gewesen ist und wahrscheinlich
auch stets viel wohlfeiler bleiben wird, als Gold, so
kann man doch in einem anderen Sinne violleicht sagen,
daß das Gold bei dem jetzigen Zustande des spanischen
Marktes etwas wohlfeiler ist, als das Silber. Man kann
eine Waie nicht nur nach der absoluten Höhe oder
Niedrigfkeit ihres üblichen Preises teuer oder wohlfeil
■"'•) Siehe: Ruddimans Vorrede zu Andersons Diplomata Scotiae.
Kap. XI.: Wertverhältnis zwischen Gold und Silber. 295
nennen, sondern auch, je nachdem dieser Preis mehr
oder weniger über dem niedrigsten Preise steht, zu dem
sie sich eine längere Zeit hindurch auf den Markt bringen
\siQt. Dieser niedrigste Preis ist derjenige, der nur eben
mit mäßigem Gewinn das Kapital wieder ersetzt, das
man dazu verwendete, sie dahin zu bringen. Es ist der
Preis, der für den Grundbesitzer Nichts abwirft, von
dem die Rente keinen Bestandteil ausmacht, sondern
der nur in Arbeitslohn und Gewinn besteht. Nun ist
bei dem jetzigen Zustande des spanischen Marktes das
Gold gewiß diesem niedrigen Preise etwas näher als das
Silber. Die Abgabe an den König von Spanien macht
beim Gold den zwanzigsten Teil vom reinen Metall oder
fünf Prozent, beim Silber aber den zehnten Teil oder
zehn Prozent aus. Auch besteht, wie bereits bemerkt,
in diesen Abgaben die ganze Rente der meisten Gold-
und Silberminen des spanischen Amerikas, und die Ab-
gabe für Gold geht noch schlechter ein, als die für
Silber. Nicht minder dürften die Gewinne der Unter-
nehmer von Goldminen, die weit seltener viel dabei
verdienen, in der Regel noch mäßiger sein, als die der
Unternehmer von Silberbergwerken. Mithin muß der
Preis des spanischen Goldes, da^s sowohl weniger Rente
wie weniger Gewinn abwirft, auf dem spanischen Markte
dem niedrigsten Preise, zu dem es dahin geschafft werden
kann, etwas näher stehen, als der Preis des spanischen
Silbers. Rechnet man alle Kosten zusammen, so kann
anscheinend die Gesamtmenge des ersteren Metalls dort
nicht so vorteilhaft abgesetzt werden, als die Gesamt-
menge des anderen. Die Abgabe auf das brasilianische
Gold an den König von Portugal beträgt ebensoviel
wie die frühere Abgabe auf das mexikanische und peru-
anische Silber an den König von Spanien, d. h. den
fünften Teil des reinen Metalls. Man kann daher be-
zweifeln, ob die ganze Masse des amerikanischen Goldes
296 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Ai-beit.
ZU einer dem niedrigsten näher stehenden Preise auf
den allgemeinen europäischen Markt kommt, als die
ganze Masse des amerikanischen Silbers.
Der Preis der Diamanten und anderer Edelsteine
kommt vielleicht dem niedrigstmöglichen noch näher,
als der Preis des Goldes.
Obgleich es nicht sehr wahrscheinlich ist, daß von
einer Abgabe, die nicht nur ein sehr geeignetes Steuer-
objekt, nämlich eine Sache lediglich des Luxus und Über-
flusses trifft, sondern auch eine so bedeutende Ein-
nahme gewährt, wie die Abgabe auf Silber, etwas nach-
gelassen werden wird, so lange sie überhaupt bezahlt
werden kann — so kann doch die gleiche Unmöglich-
keit, sie zu zahlen, die 1736 zur Herabsetzung von
einem Fünftel auf ein Zehntel nötigte, mit der Zeit
noch weitere Minderungen erzwingen, gerade so, wie
man die Abgabe für Gold auf ein Zwanzigstel herab-
setzen mußte. Daß der Abbau der Silberminen des
spanischen Amerika, wie der aller anderen Minen, durch
die Notwendigkeit, die Schachte immer tiefer zu führen,
und wegen der größeren Kosten, das "Wasser aus den
Tiefen heraus- und frische Luft hineinzubringen, immer
teurer wird, ist von i^len anerkannt, die den Zustand
jener Minen kennen.
Diese Ursachen, die einer zunehmenden Seltenheit
des Silbers gleichkommen (denn eine Ware wird selte-
ner, wenn es schwieriger und kostspieliger wird, eine
gewisse Menge von ihr zusammen zu bringen), müssen
mit der Zeit zu einer der drei nachstehenden Eventu-
alitäten führen. Die Erhöhung der Kosten muß ent-
weder, erstens durch eine verhältnismäßige Erhöhung
im Preise des Metalls, oder zweitens durch eine ver-
hältnismäßige Verringerung der Abgabe auf Silber,
oder drittens teils durch das eine, teils durch das andere
dieser beiden Auskunftsmittel vollständig ausgeglichen
Kap. XI.: Wertverhältnis zwischen Gold und Silber. 297
werden. Diese dritte Folge hat die größte Wahrschein-
lichkeit für sich. Wie der Goldpreis im Verhältnis zum
Silberpreis trotz der großen Verringerung der Abgabe
auf Gold stieg, so kann der Silberpreis im Verhältnis
zu Arbeit und Waren trotz einer gleichen Verringe-
rung der Abgabe auf Silber steigen.
Solche allmähliche Ermäßigungen der Abgabe
können zwar das Steigen des Silberwertes auf dem eu-
ropäischen Markte nicht gänzlich verhindern, aber jeden-
falls es mehr oder weniger verzögern. Infolge dieser
Ermäßigungen können manche Minen in Angriff ge-
nommen werden, die früher wegen der hohen Steuer
nicht abgebaut werden konnten, und die Menge des
jährlich auf den Markt gebrachten Silbers wird dann
etwas größer, und daher auch der Wert einer gege-
benen Menge etwas geringer sein, als es sonst der Fall
sein würde. Infolge der Steuerermäßigung im Jahre
1736 ist der Wert des Silbers auf dem europäischen
Markte, wenn auch nicht niedriger als vorher, doch
wahrscheinlich um zehn Prozent niedriger, als er sein
würde, wenn der spanische Hof die frühere Abgabe
weiter erhoben hätte.
Daß trotz dieser Ermäßigung der Wert des Silbers
im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts auf dem
europäischen Markte etwas zu steigen begonnen habe,
lassen mich die oben angeführten Tatsachen und Be-
weise glauben oder besser mutmaßen, denn die Meinung,
die ich mir über diesen Gegenstand bilden kann, ver-
dient wohl kaum den Namen des Glaubens. In der
Tat ist die Steigerung, wenn sie überhaupt stattge-
funden hat, bisher so gering gewesen, daß es nach
allem Gesagten wohl noch manchem ungewiß erschei-
nen mag, ob sie stattgefunden hat, oder ob das Gegen-
teil der Fall ist und der Wert des Silbers auf dem
europäischen Markte noch immer sinkt.
298 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Es muß übrigens bemerkt werden, daß einmal ein
Punkt eintreten muß, wo die jährliche Einfuhr von Gold
und Silber, mag sie betragen, wie viel sie will, dem jähr-
lichen Verbrauch dieser Metalle gleichkommt. Ihr Ver-
brauch muß mit ihrer Masse, oder vielleicht sogar in
einem noch größeren Verhältnis zunehmen. Je nachdem
ihre Masse zunimmt, vermindert sich ihr Wert. Sie
kommen in allgemeineren Grebrauch und werden weniger
in Acht genommen, und so wächst ihr Verbrauch mehr,
als ihre Masse. Mithin muß nach einer bestimmten
Zeit der jährliche Verbrauch der jährlichen Einfuhr
gleichkommen, falls nicht etwa die Einfuhr beständig
zunimmt, was heutzutage nicht anzunehmen ist.
Sollte, wenn der jährliche Verbrauch der jähr-
lichen Einfuhr gleichgekommen ist, die letztere sich
allmählich vermindern, so kann der Jahresverbrauch
eine Zeitlang die Jahreseinfuhr übersteigen. Die
Masse dieser Metalle kann sich allmählich und un-
merklich vermindern, und ihr Wert allmählich und
unmerklich steigen, bis die jährliche Einfuhr stillsteht,
und der Verbrauch sich der Einfuhr anpaßt.
Gründe für die Vermutung, daß der Wert des Silbers
noch immer sinkt.
Die Zunahme des Reichtums in Europa und die
herschende Ansicht, daß je mehr die Menge der edlen
Metalle mit dem zunehmenden Reichtum wachse, sich
ihr Wert vermindere, mag viele dem Grlauben geneigt
machen, daß ihr Wert auf dem europäischen Markte
noch immer sinke, und in dieser Meinung muß der
allmählich noch immer steigende Preis vieler Roh-
produkte des Bodens bestärken.
Daß die aus der Zunahme des Reichtums ent-
springende Zunahme in der Menge der edlen Metalle
Kap. XI.: Verschiedene Wirkungen d. Fort.schritt.s d. Kultur. 299
nicht die Wirkung hat, ihren Wert zu verringern, habe
ich bereits gezeigt. Gold und Silber fließen naturgemäß
in die reichen Länder, aus demselben Grunde, aus dem
alle Arten von Luxusartikeln dahin strömen; nicht
weil sie wohlfeiler sind, als in ärmeren Ländern, son-
dern weil sie teurer sind, und ein besserer Preis dafür
bezahlt wird. Es ist der höhere Preis, der sie anzieht,
und sobald dieser aufhört, hören auch sie notwendig
auf, dahin zu gehen.
Ich habe bereits gezeigt, daß mit Ausnahme dos
Getreides und anderer lediglich durch den menschlichen
Fleiß hervorgebrachter Gewächse, alle übrigen Arten
von Rohprodukten, wie Vieh, Geflügel, Wildpret aller
Art, die nützlichen Fossilien und Mineralien der Erde
usw. in dem Grade teurer werden, wie die Gesell-
schaft an Reichtum zunimmt. Obgleich nun solche
Waren eine größere Silbermenge gelten als früher,
so folgt daraus doch nicht, daß das Silber wirklich
wohlfeiler geworden ist und weniger Arbeit als früher
kaufen kann, sondern nur, daß jene Waren teurer
geworden sind und mehr Arbeit als früher kaufen.
Nicht bloß ihr nomineller, sondern auch ihr wirklicher
Preis steigt mit dem Fortschritt der Kultur. Das
Steigen ihres Nominalpreises ist nicht die Wirkung
einer Verringerung des Silberwerts, sondern die der
Zunahme ihres wirklichen Preises.
Verschiedene Wirkungen des Fortschritts der Kultur auf
drei verschiedene Arten von Rohprodukten.
Die verschiedenen Arten von Rohprodukten lassen
sich in drei Klassen teilen. Die erste begreift die-
jenigen in sich, deren Vermehrung durch menschlichen
Fleiß nicht zu bewirken ist; die zweite die, die sich
300 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
durch Fleiß je nach der Nachfrage vermehren lassen;
die dritte die, bei denen die Wirksamkeit des Fleißes
beschränkt oder ungewiß ist. Mit dem Fortschreiten
des Reichtums und der Kultur kann der wirkliche
Preis der ersteren auf eine übertriebene Höhe steigen,
und scheint durch keine bestimmte Grenze beschränkt
zu sein. Die Produkte der zweiten Klasse können
zwar sehr hoch steigen, allein es ist eine bestimmte
Grenze vorhanden, über die sie nicht lange Zeit hin-
ausgehen können. Die der dritten Klasse haben zwar
auch die natürliche Neigung, bei fortschreitender
Kultur zu steigen, doch können sie bei demselben
Grade der Kultur auch im Preise sinken oder auf
demselben Punkte bleiben oder mehr oder weniger
steigen, je nachdem diese oder jene Zufälligkeiten die
auf Vervielfältigung dieser Art von Rohprodukten ge-
richteten Anstrengungen des menschlichen Fleißes
mehr oder weniger begünstigen.
Erste Art.
Die erste Art von Rohprodukten, deren Preis bei
fortschreitender Kultur steigt, ist diejenige, die sich
durch menschlichen Fleiß kaum irgendwie vermehren
läßt. Sie besteht in den Dingen, die die Natur nur
in bestimmten Mengen hervorbringt, und die man
wegen ihrer leichtes Verderben befördernden Eigen-
schaften nicht Jahre lang aufsammeln kann; so die
meisten seltenen Vögel und Fische, viele Sorten Wild-
pret, fast alles wilde Geflügel, insbesondere alle Zug-
vögel und viele andere Dinge. Wenn der Reichtum
und der damit verbundene Luxus zunimmt, nimmt
voraassichtlich auch die Nachfrage nach ihnen zu; aber
keine Anstrengung menschlichen Fleißes kann viel mehr
davon herbeischaffen, als schon vor Steigerung der Nach-
frage davon vorhanden war. Wenn nun die Menge
Kap. XI.: Verscliieclene Wirkiino-en rl Fortschritts d. Kultur. 301
solcher "Waren so ziemlich dieselbe bleibt, während der
Wettbewerb der Käufer stets zunimmt, so kann ihr Preis
eine außerordentliche Höhe erreichen und scheint an
keine bestimmte Grenze gebunden zu sein. Wenn
Schnepfen von den Vornehmen auch so sehr gesucht
würden, daß man das Stück mit zwanzig Guineen be-
zahlte, so wäre doch keine menschliche Anstrengung
im stände, die gegenwärtig auf den Markt kommende
Zahl bedeutend zu vermehren. Auf diese Weise läßt
sich der hohe Preis, den die Römer in den Zeiten ihres
höchsten Glanzes für seltene Vögel und Fische bezahlten,
leicht erklären. Diese Preise waren nicht die Wirkun-
gen des niedrigen Silberwertes in jenen Zeiten, sondern
des hohen Wertes solcher Seltenheiten und Liebhabe-
reien, die menschlicher Fleiß nicht nach Belieben ver-
mehren konnte. Der wirkliche Wert des Silbers war
in Rom einige Zeit vor und nach dem Untergange der
Republik höher, als er gegenwärtig im größten Teil
Europas ist. Drei Sestertien, etwa sechs Pence Ster-
ling, waren der Preis, den die Republik für den Modius
oder Peck des sizilianischen Zehnten Weizens zahlte.
Doch blieb dieser Preis wahrscheinlich hinter dem durch-
schnittlichen Marktpreise zurück, da die Verpflichtung,
ihren Weizen zu diesem Satze zu liefern, als ein den
sizilianischen Landwirten auferlegter Tribut betrachtet
wurde, und wenn die Römer mehr Getreide kommen
lassen mußten, als der Zehnte betrug, so waren sie ver-
tragsmäßig verpflichtet, für den Überschuß den Satz
von vier Sestertien oder 8 Pence Sterling per Peck zu
zahlen. Dieser Preis, der wahrscheinlich als mäßig und
billig, d. h. als durchschnittlicher Kontraktpreis galt,
ist etwa so viel wie 21 Schilling für den Quarter.
28 Schilling für den Quarter waren vor den letzten
schlechten Erntejahren der gewöhnliche Kontiaktpreis
für den englischen Weizen, der dem sizilianischen an
302 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Güte nachsteht und auf dem europäischen Markte in
der Regel schlechter bezahlt wird. Der Silberwert muß
sich also zu dem heutigen wie drei zu vier verhalten
haben, d. h. für drei Unzen Silber mußte damals die
nämliche Quantität Arbeit und Waren zu kaufen sein,
als jetzt für vier Unzen. Wenn wir daher im Plinius
lesen, daß Sejus"*') eine weiße Nachtigall als ein Ge-
schenk für die Kaiserin Agrippina für 6000 Sestertien,
etwa 50 Pfund unseres Geldes, und Asinius Celer'''*)
eine Meerbarbe für 8000 Sestertien, etwa £ 66. 13 sh.
4 d. unseres Geldes, kaufte, erscheinen uns diese Preise,
so sehr wir über ihre außerordentliche Höhe staunen,
doch noch um ein Drittel mäßiger, als sie wirklich
waren. Ihr wirklicher Preis, die Menge von Arbeit und
Lebensmitteln, die dafür gegeben wurde, betrug etwa
ein Drittel mehr, als ihr Nominalpreis uns jetzt an-
deutet. Sejus gab für die Nachtigall soviel an Arbeit
und Lebensmitteln, wie gegenwärtig £ 66. 13 sh. 4 d.,
und Asinius Celer für die Meerbarbe soviel wie jetzt
£ 88. 17 sh. 9 d. kaufen würden. Die außerordentliche
Höhe dieser Preise wurde nicht sowohl durch den Über-
fluß an Silber, als durch den Überfluß an Arbeit und
Lebensmitteln veranlaßt, die jenen Römern über den
eigenen Bedarf zur Verfügung standen. Die ihnen zu
Gebote stehende Menge Silber war um vieles geringer,
als die, welche sie sich heute durch die Verfügung
über eine gleiche Menge von Arbeit und Lebensmitteln
würden verschaffen können.
Zweite Art.
Die zweite Art von Rohprodukten, deren Preis
mit der fortschreitenden Kultur steigt, ist die, welche
menschlicher Fleiß je nach der Nachfrage vervielfäl-
tigen kann. Sie besteht in jenen nützlichen Pflanzen
*) Lib. X. c. 29. — *•) Lib. IX. c. 17.
Kap. XT.: Verschiedene Wirkun,£>'en d. Fortschritts d. Tvultiir. 303
und Tieren, die die Natur in unkultivierten Ländern
in so verschwenderischer Fülle hervorbringt, daß sie
nur wenig oder gar keinen Wert haben, und welche
darum mit dem Fortschritt des Bodenanbaues anderen
einträglicheren Erzeugnissen Platz machen müssen.
Während einer langen Periode fortschreitender Kultur
vermindert sich stetig ihre Menge, während gleichzeitig
die Nachfrage nach ihnen fortwährend zunimmt. Ihr
wirklicher Wert, die wirkliche Arbeitsmenge, die dafür
zu haben ist, steigt daher allmählich, bis er zuletzt auf
einem Punkte anlangt, wo ihre Produktion ebenso ge-
winnbringend wird, wie die irgend einer anderen
Sache, die menschlicher Fleiß dem fruchtbarsten und
bestkultivierten Lande abgewinnen kann. Über diesen
Punkt hinaus kann der Preis nicht wohl steigen, da
sonst bald mehr Land und Fleiß auf Vermehrung der
Menge verwendet werden würde.
Steigt z. B. der Preis des Viehs so hoch, daß es
ebenso gewinnreich ist, auf dem Boden Nahrung für
Vieh, als für den Menschen zu ziehen, so kann er
nicht wohl höher gehen, weil sonst bald mehr Getreide-
land zu Weide gemacht werden würde. Die Ausdehnung
der Acker Wirtschaft verringert einerseits den Umfang
des wilden Weidelandes und dadurch die Menge des
Fleisches, die das Land ohne Arbeit und Anbau von
selbst hervorbringt, und vermehrt andererseits die Zahl
und Nachfrage derer, die Getreide, oder, was auf das-
selbe hinauskommt, den Preis des Getreides dafür in
Tausch zu geben haben. Der Preis des Fleisches, und
folglich auch der des Viehs muß daher immer mehr
und soweit steigen, bis es ebenso gewinnbringend wird,
das fruchtbarste und bestkultivierte Land zur Er-
zeugung von Viehfutter als zum Getreidebau zu be-
nutzen. Doch kann der Ackerbau erst bei weit fort-
geschrittener Kultur derart ausgedehnt werden, daß
der Preis des Viehs auf diese Höhe kommt, und bis
304 Erstes Buch: Zunahme, in der Ertragskraft der Arbeit.
es dahin gekommen ist, muß sein Preis, wenn das Land
überhaupt fortschreitet, beständig steigen. Es mag
Gegenden in Europa geben, wo der Preis des Viehs
noch nicht so hoch gestiegen ist. In Schottland war er
vor der Union nirgends so hoch, und wäre das Vieh
immer auf den schottischen Markt beschränkt geblieben,
so dürfte hier, wo der zu nichts anderem als zur Vieh-
weide brauchbare Boden im Verhältnis zu dem, der
sich zu anderen Zwecken eignet, so groß ist, der Preis
des Viehs wohl schwerlich so hoch gestiegen sein, um
den Futterbau gewinnreich zu machen. In England
scheint, wie bereits bemerkt, der Preis des Viehs in der
Nähe von London jene Höhe im Anfange des vorigen
Jahrhunderts erreicht zu haben ; erst viel später erreichte
er sie in den meisten entlegneren Gegenden, und in
manchen von ihnen mag er sie wohl heute noch nicht
erreicht haben. Doch ist von allen zur zweiten Art
gehörigen Rohprodukten das Vieh wohl dasjenige,
dessen Preis bei fortschreitender Kultur zuerst auf
diese Höhe steigt.
In der Tat scheint es kaum möglich, daß, bevor
der Preis des Viehs diese Höhe erreicht hat, der größte
Teil selbst des der höchsten Kultur fähigen Bodens
vollständig kultiviert sein kann. Auf allen Gütern, die
zu weit von einer Stadt entfernt sind, als daß aus ihr
Dünger dahin gebracht werden könnte, d. h. auf den
meisten Gütern eines ausgedehnten Landes muß die
Menge des gutangebauten Bodens sich nach der Menge
des Düngers richten, den das Gut selbst hervorbringt,
und diese wiederum hängt von dem Viehstande des
Gutes ab. Der Boden wird entweder durch das auf ihm
weidende Vieh oder dadurch gedüngt, daß man das Vieh
im Stalle füttert und den Mist auf das Land schafft.
Wenn aber der Preis des Viehs nicht hoch genug ist,
um die Rente und den Gewinn kultivierten Bodens
zu bezahlen, so kann der Landwirt es nicht auf ihm
Kap. XT.: Verschiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kultur. 305
weiden lassen und noch viel weniger es im Stalle füt-
tern. Nur mit den Erzeugnissen eines hoch kultivierten
Bodens kann das Vieh im Stalle gefüttert werden, weil
es zu viel Arbeit erfordern und zu kostspielig sein
würde, die spärlichen und vereinzelten Produkte unan-
gebauten Ödlandes zu sammeln. Wenn daher der Preis
des Viehs nicht hinreicht, die Erzeugnisse des ange-
bauten Bodens zu bezahlen, auf dem es weidet, so wird
jener Preis noch weniger hinreichen, diese Erzeugnisse
zu bezahlen, wenn sie überdies mit vieler Mühe ge-
sammelt und in den Stall gebracht werden müssen.
Unter diesen Umständen kann deshalb nicht mehr Vieh
gewinnbringend im Stalle gefüttert werden, als zur
Bestellung nötig ist. Diese Anzahl aber kann niemals
genug Dünger geben, um alles kulturfähige Land fort-
während in gutem Stande zu erhalten. Da der so ge-
lieferte Dünger für das ganze Gut unzureichend ist,
so wird er für den Boden bewahrt, auf dem or am
vorteilhaftesten und passendsten verwendet werden
kann, nämlich auf dem fruchtbarsten oder etwa auf
dem unmittelbar um den Pachthof liegenden Boden.
Dieser wird mithin beständig in gutem Stande und an-
baufähig erhalten, während man den übrigen größten-
teils brach liegen läßt, so daß er nur etwas spärliche
Weide für ein paar vereinzelt grasende, halb verhun-
gerte Stücke Vieh abwirft. So besitzt das Gut, obwohl
mit einem zu seiner vollständigen Bestellung nicht
zulänglichen Viehstande versehen, dennoch oft im Ver-
hältnis zu seiner dermaligen Produktion zu viel Vieh.
Ein Teil dieses Brachlandes kann jedoch, nachdem es
in dieser elenden Manier sechs oder sieben Jahre lang
abgeweidet worden ist, umgeackert werden, um dann
vielleicht ein oder zwei ärmliche Ernten schlechten
Hafers oder einer anderen groben Getreideart zu lie-
fern, wonach es gänzlich erschöpft wieder ausruhen
Adam Smith, Volkswohlstand. I. -i-O
306 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
und abgeweidet werden muß; dann wird ein anderer
Teil umgepflügt, um seinerseits auf dieselbe Weise er-
schöpft zu werden und wieder brach liegen zu bleiben.
So war das Wirtschaftssystem im ganzen schottischen
Tieflande vor der Union beschaffen. Der jahraus jahr-
ein wohlgedüngte und in gutem Stande erhaltene Boden
machte selten mehr aus, als den dritten oder vierten
Teil des ganzen Gutes, mitunter aber nicht einmal den
fünften oder sechsten Teil; der Rest wurde niemals
gedüngt, sondern nur immer ein gewisser Teil davon
abwechselnd geackert und erschöpft. Bei diesem Wirt-
schaftssystem konnte offenbar selbst der anbaufähige
Teil des schottischen Bodens im Verhältnis zu seiner
Ertragsfähigkeit nur wenig hervorbringen. So unvor-
teilhaft aber auch dies System erscheinen mag, so
machte doch der niedrige Preis des Viehs vor der Union
dasselbe beinah unvermeidlich. Wenn es auch jetzt
noch trotz der bedeutend höheren Viehpreise in einem
großen Teil des Landes vorherrscht, so ist dies an
vielen Orten ohne Zweifel der Unwissenheit und der
Anhänglichkeit an alte Gewohnheiten zuzuschreiben,
meistens aber den unvermeidlichen Hindernissen, die der
natürliche Gang der Dinge der sofortigen Einführung
eines besseren Systems entgegensetzt: nämlich erstens
der Armut der Pächter oder dem Umstände, daß sie
noch nicht Zeit hatten, sich einen für die vollständigere
Bestellung zulänglichen Viehstand anzuschaffen, da
dieselbe Preiserhöhung, die die Unterhaltung eines
größeren Viehstandes für sie vorteilhaft machen würde,
auch wieder seine Anschaffung erschwert; zweitens dem
Umstände, daß sie, falls sie ihn anschaffen konnten,
noch nicht Zeit hatten, ihre Ländereien auf die Unter-
haltung eines größeren Viehstandes ordentlich einzu-
richten. Die Vermehrung des Viehstandes und die Ver-
besserung des Bodens müssen Hand in Hand gehen, und
Kap. XL: A'ersrhiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kiütiir. 397
das eine kann niemals dem anderen weit vorauseilen.
Ohne eine Verbesserung des Bodens ist eine Zunahme
des Viehstandes kaum möglich, und eine beträchtliche
Zunahme des Viehstandes kann nur infolge einer be-
deutenden Bodenverbesserung eintreten, weil sonst der
Boden dem Vieh keinen Unterhalt gewähren könnte.
Diese natüi'lichen Hindernisse der Einführung eines
besseren Systems lassen sich nur durch eine lange fort-
gesetzte Sparsamkeit und Arbeitsamkeit entfernen, und
es dürfte ein halbes oder vielleicht ein Jahrhundert
vergehen, bis das allmählich verschwindende frühere
System in allen Teilen des Landes vollständig abge-
schafft sein kann. Unter allen kommerziellen Vorteilen,
die Schottland aus der Union mit England gezogen
hat, ist jedoch diese Erhöhung des Viehpreises wohl
der größte: sie hat nicht nur den Wert aller Hoch-
landgüter gesteigert, sondern ist wohl auch die Haupt-
ursache der verbesserten Kultur des Tieflandes.
In allen neuen Kolonien vermehrt sich in Folge
der großen Menge öden Landes, das viele Jahre lang
nur zur Viehweide benutzt werden kann, das Vieh bald
außerordentlich, und große Wohlfeilheit ist in allen
Dingen eine notwendige Folge des Überflußes. Ob-
gleich alles Vieh der europäischen Kolonien in Ame-
rika ursprünglich von Europa dahin gebracht wurde,
so vermehrte es sich doch bald so sehr und ward so
wertlos, daß man selbst die Pferde wild in den Wäldern
umherlaufen ließ, und ihr Besitzer es nicht der Mühe
für wert hielt, sie für sich zu beanspruchen. Erst
lange nach der ersten Ansiedelung kann es Gewinn
bringen, mit den Produkten kultivierten Landes Vieh
zu mästen. Die gleichen Ursachen nämlich der Mangel
an Dünger und das Mißverhältnis zwischen dem zur
Bestellung verwendeten Kapital und dem Boden, zu
dessen Bestellung es bestimmt ist, führen daher dort
20*
308 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
ZU einem, dem noch heute in vielen Teilen Schottlands
bestehenden, nicht unähnlichen Wirtschaftssystem. Der
schwedische Reisende Kalm bemerkt daher in seinem
Bericht über die Landwirtschaft einiger englischer Ko-
lonien in Amerika, wie er sie 1749 fand, daß er dort
den Charakter der in allen Zweigen der Landwirtschaft
so weit vorgeschrittenen englischen Nation kaum
wiederzuerkennen vermochte. Die Getreidefelder, sagt
er, düngt man dort kaum; ist ein Stück Land durch
mehrere auf einander folgende Ernten erschöpft, so
lichtet und kultiviert man ein anderes Stück Land,
und wenn auch dieses erschöpft ist, macht man sich
an ein drittes. Das Vieh läßt man in den Wäldern
und auf sonstigem unangebauten Boden umherlaufen,
wo es halb verhungert; denn der Graswuchs ist längst
beinahe vernichtet, weil man es vorzeitig im Frühling
abmähte, ehe es Blüten treiben und Samen ausstreuen
konnte. Die einjährigen Gräser waren, wie es scheint,
in jenem Teile Nordamerikas früher das beste wild-
wachsende Gras, und als die Europäer sich zuerst dort
niederließen, wuchs es sehr dicht, und wurde drei bis
vier Fuß hoch. Ein Stück Wiese, das zu Kalms Zeit
nicht eine einzige Kuh ernähren konnte, ernährte früher,
wie man ihn versicherte, deren vier, die jede vier mal
so viel Milch gaben, als jene eine zu geben imstande
war. Die Armut des AVeidelandes hatte nach seiner
Ansicht die Entartung des von einer Generation zur
andern sichtlich schlechter werdenden Viehs zur Folge.
Vermutlich war es jener verkümmerten Race ähnlich,
die vor dreißig bis vierzig Jahren in ganz Schottland
gewöhnlich war, und die jetzt in dem größeren Teile
des Tieflandes nicht sowohl durch Kreuzung — ob-
wohl hier und da auch dieses Mittel angewandt wurde
— , als durch eine bessere Ernährung so sehr veredelt
worden ist.
Obwohl hiernach der Fortschritt des Anbaus schon
Kap. XI.: Verschieden eWirkun,i>en d. Fortschritts d. Kultur. 309
weit gediehen sein muß, ehe das Vieh einen so hohen
Preis bringen kann, daß die Bestellung des Landes
mit Futterkräutern lohnend wird, so ist doch unter
allen Produkten der zweiten Art Vieh dasjenige, das
wohl zuerst diesen Preis bringt, weil es unmöglich
scheint, daß die Kultur auch nur jenen Grad von Voll-
kommenheit, zu welchem sie in vielen Teilen Europas
gediehen ist, früher erreichen kann.
Wild hingegen bringt wohl jenen Preis zuletzt.
Der Preis des Wildes in Großbritannien, so hoch er
erscheinen mag, ist doch nicht entfernt hinreichend,
die Kosten eines Wildparks einzubringen, wie Allen
bekannt ist, die einige Erfahrung darin haben. Wenn
es anders wäre, so würde die Aufziehung von Wild
sich bald einbürgern, wie bei den alten Römern die
Aufzucht jener kleinen Vögel, Turdi genannt. Varro
und Columella versichern, daß diese Zucht sehr einträg-
lich war. Die Aufzucht der Ortolane, mager ins Land
kommender Zugvögel, soll in einigen Gegenden Frank-
reichs mit Vorteil betrieben werden. Wenn das Wild-
pret Modeartikel bleibt, und der Reichtum und Luxus
Großbritanniens so weiter wächst, wie es seit einiger
Zeit der Fall ist, so kann sein Preis recht wohl noch
höher steigen.
Zwischen der Periode des Fortschritts der Boden-
kultur, die den Preis eines so notwendigen Artikels,
wie Nutzvieh, und derjenigen, die. den Preis eines so
überflüssigen Artikels, wie Wild, auf seinen Höhepunkt
bringt, ist ein langer Zwischenraum, in dessen Verlauf
allmählich viele andere Arten von Rohprodukten, die
einen je nach Umständen früher, die anderen später,
ihren höchsten Preis erreichen.
So pflegt auf jedem Gute von den Abgängen aus
Scheunen und Ställen eine gewisse Anzahl Geflügel
erhalten zu werden, das, da es sich von sonst ver-
310 Erstes Buch: Zunahme in der Ei'tragski'aft der Arbeit.
loren gehenden Abfällen nährt, eine reine Ersparnis
darstellt, und, da es den Landmann kaum etwas kostet,
von ihm um ein Geringes verkauft weiden kann. Bei-
naho alles, was er dafür erhält, ist reiner Growinn,
und der Preis kann kaum so niedrig werden, um ihn
von der Aufzucht jener Anzahl abzuhalten. In schlecht
bebauten und darum auch nur dünnbevölkerten Ländern
ist das so ohne Kosten aufgezogene Geflügel oft in
ausreichender Menge vorhanden, um die ganze Nach-
frage zu befriedigen. Bei diesem Stande der Dinge ist
es oft so wohlfeil wie Fleisch von Schlachtvieh oder
irgend eine andere Art tierischer Nahrung. Allein die
ganze Menge von Federvieh, welche das Gut auf
diese Weise ohne Kosten hervorbringt, muß immer
viel geringer sein, als die Gesamtmenge des Fleisches,
das auf ihm gewonnen wird; und in Zeiten des Reich-
tums und des Luxus wird immer das Seltene, wenn
es nur ungefähr ebenso gut ist, dem Gewöhnlichen
vorgezogen. Wenn daher Reichtum und Luxus infolge
höherer Kultur zunehmen, so steigt der Preis des Feder-
viehs allmählich über den des Schlachtviehes, bis er
zuletzt den Punkt erreicht, wo es lohnend wird, auch
zur Aufzucht von Geflügel Land zu bestellen. Über
diese Höhe jedoch kann der Preis nicht wohl steigen,
weil sonst bald mehr Land für diesen Zweck bestimmt
werden würde. In einigen französischen Provinzen wiixl
die Geflügelzucht als ein sehr wichtiger Artikel der
Landwirtschaft und als vorteilhaft genug angesehen,
um den Landmann zur Anpflanzung einer großen
Menge Mais und Buchweizen zu diesem Zwecke zu
veranlassen. Ein mittlerer Bauer hat dort manchmal
400 Stück Federvieh auf seinem Hofe. In England
scheint man der Geflügelzucht noch nicht diese Wichtig-
keit beizulegen, und doch ist hier Geflügel teurer, als
in Frankreich, von wo eine große Zufuhr erfolgt. Bei
Kap. XL: Verschiedene Wirkunp,'en d. Fortschritts d. Kultur. 311
fortschreitender Kultur mulj der Zeitpunkt, wo jede
Gattung tierischer Nahrung ihren höchsten Preis er-
reicht, eintreten, unmittelbar bevor es allgemeinere
ßegel wird, den Boden mit Yiehfutter zu bestellen.
Ehe dies allgemein wird, muß der Mangel eine Zeit-
lang den Preis steigern; später aber werden gewöhnlich
neue Fütterungsmethoden ersonnen, die den Landmann
instand setzen, auf einer gleichen Fläche Landes eine
weit größere Menge tierischer Nahrung zu erzeugen.
Die große Menge zwingt ihn dann nicht nur wohlfeiler
zu verkaufen, sondern jene Verbesserungen setzen ihn
auch instand, es zu können; denn könnte er es nicht,
so würde es mit der großen Menge nicht lange dauern.
Wahrscheinlich hat auf diese Weise der Anbau des Klees,
der ßüben, der Möhren, des Kohls usw. dazu beige-
tragen, den gewöhnlichen Preis des Schlachtfleisches
auf dem Londoner Markte etwas niedriger zu stellen,
als es zu Anfang des vorigen Jahrhunderts stand.
Das Schwein, das seine Nahrung im Kot findet
und viele Dinge, die andere Nutztiere verschmähen,
gierig verschlingt, wird wie das Geflügel anfänglich
der Ersparnis wegen gehalten. So lange die Zahl solcher
Tiere, die mit wenig oder gar keinen Kosten aufge-
zogen werden können, zur Deckung der Nachfrage hin-
reicht, kommt das von ihnen gewonnene Fleisch zu weit
niedrigerem Preise auf den Markt, als jedes andere.
Wenn aber die Nachfrage größer wird, so daß man
behufs Aufzucht und Mast der Schweine Futter an-
bauen muß, wie für andere Tiere auch, so steigt not-
wendig der Preis und wird höher oder niedriger sein
als der von anderem Fleisch, je nachdem die Natur
des Landes und der Stand seiner Landwirtschaft die
Aufzucht von Schweinen teurer oder billiger macht,
als die anderen Viehes. In Frankreich ist nach Buffon
der Preis des Schweinefleisches ebenso hoch, als der des
312 Ki"«tes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Rindfleisches. In den meisten Gegenden Grroßbritanniens
ist er gegenwärtig etwas höher.
Das starke Steigen im Preise der Schweine und
des Federviehs hat man in Großbritannien häufig der
verringerten Anzahl der Grundbesitzer und kleinen
Häusler zugeschrieben; eine Erscheinung, die in ganz
Europa der unmittelbare Vorläufer besserer landwirt-
schaftlicher Methoden war, und die zu gleicher Zeit
immerhin dazu beigetragen haben mag, den Preis jener
Artikel etwas früher und schneller zum Steigen zu
bringen, als es sonst geschehen sein würde. Wie die
ärmste Familie ohne alle Kosten sich eine Katze oder
einen Hund halten kann, so können sich die ärmsten
Grundbesitzer gewöhnlich mit sehr geringen Koston
etwas Federvieh oder eine Sau und ein Paar Ferkel
halten. Die Abfälle ihres Tisches, Molken, abgerahmte
und Buttermilch liefern für diese Tiere einen Teil der
nötigen Nahrung, und das Übrige finden sie auf den
nahegelegenen Feldern, ohne jemandem merklichen Scha-
den zu tun. Durch Verminderung der Zahl jener kleinen
Besitzer muß daher auch die Menge dieser Art mit weni-
gen oder ohne alle Kosten erzeugten Lebensmittel er-
heblich geringer geworden, und infolge dessen ihr Preis
früher und schneller gestiegen sein, als es sonst ge-
scliehen sein würde. Früher oder später jedoch muß
er bei fortschreitender Kultur auf seinen Höhepunkt,
d. li. auf den Preis kommen, durch welchen die Arbeit
und Kulturkosten des zum Futterbau verwendeten
Bodens ebenso bezahlt werden, wie sie von dem größten
Teil des übrigen angebauten Bodens bezahlt werden.
Auch die Milchwirtschaft wird ursprünglich, wie
das Aufziehen von Schweinen und Federvieh, nur aus
Ersparnis botrieben. Das auf dem Gute unentbehrliche
Vieh bi'ingt mehr Milch hervor, als die Aufzucht der
Jungen oder der Verbrauch der Gutsfamilie erfordert.
Kap. XL: Verschiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kultur. 313
und in einer bestimmten Jahreszeit liefert es davon
besonders viel. Nun ist aber von allen Produkten der
Landwirtschaft Milch wohl dasjenige, das sich am
wenigsten hält. In der warmen Jahreszeit, wo ihr Vor-
rat am größten ist, hält sie sich kaum vierundzwanzig
Stunden lang. Macht der Landmann frische Butter
daraus, so kann er einen kleinen Teil eine Woche lang,
macht er gesalzene Butter, ein Jahr lang, und macht
er Käse daraus, so kann er einen viel größeren Teil
mehrere Jahre lang aufbewahren. Einiges davon ge-
braucht er für seine eigene Familie; das Übrige kommt
auf den Markt, um dort den besten Preis zu erzielen,
der zu erhalten ist, und der kaum so niedrig sein kann,
daß er den Landmann abhält, alles hinzuschicken, was
seine eigene Familie nicht gebraucht. Ist der Preis sehr
niedrig, so wird er seine Milchkammer vielleicht in
liederlichem und schmutzigem Stande halten und es
kaum der Mühe wert erachten, einen eigenen Raum
oder Bau zu diesem Zwecke zu bestimmen, sondern
er wird das Geschäft mitten im Rauch, Schmutz und
Unrat seiner Küche treiben; wie es auf den meisten
Bauernhöfen Schottlands vor dreißig oder vierzig Jahren
herging, und bei vielen noch heute hergeht. Dieselben
Ursachen, die ein allmähliches Steigen der Fleischpreise
bewirken, nämlich die Zunahme der Nachfrage und die
infolge erhöhter Bodenkultur verringerte Zahl des mit
wenig oder gar keinen Kosten aufgezogenen Viehes,
bewirken auch eine Preissteigerung der Produkte der
Milchwirtschaft, deren Preis mit dem des Fleisches oder
mit den Kosten der Viehzucht natürlich zusammenhängt.
Der steigende Preis macht für mehr Arbeit, Sorgfalt
und Reinlichkeit bezahlt; die Milchwirtschaft wird da-
durch der Aufmerksamkeit des Landmanns würdiger,
und die Qualität ihres Produktes wird allmählich besser.
Schließlich erreicht der Preis eine solche Höhe, daß
314 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
es der Mühe lohnt, einen Teil des fruchtbarsten und
bestkultivierten Landes der Aufzucht von Vieh blos zum
Zwecke der Milchgewinnung zu widmen; doch wenn
er diese Höhe erlangt hat, kann er nicht wohl höher
steigen. Andernfalls würde bald demselben Zwecke
mehr Land gewidmet werden. Im größten Teil Englands,
wo bereits viel gutes Land auf diese Weise benutzt
zu werden pflegt, scheint der Milchpreis diese Höhe
erreicht zu haben; nicht aber in Schottland, wo, mit
Ausnahme der Umgebung einiger großen Städte ge-
wöhnliche Landleute selten viel gutes Land dazu ver-
wenden, um darauf Yiehfutter bloß zum Zwecke der
Milchgewinnung zu erzeugen. Der Preis, so stark er
auch seit wenigen Jahren gestiegen ist, mag dazu doch
noch zu niedrig sein. Die geringe Güte der Milch in
Schottland im Vergleich zu der englischer AVirtschaften
stimmt ganz mit der Niedrigkeit des Preises überein;
doch ist diese geringe Qualität wohl eher die "Wirkung
als die Ursache des niedrigen Preises. Wenn auch die
Beschaffenheit viel besser wäre, so könnte doch, fürchte
ich, unter den gegenwärtigen Verhältnissen des Landes
die meiste auf den Markt gebrachte Milch zu keinem
viel besseren Preise verkauft werden, und der gegen-
wärtige Preis ist wahrscheinlich nicht hoch genug, um
die Kosten für Land und Arbeit zu ersetzen, welche
zur Herstellung einer besseren Qualität erforderlich
sein würden. Im größten Teil Englands wird die
Milchwirtschaft trotz des höheren Preises nicht für
eine einträglichere Bodenverwendung gehalten, als
der Getreidebau oder die Viehzucht, die beiden be-
deutendsten Gegenstände der Landwirtschaft. Im größ-
ten Teile Schottlands kann sie daher selbst nicht ein-
mal so einträglich sein.
In keinem Lande kann offenbar der Boden nicht
eher vollständig kultiviert sein, bis der Preis aller Pro-
Kap. XI.: Verschiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kultur. 315
dukte, die menschlichor Fleiß ihm abgewinnen muß,
so hoch gestiegen ist, um die Kosten einer so voll-
kommenen Kultur zu lohnen. Um dies zu tun, muß
der Preis jedes einzelnen Produkts hini'eichond sein,
erstens um die Rente guten Getreidelandes abzuwerfen,
da sich nach dieser die Rente des meisten übrigen
kultivierten Landes richtet, und zweitens die Arbeit
und die Auslagen des Pächters eben so wie gewöhnlich
bei gutem Getreidelande zu bezahlen, oder mit anderen
Worten, ihm das verwendete Kapital samt den üblichen
Gewinnen zurückzuerstatten. Diese Preissteigerung
jedes einzelnen Produkts muß offenbar der Kultur
des zu seiner Hervorbringung bestimmten Bodens vor-
angehen. Gewinn ist der Zweck aller Verbesserungen,
und sie verdienen diesen Namen nicht, wenn Verluste
aus ihnen erwachsen. Verlust muß aber notwendig
aus einer Kultur entstehen, deren Produkt durch seinen
Preis die Kosten nicht wieder erstatten kann. "Wenn
die vollkommene Kultur des Landes für das Gemein-
wohl, wie nicht bezweifelt werden kann, von höchstem
vSegen ist, so darf man dies Steigen im Preise aller
der verschiedenen Arten von Rohprodukten nicht als
ein öffentliches Unglück, sondern muß es als den
Vorläufer und Begleiter der größten öffentlichen
Wohlfahrt betrachten.
Dies Steigen im nominellen oder Geldpreise aller
der verschiedenen Arten von Rohprodukten ist auch
nicht die Folge einer Entwertung des Silbers, sondern
der Steigerung ihres Sachpreises gewesen. Sie sind
nicht allein eine größere Menge Silber, sondern auch
eine größere Menge Arbeit und Lebensmittel wert ge-
worden, als früher. Da es eine größere Menge Arbeit
und Lebensmittel kostet, sie auf den Markt zu bringen,
so stellen sie auf dem Markte auch eine größere Menge
beider dar, oder sind der Gegenwert einer größeren
Menge.
316 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Dritte Art.
Die dritte und letzte Art von Rohprodukten, deren
Preis bei fortschreitender Kultur naturgemäß steigt,
ist die, bei welcher die Einwirkung menschlichen Fleißes
auf die Vermehrung ihrer Menge beschränkt oder un-
gewiß ist. Obgleich der Sach preis auch dieser Art von
Rohprodukten bei fortschreitender Kultur naturgemäß
zn steigen strebt, so kann es doch, je nach dem Er-
folge der Bemühungen, ihre Menge zu vermehren, vor-
kommen, daß der Preis fällt oder in sehr verschiedenen
Perioden der Entwickelung stehend bleibt oder endlich
daß er in derselben Periode mehr oder weniger steigt.
Es gibt gewisse Arten von Rohprodukten, welche
die Natur gleichsam nur zu Anhängseln anderer ge-
macht hat, so daß die Menge des einen, die das Land
hervorbringen kann, notwendig durch die Menge des
anderen beschränkt wird. So wird z. B. die Mense
von Wolle oder rohen Häuten, die ein Land hervor-
bringen kann, durch die Zahl des Groß- und Klein-
viehs begrenzt, das es zu unterhalten vermag, und
diese Zahl wird ihrerseits durch den Stand der Kultur
und den Charakter des Ackerbaus bestimmt.
Man sollte glauben, daß dieselben Ursachen, die
den Preis des Fleisches bei fortschreitender Kultur
allmählich erhöhen, auf die Preise der Wolle und
rohen Häute die gleiche Wirkung haben und diese
fast in dem nämlichen Maße erhöhen müßten; und so
würde es auch wohl sein, wenn in den ersten An-
fängen der Kultur der Markt für die letzteren Waren
ebenso eng begrenzt wäre, wie für das erstere. Allein
hierin findet gewöhnlich ein ausserordentlicher Unter-
schied statt.
Der Markt für Fleisch ist fast überall auf das
Erzeugungsland beschränkt. Zwar treiben Irland und
Kap. XL: Yerscliicdeno Wirkuni^on d. Fortschritt s d. Kultur. 317
einige Teile des britischen Amerika einen beträcht-
lichen Handel mit gesalzenem Fleisch; aber sie sind
auch, glaube ich, die einzigen Länder in der Handels-
welt, die einen großen Teil ihres Fleisches nach frem-
den Ländern ausführen.
Dagegen ist der Markt für Wolle und rohe Häute
in den ersten Anfängen der Kultur sehr selten auf
das Erzeugungsland beschränkt. Sie können bequem
in ferne Länder geführt werden, die Wolle ohne alle,
die rohen Häute ohne viel vorherige Zurichtung, und
da sie für viele Gewerbe den Rohstoff liefern, so
kann die Industrie andrer Länder eine Nachfrage nach
ihnen veranlassen, wenn auch das Erzeugungsland
selbst keine Nachfrage darbietet.
In schlecht angebauten und darum auch nur dünn
bevölkerten Ländern steht der Preis der Wolle und der
Häute zu dem des ganzen Tiers immer in weit höherem
Verhältnis als in Ländern, wo, bei zunehmender Kultur
und Bevölkerung mehr Nachfrage nach Schlachtfleisch
ist. Hume bemerkt, daß zur Zeit der Angelsachsen das
Vließ auf -/'s des Werts des ganzen Schafes geschätzt
wurde, was weit über das heutige Verhältnis hinaus-
geht. In einigen spanischen Provinzen werden, wüe man
mir versichert, die Schafe oft bloß um des Vließes
und des Talgs willen geschlachtet; den Kadaver läßt
man verfaulen, oder von Tieren und Raubvögeln
fressen. Wenn dies schon in Spanien passiert, so ist es
in Chili, Buenos-Ayres und vielen anderen Teilen des
spanischen Amerika die Regel; und das Hornvieh wird
dort immer nur der Haut und des Talgs wegen ge-
schlachtet. So pflegte es auch auf Haj'ti zu geschehen,
so lange es von den Bukaniern beunruhigt wurde und
bevor die Kultur und Bevölkerung der französischen
Pflanzungen (die sich jetzt fast rund um die westliche
Küste der Insel erstrecken), dem Vieh der Spanier,
318 Erstes Buch: Ziinalime in der Ertragskraft der Arbeit.
die noch die Ostküste, sowie den ganzen inneren ber-
gigen Teil des Landes in Besitz haben, einigen Wert
gegeben hatte.
Obwohl auch der Preis des ganzen Tiers bei fort-
schreitender Kultur und Bevülkerunp; notwendi"; steigt,
so wird doch von dieser Steigerung der Preis des
Fleisches weit mehr berührt, als der der Wolle und
der Haut. Der Markt für Fleisch, der im rohen Zu-
stande der Gesellschaft immer auf das Erzeugungsland
beschränkt ist, dehnt sich je nach der wachsenden Kul-
tur und Bevölkerung des Landes aus; der Markt für
Wolle und Häute aber, der selbst in einem barbarischen
Lande oft die gesamte Handelswelt umfaßt, kann sich
selten in demselben Maßstabe erweitern. Die Lajre der
gesamten Handelswelt kann durch die vermehrte Kultur
eines einzelnen Landes selten stark berührt werden, und
der Markt für jene Waren bleibt nach der Kultur ziem-
lich der nämliche, wie zuvor. Im Laufe der Zeit wird
er sich natürlich etwas erweitern. Namentlich wenn
die Gewerbe, denen jene Waren den Rohstoff liefern,
sich im Lande selbst entwickeln, wird der Markt, wenn
er sich auch nicht bedeutend erweitert, doch der Pro-
duktionsstätte weit näher gebracht, als früher, und der
Preis des Rohstoffs kann sich wenigstens um den Be-
trag erhöhen, den sonst der Transport nach dem Aus-
land gekostet hat. Wenn er daher auch nicht in dem-
selben Maße steigt, wie der Preis des Fleisches, so steigt
er doch etwas, und wird sicher wenigstens nicht fallen.
Dennoch ist in England trotz des blühenden Zu-
standes seiner Wollindustrie, der Preis der englischen
Wolle seit der Zeit Eduards IH. bedeutend gefallen.
Aus vielen urkundlichen Nachrichten geht hervor, daß
unter der Regierung jenes Fürsten (gegen die Mitte
des 14. Jahrhunderts oder um 1339) 10 sh. damaligen
Geldes (nach heutigem Gelde 30 sh.) per Tod (28 Pfund)
Kap. XI.: Verschiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kultur. 319
englischer Wolle als ein mäßiger Preis angeschen
wurde'".) Gegenwärtig können 21 sh. für den Tod als
ein guter Preis für ausgezeichnete englische Wolle an-
gesehen werden. Der Geldpreis der Wolle zur Zeit
Eduards III. verhält sich also zu ihrem heutigen Geld-
preise wie zehn zu sieben. Noch größer ist der Unter-
schied ihres Sachpreises. Nach dem Satze von G sh.
8 d. für den Quarter waren 10 sh. in jener früheren
Zeit der Preis für zwölf Bushel Weizen. Nach dem
Satze von 28 sh. für den Quarter sind 21 sh. gegen-
wärtig nur der Preis von 6 Bushel. Mithin steht das
Verhältnis zwischen dem Sachpreise der früheren und
der neueren Zeit wie zwölf zu sechs oder zwei zu eins.
In jener früheren Zeit würde man für den Tod AVolle
zweimal so viel Lebensmittel und folglich auch zwei-
mal so viel Arbeit gekauft haben, als heute, wenn der
Sachlohn der Arbeit in beiden Perioden der nämliche
gewesen wäre.
Dies Sinken im Sach- und Nominalpreise der Wolle
hätte im gewöhnlichen Laufe der Dinge niemals ein-
treten können, sondern war eine Folge gewaltsamer
und künstlicher Mittel: nämlich erstens des absoluten
Ausfuhrverbots, zweitens der Erlaubnis, Wolle aus
Spanien zollfrei einzuführen, und drittens des Verbots,
sie aus Irland nach irgend einem anderen Lande als
England auszuführen. Durch diese Maßnahmen wurde
der Markt für englische Wolle, statt durch die steigende
Kultur Englands erweitert zu werden, auf den inlän-
dischen Markt beschränkt, wo man die Wolle einiger
anderer Länder mit ihr in Wettbewerb treten läßt, und
die irische zum Wettbewerb mit ihr zwingt. Da außer-
dem die irische Wollindustrie so weit entmutigt wird,
wie es ohne die auffälligste Verletzung der Gorcchtig-
^) Smiths Memoirs of Wool, Vol. I. c. 5, G, 7; Vol. II c. 176.
320 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
keit und Billigkeit nur irgend angeht, so können die
Irländer auch nur einen kleinen Teil ihrer Wolle im
Lande verarbeiten, und sehen sich daher gezwungen,
den größten Teil von ihr nach Großbritannien zu schicken,
dem einzigen Markte, den man ihnen zugesteht.
Ahnliche verbürgte Nachrichten über den Preis
der rohen Häute in früherer Zeit habe ich nicht auf-
zufinden vermocht. Von AVoile wurde im Allgemeinen
dem Könige eine Steuer entrichtet, und ihre Abschät-
zung in den Steuerrollen gibt Aufschluß über ihren
gewöhnlichen Preis. Mit rohen Häuten scheint dies
nicht der Fall gewesen zu sein. Doch gibt uns Fleet-
wood nach einer Berechnung zwischen dem Prior des
Burcester-Klosters in Oxford und einem seiner Kanoniker
den Preis von ihnen im Jahre 1425 wenigstens für
diesen besonderen Fall an, nämlich für fünf Ochsen-
häute 12 sh.; 5 Kuhhäute 7 sh. 3 d.; 36 Häute von
zweijährigen Schafen 9 sh.; 16 Kalbshäute 2 sh. 1425
enthielten 12 sh. etwa dieselbe Silbermenge wie 24 sh.
heute. Eine Ochsenhaut wurde also nach dieser Be-
rechnung auf 4^.5 sh. unseres gegenwärtigen Geldes
angeschlagen. Ihr Nominalpreis war weit niedriger als
gegenwärtig. Nach dem Satze von 6 sh. 8 d. für den
Quarter würden für 12 sh. in jener Zeit 14^ 5 Bushel
Weizen zu haben gewesen sein, die, den Bushel zu
3 sh. 6 d. gerechnet, gegenwärtig 51 sh. 4 d. kosten
würden. Es war also füi' eine Ochsenhaut damals so-
viel Korn zu haben, als gegenwärtig für 10 sh. 3 d.
Soviel betrug mithin ihr Sachpreis. In jener Zeit, wo
das Vieh den größten Teil des Winters hindurch Hun-
ger litt, wird es nicht sonderlich groß gewesen sein.
Gegenwärtig gilt eine Ochsenhaut, die vier Stein ä 16
Pfund wiegt, für nicht schlecht und damals würde sie
wahrscheinlich für sehr gut gegolten haben. Rechnet
man den Stein zu einer halben Krone was gegenwärtig
Kap. Xr.: Verschiedene Wirkungen d. Fortscliritts d. Kultur. 321
(Februar 1773) als der gewöhnliche Preis anzunehmen
ist, so würde eine solche Haut heute nur 10 sh. kosten.
Obgleich daher ihr Nominalpreis gegenwärtig höher
ist, als damals, so ist doch ihr Sachpreis, die Menge
von Lebensmitteln, die man dafür erhalten kann, eher
etwas niedriger. Der Preis der Kuhhäute nach obiger
ßechnung steht so ziemlich im gewöhnlichen Verhält-
nis zu dem der Ochsenhäute. Der der Schafhäute
übersteigt es bedeutend; wahrscheinlich wurden sie
mit der Wolle verkauft. Der Preis der Kalbshäute
dagegen bleibt weit hinter jenem Verhältnis zurück.
In Ländern, in denen der Preis des Viehs sehr niedrig
ist, werden die Kälber, die man nicht zur Vermehrung
der Herde aufzuziehen beabsichtigt, in der Regel sehr
jung geschlachtet, wie dies vor zwanzig oder dreißig
Jahren in Schottland der Fall war; man erspart da-
durch die Milch, deren Preis die Kälber nicht bezahlt
machen würden. Die Häute ganz junger Kälber taugen
aber gewöhnlich nicht viel.
Der Preis der rohen Häute ist dermalen viel nied-
riger, als er vor einigen Jahren war, was wahrschein-
lich daher kommt, daß die Abgabe auf Seehundsfelle
aufgehoben und die zollfreie Einfuhr roher Häute aus
Irland und den Kolonien seit 1769 auf eine begrenzte Zeit
•gestattet ist. Im Durchschnitt des gegenwärtigen Jahr-
hunderts war aber der Sachpreis der rohen Häute
wahrscheinlich etwas höher, als in jener früheren Zeit.
Die Natur der Ware gestattet ihre Ausfuhr nach fernen
Märkten nicht so gut wie Wolle; sie leidet durch Auf-
bewahrung mehr. Gesalzene Häute aber gelten weniger
als frische. Dieser Umstand hat zur Folge, daß der
Preis roher Häute in einem Lande, das sie nicht selbst
verarbeitet, sondern sie ausführen muß, niedrig
steht; wogegen ihr Preis in einem Lande, in dem
sie verarbeitet werden, steigt. In einem unzivilisierton
Adam Smith, Volkswolilstaud. I. ^1
322 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Lande muß der Preis dadurch gedrückt werden, in
einem zivilisierten und gewerbtreibenden Lande da-
gegen steigen; er mußte in früherer Zeit niedrig sein,
in neuerer Zeit sich heben. Überdies ist es unsern Ger-
bern nicht so gut gelungen, wie unsern Tuchmachern,
die Nation zu überzeugen, daß das Wohl des Staats von
dem Gredeihen ihres Grewerbes abhänge, und sie wurden
demgemäß auch viel weniger begünstigt. Allerdings
wurde die Ausfuhr roher Häute verboten und für schäd-
lich erklärt; aber ihre Einfuhr aus fremden Ländern
wurde einem Zolle unterworfen, und wenn auch die Ein-
fuhr aus Irland und den Kolonien zollfrei war — nur
auf die kurze Zeit von fünf Jahren — so wurde Irland
doch für den Verkauf seiner überschüssigen Häute,
d. h. derjenigen, die nicht im Lande verarbeitet werden,
nicht auf den Markt von Großbritannien beschränkt.
Den Kolonien ist es erst seit wenigen Jahren verboten,
ihre Häute nach anderen Ländern als dem Mutter-
lande auszuführen, und der Handel Irlands ist bis
heute mit einer solchen Unterdrückung zu Gunsten
des großbritannischen noch verschont geblieben.
Alle Maßnahmen, die den Preis der Wolle oder
der rohen Häute unter ihr natürliches Niveau drücken,
müssen in einem kultivierten Lande dahin führen, den
Preis des Fleisches zu erhöhen. Der Preis des in einem*
kultivierten Lande gezüchteten Groß- und Kleinviehs
muß hinreichen, um die Rente des Grundeigentümers
und des Pächters angemessen einzubringen. Andern-
falls werden sie bald aufhören, Vieh zu züchten. Der
Teil des Preises, der nicht durch die Wolle und die
Häute gedeckt wird, muß daher durch das Fleisch ge-
deckt werden ; je weniger für die einen, desto mehr
muI3 für das andere bezahlt werden. In welcher Weise
sich dieser Preis auf die verschiedenen Teile des
Tiers verteilt, ist für die Grundeigentümer und Pächter
gleichgültig, wenn er nur herauskommt. Das Interesse
Kap. XL: Verschiedene Wirkung-en d. Fortschritts d. Kultur. 328
der Grundeigentümer und Pächter als solcher kann
daher in einem kultivierten Lande von derartigen Maß-
nahmen nicht sonderlich berührt werden, wenn sie auch
als Verbraucher bei der Preissteigerung der Lebens-
mittel beteiligt sind. Ganz anders verhält es sich da-
gegen in einem unkultivierten Lande, in dem der grüßte
Teil des Bodens nur zur Viehzucht benutzt weiden
kann, und wo Wolle und Häute den wertvollsten Be-
standteil des Viehes ausmachen. Hier wäre durch
solche Maßnahmen ihr- Interesse als Grundeigentümer
und Pächter sehr tief, ihr Interesse als Verbraucher
dagegen sehr wenig berührt. Das Fallen des Preises
von Wolle und Häuten würde den Preis des Fleisches
nicht steigern, weil der meiste Boden des Landes zu
nichts anderem als zur Viehzucht verwendet werden
kann und man daher fortfahren wird, die gleiche Zahl
Vieh zu züchten. Fs käme daher doch wieder die näm-
liche Fleischmenge auf den Markt, und die Nachfrage
würde nicht größer und mithin der Preis nicht höher
sein, als vorher. Der ganze Preis des Viehs aber würde
sinken und mit ihm die Rente und der Gewinn aller der
Ländereien, deren Hauptprodukt Vieh war, d. h. der
meisten Ländereien des Landes. Das fortdauernde Vor-
bot der Wollenausfuhr, das man gewöhnlich, wiewohl
sehr mit Unrecht, Eduard III. zuschreibt, würde unter
den damaligen Umständen des Landes die verderb-
lichste Maßregel gewesen sein, die man hätte ersinnen
können: sie würde nicht nur den damaligen Wert des
meisten Landes im Reiche vermindert, sondern auch
durch Minderung des Preises der wichtigsten Gattung-
Kleinvieh den späteren Fortschritt sehr aufgehalten
haben.
Der Preis der schottischen Wolle sank infolge der
Union in England bedeutend, da sie durch diese von
dem großen europäischen Markte ausgeschlossen und auf
2V'-
824 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
den engen Markt Großbritanniens eingeschränkt wurde.
Hätte nicht das Steigen der Fleischpreise den sinkenden
Preis der Wolle vollkommen ausgeglichen, so würde der
Wert der meisten Ländereien in den hauptsächlich
Schafzucht treibenden südlichen Grafschaften Schott-
lands durch die Union sehr tief berührt worden sein.
Die Einwirkung menschlicher Bemühungen auf die
Vermehrung der Wolle oder der rohen Häute ist einer-
seits, soweit diese Menge von dem Produkt des eigenen
Landes abhängt, beschränkt; andererseits, sofern sie
von dem Produkt anderer Länder abhängt, unsicher. In
letzterer Beziehung hängt jene Einwirkung nicht sowohl
von der Menge, die die fremden Länder hervorbringen,
als von der, die sie nicht verarbeiten, und von den
Beschränkungen ab, die sie der Ausfuhr dieser Art
von Rohprodukten aufzulegen für gut finden. Wie diese
Umstände von allen heimischen Bemühungen durchaus
unabhängig sind, so machen sie notwendig die Wirk-
samkeit aller Bemühungen mehr oder weniger unsicher.
Die Einwirkung menschlichen Fleißes auf Vermehrung
dieser Art von Eohprodukten ist mithin nicht nur
beschränkt, sondern auch unsicher.
Ebenso ist es bei einer anderen sehr wichtigen Art
von Rohprodukten, nämlich den Fischen. Die davon auf
den Markt gebrachte Menge wird durch die örtliche Lage
des Landes, durch die geringere oder größere Entfernung
der einzelnen Provinzen vom Meere, durch die Zahl
seiner Seen und Flüsse, und durch den Fischreichtum
oder die Fischarmut dieses Meeres, dieser Seen und
dieser Flüsse beschränkt. In dem Grade, wie die Bevöl-
kerung zunimmt, und der Jahresertrag des Bodens und
der Arbeit im Lande größer und größer wird, wächst
auch die Zahl der Käufer, und diese Käufer haben eine
größere Menge und Mannigfaltigkeit von andern Waren,
oder, was auf dasselbe hinauskommt, den Preis einer
größeren Menge und Mannigfaltigkeit von Waren anzu-
Kap. XI.: Verschiedene Wirkungen d. Fortschritts d. Kultur. 325
bieten. Es wird aber stets unmöglich sein, einen großen,
ausgedehnten Markt ohne Aufwand einer größeren
Menge Arbeit zu versorgen, als den kleinen und be-
schränkten Markt. Ein Markt, der früher nur tausend
Tonnen Fische brauchte, und nun deren zehntausend
bedarf, kann selten ohne einen zehnmal größeren Arbeits-
aufwand versorgt werden, als vorher erforderlich war.
Die Fische müssen aus weiterer Entfernung geholt,
größere Schiffe dazu verwendet und kostspieligere
Werkzeuge aller Art angeschafft werden. Der wirk-
liche Preis dieser Ware steigt daher mit dem Fort-
schritt der Kultur, und ist, wie ich glaube, in jedem
Lande mehr oder weniger gestiegen.
Obgleich der Erfolg eines Fischzugs eine sehr un-
gewisse Sache ist, so sollte man doch glauben, daß, die
örtliche Lage des Landes als geeignet angenommen, die
Einwirkung des Fleißes auf Herbeischaffung einer ge-
wissen Menge von Fischen, ein Jahr oder mehrere
Jahre zusammengenommen, im Allgemeinen sicher
genug sein müßte ; und zweifellos ist es auch so. Da
es hierbei jedoch mehr auf die örtliche Lage des
Landes, als auf den Stand seines Reichtums und seiner
Industrie ankommt, und da aus diesem Grunde der
Einfluß menschlichen Fleißes zu verschiedenen Zeiten
der nämliche und zu derselben Zeit sehr verschieden
sein kann, so ist sein Zusammenhang mit dem Stande
der Kultur unsicher und nur diese Art Unsicherheit
ist es, von der ich hier, spreche.
Auf die Vermehrung der Menge der verschiedenen
dem Schöße der Erde abgewonnenen Mineralien und
Metalle, zumal der edlen, scheint der Einfluß des
menschlichen Fleißes zwar ein unbeschränkter, aber
ganz unsicherer zu sein.
Die Menge der edlen Metalle in einem Lande ist
durch seine geographische Lage und durch die Er-
giebigkeit oder Unergiebigkeit seiner eignen Bergwerke
326 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
nicht im mindesten beschränkt. Jene Metalle sind oft in
Ländern, die gar keine Bergwerke besitzen, im Über-
fluß vorhanden. Ihre Menge scheint in allen Ländern
von zwei verschiedenen Umständen abzuhängen: erstens
von der Kauffähigkeit des Landes, von dem Stande seiner
Industrie, von dem Jahresertrag seines Bodens und
seiner Arbeit, wodurch das Land instand gesetzt wird,
eine größere oder gei'ingere Menge von Arbeit und
Lebensmitteln aufzuwenden, um solche Überflüssig-
keiten, wie Gold und Silber, entweder aus seinen eignen
Bergwerken zu holen, oder von andern Ländern zu
kaufen ; zweitens von der Ergiebigkeit oder Unergiebig-
keit der Bergwerke, die jeweils die Handelswelt mit
diesen Metallen versorgen. Die Menge dieser Metalle
in den von den Bergwerken entferntesten Ländern ist
mehr oder weniger durch die Ergiebigkeit oder Uner-
giebigkeit bestimmt, weil der Transport dieser Metalle
wegen ihres geringen Umfangs und großen Wertes
leicht und wohlfeil ist. Ihre Menge in China und
Indien wird mehr oder weniger durch den Ileichtum
der amerikanischen Bergwerke bestimmt.
Insofern ihre Menge in einem Lande von dem crste-
ren Umstände — seiner Kauffälligkeit — abhängt, wird
ihr wirklicher Preis, wie der aller anderen Gegenstände
des Luxus und Uberflußes, mit dem Koichtum und der
Kultur des Landes steigen, und mit seiner Armut und
Entkräftung sinken. Länder, die eine große Menge
Arbeit und Lebensmittel übrig haben, können mit Auf-
wand einer "[rößeren Men^e Arbeit und Lebensmittel
eine größere Menge jener Metalle kaufen, als Länder,
die weniger übrig haben.
Sofern die Menge edler Metalle in einem Lande
von dem letzteren jener beiden Umstände — dei' Er-
giebigkeit oder Unergiebigkeit der Bei'gwerke, aus denen
die Handels weit jeweils ihre Zufuhr erhält — , abhängt,
wird ihr wirklicher Preis, die Menge von Arbeit und
Kap. XI.: Verachiedene Wirkimgon d. Fortschritt« d. Kultur. 327
Lebensmitteln, welche dafür zu kaufen oder einzu»
tauschen ist, zweifellos je nach der Ergiebigkeit jener
Bergwerke mehr oder weniger fallen, oder je nach ihrer
Unergiebigkeit steigen.
Die Ergiebigkeit oder Unergiebigkeit der Berg-
werke, aus denen die Handels weit jeweils ihre Zufuhr
empfängt, steht jedoch augenscheinlich mit dem Stande
des Gewerbfleißes eines Landes in gar keinem Zu-
sammenhange; ja selbst in keinem notwendigen Zu-
sammenhange mit dem Zustande des Gewerbfleißes in
der ganzen Welt. Da Gewerbe und Handel sich all-
mählich über einen immer größeren Teil der Erde aus-
breiten, so kann allerdings die Aufsuchung der Minen
auf einer immer ausgedehnteren Fläche mehr Erfolg
versprechen, als in einem enger begrenzten Gebiet.
Doch ist die Entdeckung neuer Minen nach allmäh-
licher Erschöpfung der alten immerhin eine höchst un-
gewisse Sache, und kann durch menschliche Geschick-
lichkeit und Betriebsamkeit durchaus nicht verbürgt
werden. Alle Anzeichen in dieser Hinsicht sind aner-
kannt zweifelhaft, und nur die wirkliche Entdeckung
und der erfolgreiche Abbau eines neuen Bergwerks
giebt über seinen wirklichen Wert, ja sogar über sein
Vorhandensein erst Gewißheit. Bei der Aufsuchung
hat weder der mögliche gute Erfolg noch die mögliche
Täuschung sichere Grenzen. Es ist möglich, daß im
Laufe eines oder zweier Jahrhunderte neue ergiebigere
Minen als alle bisher bekannten entdeckt werden : aber
ebenso möglich ist es auch, daß die bekannten ergie-
bigsten Minen unergiebiger werden, als alle vor Ent-
deckung der amerikanischen abgebauten. Ob der eine
oder der andere dieser beiden Fälle eintritt, ist für den
wirklichen Reichtum und das wahre Gedeihen der Welt,
für den wirklichen Wert des Jahresertrags von Land
und Arbeit von sehr geringem Belang. Der Nominal-
328 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
wert, die Menge Gold und Silber, durch die dieser
Jahresertrag ausgedrückt und dargestellt wird, würde
allerdings sehr verschieden sein ; aber der wirkliche
Wert, die wirkliche Arbeitsmenge, die dafür zu haben
wäre, würde sich ganz gleich bleiben. Ein Schilling
würde in dem einen Falle nicht mehr Arbeit darstellen,
als dies heute ein Penny tut, und ein Penny würde in
dem anderen eben so viel darstellen, als heute ein Schil-
ling. Aber in dem einen Falle würde derjenige, der
einen Schilling in der Tasche hätte, nicht reicher sein,
als der, der heute einen Penny hat; und in dem ande-
ren würde, wer einen Penny hat, ebenso reich sein, als
der, der heute einen Schilling hat. Die Wohlfeilheit
und der ÜberflulJ an Gold- und Silbergerät wäre der
einzige Vorteil, den die Welt aus der einen Zufällig-
keit zöge, und die Teurung und der Mangel an diesen
gleichgültigen Überflüssigkeiten der einzige Schaden,
den die andere ihr auferlegen würde.
Ergebnis der Abschweifung über die Wertveränderungen
des Silbers.
Die meisten Schriftstellei', welche sich mit den
Preisen früherer Zeiten beschäftigton, scheinen den
niedrigen Geldpreis des Getreides und der AVaren über-
haupt, oder mit anderen Worten den hohen Wert von
Gold und Silber nicht nur als einen Beweis der Selten-
lieit dieser Metalle, sondern auch der Armut und Bar-
barei des Landes, in dem daran Mangel herrschte, an-
gesehen zu haben. Diese Vorstellung hängt mit jenem
System der politischen Ökonomie zusammen, das den
Nationalreichtum in dem Überfluß an Gold und Silber
und die Nationalarmut im Fehlen dieser Metalle sieht,
einem System, das ich in dem vierten Buche dieser
Kap. XT.: Wertverändeninqen des Silbers. 329
Untersuchung deutlich darstellen und prüfen werde.
Für jetzt will ich nur bemerken, daß der hohe Wort
der edlen Metalle kein Deweis der Armut oder Bar-
barei eines Landes zu der Zeit, in der er eben herrscht,
sein kann; er ist nur ein Beweis für die Unergiebig-
keit der Bergwerke, aus denen zur Zeit die Handels-
welt ihre Zufuhr erhält. Ein armes Land vermag ebenso
wenig mehr Gold und Silber zu kaufen, oder es teurer
zu bezahlen, als ein reiches, und es ist deshalb nicht
wahrscheinlich, daß der Wert jener Metalle in dem
einen höher sei, als in dem anderen. In China, das
viel reicher ist, als irgend ein europäisches Land, ist
der Wert der edlen Metalle weit höher, als irgendwo
in Europa. Allerdings ist in Europa, wo seit der Ent-
deckung der amerikanischen Minen der Reichtum sehr
zugenommen hat, der Wert von Gold und Silber all-
mählich gesunken. Allein diese Entwertung ist nicht
der Zunahme des wirklichen ßeichtums in Eur'opa,
des Jahresertrags seines Bodens und seiner Arbeit
zuzuschreiben, sondern der zufälligen Entdeckung von
Minen, die alle bis dahin bekannten an Er-giebigkeit
übertrafen. Die Zunahme der' Gold- und Silbermenge
in Europa und der- Fortschritt seiner Gewerbe und seiner
Landwirtschaft traten zwar beinahe gleichzeitig ein, sind
jedoch aus sehr verschiedenen Ursachen hervorgegangen
und stehen kaum irgendwie in natürlichem Zusammen-
hang. Die erstere entsprang einem reinen Zufall, an
dem weder Klugheit noch Politik irgend einen Anteil
hatten oder haben konnton ; der andere aus dem Falle
des Feudalsystems und der Einführung einer Regierung,
die dem Gewerbefleiß die einzige Aufmunterung, der'on
er bedarf, nämlich eine leidliche Sicherheit gewährte,
daß er die Früchte seiner Arbeit genießen werde.
Polen, wo sich das Feudalsystem noch immer be-
hauptet, ist bis auf den heutigen Tag noch immer so
330 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
bettelarm, wie vor der Entdeckung Amerikas. Dennoch
ist dort ebenso wie in andern Ländern Europas, der
Goldpreis des Getreides gestiegen, und der wirkliche
Wert der edlen Metalle gefallen. Ihre Menge muß also
dort ebenso wie an anderen Orten, dem Jahresertrag
seines Bodens und seiner Arbeit entsprechend, zuge-
nommen haben; allein diese Vermehrung der edlen
Metalle hat anscheinend den Jahresertrag nicht ver-
mehrt, und weder Industrie und Landwirtschaft ge-
hoben, noch den Zustand der Einwohner verbessert.
Spanien und Portugal, die Besitzer der Minen, sind
nächst Polen vielleicht die beiden ärmsten Länder in
Europa. Dennoch muß der Wert der edlen Metalle
in Spanien und Portugal niedriger sein, als in irgend
einem anderen Teile Europas, da sie erst von dort,
belastet nicht bloß mit den Kosten der Fracht und
Versicherung, sondern auch, da ihre Ausfuhr verboten,
beziehungsweise einer Abgabe unterworfen ist, mit den
Kosten des Schmuggels, nach den anderen Ländern
Europas kommen. Im Verhältnis zum Jahresertrag von
Boden und Arbeit muß daher ihre Menge in jenen
Ländern größer sein, als irgendwo in Europa; und doch
sind jene Länder ärmer als alle andern. Zwar das
Feudalsystem ist in Spanien und Portugal abgeschafft,
aber was an seine Stelle getreten ist, ist nicht viel besser.
Wie demnach der geringere Wert von Gold und
Silber kein Beweis für den Reichtum und den blühen-
den Zustand eines Landes ist, in dem dies Verhältnis
statthat, so ist auch ihr hoher Wert, oder der niedrige
Geldpreis der Waren im Allgemeinen und des Getreides
im Besonderen kein Beweis von Armut und Barbarei.
Wenn aber auch der niedrige Geldpreis der Waren
im allgemeinen und des Getreides im besonderen kein
Beweis für die Armut und Barbarei der entsprechen-
den Zeit ist, so ist der niedrige Geldpreis einiger be-
Kap. XL: Wertveränderungen des Silbers. 331
stimmter Sorten von Gütorn, so des Viehs, Greflügels,
Wildprets aller Art usw. im Verhältnis zum Getreide
ein desto entscheidenderer Beweis dafür. Deutlich geht
daraus hervor: erstens ihre große Menge im Vergleich
mit der Menge des Getreides, und folglich die große
Ausdehnung des Bodens, den sie einnehmen, im Ver-
gleich mit Getreideland; zweitens der geringe Wert
jenes Bodens im Verhältnis zum Getreideland, und folg-
lich der unkultivierte Zustand des bei Weitem größten
Teils des Gebiets. Deutlich geht ferner daraus hervor,
daß das Kapital und die Bevölkerung des Landes nicht
in demselben Verhältnis zur Gebietsausdehnung stand,
wie in zivilisierten Ländern, und daß die Gesellschaft
zu jener Zeit und in jenem Lande sich erst in ihrer
Kindheit befand. Aus dem hohen oder niedrigen Preise
der AVaren im allgemeinen und des Getreides im be-
sonderen kann man lediglich schließen, daß dio Berg-
werke, welche zur Zeit die Handclswelt mit Gold und
Silber versorgten, ergiebig oder unergiebig waren;
nicht, daß das Land reich oder arm war. Aus dem
hohen oder niedrigen Geldpreise gewisser Sorten von
Gütern im Vergleich mit anderen läßt sich dagegen
mit einem au Gewißheit grenzenden Grade von Wahr-
scheinlichkeit schließen, daß es reich oder arm war,
daß der größte Teil seiner Ländereien angebaut oder
unangebaut war, und daß es sich entweder in einem
mehr oder minder rohen, oder mehr oder minder zi-
vilisierten Zustande befand.
Jede Steigerung dos Geldpreises der Waren, die
lediglich aus der Entwertung des Silbers hervoigoht,
würde alle Arten von Waren gleichmäßig treffen und
ihren Preis durchgehends um ein Drittel, ein Viertel
oder ein Fünftel erhöhen, je nachdem das Silber um
ein Drittel, ein Viertel oder ein Fünftel an seinem frü-
heren Worte verlöre. Die Preissteigerung der Lebens-
332 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
mittel hingegen, worüber so viel geklügelt und geredet
worden ist, trifft nicht alle Arten von Lebensmitteln
gleichmäßig. Im Durchschnitt des laufenden Jahrhun-
derts ist der Preis des Getreides, wie selbst von denen
anerkannt wird, die sein Steigen aus der Silberent-
wertung erklären, viel weniger gestiegen, als der Preis
einiger anderer Lebensmittel. An dem Steigen des
Preises dieser anderen Lebensmittel kann folglich die
Silberentwertung nicht allein Schuld sein; vielmehr
müssen einige andere Ursachen mit in Rechnung ge-
zogen werden, und die oben angedeuteten sind viel-
leicht hinreichend, die Preissteigerung jener besonderen
Arten von Lebensmitteln ohne Hinzunahme der an-
geblichen Silberentwertung zu erklären.
Was den Preis des Getreides selbst betrifft, so war
er in den ersten vierundsechzig Jahren des laufenden
Jahrhunderts und vor der letzten ungewöhnlichen Auf-
einanderfolge schlechter Jahre etwas niedriger, als in
den letzten vierundsechzig Jahren des vorigen Jahr-
hunderts. Diese Tatsache wird nicht nur durch die
Marktberichte von Windsor, sondern auch durch die
öffentlichen Fiars aller schottischen Grafschaften und
die von Messance und Dupre de St. Maur mit Fleiß
und Sorgfalt gesammelten französischen Marktbcrichte
bezeugt. Der Beweis ist vollständiger erbracht, als es
in einer ihrer Natur nach so schwer festzustellenden
Sache zu erwarten war.
Was den hohen Getreidepreis der letzten zehn oder
zwölf Jahre betrifft, so läßt er sich ohne die Annahme
einer Silberentwertung vollkommen aus den sohlechten
Ernten erklären.
Die Ansicht, daß das Silber fortwährend im Preise
sinke, stützt sich mithin auf keine guten Beobachtun-
gen, weder über die Getreidepreise noch über die Preise
anderer Lebensmittel,
Kap. XT.: Wertvcränderun,i>en des Silbers. 333
Man kann vielleicht sagen, selbst nach der hier
gegebenen Berechnung sei für die gleiche Menge Silbers
gegenwärtig eine viel kleinere Menge mancher Lebens-
mittel zu haben, als während eines Teils des vorigen
Jahrhunderts, und ob man diese Änderung einer Stei-
gerung des Werts jener Waren, oder der Entweitung
des Silbers zuschreibe, sei eine leere und nutzlose Un-
terscheidung, mit der jemandem, der nur eine be-
stimmte Menge Silber, oder ein bestimmtes Einkommen
in Geld habe, nicht im Mindesten gedient sei. Ich will
auch gewiß nicht behaupten, daß die Kenntnis dieses
Unterschiedes ihn in den Stand setzen wird, wohlfeiler
zu kaufen; aber sie ist deshalb doch noch nicht ganz
nutzlos.
Sie kann dadurch von einigem Nutzen sein, daß
sie einen leichtverständlichen Beweis für die gedeih-
liche Lage des Landes liefert. Entspringt die Preis-
steigerung einiger Arten von Lebensmitteln lediglich
der Silberentwertung, so läßt sich hieraus lediglich
auf die Ergiebigkeit der amerikanischen Bergwerke
schließen. Der wirkliche Reichtum des Landes, der
Jahresertrag seines Bodens und seiner Arbeit, kann
trotz dieses Umstandes entweder, wie in Portugal oder
Polen, allmählich sinken, oder, wie in den meisten
europäischen Ländern, allmählich steigen. Ist jene
Preissteigerung gewisser Arten von Lebensmitteln die
Folge einer Steigerung in dem wirklichen Werte des
Grund und Bodens, auf dem sie erzeugt werden, also
seiner vermehrten Fruchtbarkeit; oder davon, daß der
Boden durch ausgedehntere und bessere Kultur zum
Getreidebau geeignet wurde, so beweist dieser Um-
stand unstreitig die Wohlfahrt und den Fortschritt
des Landes. Grund und Boden bilden bei Weitem
den größten, wichtigsten und dauerhaftesten Teil im
Reichtum jedes ausgedehnten Landes, und es ist ge-
wiß von einigem Nutzen, oder kann wenigstens dem
334 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Lande eine Genugtuung gewähren, einen so ent-
scheidenden Beweis für den zunehmenden Wert des
bei weitem grüßten, wichtigsten und dauerhaftesten
Teils seines Ileichtums zu besitzen.
Auch kann es dem Staate von Nutzen sein für die
Feststellung der Besoldungen seiner niederen Beamten.
Wenn die Preissteigerung einiger Arten von Lebens-
mitteln aus der Silberentwertung entspringt, so müßten
ihre Besoldungen, falls sie nicht etwa früher zu hoch
waren, nach Verhältnis dieser Entwertung erhöhtwerden.
Wo nicht, wird ihre tatsächliche Besoldung offenbar um
so viel vermindert. Ist hingegen jene Preissteigerung
dem durch die erhöhte Ertragsfähigkeit vermehrten
Werte des Bodens zuzuschreiben, so wird es viel
schwieriger zu beurteilen, in welchem Verhältnis die
Besoldungen, oder ob sie überhaupt zu erhöhen seien.
Wie die weitere Ausdehnung der Bodenkultur not-
wendig den Preis jeder Art tierischer Nahrung im
Verhältnis zum Getreidepreise mehr oder weniger
steigert, so ermäßigt sie, glaube ich, mit gleicher Not-
wendigkeit den Preis jeder Art pflanzlicher Nahrung.
Sie erhöht den Preis der Fleischnahrung, weil ein großer
Teil des Landes, das Fleisch produziert, zum Getreide-
bau tauglich gemacht ist und mithin dem Grundeigen-
tümer und Pächter die Eente und den Gewinn des
Getreidelandes abwerfen muß ; den Preis Äfer Pflanzen-
nahrung aber ermäßigt sie, weil sie die Ertragsfähig-
keit des Bodens und mithin die Menge der Nahrungs-
mittel aus dem Pflanzenreich vermehrt. Auch werden
durch die Verbesserung der Kultur manche Arten
von Pflanzen eingeführt, die weniger Land und nicht
mehr Arbeit als das Getreide erfordern, und aus diesem
Grunde viel wohlfeiler auf den Markt kommen. So die
Kartoffeln und der Mais, die beiden wichtigsten Er-
rungenschaften, die der europäische Ackerbau, oder
vielleicht Europa überhaupt der großen Ausdehnung
Kap. XI.: Wertveränderuno-en des Silbers. 335
seines Handels und seiner Schifffahrt verdankt. Außer-
dem werden manche Arten von Pflanzen, die im rohen
Zustande der Landwirtschaft auf den Gemüsegarten
beschränkt sind und der Spatenarbeit bedürfen, bei
höherer Kultur auf den Feldern gebaut und mittels des
Pflugs bearbeitet, wie Rüben, Möhren, Kohl u. s. \v.
Wenn also bei fortschreitender Kultur der Sachprois
der einen Art von Nahrungsmitteln mit Notwendigkeit
steigt, so fällt mit gleicher Notwendigkeit der einer
anderen Art, und es wird sehr schwer, zu bestimmen,
in wiefern das Steigen der einen durch das Fallen der
anderen ausgeglichen wird. Sobald der Sachpreis des
Fleisches einmal seinen Höhepunkt erreicht hat, was,
abgesehen vom Schweinefleisch in einem großen Teile
Englands bei allen Sorten vor länger als einem Jahr-
hundert eingetreten zu sein scheint, kann eine spätere
Preissteigerung anderer Fleischsorten die Lage der
unteren Volksklasse nur wenig berühren. Die Verhält-
nisse der Armen in den meisten Gegenden Englands
können sicherlich durch das Steigen des Preises von
Geflügel, Fischen oder Wildpret nicht so verschlechtert
werden, wie sie sich durch das Fallen des Kartoffel-
preises verbessern würden.
In der gegenwärtigen teuren Zeit leiden die Armen
unter dem hohen Getreidepreise unzweifelhaft; in leid-
lich guten Jahren dagegen, in denen das Getreide
seinen gewöhnlichen oder Durchschnittspreis hat, kann
das natürliche Steigen des Preises andrer Bodener-
zeugnisse sie nicht sonderlich berühren. Mehr leiden
sie vielleicht unter den künstlichen durch Abgaben
verursachten Preiserhöhungen von Salz, Seife, Leder,
Lichten, Malz, Bier, Ale usw.
336 Ei'stes Buch: Zunahme in der Ertrag-skraft der Arbeit.
Wirkungen der Kutturfortschritte auf den Sachpreis der
Industrieerzeugnisse.
Es ist die natürliche Wirkung der Kultur, daß sie
den Sachpreis fast aller Industrieerzeugnisse allmählich
vermindert. Der Sachpreis der gewerblichen Arbeit ver-
mindert sich vielleicht ausnahmslos in allen Gewerben.
Infolge besserer Maschinen, größerer Geschicklichkeit
und angemessenerer Einteilung und Verteilung der Ar-
beit, was Alles die natürliche Wirkung der Kultur ist,
wird eine weit geringere Menge Arbeit zur Herstellung
jedes einzelnen Stückes erfordert; und wenn auch in-
folge der günstigen Lage der Gesellschaft der Sach-
preis der Arbeit beträchtlich steigt, so wird doch die
große Verminderung der Menge der erforderlichen
Arbeit selbst die größte Preissteigerung der Arbeit in
der Regel mehr als ausgleichen.
Allerdings gibt es wenige Gewerbe, in denen die
Preissteigerung der Rohstoffe alle durch die Kultur an
die Hand gegebenen Arbeitsvorteile mehr als aufwiegt.
Bei dei' Zimmermanns- und Schreinerarbeit wenigstens
gröberer Art wiegt die aus der vollkommneren Boden-
kultur hervorgehende Preissteigerung des Holzes in der
Regel alle Vorteile, die sich aus den besseren Maschinen,
der größeren Geschicklichkeit und der angemesseneren
Einteilung und Verteilung der Arbeit ergeben, reich-
lich auf.
In allen Fällen hingegen, wo der Preis der Roh-
stoffe entweder überhaupt nicht steigt, oder nicht be-
deutend steigt, sinkt der Preis der Industrieerzeugnisse
erheblich.
Diese Preisermäßigung ist im Laufe des gegenwär-
tigen und vorigen Jahrhunderts besonders in denjenigen
Kap. Xr.: Saclipreis der liidustrieerzeugnisse. ,337
Gewerben fühlbar gewesen, deren Rohstoff in den un-
edlen Metallen besteht. Man erhält jetzt vielleicht für
zwanzig Schilling ein besseres Uhrwerk, als um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts für zwanzig Pfund. In
den Arbeiten der Messerschmiede und Schlosser, in allen
Kurzwaren aus gröberen Metallen, in den sogenannten
Birminghamer und Sheffielder Waren ist in der näm-
lichen Periode eine sehr große Preisermäßigung einge-
treten, die, wenn sie auch nicht ganz so groß war, als
bei Uhren, doch die Arbeiter im ganzen übrigen Europa
in Staunen setzte, und sie vielfach zu dem Bekenntnis
zwang, daß sie für den doppelten und selbst für den
dreifachen Preis keine so gute Arbeit herstellen
könnten. Es gibt vielleicht keine Industrie, in der die
Arbeitsteilung weiter getrieben werden kann oder die
angewandten Maschinen mannigfachere Verbesserungen
zulassen, als die, deren Rohstoffe in den unedlen
Metallen bestehen.
In der Tuchfabrikation ist in der nämlichen Periode
keine so fühlbare Preisermäßigung eingetreten ; im Ge-
genteil versichert man, daß der Preis des hochfeinen
Tuches in den letzten fünfundzwanzig bis dreißig Jahren
im Verhältnis zu seiner Beschaffenheit etwas gestiegen
ist, woran, wie man sagt, eine bedeutende Preiserhöhung
des Materials, das ganz aus spanischer Wolle besteht,
Schuld ist. Der Preis des Yorkshirer Tuches, das lediglich
aus englischer Wolle gefertigt wird, soll im Laufe des
gegenwärtigen Jahrhunderts im Verhältnis zu seiner Güte
allerdings erheblich gefallen sein ; indeß ist die Qualität
eine so streitige Sache, daß ich alle Angaben dieser
Art als sehr unsicher ansehe. In der Tuchfabrikation
ist die Arbeitsteilung so ziemlich dieselbe geblieben,
wie vor einem Jahrhundert, und die dabei angewen-
deten Maschinen sind nicht viel anders. Indeß können
in beiderlei Hinsicht wohl einige kleine Verbesserungen
Adam Smith, Volkswohlstand. I. -»^
338 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
vorgekommen sein, die eine Preisermässigung zur
Folge hatten.
Viel merklicher und unleugbarer ist aber die Er-
mäßigung, wenn man den heutigen Preis dieser "Ware
mit dem einer weit früheren Zeit, etwa am Ende des
15. Jahrhunderts, vergleicht, wo die Arbeit wahrschein-
lich weit weniger geteilt, und die Maschinen weit
unvollkommener waren, als heute.
Im Jahre 1487, dem vierten Regierungsjahre Hein-
richs YII., wurde ein Gesetz gegeben, nach dem „Jeder,
der im Kleinhandel ein Yard vom feinsten scharlachfar-
bigen oder sonst echtgefärbten Tuch feinster Arbeit höher
als zu 16 sh. verkaufe, eine Strafe von 40 sh. für jeden
so verkauften Yard verwirkt habe." 16 sh., die ungefähr
ebenso viel Silber enthielten, wie jetzt 24 sh., wurden
also damals als ein nicht unbilliger Preis für den Yard
feinsten Tuches angesehen ; und da hier ein Luxusgesetz
vorliegt, war der Preis in Wirklichkeit wahrscheinlich
etwas höher. Gegenwärtig kann man eine Guinee als
den höchsten Preis betrachten. Also auch angenommen,
die QuaHtät sei gleich — die jetzige ist aber wahr-
scheinlich weit besser — so ist doch der Geldpreis des
feinsten Tuches seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
bedeutend gewichen ; noch weit mehr aber ist sein wirk-
licher Preis heruntergegangen. 6 sh. 8 d. galten damals
und noch viel später für den Durchschnittspreis eines
Quarters Weizen; 16 sh. waren also der Preis von
über zwei Quarter und drei Bushel Weizen. Schätzt
man den Quarter Weizen gegenwärtig auf 28 sh., so
muß der wirkliche Preis eines Yard feinen Tuches
damals wenigstens £ 3. 6^'2 sh. unseres jetzigen Geldes
gewesen sein. Der Käufer mußte dafür so viel an
Arbeit und Lebensmitteln geben, als er heute für diese
Summe erhalten würde.
Kap. Xi.: Sachpreis der IndiistrieerzGugnisse. 339
Der Preisfall der gröberen Fabrikate war, obwohl
beträchtlich, doch nicht so groß, als der der feineren.
Im Jahre 1463, dem dritten Regierungsjahre
Eduards IV., wurde verordnet, daß „kein Dienstbote auf
dem Lande, kein Tagelöhner, kein Dienstbote bei einem
außerhalb der Stadt wohnenden Handwerker, zu seiner
Kleidung Tuch brauchen soll, von dem der Yard mehr
als zwei Schilling kostet." Zu dieser Zeit enthielten zwei
Schilling etwa dieselbe Silbermenge, wie vier unsres
jetzigen Geldes, aber das Yorkshirer Tuch, von dem
jetzt die Elle mit -i sh. bezahlt wii'd, ist wahrschein-
lich weit besser, als das Tuch, das damals zur Klei-
dung für die ärmste Klasse gewöhnlichen Gesindes
verwendet wurde. Selbst der Geldpreis ihrer Kleidung
wird daher im Verhältnis zur Beschaffenheit gegen-
wärtig etwas wohlfeiler sein, als damals; aber min-
destens ist der wirkliche Preis erheblich wohlfeiler.
Zehn Pence galten damals für einen mäßigen und
billigen Preis des Bushel Weizen. Zwei Schilling waren
also der Preis von beinahe zwei Bushel und zwei Peck
Weizen, die gegenwärtig, den Bushel zu 3^2 sh. ge-
rechnet, 8 sh. 9 d. wert sein würden. Für einen Yard
dieses Tuches mußte der arme Dienstbote damals den
Gegenwert einer Lebensmittelmenge geben, die man
heute für 8 sh. 9 d. kaufen würde. Da wir es hier
ebenfalls mit einem Luxusgesetz zu tun haben, das
dem Aufwände und der Verschwendung der Armen
steuern sollte, so ist ihre Kleidung gewöhnlich wohl
noch viel teurer gewesen.
Durch das nämliche Gesetz wurde derselben Volks-
klasse verboten, Strümpfe zu tragen, deren Preis vier-
zehn Pence für das Paar, also etwa achtundzwanzig
Pence unseres heutigen Geldes überstiege. Nun waren
vierzehn Pence damals der Preis für etwa einen Bushel
und zwei Peck Weizen, was gegenwärtig, den Bushel
340 Erstes Buch: Zunahme in der ßrtragskraft der Arbeit.
ZU 3V2 sh. gerechnet, 5 sh. 3 d. machen würde. Heute
würde dies als ein sehr hoher Preis für ein Paar
Strümpfe eines Dienstboten der ärmsten und niedrigsten
Klasse betrachtet werden; gleichwohl wurde damals
so viel dafür bezahlt.
Zur Zeit Eduards IV. war das Strumpfstricken in
Europa wahrscheinlich noch nirgends bekannt. Die
Strümpfe wurden aus gewöhnlichem Tuch gemacht, und
dies war wohl eine der Ursachen ihrer Kostspieligkeit.
Die erste Person in England, die gestrickte Strümpfe
trug, soll die Königin Elisabeth gewesen sein; sie er-
hielt sie von dem spanischen Gesandten zum Geschenk.
Sowohl in der Fabrikation grober wie feiner Woll-
stoffe waren die Werkzeuge damals weit unvollkommener
als heute. Außer manchen kleineren Verbesserungen,
deren Zahl und Wichtigkeit schwer festzustellen ist, sind
in dieser Industrie namentlich drei wichtige Erfindungen
eingeführt worden : erstens dieVertauschung des Rockens
und der Spindel mit dem Spinnrade, das bei einer gleichen
Arbeitsmenge mehr als doppelt so viel leistet; zweitens,
der Gebrauch einiger sehr sinnreicher Maschinen, die in
noch höherem Maße das Weifen des Garns, oder die ange-
messene Zurichtung der Kette und des Einschlags, ehe sie
auf den Stuhl kommen, erleichtern und abkürzen ; eine
Tätigkeit, die vor der Erfindung jener Maschinen äußerst
langwierig und mühsam gewesen sein muß; drittens die
Anwendung der Walkmühle statt des früher üblichen
Tretens im Wasser. Weder Wind- noch Wassermühlen
irgend einer Art waren in England, und, so viel ich weiß,
überhaupt in dem nördlichen Europa diesseits der Alpen,
vor dem Anfange des 16. Jahrhunderts bekannt. In
Italien sind sie etwas früher eingeführt worden.
Diese Umstände erklären es vielleicht, warum der
wirkliche Preis der groben und feinen Manufakturwaren
Kap. XL: Sachpreis der liulustrieerzeugni.sse. 34-1
in jener Zeit so viel höher war als heute. Es kostete
eine größere Menge Arbeit, die Waren herzustellen: des-
halb mußten sie um eine größere Menge Arbeit ge-
kauft werden.
Die Herstellung grober Ware wurde damals in
England wahi'scheinlich ebenso betrieben, wie überall,
wo Künste und Gewerbe sich in ihrer Kindheit befinden.
Wahrscheinlich war es eine Hausindustrie, bei der die
verschiedenen Teile der Arbeit von den einzelnen
Familiengliedern verrichtet wurden ; und zwar so, daß
sie nur dann daran arbeiteten, wenn sie nichts weiter
zu tun hatten; es war keineswegs ihr Hauptgeschäft,
wodurch sie den größten Teil ihres Unterhalts er-
v^'erben mußten. Solche Arbeit kommt, wie bereits be-
merkt, immer viel wohlfeiler auf den Markt, als andere,
die die hauptsächlichste oder einzige Quelle des Lebens-
unterhalts für den Arbeiter ist. Die feine Fabrikation
andrerseits wurde zu jener Zeit nicht in England, son-
dern in dem reichen und handeltreibenden Flandern,
wahrscheinlich ebenso wie jetzt von Leuten getrieben,
die darin ihren ganzen oder den Hauptteil ihres Unter-
halts fanden. Es war also eine ausländische Fabrikation
und hatte eine Abgabe zu zahlen, nämlich mindestens
den alten Tonnen- und Pfundzoll. Diese Abgabe war
allerdings nicht sehr groß. Es war damals nicht euro-
päische Politik, die Einfuhr fremder Industrieerzeugnisse
durch hohe ^Abgaben zu beschränket!, sondern man
munterte sie vielmehr auf, damit die Kaufleute imstande
wären, die großen Herren mit den Grenußmitteln und
Luxusartikeln, die sie brauchten, und die ihnen die
Industrie ihres eigenen Landes nicht schaffen konnte,
so wohlfeil als möglich zu versorgen.
Diese Umstände erklären es vielleicht, warum in
jener Zeit der wirkliche Preis der groben Fabrikate im
342 Erstes Buch: Zimalime in der Ertragskraft der Arbeit.
Verhältnis zu dem der feinen so viel niedriger war,
als gegenwärtig.
Schluß des Kapitels.
Ich will dieses recht lange Kapitel mit der Bemer-
kung schließen, daß jede Verbesserung in den Verhält-
nissen der Gesellschaft mittelbar oder unmittelbar die
wirkliche Grundrente, den wirklichen Reichtum des
Grundeigentümers, seine Kraft, die Arbeit oder das
Arbeitsprodukt andrer Leute zu kaufen, erhöht.
Die Ausdehnung der Kultur tut es unmittelbar.
Der Anteil des Grundeigentümers an dem Ertrag
wächst notwendig mit seiner Zunahme. Ebenso führt
die Preissteigerung derjenigen Bodenprodukte, die an-
fänglich erst infolge der ausgedehnteren Bodenkultur
im Preise steigen, dann aber eine noch weitere Aus-
dehnung der Kultur veranlassen, also z. B. das Steigen
der Viehpreise, unmittelbar und in noch höherem Maße
zur Erhöhung der Grundrente. Nicht allein steigt der
wirkliche Wert des Anteils, den der Grundeigentümer
erhält, d. h. seine wirkliche Verfügungskraft über die
Arbeit andrer Leute, mit dem wirklichen Werte des
Ertrags, sondern auch das Verhältnis dieses Anteils
zu dem ganzen Ertrage steigt mit diesem. Die Her-
vorbringung der Erträge erfordert nach dem Steigen
ihrer Preise nicht mehr Arbeit als zuvor. Daher reicht
schon ein kleinerer Teil von ihnen hin, das Kapital,
das die Arbeit beschäftigt, samt dem üblichen Gewinn
zurückzuerstatten, und es fällt notwendig der größere
Teil dem Grundeigentümer zu.
Alle die Mittel, welche die Arbeit [)roduktiver
machen und den wirklichen Preis der Industrieerzeug-
uisse unmittelbar zu ermäßigen streben, führen mittel-
bar zur Erhöhung der Grundrente. Der Gi'undoigen-
Kap. XI.: Die Grunclvente. 343
tümer vertauscht den Teil seiner Produkte, der über
seinen eignen Verbrauch hinausgeht, beziehungsweise
den Preis dieses Teils gegen Industrieerzeugnisse.
Alles, was den Preis der letzteren ermäßigt, erhöht
den der ersteren. Die gleiche Menge Rohprodukte wird
dadurch eine größere Menge Industrieerzeugnisse wert,
und der Grundeigentümer ist sonach imstande, eine
größere Menge von Gegenständen des Komforts und
Luxus zu kaufen.
Jede Zunahme des wirklichen Reichtums der Ge-
sellschaft, jede Zunahme der Menge nützlicher Arbeit,
die in ihr verrichtet wird, führt mittelbar zur Erhö-
hung der Grundrente. Ein gewisser Teil dieser Arbeit
kommt natürlich dem Boden zu Gute. Eine größere
Zahl von Menschen und Vieh trägt zu seiner Kultur
bei, der Ertrag steigt mit dem darauf verwendeten
größeren Kapital und die Rente steigt mit dem Ertrage.
Andrerseits führt das Gegenteil, die Vernachlässi-
gung der Bodenkultur, der Preisfall der Bodenprodukte,
die Preissteigerung der Fabrikate infolge des Verfalls
der Industrie, die Abnahme des wirklichen Reichtums
der Gesellschaft — alles dies führt dahin, die Grund-
rente zu vermindern, den wirklichen Reichtum des
Grundeigentümers zu schmälern, seine Fähigkeit, die
Arbeit oder das Arbeitsprodukt andrer Leute zu kaufen,
zu verringern.
Der gesamte Jahresertrag des Bodens und der
Arbeit, beziehungsweise der Gesamtpreis dieses Jahres-
ertrags zerfällt, wie bereits bemerkt, naturgemäß in
drei Teile: die Grundrente, den Arbeitslohn und den
Kapitalgewinn, und bildet ein Einkommen für drei ver-
schiedene Volksklassen, nämlich für die, welche von der
Rente, die, welche vom Lohn, und die, welche vom
Gewinn leben. Dies sind die drei großen, ursprünglichen
Stände, aus denen jede zivilisierte Gesellschaft besteht,
344 Ei"stes Buch: Zunahme in der Ertragskral't der Arbeit.
und aus deren Einkommen schließlich das Einkommen
aller anderen Stände bestritten wird.
Das Interesse des ersten dieser drei großen Stände
ist, wie aus dem eben gesagten hervorgeht, mit dem
allgemeinen Interesse der Gesellschaft innig und unzer-
trennlich verbunden. Was dem einen förderlich oder
hinderlich ist, das ist dies notwendig auch dem anderen.
Werden Angelegenheiten des Verkehrs oder der Politik
öffentlich beraten, so können die Grundeigentümer,
wenigstens wenn sie ihr Interesse einigermaßen ver-
stehen, niemals die öffentliche Meinung irreleiten, um
das Sonderinteres'se ihres Standes dadurch zu fördern.
Freilich mangelt ihnen die Kenntnis ihrer eigenen
Interessen nur allzuoft. Sie sind die einzigen unter den
drei Ständen, die ihr Einkommen weder Arbeit noch
Sorge kostet, die von ihren Einkünften gleichsam auf-
gesucht werden und die weder Pläne noch Projekte
zu machen brauchen. Gleichgültigkeit, die natürliche
Folge der Bequemlichkeit und Sicherheit ihrer Lage,
macht sie nur allzuoft nicht nur unwissend, sondern
auch jener Anstrengung des Geistos unfähig, die er-
fordert wird, um die Folgen politischer Maßnahmen
vorherzusehen und zu begreifen.
Das Interesse des zweiten Standes, desjenigen, der
vom Lohn lebt, ist ebenso innig mit dem Interesse der
Gesellschaft verknüpft, als das des ersten. Der Lohn des
Arbeiters ist, wie bereits gezeigt worden, niemals so
hoch, als wenn die Nachfrage nach Arbeit stetig zunimmt,
und die beschäftigte Arbeitermenge von Jahr zu Jahr
erheblich wächst. Wenn dieser wahre Reichtum der
Gesellschaft stillstehend bleibt, so sinkt der Lohn des Ar-
beiters bald auf das Niveau, auf dem er nur eben noch im-
stande ist, eine Familie durchzubringen, oder das Ar-
beitergeschlecht fortzupflanzen. Gerät die Gesellschaft
in Verfall, so sinkt der Lohn sogar noch tiefer. Der
Kap. XI.: Die Grundrente. 3^5
Stand der Eigentümer mag vielleicht noch mehr bei
dem Gedeihen der Gesellschaft gewinnen, als der Arbeitor-
stand; aber kein Stand leidet so grausam beim Verfalle
der Gesellschaft. Obgleich aber das Interesse des Arbei-
ters so eng an das der Gesellschaft geknüpft ist, so ist
er doch unfähig, dieses Interesse zu begreifen, oder
seinen Zusammenhang mit dem eigenen zu verstehen.
Seine Lage läßt ihm keine Zeit, sich darüber gehörig
zu unterrichten, und Erziehung und Gewohnheiten sind
bei ihm gewöhnlich dazu angetan, ihn urteilsunfähig zu
machen, selbst wenn er aufs beste darüber unterrichtet
wäre. Daher wird bei öffentlichen Beratungen auf seine
Stimme nur wenig gehört und geachtet, außer in ge-
wissen Fällen, wo sein Notruf von den Arbeitgebern er-
regt, angetrieben und unterstützt wird, nicht in seinem,
sondern in ihrem eigenen Interesse.
Seine Arbeitgeber bilden den dritten Stand, den
Stand derer, die vom Gewinn leben. Das behufs Ge-
winn angelegte Kapital setzt den größten Teil der
nützlichen Arbeit einer Gesellschaft in Bewegung. Die
Pläne und Entwürfe derer, welche Kapitalien anlegen,
regeln und leiten die wichtigsten Arbeitsverrichtungen,
und Gewinn ist der allen diesen Plänen und Entwürfen
zu Grunde liegende Zweck. Allein der Gewinnsatz steigt
nicht, wie die Rente und der Arbeitslohn, mit dem Ge-
deihen der Gesellschaft, und sinkt nicht mit ihrem Ver-
fall. Er ist im Gegenteil seiner Natur nach in reichen
Ländern niedrig, in armen hoch, und in Ländern, die
am schnellsten ihrem Untergang entgegeneilen, stets am
höclisten. Das Interesse dieses dritten Standes hat mit-
hin nicht den gleichen Zusammenhang mit dem allge-
meinen Interesse der Gesellschaft, wie das der beiden
anderen. Großhändler und Fabrikherren sind in diesem
Stande die beiden Klassen, die gewöhnlich die größten
Kapitalien anlegen, und sich durch ihren Reichtum
346 Erstes Bucli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
das meiste Ansehen verschaffen. Da sie sich ihr ganzes
Leben lang mit Plänen und Entwürfen tragen, haben
sie oft einen schärferen Verstand als die meisten Land-
edelleute. Allein da ihre Gedanken sich gewöhnlich mehr
mit dem Interesse ihres besonderen Geschäftszweiges be-
schäftigen, als mit dem Interesse der Gesellschaft, so
kann man sich auf ihr Urteil, selbst wenn es mit der
größten Aufrichtigkeit gegeben wird — was nicht in
allen Fällen geschieht — weit mehr hinsichtlich des
ersteren, als des letzteren verlassen. Ihre Überlegen-
heit über die Landedelleute besteht nicht sowohl in
ihrer besseren Einsicht in die öffentlichen Interessen,
als darin, daß sie ihre eigenen Interessen besser wür-
digen, als jene die ihrigen. Infolge dieser überlegenen
Kenntnis ihres eigenen Interesses haben sie oft die
Großmut des Landadels gemißbraucht, und ihn über-
redet, sowohl sein eigenes wie das Interesse des Staats
preiszugeben, in der einfältigen, aber ehrlichen Über-
zeugung, daß das öffentliche Interesse durch das der
Großhändler und nicht durch das der Landedelleute
gefördert werde. Das Interesse der Händler in jedem
Zweige des Handels und der Gewerbe ist jedoch stets
in gewisser Hinsicht vom öffentlichen Interesse ver-
schieden und ihm sogar entgegengesetzt. Es liegt
immer im Interesse der Händler, den Markt zu er-
weitern und den Wettbewerb einzuschränken. Die Er-
weiterung des Marktes ist oft für das öffentliche
Interesse vorteilhaft, aber die Einschränkung des Wett-
bewerbs muß ihm stets schädlich sein, und kann nur
dazu dienen, den Händlern gröl3ere Gewinne zu ver-
schaffen, als sie ihrer Natur nach sein würden, und
sie dadurch instand zu setzen, zu ihren Gunsten den
übrigen Bürgern eine sinnlose Abgabe aufzulegen.
Vorschläge zu neuen Gesetzen oder Regelungen des
Verkehrs, welche von dieser Seite kommen, sollte
Die Preise des Weizens in England.
347
man stets nur mit der größten Vorsicht aufnehmen und
sie niemals billigen, bevor man sie nicht nur mit
der gewissenhaftesten, sondern auch mit der arg-
wöhnischsten Aufmerksamkeit lange und reiflich ge-
prüft hat. Sie kommen von einer Klasse von Leuten,
deren Interesse niemals genau mit dem öffentlichen
zusammenfällt, die gewöhnlich ein Interesse haben,
das Publikum zu täuschen und selbst zu bedrücken,
und die es wirklich bei vielen Gelegenheiten getäuscht
und bedrückt haben.
Die Weizenpreise in England nach Fleetwood.
12
Jahre.
Preis
Weizen
des Quarters
in jedem Jahre.
DurohsehuiU der ver-
schiedeneu Preise ein
und desselben Jahres.
üurohsohnittspreis je-
des Jahres uaeh.jetzifyem
Gelde bereohnel.
^
sh.
(l.
je
sh. d.
^ sh.
a.
1202
E
12
12
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—
— —
1 16
—
1205
13
—
13 5
2
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1223
— ■
12
—
—
— —
1 16
--
1237
—
3
4
—
— —
— 10
—
1243
—
2
—
—
— —
— 6
—
1244
—
2
—
—
— —
— 6
—
1246
—
16
—
—
— — •
2 8
—
1247
. —
13
4
—
— —
2
—
1257
1
f 1
4
B
—
— —
3 12
—
1258
-
15
—
17 —
2 11
—
—
16
1270
{t
16
8
-}
5
12 —
16 16
—
1286
{-
2
16
-]
—
9 4
Summe:
1 8
—
35 9
3
Dure
iSL'luiiUspreis:
2 19
iVi
348 Erstes Buch: Zunuhme in der Ertragskraft der Arbeit.
12
Jahre,
Preis
Weizen
des Quarters
in jedem Jahre
Durcbsclniitt der ver-
si'liiodenen Preise ein
und desselben Jaiires.
Durchf-
des Jahi
Gel(
elmiltspreis je-
"esnaeh jelzif^em
e boreelinet.
^
sh.
d.
jC Sil. d.
je
sh. d.
1287
3
4
— — —
—
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1288
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— 3 'U
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1289
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— 10 PA
1
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16
__
2
8 —
1294
16
—
— — —
2
8 —
1802
4
—
— — —
—
12 —
1309
■ —
7
2
— — —
1
1 6
1315
1
( 1
1
1
—
—
— — —
3
— —
131G
10
12
—
1 10 6
4
11 6
2
—
— .
■ 2
4
—
14
—
1317
2
4
13
6
8
1 19 6
5
18 6
1336
—
2
—
— — —
—
6 —
1338
3
4
Summe :
Durchschnittspreis:
—
10 —
23
4 IIV4
1
18 8
i)ie Preise des Weizens in Eneland.
349
12
Jalire.
Preis
Weizen
des Quarters
in jedem Jahre.
nurohsobnitt der ver-
sehiedenen Preise ein
und desselben Jahres.
Durehsi
dos Jährt
Geldi
hnittspi
snarhj
berech
eis je-
>tzig-em
net.
£
sh.
d.
£ sh. d.
£
sh.
d.
1339
—
9
—
— — —
1
7
1349
—
2
—
— — —
—
5
2
1359
1
6
8
— — _
3
2
2
1361
—
2
—
— — _
—
4
8
13Ü3
—
15
—
— — .
1
15
—
1369
{}
4
—
1 2 —
2
9
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1379
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4
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— — —
—
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4
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f-
2
13
4]
— — —
—
4
8
1390
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14
16
— ■'
— 14 5
1
13
7
1401
16
—
_ — —
1
17
4
1407
t
4
3
^'^}
— 3 10
—
8
11
1416
16
Summe:
Durchschnittspreis:
1
12
—
15
9
2
1
5
9^/6
1423
—
8
— —
—
16
—
1425
—
4
—
— — —
—
8
—
1434
1
6
8
— — —
2
13
4
1435
—
5
4
— — —
— -
10
8
1439
{;
6
-^
1 3 4
2
6
8
1440
1
4
—
— — —
2
8
—
1444
{=
4
4
4
— 4 2
—
8
4
1445
—
4
6
—
9
—
1447
—
8
—
— — —
—
16
—
1448
— •
6
8
— — —
— •
13
4
1449
—
5
—
— — —
—
10
—
1451
8
Summe:
Durclisclinittspreis:
—
16
—
12
15
4
1
1
3V3
350 Ei'stes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
12
Jahre.
Preis
Weizen
des Quarters
ia jedem Jahre.
Durchsohnitt der ver-
schiedenen Preise ein
und desselben Jahres.
Durchschnittspreis je-
des Jahres nach jetzig'cm
Gelde berechnet.
£
sh.
d.
^ sh. d.
£
sh.
d.
1453
—
5
4
— — —
—
10
8
1455
1
2
— — —
—
2
4
1457
7
8
— — - —
—
15
4
1459
—
5
—
— — —
— ■
10
—
1460
8
—
— — —
—
16
—
1463
t
2
1
-^}
— 1 10
—
3
8
1464
6
8
— — —
—
10
—
1486
1
4
—
— — —
1
17
—
1491
—
14
8
— — —
1
2
—
1494
—
4
—
— -^
—
6
—
1495
3
4
— —
—
5
—
1497
1
Summe :
Durchschnittspreis:
1
11
—
8
9
—
—
14
1
1499
—
4
—
— — —
—
6
—
1504
—
5
8
— — —
—
8
6
1521
1
—
—
— — —
1
10
—
1551
—
8
—
— — —
—
2
—
1553
8
—
— — —
—
8
—
1554
8
—
— — —
—
8
—
1555
—
8
—
— — . — .
—
8
—
1556
—
8
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— — —
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4
5
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— 17 8V2
—
17
8V2
13
1558
—
8
—
— — —
—
8
—
1559
—
8
—
— — —
—
8
—
1560
8
Summe :
Durchschnittspreis:
—
8
—
6
—
2V2
10
s/24
Die Preise des Weizens in England.
351
12
.Tahro.
Preis
Weizen
des Quarters
ia jedem Jabro.
Durchschnitt der ver-
schiedenen Preise ein
und desselben Jahres.
Durchschnittspreis je-
des Jahres nach je tzig'em
Gelde bereclinet.
£
sh.
d.
je sh. d.
je
sh.
d.
1561
—
8
—
— — —
—
8
—
1562
—
8
—
— — —
—
8
—
1574
{\
16
4
=}
2 — —
2
—
—
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— — —
3
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1594
2
16
—
— — —
2
16
—
1595
2
13
—
— — —
2
13
—
1596
4
—
—
— — —
4
—
—
1597
{\
4
=}
4 12 —
4
12
—
1598
2
16
8
— — —
2
16
8
1599
1
19
2
— — —
1
19
2
1600
1
17
8
— — —
1
17
8
1601
1
14
10
Summe:
Durchschnittspreis:
1
14
10
28
9
4
2
7
5V3
Preise des Quarters von 9 Bushel des besten oder höchst-
bezahlten Weizens auf dem Markte von Windsor am Marien-
und am Michaelistage von 1595 bis 1764. Der Preis jedes
Jahres ist das Mittel der höchsten Preise jener beiden
Markttage.
Jahre.
Quarte
r Weizen.
Jahro.
Quarter
Weizen
je
sh.
d.
je
sh.
d.
1595 . .
2
—
—
Transport :
10
14
2
1596 . .
2
8
—
1599 . .
1
19
2
1597 . .
3
9
6
1600 . .
1
17
8
1598 . .
2
16
8
1601 . .
1
14
10
Transport:
10
14
2
Transport :
16
5
10
352 Erstes Biicli: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
Jahre.
Quar
er Weizen.
Jahre.
Quar
er AVeizen.
^
sh.
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2
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: 31
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4
10
Die Preise des Weizens in Enaland.
353
Jahre.
Quarter Weizen.
Quarter "Weizen.
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69
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18 10
3 —
— 4
18 —
A. Smitli. Volkswohlstand. 1.
77 8 10
23
354 Erstes Buch: Zunahme in der Ertragskraft der Arbeit.
.lahre.
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64)
2
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10)
1
13
9*/5
355
VERLAG von R. L. PRAGER in BERLIN, NW. 7.
Wirthschaftliche Weltlage.
Börse und Geldmarkt für die Jahre 1888, 91, 92, 93, 94,
95, 96, 97, 98, 99, 1900, Ol.
' Vou Julius Basch
Redakteur der „National-ZeitUDg".
Kl. 8. 12 Hefte. 1889-1902. Eleg. brosch. Preis ä M 1.—.
JOHN LAW und sein System.
Ein Beitrag zur Finanz- und Münzgeschichte.
Vou S. AlexLi.
8. 1885. VII, 67 S. mit 2 Tafelu Abbildungen u. 3 Tabellen. Brosch. M 5.
Die „Ausschreitungen des Buchhandels"
Antwort auf die Denl<sclirift des Alcademischen Scliutzvereins
von R. JL. Präger.
IV, 142 Seiten. 8. 1903. Eleg. brosch. Preis M 1,20.
Eine sachliche, den Behauptungen Prof. Karl Büchers in seiner Denkschrift
auf Tritt und Schritt nachgehende und sie widerlegende Arbeit.
Urheberrecht und Buchhandel
in sozialistischer Beleuchtung.
Kleinhandel, Warenhäuser, Rabatt.
Studien vou Robert Prager.
8. 34 Seiten. 1900. Preis 60 Pf.
Watrenhäuser und BuchhandeL
Eine Osterbetrachtung vou Robert Prager.
8. 8 SS. 1901. Preis 40 Pf.
Das Recht der Handlungsgehilfen nach dem neuen HGB.
Zwei Vorträge gebalten von R, L. Prager.
gr. 8. 17 Seiten. 1898. M —.60.
Das Recht am eigenen Bilde.
Bibliotheken, Bibliothekare und Buchhandel.
Die Bibliothek des Börsenvereins.
Von Robert Prager.
8. 1903. 44 Seiten. Preis M 1.
Socialpolitische Studien^
Beiträge zur Politik, Geschichte und Ethik der socialen Frage.
Zwei Bücher.
Vou Dr. Heinrich Hirsch.
VIII, 144 S. 1897. gr. 8. Eleg. broch. M 3.
356
VERLAG von R. L PRAGER in BERLIN, NW. 7.
Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte.
Von W. Arnold.
2 Bde. 8. XL, 444 u. XVI, 502 SS. (Ladenpr. M IG) herabg. Preis M H.
Die Territorien
in Bezog anf ihre Bildang und £ntwickelaiig.
Von Georg Landau.
gr. 8. VIII, 392 S. 1854. Ladenpreis M 7,50. Herabgesetzter Preis M 4.
H. Storch
Handhucit der Mationaiwiriltscitafisieitrem
Nach dem Französischen mit Zusätzen
von K. H. Rau.
3 Bde. 8. XX, 492 Seiten. VIII, 518 Seiten. VI, 498 Seiten u. Tfln. 1819-20.
(Ladenpreis M 22,50.) Herabgesetzter Preis M. 5.
Die Statistil( und die Sozialwissenscliaften.
Von E. IMorpurgo.
Aus dem Italienischen.
gr. 8. VIII, 550 SS. Mit 3 Tfln. u. 1 Karte. 1877. (Ladenpreis M U.)
Herabgesetzter Preis IM 5.
Vorlesungen über englische Verfassungsgeschichte.
Von M. Bädinger.
gr. 8. X, 341 SS. 1880. (Ladenpreis M 9) Herabgesetzter Preis M 4.50.
Cr. J. Göschen
Theorie der auswärtigen Wechselcourse.
Nach Leon Say's 2. franz. Ausgabe übersetzt von F. Stöpel.
XII, 132 S. gr. 8. 1875. (Ladenpreis M 2,40) Herabgesetzter Preis M 1,50.
Histoire des Idees sociales avant la revolution frangaise
ou les socialistes mod. devances et depasses
par les anciens penseurs et philosophes.
Avec textes ä l'appui.
Par F. Villegardelle-
12. 226 pp. 1846. Prix M —,80.
Leopold von Ranke
Lichtstrahlen aus seinen Werken.
Gesammelt und mit einem Lebensabriss herausgegeben
von Arthur Winckler.
XXXII, 176 Seiten, kl. 8. 1885. Eleg. brosch. M 3.-; geb. M 4.-.
Dreissig Exemplare auf Büttenpapier, auf der Presse numeriert und m
Pergamentumschlag ä M 10.
Haus Adler, Buobdruckorei, Greifswald.
Bibliothek
der
Volkswirtschaftslehre
und
Gesellschaftswissenschaft.
Begründet von F. Stöpel.
Fortgeführt
von
Robert Prager.
IV.
BERLIN
VERLAG VON R. L. PRAGER
1906.
Adam Smith
Untersuchung
über
das Wesen und die Ursachen
des
Volkswohlstandes.
Aus dem Englischen übertragen
F. Stöpel.
Zweite Auflage durchgesehen und verbessert
von
Robert Prager.
Zweiter Band.
BERLIN
VERLAG VON R. L. PRAGER
1906.
Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
Zweites Buch.
Das Kapital; sein Wesen, seine Anhäufung und Anlage.
Einleitung- 1
Erstes Kapitel.
Einteilung der Kapitalion 5
Zweites Kapitel.
Das Geld als ein be.sonderei- Zweig des Gesamtkapitals
der Gesellschaft, oder die Unterhaltungskosten des
Nationalkapitals 16
Drittes Kapitel.
Kapitalanhäufung oder produktive und unproduktive Arbeit 77
Viertes Kapitel.
Das auf Zinsen ausgeliehene Kapital 104
Fünftes Kapitel.
Die verschiedenen Kapitalanlagen IKJ
Drittes Baeh.
Die verschiedenen Fortschritte zum Reichtum bei den
verschiedenen Nationen.
Erstes Kapitel.
Der natürliche Fortschritt zum Reichtum 138
Zweites Kapitel.
Entmutigung des Ackerbaues in dem früheren Zustand
Europas nach dem Fall des römischen Reichs , . . \4~)
Drittes Kapitel.
Entstehen und Wachsen der Städte nach dem Fall des
römischen Reichs IGl
Viertes Kapitel.
Wie der städtische Verkehr zur \'er\ollk()mmnung iler
Landwirtschaft beigetragen hat 17ti
VI
Viertes Buch.
Die Systeme der politischen Ökonomie.
Einleitung 19-4
Erstes Kapitel.
Grundsätze des Handels- oder Morkantilsysteins .... 195
Zweites Kapitel.
Beschränkungen der Einfuhr solcher AVaren, die im Lande
selbst hervorgebracht werden können 226
Drittes Kapitel.
Die außergewöhnlichen Einfuhrbeschränkungen von Waren
aus solchen Ländern, von denen angenommen wird,
daß die Handelsbilanz mit ihnen ungünstig ist.
Erster Teil.
Die Unvernuni't solcher Einschränkungen selb.st nach den
Grundsätzen des Handelssystems 254
Ab.schweifung über die Depositenbanken, namentlich die-
jenige Amsterdams 2(53
Zweiter Teil.
Von der Unvernunft solcher außerordentlichen Beschrän-
kungen nach anderen Grundsätzen 276
Viertes Kapitel.
Über Rückzölle 291
Zweites Buch.
Das Kapital,
sein Wesen, seine Anhäufung und Anlage.
Einleitung.
Im unkultivierten Zustande der Gesellschaft, wo es
keine Arbeitsteilung gibt, Tausche nur selten vorkom-
men, und Jedermann sich Alles selbst verfertigt, braucht
kein Yorrat im Voraus angesammelt zu werden, um die
Greschäfte der Gesellschaft damit zu betreiben. Jeder-
mann sucht durch eigene Arbeit seine gelegentlichen
Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn er hungrig ist, geht
er in den Wald, um zu jagen; ist seine Kleidung ab-
getragen, so bedeckt er sich mit dem Felle des ersten
besten von ihm getöteten großen Tieres, und wenn
seine Hütte baufällig wird, so bessert er sie, so gut es
gehen will, mittels Holz und Rasen aus.
Ist hingegen die Arbeitsteilung erst einmal durch-
weg eingeführt, so kann eines Menschen eigene Arbeit
nur einen sehr kleinen Teil seiner gelegentlichen Be-
dürfnisse befriedigen. Den größten Teil von ihnen
liefern ihm die Erzeugnisse Anderer, die er mit den Er-
zeugnissen seiner Arbeit, oder, was dasselbe ist, mit dem
Adam Smith, Volkswohlslaud. H. 1
2 EinleitTino-.
Preise dieser Erzeugnisse kauft. Dieser Kauf kann je-
doch erst dann erfolgen, wenn das Produkt seiner Ar-
beit nicht nur fertig ist, sondern auch einen Käufer
gefunden hat. Es muß daher ein hinreichender Vorrat
verschiedener Waren gesammelt werden, um ihn zu
unterhalten und wenigstens so lange mit Rohstoffen und
Werkzeugen zu versorgen, bis Beides eingetreten ist.
Ein Weber kann sich seinem Geschäfte nicht gänzlich
hingeben, wenn nicht zuvor irgendwo, sei es in seinem
eigenen oder im Besitze einer anderen Person, ein hin-
reichender Vorrat gesammelt worden ist, um ihm Un-
terhalt zu gewähren und ihn mit den Materialien und
Werkzeugen zu seiner Arbeit so lange zu versorgen,
bis er sein Gewebe nicht nur vollendet, sondern auch
verkauft hat. Diese Anhäufung muß offenbar erfolgt
sein, ehe er seinen Fleiß für so lange Zeit einem
solchen Geschäfte widmen kann.
Wie die Anhäufung des Vorrates naturgemäß der
Arbeitsteilung vorhergehen muß, so kann auch die Ar-
beit nur in dem Maße mehr und mehr geteilt werden,
wie zuvor mehr und mehr Vorräte gesammelt sind.
Dieselbe Anzahl Leute kann eine weit größere Menge
Rohstoffe verarbeiten, wenn die Arbeit mehr geteilt
wird, und da die Verrichtungen jedes Arbeiters sich
immer mehr vereinfachen, so werden viele neue Ma-
schinen erfunden, die zur Erleichterung und Abkürzung
jener Verrichtungen dienen. Wenn daher die Arbeits-
teilung fortschreitet,' so muß, um einer gleichen Anzahl
von Arbeitern fortwährend Beschäftigung bieten zu
können, ein gleicher Vorrat von Lebensmitteln und ein
größerer Vorrat von Matei-ialien und Werkzeugen ange-
sammelt werden, als in einem roheren Zustand erforder-
lich war. Die Zahl der Arbeiter in jedem Geschäfts-
zweige wächst aber im Allgemeinen mit der Arbeits-
teilung in diesem Zweige, oder vielmehr die Zunahme
Einleituno-. 3
ihrer Anzahl macht es ihnen möglich, in dieser Weise
die Arbeit unter sich zu teilen.
Die Ansammlung von Vorräten oder Kapitalien ist
also notwendig, um diesen großen Fortschritt in der
Erhöhung der Erzeugungskraft der Arbeit zu bewerk-
stelligen, und die Kapitalienansammlung ihrerseits führt
wiederum diesen Fortschritt herbei. Wer sein Kapital
im Unterhalt von Arbeit anlegt, wünscht natürlich es
so anzulegen, daß eine möglichst große Menge Arbeit
hervorgebracht wird. Er sucht daher sowohl unter
seinen Arbeitern die geeignetste Teilung der Beschäf-
tigungen herbeizuführen, als sie mit den besten Werk-
zeugen zu versehen, die er erfinden oder kaufen kann.
Er vermag beides gewöhnlich nur im Verhältnis zu der
Größe seines Kapitals oder der Zahl von Leuten, die
es beschäftigen kann. Der Gewerbfleiß eines Landes
nimmt daher nicht aliein mit der Zunahme des Kapitals,
das zu dessen Unterhalt dient, zu, sondern infolge
dieser Zunahme bringt auch die nämliche Menge Ar-
beit eine weit größere Menge Erzeugnisse hervor.
Dies sind im Allgemeinen die Wirkungen der
Kapitalienzunahme auf den Gewerbfleiß und dessen
erzeugende Kräfte.
Im folgenden Buch suche ich das Wesen des Kapi-
tals, die Wirkungen seiner Ansammlung in verschiedenen
Kapitalsgattungen und der verschiedenen Verwendungen
dieser Kapitalien darzulegen. Dies Buch zerfällt in fünf
Kapitel. Im ersten Kapitel suche ich die verschiedenen
Teile oder Zweige zu erklären, in welche das Kapital,
sei es eines Individuums oder einer großen Gemein-.
Schaft, sich teilt. Im zweiten suche ich das Wesen und
die Verrichtungen des Geldes, als eines besonderen
Teiles des allgemeinen Gesellschaftskapitals, zu er-
läutern. Das Geldkapital kann entweder von seinem
Besitzer verwendet oder einer anderen Person darge-
4 Einleitung.
liehen werden. Im dritten und vierten Kapitel prüfe
ich die Art und Weise seiner Wirksamkeit in diesen
beiden Beziehungen. Das fünfte und letzte Kapitel
handelt von den Wirkungen, die die verschiedenen
Kapitalanlagen unmittelbar auf die Menge der Arbeit
des Volkes, wie auf die des Jahresertrags von Boden
und Arbeit hervorbrincjen.
Erstes K a [> i t el.
Einteilung der Kapitalien.
Wenn der Vorrat, den jemand besitzt, gerade nur
hinreicht, um ihm auf einige Tage oder Wochen Unter-
halt zu gewähren, so denkt er schwerlich daran, ein
Einkommen daraus ziehen zu wollen. Er verwendet ihn
so sparsam wie möglich, und sucht durch seine Arbeit
das Verbrauchte zu ersetzen, bevor Alles verbraucht
ist. Sein Einkommen beruht in diesem Falle lediglich
auf seiner Arbeit. Dies ist die Lage der meisten Ar-
beiter in allen Ländern.
Besitzt hingegen jemand einen hinlänglichen Vor-
rat, um ihm auf Monate oder Jahre Unterhalt zu ge-
währen, so sucht er aus dem größeren Teil ein Ein-
kommen zu ziehen, und hebt nur so viel für seinen
unmittelbaren Verbrauch auf, als er bis zu dem Augen-
blick bedarf, an dem das Einkommen eingeht. Sein Ge-
samtvorrat zerfällt mithin in zwei Teile. Derjenige Teil
von ihm, von dem er ein Einkommen erwartet, heißt
sein Kapital (im engeren Sinne). Der andere Teil dient
zu seinem unmittelbaren Verbrauch, und besteht ent-
weder: erstens in demjenigen Teile seines Gesamtvor-
rats, der von vornherein zu diesem Zwecke aufgehoben
wurde, oder zweitens in seinem nach und nach ein-
gehenden Einkommen (aus was für einer Quelle es auch
fließe) oder drittens in solchen Dingen, die mittelst der
beiden ersteren in früheren Jahren gekauft und noch
nicht vollständig verbraucht worden sind, wie etwa ein
Vorrat von Kleidern, Hausgerät und Ähnlichem. In
(3 Zweites Buch : Das Kapital.
dem einen oder dem anderen, oder in allen dreien
dieser Artikel besteht der Vorrat, den man gewöhnlich
für den eigenen Verbrauch aufhebt.
Es gibt z^Yei Mittel, ein Kapital so anzulegen, daß
es^Einkommen oder G-ewinn liefert.
Erstlich kann es in der Landwirtschaft, in der In-
dustrie oder im Handel angelegt werden. Das auf diese
Weise angelegte Kapital liefert solange kein Einkommen,
als es im Besitz des Kapitalisten bleibt, oder seine ur-
sprüngliche Gestalt behält. Die Waren des Kaufmanns
bringen ihm keine Einkünfte oder Gewinne, bis er sie
für Geld verkauft,'und das Geld bringt ihm ebensowenig
Etwas, bis ^ er dafür wieder Waren eingetauscht hat.
Sein Kapital verläßt ihn in der einen Form und kehrt
in einer andern zu ihm zurück, und nur mittelst dieses
Umlaufes oder steten Austauschs kann es ihm einen
Gewinn bringen. Solche Kapitalien werden daher sehr
treffend umlaufende Kapitalien genannt.
Zweitens kann das Kapital auf die Verbesserung des
Bodens, zum Kaufe nützlicher Maschinen und Werk-
zeuge, oder auf ähnliche Dinge verwendet werden, die
Einkommen oder Gewinn liefern, ohne die Besitzer zu
wechseln oder weiter umzulaufen. Solche Kapitalien wer-
den daher ganz treffend stehende Kapitalien genannt.
In den verschiedenen Beschäftigungen ist das Ver-
hältnis zwischen den in ihnen angelegten stehenden und
umlaufenden Kapitalien sehr verschieden. Das Kapital
eines ^Kaufmanns z. B. ist durchaus ein umlaufendes.
Er hat keine Maschinen oder Werkzeuge zu seinem Han-
del'nötig, wenn man nicht seinen Laden oder Speicher
als solche betrachten will. Vom Kapital der Handwerker
oder Fabrikanten ist ein Teil stets in Werkzeugen fest-
gelegt. Bei dem einen Gewerbe ist dieser Teil sehr klein,
bei anderen^ groß. Ein Schneidermeister hat keine
anderen Instrumente nötig, als ein paar Nadeln. Der
Kap. I.: Einteilung der Kapitalien. 7
Schuhmacher braucht etwas mehr; das Werkzeug des
Webers ist aber weit kostspieliger als das des Schuh-
machers. Das meiste Kapital aller solcher Handwerks-
meister läuft jedoch in dem Lohn der Gesellen, oder im
Preise ihrer Materialien um, und wird durch den Preis
der fertigen Arbeit mit einem Gewinn wieder bezahlt.
In anderen Unternehmungen ist ein weit größeres
stehendes Kapital erforderlich. In einem großen Eisen-
werke z. B. lassen sich Hochöfen, Schmieden, Hammer-
werke nicht ohne sehr bedeutende Kosten herstellen.
In Kohlengruben und Bergwerken aller Art sind die
zum Auspumpen des Wassers und zu anderen Zwecken
nötigen Maschinen oft noch teurer.
Das in den Ackerwerkzeugen angelegte Kapital des
Landmanns ist stehendes, das zum Lohn und Unterhalt
der Knechte und Mägde verwendete umlaufendes Kapital.
Von dem einen zieht er Gewinn, indem er es in seinem
Besitze behält, von dem anderen, indem er es ausgibt.
Der Preis oder Wert seiner Arbeitstiere ist ebenso wie
der seiner Ackerwerkzeuge stehendes, der Unterhalt
der Tiere ebenso wie der der Knechte und Mägde um-
laufendes Kapital. Der Landmann erzielt Gewinn, indem
er die Arbeitstiere in seinem Besitz behält, und ihnen
Unterhalt gibt. Dagegen sind die Anschaffungs- und
Unterhaltungskosten des nicht zur Arbeit, sondern zum
Verkauf bestimmten und gemästeten Viehs umlaufendes
Kapital. Der Pächter erzielt Gewinn, indem er es her-
gibt. Eine Herde Schafe oder Rinder, die man in frucht-
baren Ländern weder zur Arbeit noch zum Verkauf,
sondern zu dem Zwecke anschafft, um aus ihrer Wolle,
ihrer Milch, ihrem Nachwuchs Gewinn zu ziehen, ist
stehendes Kapital. Der Gewinn wird gemacht, indem
man es behält. Ihr Unterhalt dagegen ist umlaufendes
Kapital. Der Gewinn wird gemacht, indem man das
Futter hergibt, und das Kapital geht sowohl mit seinem
8 Zweites Buch: Das Kapital.
eigenen Gewinn, als auch im Preise der Wolle, der
Milch und des Nachwuchses mit dem Grewinne vom
ganzen Preise des Viehes wieder ein. Auch der Gesamt-
wert der Aussaat ist eigentlich ein stehendes Kapital.
Obgleich es zwischen dem Grund und Boden und dem
Speicher hin- und hergeht, so wechselt es doch niemals
den Herrn, und läuft daher nicht eigentlich um. Der
Pächter zieht nicht aus dem Verkauf, sondern aus
dem Zuwachs seinen Gewinn.
Das gesamte Kapital eines Landes oder Volkes
ist dasselbe, wie das aller Einwohner oder Volksglieder
zusammengenommen und zerfällt demnach in dieselben
drei Teile, deren jeder eine bestimmte Funktion oder
Aufgabe hat.
Der erste Teil wird zur unmittelbaren Konsum-
tion aufbewahrt und ist dadurch gekennzeichnet, daß
er kein Einkommen liefert. Er besteht in dem Vorrat
an Nahrungsmitteln, Kleidung und Hausgerät u. s. w.,
der von den Konsumenten gekauft, aber noch nicht
ganz verbraucht ist. Auch die Gesamtmasse der Wohn-
häuser im Lande gehört zu diesem ersten Teile. Das
in einem Hause, das seinem Eigentümer als Wohnhaus
dient, angelegte Kapital hört sofort auf als Kapital zu
fungieren oder seinem Eigner ein Einkommen zu liefern.
Ein Wohnhaus trägt als solches nichts zu dem Ein-
kommen seines Bewohners bei, und obgleich es ihm
ohne Zweifel nützlich ist, so ist es dies doch in keinem
anderen Sinne, als seine Kleider und Möbel auch, die
doch keinen Teil seines Einkommens, sondern einen Teil
seiner Ausgaben bilden. AVird das Haus an Jemand
vermietet, so muß der Mieter, da das Haus selbst Nichts
hervorbringen kann, die Miete stets aus einem an-
deren, von Arbeit, Kapital oder Grund und Boden be-
zogenen Einkommen zahlen. Obgleich daher ein Haus
seinem Eigentümer ein Einkommen liefern und sich
Kap. 1: Einteilung der Kapitiilieu. 9
dadurch für ihn als Kapital darstellen kann, so kann es
doch dem Gemeinwesen kein Einkommen liefern, noch
ihm als Kapital dienen, und das Einkommen der Ge-
samtheit des Volkes kann nicht im Geringsten dadurch
/ergrößert werden. Auch Kleider und Hausgerät bringen
in ähnlicher Weise zuweilen ein Einkommen, und dienen
so irgend Jemandem als Kapital. In Ländern, wo Mas-
kenbälle tiblich sind, macht man ein Gewerbe daraus,
Maskenanzüge auf eine Nacht auszuleihen. Tapezierer
verleihen oft Möbel monat- und jähr weise, und es gibt
Unternehmer, welche die Erfordernisse einer Beerdi-
gung für einen Tag oder eine "Woche stellen. Viele ver-
mieten möblierte AVohnungen, und nehmen nicht nur
für die Nutzung der Wohnung, sondern auch für die
der Möbel eine Miete. Das aus solchen Dingen ge-
wonnene Einkommen muß jedoch am Ende stets aus
irgend einer anderen Quelle fließen. Unter allen für
den unmittelbaren Verbrauch aufbewahrten Kapitalien
eines einzelnen oder einer Gesellschaft wird das in
Häusern angelegte am langsamsten verbraucht. Ein
Vorrat an Kleidern kann ein paar Jahre, ein Vorrat an
Gerät ein halbes oder ganzes Jahrhundert vorhalten,
aber gutgebaute und sorgsam erhaltene Häuser könnten
Jahrhunderte dauern. Obgleich indeß der Termin
ihrer völligen Abnutzung sehr entfernt ist, sind sie
dennoch ebenso wie Kleider und Möbel ein zum un-
mittelbaren Verbrauch bestimmtes Kapital.
Der zweite von den drei Teilen, in die das Ge-
samtkapital der Gesellschaft zerfällt, ist das stehende
Kapital, dessen Eigenschaft es ist, Einkommen oder Ge-
winn zu liefern, ohne daß es umläuft oder den Besitzer
wechselt. Es besteht hauptsächlich aus folgenden vier
Artikeln. Erstlich aus all' den nützlichen Maschinen
und Werkzeugen, die die Arbeit erleichtern und ab-
kürzen. Zweitens aus allen Gebäuden, die nicht nur
IQ Zweites Buch: Das Kapital.
ihrem Eigentümer, der sie vermietet, sondern auch
dem Mieter ein Einkommen verschaffen; wie Läden,
Warenlager, Werkstätten, Wirtschaftsgebäude mit den
zugehörigen Ställen, Scheunen usw. Diese sind von
bloßen Wohnhäusern sehr verschieden. Sie sind eine
Art geschäftlicher Werkzeuge und können in diesem
Lichte betrachtet werden. Drittens aus den Bodenver-
besserungen, den gewinnbringenden Auslagen für Ur-
barmachung, Entwässerung, Einzäunung, Düngung und
sonstige Herrichtungen des Landes zum Ackerbau. Ein
kultiviertes Landgut kann mit allem Recht in dem-
selben Lichte betrachtet werden, wie die nützlichen
Maschinen, die die Arbeit erleichtern und abkürzen und
mittelst deren das nämliche umlaufende Kapital ein
weit größeres Einkommen liefern kann. Ein solches
Landgut ist eben so gewinnbringend und dabei dauer-
hafter als irgend eine dieser Maschinen, da es oft keine
weiteren Verbesserungen erfordert, als die vorteilhaf-
teste Verwendung des zum Anbau bestimmten Kapitals.
Viertens aus den erworbenen Fähigkeiten aller Ein-
wohner oder Gesellschaftsglieder. Die Erwerbung sol-
cher Talente erfordert für den Unterhalt während der
Ausbildung, des Studiums oder der Lehrzeit stets tat-
sächliche Kosten, die ein stehendes, oder so zu sagen
in der Person realisiertes Kapital sind. Wie diese
Talente für ihren Eigner einen Teil seines Vermögens
ausmachen, so bilden sie auch einen Teil in dem Ver-
mögen der Gesellschaft, der er angehört. Die erlernte
Fertigkeit eines Arbeiters kann man in demselben
Lichte betrachten, wie die Maschine oder ein die
Arbeit erleichterndes und abkürzendes Werkzeug, das
zwar gewisse Kosten verursacht, diese Kosten aber
mit Gewinn wieder erstattet.
Der dritte und letzte der drei Teile, in welche das
Gesamtkapital der Gesellschaft zerfällt, ist das um-
Kap. I.: Einteilung der Kapitalien. H
laufende Kapital, dessen Eigenschaft es ist, nur durch
Umlauf oder Wechsel des Besitzers ein Einkommen zu
liefern. Es ist gleichfalls aus vier Teilen zusammen-
gesetzt : Erstens, aus dem Gelde, mittelst dessen die
drei übrigen Teile umlaufen und an ihre eigentlichen
Konsumenten verteilt werden. Zweitens, aus den Vor-
räten an Lebensmitteln, die im Besitz der Fleischer,
Viehzüchter, Landwirte, Getreidehändler, Brauer usw.
sind, und aus deren Verkauf diese einen Gewinn zu
ziehen hoffen. Drittens, aus den für Kleider, Möbel und
Gebäude erforderlichen Rohstoffen und Halbfabrikaten,
die noch nicht ihre Bestimmung erhalten haben, sondern
sich noch in den Händen der Produzenten, Handwerker,
Seiden- und Tuchhändler, Holzhändler, Zimmerleute und
Tischler, Maurer usw. befinden. Viertens und letztens
aus den Waren die zwar fertig sind, aber sich noch in
den Händen des Kaufmanns oder Fabrikanten befinden
und noch nicht abgesetzt, bezw. an die eigentlichen Ver-
braucher gelangt sind, wie z. B. die fertigen Waren, die
man oft beim Schmied, Tischler, Goldschmied, Juwelier,
Porzellanhändler usw. findet. So besteht das umlaufende
Kapital aus den noch in Besitz der betreffenden Händler
befindlichen Lebensmitteln, Rohstoffen und fertigen
Waren aller Art, und aus dem Gelde, das erforderlich
ist, um sie in Umlauf zu setzen und sie an die letzten
Verbraucher zu verteilen.
Von diesen vier Teilen werden drei, die Lebens-
mittel, die Rohstoffe und die fertigen Waren entweder
jährlich, oder in einer längeren oder kürzeren Periode
regelmäßig dem Umlauf entzogen, und entweder zum
stehenden Kapital oder zu dem zum unmittelbaren
Verbrauch bestimmten Vorrat geschlagen.
Jedes stehende Kapital entstammt ursprünglich
einem umlaufenden, und mviß auch stets durch ein solches
erhalten werden. Alle nützlichen Maschinen und Werk-
zeuge rühren von einem umlaufenden Kapital her, das
12 Zweites Buch: Das Kapital.
die Stoffe liefert, aus denen sie bestehen, und den Unter-
halt der Arbeiter, die sie verfertigen. Auch erfordern
sie zu ihrer Reparatur eines umlaufenden Kapitals.
Kein stehendes Kapital kann ohne Beihilfe eines
umlaufenden ein Einkommen liefern. Die nützlichsten
Maschinen und Werkzeuge bringen ohne ein umlaufen-
des Kapital, das die zu verarbeitenden Stoffe und den
Unterhalt der Arbeiter liefert, die sie benutzen, nichts
hervor. Ein noch so kultivierter Boden bringt ohne ein
umlaufendes Kapital, welches die ihn bearbeitenden
und erntenden Arbeiter erhält, kein Einkommen.
Die für den unmittelbaren Verbrauch vorbehaltenen
Vorräte zu erhalten und zu vermehren, ist der einzige
Zweck der stehenden und umlaufenden Kapitalien.
Diese Vorräte sind es, die das Volk nähren, kleiden
und ihm Wohnung geben. Der Reichtum oder die
Armut des Volks hängt von den reichlichen oder spär-
lichen Ergänzungen ab, die jene beiden Kapitalarten
dem zum unmittelbaren Verbrauch bestimmten Vorrat
zuführen können.
Da dem umlaufenden Kapital beständig eine so
große Menge entzogen wird, um den beiden anderen
Teilen des Gesamtkapitals der Gesellschaft einverleibt
zu werden, so bedarf es seinerseits beständiger Er-
gänzung, ohne die es bald erschöpft sein würde. Diese
Ergänzung erhält es hauptsächlich aus drei Quellen,
den Erzeugnissen des Bodens, der Bergwerke und der
Fischereien. Aus diesen Quellen werden die Lebens-
mittel und Eohstoffe, die teilweise später zu Fabrikaten
verarbeitet'werden, und welche die dem umlaufenden
Kapital entzogenen Lebensmittel, Rohstoffe und Fa-
brikate ersetzen, beständig ergänzt. Aus den Berg-
werken wird auch der zur Unterhaltung und Vermeh-
rung des Geldkapitals erforderliche Bedai-f gedeckt.
Denn obgleich dieser Teil des Gesamtkapitals im ge-
Kap. I.: Einteilung der Kapitalien. ^3
wohnlichen Laufe der Geschäfte nicht wie die drei
übrigen dem umlaufenden Kapital entzogen werden
muß, um in die zwei anderen Zweige des allgemeinen
Gesellschaftskapitals überzugehen, so wird es doch wie
alle anderen Dinge, verbraucht oder wenigstens abge-
nutzt, ireht auch bisweilen teilweise verloren oder wird
ins Ausland geschafft, und macht deshalb beständige,
wenn auch weit geringere Ergänzungen nötig.
Grund und Boden, Bergwerke und Fischereien er-
fordern sämtlich sowohl ein stehendes, als ein um-
laufendes Kapital zu ihrem Betriebe; und ihr Ertrag
erstattet nicht nur diese Kapitalien, sondern auch alle
übrigen in der Gesellschaft mit Gewinn zurück. So
versorgt der Landmann den Gewerbtreibenden jährlich
aufs neue mit den Lebensmitteln, die er im vorher-
gehenden Jahre verzehrt, und den Rohstoffen, die er
verarbeitet hatte; und der Gewerbtreibende versorgt
den Landmann wieder mit den Fabrikaten, die dieser
in derselben Zeit verbraucht und vernutzt hatte. Dies
ist der tatsächliche Tausch, der jährlich zwischen diesen
beiden Volksklassen vollzogen wird, wenn auch das
Rohprodukt des einen und das verarbeitete des anderen
selten unmittelbar gegen einander vertauscht werden,
da der Pächter sein Getreide und sein Vieh, seinen
Flachs und seine Wolle selten an dieselbe Person ab-
setzt, von der er seine Kleider, Gerätschaften und
Werkzeuge kauft. Er verkauft daher sein Rohprodukt
für Geld, mit welchem er die verarbeiteten Produkte,
die er braucht, überall kaufen kann, wo sie gerade zu
haben sind. Der Boden ersetzt sogar, wenigstens zum
Teil, die Kapitalien, mit denen die Fischereien und
Bergwerke betrieben werden. Mit Erzeugnissen des
Bodens werden die Fische geködert und gefangen,
und mit Erzeugnissen der Erdoberfläche zieht man
die Mineralien aus den Tiefen der Erde.
14 Zweites Buch: Das Kapital.
Der Ertrag des Bodens, der Bergwerke und Fische-
reien richtet sich, bei gleicher natürlicher Ergiebigkeit,
nach der Größe und angemessenen Verwendung der
in ihnen angelegten Kapitalien. Bei gleichen Kapitalien
und gleich geschickter Verwendung richtet sich der
Ertrag nach der natürlichen Ergiebigkeit des Bodens
und dor Bergwerke.
In allen Ländern, wo leidliche Sicherheit herrscht,
sucht Jedermann von gesundem Menschenverstände
alle ihm zur Verfügung stehenden Kapitalien dazu an-
zuwenden, sich sofortigen Genuß oder zukünftigen
Gewinn zu verschaffen. Wird das Kapital dazu ver-
wendet, sofortigen Genuß zu verschaffen, so ist ein für
die unmittelbare Verwendung bestimmter Vorrat; wird
es dazu angewendet, künftigen Gewinn zu verschaffen,
so muß dies dadurch geschehen, daß das Kapital ent-
weder bei seinem Besitzer verbleibt, oder sich von
ihm trennt. In dem einen Falle ist es ein stehendes,
in dem anderen ein umlaufendes Kapital. Man müßte
geradezu närrisch sein, wenn man bei leidlichen Sicher-
heitszuständen nicht alle verfügbaren Kapitalien, eigene
oder geborgte, auf die eine oder die andere Art anlegte.
In den unglücklichen Ländern freiUch, wo man
stets die Gewalttätigkeiten der höher gestellten zu
fürchten hat, vergraben und verbergen die Leute oft
einen großen Teil ihres Kapitals, um ihn jederzeit mit-
nehmen zu können, falls sie von einer der Gefahren
bedroht werden sollten, denen sie sich stets ausgesetzt
sehen. In der Türkei, in Hindustan, und wohl in den
meisten anderen asiatischen Staaten soll dies Verfahren
sehr gebräuchlich sein. Auch bei unseren Vorfahren
scheint es unter der gewalttätigen Feudalherrschaft
üblich gewesen zu sein. Gefundene Schätze wurden
damals für einen nicht verächtlichen Teil des Ein-
kommens der größten europäischen Fürsten gehalten.
Kap. I.: Einteilnno' der Kapitalien. I5
Es waren dies Schätze, die man in der Erde versteckt
fand, und auf die niemand ein Recht nachweisen
konnte. Die Sache war in jener Zeit von solcher
Wichtigkeit, daß diese Funde stets als ein Eigentum
des Fürsten, nicht als das des Finders oder des Grund-
besitzers angesehen wurden, wenn nicht dem letzteren
das Recht darauf durch eine ausdrückliche Klausel in
seiner Verleihungsurkunde zugesichert war. Ebenso
wurde es mit den Gold- und Silberminen gehalten, die
ohne eine besondere Klausel in der Urkunde niemals
in der allgemeinen Landverleihung mit inbegriffen
waren, die dagegen Blei-, Kupfer-, Zinn- und Kohlen-
minen, als Dinge von geringerem Belange, mit umfaßte.
Zweites K a j) i t e 1.
Das Geld als ein besonderer Zweig
des Gesamtkapitals der Gesellschaft, oder die
Unterhaltungskosten des Nationalkapitals.
In dem ersten Buche ist gezeigt worden, daß der
Preis der meisten "Waren in drei Teile zerfällt, von
denen einer den Arbeitslohn, ein anderer den Kapital-
gewinn und ein dritter die Grundrente bezahlt; daß es
zwar einige Waren gibt, deren Preis nur von zweien
jener Teile, dem Arbeitslohn und Kapitalgewinn, her-
rührt, und daß er in einigen wenigen lediglich aus dem
Arbeitslohn besteht, daß aber der Preis jeder Ware
sich notwendig in einen oder den anderen oder in alle
drei Teile auflöst, und daß Alles, was nicht Rente
oder Lohn ist, notwendig für irgend jemanden Ge-
winn sein muß.
Da dies, wie bemerkt, bezüglich joder einzelnen
Ware, für sich betrachtet, der Fall ist, so muß es
auch bezüglich aller AVaren, die das jährliche Gesamt-
produkt des Bodens und der Arbeit in einem Lande
bilden, der Fall sein, wenn man sie als Einheit be-
trachtet. Der ganze Preis oder Tauschwert dieses
Jahresprodukts muß in die nämlichen drei Teile zer-
fallen und sich unter die verschiedenen Einwohner
des Landes entweder als Arbeitslohn, Kapitalgewinn
oder Grundrente verteilen.
Obwohl nun der Gesamtwert des jährlichen Boden-
und Arbeitsertrags eines Landes sich in dieser Weise
Kap. II.: Das Geld. 17
unter die verschiedenen Bewohner verteilt, so kann
man doch, wie man in der Rente eines Privatguts
zwischen der rohen und der reinen Rente unterschei-
det, auch in dem Einkommen der Gesamtheit aller
Einwohner denselben Unterschied machen.
Die rohe Rente eines Guts umfaßt alles, was vom
Pächter gezahlt wird; die reine Rente ist das, was nach
Abzug der Wirtschafts-, Unterhaltungs- und sonstigen
Kosten für den Grundeigentümer übrig bleibt, oder
was er ohne Schaden für das Gut dem für den un-
mittelbaren Yei'brauch bestimmten Vorrat zuweisen,
oder für seine Tafel, seine Kleider, die Ausschmückung
und Möblierung seines Hauses, für seine Genüsse und
Yergnügangen ausgeben kann. Sein wirkliches Ver-
mögen richtet sich nicht nach seinem rohen, sondern
nach seinem reinen Einkommen.
Das rohe Einkommen aller Einwohner eines Landes
umfaßt das gesamte Jahresprodukt ihres Bodens und
ihrer Arbeit; das reine Einkommen dasjenige, was ihnen
nach Abzug der Unterhaltungskosten, erstens ihres
stehenden und zweitens ihres umlaufenden Kapitals,
übrig bleibt, oder das, was sie, ohne ihr Kapital anzu-
greifen, dem für ihren unmittelbaren Verbrauch be-
stimmten Vorrat zuweisen, oder auf Lebensunterhalt,
Komfort und Genuß verwenden können. Auch ihr
wirklicher Reichtum richtet sich nicht nach ihrem
rohen, sondern nach ihrem reinen Einkommen.
Die ganzen Kosten für den Unterhalt des stehenden
Kapitals müssen offenbar von dem reinen Einkommen
der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Weder die zur
Instandhaltung der nützlichen Maschinen und "Werk-
zeuge, der gewinntragenden Gebäude usw. nötigen
Materialien, noch das Produkt der zur Bearbeitung
dieser Materialien erforderlichen Arbeit können zum
reinen Einkommen gerechnet werden. Allerdings kann
Adam Suütli, Volkswcjhl.staml. 11. -
18 Zweites Buch: Das Kapital.
der Preis dieser Arbeit einen Teil von ihm bilden,
wenn die hierbei beschäftigten Arbeiter ihren ganzen
Lohn ihrem für den unmittelbaren Verbrauch bestimm-
ten Vorrat zuweisen können. Bei anderen Arbeits-
gattungen geht sowohl der Preis als das Produkt der
Arbeit in diesen Vorrat über, der Preis in den Vorrat
der Arbeiter, das Produkt in den anderer Leute, deren
Lebensunterhalt, Komfort und Genuß durch die Arbeit
jener bereichert werden.
Der Zweck des stehenden Kapitals besteht darin,
die Produktivkräfte der Arbeit zu erhöhen und eine
gleiche Zahl Arbeiter zu weit größeren Arbeitsleistungen
zu befähigen. Auf einem Gute, wo alle nötigen Ge-
bäude, Zäune, Abzugsgräben, Verbindungswege usw. im
besten Zustande sind, wird eine gleiche Zahl Arbeiter
und Arbeitstiere einen weit größeren Ertrag erzielen,,
als auf einer Fläche von gleicher Größe und gleicher
Güte, wo diese Einrichtungen mangelhaft sind. In Fa-
briken wird eine gleiche Zahl Hände, wenn sie durch
die besten Maschinen unterstützt wird, eine weit größere
Menge AVaren hervorbringen, als mit unvollkommeneren
Werkzeugen. Zweckmäßige Ausgaben für irgend ein
stehendes Kapital machen sich immer mit großem Ge-
winn wieder bezahlt, und vermehren den Jahresertrag
um einen weit größeren Wert, als den der dafür auf-
gewendeten Kosten. Immerhin jedoch nehmen diese
Kosten einen gewissen Teil jenes Ertrags in Anspruch.
Eine gewisse Quantität von Materialien und die Arbeit
einer gewissen Anzahl von Arbeitern, die unmittelbar
auf Vermehrung der Lebensmittel, Kleider und Woh-
nungen, kurz der Unterlialtsmittel und Genüsse der
Gesellschaft hätten verwendet werden können, werden
so zu einer anderen Beschäftigung gebraucht, die zwar
höchst vorteilhaft, aber von jener doch sehr verschieden
ist. Aus diesem Grunde werden alle Fortschritte in der
Kap. IT.: Das Geld. 19
Mechanik, die eine gleiche Zahl von Arbeitern instand
setzen, eine gleiche Menge Arbeit mit wohlfeileren und
einfacheren als den früher üblichen Maschinen herzu-
stellen, stets als vorteilhaft für jede Gesellschaft betrach-
tet. Eine gewisse Menge von Materialien und die Arbeit
einer gewissen Zahl von Arbeitern, die früher erforder-
lich waren, um die komplizierteren und kostspieligeren
Maschinen zu bedienen, können nun zur Vermehrung der
Arbeitsmenge verwendet werden, zu deren Herstellung
die Maschine nur behilflich ist. Der Unternehmer einer
großen Fabrik, der jährlich tausend Pfund Sterling auf
seine Maschinen verwendet, wird, wenn er diese Ausgabe
auf fünfhundert ermäßigen kann, die übrigen fünfhun-
dert zum Ankauf einer größeren Menge von Rohstoffen
verwenden, deren Verarbeitung mehr Arbeitskräfte be-
ansprucht. Die Arbeitsmenge, zu deren Herstellung
seine Maschinen nur behilflich waren, wird sich daher
vergrößern, und mit ihr auch der Vorteil und Genuß,
den die Gesellschaft aus diesen Arbeiten zieht.
Die Unterhaltungskosten des stehenden Kapitals
in einem Lande können füglich mit den Unterhaltungs-
kosten eines Gutes verglichen werden. Diese Aus-
gaben müssen oft bestritten werden, damit der Ertrag
des Guts und folglich die rohe und reine Rente des
Grundherrn nicht sinkt. Können aber diese Ausgaben
durch richtigere Verwendung vermindert werden ohne
Verringerung des Ertrags, so bleibt die rohe Rente
mindestens die nämliche, und die reine Rente ist selbst-
verständlich größer geworden.
Wenn aber die gesamten Unterhaltskosten des
stehenden Kapitals vom reinen Einkommen der Gesell-
schaft ausgeschlossen werden müssen, so liegt doch der
Fall bei den Unterhaltskosten des umlaufenden Kapitals
anders. Von den vier Teilen, aus welchen das letztere
besteht, dem Gelde, den Lebensmitteln, den Rohstoffen
2*
20 Zweites Buch: Das Kapital.
und Fabrikaten, werden die drei letzteren, wie schon
bemerkt, ihm regelmäßig entzogen, und entweder dem
stehenden Kapital der Gesellschaft, oder dem für die
unmittelbare Verzehrung bestimmten Vorrat einverleibt.
Alles, was von den Verbrauchsgegenständen nicht zum
Unterhalt des ersteren dient, geht in den letzteren
über, und macht einen Teil des reinen Einkommens
der Gesellschaft aus. Daher entzieht die Unterhaltung
jener drei Teile des umlaufenden Kapitals dem reinen
Einkommen der Gesellschaft keinen andern Teil des
Jahresertrags, als den, der zur Unterhaltung des stehen-
den Kapitals erforderlich ist.
Das umlaufende Kapital einer Gesellschaft ist in
dieser Beziehung von dem eines einzelnen ganz ver-
schieden. Dasjenige eines einzelnen macht durchaus
keinen Teil seines reinen Einkommens aus, das gänzlich
in seinen Gewinnen bestehen muß. Obwohl aber das
umlaufende Kapital jedes einzelnen einen Teil des-
jenigen der Gesellschaft bildet, der er angehört, so
muß es darum doch nicht einen Teil des reinen Volks-
einkommens bilden. Die Waren eines Kaufmanns kann
man nicht zu seinem für den unmittelbaren Verbrauch
bestimmten Vorrat rechnen, aber sie können in den
Vorrat anderer übergehen, die jenem ihren Wert
samt Gewinn aus anderweitigen Einkünften erstatten,
ohne dadurch in seinem oder ihrem Kapital irgend
eine Verminderung herbeizuführen.
Das Geld ist daher der einzige Teil des umlaufen-
den Kapitals der Gesellschaft, dessen Unterhaltung eine
Verminderung ihres reinen Einkommens bewirken kann.
Das stehende Kapital und der im Geld bestehende
Teil des umlaufenden Kapitals haben in ihi-em Einfluß
auf das Einkommen der Gesellschaft eine große Ähn-
lichkeit miteinander.
Wie erstens die Maschinen und Werkzeug-e usw.
Kap. IL: Das Geld. 21
gewisse Ausgaben erst für ihre Anschaffung, dann für
ihre Unterhaltung erfordern, die zwar einen Teil des
rohen Einkommens ausmachen, aber vom reinen Ein-
kommen der Gesellschaft abgehen; so muß auch der in
einem Lande umlaufende Geldvorrat gewisse Ausgaben
erst für seine Anschaffung, dann für seine Unterhaltung
erfordern, der ebenso zwar einen Teil des rohen Ein-
kommens der Gesellschaft bildet, aber von ihrem
reinen Einkoramen abgeht. Eine gewisse Menge sehr
wertvoller Stoffe, Gold und Silber, und sehr künst-
licher Arbeit findet, statt den zum unmittelbaren Ver-
brauch bestimmten Vorrat, den Lebensunterhalt, Kom-
fort und Genuß der Einzelnen zu vermehren, ihre
Aufgabe in der Unterhaltung des wichtigen, aber kost-
spieligen Verkehrs Werkzeugs, durch das jeder einzelne
in der Gesellschaft seinen Lebensunterhalt, Komfort
und Genuß im geeigneten Verhältnisse regelmäßig
zugeteilt erhält.
Wie zweitens die Maschinen, Werkzeuge usw., die
das stehende Kapital eines einzelnen oder einer Ge-
sellschaft ausmachen, weder einen Teil ihres rohen
noch ihres reinen Einkommens bilden, so bildet das
Geld, durch dessen Vermittelung das gesamte Ein-
kommen der Gesellschaft regelmäßig unter alle ihre
einzelnen Glieder verteilt wird, selbst keinen Teil
dieses Einkommens. Das große Umlaufsrad ist von
den Waren, die durch seine Vermittelung in Umlauf
gesetzt sind, ganz verschieden. Das Einkommen der
Gesellschaft besteht lediglich in diesen Waren, und
nicht in dem Rade, das sie in Umlauf setzt. Bei einer
Berechnung des rohen oder des reinen Einkommens
der Gesellschaft muß stets von ihrem jährlichen Geld-
und Güterumlauf der Gesamtwert des Geldes abge-
zogen werden, von dem nicht ein einziger Pfennig
einen Einkommensteil bilden kann.
22 Zweites Buch: Das Kapital.
Nur die Unklarheit der Ausdrucksweise kann
diesen Satz zweifelhaft oder paradox erscheinen lassen.
Wird er gehörig erkläi't und aufgefaßt, so ist er fast
selbstverständlich.
Wenn wir von einer Summe Geldes reden, so mei-
nen wir entweder nur die Metallstücke, aus denen sie
besteht, oder setzen sie in eine dunkle Beziehung zu den
Waren, die man dafür haben kann, oder zu der Kauf-
kraft, die ihr Besitz verleiht. So wollen wir, wenn wir
sagen, daß das umlaufende Geld Englands auf achtzehn
Millionen berechnet werde, nur den Betrag der Metall-
stücke ausdrücken, auf die einige Schriftsteller den
Umlauf geschätzt haben. Sagen wir aber, es stehe sich
jemand auf fünfzig oder hundert Pfund jährlich, so
wollen wir in der Regel nicht nur den Betrag der
Metallstücke, die er jährlich einnimmt, sondern auch den
Wert der Waren ausdrücken, die er jährlich kaufen
oder verbrauchen kann. Wir wollen damit sagen, wie
er lebt oder leben könnte, d. h. welche Menge und
Beschaffenheit von Lebens- und Genußmitteln er sich
nach seinen Verhältnissen gestatten dürfe.
Wenn man unter einer Summe Geldes nicht nur
den Betrag der Metallstücke, aus denen sie besteht, ver-
standen wissen, sondern sie in eine dunkle Beziehung zu
den Waren, die dafür zu haben sind, setzen will, so
wird das Vermögen oder Einkommen, das sie in diesem
Falle bezeichnet, nur der einen der beiden Bedeutungen,
welche das Wort doppelsinnig einschließt, gerecht und
zwar der letzteren mehr als der ersteren, d. h. dem
Begriffe des Geldwertes mehr, als dem des Geldes.
So kann der, dessen Wocheneinnahme in einer
Guinee besteht, im Laufe der Woche damit eine gewisse
Menge Lebens- und Genußmittel kaufen. Je nach der
Größe dieser Menge ist auch sein wirkliches Vermögen,
seine wirkliche Wocheneinnahme groß oder klein. Seine
Kap. II. : Das Geld. 23
Wocheneinnahme ist sicherlich nicht gleich der Guinoe
und dem, was dafür zu haben ist, sondern nur dem
einen oder dem anderen dieser beiden gleichen Werte,
und zwar dem letzteren mehr als dem ersteren, dem
Werte der Guinee mehr als der Guinee selbst.
Wenn jemandem sein Gehalt nicht in Gold, sondern
in einer wöchentlichen Anweisung auf eine Guinee ge-
zahlt würde, so bestände sein Einkommen gewiß nicht
in dem Stück Papier, sondern in dem, was er dafür
haben kann. Eine Guinee ist als eine auf alle Ge-
schäftsleute der Gegend ausgestellte Anweisung auf
eine bestimmte Menge von Lebens- und Genußmitteln
anzusehen. Das Einkommen desjenigen, dem sie ge-
zahlt wird, besteht nicht sowohl in dem Goldstück, als
in dem, was er dafür haben oder wogegen er es ver-
tauschen kann. Könnte es gegen nichts vertauscht
werden, so wäirde es, wie eine Anweisung auf einen
Zahlungsunfähigen nicht mehr wert sein, als ein ganz
unbrauchbares Stück Papier.
Wenn auch das Wochen- oder Jahreseinkommen
aller einzelnen Einwohner eines Ijandes ebenso in Geld
gezahlt werden kann und in Wirklichkeit auch oft in
Geld gezahlt wird, so ist doch ihr wirkliches Yermögen,
das wirkliche Wochen- oder Jahreseinkommen aller
zusammengenommen groß oder klein je nach der Menge
der verbrauchsfähigen Waren, die sie mit dem Gelde
kaufen können. Das ganze Einkommen aller einzel-
nen zusammengenommen ist offenbar nicht gleich dem
Gelde und den verbrauchsfähigen Waren, sondern nur
dem einen oder dem anderen dieser beiden Werte, und
zwar dem letzteren mehr, als dem ersteren.
Wenn wir also oft das Einkommen jemandes durch
die Metallstücke ausdrücken, die er jährlich einnimmt,
so geschieht es deshalb, weil der Betrag dieser Stücke
die Größe ihrer Kaufkraft oder den Wert der Waren
24 Zweites Buch: Dan Kapital.
bestimmt, die er jährlicli verzehren kann. Gleichwohl
betrachten wir sein Einkommen als in seiner Kauf-
oder Yerbranchskraft bestehend und nicht in den Geld-
stücken, die sie ihm verleihen.
Wenn dies schon bezüglich eines Einzelnen klar
genug ist, so ist es dies noch mehr bezüglich eines
Volks. Der Betrag der Metallstücke, die ein Einzelner
jährlich einnimmt, kommt oft genau seinem Einkommen
gleich, und ist darum auch der kürzeste und beste Aus-
druck für seinen Wert; aber der Betrag der Metall-
stücke, die in einem Volke umlaufen, kann niemals
dem Einkommen aller seiner Glieder gleich sein. Da
die nämliche Guinee, mit der heute das Wochengehalt
des einen bezahlt wird, morgen dazu dienen kann, das
eines anderen, und übermorgen das eines dritten zu
bezahlen, so muß der Betrag der jährlich in einem
Lande umlaufenden Metallstücke stets einen weit ge-
ringeren Wert haben, als die jährliche Summe der Ein-
kommen. Aber die Kaufkraft, oder die Waren, die
nach und nach mit dieser Einkommenssumme gekauft
werden können, müssen stets genau denselben Wert
haben, wie diese Einkommen; und ebenso ist es mit
dem Einkommen der einzelnen, denen sie gezahlt
werden. Dies Einkommen kann mithin nicht in den
Metallstücken bestehen, deren Betrag so weit unter
seinem Werte bleibt, sondern muß in der Kaufkraft
bezw. in den Waren bestehen, die damit, wie nun eben
jene Stücke von Hand zu Hand gehen, nach und
nach gekauft werden können.
Das Geld, das große Rad des Umlaufs, das große
Werkzeug des Verkehrs, bildet also, gleich allen anderen
Werkzeugen, keinen Teil im Einkommen des Volks,
dem es gehört, obgleich es einen Teil und zwar einen
sehr wertvollen Teil des Kapitals bildet; und obschon
die Metallstücke, aus denen es besteht, während ihres
Kap. 11.: Das Geld. 25
jährlichen Umlaufs an jedermann das ihm zukommende
Einkommen verteilen, so machen sie selbst doch keinen
Teil dieses Einkommens aus.
Drittens und letztens haben die Maschinen und
Werkzeuge usw., die das stehende Kapital bilden, die
weitere Ähnlichkeit mit dem in Geld bestehenden Teil
des umlaufenden Kapitals, daß ebenso, wie jede Er-
sparnis in den Herstellungs- und Unterhaltskosten der
Maschinen, die die Produktivkraft der Arbeit nicht ver-
mindert, das reine Einkommen des Volkes vermehrt,
auch jede Ersparnis in den Anschaffungs- und Unter-
haltungskosten des Greldumlaufs das Volkseinkommen
vermehrt.
Es ist deutlich genup', und teilweise auch schon
auseinandergesetzt worden, auf welche Art jede Erspar-
nis in den Unterhaltungskosten des stehenden Kapitals
das reine Volkseinkommen vermehrt. Das Kapital eines
Unternehmers zerfällt notwendig in sein stehendes und
sein umlaufendes Kapital. Bleibt sein Gesamtkapital
das nämliche, so muß notwendig der eine Teil um so
größer werden, je kleiner der andere wird. Das um-
laufende Kapital beschafft die Rohstoffe und den Arbeits-
lohn, und setzt das Geschäft in Gang. Daher muß jede
die Produktivkraft der Arbeit nicht vermindernde Er-
sparnis in den Unterhaltungskosten des Kapitals, den
das Geschäft in Gang bringenden Fonds und folglich
auch den Jahresertrag des Bodens und der Arbeit, das
wirkliche Einkommen eines jeden Volkes, vermehren.
Der Gebrauch des Papiers an Stelle des Gold- und
Silbergeldes ersetzt ein sehr kostspieliges Verkehrswerk-
zeug durch ein weit weniger kostbares und zuweilen
ebenso geeignetes. Der Umlauf wird durch ein neues
Rad bewirkt, das anzuschaffen und zu erhalten weniger
kostet als das alte. In welcher Weise jedoch diese
Tätigkeit sich vollzieht und das rohe oder reine Ein-
26 Zweites Buch: Das Kapital.
kommen der Gesellschaft vergrößert, erfordert eine
weitere Erklärung.
Es gibt verschiedene Arten von Papiergeld; doch
sind die Banknoten die bekannteste Art und scheinen
auch für den Zweck am besten geeignet.
Hat man in einem Lande soviel Vertrauen zu dem
Vermögen, der Rechtschaffenheit und Klugheit eines
Bankiers, um zu glauben, daß er seine Noten stets bei
Vorzeigen auszahlen werde, so erhalten diese durch
die Sicherheit, daß zu jeder Zeit Geld dafür zu haben
ist, dieselbe Gangbarkeit wie Gold- und Silbergeld.
Angenommen, ein Bankier leiht an seine Kunden
Noten im Betrage von £ 100.000. Da diese Noten
alle Dienste des Geldes tun, so bezahlen ihm seine
Schuldner die nämlichen Zinsen, als ob er ihnen eben-
soviel Geld geliehen hätte. Aus diesen Zinsen zieht er
seinen Gewinn. Wenn auch manche Noten zurück-
kommen und Zahlung fordern, so bleiben die meisten
doch Monate und Jahre lang ununterbrochen im Um-
lauf. Obschon daher gewöhnlich £ 100,000 seiner
Noten umlaufen, reichen doch £ 20,000 in Gold und
Silber oft vollkommen hin, um allen Zahlungsanforde-
rungen zu entsprechen. £ 20,000 in Gold und Silber
verrichten demgemäß dieselben Dienste wie sonst
£ 100,000. Mittelst der Noten können dieselben
Tausche vollzogen werden, kann dieselbe Menge Ver-
brauchsgegenstände umlaufen und an ihre eigentlichen
Verbraucher gelangen, als durch einen gleichen Wert
an Gold und Silbergeld. Man kann demnach £ 80,000
in Gold und Silber am Umlauf des Landes sparen, und
wenn gleichzeitig von vielen Banken und Bankiers
mehr derartige LTnternehmungen gemacht werden, so
läßt sich der ganze Umlauf mit dem fünften Teil des
Goldes und Silbers bewirken, das ohne sie nötig ge-
wesen wäre.
Kap. IL : Das Geld. 27
Angenommen, das ganze umlaufende Geld eines
Landes belaufe sich zu einer gewissen Zeit auf eine
Million Pfund Sterling, die hinreichend sind, das ganze
Jahresprodukt des Bodens und der Arbeit in Umlauf zu
bringen. Angenommen ferner, daß später verschiedene
Banken und Bankiers auf den Inhaber lautende Noten
im Betrag von einer Million ausgeben, und um gelegent-
lichen Zahlungsanforderungen zu entsprechen, £ 200,000
in ihren Kassen behalten — so würden £ 800,000 in
Gold und Silber und eine Million in Banknoten, also
£ 1,800,000 in Papier und Gold zusammen im Umlauf
sein. Das jährliche Boden- und Arbeitsprodukt des
Landes hatte aber nur eine Million zum Umlauf und
zur Verteilung an die Verbraucher erfordert, und dieses
Jahresprodukt kann sich nicht unmittelbar durch jene
Bankoperationen vermehren. Eine Million wird mithin
auch nachher hinreichend sein, es in Umlauf zu halten.
Da die in den Verkehr kommenden Waren sich nicht
vermehrt haben, wird auch die nämliche Menge Geldes
hinreichen, sie zu kaufen und zu verkaufen. Der Um-
laufskanal, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen
darf, wird genau derselbe bleiben, wie zuvor. Eine
Million war nach unserer Annahme hinreichend, diesen
Kanal zu füllen; was daher über diese Summe hinaus
sich in ihn ergießt, kann nicht darin bleiben, sondern
muß überfließen. Wenn sich £ 1,800,000 in ihn ergießen,
müssen £ 600,000 überfließen, da um diese Summe
das Umlaufserfordernis des Landes überschritten ist. Da
aber diese Summe, die man im Lande nicht braucht,
doch zu wertvoll ist, als daß man sie müßig liegen
lassen möchte, so wird sie ins Ausland gehen, um dort
die gewinnreiche Anlegung zu suchen, die sie im Lande
nicht finden kann. Nun aber kann das Papier nicht
ins Ausland gehen, weil es in weiter Ferne von den
emittierenden Bauken und von dem Lande, in dem
28 Zweites Buch: Das Kapital.
die Barzahlung gesetzlich erzwungen werden kann, bei
gewöhnlichen Zahlungen nicht angenommen zu werden
pflegt. Daher wird Gold und Silber im Betrag von
£ 800,000 ins Ausland gehen, und der heimische Um-
laufskanal bleibt, statt mit der Million Metall, die ihn
früher füllte, mit einer Million Papier gefüllt.
Wenn aber auch eine so große Menge Gold und
Silber ins Ausland geht, so wird es doch nicht umsonst
gegeben und die Besitzer machen den fremden Völkern
kein Geschenk damit. Sie tauschen vielmehr für das
Geld ausländische "Waren ein, um entweder den Ver-
brauch anderer Länder, oder den der eigenen damit
zu versorgen.
In ersterem Falle, wenn also das Gold und Silber
im sogenannten Zwischenhandel Verwendung findet,
ist jeder Gewinn, den die Besitzer der edlen Metalle
erzielen, eine Vermehrung des reinen Einkommens ihres
eignen Landes und bildet einen neuen Fonds für ein
neues Geschäft; die inländischen Geschäfte werden nun
mit Papier betrieben und Gold und Silber sind in einen
Fonds für jenen neuen Handelszweig verwandelt.
Wendet man hingegen das Gold und Silber dazu
an, ausländische Waren für den inneren Verbrauch zu
kaufen, so kann man entweder Waren kaufen, die vor-
aussichtlich von müßigen, nichts produzierenden Leuten
verzehrt werden, wie Weine, Seide usw., oder man
kaaft frische Vorräte von Rohstoffen, Werkzeugen und
Lebensmitteln, um damit eine weitere Zahl fleißiger
Leute zu unterhalten und zu beschäftigen, die den
Wert ihres Jahresverbrauchs mit einem Gewinn wieder
erzeugen.
Wird das übei'schüssige Gold und Silber auf erstero
Art verwendet, so befördert es die Verschwendung, ver-
mehrt den Aufwand und Verbrauch, ohne die Produk-
tion zu veiüirüßern oder einen dauernden Fonds zur
Kap. TT. : Das Geld. 29
Fortsetzung dieses Aufwandes herzustellen, und ist
für das Volk in jeder Weise schädlich.
Wird es auf die letztere Art verwendet, so be-
fördert es die Industrie, und vergrößert zwar den Ver-
brauch des Volkes, verschafft aber einen dauernden
Fonds zur Fortsetzung dieses Verbrauchs, indem die
Verbraucher den ganzen Wert ihrer Jahreskonsumtion
mit Gewinn wieder erzeugen. Das rohe Einkommen des
Volkes, der Jahresertrag seines Bodens und seiner Ar-
beit, wird um den ganzen AVert vermehrt, den der Fleiß
jener Arbeiter den zu veredelnden Rohstoffen verleiht,
und das reine Volkseinkommen erhöht sich um so viel,
als von diesem Werte nach Abzug der Unterhaltungs-
kosten für Werkzeuge und Geräte übrig bleibt.
Daß der größte Teil des Goldes und Silbers, das
durch jene Bankoperationen ins Ausland getrieben und
zum Kauf ausländischer Waren für den inländischen
Verbrauch verwendet wird, zum Ankauf dieser zweiten
Warenkategorie dient und dienen muß, ist nicht bloß
wahrscheinlich, sondern fast unvermeidlich. Obschon
mancher mitunter seinen Aufwand bedeutend vermehrt,
ohne daß sein Einkommen sich vergrößert, so wird
doch schwerlich ein ganzer Stand, eine ganze Volks-
klasse so handeln ; denn wenn auch nicht immer das
Verhalten der einzelnen von den Regeln gewöhnlicher
Klugheit geleitet wird, so beeinflussen sie doch stets
die Handlungen der großen Mehrzahl. Das Einkommen
der müssigen Rentner, als Stand oder Klasse betrachtet,
kann nun durch jene Bankoperationen nicht im Minde-
sten zunehmen, und mithin werden sich ihre Ausgaben
durch diese im allgemeinen auch nicht vergrößern,
obschon die einzelner es tun können, und es zuweilen
wirklich tun. Wenn somit die Nachfrage der müssigen
Rentner nach ausländischen Waren so ziemlich die
nämliche bleibt, wie zuvor, so wird wohl nur ein sehr
30 Zweites Buch: Das Kapital.
kleiner Teil des durch jene Bankoperationen ins Aus-
land getriebenen und zum Ankauf fremder Waren für
den inländischen Verbrauch angewendeten Geldes zum
Ankauf der von jenen gebrauchten Waren dienen.
Der grüßte Teil wird vielmehr zum Unterhalt der Ge-
werbtätigkeit und nicht des Müßiggangs dienen.
Bei der Berechnung des Umfangs der Gewerbtätig-
keit, die das Umlaufskapital eines Volkes zu beschäfti-
gen vermag, kommen nur diejenigen Teile von ihm in
Betracht, die in I^ebensmitteln, Rohstoffen und Fabrika-
ten bestehen; der andere, der in Geld besteht und nur
dazu dient, die drei ersteren in Umlauf zu setzen, muß
stets in Abzug gebracht werden. Um Gewerbfleiß in
Bewegung zu setzen, sind drei Dinge erforderlich: Stoffe
zurVeredlung,Werkzeuge zurBearbeitung der Rohstoffe
und Lohn oder Vergütung, um deren wegen gearbeitet
wird. Geld ist weder ein Rohstoff zur Veredlung noch
ein Werkzeug der Arbeit; der Lohn des Arbeiters ward
zwar gewöhnlich in Geld bezahlt, sein wirkliches Ein-
kommen aber besteht, wie das aller anderen Leute,
nicht in Geld, sondern in Geldes wert, nicht in den Me-
tallstücken, sondern in dem, was für sie zu haben ist.
Der Umfang der Gewerbtätigkeit, die ein Kapital
zu beschäftigen vermag, muß offenbar der Zahl von
Arbeitern gleich sein, die es mit Rohstoffen, Werkzeugen
und den der Natur der Arbeit angemessenen Unterhalts-
mitteln zu versorgen vei'mag. Geld kann dazu nötig
sein, die Rohstoffe, die Werkzeuge und den Unterhalt
der Arbeiter zu kaufen. Aber die Summe von Gewerb-
fleiß, die das ganze Kapital unterhalten kann, ist ge-
wiß nicht beiden, dem Gelde samt den Rohstoffen,
Werkzeugen und Unterhaltsmitteln gleich, sondern nur
dem einen oder dem anderen dieser beiden Werte und
zwar dem letzteren mehr als dem ersteren.
Wenn an die Stelle des Gold- und Silbergeldes
Kap. ir.: Das Geld. 31
Papier tritt, so kann die Summe von Rohstoffen, Werk-
zeugen und Unterhaltsmitteln, die das ganze umlaufende
Kapital zu verschaffen vermag, um den ganzen Wert
des sonst zu ihrem Ankauf verwendeten Goldes und
Silbers zunehmen. Der ganze Wert des großen Um-
laufs- und Yerteilungsrades tritt zu den Gütern hinzu,
die durch seine Vermittelung umliefen und verteilt
wurden. Diese Tätigkeit gleicht gewissermaßen der
eines großen Fabrikunternehmers, der infolge einer
mechanischen Erfindung seine alten Maschinen aufgibt,
und den Unterschied zwischen ihrem Preise und dem
der neuen Maschinen zu seinem Umlaufskapital, dem
Fonds, aus dem er Materialien und Arbeitslohn an-
schafft, hinzuschlägt.
Das Verhältnis zu bestimmen, in welchem das um-
laufende Geld eines Landes zum Gesamtwert des durch
seine Vermittlung umlaufenden Jahresertrags steht, ist
vielleicht unmöglich. Von einigen ist es auf ein fünftel,
von anderen auf ein zehntel, ein zwanzigste], oder selbst
ein dreißigstel dieses Wertes geschätzt worden. Wie
klein aber auch das Verhältnis des umlaufenden Geldes
zum Gesamtwert des Jahresertrages sein mag, so muß
doch sein Verhältnis zu demjenigen Teile dieses Ertrags,
der zum Unterhalt der Gewerbtätigkeit dient — und das
ist eben nur ein Teil und oft ein nur geringer Teil des
Gesamtertrags — stets sehr groß sein. Wird daher durch
die Stellvertretung des Papiers das zum Umlauf er-
forderliche Gold und Silber vielleicht auf ein fünftel
der früheren Menge zurückgeführt, so muß es, wenn der
Wert des größeren Teils der übrigen vier fünftel zu
den dem Unterhalt der Gewerbtätigkeit dienenden
Fonds hinzukommt, die Summe dieser Gewerbtätigkeit
und folglich den Wert des jährlichen Boden- und
Arbeitsertrags sehr- bedeutend vermehren.
Etwas der Art ist in den letzten 25 oder 3U Jahren
32 Zweites Buch: Das Kapital.
in Schottland durch die Gründung neuer Bankgesell-
schaften fast in jeder größeren Stadt, ja sogar in man-
chen Landstädtchen, vor sich gegangen. Die Wirkun-
gen waren genau die oben beschriebenen. Die Geschäfte
des Landes werden fast ausschließlich mit dem Papier
jener Bankgesellschaften geführt, womit Käufe und
Zahlungen aller Art gemacht zu werden pflegen. Silber
kommt nur selten vor, außer beim Wechseln einer
Zwanzigschillingnote, und Gold noch seltener. Obgleich
nicht alle jene Gesellschaften tadelfrei geblieben sind
und ihre Gebahrungen durch eine Parlamentsakte ge-
regelt werden mußten, so hat das Land doch offenbar
großen Gewinn aus ihrem Betrieben gezogen. Man ver-
sichert, daß der Handel Glasgows sich seit den fünfzehn
Jahren der Gründung der dortigen Banken verdoppelt
habe, und daß der Handel Schottlands seit der Er-
richtung der beiden öffentlichen Banken in Edinburgh,
von denen die Bank von Schottland durch eine Par-
lamentsakte 1695, und die königliche Bank durch einen
königlichen Freibrief 1727 gegründet wurde, um mehr
als das vierfache gestiegen sei. Ob der Handel Schott-
lands im allgemeinen oder Glasgows insbesondere
während einer so kurzen Zeit wirklich so stark zuge-
nommen hat, weiß ich nicht. Ist es aber geschehen, so
scheint dieser Erfolg zu groß zu sein, als daß er sich
aus jener Ursache allein erklären ließe. Indeß steht
die Tatsache fest, daß Handel und Industrie Schott-
lands innerhalb dieses Zeitraums sehr bedeutend ge-
stiegen sind; und daß die Banken viel dazu beige-
tragen haben, ist nicht zu bezweifeln.
Der Wert des in Schottland vor der Union (1707)
umlaufenden und unmittelbar nach ihr zum Zweck
einer Umprägung in die Bank von Schottland geliefer-
ten Silbergeldes betrug £ 411,117 10 sh. 9 d. Über die
Goldmünzen war keine Berechnung aufzutreiben, doch
Kap. IL: Das Geld. 33
geht aus den alten schottischen Münzberichten hervor,
daß der "Wert des jährlich gemünzten Goldes den des
Silbers etwas überstieg. Sehr viele, die an der Zurück-
zahlung zweifelten, bi'achten damals ihr Silber nicht zur
Bank von Schottland*); auch lief einiges englisches Geld
um, das nicht eingefordert wurde. Der Gesamtwert des
vor der Union in Schottland umlaufenden Goldes und
Silbers kann daher auf mindestens eine Million £ ver-
anschlagt werden. Dies dürfte so ziemlich der ganze
Umlauf des Landes gewesen sein; denn obwohl die
Bank von Schottland, die damals noch ohne Konkurrenz
war, vorher eine nicht unbeträchtliche Menge Noten im
Umlauf hatte, so war sie doch im Verhältnis zum Ganzen
nur unbedeutend. Gegenwärtig kann man den ganzen
Umlauf Schottlands auf mindestens zwei Millionen ver-
anschlagen, wovon wahrscheinlich kaum eine halbe
MilHon in Gold und Silber besteht. Obwohl aber der
Umlauf an Gold und Silber so bedeutend abgenommen
hat, scheint doch der wahre Wohlstand des Landes
keineswegs gelitten zu haben ; im Gegenteil haben sich
Ackerbau, Industrie und Handel, hat sich der Jahreser-
trag seines Bodens und seiner Arbeit offenbar gehoben.
Die meisten Banken geben ihre Noten mittelst
Wechseldiskont, d. h. Geldvorschuß auf Wechsel vor
der Verfallzeit aus. Von der vorzuschießenden Summe
werden die gesetzlichen Zinsen bis zum Verfalltage
des Wechsels abgezogen. Die Bezahlung des fälligen
Wechsels erstattet der Bank den Vorschuß nebst einem
Zinsgewinn zurück. Der Bankier, der dem Kaufmann,
dessen Wechsel er diskontiert, nicht Gold und Silber,
sondern seine eigenen Noten gibt, hat den Vorteil, daß
er um den ganzen Betrag erfahrungsmäßig im Umlauf
bleibender Noten mehr diskontieren kann, wodurch er
an einer um soviel größeren Summe Zinsen macht.
'*') Siehe Riiddimans Vorrede zu Andersons DiploniataScotiae.
Adam Smith, Volkswohlstand. IL <J
34 Zweites Buch: Das Kapital.
Der noch immer nicht sehr bedeutende schottische
Handelsverkehr war zu der Zeit, als die beiden ersten
Banken gegründet wurden, noch viel geringfügiger, und
diese Gesellschaften würden wenig Geschäfte gemacht
haben, wenn sie sich auf Wechseldiskont beschränkt
hätten. Sie ersannen deshalb eine andere Methode ihre
Noten auszugeben, indem sie nämlich sogenannte Kassa-
konten einrichteten, d. h. jedem, der zwei Leute von
unzweifelhaftem Kredit und gutem Grundbesitz als
Bürgen für die Rückzahlung stellen konnte, bestimmte
Summen, z.B. zwei oder dreitausend Pfund, kreditierten.
Kredite dieser Art werden, glaube ich, überall in der
Welt von Banken und Bankiers bewilligt, aber die
leichten Bedingungen, die die schottischen Banken hin-
sichtlich der Rückzahlung stellen, sind, so viel ich weiß,
ihnen eigentümlich und waren vielleicht die Hauptur-
sache sowohl der guten Geschäfte, die sie machten, als
auch des Nutzens, den das Land daraus zog.
Wer einen solchen Kredit bei einer dieser Gesell-
schaften hat, und z. B. tausend Pfund von ihr borgt,
kann diese Summe in Raten zu zwanzig und dreißig
Pfund zurückzahlen, wobei die Zinsen von dem Tage
der Einzahlung an abgerechnet werden. Alle Kauf-
leute, überhaupt fast alle Geschäftsleute finden es daher
vorteilhaft, sich Kassakonten bei ihnen zu verschaffen,
und sind dadurch selbst dabei interessiert, die Ge-
schäfte jener Gesellschaften zu fördern, ihre Noten be-
reitwillig bei allen Zahlungen anzunehmen und andere
Leute zu bewegen, dasselbe zu tun. Wenn die Ge-
schäftsfreunde der Banken Geld von ihnen wünschen,
so schießen letztere es gewöhnlich in ihren Noten vor.
Diese Noten geben die Kaufleute ihrerseits an die Ge-
werbtreibenden für Waren in Zahlung, die Gewerb-
treibenden geben sie für Rohstoffe und Lebensmittel an
die Pächtei-, die Pächter als Rente an die Grundeigen-
Kap. TL: Das Geld. 35
tümer, die Grundeigentümer zahlen sie für Bedarfs-
und Luxusartikel an die Kaufleute, und die Kaufleute
endlich schicken sie an die Banken zui'ück, um ihre
Kassenkonten zu begleichen, oder ihr Darlehen zurück-
zuzahlen, und so werden fast alle Geschäfte des Landes
mittelst jener Noten geführt. Daher das große Ge-
schäft jener Gesellschaften.
Mittelst der Kassenkonten kann jeder noch so vor-
sichtige Kaufmann größere Geschäfte treiben, als es ihm
sonst möglich wäre. Von zwei Kaufleuten, von denen
einer in London, der andere in Edinburgh wohnt, und
die beide Kapitalien in dem nämlichen Geschäftszweige
angelegt haben, kann der Edinbuigher ohne Unvor-
sichtigkeit größere Geschäfte treiben, und mehr Leute
beschäftigen, als der Londoner. Der Letztere muß zu
Hause oder bei seinem Bankier, der ihm keine Zinsen
dafür gibt, immer eine beträchtliche Summe bereit halten,
um für die Ware, die er kauft, auf Verlangen sofort
Zahlung leisten zu können. Angenommen, diese Summe
belaufe sich gewöhnlich auf £ 500, so muß der Wert
der Waren in seinem Lager um £ 500 geringer sein,
als es nötig wäre, wenn er nicht diese Summe unbe-
schäftigt liegen lassen müßte. Setzt er gewöhnlich seine
Vorräte einmal jährlich um, so wird er, da er diese
Summe unbeschäftigt lassen muß, im Jahr für £ 500
Waren weniger verkaufen, als er es sonst könnte. Sein
jährlicher Gewinn wird daher um den Betrag geringer
sein, den er durch den Verkauf von Waren im Werte
von £ 500 hätte erwarten können, und die Anzahl der
Leute, denen er zu tun gibt, ward um soviel kleiner
sein, als durch £ 500 mehr hätten beschäftigt werden
können. Der Edinburgher Kaufmann dagegen braucht
kein Geld zur Deckung gelegentlicher Forderungen
unbeschäftigt liegen zu lassen. Er deckt solche durch
sein Kassenkonto bei der Bank, und erstattet nach und
36 Zweites Buch: Das Kapital.
nach die geborgte Summe mit dem bei ihm eingehenden
Geld oder Papier zurück. Er kann daher ohne jede Un-
vorsichtigkeit mit dem nämhchen Kapital fortwährend
eine prößere Menge Waren auf Lager halten, als der
Londoner Kaufmann, und dadurch sowohl für sich selbst
einen größeren Gewinn ziehen, als auch eine grüßeie
Zahl fleißiger Leute, von denen er die Waren ent-
nimmt, beschäftigen. Daher der große Vorteil, den
das Land aus jenen Unternehmungen zieht.
Man sollte zwar glauben, daß die Leichtigkeit des
Wechseldiskonts den englischen Kaufleuten Vorteile
biete, die den Kassenkonten der schottischen Kaufleute
gleichkommen. Aber man darf nicht vergessen, daß
die schottischen Kaufleute ihre Wechsel eben so leicht
diskontieren können wie die englischen, und außerdem
noch den A'^orteil ihrer Kassenkonten haben.
Der Gesamtwert des Papiergeldes, das in einem
Lande mit Leichtigkeit umzulaufen vermag, kann den
Wert des Goldes und Silbers nicht übersteigen, dessen
Stelle es ersetzen oder das bei gleichem Verkehr um-
laufen würde, falls es kein Papiergeld gäbe. Sind bei-
spielsweise Zwanzigschillingnoten das niedrigste Papier-
geldzeichen, so kann ihre Summe, die mit Leichtigkeit
umläuft, die Summe des Goldes und Silbers nicht über-
steigen, welche erforderlich wäre, die im Lande vor-
kommenden jährlichen Umsätze von zwanzig Schilling
und darüber zu bewirken. Übersteigt einmal das um-
laufende Papier diese Summe, so muß der Überschuß,
da er weder ins Ausland gesendet, noch in dem inneren
Umlauf verbraucht werden kann, sofort in die Banken
zurückkehren, um gegen Gold imd Silber ausgetauscht
zu werden. Viele würden einsehen, daß sie mehr Paj^ier
haben, als sie zum Geschäftsbetriebe im Lande brauchen,
und da sie es nicht ins Ausland schicken können, Bar-
zahlung dafür fordern. In Gold und Silber umgewechselt
Kap. Tl.: Da.s Gold. 37
kimnen sie das Geld leicht zu Sendungen ins Ausland
gebrauchen; in Gestalt des Papiers dagegen hat es für
sie keinen Nutzen. Es würde deshalb alsbald ein Sturm
auf die Banken entstehen und der ganze Betrag des
überflüssigen Papiers zur Einlösung vorgelegt werden ;
und wenn sie Schwierigkeiten machten, so würde noch
um einen weit größeren Betrag sturmgelaufen werden:
denn der Lärm, den die Weigerung hervorbrächte,
würde den Sturm notwendig vermehren.
Außer den Kosten, die allen Geschäftszweigen
gemeinsam sind, wie Hausmiete, Lohn der Gehilfen
und Buchhalter usw., erwachsen einer Bank noch be-
sondere Kosten hauptsächlich dadurch, daß sie erstens
jederzeit eine große Summe zur Befriedigung der ge-
legentlichen Forderungen seitens der Xoteninhaber
unverzinslich liegen haben und zweitens die Kassen,
sobald sie geleert sind, wieder füllen muß.
Eine Bankgesellschaft, die mehr Papier ausgiebt,
als im Umlauf des Landes zu verwenden ist, und zu
der der Überschuß fortwährend zurückkehrt, müßte die
in der Kasse gehaltene Menge Gold und Silbers, nicht
nur im Verhältnis jenes Übermaßes ihres L^mlaufs,
sondern in noch weit größerem Verhältnisse vermehren,
da ihre Noten weit schneller zurückkehren, als das
Verhältnis jenes Übermaßes es mit sich bringt. Die
Gesellschaft müßte also die erstere Ausgabe nicht nur
nach Verhältnis der forzierten Geschäftszunahme, son-
dern nach weit größerem Verhältnis vermehren.
Auch müssen die Barbestände der Gesellschaft,
wenn sie auch viel größer sind, sich doch weit schneller
leeren, als wenn das Geschäft in verständige Grenzen
eingeschränkt wird, und nicht nur stärkere, sondern
auch dauerndere und ununterbrochenere Ausgaben
erfordern, um wieder gefüllt zu werden. Und die auf
diese Weise fortwährend in großen Mengen ihren Kassen
f^^ Zweites Buch: Das Kapital.
entnommene Münze kann auch im Umlaufe des Landes
nicht verwendet werden. Sie tritt an die Stelle eines
Papiergeldes, von dem schon zu viel vorhanden war,
um im Umlauf verwendet werden zu können, und über-
steigt daher gleichfalls den Bedarf. Da man aber diese
Münze nicht wird müßig liegen lassen wollen, so muß
sie in der einen oder anderen Gestalt ins Ausland ge-
sendet werden, um dort die gewinnbringende Verwen-
dung zu finden, die ihr im Lande nicht zu Teil wird;
und diese beständige Ausfuhr von Gold und Silber muß
notwendig die Kosten, die die Bank für Anschaffung
frischen Goldes und Silbers zur Füllung ihrer Kassen
aufwenden muß, die sich so schnell leeren, noch erhöhen.
Eine solche Gesellschaft muß daher je nach dem Über-
maße der Geschäftsausdehnung die zweite Art ihrer
Unkosten noch mehr erhöhen, als die erstere.
Angenommen, die Noten einer Bank, die der Um-
lauf des Landes leicht aufnehmen und verwenden kann,
machten genau £ 40,000 aus, und diese Bank müßte,
um den gelegentlichen Forderungen zu entsprechen,
jederzeit £ 10,000 in Gold und Silber vorrätig haben.
Sollte diese Bank versuchen, £ 44,000 in Umlauf zu
setzen, so würden die £ 4000, die sie mehr ausgiebt,
als der Umlauf leicht aufnehmen und verwenden kann,
fast eben so schnell zu ihr zurückkehren, als sie aus-
gegeben wurden. Um den gelegentlichen Forderungen
zu entsprechen, müßte die Bank also jederzeit nicht
nur £ 11,000, sondern £ 14,000 in der Kasse haben.
Sie würde auf diese "Weise an den Zinsen der den Um-
lauf übersteigenden £ 4000 nichts gewinnen, und die
ganzen Unkosten für beständige Anschaffung von
£ 4000 in Gold und Silber, die eben so schnell wieder
gehen, wie sie kommen, verlieren.
Hätten alle Banken stets ihr Interesse verstanden
und gewahrt, so würde der Umlauf niemals mit Papier-
geld überfüllt worden sein. Aber dies war eben nicht
Kap. IL: Das Geld. 39
immer der Fall und der Umlauf wurde oft genug mit
Papiergeld überfüllt.
Durch Ausgabe einer zu großen Masse Papier,
dessen Überschuß stets zurückkehrte, um gegen Gold
und Silber ausgetauscht zu werden, sah sich die Bank
von England genötigt, jährlich zwischen £ 800,000 und
1,000,000 oder durchschnittlich £ 850,000 Gold prägen
zu lassen. Zu diesem Ende war die Bank, weil seit
einigen Jahren die Goldmünzen stark abgenutzt und
verschlechtert waren, oft genötigt, Goldbarren zu dem
hohen Preise von £ 4 für die Unze zu kaufen, die sie
bald darauf als Münze zu £ 3 17 sh. 10V2 d. wieder
ausgab, wobei sie also zwischen 2^ 2 und S^/o verlor,
ein bei einer so großen Summe sehr bedeutender Ver-
lust. Obgleich die Bank keinen Schlagschatz zahlte,
und eigentlich die Regierung die Kosten der Aus-
münzung trug, so konnte diese Freigebigkeit des
Staates doch nicht die Unkosten der Bank verhüten.
Die schottischen Banken sahen sich durch ähnliche
Überschreitungen genötigt, beständig Agenten in Lon-
don zu halten, um Geld für sie zu beschaffen, was
selten ohne einen Verlust von 1^ 2 bis 2°'o abging. Dazu
kamen noch ^ 4°,o oder 15 sh. auf £ 100 für Fracht
und Versicherung. Die Agenten aber waren nicht immer
im Stande, die Kassen ihrer Auftraggeber so rasch zu
füllen, als sie sich geleert hatten. In diesem Falle er-
griffen die Banken das Auskunftsmittel, auf ihre Korre-
spondenten in London Wechsel in Höhe der benötigten
Summen zu ziehen. Zogen später die Korrespondenten
ihrerseits Wechsel in gleichem Betrage, samt Zinsen
und Provision, auf die Banken, so vermochten manche
von ihnen, bei der Verlegenheit, in die sie durch den
übermäßigen Umlauf geraten waren, die Tratten oft
auf keine andre Ar^^ zu bezahlen, als indem sie eine
zweite Serie von Wechseln entweder auf den nämlichen
oder auf andere Korrespondenten in London zogen;
40 Zweites Buch: Das Kapital.
und so machte ein und dieselbe Summe, oder vielmehr
Wechsel von ein und derselben Summe, mitunter mehr
als zwei oder drei Reisen, wobei die schuldende Bank
stets die Zinsen und Provisionen auf die ganze sich
häufende Summe zu bezahlen hatte. Selbst solche
schottische Banken, die niemals eine besonders große
Unvorsichtigkeit an den Tag legten, sahen sich manch-
mal in die Notw^endigkeit versetzt, dieses verderbliche
Auskunftsmittel zu ergreifen.
Das Goldgeld, das von der Bank von England
oder von den schottischen Banken im Austausch gegen
denjenigen Teil ihres Papiers gezahlt wurde, der deii
Umlaufsbedarf des Landes überstieg, wurde, da es
gleichfalls diesen Bedarf überstieg, bald im gemünzten
Zustande, bald eingeschmolzen und als Barren ins
Ausland gesandt, oder auch eingeschmolzen und zu
dem hohen Preise von £ 4 für die Unze an die Bank
von England verkauft. Man suchte mit aller Sorgfalt
nur die neuesten, schwersten und besten Stücke aus,
um sie fortzusenden oder einzuschmelzen. Im Lande
selbst hatten diese schweren Stücke als Münze keinen
höheren Wert, als die leichten; sie erhielten ihn aber,
wenn sie entweder ins Ausland geschickt oder im Lande
selbst zu Barren eingeschmolzen wurden. Die Bank
von England fand zu ihrem Erstaunen, daß trotz ihrer
großen Ausmünzungen sich alljährlich wieder derselbe
Mangel an Münze zeigte, wie im Vorjahr, und daß,
trotz der großen Menge guter und neuer Münzen, die
die Bank jährlich ausbrachte, der Zustand der Münzen,
statt besser zu werden, mit jedem Jahre schlechter
wurde. Mit jedem Jahre war man von neuem ge-
nötigt, beinahe die nämliche Menge Gold ausmünzen
zu müssen, wie im Vorjahre, und dabei wurden die
Kosten dieser großen jährlich wiederkehi'enden Aus-
münzung durch das fortwährende Steigen des Gold-
barrenpreises, der wegen der Abnutzung und Be-
Kap. II.: Pas Geld. 41
schneidung des Geldes immer höher wurde, von Jahr
zu Jahr größer. Die Bank von England muß nämlich
durch die eigne Versorgung mit barem Gelde indirekt
das ganze Reich damit versorgen, wohin es aus der
Bank auf den verschiedensten Wegen beständig abfließt.
So viel Bargeld daher auch erforderlich war, um den über-
mäßigen Umlauf schottischen und englischen Papier-
geldes aufrecht zu erhalten, und so große Lücken auch
dieser übermäßige Umlauf in der für das Reich nötigen
Münze hervorbrachte: die Bank von England mußte
für ihre Beschaffung sorgen. Allerdings bezahlten
auch die Schotten ihre Unvorsichtigkeit teuer; aber die
Bank von England hatte nicht nur ihre eigene, sondern
auch die noch weit größere Unvorsichtigkeit fast aller
schottischen Banken sehr teuer zu bezahlen.
Die ursprüngliche Ursache dieses übermäßigen
Pajjierumlaufs war die Spekulationswut einiger ver-
wegenen Spekulanten in beiden Teilen des vereinigten
Königreichs.
Eine Bank vermag den Handel- oder Gewerbtrei-
benden weder ihr ganzes Betriebskapital, noch auch
nur einen erheblichen Teil von ihm, sondern nur den-
jenigen Teil vernünftiger Weise vorzuschießen, den sie
ohne jenen Vorschuß unbeschäftigt zur Befriedigung
einlaufender Forderungen in barem Gelde liegen haben
müßten. Übersteigt das Papiergeld, das die Bank vor-
schießt, niemals diesen Betrag, so kann es auch niemals
den Betrag des Goldes und Silbers übersteigen, das im
Lande umlaufen würde, wenn es kein Papiergeld gäbe;
oder mit andern Worten: es kann die Menge nicht
übersteigen, die der Umlauf des Landes mit Leichtig-
keit aufnehmen und verwenden kann.
Diskontiert eine Bank einem Kaufmann einen
reellen von einem wirklichen Gläubiger auf einen wirk-
lichen Schuldner ausgestellten Wechsel, der am Verfall-
tag pünktlich bezahlt wird, so schießt sie ihm nur einen
42 Zweites Burh: Das Kapital.
Teil des Betrages vor, den er sonst unbeschäftigt in
barem Gelde bei sich hegen lassen müßte, um ein-
laufende Forderungen befriedigen zu können. Die
Bezahlung des Wechsels am Verfalltage erstattet der
Bank den Betrag ihres Vorschusses mit Zinsen zurück.
Die Kassen der auf Geschäfte mit solchen Kunden
beschränkten Bank gleichen einem Teich, aus dem
zwar stets Wasser abfließt, aber in den auch stets
wieder ebenso viel hineinfließt, so daß der Teich ohne
alle weitere Sorge oder Wartung immer gleich oder
beinahe gleich voll bleibt. Die Kassen einer solchen
Bank wieder zu füllen, kann nur wenig oder gar keine
Unkosten verursachen.
Jedoch auch ohne seinen Betrieb übermäßig auszu-
dehnen, kann ein Kaufmann oft in den Fall kommen,
bares Geld zu brauchen, für das er keine Wechsel zu
diskontieren hat. Schießt ihm die Bank, die gewöhnlich
seine AVechsel diskontiert, in solchen Fällen auch noch
diese Summe auf sein Kassenkonto vor und gestattet
unter den leichten Bedingungen der schottischen Banken
ratenweise Rückzahlung, so überhebt sie ihn gänzlich der
Notwendigkeit, einen Teil seines Kapitals zur Befriedi-
gung einlaufender Forderungen unbeschäftigt in barem
Gelde liegen zu haben. Er befriedigt sie aus seinem
Kassenkonto. Doch hat die Bank bei solchen Kunden
sehr genau darauf zu achten, ob innerhalb eines kurzen
Zeitraums, z. B. von vier, fünf, sechs oder acht Monaten,
der Betrag der Ratenzahlungen dem Betrag der Vor-
schüsse gleichkommt oder nicht. Ist ersteres der Fall,
so kann die Bank ohne Gefahr mit solchen Kunden
die Geschäfte fortsetzen. Denn wenn auch in diesem
Falle der Abzug aus den Kassen fortwährend sehr stark
ist, so wird doch der Zugang wenigstens eben so stark
sein, so daß aller Wahrscheinlichkeit nach die Kassen
sich ohne weitere Sorge auf annähernd gleichem Be-
stände erhalten und kaum Unkosten für Geldbeschaffung
Kai). "•: '^^1« CS eld- 43
erfordern werden. Bleibt dagegen der Betrag der Rück-
zahlungen gewöhnlich weit hinter den Vorschüssen zu-
rück, so kann die Bank mit derartigen Kunden die
Geschäfte nicht mit Sicherheit fortsetzen, falls sie ihre
Gebahrungen nicht ändern. Der fortdauernde Abzug
aus ihren Kassen muß in diesem Falle weit größer sein,
als der Zugang, so daß die Kassen, wenn sie nicht
mit großen Kosten beständig wieder ergänzt werden,
bald gänzlich erschöpft sein müssen.
Deshalb waren die schottischen Banken lange Zeit
eifrig darauf bedacht, von allen ihren Kunden oftmalige
und regelmäßige Rückzahlungen zu fordern, und es lag
ihnen wenig an Geschäftsverbindungen mit Leuten, die
so groß ihr Vermögen oder Kredit sein mochte, doch,
wie sie sich ausdrückten, keine häufigen und regel-
mäßigen Geschäfte mit ihnen machten. Durch diese
Behutsamkeit erreichten sie, abgesehen davon, daß sie
ungewöhnliche Kosten für Ergänzung ihrer Barbe-
stände ersparten, zwei andere sehr wesentliche Vorteile.
Erstens waren sie durch ihre Behutsamkeit in
Stand gesetzt, sich über die guten und schlechten Ver-
mögensumstände ihrer Schuldner hinreichend auf dem
Laufenden zu halten, ohne andere Auskunft zu brau-
chen, als ihre eignen Bücher sie darboten: denn die
Schuldner sind meist mit der Rückzahlung pünktlich
oder saumselig, je nachdem sie sich in guten oder
schlechten Umständen befinden. Ein Privatmann, der
sein Geld vielleicht an ein halbes Dutzend oder ein
Dutzend Schuldner ausleiht, kann entweder selbst oder
durch Agenten ihr Verhalten und ihre Lage beob-
achten. Aber eine Bankgesellschaft, die vielleicht an
fünfhundert Leute Geld ausleiht, und deren Aufmerk-
samkeit stets auf sehr verschiedene Dinge gerichtet
ist, kann sich über die Gebahrungen und Umstände
ihrer meisten Schuldner nur aus ihren eignen Büchern
unterrichten. Diesen Vorteil hatten auch wahrschein-
44 Zweites Bucli: Da.s Kapital.
lieh die schottischen Banken im Auge, wenn sie häufige
und regelmäßige Rückzahlungen von ihren Kunden
verlaugten.
Zweitens sicherten sie sich durch diese Behut-
samkeit gegen die Möglichkeit, mehr Papier auszu-
geben, als der Umlauf des Landes leicht aufnehmen
und gebrauchen konnte. Bemerkten sie, daß die Rück-
zahlungen eines Kunden innerhalb eines kurzen Zeit-
raums den Bankvorschüssen gleich kamen, so konnten
sie sicher sein, daß das Papiergeld, das sie ihm vor-
geschossen hatten, niemals die Menge Gold und Silber
überstieg, die er ohne ihren Vorschuß zur Deckung
einlaufender Forderungen hätte halten müssen, und
daß folglich das Papiergeld, das auf diese Weise in
Umlauf gebracht war, niemals die Menge Gold und
Silber überstieg, die in dem Lande umgelaufen sein
würde, wenn es kein Papiergeld gegeben hätte. Die
Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Höhe der Rückzah-
lungen zeigte hinlänglich, daß der Betrag ihrer Vor-
schüsse niemals den Teil seines Kapitals überstieg, den
er ohne sie zur Deckung einlaufender Forderungen,
d.h. um sein übriges Kapital in beständiger Beschäf-
tigung erhalten zu können, in barem Gelde hätte liegen
haben müssen. Nur dieser Teil seines Kapitals kehrt
nach und nach in Papier oder Münze an den Geschäfts-
mann zurück, und geht ebenso wieder von ihm fort.
Überschreiten in der Regel die Vorschüsse der Bank
diesen Teil seines Kapitals, so können seine allmäh-
lichen Rückzahlungen dem Betrag ihrer Vorschüsse
nicht gleich kommen. Der durch seine Geschäfte
fortwährend herbeigeführte Rückfluß in die Kassen
der Bank hätte dem infolge der nämlichen Geschäfte
bewirkten Abzug aus ihnen nicht gleichkommen können.
Wenn die Vorschüsse an Banknoten die Menge Gold
und Silber, die der Kaufmann ohne jene Vorschüsse
zur Befriedigung gelegentlicher Forderungen hätte
Kap. IT.: Das Geld. 45
zurückbehalten müssen, überstiegen, so konnten sie
bald die ganze Menge Gold und Silber übersteigen,
die (bei gleichbleibendem Yerkehr) im Lande umge-
laufen sein würde, falls es kein Papieigeld gab, und
folglich die Menge, die der Umlauf des Landes leicht
aufzunehmen und zu verwenden vermochte; und nun
würde das überschüssige Papiergeld sofort zur Bank
zurückgekehrt sein, um gegen Gold und Silber aus-
gewechselt zu werden. Dieser zweite, ebenso wichtige
Vorteil wurde vielleicht nicht von allen schottischen
Banken so gut begriffen wie der erste.
Wenn die kreditwürdigen Geschäftsleute eines Lan-
des teils durch die Bequemlichkeit des Wechseldiskonts,
teils durch die Kassonkonti der Notwendigkeit über-
hoben sind, einen Teil ihres Kapitals für gelegentliche
Forderungen unbeschäftigt bar liegen zu haben, so
können sie füglich keinen weiteren Beistand von den
Banken und Bankiers erwarten, die ohne Verletzung
ihres eignen Interesses und ihi'er Sicherheit nicht weiter
gehen können, als bis zu diesem Punkte. Eine Bank
kann ihres eignen Interesses wegen einen Geschäftsmann
nicht das ganze Betriebskapital, oder auch nur seinen
größten Teil vorschießen, weil, wenn auch das Kapital
stets in Form von Geld zu ihm zurückkehrt und ihn
ebenso verläßt, doch zu große Zeiträume zwischen dem
Wiedereingehen des Ganzen und dem Fortgang des
Ganzen liegen, und seine Eückzahlungen nicht in so
kurzen Zwischenräumen, wie es der Bank lieb sein
muß, den Vorschüssen gleichkommen könnten. Noch
weniger aber könnte eine Bank ihm einen bedeuten-
den Teil seines stehenden Kapitals vorschießen, des
Kapitals, das der Unternehmer eines Eisenwerkes zur
Herstellung der Schmieden, Hämmer, Werkstätten, Ma-
gazine, Wohngebäude für die Arbeiter usw. braucht; oder
das der Bergwerksunternehmer braucht, um die Schachte
46 Zweites Buch: Das Kapital.
abzuteufen, Pumpwerke aufzustellen, ^Wege und Fahr-
straßen zu machen usw.; oder das der Landwirt zu Kul-
turverbesserungen, Abzugsgräben, Einzäunungen, zur
Düngung und Bestellung' unbebauter Felder, zu Wirt-
schaftsgebäuden und ihrem Zubehör an Ställen, Speichern
usw. braucht. Die Erträgnisse des stehenden Kapitals
gehen fast stets langsamer ein als die des umlaufenden,
und solche Ausgaben machen sich, selbst bei der größ-
ten Vor- und Umsicht in ihrer Verwendung, doch ge-
wöhnlich erst nach vielen Jahren wieder bezahlt, eine
viel zu lange Zeit, um für eine Bank annehmbar zu
sein. Kaufleute und andere Unternehmer können gewiß
viele ihrer Pläne recht gut mit geborgtem Gelde aus-
führen. Zur Sicherstellung ihrer Gläubiger muß jedoch
ihr eignes Kapital in diesem Falle groß genug sein, um
so zu sagen das Kapital der anderen zu versichern, das
heißt, um es unwahrscheinlich zu machen, daß die
Gläubiger einen Verlust erleiden werden, selbst wenn
der Ertrag weit hinter den Hoffnungen der Unter-
nehmer zurückbleiben sollte. Aber auch dann sollte
das Geld, das man erst nach mehreren Jahren zurück
zu zahlen beabsichtigt, nicht von einer Bank, sondern
auf Obligationen und Hypotheken von Privatleuten ge-
borgt werden, die von den Zinsen ihres Geldes leben
wollen, ohne es in eignen Geschäften anzulegen, und
die ihre Kapitalien deshalb gern an Leute von gutem
Kredit ausleihen und Jahre lang stehen lassen. Freilich
wäre eine Bank, die iliie Gelder ohne Kosten an Stempel
und für Notariatsgebühren verleiht und die Rückzah-
lung unter so leichten Bedingungen wie die schottischen
Banken gestattet, ein sehr v^illkommener Gläubiger für
solche Unternehmer; allein die letzteren wären sehr
ungeeignete Schuldner für eine Bank.
Schon vor mehr als fünfundzwanzig Jahren betrug
das von den verschiedenen schottischen Banken ausge-
Kap. IL: Das Geld. 47
gebene Papiergeld so viel, oder eher noch etwas mehr,
als der Umlauf des Landes leicht aufnehmen und ver-
wenden kann. Schon damals also hatten diese Gesell-
schaften den schottischen Handel- und Gewerbtreiben-
den all' den Beistand geleistet, den Banken und Ban-
kiers, ohne gegen ihr eignes Interesse zu handeln,
leisten können. Sie hatten sogar etwas mehr getan.
Sie hatten das Geschäft etwas übertrieben, und sich
Verluste, oder wenigstens die Gewinnreduktion zuge-
zogen, die bei der geiingsten derartigen Geschäftsüber-
treibung nicht ausbleiben kann. Die Handel- und Ge-
werbtreibenden aber, die von den Banken und Bankiers
soviel Beistand erhalten hatten, wünschten noch mehr
zu erhalten. Sie schienen zu glauben, daß die Banken
ihren Kredit auf jede mögliche Summe ausdehnen
könnten, ohne daß es sie mehr koste, als ein par Ries
Papier. Sie klagten über die Engherzigkeit und Mut-
losigkeit der Bankdirektoren, die, wie sie sagten, ihre
Kredite nicht nach der Ausdehnung der geschäftlichen
Unternehmungen im Lande einrichteten, und verstan-
den ohne Zweifel unter der Ausdehnung der geschäft-
lichen Unternehmungen die Ausdehnung ihrer eigenen
Pläne, die sie weder mit ihrem eigenen Kapital, noch
mit dem auf Obligationen und Hypotheken bei Privat-
leuten genommenen Kredit bestreiten konnten. Sie er-
achteten die Banken durch ihre Ehre verpflichtet, das
Fehlende herzugeben, und sie mit allem Kapital zu ver-
sehen, das sie zu ihren Unternehmungen brauchten.
Ganz anderer Meinung waren jedoch die Banken, und
da sie sich weigerten, ihren. Kredit soweit auszudehnen,
so nahmen manche jener Geschäftsleute ihre Zuflucht
zu einem Mittel, das ihren Zwecken eine Zeit lang, zwar
nicht so billig aber doch ebenso wirksam diente, als es
der größte Bankkredit vermocht hätte. Dies Mittel war
kein anderes, als der wohlbekannte Notbehelf, den un-
glückliche Geschäftsleute bisweilen ergreifen, wenn sie
48 Zweites Buch: Das Kapital.
um Rande des Bankerotts stehen. Diese Art Geld auf-
zubringen war in England längst bekannt, und soll
während des letzten Krieges, wo die hohen Geschäfts-
gewinne mächtig zur Überspekulation verleiteten, in
größtem Maßstabe angewendet worden sein. Aus Eng-
land wurde diese Methode nach Schottland verpflanzt,
wo sie im Verhältnis zu dem sehr beschränkten Ver-
kehr und dem sehr mäßigen Kapital des Landes bald
in einer weit größeren Ausdehnung gehandhabt wurde,
als jemals in England.
Die Wechselreiterei ist allen Geschäftsleuten so
wohl bekannt, daß es unnötig scheinen könnte, sie
näher zu eiklären. Da indessen dies Buch manchem
in die Hand kommen kann, der kein Geschäftsmann
ist, und da selbst Geschäftsleute den Einfluß dieses
Mittels auf das Bankwesen nicht immer genau kennen,
so will ich es möglichst faßlich zu erkläi'en suchen.
Die Handelsgebräuche, die in Europa zu einer Zeit
eingeführt wurden, als die unzureichenden Gesetze die
P]rfüllung von Verträgen noch nicht erzwangen, und
die in den beiden letzten Jahrhunderten in die Ge-
setze aller europäischen Nationen übergegangen sind,
erteilten den Wechseln so außerordentliche Vorrechte,
daß auf sie weit eher Geld zu haben ist, als auf jede
andere Schuldverschreibung, zumal sie in kurzer Zeit,
etwa in zwei oder drei Monaten nach dem Tage der
Ausstellung zahlbar sind. Wenn der Akzeptant den
Wechsel bei Vorzeigung am Verfalltage nicht zahlt,
so erklärt er sich in demselben Augenblicke dadurch
für bankerott. Der Wechsel wird protestiert, und geht
an den Aussteller zurück, der, wenn er nicht sofort
zahlt, gleichfalls für bankerott gilt. Ist der Wechsel,
ehe er in die Hände dessen kommt, der ihn dem Ak-
zeptanten zur Zahlung präsentiert, durch die Hände
einiger anderen Personen gegangen, die sich nachein-
Kap. TL: Das Geld. 49
ander seine Valuta in Geld oder Waren auszahlten und
zur Bekräftigung, daß jeder von ihnen die Valuta er-
halten habe, den Wechsel girierten, d. h. ihre Namen
auf die Rückseite des Wechsels schrieben, so wird jeder
Girant seinerseits wieder dem Eigner des Wechsels für
die Valuta verantwortlich, und ist mangels Zahlung
ebenfalls sogleich bankerott. Wenn daher auch der
Aussteller, der Akzeptant und die Giranten des Wechsels
sämtlich Leute von zweifelhaften Kredit wären, so ge-
währt doch die Kürze des Zahlungstermins dem Besitzer
des Wechsels eine gewisse Sicherheit. Denn wenn sie
auch vielleicht sämtlich am ßande des Bankerotts
stehen, läßt sich doch nicht erwarten, daß sie alle mit-
einander in so kurzer Zeit bankerott werden. Das
Haus ist baufällig, sagt ein müder Wanderer zu sich
selbst, und wird nicht mehr lange stehen ; aber es wird
doch wohl nicht heute Nacht einfallen, und so will ich
es wagen, heute darin zu schlafen.
Nehmen wir an, A. in Edinburgh ziehe einen
Wechsel auf B. in London, zahlbar zwei Monate
nach dato. Eigentlich schuldet B. in London dem A.
in Edinburgh Nichts, aber er ist damit einverstanden,
den Wechsel des A. unter der Bedingung zu akzeptieren^
daß er vor dem Zahltage einen ßückAvechsel für dieselbe
Summe nebst Zinsen und Provision, gleichfalls zahlbar
zwei Monate nach dato, auf A. in Edinburgh ziehen
darf. Nun zieht B. vor Ablauf der ersten zwei Monate
diesen Rückwechsel auf A. in Edinburgh, der seiner-
seits vor Ablauf der anderen zwei Monate einen gleich-
falls zwei Monate nach dato zahlbaren zweiten Wechsel
auf B. in London zieht; und vor Ablauf der dritten
zwei Monate nimmt wieder B. in London einen Rück-
wechsel auf A. in Edinburgh, gleichfalls zwei Monate
nach dato zahlbar. Diese Praxis ist manchmal nicht
Monate lang, sondern Jahre lang getrieben worden,
Adam Sniitti. VolUswolilslaiid. II. 4
50 Zweites Buch : Das Kapital.
indem der Wechsel immer mit den aufgehäuften Zinsen
und Provisionen für alle früheren Wechsel an A. in
Edinburgh zurückkehrte. Die Zinsen betrugen fünf
Prozent im Jahr, und die Provisionen mindestens ein
halb Prozent bei jeder Tratte. Da die Provisionen sich
mindestens sechsmal im Jahre wiederholten, so kostete
das Geld, das A. durch dieses Mittel aufbrachte, ihn
notwendig mehr als acht Prozent jährlich, ja zuweilen
noch viel mehr, wenn entweder der Preis der Provision
stieg, oder er Zinseszins für die Zinsen und Provisionen
der früheren Wechsel zahlen mußte. Diese Praxis
nannte man: Geld durch Umlauf aufbringen.
In einem Lande, wo der gewöhnliche Kapitalge-
winn bei den meisten kaufmännischen Unternehmungen
zwischen sechs und zehn Prozent beträgt, mußte eine
Spekulation schon sehr glücklich ausfallen, wenn sie so
viel einbringen sollte, um nicht nur die enormen Kosten
des dazu erforderlichen Geldes, sondern auch noch einen
ordentlichen Gewinn für den Unternehmer abzuwerfen.
Dennoch sind große und weitaussehende Unternehmen
unternommen und Jahre lang durchgeführt worden, ohne
andere Kapitalien als die mit so enormen Kosten auf-
gebrachten. Die Projektenmacher sahen gewiß in ihren
goldenen Träumen die großen Gewinne vor sich; allein
beim Erwachen, entweder am Ende ihrer Unterneh-
mungen, oder wenn sie nicht mehr imstande waren,
sie weiter zu führen, dürften sie selten so glücklich
gewesen sein, den Gewinn zu finden.*)
*) Die im Texte beschriebene Methode war keineswegs die
gewöhnlichste oder die kostspieligste, wie jene Abenteui'er zu-
weilen „Geld durch Umlauf aufbrachten". Häufig setzte A. in
Edinburgh den B.in London dadurch in Stand, den ersten AVechsel
zu zahlen, daß er wenige Tage vor der Verfallzeit einen zweiten
Wechsel, der auf drei Monate zu laufen hatte, auf den näixdichen
B. in London zog, diesen an seine eigene Order zahlbaren Wechsel
in Edinburgh al pari verkaufte, und mit der Valuta Wechsel auf
Kap. II.: Das Geld. 51
Die Wechsel, die A. in Edinburgh auf B. in London
zog, diskontierte er regehnäßig zwei Monate vor der
Verfallzeit bei einer Bank oder einem Bankier in Edin-
burgh, und die ßückwechsel, welche B. in London auf
A. in Edinburgh zog, diskontierte dieser ebenso regel-
mäßig bei der Bank von England oder bei Londoner
Bankiers. Die Vorschüsse auf solche Reitwechsel wurden
in Edinburgh in Noten der schottischen Banken, oder in
London, wenn sie bei der Bank von England diskontiert
London, zahlbar nach Sicht an die Order von B., kaufte und
diesem zuschickte. Gegen das Ende des letzten Krieges stand
der Wechselkui-s zwischen Edinburgh und London oft drei Prozent
zum Nachteil Edinburghs und jene Wechsel auf Sicht mußten
also den A. dasselbe Agio kosten. Diese Transaktion, wenigstens
viermal im Jahre wiederholt, und stets mit einer Provision von
wenigstens einem Prozent belastet, mußte mithin den A. wenig-
stens vierzehn Prozent im Jahre kosten. Ein andermal setzte
A. den B. dadurch in Stand, den ersten Wechsel zu zahlen, daß
er wenige Tage vor der Yerfallzeit einen zweiten Zweimonats-
Wechsel nicht auf B., sondern auf eine dritte Person, z. B. auf
C. in London zog. Dieser Wechsel wurde an die Order von B.
gestellt, der ihn, sobald er von C. akzeptiert worden, bei einem
Bankier in London diskontierte; A. aber setzte den C. dadurch
in Stand zu zahlen, daß er wenige Tage vor der VerfaUzeit
einen dritten Zweimonats- Wechsel entweder auf seinen ersten
Korrespondenten B. oder auf eine vierte oder fünfte Person D.
oder E. zog. Dieser dritte Wechsel wurde an die Order von C.
gestellt, der ihn, sobald er akzeptiert war, auf dieselbe Weise
bei einem Londoner Bankier diskontierte. Da diese Tätigkeiten
sich wenigstens sechsmal im Jahre wiederholten, und da jedes-
mal eine Provision von Avenigstens einem halben Prozent, sowie
die üblichen Zinsen auf fünf Prozent hinzukamen, so mußte
diese Manier, Geld aufzubringen, ebenso wie die im Texte be-
schriebene, den A. etwas mehr als acht Prozent ko.sten. Weil
jedoch der Wechselkurs zwischen Edinburgh und London gespart
wurde, war sie etwas weniger kostspielig als die oben erwähnte,
erforderte hingegen einen soliden Kredit bei mehr als einem
Londoner Hause, ein Vorteil, den viele dieser Abenteurer sich
nicht leicht verschaffen konnten.
52 Zweites Buch: Das Kapital.
wurden, in Noten dieser Bank ausgezahlt. Wurden nun
auch die Wechsel, auf welche diese Noten vorgeschossen
waren, sämtlich zur Verfallzeit eingelöst, so wurde doch
der auf den ersten Wechsel vorgeschossene Betrag den
Banken niemals wirklich wiedererstattet, weil immer,
ehe ein Wechsel fällig war, ein anderer Wechsel in
etwas höherem Betrage gezogen wurde, und die Dis-
kontierung dieses Wechsels unumgänglich nötig war,
damit der fällige Wechsel gezahlt werden konnte.
Diese Zahlung war also durchaus eine nur scheinbare.
Der durch diese Wechselreiterei aus den Kassen der
Banken geleitete Abzug wurde niemals durch einen
wirkHchen Zugang wiederersetzt.
Die auf solche Reitwechsel ausgegebenen Noten be-
liefen sich zuweilen auf das ganze Betriebskapital eines
großen, weitaussehenden landwirtschaftlichen, kauf-
männischen oder industriellen Unternehmens, statt ledig-
lich auf den Teil, den der Unternehmer, wenn es kein
Papiergeld gegeben hätte, für gelegentliche Forderungen
bar hätte liegen haben müssen. Folglich stellte das
meiste Papiergeld einen Überschuß über den Betrag
des Goldes und Silbers dar, das im Lande umgelaufen
wäre, wenn es kein Papiergeld gäbe; es war also in
größerer Menge vorhanden, als der Umlauf des Landes
leicht aufnehmen und gebrauchen konnte, und kehrte
aus diesem Grunde unmittelbar zu den Banken zurück,
um gegen Gold und Silber umgewechselt zu werden,
das diese sich dann verschaffen mußten, wie sie eben
konnten. Es war ein Kapital, das jene Projektenmacher
in sehr schlauer Weise den Banken nicht nur ohne
deren Wissen und Willen, sondern vielfach auch ohne
daß sie die leiseste Ahnung davon hatten, daß sie es
in Wahrheit vorschössen, entzogen hatten.
Wenn zwei Leute, die fortwährend auf einander
ziehen, ihre Wechsel stets bei demselben Bankier dis-
Kap. IL: Das Geld. 53
kontieren, so wird er sogleich entdecken, wie es mit
ihnen steht, und deutHch sehen, daß sie ihr Geschäft
nicht mit einem eigenen, sondern mit dem von ihm vor-
geschossenen Kapital treiben. Diese Entdeckung ist
jedoch keineswegs so leicht, wenn sie ihre Wechsel bald
hier bald da diskontieren, und wenn nicht immer die
nämlichen zwei Leute auf einander ziehen, sondern
unter einem großen Kreise von Spekulanten abwechseln,
die es vorteilhaft finden, einander in dieser Manier,
Geld aufzubi'ingen, beizustehen und es deshalb mög-
lichst schwer zu machen, den Unterschied eines wirk-
lichen und eines erdichteten Wechsels zu erkennen,
d. h. eines Wechsels, der von einem wirklichen Gläubi-
ger auf einen wirklichen Schuldner gezogen ist, und
eines Wechsels, füi' welchen es eigentlich keinen anderen
wirklichen Gläubiger giebt, als die Bank, die ihn dis-
kontierte, und keinen anderen wirklichen Schuldner als
den Spekulanten, der das Geld brauchte. Koramt auch
ein Bankier dahinter, so ist es zuweilen schon zu spät
und er hat die Wechsel dieser Spekulanten schon in
so großem Betrage diskontiert, daß er sie durch die
Weigerung, ferner zu diskontieren, notwendig banke-
rott machen und sich- durch ihren Untergang sein eige-
nes Verderben bereiten würde. Er kann es daher für
seine eigene Sicherheit nötig finden, noch einige Zeit
in dieser gefährlichen Lage zu verbleiben, indem er
sich nur nach und nach zurückzuziehen sucht, und
täglich mehr Schwierigkeiten mit dem Diskontieren
macht, um die Spekulanten allmählich zu zwingen,
sich entweder an andere Bankiers zu wenden, oder auf
andere Manier Geld aufzubringen, so daß er selbst
baldmöglichst aus diesem Kreise herauskommt. Die
Schwierigkeiten, die die Bank von England, die ange-
sehensten Bankiers in London, und sogar die vorsich-
tigeren schottischen Banken einige Zeit nachdem sie
alle schon zu weit gegangen waren, erhoben, schreckte
54 Zweites Buch: Das Kapital.
die Spekulanten nicht nur auf, sondern versetzte sie in
die höchste Wut. Ihre eigne Not, die allerdings durch
die vorsichtige und unerläßliche Zurückhaltung der
Banken zuerst veranlaßt war, nannten sie die Not des
Landes; und diese Not des Landes, sagten sie, habe
man nur der Unwissenheit, Engherzigkeit und schlech-
ten Leitung der Banken zu verdanken, die den hoch-
herzigen Unternehmungen derer, die das Land zu ver-
schönern, zu fördern und zu bereichern strebten, keine
hinreichende Unterstützung zu teil werden ließen.
Sie schienen die Banken für verpflichtet zu halten, so
lange und so viel zu leihen, als sie zu borgen wünsch-
ten. Die Banken aber schlugen den einzigen Weg ein,
auf dem es noch möglich war, ihren eigenen und den
öffentlichen Kredit des Landes zu retten, indem sie
sich weigerten, denen ferner zu kreditieren, die schon
zu viel Kredit erhalten hatten.
Mitten in diesem Lärm und in dieser Not wurde
in Schottland eine neue Bank zu dem ausdrücklichen
Zwecke errichtet, der Not des Landes abzuhelfen. Das
Vorhaben war edel, aber die Ausführung unbesonnen,
und man hatte das Wesen und die Ursachen der Not,
die man zu heben gedachte, wohl nicht richtig gewür-
digt. Diese Bank zeigte sich sowohl in Bewilligung
von Kassenkonten als auch im Diskontieren von Wech-
seln liberaler als jede andere. In Betreff der Wechsel
scheint sie fast keinen Unterschied zwischen wirklichen
und Reitwechseln gemacht, sondern beide gleichmäßig
diskontiert zu haben. Es war .der erklärte Grundsatz
dieser Bank, auf jede leidliche Sicherheit das ganze
Kapital für solche Arten von Anlagen voi'zustrecken,
aus denen es nur träge und spät wieder eingeht, nament-
lich für Verbesserungen der Bodenkultur. Solche Ver-
besserungen zu fördern, sollte der hauptsächlichste der
gemeinnützigen Zwecke sein, zu deren Verwirklichung
Kap. 11. : Das G eld. 55
die Bank gegründet worden war. Durch ihre Libera-
lität in Bewilligung von Kassenkonten und im Diskon-
tieren von AVechseln gab sie ohne Zweifel eine große
Menge von Banknoten aus. Diese Banknoten kehrten
aber, da der größte Teil über das Maß hinausging, das
der Umlauf des Landes leicht aufnehmen und gebrau-
chen kann, fast eben so schnell wie sie ausgegeben
waren, zu ihr zurück, um gegen Grold und Silber um-
gewechselt zu werden. Ihre Kassen waren niemals
vollständig versehen. Das durch zwei Subskriptionen
aufgebrachte Kapital betrug £ 160,000, wovon nur
80° 0 eingezahlt wurden. Diese Summe war in mehre-
ren Terminen einzuzahlen. Ein großer Teil der Aktio-
näre erhielt sogleich nach der ersten Einzahlung ein
Kassenkonto bei der Bank, und die Direktoren, die
sich für verpflichtet hielten, gegen ihre eigenen Teil-
nehmer dieselbe Liberalität zu beobachten, mit der sie
gegen alle anderen Leute verfuhren, gestatteten vielen
von ihnen, auf das Kassenkonto so viel zu borgen, als
sie in allen folgenden Terminen einzuzahlen hatten.
Diese Einzahlungen brachten daher nur soviel in die
eine Kasse, als einen Augenblick vorher aus der ande-
ren genommen war. Aber wenn die Barbestände der
Bank auch noch so groß gewesen wären, der über-
mäßige Umlauf mußte sie doch schneller aufzehren, als
sie sich wieder ergänzen ließen, wenn man nicht zu
dem verderblichen Mittel greifen wollte, auf London zu
ziehen und den Wechsel samt Zinsen und Provision
am Verfalltage durch eine neue Tratte auf denselben
Platz zu zahlen. Bei dieser schlechten Verfassung
ihrer Kassenbestände soll sie schon wenige Monate nach
Beginn des Geschäftes gezwungen gewesen sein, zu
diesem Notbehelf zu greifen. Die Liegenschaften der
Aktionäre waren mehrere Millionen wert, und sie haf-
teten durch ihre Unterschrift unter die Gründungsur-
56 Zweites Buch: Das Kapital.
künde für alle Verpflichtungen der Bank. Mittelst des
großen Kredits, den ein so bedeutendes Unterpfand
notwendig verschaffen mußte, war die Bank imstande,
trotz ihrer zu großen Liberalität das Greschäft länger
als zwei Jahre zu betreiben. Als sie es einstellen mußte,
hatte sie etwa £ 200,000 Banknoten im Umlauf, zu
dessen Aufrechthaltung sie, da die Noten fortwährend
ebenso schnell zurückkehrten, als sie ausgegeben waren,
Wechsel auf London zog, deren Zahl und Betrag ohne
Unterlaß wuchs und bei Einstellung des Geschäfts mehr
als £, 600,000 betrug. In etwas mehr als zwei Jahren
hatte also die Bank an allerlei Leute über £ 800,000
zu 5°/o vorgeschossen. An den £ 200,000 ihres Noten-
umlaufs können die 5"'o vielleicht als reiner Gewinn
betrachtet werden, wovon nur die Verwaltungskosten
abzuziehen sind. Dagegen zahlte sie auf die £ 600,000,
für die sie fortwährend Wechsel auf London zog,
mehr als 8°/o Zinzen und Provision, und verlor folg-
lich an mehr als drei Vierteln ihres ganzen Umsatzes
mehr als S^/o.
Die Tätigkeit dieser Bank scheint gerade das
Gegenteil von dem hervorgebracht zu haben, was ihre
Gründer und Leiter beabsichtigt haben. Diese wollten
die hochherzigen Unternehmungen — denn als solche
wurden sie von ihnen betrachtet — , die damals in ver-
schiedenen Teilen des Landes gemacht wurden, unter-
stützen, und zugleich das gesamte Bankgeschäft an
sich reißen, um die übrigen schottischen Banken, be-
sonders die Edinburgher, deren Zurückhaltung im Dis-
kontieren Mißfallen erregt hatte, zu verdrängen. Sicher-
lich gewährte die Bank den Spekulanten eine Zeitlang
Erleichterung und setzte sie in Stand, ihre Projekte
etwa zwei Jahre länger fortzusetzen, als es ihnen sonst
möglich gewesen wäre; aber sie ermöglichte ihnen da-
durch nur, sich um so tiefer in Schulden zn stürzen.
Kap. Tl.: Da.s Gold. 57
SO daß, als der Tag des Verderbens kam, sowohl sie
als ihre Gläubiger um so schwerer betroffen wurden.
Statt die Not zu lindern, welche die Spekulanten über
sich und über das Land gebracht hatten, dienten die
Operationen der Bank in der Tat nur dazu, sie für lange
Zeit zu verschärfen. Es wäre für die Spekulanten selbst,
für ihre Gläubiger und für das Land weit besser ge-
wesen, wenn die meisten von ihnen schon zwei Jahre
früher hätten aufhören müssen. Dagegen brachte die
zeitweilige Unterstützung, die die Bank den Speku-
lanten gewährte, den übrigen schottischen Banken eine
wirkliche, dauernde Hilfe. Die sich mit Wechselreiterei
abgaben, nahmen, da die übrigen Banken Reitwechsel
nicht mehr diskontieren wollten, ihre Zuflucht zu der
neuen Bank, wo sie mit offenen Armen aufgenommen
wurden. Dadurch wurde es den übrigen Banken mög-
lich, mit Leichtigkeit aus diesem verhängnisvollen
Kreise herauszutreten, während sie sonst schwerlich
ohne bedeutenden Verlust, oder gar ohne dauernde
Schädigung ihres Kredits davon gekommen wären.
Mit der Zeit haben also die Geschäfte dieser Bank
die wirkliche Not des Landes, die sie zu lindern ge-
dachte, vermehrt; hingegen die sehr große Not ihrer
Mitbewerber, die sie zu stürzen beabsichtigte, völlig
beseitigt.
Bei Eröffnung der Bank glaubten viele, sie werde
ihre Kassen, so schnell sie sich auch leerten, leicht
durch Anleihen wieder füllen können, die sie auf die
Sicherheiten derer, denen sie ihr Papier vorschoß, auf-
nähme. Die Erfahrung belehrte sie jedoch, glaube ich,
bald, daß diese Art von Geldbeschaffung viel zu langsam
sei, um den Zwecken der Bank zu entsprechen, und
daß die Kassen, die von vornherein nicht ausreichend
waren und sich so schnell vollends leerten, durch nichts
anderes wieder zu füllen seien, als. durch das verderb-
liche Mittel Wechsel auf London zu ziehen, die, wenn
58 Zweites Biicli: Das Kapital.
sie fällig wurden, durch andere Tratten auf denselben
Platz nebst Zinsen und Provision gezahlt werden mußten.
Hätte die Bank aber auch auf dem ersteren Wege so
schnell Geld aufbringen können, als nötig war, so mußte
sie doch durch jede derartige Handlung verlieren, statt
zu gewinnen, so daß sie sich als Handelsgesellschaft
mit der Zeit doch ruiniert haben würde, wenn vielleicht
auch nicht so schnell wie durch die kostspielige "Wechsel-
reiterei. An ihren Noten konnte sie keinen Zinsgewinn
machen, da diese über das Maß hinausgingen, das der
Umlauf des Landes aufnehmen und gebrauchen konnte,
und ebenso schnell, als sie ausgegeben waren, zur Um-
wechselung gegen Gold und Silber zurückkehrten, wes-
halb die Bank stets von neuem Geld aufnehmen mußte.
Hingegen mußten alle Unkosten für diese Aufnahmen,
für die Anstellung von Agenten zur Beschaffung von
Geld, für die Verhandlung mit den Darleihern und für
die Ausfertigung der Verträge usw. von ihr getragen
werden und in der Bilanz einen reinen Verlust er-
geben. Der Plan, ihre Kassen auf diese Weise zu füllen,
würde dem eines Mannes gleichen, der einen Teich
besitzt, aus dem stets Wasser abfließt, ohne daß es
durch einen Zufluß ersetzt wird, und der ihn dadurch
immer gleichmäßig voll erhalten will, daß er eine
Menge Leute anstellt, die mit Eimern aus einer mehrere
Meilen entfernten Quelle unablässig Wasser zutragen,
um ihn wieder zu füllen.
Hätte sich diese Tätigkeit aber auch für die Bank
als ausführbar und gewinnbringend erwiesen, so würde
doch das Land keinen Vorteil daraus gezogen, im Gegen-
teil nur einen beträchtlichen Verlust davon gehabt haben.
Diese Handhabung konnte die Menge des auszuleihen-
den Geldes nicht im mindesten vermehren, sondern nur
die Bank zu einer Art allgemeinen Leihamts für das
ganze Land machen. AVer Geld borgen wollte, mußte,
Kap. TT. : Das Geld. 59
statt zu den Privatleuten zu gehen, die ihr das Geld
geliehen hatten, sich an die Bank wenden. Nun ist
aber eine Bank, die vielleicht an fünfhundert den Di-
rektoren meist so gut wie unbekannte Personen Geld
ausleiht, schwerlich in der Wahl ihrer Schuldner vor-
sichtiger, als ein Privatmann, der sein Geld nur weni-
gen Leuten leiht, die er kennt und auf deren Be-
sonnenheit und Solidität er sich verlassen zu können
glaubt. Die Schuldner einer solchen Bank, wie die,
deren Leitung ich hier beschrieben habe, waren wohl
meist eitle Projektenmacher, Wechselreiter, die das Geld
zu schwindelhaften Unternehmungen verwandten, die
sie bei allem Beistand, der ihnen gewährt wurde, doch
kaum auszuführen vermochten, und die, wenn sie wirk-
lich ausgeführt wurden, doch niemals die verursachten
Kosten wieder eingebracht und niemals einen Fonds ge-
schaffen haben würden, der so viel Arbeit, wie auf sie
verwendet war, hätte unterhalten können. Die besonne-
nen und soliden Schuldner von Privatleuten dagegen
verwenden das geborgte Geld viel eher zu nüchternen,
ihren Kapitalien angemessenen Unternehmungen, die
zwar weniger großartig und wunderbar, dafür aber um
so solider und gewinnbringender sind, alle für sie ge-
machten Auslagen mit reichem Gewinn zurückerstatten
und dadurch einen Fonds schaffen, aus dem eine weit
größere Menge Arbeit erhalten werden kann, als auf
sie selbst verwendet war. Der glückliche Erfolg der er-
wähnten Tätigkeit würde mithin, ohne das Kapital des
Landes im geringsten vergrößert zu haben, im Gegen-
teil einen großen Teil von ihm aus besonnenen und ge-
winnreichen Unternehmungen auf unbesonnene und
keinen Gewinn bringende gelenkt haben.
Daß die schottische Industrie aus Mangel an Geld
darniederliege, war die Ansicht des berufenen Law.
Diesem Geldmangel gedachte er durch Errichtung einer
besonderen Art von Bank abzuhelfen, die, wie er ge-
ßO Zweites Buch: Das Kapital.
glaubt, zu haben scheint, Papier im Betrage des Gesamt-
wertes aller Ländereien des Landes ausgeben könne.
Das schottische Parlament hielt jedoch das Projekt,
das ihm zuerst vorgelegt wurde, zur Annahme für
nicht geeignet. Später wurde es mit einigen Abän-
derungen vom Herzog von Orleans, dem damaligen
Regenten Frankreichs, angenommen. Der Gredanke,
daß es möglich sei, Papiergeld in jedem beliebigen
Umfange zu vermehren, lag dem sogenannten Missi-
sippi-Projekte, vielleicht dem schwindelhaftesten Bank-
und Börsenjobberprojekt, das die Welt je gesehen hat,
zu Grunde. Die verschiedenen Leistungen dieses Pro-
jekts hat Du Verney in seiner „Prüfung der politischen
Reflexionen über Handel und Finanzen des Herrn Du
Tot" so vollständig, klar und scharfsinnig entwickelt,
daß ich sie hier nicht schildern will. Die Prinzipien,
auf denen es beruhte, hat Law selbst in einer Ab-
handlung über Geld und Handel, die er in Schottland
veröffentlichte, als er sein Projekt zuerst vorlegte, ent-
wickelt. Die glänzenden, aber phantastischen Ideen,
die in diesem und einigen anderen Büchern über die
gleichen Prinzipien vorgetragen w^erden, machen immer
noch auf viele Leute Eindruck, und haben vielleicht
zum Teil jene Ausschreitungen im Bankwesen mit ver-
anlaßt, die neuerdings in Schottland und anderwärts
zu beklagen gewesen sind.
Die Bank von England ist die größte Zettelbank
in Europa. Sie wurde infolge einer Parlamentsakte
durch ein Patent vom 27. Juli 1694 errichtet. Damals
schoß sie der Regierung die Summe von £ 1,200,000
vor gegen eine Annuität von £ 100,000, oder £ 96,000
jährlicher Zinsen zu S^'o und £ 4000 für die jährlichen
Verwaltungskosten. Es läßt sich denken, daß der
Kredit der neuen durch die Revolution eingesetzten
Regierung sehr gering gewesen sein muß, wenn sie
Kap. IL: Das Geld. 61
genötigt war, zu einem so hohen Zinsfuß Geld auf-
zunehmen.
Im Jahre 1697 wurde der Bank gestattet, ihr
Kapital durch eine neue Einzahlung von £ 1,001,171
10 sh. zu vergrößern. Ihr Gesamtkapital betrug mit-
hin damals £ 2,101,171 10 sh. Jene Einzahlung sollte,
wie es hieß, den Staatskredit heben. Im Jahre 1696
standen die Tailles (Koupons) auf vierzig, fünfzig und
sechzig Prozent, und die Banknoten auf zwanzig Pro-
zent Disagio*.) Während der zu dieser Zeit vorge-
nommenen großen Silberumprägung hielt es die Bank
für geraten, die Zahlung ihrer Noten zu suspendieren,
was diese natürlich diskreditierte.
Infolge einer Akte aus dem siebenten Jahre der
Königin Anna (c. 7.) schoß die Bank der Schatzkammer
die Summe von £ 400,000 vor, so daß die Gesamt-
schuld mit Einschluß der auf die Annuität von £ 96,000
Zinsen und £ 4000 Verwaltungskosten vorgeschossenen,
jetzt £ 1,600,000 ausmachte. Im Jahre 1708 war mit-
hin der Kredit der Regierung so gut wie der der
Privatleute, da sie zu sechs Prozent, dem damals ge-
setzlichen und üblichen Zinsfuß, entleihen konnte.
Infolge derselben Akte tilgte die Bank Schatzkammer-
scheine im Betrage von £ 1,775,027 17 sh. 10 V2 d. zu
6°, 0 Zinsen, und durfte gleichzeitig ihr Kapital durch
neue Zeichnungen verdoppeln. Dasselbe betrug mit-
hin 1708 £ 4,402,343, wovon der Eegierung £ 3,375,027
17 sh. 10 V2 d. geliehen waren.
Durch die Einzahlung von 15 ^,0 wurde im Jahre
1709 ein Kapital von £ 656,204 1 sh. 9 d., und durch
eine andere von 10", 0 im Jahre 1710 ein Kapital von
£ 501,448 12 sh. 11 d. eingeschossen. Infolge dieser
beiden Einzahlungen belief sich also das Kapital der
Bank auf £ 5,559,995 14 sh. 8 d.
'■•) James Postlethwaite's History of the Public Revenue, p. 301.
62 Zweites Buch: Das Kapital.
Infolge einer Akte aus dem dritten Regierungs-
jahre Georgs I. (c. 8.) lieferte die Bank £ 2,000,000
in Schatzkammerscheinen zur Tilgung ein, wonach
sich also die der Regierung geliehene Summe auf
£ 5,375,027 17 sh. 10 d. belief. Infolge der Akte aus
dem folgenden Regierungsjahre Georgs I. (c. 21.) kaufte
die Bank von der Südsee-Gesellschaft Aktien im Be-
trage von £ 4,000,000, und vergrößerte ihr Kapital
infolge der Aktienzeichnungen für dies Unternehmen
1722 um £ 3,400,000. Die Vorschüsse der Bank an
die Regierung beliefen sich also nun auf £ 9,375,027
17 sh. 10 d., und ihr Kapital nur auf £ 8,959,995
14 sh. 8 d. Dies war das erste Mal, daß die Summe,
die die Bank dem Staate geliehen hatte und wofür sie
Zinsen empfing, ihr Kapital, d. h. die Summe, für
welche den Aktionären eine Dividende gezahlt wird,
überstieg; oder mit anderen Worten, daß die Bank
anfing, außer dem Dividenden-Kapital noch ein anderes
zu haben, von dem sie keine Dividende zahlte, was
seitdem immer der Fall geblieben ist. Im Jahre 1746
hatte die Bank aus verschiedenen Anlässen dem Staat
£ 11,686,800 vorgeschossen, und ihr dividendenpflich-
tiges Kapital war durch verschiedene Nachforderungen
und Zeichnungen bis auf £ 10,780,000 gestiegen. Das
Verhältnis dieser beiden Summen zu einander ist seit-
dem das nämliche geblieben. Infolge der Akte aus
dem vierten Regierungsjahre Geoigs III. (c. 25.) zahlte
die Bank der Regierung für die Erneuerung ihres
Patents £ 110,000, ohne Zinsen oder Rückzahlung zu
erwarten, sodaß also jene beiden anderen Summen
durch diese Zahlung nicht verändert wurden.
Die Dividende ist je nach den Änderungen im
Zinsfuß, je nach den Zinsen, die sie zu verschiedenen
Zeiten für das vom Staate geliehene Geld empfing, so
wie nach anderen Umständen, verschieden gewesen.
Der Zinsfuß fiel nach und nach von acht auf 3"/o.
Kop. ir.: Das Geld. 63
Die Dividende der Bank hat seit einigen Jahren
5^/2 ''/o betragen.
Die Zahlungsfähigkeit der Bank von England
kommt der der britischen Begierung gleich. Was sie dem
Staate vorgeschossen hat, müßte erst verloren gehen,
ehe ihre Gläubio-er einen Verlust erleiden könnten.
Keine andere Bankgesellschaft kann durch eine Parla-
mentsakte gegründet werden, oder wenigstens darf keine
aus mehr als sechs Teilnehmern bestehen. Die Bank von
England betätigt sich nicht nur als eine gewöhnliche
Bank, sondern als eine große Staatsmaschine. Sie
empfängt und bezahlt den größten Teil der den Staats-
gläubigern zukommenden ßente, setzt die Schatz-
kammerscheine in Umlauf, und schießt der Regierung
den jährlichen Betrag der oft erst nach einigen Jahren
bei ihr eingehenden Grund- und Malzsteuer vor. Bei
diesen verschiedenen Operationen mag die Bank bis-
weilen durch ihre Verpflichtungen gegen den Staat,
ohne Schuld der Direktion, genötigt worden sein, den
Umlauf mit Papiergeld zu überfüllen. Sie diskontiert
auch kaufmännische Wechsel, und hat bei verschiedenen
Gelegenheiten den Kredit der größten Häuser nicht
nur in England, sondern auch in Hamburg und Holland
aufrecht erhalten. Einmal, 1763, soll sie in einer einzigen
Woche etwa £ 1,600,000, meist in Barren, vorgeschossen
haben; doch vermag ich weder die Größe der Summe
noch die Dauer der Zeit zu verbü)'gen. In anderen
Fällen sah sich diese große Gesellschaft in die Not-
wendigkeit versetzt, in halben Schillingen zu zahlen.
Die einsichtigsten Bankoperationen können nicht
durch Vergrrȧerung der Kapitalien, sondern nur dadurch
die Industrie des Landes fördern, daß sie einen größeren
Teil dieser Kapitalien tätig und produktiv machen,
als es ohne sie geschehen könnte. Der Teil seines
Kapitals, den ein Geschäftsmann unbeschäftigt bar in
der Kasse haben muß, um einlaufende Forderungen da-
ß4 Zweites Buch: Das Kapital.
mit befriedigen zu können, ist ein totes Kapital, wel-
ches, solange es in dieser Lage bleibt, weder für seinen
Eigentümer noch für das Land etwas produziert. Ver-
ständige Bankoperationen setzen den Geschäftsmann in
Stand, sein totes Kapital in ein tätiges und einträg-
liches zu verwandeln: in Rohstoffe zur Verarbeitung, in
Werkzeuge und Lebensmittel zum Unterhalt der Arbeit
— in ein Kapital, das sowohl ihm als dem Lande etwas
einbringt. Das Gold- und Silbergeld, das in einem
Lande umläuft und durch dessen Vermittelung die
Produkte des Bodens und der Arbeit alljährlich in
Umlauf gesetzt und an die Verbraucher verteilt werden,
ist ebenso wie das bare Geld des Geschäftsmanns durch-
aus ein totes Kapital. Es ist ein sehr kostspieliger Teil
vom Kapital des Landes, der dem Lande nichts ein-
bringt. Wenn nun verständige Bankoperationen Papier
an die Stelle eines großen Teils der edlen Metalle
setzen, so ist das Land imstande, jenes tote Kapital
größtenteils in ein tätiges und einträgliches, dem Lande
etwas einbringendes Kapital zu verwandeln. Das in
einem Lande umlaufende Gold- und Silbergeld kann
mit einer Landstraße verglichen werden, die alles Gras
und Korn des Landes in Umlauf setzt und auf den
Markt bringt, selbst aber keinen Halm produziert. Ver-
ständige Bankoperationen stellen, wenn ich ein so kühnes
Bild gebrauchen darf, eine Art Straße durch die Luft
her und setzen dadurch das Land gleichsam in den
Stand, einen großen Teil seiner Landstraßen in gute
Weiden und Kornfelder zu verwandeln, und dadurch
den Jahresertrag des Bodens und der Arbeit beträcht-
lich zu vermehren. Doch ist zuzugeben, daß Handel und
Gewerbe des Landes, obwohl sie sich dadurch steigern
lassen, doch auf den Dädalusflügeln des Papiergeldes
nicht etwa so sicher sind, als wenn sie auf dem festen
Grunde von Gold und Silber wandeln. Außer den Un-
fällen, denen sie durch den Unverstand der Lenker
Kap. II. : Das Geld. 65
dieses Papieiumlaufs ausgesetzt sind, können sie noch
von manchen anderen betroffen werden, vor denen
sie keine Klugheit oder Geschicklichkeit jener Lenker
bewahren kann.
So würde z. B. ein unglücklicher Krieg, in welchem
der Feind sich der Hauptstadt und folglich auch des
Schatzes bemächtigte, auf dem der Kredit des Papier-
geldes beruht, in einem Lande, wo der ganze Umlauf
in Papier bestände, eine weit größere Verwirrung her-
vorbringen, als in einem anderen, wo der Umlauf meist
durch Gold und Silber bewirkt wird. Indem das
allgemein gebräuchliche Verkehrsmittel seinen Wert
verlöre, würden die Umsätze nur noch durch unmittel-
baren Tausch oder auf Kredit erfolgen können. Da
alle Steuern bisher in Papiergeld bezahlt wurden, so
würde der Fürst nicht wissen, womit er seine Truppen
bezahlen, oder seine Magazine wieder füllen sollte, und
der Zustand des Landes weit verzweifelter sein, als
wenn der Umlauf meist in Gold und Silber bestanden
hätte. Deshalb sollte ein Fürst, der sein Gebiet jeder-
zeit im besten Verteidigungszustande erhalten will, nicht
nur jene übermäßige Vermehrung des Papiergeldes
verhüten, durch die die emittierenden Banken sich
selbst zugrunde richten, sondern auch eine Vermehrung,
durch die der Umlauf des Landes zumeist mit Papier
angefüllt wird, nicht zugeben.
Der Umlauf jedes Landes läßt sich als in zwei
verschiedene Zweige zerfallend betrachten, nämlich als
Umlauf zwischen den Verkäufern unter einander, und
als Umlauf zwischen den Verkäufern und Verbrauchern.
Obgleich das nämliche Geld, gleichviel ob Papier- oder
Metallgeld, bald in dem einen, bald in dem anderen
Umlauf verwendet wird, so erfordert doch jeder von
ihnen, da beide Zirkulationen stets zu gleicher Zeit vor
sich gehen, einen bestimmten Geldvorrat der einen
Adam Siuitb, Volkswoblsttiud. 11. O
ßß Zweites Buch: Dos Kapital.
oder andern Art znm Betrieb. Der Wert der zwischen
den verschiedenen Verkäufern umlaufenden Güter kann
niemals den Wert der zwischen den Verkäufern und
den Verbrauchern umlaufenden übersteigen, weil alles,
was von den Verkäufern gekauft wird, zum schließlichen
Absatz an die Verbraucher bestimmt ist. Da der
Umlauf zwischen den Verkäufern im großen betrieben
wird, so ist für jeden einzelnen Umsatz gewöhnlich eine
sehr bedeutende Summe nötig, wogegen die im allge-
meinen kleinen Umsätze zwischen den Verkäufern und
Käufern oft nur sehr geringe Beträge erfordern: ein
Schilling oder manchmal sogar ein halber Penny reicht
dazu hin. Kleine Beträge laufen aber weit schneller
um, als große. Ein Schilling wechselt die Besitzer viel
öfter als eine Guinee, und ein halber Penny noch
viel öfter als ein Schilling. Obgleich daher die jähr-
lichen Käufe aller Verbraucher dem Werte nach denen
aller Verkäufer mindestens gleich sind, so können sie
doch gewöhnlich mit einer weit geringeren Menge Geldes
gemacht werden, weil dieselben Stücke bei den einen
wegen des schnelleren Umlaufs mehr Käufe vermitteln
als bei den anderen.
Papiergeld kann nun so eingerichtet werden, daß
es sich entweder ziemlich ausschließend auf den Um-
lauf unter den Verkäufern beschränkt, oder sich auch
auf einen großen Teil des Umlaufs unter den Verkäufern
und Verbrauchern ausdehnt. Wo keine Banknoten
unter £ 10 in Umlauf sind, wie in London, da be-
schränkt sich das Papiergeld von selbst ziemlich aus-
schließend auf den Umlauf zwischen den Verkäufern.
Wenn eine Zehnpfundnote in die Hände eines Ver-
brauchers kommt, so ist er gewöhnlich genötigt, sie im
ersten besten Laden, wo er für fünf Schilling etwas
kauft, zu wechseln, so daß sie oft schon in die Hände
eines Verkäufers zurückkehrt, ehe der Verbraucher den
vierzigsten Teil des Geldes verausgabt hat. Wo dagegen
Kap. IL: Das Geld. 67
Banknoten in so kleinen Summen, wie zwanzig Schil-
ling, ausgegeben werden, wie in Schottland, da erstreckt
sich das Papiei'geld auf einen ansehnlichen Teil des
Umlaufs zwischen den Verkäufern und Verbrauchern.
Vor der Parlamentsakte, die dem Umlauf der Zehn- und
Fünf schillin o;noten Einhalt tat, füllte es einen noch
größeren Teil jenes Umlaufs aus. In Nordamerika
wurde Papiergeld gewöhnlich in so kleinen Beträgen
wie ein Schilling ausgegeben und füllte fast den ganzen
Umlauf aus. In Yorkshire wurden sogar Sixpences in
Papier ausgegeben.
"Wo die Ausgabe von Banknoten in so kleinen
Beträgen erlaubt und üblich ist, werden viele Leute
von geringem Vermögen in den Stand gesetzt und
ermutigt, Bankiers zu werden. Jemand, dessen Fünf-
pfund-, ja dessen Zwanzigschilling-Noten von jeder-
mann zurückgewiesen werden würden, wird seine auf
einen so geringen Betrag wie ein Sixpence ausgestellten
Noten unbedenklich angenommen sehen. Doch können
die bei so bettelhaften Bankiers häufig vorkommenden
Bankerotte sehr bedeutenden Schaden anrichten und
manchmal großes Unglück über viele arme Leute brin-
gen, die deren Zettel in Zahlung angenommen haben.
Es wäre vieleicht besser, wenn nirgends im Rei-
che Banknoten unter fünf Pfund Sterling ausgegeben
würden. Dann würde sich das Papiergeld wahrschein-
lich überall auf den Umlauf unter den Verkäufern be-
schränken, wie es gegenwärtig in London der Fall
ist, wo keine Banknoten unter zehn Pfund ausgegeben
werden. In den meisten Teilen des Reichs sind fünf
Pfund eine Summe, die, wenn auch nicht viel mehr
als die Hälfte der Waren dafür zu haben ist, als in
London für zehn, in der Provinz doch für ebenso groß
gilt und ebenso selten auf einmal ausgegeben wird,
als zehn Pfund im reichen London.
68 Zweites Buoli: Das Kapital.
Wo Papiergeld meist auf den Umlauf zwischen den
Verkäufern beschränkt ist, wie in London, da ist stets
Gold und Silber reichlich vorhanden. "Wo es sich
hingegen auf einen großen Teil des Umlaufs zwischen
Verkäufern und Konsumenten erstrekt, w'ie in Schott-
land und noch mehr in Nordamerika, da vertreibt es
das Gold und Silber fast ganz aus dem Lande, indem
beinahe alle gewöhnlichen Geschäfte des inneren Ver-
kehrs mit Papier betrieben werden. Die Unterdrückung
der Zehn- und Fünfschillingnoten half dem Mangel an
Gold und Silber in Schottland etwas ab, und die Unter-
drückung der Zwanzigschillingnoten würde ihm wahr-
scheinlich noch mehr abhelfen. In Amerika sollen, seit
einige der papiernen Umlaufsmittel unterdrückt worden
sind, die edlen Metalle in größerer Menge vorhanden
sein, wie dies ebenso vor der Einführung dieser Umlaufs-
mittel der Fall gewesen sein soll.
Wenn aber auch das Papiergeld fast ganz auf den
Umlauf zwischen den Verkäufern beschränkt ist, können
doch Banken und Bankiers der Industrie und dem
Handel des Landes denselben Beistand gewähren, als
wenn das Papiergeld fast den ganzen Umlauf ausfüllt.
Das bare Geld, das ein Verkäufer in seiner Kasse haben
muß, um gelegentliche Forderungen befriedigen zu
können, ist lediglich für den Umlauf zwischen ihm und
anderen Verkäufern, von denen er Waren kauft, be-
stimmt. Er hat nicht nötig, Geld für den Umlauf
zwischen ihm und den Verbrauchern in seiner Kasse
zu halten, da diese seine Kunden sind und ihm bares
Geld bringen, nicht aber von ihm wegholen. Wenn
daher Papiergeld nur in solchen Beträgen ausgegeben
werden dürfte, daß es fast ganz auf den Umlauf zwischen
den Verkäufern beschränkt wäre, so würden die Banken
und Bankiers doch immer noch teils durch Diskontierung
reeller Wechsel, teils durch Darlehen auf Kassenkonten
Kap. II. : Das Geld. 69
die Mehrzahl jener Verkäufer der Notwendigkeit ent-
heben können, einen beträchtlichen Teil ihres Kapitals
unbeschäftigt und bar in der Kasse zu halten, um ge-
legentliche Forderungen befriedigen zu können. Sie
könnten immer noch den größten Beistand gewähren,
den überhaupt Banken und Bankiers Geschäftsleuten
füglich leisten können.
Privatleute daran zu hindern, die Noten eines Ban-
kiers, ob auf einen großen oder kleinen Betrag aus-
gestellt, in Zahlung zu nehmen, wenn sie dazu bereit
sind, oder einem Bankier die Ausgabe solcher Noten
zu verbieten, obgleich die Leute zu ihrer Annahme be-
reit sind, sei — könnte man sagen — eine offenbare
Verletzung der natürlichen Freiheit, die das Gesetz
nicht schwächen, sondern aufrecht halten soll, und in
gewisser Beziehung können solche Maßregeln in der
Tat als Verletzungen der natürlichen Freiheit betrach-
tet werden; allein Handlungen der natürlichen Freiheit
weniger einzelnen, die die Sicherheit der ganzen Ge-
sellschaft gefährden, werden durch die Gesetze aller
Staaten eingeschränkt und müssen eingeschränkt wer-
den, in den freiesten nicht weniger als in den des-
potischsten Staaten. Die Nötigung, Brandmauern zu
errichten, damit das Weitergreifen des Feuers ver-
hindert werde, ist eine ganz ähnliche Verletzung der
natürlichen Freiheit, wie die hier empfohlene Regelung
des Bankwesens.
Ein Papiergeld, das in Banknoten besteht, von
Leuten zweifellosen Kredits ausgegeben wird, auf Vor-
langen unbedingt eingelöst werden muß und tatsäch-
lich stets gegen Metall eingelöst wird, wenn es zur
Präsentation kommt, ist in jeder Rücksicht dem Go]d-
und Silbergeld an Wert gleich, weil zu jeder Zeit Gold-
und Silbergeld dafür zu haben ist. Man muß für
solches Papier ebenso wohlfeil kaufen oder verkaufen
als für Gold und Silber.
70 Zweites Buch: Das Kapital.
Man hat behauptet, das Papiergeld erhöhe durch
Vermehrung der Menge und der infolge davon ein-
tretenden Wertverminderung des Gesamtumlaufs not-
wendig den Geldpreis der Waren. Da jedoch das hin-
zutretende Papier stets eine ebenso große Menge Gold
und Silber dem Umlauf entzieht, so vergrößert das
Papiergeld nicht notwendig die Menge des Gesamtum-
laufs. Seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts bis
auf die gegenwärtige Zeit waren in Schottland die
Lebensmittel niemals wohlfeiler, als im Jahre 1759,
obgleich es damals infolge des Umlaufs der Zehn- und
Fünf Schillingnoten mehr Papiergeld im Lande gab als
jetzt. Das Verhältnis zwischen dem Preise der Lebens-
mittel in Schottland und England ist jetzt dasselbe,
wie vor der starken Vermehrung der schottischen Ban-
ken. Das Getreide ist in England meist ebenso wohl-
feil als in Frankreich, obgleich im ersteren Lande eine
große Menge Papiergeld umläuft, und in letzterem fast
gar keins. 1751 und 1752, als Hume seine „Politischen
i\.bhandlungen" veröffentlichte, und bald nach der
starken Vermehrung des Papiergeldes in Schottland,
trat allerdings eine sehr empfindliche Steigerung der
Lebensmittelpreise ein, woran indes wahrscheinlich
nicht die Vermehrung des Papiergeldes, sondern die
schlechte Ernte schuld war.
Anders freilich verhält es sich mit Noten, deren
sofortige Einlösung entweder von dem guten Willen
der Emissionshäuser, oder von einer Bedingung ab-
hängt, die ihr Inhaber nicht immer zu erfüllen imstande
ist, oder deren Zahlung nur nach einer bestimmten
Eeihe von Jahren gefordert werden könnte, und die
in der Zwischenzeit keine Zinsen tragen. Ein solches
Papiergeld würde ohne Zweifel mehr oder weniger
unter den Wert des Goldes und Silbers sinken, je nach-
dem die Schwierigkeit und Unsicheiiieit einer sofortigen
Kap. IL: Das Geld. 71
Einlösung für größer oder geringer gälte, oder je
nachdem der Zeitpunkt der Zahlbarkeit näher oder
ferner läge.
Yor mehreren Jahren beliebten die schottischen
Banken in ihre Noten eine sogenannte Optionsklausel
zu setzen, durch welche sie dem Inhaber je nach Wahl
der Direktoren die Zahlung entweder sogleich bei
Vorzeigung, oder erst sechs Monate nachher mit Zins-
vergütung für diese sechs Monate versprachen. Die
Direktoren einiger Banken machten bald von dieser
Klausel Gebrauch, bald drohten sie, wenn gerade für
eine große Zahl ihrer Noten Gold und Silber verlangt
wurde, sie würden davon Gebrauch machen, falls man
sich nicht mit einem Teil des Verlangten begnüge.
Die Noten dieser Banken machten damals den größten
Teil der Zahlungsmittel in Schottland aus, und die
Unsicherheit der Zahlung verringerte natürlich ihren
Wert gegen Gold- und Silbergeld. Während der Dauer
dieses Mißbrauchs, der hauptsächlich 1762, 1763 und
1764 überhand nahm, war der Wechselkurs zwischen
London und Dumfries bisweilen vier Prozent gegen
Dumfries, obgleich diese Stadt keine dreißig Meilen von
Carlisle entfernt liegt, wo der Wechselkurs auf London
al pari stand. In Carlisle wurden nämlich die AVechsel
in Gold und Silber bezahlt, in Dumfries dagegen in
schottischen Banknoten, die wegen der unsicheren Ein-
lösbarkeit gegen Gold und Silber um vier Prozent
niedriger standen, als das Bargeld. Die nämliche Par-
lamentsakte, durch w eiche die Zehn- und Fünfschilling-
noten abgeschafft wurden, beseitigte auch jene Klause],
und brachte dadurch den Kurs zwischen England und
Schottland auf seinen natürlichen Satz, d. h. auf den-
jenigen, den der Gang des Handels und die Rimessen
herbeiführen.
Beim Papiergeld von Yorkshire hing die Bar-
72 Zweites Buch: Das Kapital.
Zahlung so kleiner Beträge, wie ein Sixpence, mit-
unter von der Bedingung ab, daß der Inhaber für den
ganzen Betrag einer Guinee Noten zum Umwechseln an
das Emissionshaus bringen müsse — eine Bedingung,
die die Inhaber der kleinen Noten oft unmöglich er-
füllen konnten und die deshalb das Papier entwerten
mußte. Eine Parlamentsakte erklärte daher alle solche
Klauseln für ungesetzlich und schaffte ebenso, wie in
Schottland, alle Banknoten unter 20 sh. ab.
Das nordamerikanische Papiergeld bestand nicht
in Banknoten, die auf Verlangen an den Inhaber zahlbar
waren, sondern in einem Staatspapier, dessen Zahlung
erst einige Jahre nach der Ausgabe gefordert werden
konnte; und obgleich die Kolonialregierungen den In-
habern dieser Papiere keine Zinsen zahlten, erklärten
sie es gleichwohl zum gesetzlichen Zahlungsmittel für
den vollen Wert seiner Bezeichnung und machten es
auch wirklich dazu. Wenn man aber auch die Papiere
der Kolonien für vollkommen gut hält, so sind doch
z. B. £ 100, die erst in 15 Jahren zahlbar werden, in
einem Lande, wo 6*^.o Zinsen üblich sind, kaum mehr
als £ 40 baren Geldes wert. Einen Gläubiger zu
zwingen, ein solches Papier für eine bare Schuld von
£ 100 anzunehmen, war daher eine so große Ungerech-
tigkeit, wie sie wohl kaum je von der Regierung eines
anderen sich frei nennenden Landes begangen worden
ist. Das Verfahren trägt den Stempel eines Plans be-
trügerischer Schuldner, ihre Gläubiger zu prellen, an
sich und war es auch nach der Versicherung des ehr-
lichen und biederen Dr. Douglas. Die Regierung von
Pennsylvanien glaubte zwar bei ihrer ersten Papiergeld-
ausgabe 1722 ihr Papier durch Strafandrohungen gegen
alle die, die im Preise ihrer Waren je nach Zahlung in
Kolonialpapier oder in Gold und Silber einen Unterschied
machten, auf gleichen Fuß mit den edlen Metallen setzen
Kap. Tl.: Das Geld. 73
ZU können, allein diese Maßnahme war ebenso tyrannisch
und noch weniger wirksam als diejenige, zu deren
Unterstützung sie getroffen wurde. Ein positives Ge-
setz kann wohl einen Schilhng zu einem gesetzlichen
Zahlungsmittel für. eine Guinee machen, weil es die
Gerichtshöfe anweisen kann, den Schuldner, der so be-
zahlt, zu entlasten; aber kein positives Gesetz kann
einen Mann, der Waren verkauft und dem es freisteht,
sie zu verkaufen oder nicht, dazu zwingen, als Bezah-
lung einen Schilling für eine Guinee zu nehmen. Trotz
aller Maßregeln dieser Art ergab sich aus dem Wechsel-
kurs mit Großbritannien, daß £ 100 in einigen Kolonien
unter Umständen £ 130, in anderen gar £ 1100 galten;
ein Unterschied im Wert, der sich nach dem Unter-
schiede der in den verschiedenen Kolonien ausgegebenen
Menge Papiergeldes, sowie nach der größeren oder
geringeren Wahrscheinlichkeit und den Fristen der
endlichen Einlösung und Wiederbezahlung richtete.
Kein Gesetz konnte mithin gerechter sein, als die
in den Kolonien mit so großem Unrecht gescholtene
Parlamentsakte, nach welcher künftig kein Papiergeld
gesetzliches Zahlungsmittel sein solle.
Pennsylvanien war in seiner Papiergeldausgabe
stets maßvoller als alle anderen unserer Kolonien. Sein
Papiergeld soll daher niemals unter den Wert des
Goldes und Silbers gesunken sein, das in der Kolonie
vor der Ausgabe des Papiergeldes in Umlauf gewesen
war. Yor dieser Emission hatte die Kolonie schon den
Nennwert ihrer Münzen erhöht, und durch eine Akte
ihrer Volksvertretung verordnet, daß 5 sh. sterl. in der
Kolonie für 6 sh. 3 d., und später für 6 sh. 8 d. ge-
nommen werden sollten. Mithin stand 1 £ Kolonialgeld
selbst zu der Zeit, als der Umlauf in Gold und Silber
bestand, mehr als 30 "/o unter dem Werte eines £ Ster-
ling, und es fiel auch selten über 30°-o unter diesen
74 Zweites Buch: Das Kapital.
Wert, als der Umlauf in Papier bestand. Der Yorwand
für diese Erhöhung des Nennwertes war die Verhütung
der Ausfuhr von Grold und Silber, die man dadurch
zu erreichen glaubte, daß man gleiche Metallmengen
in der Kolonie größere Summen darstellen ließ, als
im Mutterlande. Man fand aber bald, daß der Preis
aller Waren aus dem Mutterlande genau im Verhältnis
der Erhöhung des Nennwerts stieg, sodaß ihr Gold und
Silber ebenso schnell ausgeführt wurde, wie früher.
Da das Papiergeld der Kolonien bei Bezahlung der
Provinzialsteuern für den vollen Wert genommen wurde,
zu dem es ausgegeben war, so erhielt es durch diesen
Gebrauch notwendig einen höheren Wert, als es bei
der wirklichen und vorausgesetzten Entferntheit des
Einlösungstermins gehabt haben würde. Dieser zu-
sätzliche Wert war größer oder geringer, je nachdem
die Menge des ausgegebenen Papiers die Summe, die
bei Zahlung der Steuern einer jeden Kolonie zu ver-
wenden war, mehr oder weniger überstieg; und sie
überstieg diese Summe in allen Kolonien sehr bedeutend.
Wenn ein Fürst verordnete, daß ein gewisser Teil
der Steuern in einer bestimmten Art Papiergeldes ent-
richtet werden solle, so könnte er dadurch diesem Gelde
einen bestimmten Wert geben, selbst wenn der Wieder-
bezahlungstermin ganz vom Willen des Fürsten abhinge;
und wenn die Papier ausgebende Bank seine Menge
stets etwas unter dem zu diesem Zweck erforderlichen
Betrag hielte, so könnte die Nachfrage danach so groß
werden, daß es sogar ein Agio erhielte, d. h. etwas
teurer bezahlt würde, als das Gold- und Silbergeld, für
das es ausgegeben wurde. Auf diese Weise erklären
manche das Agio der Bank zu Amsterdam, d. h. den
Umstand, daß das Bankogeld einen höheren Wert hat
als Kurant, obgleich ersteres nicht nach Belieben des
Eigentümers aus der Bank genommen werden kann.
Tvap. IL: Das Geld. 75
Die meisten ausländischen Wechsel, sagen sie, müssen
in Bankogeld, d. h. durch Übertragung in den Büchern
der Bank gezahlt werden, und die Direktoren der Bank
halten, so wird behauptet, die Menge des Bankogeldes
stets unter der Summe, die zu jenem Zwecke erforder-
lich ist. Dies, sagt man, sei der Grund, weshalb das
Bankogeld ein Agio von vier oder fünf Prozent gegen
Kurant trage. Diese Sache ist jedoch, wie sich später
zeigen wird, fast gänzlich grundlos.
Ein Papiergeld, das unter den Wert des Gold-
und Silbergeldes sinkt, vermindert dadurch nicht den
Wert dieser Metalle, oder verursacht nicht, daß mit
gleichen Mengen jener Metalle kleinere Warenmengen
gekauft werden können. Das Verhältnis zwischen dem
Wert von Gold und Silber und dem der Waren aller
Art hängt niemals von der Beschaffenheit oder Menge
des in einem Lande umlaufenden Papiergeldes ab,
sondern von dem Reichtum oder der Armut der Berg-
werke, die zur Zeit den großen Markt der Handelswelt
mit diesen Metallen versorgen; es hängt von dem Ver-
hältnis zwischen der Arbeitsmenge ab, die erforderlich
ist, um eine bestimmte Menge Gold und Silber, und der
Arbeitsmenge, die erforderlich ist, um eine bestimmte
Menge aller anderen Waren auf den Markt zu bringen.
Wenn die Bankiers verhindert werden, umlaufende,
d. h. an" den Inhaber zahlbare Noten unter einem ge-
wissen Wertbetrag auszugeben, und wenn man ihnen
die Verpflichtung auferlegt, ihre Banknoten sofort und
unbedingt bei Vorzeigung zu bezahlen, so kann ihr
Geschäft in allen anderen Beziehungen ohne Schaden
füi" das Publikum vollkommen frei gegeben werden.
Die jüngste Vermehrung der Bankgesellschaften in
beiden Teilen des vereinigten Königreichs, die viele
so stark beunruhigt, vermehrt die Sicherheit des
Publikums, statt sie zu vermindern. Sie zwingt alle
76 Zweites Buch: Das Kapital.
Gesellschaften, umsichtiger zu sein, ihr Papiergeld
nicht über das richtige Verhältnis zu ihrer Kasse aus-
zudehnen, und sich vor jenen tückischen Stürmen auf
die Bank in Acht zu nehmen, die ihnen die Neben-
buhlerschaft so vieler Mitbewerber stets zuzuziehen
bereit ist. Sie schränkt ferner den Umlauf jeder
einzelnen Gesellschaft auf einen engeren Kreis ein,
und führt ihre Noten auf eine kleinere Anzahl zurück.
Durch die Verteilung des Gesamtpapierumlaufs über
eine größere Zahl von Beteiligten wird das Falliment
einer einzelnen Gesellschaft, — ein Ereignis, das immer-
hin einmal eintreten kann, — dem Publikum weniger
verderblich. Auch zwingt dieser freie Wettbewerb
alle Bankiers zu einer liberaleren Behandlung ihrer
Kunden, damit sie ihnen nicht von den Mitbewerbern
abspenstig gemacht werden. Wenn im Allgemeinen
jeder Geschäftszweig oder jede Arbeitsteilung für das
Publikum von Vorteil ist, so wird es der freiere und
allgemeinere Wettbewerb stets noch mehr sein.
Drittes Kapitel.
Kapitalanhäufung oder produktive
und unproduktive Arbeit.
Es gibt eine Art von Arbeit, die dem Werte des
Gegenstandes, auf den sie verwendet wird, etwas hin-
zufügt, und eine andere, die diese Wirkung nicht hat.
Die erstere kann, da sie einen Wert hervorbringt und
produziert, produktive, die letztere unproduktive '••) Ar-
beit genannt werden. So fügt die Arbeit eines Hand-
werkers dem Werte der von ihm bearbeiteten Materialien
in der Regel noch den Wert seines eignen Unterhalts
und des Meistergewinnes hinzu. Die Arbeit eines
Dienstboten hingegen fügt dem Werte keiner Sache
etwas hinzu. Obgleich der Handwerksgesell seinen
Arbeitslohn vom Meister vorgeschossen erhält, so ver-
ursacht er ihm tatsächlich doch keine Kosten, da der
Betrag dieses Lohnes samt einem Grewinne gewöhnlich
in dem erhöhtem Werte des verfertigten Gegenstandes
zurückerstattet wird, während der Unterhalt eines
Dienstboten sich niemals wieder ersetzt. Durch Be-
schäftigung einer Menge von Gesellen wird man reich ;
durch das Halten einer Menge von Dienstboten wird
man arm. Gleichwohl hat die Arbeit der letzteren
ihren Wert, und verdient ebenso gut wie die der erste-
*) Einige sehr gelehrte und geistvolle französische .Scliril't-
steller haben diese Worte in einem andern Sinne gebraucht.
Im letzten Kapitel des vierten Buches werde ich zu zeigen
suchen, daß der von ihnen diesen Worten beigelegte Sinn ein
unrichtig'er ist.
78 Zweites Buch: Das Kapital.
ren ihren Lohn; allein die Arbeit des Gesellen wird
in einem bestimmten Gegenstande oder einer verkäuf-
lichen Ware festgelegt und verwirklicht, die die Voll-
endung der Arbeit wenigstens noch eine Zeitlang über-
dauert. Die Ware ist gleichsam eine gewisse Menge
Arbeit, die augesammelt und aufbewahrt wurde, um im
Bedarfsfalle später benutzt zu werden. Dieser Gegen-
stand, oder, was dasselbe ist, der Preis dieses Gegen-
standes, kann später, im Bedarfsfalle, eine ebenso große
Arbeitsmenge in Bewegung setzen, als die, durch die
er ursprünglich erzeugt wurde. Dagegen wird die Arbeit
des Dienstboten durchaus in keinem bestimmten Gegen-
stande, in keiner verkäuflichen Ware festgelegt oder
verwirklicht. Seine Dienste gehen gewöhnlich im
Augenblick ihrer Leistung verloren, und lassen selten
eine Spur oder einen Wert zurück, wofür eine gleiche
Menge von Diensten später beschafft werden könnte.
Die Arbeit einiger der achtbarsten Klassen der
Gesellschaft bringt gerade so wie die der Dienstboten
keinen Wert hervor, und fixiert oder realisiert sich
nicht in einem dauernden Gegenstande oder einer ver-
käuflichen Ware, welche die Vollbringung der Arbeit
überdauerte, und für die sich später eine gleiche Arbeits-
menge beschaffen ließe. So sind z. B. der Monarch
und alle seine Civil- und Militärbeamten mit der ganzen
Armee und Flotte, unproduktive Arbeiter. Sie sind
die Diener des Volkes, und empfangen ihren Unterhalt
durch einen Teil vom Jahresprodukt des Fleißes anderer
Leute. So ehrenvoll, nützlich und notwendig ihr Dienst
auch ist, so erzeugt er doch nichts, wofür sich eine
gleiche Menge von Diensten später beschaffen ließe.
Der Schutz der Sicherheit und die Verteidigung des
Staates, die Frucht ihrer diesjährigen Arbeit, können
den Schutz, die Sicherheit und die Verteidigung nicht
für das nächste Jahr erkaufen. In die nämliche Klasse
Kap.: III.: Kapitalanhäufiing oder prod. u. improd. Arbeit. 79
müssen sowohl einige der ernstesten und wichtigsten,
als auch manche der unbedeutendsten Berufe eingereiht
werden: Geistliche, Juristen, Arzte, Gelehrte aller Art;
Schauspieler, Musiker, Opernsänger, Tänzer usw. Die
Arbeit der geringsten unter diesen hat einen gewissen
Wert, der sich ganz nach denselben Grundsätzen regelt,
die den Wert aller anderen Arten Arbeit regeln; und
die Arbeit der edelsten und nützlichsten unter ihnen
bringt nichts hervor, wofür sich später eine gleiche
Menge Arbeit kaufen oder beschaffen ließe. Wie die
Deklamation des Schauspielers, der.Vortrag des Redners
oder das Tonstück des Musikers, so geht die Arbeit
all' dieser Leute im nämlichen Augenblicke der Pro-
duktion verloren.
Sowohl produktive und unproduktive Arbeiter wie
die, die überhaupt nicht arbeiten, empfangen insge-
samt ihren Unterhalt aus dem Jahresertrag des Bodens
und der Arbeit des Landes. Dieser Ertrag kann, so
groß er auch sein mag, doch niemals unbeschränkt
sein, sondern muß seine gewissen Grenzen haben. Je
nachdem daher ein kleinerer oder größerer Teil von
ihm in einem Jahre auf den Unterhalt unproduktiver
Menschen verwendet wird, um so mehr wird in dem
einen, und um so weniger in dem anderen Falle für
die produktiven übrig bleiben, und der Betrag des
nächsten Jahres wird je nachdem größer oder kleiner
sein: denn der gesamte Jahresertrag ist, abgesehen
von den freiwilligen Gaben der Erde, lediglich durch
produktive Arbeit hervorgebracht.
Wenn auch der gesamte Jahresertrag von dem
Boden und der Arbeit eines Landes unzweifelhaft
schließlich zur Befriedigung des Bedarfs seiner Be-
wohner und dazu dient, ihnen ein Einkommen zu ver-
schaffen, so zerfällt er doch, wenn er zuerst aus dem
Grund und Boden, oder aus den Händen der produk-
80 Zweites Buch: Das Kapital.
tiven Arbeiter heraustritt, in zwei Teile. Der eine von
beiden, und oft der grüßte, hat in erster Linie ein
Kapital wieder herzustellen, d. h. die Lebensmittel,
Rohstoffe und Fabrikate, die dem Kapital entzogen
worden waren, zu erneuern; der andere hat entweder
dem Eigner dieses Kapitals als Gewinn, oder einem
andern als Grundrente ein Einkommen zu liefern. So
ersetzt ein Teil des Bodenertrags das Kapital des
Pächters ; der andere zahlt seinen Gewinn und die Rente
des Grundeigentümers, und bildet sowohl für den Be-
sitzer des Kapitals als Gewinn, als auch für eine andere
Person als Grundrente ein Einkommen. Ebenso ersetzt
auch von dem Ertrag einer großen Fabrik der eine Teil,
und zwar stets der größte, das Kapital des Unter-
nehmers, während der andere seinen Gewinn zahlt und
somit dem Besitzer des Kapitals ein Einkommen liefert.
Derjenige Teil des jährlichen Boden- und Arbeits-
ertrags eines Landes, welcher ein Kapital wiederher-
stellt, wird unmittelbar stets nur zum Unterhalt pro-
duktiver Arbeit verwendet. Er zahlt nur den Lohn
produktiver Arbeit. Der andere Teil, der unmittelbar
entweder als Gewinn oder als Rente ein Einkommen
zu bilden hat, kann ohne LTnterschied sowohl produktive
als unproduktive Hände unterhalten.
Welchen Teil seines Vermögens Jemand auch als
Kapital anlegt, stets erwartet er ihn nebst einem Ge-
winn wieder ersetzt zu sehen. Er legt es also nur im
Unterhalt produktiver Hände an, und nachdem es ihm
als Kapital gedient hat, bildet es für sie ein Einkommen.
Verwendet er einen Teil seines Vermögens zum Unter-
halt unproduktiver Hände, so wird dieser Teil in dem-
selben Augenblick dem Kapital entzogen und dem für
unmittelbaren Verbrauch bestimmten Vorrat zugeteilt.
Unproduktive Arbeiter und solche, die gar nicht
arbeiten, werden sämtlich durch ein Einkommen unter-
Kap. III.: Kapitalanhäufung od. prod. u. unprod. Arbeit. Ql
halten; entweder erstens durch den Teil des Jahres-
ertrags, der ursprünglich bestimmt ist, für gewisse
Personen als Grundrente oder als Kapitalgewinn ein
Einkommen zu bilden, oder zweitens durch den Teil,
der zwar ursprünglich bestimmt ist, ein Kapital wieder-
zuersetzen und nur produktiven Arbeitern Unterhalt
zu gewähren, aber wenn er in ihre Hände gekommen
ist, soweit er ihren notwendigen Bedarf übersteigt, ohne
Unterschied sowohl zum Unterhalt produktiver wie un-
produktiver Hände verwendet werden kann. So kann
nicht nur der große Grundherr oder der reiche Kauf-
mann, sondern selbst der gewöhnliche Arbeiter, wenn
sein Arbeitslohn beträchtlich ist, einen Dienstboten unter-
halten, oder manchmal in ein Schauspiel oder Puppen-
spiel gehen, und auf diese Weise seinen Teil zum Unter-
halt einer Klasse unproduktiver Arbeiter beitragen ; oder
er zahlt Abgaben und hilft so einer anderen, zwar
achtbareren und nützlicheren, aber ebenso unproduk-
tiven Klasse Unterhalt gewähren. Kein Teil des Jahres-
ertrages aber, der ursprünglich bestimmt ist, ein Kapi-
tal wieder zu ersetzen, wird jemals zum Unterhalt
unproduktiver Hände dienen, ehe er nicht alle pro-
duktive Arbeit, oder was sonst bei der Art der Kapitals-
anlage in Bewegung zu setzen war, wirklich in Be-
wegung gesetzt hat. Der Arbeiter muß seinen Lohn
durch Arbeit verdient haben, ehe er einen Teil von
ihm auf diese Weise verwenden kann, und dieser Teil
ist gewöhnlich nur klein, denn er muß ihn von seinem
Einkommen erübrigen, und produktive Arbeiter ver-
mögen selten viel zu erübrigen. Doch erübrigen sie
immerhin etwas, und beim Steuerzahlen kann ihre
Menge einigermaßen die Geringfügigkeit ihres Beitrags
ausgleichen. Die Grundrente und der Kapitalgewinn
sind mithin überall die Hauptquollen, aus denen un-
produktive Hände ihren Unterhalt empfangen. Es sind
Adam Smith, Volkswohlslaud. Ji. ^
82 Zweites Buch: Das Kapital.
die beiden Einkommensarten, deren Eigner gewöhnlich
am meisten erübrigen. Sie können sowohl produktive
wie unproduktive Hände damit unterhalten ; doch schei-
nen sie zu letzterem vorzugsweise geneigt. Der Auf-
wand eines großen Lords ernährt gewöhnlich mehr
müßige als gewerbsame Leute ; der reiche Kaufmann
unterhält zwar mit seinem Kapital nur gewerbtätige
Leute, aber mit seinem Aufwände, d. h. mit seinem
Einkommen ernährt er gewöhnlich dieselbe Art von
Leuten, wie der große Lord.
Daher hängt das Verhältnis der produktiven zu
den unproduktiven Händen in einem Lande gar sehr
von dem Verhältnis ab, in welchem der Teil des Jahres-
ertrags, der nach seinem Heraustreten aus der Produk-
tion, zum Wiedersatz eines Kapitals bestimmt ist, zu
dem Teil steht, der entweder als E-ente oder Gewinn
ein Einkommen bilden soll. Dies Verhältnis ist ein
ganz anderes in reichen Ländern, als in armen.
So ist gegenwärtig in den reichen Ländern Europas
ein sehr großer, oft der größte Teil des Bodenertrags
bestimmt, das Kapital des reichen und unabhängigen
Pächters wiederzuersetzen; das Übrige dient dazu, ihm
seinen Grewinn und die Rente für den Grundherrn
zu zahlen. Dagegen reichte in früherer Zeit während
der Feudalherrschaft ein sehr kleiner Teil des Ertrags
hin, das auf den Anbau verwendete Kapital zu ersetzen.
Dies bestand gewöhnlich in ein Paar Stück elenden
Viehes, das durch die freiwilligen Erzeugnisse unbebau-
ten Landes ernährt wurde und als zu diesen freiwilligen
Erzeugnissen gehörig angesehen werden konnte. Auch
gehörte es gewöhnlich dem Grundeigentümer, und war
von ihm dem Bauern nur geliehen, wie eigentlich auch
der ganze Rest des Ertrags, sei es als Rente für sein
Land oder als Gewinn seines unbedeutenden Kapitals,
dem Grundherrn gehörte, denn die Bauern waren in
der Regel Leibeigene, deren Personen und Güter sein
Kap. III.: Kapitalanliiüifung od. prod. u. unprod. Arbeit. 83
Eigentum waren. Die nicht Leibeigenen waren Pächter
auf Zeit (Tenants at will), und obgleich die von ihnen
bezahlte Rente nominell oft wenig mehr als ein Erb-
zins war, so machte es tatsächlich doch den ganzen
Bodenertrag aus. Ihrem Herrn standen jederzeit im
Frieden ihre Arbeit und im Kriege ihre Dienste zu
Gebote. Obgleich sie nicht in seinem Hause wohnten,
waren sie doch ebenso abhängig von ihm, wie seine
Dienerschaft im Hause. Unstreitig gehört aber doch
der ganze Bodenertrag dem, der über die Arbeit und die
Dienste all' derer verfügen kann, die der Boden nährt.
Im gegenwärtigen Zustande Europas übersteigt der
Anteil des Grundherrn selten ein Drittel, oft nicht ein
Viertel des ganzen Bodenertrags. Dennoch ist die
Grundrente in allen kultivierten Gegenden seit jenen
Zeiten um das Dreifache und Vierfache gestiegen, und
dieses Drittel oder Viertel des Jahresertrags ist, wie
es scheint, drei oder vier mal größer, als damals das
Ganze. Unter den Fortschritten der Kultur vermindert
sich die Rente im Verhältnis zum Bodenertrag, obgleich
sie im Verhältnis zur Ausdehnung des Bodens zunimmt.
In den reichen europäischen Ländern werden jetzt
große Kapitalien auf Handel und Fabriken verwendet;
unter den früheren A^erhältnissen dagegen erforderten
der geringe Handel, der betrieben wurde, und die svenige
Hausindustrie in groben Stoffen nur sehr unbedeutende
Kapitalien. Doch müssen diese sehr große Gewinne
abgeworfen haben, denn der Zinsfuß stand nirgends
unter zehn Prozent, und die Gewinne müssen groß
genug gewesen sein, um diesen hohen Zins zu bestreiten.
Gegenwärtig ist in den kultivierten Ländern Europas
der Zinsfuß nirgends höher als sechs Prozent, und in
den entwickeltsten beträgt er gar nur vier, drei oder
zwei Prozent. Ist gleichwohl der Einkommensteil, den
man aus den Kapitalgewinnen zieht, in reichen Ländern
84 Zweites Buch: Das Kapital.
stets weit größer als in armen, so rührt dies daher, daß
das Kapital weit größer ist; im Verhältnis zu dem
Kapital sind die Gewinne gewöhnlich weit geringer.
Der Teil des Jahresertrags, der nach seinem Heraus-
treten aus der Produktion ein Kapital zu ersetzen hat,
ist mithin nicht nur weit größer in reichen Ländern
als in armen, sondern er übertrifft auch bei weitem
den Teil, der unmittelbar dazu dient, als Rente oder
als Gewinn ein Einkommen zu bilden. Die zum Unter-
halt produktiver Arbeit bestimmten Fonds sind in den
ersteren nicht nur weit größer als in den letzteren,
sondern stehen auch in einem weit größeren Verhältnis
zu denen, die zwar ebenso produktiven wie unproduk-
tiven Händen Unterhalt geben können, doch in der
B-egel mit Vorliebe für die letzteren verwendet werden.
Nach dem Verhältnis zwischen diesen verschiedenen
Fonds richtet sich in jedem Lande die Betriebsamkeit
oder der Müßiggang der Bewohner. Wir sind aber ge-
werbfleißiger als unsere Vorfahren, weil gegenwärtig
die zum Unterhalt des Gewerbfleißes bestimmten Fonds
im Verhältnis zu denen, die auf den Unterhalt des Müßig-
gangs verwendet werden, weit größer sind, als vor zwei
oder drei Jahrhunderten. Unsere Voreltern gingen müßig,
weil es an hinlänglicher Aufmunterung des Gewerb fleißes
fehlte. Es ist besser, sagt ein Sprichwort, umsonst zu
spielen, als umsonst zu arbeiten. In Handel- und Fa-
brikstädten, wo die unteren Volksklassen vorzugsweise
durch Kapitalanlagen Unterhalt finden, sind diese im all-
gemeinen fleißig, nüchtern und wohlhabend, wie sich
dies in vielen englischen und in den meisten holländi-
schen Städten zeigt. In Städten, die ihren Wohlstand
vorzugsweise einer beständigen oder zeitweiligen Hof-
haltung verdanken, und wo die unteren Volksklassen
ihren Unterhalt durch den mit jener verknüpften Auf-
wand finden, sind sie in der Regel träge, liederlich und
Kap. III.: Kapitalanhihifung od. prod. u. unprod. Arbeit. 35
arm, wie in Rom, Versailles, Oompiegne und Fontaine-
bleau. In den Städten Frankreichs, wo die Parlamente
ihren Sitz haben, findet sich, mit Ausnahme von Rouen
und Bordeaux, nur wenig Handel oder Industrie, und
die unteren Volksklassen, die hauptsächlich von dem
Aufwände leben, den die Mitglieder der Gerichtshöfe
und die prozessierenden Parteien machen, sind im ganzen
träge und arm. Der bedeutende Handel von Eouen
und Bordeaux scheint lediglich durch ihre Lage hervor-
gerufen zu sein. Rouen ist der natürliche Sammel-
platz fast aller aus fremden Ländern oder aus den
französischen Seeprovinzen der Hauptstadt Paris zum
Verbrauch zugeführten "Waren. Ebenso ist Bordeaux
Niederlagsort der Weine, die an den Ufern der Garonne
und ihrer Nebenflüsse wachsen, einem der reichsten
Weinländer der Welt, dessen Weine sich am besten
zur Ausfuhr eignen, da sie dem Geschmacke der Aus-
länder am meisten zusagen. So vorteilhafte Lagen
gewähren natürlich die Möglichkeit günstiger Anlagen
und locken daher ein großes Kapital herbei, und diese
Kapitalanlagen sind die Ursache der Gewerbtätigkeit
jener beiden Städte. In den übrigen französischen
Parlamentsstädten scheint nicht mehr Kapital angelegt
zu sein, als ihr Verbrauch erfordert, d. h. kaum mehr,
als das kleinstmögliche Kapital, das überhaupt dort
angelegt werden kann. Das nämliche kann man von
Paris, Madrid und Wien sagen. Unter diesen drei
Städten ist Paris die bei weitem gewerbtätigste ; aber
Paris ist auch selbst der Hauptmarkt für alles, was
hier gearbeitet wird, und der eigene Verbrauch der
Stadt bildet den Hauptzweck der in ihr betriebenen
Geschäfte. London, Lissabon und Kopenhagen sind
vielleicht die einzigen drei Städte in Europa, die be-
ständige Residenzen eines Hofes sind und doch zugleich
als Handelsstädte betrachtet werden können, d. h. als
Städte, deren Geschäfte sich nicht blos auf ihren eigenen
86 Zweites Buch: Das Kapital.
Verbrauch, sondern auch auf den anderer Städte und
Länder erstrecken. Die Lage aller drei Städte ist
außerordentlich vorteilhaft und macht sie zu natürlichen
Niederlagen für einen großen Teil der für den Ver-
brauch entlegener Orte bestimmten Waren. In einer
Stadt, wo großer Aufwand gemacht wird, ist die vorteil-
hafte Anlegung eines Kapitals zu anderen Zwecken als
zur Versorgung der Stadt selbst wahrscheinlich schwieri-
ger, als in Städten, wo die unteren Volksklassen ihren
Unterhalt lediglich aus solchen Kapitalanlagen ziehen.
Der Müßiggang der meisten Leute, die von ihrem Ein-
kommen leben, übt wahrscheinlich einen verderblichen
Einfluß auf den Fleiß derer, die in Kapitalanlagen
Unterhalt finden sollten, und macht es weniger vor-
teilhaft, hier ein Kapital anzulegen. In Edinburg gab
es vor der LTnion wenig Handel und Industrie. Als
sich das schottische Parlament nicht mehr dort ver-
sammelte und die Stadt nicht mehr die Residenz des
hohen und niederen schottischen Adels war, wurde
sie ein wenig zur Handels- und Fabrikstadt. Sie ist
immerhin noch der Sitz der höchsten Gerichtshöfe
Schottlands, der Zoll- und Akzise-Amter usw., und
es werden daher noch immer bedeutende Einkünfte
dort verausgabt. An Handel und Industrie steht sie
weit hinter Glasgow zurück, dessen Einwohner vor-
zugsweise durch Kapitalanlagen ihren Unterhalt finden.
Bewohner größerer Landstädte, die schon ziemliche
Fortschritte im Gewerbfleiß gemacht hatten, sind, wie
man öfters bemerkt hat, träge und arm geworden,
nachdem ein großer Lord in ihrer Nähe seinen Wohnsitz
aufgeschlagen hatte.
Das Verhältnis zwischen Kapital und Einkommen
scheint daher überall das Verhältnis zwischen Fleiß
und Müßiggang zu regeln: wo das Kapital vorherrscht,
da waltet Fleiß, wo das Einkommen, Müßiggang. Jede
Vermehrung oder Verminderung des Kapitals wirkt
Tvap. lir. : KapitaJauhäurung- od. prod. u. unprod. Arbeit. ,S7
daher naturgemäß darauf hin, die wirkHche Menge von
Gewerbfleiß, die Zahl produktiver Hände und folglich
den Tauschwert des jährlichen Boden- und Arbeits-
ertrags, den wahren Reichtum und das wahre Einkom-
men aller Bewohner, zu vermehren oder zu vermindern.
Kapitalien mehren sich durch Sparsamkeit und
mindern sich durch Verschwendung und Leichtsinn.
"Was jemand von seinem Einkommen erspart, fügt
er seinem Kapital hinzu und verwendet es entweder
selbst im Unterhalt einer weiteren Zahl produktiver
Hände, oder läßt es andere tun, indem er es ihnen
gegen Zinsen d. h. für einen Anteil am Gewinn leiht.
Wie das Kapital eines einzelnen sich nur durch das
vermehren kann, was er von seinem jährlichen Ein-
kommen oder als Gewinn erspart, so kann sich auch
das Gesellschaftskapital, das das nämliche ist, wie das
Kapital der Gesellschaftsgiieder zusammen, nur auf die
gleiche Weise vermehren.
Sparsamkeit, und nicht Fleiß, ist die unmittelbare
Ursache der Kapitalvermehrung. Der Fleiß schaffte
zwar die Saclien herbei, welche die Sparsamkeit anhäuft ;
aber soviel der Fleiß auch erwerben mag, wenn die
Sparsamkeit es nicht erhält und sammelt, würde sich
das Kapital niemals vergrößern.
Indem die Sparsamkeit den zum Unterhalt produk-
tiver Hände bestimmten Fonds vergrößert, vermehrt
sie die Zahl der Hände, deren Arbeit dem Wert der
Gegenstände, auf die sie verwendet wird, etwas hin-
zufügt und erhöht also den Tauschwert des jährlichen
Boden- und Arbeitsertrags. Sie setzt eine weitere
Menge Gewerbfleiß in Bewegung, der dann seinerseits
den Wert des Jahresertrags erhöht.
Was jährlich gespart wird, wird ebenso regelmäßig
verzehrt, als was jährlich vergeudet wird, und zwar
fast in derselben Zeit; nur wird es von anderen Leuten
verzehrt. Der Teil seines Einkommens, den ein reicher
88 Zweites Buch: Das Kapital.
Mann jährlich ausgibt, wird in den meisten Fällen von
müßigen Gästen und Dienstboten aufgezehrt, die nichts
zum Ersatz für ihren Verbrauch zurücklassen. Dagegen
wird der Teil, den er jährlich erspart, und der behufs
eines Gewinns sofort als Kapital angelegt wird, zwar
ebenfalls, und fast in der nämlichen Zeit, aber von
einer anderen Klasse von Leuten verzehrt, nämlich
von Tagelöhnern, Fabrikarbeitern und Handwerkern,
die den Wert ihres jährlichen Verbrauchs nebst einem
Gewinn wiedererzeugen. Nehmen wir an, sein Ein-
kommen werde ihm in Geld bezahlt. Gäbe er das
Ganze aus, so würde sich die Nahrung, Kleidung und
Wohnung, die dafür zu beschaffen waren, unter die
erstere Klasse von Leuten verteilt haben. Sparte er
dagegen einen Teil, so würde dieser Teil behufs eines
Gewinns sofort entweder von ihm selbst oder von einem
andern als Kapital angelegt sein, und die Nahrung,
Kleidung und Wohnung, die dafür zu beschaffen waren,
würde notwendig für die letztere Klasse zurückgelegt
bleiben. Der Verbrauch ist der nämliche, aber die
Verbraucher sind andere.
Durch das, was ein genügsamer Mann jährlich
spart, gewährt er nicht nur einer neuen Zahl produk-
tiver Hände für das laufende und folgende Jahr Un-
terhalt, sondern stellt auch, wie der Gründer eines
öffentlichen Arbeitshauses, so zu sagen einen dauernden
Fonds zum Unterhalt einer gleichen Zahl für alle
Zeiten her. Freilich ist die beständige Verteilung
und Bestimmung dieses Fonds nicht durch ein aus-
drückliches Gesetz, ein Fideikommiß oder eine Unver-
äußerlichkeitsurkunde gesichert ; allein er ist stets durch
eine sehr mächtige Triebfeder, nämlich das klare Interesse
aller einzelnen, denen ein Teil davon zufallen wird,
gewahrt. Kein Teil dieses Fonds kann später zum
Unterhalt anderer als produktiver Hände verwendet
Kap. TIT. : TCapitalanliiUifung otl. prod. u. improcl. Arbeit. 89
werden, ohne offenbaren Verlust für den, der dessen
eigentliche Bestimmung umkehrt.
Der Verschwender tut dies. Indem er seine Aus-
gaben nicht auf sein Einkommen beschränkt, greift
er sein Kapital an. Wie jemand, der die Einkünfte
einer frommen Stiftung zu profanen Zwecken miß-
braucht, zahlt er den Lohn des Müßiggangs aus den
Fonds, die die Sparsamkeit seiner Vorfahren dem Unter-
halt des Fleißes gewidmet hatte. Indem er die zur
Beschäftigung produktiver Arbeit bestimmten Fonds
vermindert, vermindert er, soweit es von ihm abhängt,
die Menge der Arbeit, die den bearbeiteten Gegen-
ständen einen neuen Wert zusetzt, und folglich den
Wert des jährlichen Boden- und Arbeitsertrages des
ganzen Landes, in dem der wahre Reichtum und das
tatsächliche Einkommen seiner Bewohner besteht. Würde
die Verschwendung einiger nicht durch die Sparsam-
keit anderer ausgeglichen, so würde das Verhalten jedes
Verschwenders, der den Müßiggänger mit dem Brote des
Fleißigen füttert, nicht nur ihn selbst zum Bettler machen,
sondern auch sein Land beeinträchtigen.
Wenn auch die Ausgaben des Verschwenders gänz-
lich auf inländische und nicht teilweise auch auf fremde
Waren drauf gingen, würde ihre Wirkung auf die pro-
duktiven Fonds der Gesellschaft doch ganz die nämliche
sein. Jedes Jahr würde eine gewisse Menge Nahrung
und Kleidung, die produktive Hände hätte unterhalten
sollen, zum Unterhalt unproduktiver Hände verwendet
sein, und folglich würde jedes Jahr eine Verminderung
des Wertes eintreten, den sonst der Jahresertrag des
Bodens und der Arbeit des Landes gehabt hätte.
Allerdings kann man sagen, daß wenn dieser Auf-
wand nicht auf ausländische Waren draufgeht und keine
Ausfuhr von Gold und Silber veranlaßt, die nämliche
Menge Geldes im Lande bleiben würde, wie früher.
Aber wenn die Menge Nahrung und Kleidung, die so von
90 Zweites Buch: Das Kapital.
unproduktiven Händen verbraucht wurde, sich unter
produktive verteilt hätte, so würden diese den vollen
Wert ihres Verbrauchs samt einem Gewinn wieder-
erzeugt haben. Auch in diesem Falle würde die näm-
liche Geldmenge im Lande geblieben sein, und außerdem
zugleich eine "Wiedererzeugung eines gleichen Wertes
verbrauchbarer Güter stattgefunden haben. Es würden
mithin zwei Werte anstatt eines vorhanden gewesen sein.
Überdies kann in einem Lande, in dem sich der
Wert des Jahresertrags vermindert, nicht lange dieselbe
Geldmenge bleiben. Der einzige Nutzen des Geldes be-
steht darin, daß es brauchbare Waren in Umlauf bringt.
Mittelst des Geldes werden Nahrungsmittel, Rohstoffe
und Fabrikate ge- und verkauft, und an ihre eigent-
lichen Verbraucher verteilt. Mithin muß sich die Geld-
menge, die in einem Lande jährlich verwendet werden
kann, nach dem Wert der brauchbaren Waren richten,
die jährlich in ihm umlaufen. Diese bestehen entweder
in den Boden- und Arbeitsprodukten des Landes selbst,
oder in Dingen, die mit einem Teile dieser Produkte
gekauft worden sind. Ihr Wert muß daher geringer
werden, wenn sich der Wert dieser Produkte vermin-
dert, und mit ihm muß sich auch die Geldmenge ver-
mindern, die dazu dient, sie in Umlauf zu setzen. Das
Geld aber, das durch diese jährliche Verminderung
der Produktion dem inneren Umlauf entzogen wird,
wird man nicht müßig liegen lassen. Das Interesse
jedes Geldbesitzers fordert, daß er es anlege. Da sich
ihm aber im Lande keine Gelegenheit dazu bietet, so
wird er es trotz aller Gesetze und Verbote ins Ausland
schicken, und zum Ankauf brauchbarer Waren ver-
wenden, die man im Lande verlangt. Die jährliche
Ausfuhr wird auf diese Weise eine Zeit lang den jähr-
lichen Verbrauch des I^andes über den Wert seines
eigenen Jahresertrags steigern. Was in den Tagen
Tvap. TIT.: I\apit;il;inli;iufuiiy' <h]. prod. u. iinprod. Arbeit. (JJ
des Wohlstandes vom Jahreseitrag gespart und zum
Ankauf von Gold und Silber verwendet worden ist,
wird nun in der Not eine Zeit lang dazu dienen, die
Konsumtion zu versorgen. In diesem Falle ist die
Ausfuhr von Gold und Silber nicht die Ursache, son-
dern die Wirkung des Verfalls, und kann selbst auf
einige Zeit die damit verbundene Not erleichtern.
Dagegen muß die Geldmenge in einem Lande
naturgemäß zunehmen, wenn der Wert des Jahreser-
trags steigt. Der größere Betrag der während eines
Jahres umlaufenden brauchbaren Waren erfordert auch
eine größere Summe Geldes, um sie in Umlauf zu
setzen. Ein Teil des vermehrten Ertrags wird daher
dazu angewandt werden, die weitere Menge Gold und
Silber, die den Rest in Umlauf zu setzen hat, zu kaufen,
wo sie eben zu haben ist. In diesem Falle wird die
Zunahme jener Metalle die Wirkung und nicht die .Ur-
sache des öffentlichen Wohlstandes sein. Gold und
Silber wird überall auf die nämliche Weise gekauft.
Die Nahrung, Kleidung und Wohnung, das Einkommen
und der Unterhalt aller derer, deren Arbeit oder Kapital
dazu dient, die Metalle aus den Bergwerken auf den
Markt zu bringen, ist der Preis, den man ebensowohl
in Peru wie in England für sie bezahlt. Das Land, das
diesen Preis zahlen kann, wird sich niemals lange ohne
die ausreichende Menge jener Metalle zu behelfen brau-
chen, und hinwiederum wird ein Land nie lange eine
Menge von ihnen behalten, wenn es ihrer nicht bedarf.
Worin man daher auch den wirklichen Reichtum
und das wirkliche Einkommen eines Landes finden
mag, sei es, wie die gesunde Vernunft zu fordern
scheint, in dem Werte des jährlichen Boden- und Ar-
beitsertrags, oder sei es, wie vulgäre Vorurteile an-
nehmen, in der Menge edler Metalle, die in ihnen um-
laufen, so erscheint doch nach beiden Ansichten jeder
92 Zweites Buch: Das Kapital.
Verschwender als ein öffentlicher Feind, und jeder
sparsame Mensch als ein öffentlicher Wohltäter.
Die Wirkungen des Leichtsinns sind oft die näm-
lichen, wie die der Verschwendung. Jede unbesonnene
und fehlschlagende Unternehmung in der Landwirt-
schaft, im Bergbau, in den Fischereien, in Handel und
Industrie bewirkt gleicherweise eine Verminderung der
Fonds, die zum LTnterhalt produktiver Arbeit bestimmt
sind. Wenn auch bei derartigen Unternehmungen das
Kapital nur von produktiven Händen verbraucht wird,
so können diese bei der unbesonnenen Art ihrer Ver-
wendung doch nicht den vollen Wert ihres Verbrauches
wiedererzeugen, und es muß daher stets eine Verminde-
rung der produktiven Fonds der Gesellschaft eintreten.
Daß die Lage einer großen Nation durch die Ver-
schwendung oder Unbesonnenheit Einzelner stark be-
einflußt wird, kann freilich nur selten vorkommen;
denn diese Vergeudung oder Unbesonnenheit der einen
wird stets durch die Sparsamkeit und Besonnenheit
anderer mehr als ausgeglichen.
Was die Verschwendung betrifft, so ist der Antrieb
dazu in der Begierde nach augenblicklichem Genuß zu
suchen, die, so heftig und unwiderstehlich sie auch zu-
weilen sein mag, doch gewöhnlich vorübergehend und
gelegentlich eintritt. Dagegen ist der Antrieb zum
Sparen in dem Verlangen zu finden, unsere Lage zu
verbessern, ein Verlangen, das zwar gewöhnlich ruhig
und leidenschaftslos ist, aber uns auch von der Wiege
bis ans Grab begleitet. In der ganzen Zeit zwischen
diesen beiden Endpunkten gibt es vielleicht kaum einen
einzigen Augenblick, wo ein Mensch so vollständig mit
seiner Lage zufrieden wäre, daß er nicht den Wunsch
hegen sollte, sie irgendwie zu verändern oder zu ver-
bessern. Das Mittel, durch das die meisten Menschen
ihre Lage zu verbessern wünschen, ist die Vergrößerung
Kap. III. : Kapitalanhäufiing' od. prod. u. iinprod. Arbeit. 93
ihres Vermögens. Es ist das gewöhnlichste und ein-
leuchtendste Mittel; und die sicherste Art, wie man sein
Vermögen vergrößern kann, besteht darin, daß man
einen Teil des regelmäßigen Jahreserwerbs oder eines
außerordentlichen Gewinns spart und aufhäuft. Obschon
daher der Trieb zum Aufwände sich bei fast allen
Menschen manchmal und bei manchen Menschen fast
immer geltend macht, so scheint doch durchschnittlich
bei den Meisten der Trieb zur Sparsamkeit nicht nur
vorzuherrschen, sondern ganz bedeutend zu überwiegen.
Was den Leichtsinn betrifft, so ist die Zahl be-
sonnener und glücklicher Unternehmungen überall weit
größer, als die der unbesonnenen und fehlschlagenden.
Trotz aller Klagen über häufige Bankerotte bilden die
Bedauernswerten, die dies Mißgeschick trifft, doch nur
einen sehr kleinen Teil aller, die sich mit Handel und
Gewerben beschäftigen, und das Verhältnis ist vielleicht
nicht viel höher, als eins zu tausend. Der Bankerott
ist vielleicht das größte und niederschlagendste Un-
glück, das einen Unschuldigen treffen kann, und des-
halb wenden die meisten alle Vorsicht an, ihn zu ver-
meiden. Manche freilich hüten sich nicht davor, wie
Manche sich auch vor dem Galgen nicht hüten.
Große Nationen werden niemals durch die Ver-
schwendung und den Leichtsinn von Privatleuten arm,
wohl aber hie und da durch Verschwendung und Leicht-
sinn der Staatsbehörden. Das ganze, oder nahezu das
ganze Staatseinkommen wird in den meisten Ländern
zum Unterhalt unproduktiver Hände verwendet. Dahin
gehören ein zahlreicher und glänzender Hofstaat, eine
zahlreiche Geistlichkeit, große Flotten und Armeen, die
im Frieden nichts hervorbringen und in Kriegszeiten
nichts erwerben, wodurch die Kosten ihres Unterhalts
selbst nur während der Dauer des Krieges gedeckt
würden. Da Leute dieser Art selbst nichts hervor-
94 Zweites Buch: Das Kapital.
bringen, so werden sie durch den Ertrag der Arbeit
anderer unterhalten. Werden sie also unnötigerweise
vermehrt, so können sie in einem Jahre so viel von
diesem Ertrag verbrauchen, daß nicht genug übrig-
bleibt, um die produktiven Arbeiter, die im nächsten
Jahre den Gesamtertrag reproduzieren sollen zu unter-
halten. Der Ertrag des nächsten Jahres wird also
kleiner sein, als der des vorhergehenden, und, dauert der
Übelstand fort, wird der Ertrag des dritten Jahres noch
kleiner als der des zweiten. Diese unproduktiven Hände,
die nur mit einem Teil des ersparten Einkommens
unterhalten werden sollten, können so viel von dem
Gesamteinkommen verbrauchen, und dadurch so viele
zwingen, ihre Kapitalien, ihre für den Unterhalt pro-
duktiver Arbeit bestimmten Fonds anzugreifen, daß alle
Sparsamkeit und Klugheit der Einzelnen nicht im Stande
ist, die Vergeudung und Verschlechterung der Produk-
tion wieder gut zu machen, die durch jene gewaltsame
und aufgedrungene Schmälerung herbeigeführt wird.
Doch scheint erfahrungsmäßig Sparsamkeit und
Umsicht meist hinreichend, um nicht nur die Ver-
schwendung und den Leichtsinn einzelner, sondern
auch die Ausschweifungen einer Regierung auszu-
gleichen. Die gleichmäßige, beständige und ununter-
brochene Anstrengung jedes Menschen, seine Lage zu
verbessern, dieser Trieb, aus dem der öffentliche wie
der Privatwohlstand entspringt, ist oft mächtig genug,
um trotz der Ausschweifung der Regierung und der
größten Mißgriffe der Verwaltung den natürlichen Fort-
schritt zum Besseren aufrecht zu erhalten. Gleich dem
unbekannten Triebe des tierischen Lebens stellt er oft
trotz der albernen Vorschriften des Arztes Gesundheit
und Kräfte des Körpers wieder her.
Das jährliche Arbeitsprodukt eines Volkes kann in
seinem Werte nur durch Vermehrung ihrer produktiven
Kap. TIT.: Kapitalanhäufiing od. prod. n. iinprod. Arbeit. 95
Arbeiter oder durch Erhöhung der Produktivkraft der
bisher beschäftigten Arbeiter steigen. Die Zahl der pro-
duktiven Arbeiter kann offenbar nur infolge einer Zu-
nahme des Kapitals bezvv. der zu ihrem Unterhalt be-
stimmten Fonds zunehmen. Die Produktivkräfte einer
gleichbleibenden Menge von Arbeitern können nur in-
folge einer Zunahme und Vervollkommnung in den zur
Erleichterung und Abkürzung der Arbeit dienenden
Maschinen und Werkzeugen, oder infolge einer geeig-
neteren Teilung und Verteilung der Arbeit zunehmen.
In beiden Fällen ist fast immer ein neues Kapital er-
forderlich. Nur mittelst eines neu hinzugekommenen
Kapitals wird es dem Unternehmer möglich, seine Ar-
beiter mit besseren Maschinen zu versorgen oder eine
geeignetere Arbeitsteilung unter ihnen einzuführen.
Wenn die zu verrichtende Arbeit aus einer Anzahl von
Teilen besteht, so erfordert es ein weit größeres Kapital,
jeden Arbeiter immer nur auf ein und dieselbe Art zu
beschäftigen, als ihn abwechselnd an die verschiedenen
Teile gehen zu lassen. Vergleicht man daher den Zu-
stand eines Volkes in zwei verschiedenen Perioden,
und findet man, daß ein jährlicher Boden- und Arbeits-
ertrag in der späteren größer ist, als in der früheren,
daß seine Ländereien besser angebaut, seine Manufak-
turen zahlreicher und blühender sind und sein Handel
ausgedehnter ist, so kann man überzeugt sein, daß sein
Kapital zwischen diesen beiden Perioden sich ver-
größert, und durch die verständige Wirtschaft der einen
mehr gewonnen haben muß, als es durch den Leicht-
sinn anderer Privatpersonen oder die MifSgriffe der
Regierung verloren hat. Und man wird finden, daß
dies in allen einigermaßen ruhigen und friedlichen
Zeiten bei fast allen Nationen der Fall gewesen ist,
selbst bei denen, die sich nicht gerade der weisesten
und sparsamsten Regierungen zu erfreuen hatten. Um
96 Zweites Buoli: Das Kapital.
sich hierüber ein richtiges Urteil zu bilden, muß man
allerdings den Zustand des Landes in ziemlich weit
von einander entlegenen Perioden betrachten. Der
Fortschritt ist oft ein so allmählicher, daß er in zu
nahe aneinander liegenden Perioden nicht nur nicht
zu bemerken ist, sondern auch durch den Verfall ent-
weder gewisser Gewerbe oder gewisser Gegenden —
Dinge, die vorkommen können, obschon das Land im
allgemeinen großen Wohlstand aufzuweisen hat — , oft
die Vermutung genährt wird, daß der Reichtum und
die Gewerbtätigkeit des Ganzen im Abnehmen sei.
Der jährliche Boden- und Arbeitsertrag Englands
z. B. ist jetzt gewiß weit größer, als vor etwas mehr
als einem Jahrhundert, zur Zeit der Restauration Karls
des Zweiten. Obgleich heutzutage wohl wenige hieran
zweifeln, so vergingen doch seitdem selten fünf Jahre,
ohne daß ein Buch oder eine Broschüre erschien und
durch seine geschickte Abfassung beim Publikum teil-
weise Glauben fand, welches sich zu zeigen bemühte,
daß der Reichtum der Nation im Abnehmen, das Land
entvölkert, der Ackerbau vernachlässigt, die Manufak-
turen im Verfall seien und der Handel darniederliege.
Auch waren diese Schriften nicht immer Parteischriften,
die elenden Ausgeburten der Lüge und Käuflichkeit ;
sondern viele von ihnen waren von ganz unbefangenen
und einsichtigen Leuten geschrieben, die nur schrieben,
was sie glaubten, und aus keinem anderen Grunde
schrieben, sls weil sie es glaubten.
Der jährliche Boden- und Arbeitsertrag Englands
war hinwiederum zur Zeit der Restauration gewiß weit
größer, als etwa hundert Jahre früher, beim Regierungs-
antritt Elisabeths. Und zu dieser Zeit war das Land,
wie man allen Grund zu glauben hat, in der Kultur weit
mehr vorgeschritten, als ein Jahrhundert früher, gegen
den Schluß der Bürgerkriege zwischen den Häusern
Kap. III.: Kapitalanliilufimg' od. prod. u. unprod. Arbeit. 97
York und Lancaster. Selbst damals aber war es wahr-
scheinlich in einer besseren Lage, als zur Zeit der
normannischen Eroberung, und zur Zeit der norman-
nischen Eroberung in einer besseren, als während der
Wirren der sächsischen Heptarchie. Sogar in dieser
frühen Zeit aber war das Land unstreitig kultivierter,
als bei dem Einfalle Julius Cäsars, wo seine Bewohner
sich fast in gleichem Zustande befanden, wie die
Wilden Nordamerikas.
Dennoch fanden in allen diesen Perioden nicht nur
viel Verschwendung sowohl einzelner wie des Staats,
viele kostspielige und unnötige Kriege und großer Miß-
brauch des Jahresertrags zu Unterhaltung unproduktiver
statt produktiver Hände statt, sondern die Wirren der
bürgerlichen Zwietracht veranlaßten auch eine so ab-
solute Vergeudung und Zerstörung des Kapitals, daß
man denken sollte, es würde nicht nur, wie es in der
Tat geschah, die natüi'liche Anhäufung des Reichtums
aufgehalten worden, sondern das Land müßte auch am
Ende des Zeitraums ärmer gewesen sein, als an seinem
Anfange. Wie viele LTnordnungen und Unglücksfälle
traten nicht selbst in der glücklichsten jener Perioden,
dem Zeitraum seit der Restauration, ein, von denen man,
wenn man sie hätte voraussehen können, nicht bloß die
Verarmung, sondern den gänzlichen Untergang des Lan-
des erwartet haben würde? So das Feuer und die Pest in
London, die beiden Kriege mit Holland, die Wirren der
Revolution, der Krieg in Irland, die vier kostspieligen
französischen Kriege 1688, 1702, 17-12 und 1756, und
die beiden Rebellionen von 1715 und 1745. Im Laufe
der vier französischen Kriege ging die Nation eine
Schuld von mehr als 145 Millionen ein, ungerechnet
die anderen außerordentlichen Ausgaben, die durch
jene Kriege verursacht wurden, so daß man die Summe
der Kosten nicht geringer als auf 200 Millionen ver-
Adam .Smith, Volkswohlstuinl. 11. '
98 Zweites Buch: Das Kapital.
anschlagen kann. Ein so großer Teil vom jährlichen
Boden- und Arbeitsertrag des Landes ist seit der Re-
volution bei verschiedenen Gelegenheiten auf den Unter-
halt einer außerordentlichen Zahl von unproduktiven
Händen verwendet worden. Hätten jene Kriege nicht
einem so großen Kapital diese besondere Richtung ge-
geben, so würde natürlich der größte Teil von ihm
auf den Unterhalt produktiver Hände verwendet worden
sein, deren Arbeit den ganzen Wert ihres Verbrauchs
samt einem Gewinne zurückerstattet hätte. Der Wert
des jährlichen Boden- und Arbeitsertrags wäre dadurch
mit jedem Jahre bedeutend gestiegen, und jede jähr-
liche Zunahme würde die des folgenden Jahres noch
erhöht haben. Es würden mehr Häuser gebaut, mehr
Ländereien in Kultur genommen und andere, die be-
reits angebaut waren, besser kultiviert worden sein;
man hätte mehr Manufakturen errichtet, und die bereits
errichteten weiter ausgedehnt; und man kann sich
kaum vorstellen, bis zu welcher Höhe der wahre Reich-
tum und das wahre Einkommen des Landes sich in
dieser Zeit hätte erheben können.
Mußte aber auch die Verschwendung der Regierung
den natürlichen Fortschritt Englands zu Reichtum und
Kultur zweifellos verzögern, so konnte sie ihn doch
nicht verhindern. Sein jährlicher Boden- und Arbeits-
ertrag ist gegenwärtig unstreitig weit größer als zur
Zeit der Restauration oder der Revolution, und daher
muß auch das auf die Kultur dieses Bodens und den
Unterhalt dieser Arbeit jährlich verwendete Kapital
weit größer sein. Inmitten aller Anforderungen der
Regierung ist dieses Kapital durch die Sparsamkeit und
Klugheit einzelner, durch ihre allgemeine, stetige und
ununterbrochene Anstrengung, ihre Lage zu verbessern,
still und allmählich gewachsen. Diese Anstrengung, die
durch das Gesetz geschützt und durch die Freiheit, sie
Kap. III.: KapitalauliiUifung- od. prod. u. unprod. Arbeit. 99
auf die vorteilhafteste Weise auszuüben, verstattet war,
hat den Fortschritt Englands zu Reichtum und Kultur
in der Vergangenheit zu Wege gebracht, und wird es
hoffentlich in alle Zukunft tun. Wie jedoch England
niemals mit einer sehr sparsamen Regierung gesegnet
gewesen ist, so ist die Sparsamkeit auch zu keiner Zeit
eine besonders charakteristische Tugend der Engländer
gewesen. Es ist daher die höchste Unverschämtheit
und Anmaßung von Königen und Ministern, die Wirt-
schaft der Privatleute überwachen und deren Ausgaben
durch Luxusgesetze oder Verbote der Einfuhr fremder
Luxuswaren einschränken zu wollen. Sie selbst sind
immer und ohne alle Ausnahme die größten Verschwen-
der in der Gesellschaft. Mögen sie doch auf ihren
eigenen Aufwand acht haben, und den Privatleuten
getrost den ihrigen überlassen. Stürzt ihre Ausschwei-
fung den Staat nicht ins Verderben, so wird die der
Untertanen es gewiß nicht tun.
Da die Sparsamkeit das Gresellschaftskapital ver-
größert, und die Verschwendung es verringert, so kann
das Verhalten derer, die gerade so viel ausgeben, wie
sie einnehmen, ohne neues Vermögen zu erwerben, noch
das alte Kapital anzugreifen, das Gesellschaftskapital
weder vergrößern noch vermindern. Doch scheinen
manche Arten von Ausgaben mehr zu dem Anwachsen
des öffentlichen Reichtums beizutragen, als andere.
Das Einkommen eines einzelnen kann entweder
für Dinge ausgegeben werden, die man sofort verbraucht
und in denen die Ausgabe des einen Tages die eines
anderen weder ermäßigen noch unterstützen kann; oder
es kann für dauerhaftere Gegenstände ausgegeben
werdeji, die sich anhäufen lassen, und in denen die
Ausgabe des einen Tages je nach Wahl die des fol-
genden ermäßigen oder unterstützen und ihre Wirkung
erhöhen kann. Ein reicher Mann kann z. B. sein Ein-
IQQ Zweites Buch: Das Kapital.
kommen auf eine verschwenderisch besetzte Tafel, auf
den Unterhalt einer großen Zahl von Dienstboten und
auf eine Menge Hunde und Pferde verwenden, oder er
kann, indem er sich mit einem mäßigen Tische und
wenigen Bedienten begnügt, seinen grüßten Teil zur
Ausschmückung seines Hauses oder Landsitzes, auf
nützliche oder prächtige Gebäude, auf nützliche oder
prächtige Möbel, auf Bücher, Statuen und Gemälde,
oder auf wertlosere Dinge, wie Edelsteine und Tand
aller Art, oder auch, was das Nichtigste von Allem ist,
zur Sammlung einer großen Garderobe verwenden, wie
es der Günstling und Minister eines großen Fürsten ge-
tan hat, der vor einigen Jahren gestorben ist*). Wenn
von zwei gleich vermögenden Männern der eine haupt-
sächlich auf jene, der andere auf diese Art sein Ein-
kommen ausgiebt, so wird die Prachtentfaltung desje-
nigen, der hauptsächlich dauerhafte Waren kauft, be-
ständig zunehmen, da der Aufwand jedes Tages die
Wirkung des Aufwandes am folgenden Tage unter-
stützen und erhöhen hilft, wogegen die Prachtentfaltung
des anderen am Ende des Zeitraums nicht größer sein
würde, als am Anfang. Der erstere würde schließlich
der reichere sein. Er würde einen Vorrat von Waren
haben, die, wenn sie auch nicht ihren Kostenpreis wert
wären, doch immer etwas wert wären. Von dem Auf-
wände des letzteren hingegen bliebe keine Spur zurück
und die Wirkungen einer zehn- oder zwanzigjährigen
Verschwendung würden so vollständig verschwunden
sein, als hätten sie niemals bestanden.
Wie die eine Art des Aufwandes für den Reichtum
eines Einzelnen günstiger ist, als die andere, so ist sie
es auch für den Reichtum eines Volkes. Die Häuser,
die Möbel, die Kleidungsstücke der Reichen werden
■'•) Anspielung auf den Grafen Brühl, der 365 Röcke hinter-
lassen haben soll. Der Über s.
Kap. III.: Kapitalanhäufung- oil. prod. u. Tinprod. Arbeit. 101
nach kurzer Zeit den unteren und mittleren Volks-
klassen nützlich. Diese können sie kaufen, wenn die
oberen Klassen sie satt bekommen, und so steigert sich
allmählich der allgemeine Komfort des ganzen Volkes,
wenn jene Art des Aufwandes unter vermögenden
Leuten allgemein wird. In Ländern, die schon lange
reich sind, findet man oft die unteren Volksklassen im
Besitz von Häusern und Grerätschaften, die noch gut
und vollkommen brauchbar, aber keineswegs für den
Bedarf dieser Klassen hergestellt sind. Was früher ein
Sitz der Familie Seymour war, ist jetzt ein Gasthaus
an der Straße nach Bath. Das Hochzeitsbett Jakobs
des Ersten von Grroßbritannien, welches ihm die Kö-
nigin als fürstliches Geschenk aus Dänemark zuge-
bracht hatte, war vor einigen Jahren die Zierde einer
Bierschenke in Dunfermline. In manchen alten Städten,
die entweder lange stillstehend geblieben oder etwas
in Verfall geraten sind, findet man manchmal kein
einziges Haus, das für seine gegenwärtigen Bewohner
gebaut sein kann. Tritt man in ein solches Haus, so
findet man nicht selten manche vortreffliche altmodische
Möbel, die noch ganz gut zu gebrauchen sind, und für
die jetzigen Besitzer ebensowenig gemacht sein können.
Stattliche Paläste, herrliche Landhäuser, große Samm-
lungen von Büchern, Statuen, Gemälden und anderen
Seltenheiten sind oft nicht bloß für die Nachbarschaft,
sondern für das ganze Land, zu dem sie gehören, ein
Schmuck und eine Ehre. Versailles ist ein Schmuck
und ein Ruhm für Frankreich, Stowe und Wilton für
England. Italien erfreut sich noch immer wegen der
Menge solcher Denkmäler einer gewissen Verehrung,
obgleich der Eeichtum, der sie hervorrief, verfallen ist,
und obgleich der Genius, der sie schuf, erloschen zu
sein scheint, erloschen vielleicht deshalb, weil er nicht
mehr die gleiche Beschäftigung fand.
IQ2 Zweites Buch: Das Kapital.
Die Ausgaben für dauerhafte Gegenstände sind
nicht nur der Anhäufung, sondern auch der Sparsam-
keit günstig. Hat jemand einmal darin zu viel getan,
so kann er sich leicht einschränken, ohne sich dem
Tadel der Leute auszusetzen. Dagegen die Zahl der
Dienerschaft sehr zu verringern, statt eines verschwen-
derischen Tisches einen mäßigen einzuführen, eine
Equipage wieder aufzugeben, nachdem man sie einmal
gehabt hat: das sind Veränderungen, die der Beob-
achtung der Nachbarn nicht entgehen können, und die
für ein Anerkenntnis füherer Torheit gelialten werden.
Darum haben auch wenige von denen, die einmal so
unglücklich waren, sich in zu große Ausgaben dieser
Art einzulassen, später den Mut einzulenken, ehe
gänzlicher Verfall und Bankerott sie dazu zwingt.
Hat dagegen jemand für Gebäude, Möbel, Bücher oder
Gemälde zu viel Geld ausgegeben, so läßt sich noch
nicht auf eine frühere Torheit schließen, wenn er sein
Verhalten ändert. Die genannten Dinge sind der Art,
daß weitere Ausgaben für sie durch die früheren Aus-
gaben unnötig gemacht werden, und wenn jemand
damit innehält, so nimmt man nicht an, daß er es
deshalb tue, weil es sein Vermögen übersteigt, sondern
weil seine Laune befriedigt ist.
Nebenbei geben die Ausgaben für dauerhafte Sachen
gewöhnlich einer größeren Menge von Leuten Unter-
halt, als die Kosten verschwenderischster Gastfreund-
schaft. Von zwei- oder dreihundert Pfunden Lebens-
mittel, die manchmal bei einem großen Feste aufge-
tragen werden, wird vielleicht die Hälfte auf den Mist
geworfen, und jedenfalls ein großer Teil vergeudet
und mißbraucht. "Wären die Kosten eines solchen
Gastmahls dazu angewendet worden, Maurern, Zimmer-
leuten, Tapezierern, Mechanikern usw. Arbeit zu geben,
so würde sich eine gleich große Menge Lebensmittel
Kap. III.: Kapitalanlüiiifung od. prod. u. unprod. Arbeit. 103
Tinter eine viel größere Zahl von Leuten verteilt haben,
die sie groschen- und pfundweise gekauft und auch
nicht eine Unze davon unnötigerweise weggeworfen
hätten. Davon abgeselien, unterhält jener Aufwand
auf die eine Art produktive, auf die andere unpro-
duktive Hände. Auf die eine Art vermehrt er also den
Tauschwert des jährlichen Boden- und Arbeitsertrages
des Landes, auf die andere Art tut er es nicht.
Doch möchte ich mit alle dem nicht so verstanden
werden, als ob ich meinte, daß die eine Art des Auf-
wandes stets einen liberaleren oder edleren Geist an-
zeige, als die andere. Wenn ein reicher Mann sein Ein-
kommen hauptsächlich auf Gastfreundschaft verwendet,
so teilt er das Meiste davon mit seinen Freunden und
Gefährten ; wenn er es aber dazu anwendet, dauerhafte
Sachen zu kaufen, so gibt er oft alles für seine eigene
Person aus, und gibt niemandem etwas ohne ein Äqui-
valent. Die letztere Art des Aufwandes zeugt also zu-
mal dann, wenn sie sich auf Nichtigkeiten richtet, z. B.
auf den Tand in Kleidung und Geräten, auf Juwelen,
Spielereien usw., oft nicht nur von kleinlichen, sondern
von niedrigen und selbstsüchtigen Anlagen. Was ich
sagen will, ist allein dies, daß die eine Art des Auf-
wandes, da sie immer zu einer Anhäufung wertvoller
Dinge führt, der Sparsamkeit des Einzelnen günstiger
ist, zum Wachstum des Gesellschaftskapitals beiträgt
und eher produktive als unproduktive Hände unter-
hält, — auch mehr als die andere zum Wachstum des
öffentlichen Wohlstandes beiträgt.
Viertes Kapitel.
Das auf Zinsen ausgeliehene Kapital.
Das auf Zins ausgeliehene Vermögen wird von
dem Darleiher stets als ein Kapital betrachtet. Er er-
wartet, daß es ihm zur gehörigen Zeit zurückerstattet
werde, und daß der Borger ihm mitttlerweile für seinen
Gebrauch eine gewisse Jahresrente zahle. Der Borger
kann es entweder als ein Kapital oder als einen für
den unmittelbaren Verbrauch bestimmten Vorrat be-
nutzen. Benutzt er es als ein Kapital, so wendet er es
zum Unterhalt produktiver Arbeiter an, die seinen
Wert samt einem Gewinne wieder hervorbringen: in
diesem Falle kann er das Kapital zurückerstatten und
den Zins zahlen, ohne eine andere Einkommensquelle
zu veräußern oder anzugreifen. Benutzt er es als einen
für den unmittelbaren Verbrauch bestimmten Vorrat,
so handelt er als ein Verschwender, und vergeudet im
Unterhalt des Müßigen, was zur Förderung des Fleißi-
gen bestimmt war. Er vermag in diesem Falle, ohne
eine andere Einkommensquelle, wie Grundbesitz oder
Grundrente, zu veräußern oder anzugreifen, weder das
Kapital zurückzuerstatten, noch die Zinsen zu bezahlen.
Das auf Zins ausgeliehene Vermögen wird sicher-
lich unter Umständen auf beide Arten benutzt; auf
die erstere jedoch öfter als auf die letztere. Wer Geld
borgt, um es zu vergeuden, wird bald ruiniert sein,
und wer ihm leiht, wird gewöhnlich seine Torheit zu
bereuen haben. Zu einem solchen Zwecke zu borgen
Kap. l\.: Das auf Zinsen ausgeliehene Kapital. i()5
oder zu leihen, ist in allen Fällen, wo es sich nicht
um groben Wucher handelt, gegen das Interesse beider
Teile, und obschon das eine wie das andere ohne
Zweifel r>fters geschieht, so macht es die Rücksicht,
die jeder auf sein eigenes Interesse nimmt, doch wahr-
scheinlich, daß es keineswegs so häufig geschieht, wie
man zuweilen glaubt. Man frage einen reichen Mann
von gewöhnlichem Verstände, an was für Leute er
seine meisten Kapitalien verliehen habe, an solche, die
sie nach seiner Ansicht gewinnbringend anlegen, oder
an solche, die sie durchbringen wollten, und er wird
über die Frage lachen. Selbst unter den Borgern,
einer Klasse von Leuten, die eben nicht wegen ihrer
Genügsamkeit berühmt sind, ist daher die Zahl der
Sparsamen und Fleißigen weit größer, als die der
Verschwenderischen und Müßigen.
Die einzigen, denen oft Geld geborgt wird, ohne
daß man von ihnen seine sehr einträgliche Verwendung
erwartet, sind Gutsbesitzer, die Hypotheken aufnehmen.
Doch borgen auch sie kaum jemals lediglich in der
Absicht, das Geld zu verschwenden. Was sie borgen,
kann man gewöhnlich als schon ausgegeben ansehen,
ehe sie es borgen. Sie haben in der Regel von Krämern
und Gewerbtreibenden schon so viele Waren auf Kredit
genommen und verbraucht, daß sie ein Darlehn auf-
nehmen müssen, um ihre Schulden damit zu bezahlen.
Das geborgte Kapital erstattet den Krämern und Gewerb-
treibenden die Kapitalien wieder, die die Gutsbesitzer
aus den Renten ihrer Güter nicht hätten ersetzen können.
Es wird also eigentlich nicht zu dem Zwecke geborgt,
um verausgabt zu werden, sondern um ein Kapital
wieder zu erstatten, das schon früher verausgabt war.
Fast alle verzinslichen Darlehen werden in Geld, sei
es Papier, oder Gold und Silber gemacht; was der Borger
aber tatsächlich braucht, und was der Darleiher ihm
106 Zweites Buch: Das Kapital.
tatsächlich verschafft, ist nicht das Geld, sondern des
Geldes Wert, oder die Waren, die er damit kaufen
kann. Benutzt er es als einen zum unmittelbaren Ver-
brauch bestimmten Vorrat, so sind es Waren allein,
die er in diesen Vorrat einstellen kann. Benutzt er es
als ein Kapital zu gewerblichen Anlagen, so sind es
wieder nur Waren, die dem Ge werbtreibenden die
Werkzeuge, Rohstoffe und Lebensmittel verschaffen,
deren er zum Betriebe bedarf. Mittelst des Darlehns
tiberträgt so zu sagen der Darleiher auf den Borger
sein Recht an einen gewissen Teil des jährlichen
Boden- und Arbeitsertrages des Landes, den der Bor-
ger nach Belieben verwenden kann.
Die Menge Vermögen, oder, wie man gewöhnlich
sagt, die Menge Geldes, die in einem Lande auf Zinsen
ausgeliehen werden kann, bestimmt sich mithin nicht
nach dem Betrage des Geldes sei es Papier oder Münze,
das als Werkzeug der verschiedenen im Lande ge-
machten Darlehen dient, sondern nach dem Betrage des
Teils vom Jahresertrage, der nach seinem Heraustreten
aus der Boden- oder Arbeitsproduktion nicht nur ein
Kapital überhaupt, sondern ein solches Kapital wieder
zu erstatten bestimmt ist, das der Eigentümer selbst
anzulegen sich die Mühe nicht machen will. Da solche
Kapitalien gewöhnlich in Geld ausgeliehen und zurück-
gezahlt werden, so bilden sich die sogenannten Geld-
interessen*) daraus. Diese sind nicht nur von den
Interessen des Grundbesitzes, sondern auch von denen
*) „Interessen" sind hier nicht im Sinne von Zinsen, son-
dern in der andern Bedeutung des Worts aufzufassen. Man
redet in England von landed interests, manufacturing interests,
Interessen des Grundbesitzes, der Industrie usw. Garve und
ihm nachfolgend Stirner übersetzen „money interests" hier
geradezu mit „Geldeigentum", was indessen dem Sinne nicht
vollständig entspricht. Anm. d. Übers.
Kap. IV.: Da.s auf Zinsen ausgelieheno Kapital. [Q'J
des Handels und der Industrie verschieden, da in letzte-
ren die Eigentümer ihre Kapitalien selbst anlegen. Doch
auch bei den Geldinteressen ist das Geld gleichsam nur
eine Anweisung, die die Kapitalien, mit deren Anlegung
die Eigentümer sich nicht selbst befassen mögen, von
einer Hand in die andere überträgt. Diese Kapitalien
können unvergleichlich größer sein, als der Betrag des
Geldes, das zum Werkzeug ihrer Übertragung dient:
denn die nämlichen Geldstücke können nach und nach
zu vielen verschiedenen Darlehen dienen, ebenso wie
zu vielen verschiedenen Käufen. A leiht z. B. dem
W £ 1000, mit denen W sofort von B Güter zum
Werte von £ 1000 kauft. Da B das Geld selbst nicht
braucht, so leiht er die nämlichen Stücke dem X, und
X kauft damit sofort von C andere Güter von £ 1000
Wert. C leiht sie wieder in derselben Weise und aus
demselben Grunde dem Y, der gleichfalls damit Güter
von D kauft. So können dieselben Stücke Papier- oder
gemünzten Geldes im Laufe weniger Tage zum Werk-
zeug dreier Darlehen und dreier Käufe dienen, die jedes
dem ganzen Betrage jener Stücke an Wert gleich-
kommen. Was die drei Kapitalisten A, B und C an
die drei Borger W, X und Y übertragen, ist das Ver-
mögen, jene Käufe zu machen. In diesem Vermögen
besteht der Wert und der Nutzen dieser Darlehen.
Der von den drei Kapitalisten ausgeliehene Fonds ist
gleich dem Werte der Waren, die damit gekauft werden
können, und dreimal so groß, wie der Betrag des Geldes,
mit dem die Käufe gemacht wurden. Dennoch können
alle Darlehen vollkommen gesichert sein, wenn die von
den Schuldnern gekauften Waren so verwendet worden
sind, daß sie zu gehöriger Zeit einen gleichen Betrag
Papier oder Geld mit Gewinn wieder einbringen. Und
wie die nämlichen Geldstücke als Werkzeuge ver-
schiedenei- Darlehen von dreimal oder auch droißigmal
108 Zweites Buch: Das Kapital.
höherem Betrage dienen können, so können sie auch
nach und nach als Werkzeug der Rückzahlung dienen.
Auf diese Weise läßt sich ein auf Zins ausge-
liehenes Kapital als eine vom Darleiher auf den Borger
übertragene Anweisung auf einen gewissen großen Teil
des Jahresertrags betrachten, wobei die Bedingung ge-
macht wurde, daß der Borger dem Darleiher während
der Dauer des Anlehens jährlich einen kleineren Teil,
Zins genannt, und am Schluß einen ebenso großen Teil
wie der ursjDrünglich angewiesene, Rückzahlung ge-
nannt, anweisen soll. Obgleich das Geld, es sei Papier-
oder Metallgeld, gewöhnlich als Dokument der An-
weisung sowohl auf den kleineren, als auch auf den
größeren Teil dient, so ist es doch von dem, was da-
durch angewiesen wird, durchaus verschieden.
In dem Verhältnis, wie der Teil des Jahresertrages
zunimmt, der beim Heraustreten aus der Produktion ein
Kapital wiederzuerstatten bestimmt ist, nehmen auch
in einem Lande die sogenannten Geldinteressen zu.
Die Zunahme der Kapitalien, aus denen die Besitzer
ein Einkommen ziehen wollen, ohne sich mit ihrer
Verwendung selbst zu befassen, schreitet natürlich mit
der allgemeinen Zunahme des Kapitals überhaupt fort,
oder mit anderen Worten, wenn das Kapital zunimmt,
so wird die Menge der auf Zins ausgeliehenen Kapi-
talien allmählich größer und größer.
Je mehr die Menge der auszuleihenden Kapitalien
wächst, desto mehr vermindert sich notwendig der Zins,
oder der Preis, der für die Benutzung dieser Kapitalien
bezahlt wird, und zwar nicht bloß aus den allgemeinen
Gründen, die eine Ermäßigung des Marktpreises der
Dinge herbeiführen, wenn ihre Menge größer wird,
sondern auch aus anderen, diesem besonderen Falle
eigentümlichen Gründen. Wenn die Kapitalien in einem
Lande zunehmen, müssen die Gewinne, die durch ihre
Kap. IV.: Has auf Zinsen ausg-eliehene Kapital. 109
Verwendung zu machen sind, notwendig kleiner wer-
den; es wird immer schwerer und schwerer, in dem
Lande für neue KapitaHen gewinnbringende Anlagen
zu finden. Daraus entspringt dann eine Konkurrenz
zwischen den verschiedenen Kapitalien, und der Be-
sitzer des einen sucht sich derjenigen Anlagen zu be-
mächtigen, die ein anderer schon in Besitz hat. In den
meisten Fällen kann er nur dann darauf rechnen, den
andern zu verdrängen, wenn er billigere Bedingungen
stellt; er muß seine Ware nicht nur wohlfeiler verkaufen,
sondern auch manchmal, um den Verkauf zu ermög-
lichen, sie etwas teurer einkaufen. Die Nachfrage nach
produktiver Arbeit wird durch die Zunahme der zu
ihrem Unterhalt bestimmten Fonds mit jedem Tage
größer. Die Arbeiter finden leicht Beschäftigung, aber
den Besitzern der Kapitalien wird es schwer, Arbeiter
zu finden. Ihre Konkurrenz steigert den Arbeitslohn
und mindert die Gewinne. Werden aber so die aus der
Nutzung eines Kapitals zu ziehenden Gewinne gleichsam
an beiden Enden verkleinert, so muß notwendig zu-
gleich der Preis, der für seine Nutzung gezahlt werden
kann, d. h. der Zinsfuß, sinken.
Locke, Law und Montesquieu sowie viele andere
Schriftsteller scheinen geglaubt zu haben, daß die durch
die Entdeckung des spanischen Westindiens vermehrte
Menge Goldes und Silbers die wahre Ursache des
niedrigeren Zinsfußes in den meisten Ländern Europas
sei. Da diese Metalle, sagen sie, selbst an Wert ver-
loren haben, mußte auch die Nutzung eines Teils von
ihnen an Wert einbüßen und folglich der Preis, der
dafür bezahlt werden kann, sinken. Dieser auf den
ersten Blick so richtig erscheinende Gedanke ist von
Humo so vollständig widerlegt worden, daß man kaum
noch etwas darüber zu sagen braucht. Doch mag das
folgende kurze und einfache Argument dazu dienen.
110 Zweites Buch : Das Kapital.
die Täuschung, durch welche sich jene Schriftsteller
haben irre leiten lassen, noch schärfer ins Licht zu
stellen.
Vor der Entdeckung des spanischen Westindiens
waren 10 ^/o, wie es scheint, der gewöhnliche Zinsfuß
in den meisten Ländern Europas. Er ist seitdem in
manchen Ländern auf 6, 5, 4 und 3% gesunken.
Nehmen wir an, daß in jedem Lande der Wert des
Silbers in dem nämlichen Verhältnis gesunken sei,
wie der Zinsfuß, und daß z. ß. in den Ländern, wo
der Zins von 10 auf 5% herabgegangen ist, für die
nämliche Menge Silbers nur halb soviel Waren gekauft
werden können, als früher. Diese Annahme wird sich,
wie ich glaube, nirgends richtig erweisen, aber sie ist
für die Meinung, die wir prüfen wollen, die günstigste.
Selbst unter dieser Voraussetzung ist es schlechter-
dings unmöglich, daß die Silberentwertung auch nur
den mindesten Einfluß auf das Sinken des Zinsfußes
haben konnte. Wenn £ 100 in jenen Ländern jetzt
keinen höheren Wert haben, als ehedem £ 50, so können
£ 10 jetzt nicht mehr Wert haben, als ehedem £ 5.
Welche Ursachen auch das Kapital entwertet haben,
immer müssen sie auch den Zins ermäßigt haben, und
zwar genau in demselben Verhältnis. Das Verhältnis
zwischen dem Wert des Kapitals imd dem des Zinses
mußte das nämliche bleiben, wenn auch der Zinsfuß sich
niemals änderte. Ändert sich aber der Zinsfuß, dann wird
allerdings notwendig das Verhältnis zwischen diesen
beiden Werten geändert. Wenn £ 100 jetzt nicht mehr
wert sind, als ehedem £ 50, so können auch £ 5 jetzt
nicht mehr wert sein, als £ 2 10 sh. ehedem. Wenn
sich also der Zinsfuß von 10 auf 5% ermäßigt, so geben
wir für den Gebrauch eines Kapitals, das der Annahme
zufolge nur halb so viel wert ist wie früher, einen
Zins, der nur ein Viertel des früheren Zinses beträgt.
Kap. IV.: Das auf Zinsen ausgeliehene Kapital. m
Jede Yermehrung in der Silbermenge kann, so
lange die Menge der mittelst des Silbers in Umlauf ge-
sezten Waren die nämliche bleibt, keine andere Folge
haben, als die, den Wert dieses Metalls zu vermindern.
Der Nominalwert aller Arten von Waren würde größer
werden, ihr Sachwert aber ganz derselbe bleiben, wie
früher. Sie würden gegen eine größere Zahl von
Silberstücken vertauscht werden ; aber die Arbeitsmenge,
die dafür zu Gebote stände, die Zahl von Menschen,
welche damit unterhalten und beschäftigt werden könnte,
würde ganz die nämliche bleiben. Das Kapital des
Landes wäre gleich groß und es könnte nur eine größere
Zahl von Stücken erforderlich werden, um einen gleichen
Teil von ihm aus einer Hand in die andere zu über-
tragen. Die Anweisungsdokumente würden, wie die
Akten eines weitschweifigen Advokaten, umfangreicher
werden; aber die angewiesenen Dinge blieben dieselben,
wie früher, und könnten auch nur dieselbe Wirkung
haben. Da die zum Unterhalt produktiver Arbeiter
bestimmten Fonds sich gleich blieben, so würde auch
die Nachfrage nach Arbeit die gleiche sein. Ihr Preis
oder Lohn wäre zwar nominell höher, tatsächlich aber
derselbe; er würde in einer größeren Zahl von Silber-
stücken ausgezahlt, aber man könnte mit ihnen nur
die nämliche Menge Waren kaufen. Die Kapitalgewinne
blieben nominell wie tatsächlich die nämlichen. Der
Arbeitslohn wird gewöhnlich nach der Menge Silbers ge-
rechnet, die dem Arbeiter gezahlt wird. Ist sie größer ge-
worden, so ist der Lohn scheinbar gestiegen, ist aber
tatsächlich oft nicht höher als früher. Dagegen werden
die Kapitalgewinne nicht nach der Zahl der Silberstücke,
mit denen sie gezahlt werden, sondern nach dem Ver-
hältnis berechnet, in dem diese Stücke zum Gesamt-
kapital stehen. Man sagt: 5 sh. sind der gewöhnliche
Wochenlohn und 10^ lo der übliche Kapitalgevvinn eines
112 Zweites Bucli: Da.s Kapital.
Landes. Wenn aber das Gesamtkapital des Landes
das nämliche ist, wie früher, so wird der Wettbewerb
zwischen den verschiedenen Kapitalien der einzelnen,
in die das Gesamtkapital zerfällt, gleichfalls nur der
nämliche sein, und sie werden alle ihr Geschäft mit
den gleichen Vorteilen und Nachteilen treiben. Das
gewöhnliche Verhältnis zwischen Kapital und Gewinn,
und deshalb auch der gewöhnliche Geldzins werden
sich daher gleich bleiben, denn was für die Nutzung
des Geldes gewöhnlich gegeben werden kann, richtet
sich in der Regel danach, was sich durch diese Nutzung
gewöhnlich gewinnen läßt.
Hingegen würde jede Zunahme in der Menge der
jährlich in einem Lande umlaufenden Waren, wenn
gleichzeitig die Menge des Geldes, mittelst dessen sie
in Umlauf gesetzt werden, die nämliche bleibt, außer
dem Steigen des Geldwertes noch manche andere wich-
tige Folgen haben. Das Kapital des Landes, obwohl
nominell das gleiche, würde tatsächlich doch größer
sein: man würde es noch immer durch dieselbe Menge
Geldes ausdrücken, aber man würde damit über eine
größere Menge Arbeit verfügen. Die Menge produk-
tiver Arbeit, die mit dem Kapital unterhalten und in
Bewegung gesetzt werden könnte, würde zunehmen und
damit auch die Nachfrage nach Arbeit steigen. Ihr Lohn
würde natürlich mit der Nachfrage steigen, und könnte
doch zu sinken scheinen: er könnte in einer kleineren
Summe Geldes ausgezahlt werden, aber die kleinere
Summe würde eine grr)ßere Menge Waren erkaufen,
als früher die größere. Die Kapitalgewinne würden sich
ebensowohl tatsächlich, wie dem Ansehn nach vermin-
dern ; denn da das Gesamtkapital des Landes größer ge-
worden ist, wird sich auch die Konkurrenz zwischen den
verschiedenen Kapitalien, aus denen es besteht, mehren
und ihre Besitzer nötigen, sich mit einem kleineren
Kap. IV.: Da.s auf Zinsen au.sgeliehene Kapital. 113
Anteil am Produkte der durch ihre Kapitalien in Be-
wegung gesetzten Arbeit zu begnügen. Und so kann
der Geldzins, der immer mit dem Kapitalgevvinn gleichen
Schritt hält, bedeutend sinken, wenn auch der Geldwert
oder die Warenmenge, die sich mit einer bestimmten
Summe kaufen läßt, bedeutend gestiegen ist.
In manchen Ländern war der Geldzins durch Gesetz
verboten. Da sich jedoch durch die Nutzung des Geldes
überall etwas gewinnen läßt, so muß auch etwas für
diese Nutzung bezahlt werden. Die Erfahrung hat ge-
lehrt, daß diese Maßregel, statt dem Übel des Wuchers
zu steuern, dieses vielmehr verschlimmerte; denn der
Schuldner muß nun nicht bloß die Nutzung des Geldes,
sondern auch die Gefahr bezahlen, die der Gläubiger
läuft, wenn er sich die Nutzung bezahlen läßt. Er muß
den Gläubiger so zu sagen gegen die Strafen auf
Wucher versichern.
In Ländern, in denen das Zinsnehmen erlaubt ist,
setzt das Gesetz, um wucherische Erpressungen zu verhü-
ten, gewöhnlich den höchsten Zinsfuß fest, der straflos
genommen werden darf. Dieser Zinsfuß muß stets etwas
über dem niedrigsten Marktpreise, d. h. über dem Preise
stehen, der von Leuten, die unzweifelhafte Sicherheit
geben können, für die Nutzung des Geldes bezahlt zu
werden pflegt. Wird der gesetzliche Zinsfuß unter dem
niedrigsten Marktpreis festgesetzt, so müssen die Folgen
fast die nämlichen sein, als wenn das Zinsnehmen
überhaupt verboten ist. Der Gläubiger wird sein Geld
nicht für weniger ausleihen, als seine Nutzung wert
ist, und der Schuldner muß ihn noch für die Gefahr
bezahlen, die er läuft, indem er den vollen Wert der
Nutzung annimmt. Wird der gesetzliche Zinsfuß genau
nach dem niedrigsten Marktpreise bestimmt, so ver-
nichtet er bei ehrenhaften, die Gesetze ihres Landes
beobachtenden Leuten den Kredit aller derer, die nicht
Adam Smitli, VolkswolilKlaiul. 11. '^
114 Zweites Buch: Das Kapital.
die allerbeste Sicherheit zu geben vermögen, und zwingt
sie, sich an Wucherer zu wenden. In einem Lande, wie
Großbritannien, wo der Regierung zu 3 ° o und Privat-
leuten bei guter Sicherheit zu 4 und 4V2-'.o Geld ge-
liehen wird, ist der gegenwärtige gesetzliche Zinsfuß,
5"/o, wohl ein ganz angemessener.
Es ist jedoch darauf zu achten, daß der gesetzliche
Zinsfuß zwar etwas, aber nicht viel über dem niedrig-
sten Marktpreise stehen muß. Würde z. B. der gesetz-
liche Zinsfuß in Großbritannien auf 8 oder 10 "o fest-
gesetzt, so würde das meiste auszuleihende Geld an
Verschwender und Projektenmacher gegeben werden,
da diese allein sich zu so hohen Zinsen verstehen. Be-
sonnene Leute würden nicht mit ihnen zu konkurrieren
wagen, da sie für die Nutzung des Geldes nicht mehr
geben mögen, als einen Teil von dem, was sie durch
diese Nutzung zu gewinnen hoffen können. Sonach
würde ein großer Teil des Landeskapitals denjenigen
Händen, die am ehesten einen einträglichen und vorteil-
haften Gebrauch davon machen könnten, entzogen und
anderen zugewendet, die es höchst wahrscheinlich durch-
bringen und vergeuden würden. Wo hingegen der ge-
setzliche Zinsfuß nur wenig über dem niedrigsten Markt-
preis steht, genießen besonnene Leute als Borger immer
den Vorzug vor Verschwendern und Projektenmachern.
Der Darleiher erhält von den ersteren fast ebensoviel
Zinsen, als er von den letzteren nehmen darf, und sein
Geld ist dabei weit sicherer in den Händen der ersteren,
als in denen der letzteren. In diesem Falle wird also
ein großer Teil des Landeskapitals in solche Hände
gebracht, von denen anzunehmen ist, daß sie es vorteil-
haft verwenden.
Kein Gesetz vermag einen niedrigeren Zinsfuß
zu erzwingen, als die zur Zeit niedrigste Marktrate.
Trotz des Edikts von 1766, durch welches der König von
Kap. lY. : Das auf Zinsen ausgeliehene Kapital. 115
Frankreich den Zinsfuß von 5 auf 4°'o herabzusetzen
versuchte, wurde doch immerfort zu 5^'o verliehen
und das Gesetz auf allerlei Art umgangen.
Der gewöhnliche Preis des Grund und Bodens hängt
überall von dem üblichen Zinsfuße ab. Wer ein Kapital
hat, von dem er ein Einkommen zu beziehen wünscht,
ohne sich mit seiner Verwendung selbst zu befassen, geht
mit sich zu Rate, ob er Grundbesitz dafür kaufen, oder
es auf Zinsen ausleihen soll. Die bessere Sicherheit der
Ländereien in Verbindung mit manchen anderen Vor-
teilen, die fast überall mit dieser Art von Besitz ver-
knüpft sind, wird ihn gewöhnlich geneigt machen, sich
mit einem geringeren Einkommen aus Grundbesitz zu
begnügen, um dem höheren, das er durch Ausleihen
seines Geldes gewinnen könnte, zu entsagen. Jene Vor-
teile sind groß genug, um einen kleinen Verlust im
Einkommen auszugleichen; aber sie gleichen doch nur
einen kleinen Verlust aus, und wenn die Grundrente
weiter hinter dem Geldzins zurückbliebe, würde niemand
Grundbesitz kaufen und dieser letztere dadurch selbst
bald im Preise sinken. Überträfen dagegen jene Vor-
teile den Unterschied erheblich, so würde jedermann
Grundbesitz kaufen, und dieser würde dadurch bald
wieder im Preise steigen. Als die Zinsen 10 "/o
betrugen, verkaufte man Grundbesitz gewöhnlich für
das zehn- bis zwölffache seines jährlichen Ertrages.
Als der Zinsfuß auf 6, 5 und -1° o sank, stieg der Preis
des Grundbesitzes auf das zwanzig-, fünfundzwanzig-
und dreißigfache des jährlichen Ertrages. Der gewöhn-
liche Zinsfuß ist in Frankreich höher als in England;
der gewöhnliche Preis des Grundbesitzes niedriger. In
England verkauft man ihn in der Regel für das dreißig-
fache, in Frankreich für das zwanzigfache des Jahres
ertrages.
S*
Fünftes Kapitel.
Die verschiedenen Kapitalanlagen.
Obwohl alle Kapitalien nur zum Unterhalt pro-
duktiver Arbeit bestimmt sind, so ist doch die Arbeits-
menge, die von gleich großen Kapitalien in Bewegung
gesetzt werden kann, je nach der verschiedenen Ver-
wendung der Kapitalien sehr verschieden und nicht
minder ist dies der Wert, den ihre Anwendung zu dem
jährlichen Boden- und Arbeitsertrag hinzufügt.
Ein Kapital kann in vier verschiedenen Arten an-
gelegt werden, entweder erstens zur Hervorbringung der
Rohprodukte, die jährlich für den Verbrauch der Gesell-
schaft erforderlich sind, oder zweitens zur Verarbeitung
dieser Rohprodukte zum unmittelbaren Gebrauch und
Verbrauch, oder drittens zum Transport der rohen oder
verarbeiteten Produkte von den Plätzen, wo sie reich-
lich vorhanden sind, nach denen, wo man ihrer bedarf^
oder endlich viertens zu ihrer Teilung in so kleine
Teilchen wie sie dem unmittelbaren Bedürfnisse derer,
die sie brauchen, entsprechen. In ersterer Art werden
die Kapitalien aller derer angelegt, die die Kultur oder
den Betrieb von Landgütern, Bergwerken und Fische-
reien unternehmen, in der zweiten Art die Kapitalien
der gewerblichen Unternehmer, in der dritten die Kapi-
talien der Grossisten, in der vierten die der Detaillisten.
Kapitalanlagen, die nicht in die eine oder andere dieser
Kategorien gehörten, lassen sich kaum denken.
Kap. Y. : Die verschiedenen Kapitalanlagen. 117
Jede dieser vier Arten, Kapital anzulegen, ist für
den Bestand oder die Ausdehnung der drei übrigen nicht
minder wie zum allgemeinen Wohlbefinden der Gesell-
schaft durchaus erforderlich. Ohne Kapitalanlagen zur
Hervorbringung von Produkten könnten weder Grewerbe
noch Handel in ausreichender Menge bestehen. Ohne
Kapitalanlagen zur industriellen Verarbeitung der Roh-
produkte, die einer Veredelung bedürfen, ehe sie sich
zum Ge- und Verbrauch eignen, würden diese niemals
hervorgebracht werden, weil keine Nachfrage darnach
vorhanden wäre, oder sie würden, falls sie freiwillig
wachsen, keinen Tauschwert haben und zum Wohlstande
der Gesellschaft nichts beitragen können. Ohne Kapital-
anlagen zum Transport der rohen oder verarbeiteten
Produkte von den Orten, wo sie reichlich vorhanden
sind, nach denen, wo man ihrer bedarf, könnte von diesen
Produkten nicht mehr hervorgebracht werden als für den
Gebrauch der Umgegend erforderlich wäre. Das Kapital
des Kaufmanns vertauscht das überschüssige Produkt
des einen Orts gegen das eines anderen, ermutigt dadurch
in beiden Orten die Gewerbtätigkeit und vermehrt deren
Genußmittel. Ohne Kapitalanlagen zur Teilung der
rohen und verarbeiteten Produkte in so kleine Teilchen,
daß sie dem unmittelbaren Verbrauch derer, die ihrer
bedürfen, entsprechen, würde jedermann gezwungen
sein, eine größere Menge von Waren zu kaufen, als
sein unmittelbares Bedürfnis erfordert. Gäbe es z. B.
keinen Fleischhandel, so müßte jeder auf einmal einen
Ochsen oder ein ganzes Schaf kaufen. Dies wäre ge-
wöhnlich schon für die Reichen recht unbequem, für
die Armen noch weit lästiger. Wenn ein armer Arbeiter
genötigt wäre, auf einmal Ijebensmittel für einen oder
für sechs Monate zu kaufen, so müßte er einen großen
Teil des Vorrats, den er in den Werkzeugen oder in
den Geräten seiner Werkstätte als Kapital benutzt und
\IQ Zweites Buch: Das Kapital.
der ihm ein Einkommen bringt, dem zum unmittelbaren
Verbrauch bestimmten Vorrat, der ihm kein Einkommen
liefert, zuweisen. Nichts kann daher für einen solchen
Mann bequemer sein, als daß er seine Lebensmittel
von Tag zu Tag, oder selbst von Stunde zu Stunde,
wie er sie gerade braucht, kaufen kann. Dadurch allein
wird es ihm möglich, beinahe seinen ganzen Vorrat
als Kapital zu verwenden. Er kann nun in gröf3erem
Maßstab arbeiten, und der dadurch erzielte Gewinn
gleicht den höheren Preis, den der Kleinhändler als
seinen Gewinn auf die Waren schlägt, reichlich aus.
Die Vorurteile mancher Publizisten gegen die Krämer
und kleinen Geschäftsleute sind völlig grundlos. Es
ist keineswegs nötig, sie zu besteuern oder ihre Zahl
zu beschränken, denn selbst bei der größten Vermehrung
können sie dem Publikum nicht schaden, während sie
allerdings gegenseitig sich Schaden zufügen. Die Menge
von Materialwaren z. B., die in einer Stadt verkauft
werden können, ist durch die Nachfrage in der Stadt
und ihrer Umgegend begrenzt. Darum kann im Ma-
terialwarenhandel nicht mehr Kapital angelegt werden,
als zum Ankauf dieser Menge erforderlich ist. Ist dieses
Kapital zwischen zwei Händlern geteilt, so wird der
Wettbewerb sie zwingen, wohlfeiler zu verkaufen, als
wenn es in einer Hand vereinigt wäre, und wäre das
Kapital unter zwanzig verteilt, so würde ihre Konkurrenz
um soviel größer und die Möglichkeit, daß sie sich zu
einer Preiserhöhung verabreden könnten, um ebensoviel
geringer sein. Ihr Wettbewerb würde vielleicht einige
von ihnen zu Grunde richten; dies ist jedoch ihre eigene
Sorge und kann ihnen getrost überlassen werden. Es
kann weder den Konsumenten noch den Produzenten
schaden; im Gegenteil, es muß dahin führen, daß die
Kleinhändler wohlfeiler verkaufen, als sie tun würden,
wenn der ganze Handel von einer oder zwei Personen
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 119
monopolisiert wäre. Bisweilen mag freilich ein gut-
mütiger Kunde von ihnen verleitet werden, etwas zu
kaufen, was er nicht braucht. Dies Übel ist jedoch
nicht so groß, daß es die Beachtung der Behörden
verdiente, und würde auch durch Beschränkung der
Zahl der Kleinhändler schwerlich verhütet werden kön-
nen. Es ist nicht die Menge der Bierhäuser, um hier
das bedenklichste Beispiel anzuführen, die unter den
Leuten den Hang zum Trunk hervorbringt, sondern
umgekehrt, dieser Hang, der aus anderen Ursachen
entspringt, setzt die vielen Bierhäuser in Nahrung.
Wer seine Kapitalien in einer jener vier Arten an-
legt, ist selbst ein produktiver Arbeiter. Wird diese
Arbeit richtig geleitet, so fixiert und realisiert sie sich
in dem Gegenstande oder der verkäuflichen Ware, auf
die sie verwendet wird, und fügt ihrem Preise mindestens
den Wert ihrer eigenen Unterhaltung und Konsumtion
hinzu. Die Gewinne des Pächters, des Gewerbtreiben-
den, des Grossisten und Kleinhändlers kommen sämtlich
von dem Preise der Waren her, die die beiden ersteren
hervorbringen und die beiden letzteren kaufen und ver-
kaufen. Doch werden gleiche Kapitalien, je nachdem
sie in der einen oder anderen Art angelegt sind, un-
mittelbar sehr verschiedene Mengen produktiver Arbeit
in Bewegung setzen und auch den Wert des jährlichen
Boden- und Arbeitsertrags in sehr ungleichem Verhältnis
vermehren.
Das Kapital des Kleinhändlers erstattet das des
Grossisten, von dem er seine Waren bezieht samt dessen
Gewinn zurück und ermöglicht letzterem dadurch die
Fortführung seines Geschäfts. Der Kleinhändler selbst
ist hierbei der einzige produktive Arbeiter, den das
Kapital unmittelbar beschäftigt. In seinem Gewinn
besteht der ganze Wert, den diese Kapitalanlage dem
jährlichen Boden- und Arbeitsertrage der Gesellschaft
hinzufügt.
120 Zweites Buch: Das Kapital.
Das Kapital des Großhändlers erstattet das der
Landwirte und Gewerbtreibenden, von denen er die
rohen und verarbeiteten Produkte, mit denen er han-
delt, bezieht, samt deren Gewinn zurück und ermöglicht
ihnen dadurch die Fortführung ihrer Geschäfte. Nament-
lich durch diesen Dienst trägt er indirekt dazu bei,
die produktive Arbeit der Gesellschaft zu unterstützen
und den Wert des Jahresertrags zu erhöhen. Sein
Kapital beschäftigt auch die Seeleute und Frachtführer,
die seine Waren von einem Ort zum andern befördern
und erhöht den Preis der Waren nicht nur um den
Betrag seiner eigenen Gewinne, sondern auch um den
Betrag der an jene bezahlten Löhne. Dies ist die ganze
produktive Arbeit, die sein Kapital unmittelbar in Be-
wegung setzt und der ganze Wert, den es unmittelbar
dem Jahresertrag hinzufügt. In beiden Beziehungen
ist jedoch die AVirkung eine viel bedeutendere als die
des Kapitals der Kleinhändler.
Ein Teil der Kapitalien des Gewerbtreibenden ist
als stehendes Kapital in den Werkzeugen angelegt und
erstattet das Kapital anderer Gewerbtreibenden, von
denen er sie kauft, mit den entsprechenden Gewinnen
zurück. Ein Teil seines Umlaufskapitals wird auf den
Ankauf von Rohstoffen verwendet und erstattet die
Kapitalien der Landwirte und Bergwerksbesitzer, von
denen er sie kauft, mit den entsprechenden Gewinnen
zurück. Ein bedeutender Teil seines Kapitals jedoch
ist stets entweder jährlich oder in kürzeren Zeiträumen
unter die Arbeiter verteilt, die er beschäftigt. Es ver-
mehrt den Wert der Rohstoffe um den Arbeitslohn
und den Unternehmergewinn, der aus dem auf Arbeits-
löhne, Rohstoffe und Werkzeuge verwendeten Gesamt-
kapital gezogen wird und es setzt daher unmittelbar
eine weit größere Menge produktiver Arbeit in Bewe-
gung und fügt dem jährlichen Boden- und Arbeitsertrage
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 121
der Gesellschaft einen weit größeren Wert hinzu, als
durch ein gleiches Kapital in den Händen eines Grossi-
sten geschieht. Kein Kapital von gleicher Größe setzt
aber eine größere Menge produktiver Arbeit in Bewe-
gung, als das des Landwirts. Nicht nur seine Knechte
und Mägde, sondern auch seine Arbeitstiere sind pro-
duktive Arbeiter. Ja die Natur selbst arbeitet in der
Landwirtschaft mit dem Menschen zusammen, und was
sie hervorbringt, hat, obwohl die Arbeit nichts kostet,
doch ebenso gut seinen Wert, als die Produkte der
teuersten Arbeiter. Die wichtigsten Verrichtungen der
Landwirtschaft haben den Zweck, die Fruchtbarkeit
der Natur nicht sowohl zu erhöhen, obwohl auch dies
geschieht, als sie auf die Erzeugung der dem Menschen
nützlichen Pflanzen zu lenken. Ein mit Dornen und
Disteln bewachsenes Feld kann oft ebensoviel Pflanzen
hervorbringen, als der bestangebaute Weinberg oder
Kornacker. Das Pflanzen und Beackern dient mehr da-
zu, die tätige Fruchtbarkeit der Natur zu regeln als zu
beleben, und nach aller Arbeit der Menschen bleibt
der Natur noch immer das meiste zu tun übrig. Die
Arbeiter und die Arbeitstiere, die in der Landwirtschaft
gebraucht werden, bringen also nicht nur, wie die
Arbeit in den Manufakturen, den Wert ihres eigenen
Verbrauchs oder des Kapitals, das sie beschäftigt, nebst
den Gewinnen seines Besitzers, sondern einen weit
höheren Wert hervor. Sie bringen außer dem Kapital
und Gewinn des Pächters in der Regel auch eine Rente
für den Grundherrn hervor. Diese Rente kann als der
Ertrag der Naturkräfte angesehen werden, deren Nutz-
ung der Grundherr dem Pächter überläßt. Sie ist je
nach dem vorausgesetzten Umfang dieser Kräfte, oder
mit anderen Worten, je nach der vorausgesetzten natür-
lichen oder künstlichen Fruchtbarkeit des Bodens größer
oder kleiner. Sie ist das Werk der Natur, das nach
122 Zweites Buch: Das Kapital.
Abzug alles dessen, was als Menschenwerk betrachtet
werden kann, übrig bleibt und beträgt selten weniger
als ein Viertel, oft aber mehr als ein Drittel des Ge-
samtertrags. Niemals kann eine gleiche Menge pro-
duktiver Arbeit in den Gewerben eine so bedeutende
Reproduktion erzielen. In den Gewerben tut die Natur
nichts, der Mensch alles, und die Reproduktion richtet
sich notwendig immer nach der Stärke der dabei täti-
gen Kräfte. Das in der Landwirtschaft angelegte Ka-
pital setzt daher nicht allein eine größere Menge pro-
duktiver Arbeit in Bewegung, als ein gleich großes in
den Gewerben angelegtes Kapital, sondern es fügt
auch im Verhältnis zu der Menge produktiver Arbeit,
die es beschäftigt, dem jährlichen Boden- und Arbeits-
ertrag des Landes, dem wahren Reichtum und Ein-
kommen seiner Bewohner, einen weit größeren Wert
hinzu. Es ist unter allen Arten der Kapitalanlagen
die für die Gesellschaft bei weitem vorteilhafteste.
Die in der Landwirtschaft und im Kleinhandel
einer Gesellschaft angelegten Kapitalien bleiben stets
innerhalb dieser Gesellschaft. Ihre Verwendung ist auf
einen bestimmten Ort, auf das Gut oder den Boden des
Detaillisten beschränkt; auch gehören sie mit wenigen
Ausnahmen ansäßigen Mitgliedern der Gemeinde.
Das Kapital eines Grossisten scheint dagegen nir-
gends einen festen oder notwendigen Sitz zu haben,
sondern kann von Ort zu Ort wandern, je nachdem es
billig zu kaufen oder teuer zu verkaufen vermag.
Das Kapital des Gewerbtreibenden muß allerdings
auch da bleiben, wo das Gewerbe betrieben wird, aber
der Ort, wo dies geschieht, ist nicht immer notwendig-
festgesetzt, sondern kann vom Platze der Rohstoff-
erzeugung wie des Verbrauchs weit entfernt sein.
Lyon ist sowohl von dem Orte, der seine Fabrikmate-
rialien liefert, als von denen, wo seine Fabrikate ver-
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. I2'i
braucht werden, weit entfernt. Die vornehmen Leute
Siziliens tragen seidene Kleider von dem in Sizilien
hervorgebrachten llohstoff, die in anderen Ländern
hergestellt wurden. Ein erheblicher Teil der Wolle
Spaniens wird in Großbritannien verarbeitet und zum
Teil als Tuch wieder nach Spanien zurückgesendet.
Ob der Kaufmann, dessen Kapital die überschüssi-
gen Produkte eines Volks ausführt, ein Einheimischer
oder Fremder ist, macht wenig Unterschied. Ist er ein
Fremder, so ist die Zahl der produktiven Arbeiter im
Volke notwendig um einen geringer, als wenn er ein
Eingeborner wäre, und auch der Wert des Jahreser-
trags ist um den Gewinn dieses einen geringer. Die
Seeleute oder Frachtführer, die er beschäftigt, können
ohne Unterschied seinem Lande oder jenem oder einem
dritten Lande angehören. Das Kapital eines Fremden
verleiht den überschüssigen Produkten des Volks durch
ihren Austausch gegen andere Dinge, für die im Lande
Nachfrage besteht, ebenso gut einen Wert, wie das
eines Einheimischen. Es erstattet das Kapital des-
jenigen, der den Überschuß erzeugt, ebensogut zurück
und ermöglicht ihm die Fortführung seiner Geschäfte
ebensogut. Und dies ist ja der Dienst, durch den
das Kapital eines Grossisten hauptsächlich dazu bei-
trägt, die produktive Arbeit zu unterstützen und den
Wert des Jahresertrags des Volks, dem er angehört,
zu erhöhen.
Von größerem Belang ist es, ob das Kapital der
Gewerbtreibenden im Lande seinen Sitz hat. Es setzt
in diesem Falle notwendig eine größere Menge produk-
tiver Arbeit in Bewegung, und fügt dem jährlichen
Boden- und Arbeitsertrage der Gesellschaft einen grö-
ßeren Wort hinzu. Doch kann es dem Lande immer-
hin sehr nützlich sein, wenn es auch nicht in ihm
seinen Sitz hat. Die Kapitalien der britischen Fabri-
124 Zweites Buch: Das Kapital.
kanten, die den jährlich von den baltischen Küsten
zugeführten Flachs und Hanf verarbeiten, sind den
Ländern, wo er erzeugt wird, gewiß sehr nützlich.
Diese Rohstoffe sind ein Teil des überschüssigen Pro-
duktes jener Länder, der, wenn er nicht jährlich gegen
Dinge, die man dort begehrt, vertauscht würde, keinen
Wert hätte, und bald gar nicht mehr erzeugt werden
würde. Die Kaufleute, die ihn ausführen, erstatten
die Kapitalien derer zurück, die ihn hervorbringen,
und ermuntern sie dadurch, den Anbau fortzusetzen ;
und 'den Kaufleuten wird von britischen Fabrikanten
ihr Kapital zurückerstattet.
Ein Land kann ebenso, wie eine Person, oft nicht
Kapital genug haben, um sowohl alle seine Ländereien
anzubauen, als auch seine ganzen Rohprodukte zu ver-
arbeiten und den überschüssigen Teil der rohen oder
verarbeiteten Produkte auf die entfernten Märkte zu
bringen, wo er gegen andere daheim begehrte Waren
vertauscht werden kann. Die Bewohner vieler Teile
Großbritanniens haben nicht Kapital genug, um all"
ihre Ländereien anzubauen. Die Wolle der südlichen
Gi-rafschaften Schottlands wird großenteils, nach einer
langen Landfracht auf jämmerlichen Straßen, in York-
shire verarbeitet, weil es am Erzeugungsorte an Kapital
zur Verarbeitung gebricht. Auch gibt es in Groß-
britannien viele kleine Fabrikstädte, deren Einwohner
nicht Kapital genug haben, um die Erzeugnisse ihrer
Industrie auf die entfernten Märkte zu schaffen, wo
Nachfrage danach und Verbrauch davon ist. Wenn
es einige Kaufleute unter ihnen gibt, so sind diese
eigentlich doch nur die Agenten reicherer Kaufleute,
die in größeren Handelsstädten wohnen.
Wenn das Kapital eines Landes nicht zu allen
drei Zwecken hinreicht, so wird die Menge produktiver
Arbeit, die es innerhalb des Landes in Gang setzt, um
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 125
SO größer und der Wert, den es dem jährlichen Boden-
und Arbeitsertrage der Gesellschaft hinzufügt, desto
höher sein, je mehr Kapital auf die Landwirtschaft
verwendet wird. Nächst der Landwirtschaft setzt das
in der Industrie angelegte Kapital die grüI5te Menge
produktiver Arbeit in Bewegung, und fügt dem Jahres-
ertrag den größten Wert hinzu. Das im Ausfuhr-
handel angelegte Kapital hat unter allen dreien die
geringste Wirkung.
Das Land, das nicht hinreichendes Kapital für alle
drei Zwecke besitzt, ist allerdings noch nicht zu dem
Grade von Wohlstand gelangt, für den es von der
Natur bestimmt scheint. Allein der Versuch, vorzeitig
und mit unzureichendem Kapital alle drei Zwecke zu
verfolgen, wäre freilich für ein Volk ebensowenig wie
für einen Einzelnen der kürzeste Weg, ein hinläng-
liches Kapital zu gewinnen. Das Kapital aller Indivi-
duen einer Nation hat gerade so, wie das eines Ein-
zelnen, seine Grenzen, und vermag nur gewisse Zwecke
zu erfüllen. Auch nimmt das Kapital aller Individuen
einer Nation ebenso, wie das eines Einzelnen, nur durch
langsame Anhäufung der Ersparnisse aus ihren Ein-
künften zu, und wird daher wahrscheinlich am schnell-
sten zunehmen, wenn es so angelegt wird, daß es allen
Einwohnern des Landes das größte Einkommen liefert,
da sie dann imstande sind, die größten Ersparnisse zu
machen. Das Einkommen aller Einwohner eines Landes
richtet sich aber notwendig nach dem Werte des jähr-
lichen Ertrags ihres Bodens und ihrer Arbeit.
Die Hauptursache des schnellen Fortschritts unsrer
amerikanischen Kolonien zu Reichtum und Größe war
die, daß sie bisher fast alle ihre Kapitalien auf die
Landwirtschaft verwendeten. Sie haben auI3er jenen
aufs Haus beschränkten und gröberen Gewerben, die
notwendig den Fortschritt des Ackerbaus begleiten
und die Beschäftigung der Weiber und Kinder aller
126 Zweites Buch: Das Kapital.
Familien bilden, keine Manufakturen. Der größere Teil
ihres Ausfuhr- und Küstenhandels wird mit den Ka-
pitalien von Kaufleuten betrieben, die in Großbritannien
wohnen. In einigen Provinzen, besonders in Virginien
und Maryland, gehören selbst die Speicher und Waren-
häuser der Detaillisten großenteils Kaufleuten, die im
Mutterlande wohnen, und bieten eines der wenigen Bei-
spiele dar, wie der Kleinhandel eines Volks mit den
Kapitalien von Leuten betrieben wird, die nicht seine
ansässigen Glieder sind. Wollten die Amerikaner durch
Koalition oder andere gewaltsame Mittel die Einfuhr
europäischer Manufakturwaren hemmen, denjenigen
ihrer Landsleute, welche dieselben Waren herstellen
könnten, ein Monopol geben und so einen großen Teil
ihres Kapitals in diese Erwerbszweige lenken, so würden
sie die weitere Zunahme im Werte ihres Jahresertrags
verzögern, statt ihn zu beschleunigen, und den Fort-
schritt ihres Landes zu wahrem Reichtum und wahrer
Größe hemmen, statt ihn zu befördern. Dies würde
noch mehr der Fall sein, wenn sie es versuchten, in
derselben Weise ihren gesamten Ausfuhrhandel zu
monopolisieren.
Der Aufschwung eines Volkes scheint in der Tat
fast niemals so lange angedauert zu haben, um ein
großes Land für alle drei Zwecke hinreichende Kapita-
lien erwerben zu lassen; man müßte denn den wunder-
baren Erzählungen von dem Reichtum und der Kultur
Chinas, des alten Egyptens und von dem früheren Zu-
stande Hindostans Glauben schenken. Selbst diese drei
Länder, nach allen Berichten die reichsten, die es je-
mals gegeben hat, sind vorzugsweise wegen der hohen
Stufe ihrer Landwirtschaft und Industrie berühmt ; da-
gegen ragten sie im auswärtigen Handel keineswegs
hervor. Die alten Egypter hatten einen abergläubischen
Widerwillen gegen das Meer; ein ganz ähnlicher Aber-
glaube herrschte unter den Indiern; und die Chinesen
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 127
zeichneten sich niemals im auswärtigen Handel aus.
Die meisten überschüssigen Produkte dieser drei Länder
scheinen von jeher durch Ausländer ausgeführt worden
zu sein, die ihnen dafür andere Dinge, wonach dort
Begehr war, am häufigsten Gold und Silber, in Tausch
gaben.
Gleiche Kapitalien werden also in einem Lande
je nach dem Verhältnis, in denen sie im Ackerbau,
in den Gewerben und im Großhandel angelegt sind,
eine größere oder geringere Menge produktiver Arbeit
in Bewegung setzen und den Wert des Jahresertrags
seines Bodens und seiner Arbeit mehr oder minder
erhöhen. Auch ist der Unterschied je nach den ver-
schiedenen Zweigen des Großhandels, in denen ein
Teil davon angelegt ist, sehr bedeutend.
Aller Großhandel, alles Kaufen zum Zweck des
Wiederverkaufs im Großen, läßt sich auf drei Gattun-
gen zurückführen: den Binnenhandel, den auswärtigen
Handel für den Verbrauch und den Zwischenhandel.
Der Binnenhandel kauft die Produkte des Gewerb-
fleißes in einer Gegend des Landes und verkauft sie
in der andern; er umfaßt sowohl den Innern als den
Küstenhandel. Der auswärtige Handel für den Ver-
brauch kauft fremde Waren für den inländischen Ver-
brauch. Der Zwischenhandel vermittelt den Verkehr
fremder Länder, d. h. er führt die überschüssigen Pro-
dukte des einen dem andern zu.
Das Kapital, das dazu dient, in einem Teile des
Landes die Produkte des heimischen Gewerbfleißes zu
kaufen, um sie im andern zu verkaufen, ersetzt durch
jede solche Tätigkeit in der Regel zwei gesonderte Ka-
pitalien, die beide im Ackerbau oder in der Industrie
des Landes angelegt waren, und macht es ihnen da-
durch möglich, in dieser Anlage zu verbleiben. So oft
es dem Kaufmann zur Entsendung einer Partie Waren
dient, bringt es gewöhnlich einen mindestens gleichen
228 Zweites Buch: Das Kapital.
Wert in anderen Waren zurück. Sind beide Produkte
des einheimischen Gewerbfleißes, so ersetzt das Kapital
notwendig mit jeder solchen Tätigkeit zwei verschie-
dene Kapitalien, die beide zum Unterhalt produktiver
Arbeit dienten und es dadurch einander möglich
machten, dies auch ferner zu tun. Das Kapital, das
schottische Manufakturwaren nach London sendet und
englisches Getreide und englische Manufakturwaren
nach Edinburgh zurückbringt, ersetzt notwendig durch
jede solche Tätigkeit zwei britische Kapitalien, die
beide in der Landwirtschaft oder in der Industrie
Großbritanniens angelegt waren.
Auch das zum Kauf ausländischer Waren für den
heimischen Verbrauch verwendete Kapital ersetzt, wenn
dieser Kauf mit Landeserzeugnissen bestritten wird,
durch jede solche Tätigkeit zwei verschiedene Kapi-
talien; aber nur eins von ihnen dient zum Unterhalt
des inländischen Gewerbfleißes. Das Kapital, das bri-
tische Waren nach Portugal sendet und portugiesische
nach Großbritannien zurückbringt, ersetzt durch jede
solche Tätigkeit nur ein britisches Kapital. Das andere
ist ein portugiesisches. Wenn daher auch der Umsatz
im auswärtigen Handel eben so rasch wie im inländi-
schen sein sollte, so gewährt er dem Gewerbfleiß oder
der produktiven Arbeit des Landes doch nur halb so
viel Ermutigung.
Die Erträge des auswärtigen Handels gehen aber
nur selten so schnell ein, wie die des Binnenhandels.
Die Erträge des letzteren gehen gewöhnlich vor Ende
des Jahres und zuweilen drei bis vier mal im Jahre, die
Erträge des auswärtigen Handels dagegen selten vor
Ende des Jahres und manchmal erst nach zwei oder
drei Jahren ein. Ein im Binnenhandel angelegtes Kapital
macht daher oft zwölf Umschläge oder geht zwölf Mal
hin und her, ehe ein im auswärtigen Handel angelegtes
einen einzigen gemacht hat. Sind also beide Kapitalien
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 129
gleich groß, so gewährt das eine dem Gewerbfleiß des
Landes vierundzwanzig Mal mehr Aufmunterung und
Unterstützung als das andere.
Die ausländischen Waren für den inländischen
Verbrauch werden häufig nicht mit Produkten des hei-
mischen Fleißes, sondern mit anderen ausländischen
"Waren gekauft. Diese letzteren jedoch müssen entweder
unmittelbar mit den Erzeugnissen des heimischen Fleißes
oder mit sonst etwas, was mit diesen erkauft wurde, ge-
kauft worden sein ; denn abgesehen von Krieg und Er-
oberung können ausländische Waren nie anders erwor-
ben werden, als durch Tausch für etwas, das im Lande,
sei es unmittelbar oder nach zwei oder mehreren ver-
schiedenen Umsätzen, produziert worden ist. Die Wir-
kungen des in einem weitschweifigen Außenhandel an-
gelegten Kapitals sind mithin in jeder Hinsicht die
nämlichen, wie die eines im direktesten Handel der
Art angelegten, nur daß die schließlichen Erträge wohl
noch später eingehen, da sie von den Erträgen zweier
oder dreier verschiedener auswärtiger Umsätze abhän-
gen. Wenn der Flachs und Hanf ßigas mit dem Tabak
Virginiens gekauft wird, der seinerseits mit britischen
Manufaktur waren gekauft wurde, so muß der Kauf-
mann auf die Einnahmen zweier auswärtiger Umsätze
warten, ehe er dasselbe Kapital zum erneuten Ankauf
einer gleichen Menge britischer Manufakturwaren ver-
wenden kann. Falls der virginische Tabak nicht mit
britischen Manufaktur waren, sondern mit Bum und
Zucker von Jamaika, der selbst erst für jene Manu-
fakturwaren eingehandelt wurde, gekauft worden ist,
muß er auf die Eingänge von drei Umsätzen warten.
Würden diese zwei oder drei auswärtigen Umsätze von
zwei oder drei Kaufleuten gemacht, von denen der
zweite die vom ersten, und der dritte die vom zweiten
eingeführten Waren behufs Wiederausfuhr kauft, so
All am Smith, Volkswublstaml. II. !>
I3Q Zweites Buch: Das Kapital.
würde allerdings jeder die Erträge seines Kapitals schnel-
ler erhalten; aber die schließlichen Eingänge vom ganzen
in dem Geschäft angelegten Kapital würden gerade so
langsam sein, wie sonst. Ob das gesamte in einem so
weitschweifigen Handel angelegte Kapital einem oder
drei Kaufleuten gehört, kann für das Land keinen
Unterschied machen, sondern nur für die einzelnen
Kaufleute. In beiden Fällen wird ein dreimal größeres
Kapital gebraucht, um einen gewissen Betrag britischer
Manufakturwaren gegen eine gewiße Menge Flachs
und Hanf umzutauschen, als nötig gewesen wäre, wenn
die Manufakturwaren und der Flachs und Hanf un-
mittelbar gegen einander vertauscht worden wären.
Das in einem so weitschweifigen Außenhandel angelegte
Gesamtkapital gewährt deshalb der produktiven Arbeit
des Landes gewöhnlich weniger Aufmunterung und
Unterstützung, als ein gleich großes Kapital, das auf
einen mehr direkten Handel derselben Art verwendet
wird.
Welche ausländische Ware es auch sei, mit der
die ausländischen Waren für den innern Verbrauch ge-
kauft werden, ein wesentlicher Unterschied kann da-
durch weder in der Natur des Handels, noch in der
Aufmunterung und Unterstützung, die er der produk-
tiven Arbeit des ihn betreibenden Landes gewährt, herbei-
geführt werden. Wird sie z. B. mit dem Golde Bra-
siliens oder dem Silber Perus gekauft, so muß dies
Gold und Silber ebenso wie der virginische Tabak
mit etwas gekauft worden sein, das entweder ein Produkt
des Landes, oder mittelst eines solchen bezahlt war.
Soweit also die produktive Arbeit des Landes in Betracht
kommt, hat der mittelst Gold und Silber betriebene
Außenhandel die Vorteile und Nachteile jedes anderen
weitschweifigen Außenhandels, und erstattet das Kapi-
tal, das unmittelbar zui- Unterstützung dieser produk-
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanla,o-en. jßx
tiven Arbeit verwendet wurde, nicht schneller und
nicht langsamer zurück. Einen Vorzug scheint er
allerdings vor jedem anderen gleich weitschweifigen
Außenhandel zu haben. Die Versendung jener Metalle
von einem Orte zum andern ist wegen ihres geringeren
Umfangs und größeren Werts weniger kostspielig, als
die Versendung fast aller anderen auswärtigen Waren
von gleichem Werte. Ihre Frachtkosten sind weit ge-
ringer, und ihre Versicherungskosten nicht größer;
überdies leiden sie weniger als irgend eine andere
Ware durch den Transport. Man kann daher durch
Vermittelung von Gold und Silber eine gleiche Menge
ausländischer Waren oft mit einer kleineren Menge
einheimischer Erzeugnisse kaufen, als durch Vermit-
telung einer anderen ausländischen Ware; die Nachfrage
des Landes kann daher in dieser Weise vollständiger
und mit weniger Kosten befriedigt werden, als in jeder
andern. Ob ein Handel dieser Art durch die beständige
Ausfuhr jener Metalle das Land, von dem er betrieben
wird, in andrer Beziehung arm machen kann, werde
ich später ausführlich zu untersuchen haben.
Der im Zwischenhandel angelegte Teil der Kapi-
talien eines Landes unterstützt nicht die produktive
Arbeit dieses Landes, sondern diejenige anderer. Er
kann zwar durch jede Tätigkeit zwei verschiedene Kapi-
talien wiedererstatten, aber keines von ihnen gehört
diesem Lande. Das Kapital des holländischen Kauf-
manns, das polnisches Getreide nach Portugal schafft
und die Früchte und Weine Portugals zurückbringt,
erstattet durch jede solche Tätigkeit zwei Kapitalien
wieder, von denen keines zur Unterstützung der pro-
duktiven Arbeit Hollands verwendet ist, sondern eines
zur Unterstützung derjenigen Polens, das andere zu der-
jenigen Portugals. Nur die Gewinne kehren regelmäßig
nach Holland zurück und bilden den ganzen Zuwachs,
9:5:
j^32 Zweites Buch: Das Kapital.
den dieser Handel dem jährlichen Boden- und Arbeits-
ertrage dieses Landes verschafft. Wenn freilich der
Zwischenhandel eines Landes mit den eigenen Schiffen
und Seeleuten betrieben wird, so verteilt sich der darin
angelegte Teil des Kapitals, der die Fracht zahlt, unter
eine gewiße Zahl produktiver Arbeiter dieses Landes.
Fast alle Nationen, die einen beträchtlichen Frachthandel
trieben, haben ihn tatsächlich so betrieben, und wahr-
scheinlich hat der Handel selbst seinen Namen davon
erhalten, daß die Bewohner solcher Länder die Fracht-
führer für andere Länder sind. Doch ist diesem Handel
ein derartiger Betrieb nicht unbedingt wesentlich. Ein
holländischer Kaufmann kann z. B. sein Kapital in der
Verkehrsvermittelung zwischen Polen und Portugal an-
legen und einen Teil der überschüssigen Produkte des
einen dem andern nicht in holländischen, sondern in
britischen Fahrzeugen zuführen. In manchen Fällen
geschieht dies wirklich. Man hat deshalb gemeint, der
Zwischenhandel sei für Länder wie Großbritannien,
dessen Verteidiguno; und Sicherheit auf der Zahl seiner
Seeleute und Schiffe beruht, besonders vorteilhaft.
Allein das gleiche Kapital kann im Außenhandel und
selbst in der einheimischen Küstenschiffahrt ebenso viele
Seeleute und Schiffe beschäftigen, als im Zwischenhandel.
Die Zahl der Seeleute und Schiffe, die ein Land zu
beschäftigen vermag, hängt nicht von der Natur des
Handels, sondern teils vom Verhältnis des Umfangs der
Waren zu ihrem Werte, teils von der Entfernung der
Häfen, zwischen denen die Waren hin und her gehen,
ab, und zwar hauptsächlich von dem ersteren dieser
Umstände. Der Kohlenhandel von Newcastle nach
London beschäftigt z. B. mehr Schiffe, als der ganze
Zwischenhandel Englands, obgleich beide Häfen nicht
weit von einander entfernt sind. Die Rhederei eines
Landes wird daher nicht immer notwendig dadurch
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 133
vermehrt werden, daß man durch besondere Aufmun-
terung einen größeren Teil des Kapitals in den Zwischen-
handel drängt, als ihm naturgemäß zufließen würde.
Das im Binnenhandel angelegte Kapital eines Lan-
des wird also in der Regel einer größeren Menge pro-
duktiver Arbeit Aufmunterung und Unterstützung ge-
währen, und den Wert seines Jahresertrags mehr
erhöhen, als ein gleich großes im auswärtigen Handel
angelegtes Kapital; und das auf letztere Art angelegte
Kapital ist wiederum in beiden Beziehungen vorteil-
hafter, als ein gleich großes im Zwischenhandel angeleg-
tes Kapital. Der Reichtum und, sofern Macht vom
Reichtum abhängt, die Macht eines jeden Landes rich-
tet sich stets nach dem Wert seines Jahresertrags —
des Fonds, aus welchem alle Steuern schließlich
bestritten wei'den müssen. Das große Ziel der poli-
tischen Ökonomie aller Länder besteht aber darin, den
Reichtum und die Macht des Landes zu vermehren.
Sie sollte daher dem auswärtigen Handel keinen Vor-
zug geben oder ihn mehr ermuntern als den inländischen,
noch den Zwischenhandel mehr als die beiden andern.
Sie sollte in keinen dieser beiden Kanäle einen größeren
Teil des Nationalkapitals drängen oder locken, als
naturgemäß von selbst hineinfließen würde.
Jeder dieser Handelszweige ist jedoch nicht nur
vorteilhaft, sondern auch notwendig und unausbleib-
lich, wenn der Lauf der Dinge ohne Zwang oder Ge-
waltsamkeit ihn auf natürliche Weise einführt.
Wenn die Produkte eines besonderen Industriezwei-
ges den Bedarf des Landes übersteigen, so muß der
Überschuß ins Ausland gesendet und gegen etwas ver-
tauscht werden, wonach im Lande Nachfrage ist.
Ohne eine solche Ausfuhr müßte ein Teil der produk-
tiven Arbeit des Landes aufhören, und der Wert seines
Jahresertrages sich vermindern. Großbritanniens Boden
134 Zweites Buch: Das Kapital.
und Arbeit bringt gewöhnlich mehr Getreide, Wollen-
und Eisenwaren hervor, als der Bedarf des inneren
Marktes erfordert. Der Überschuß muß daher ins Aus-
land gesendet und gegen etwas vertauscht werden,
wonach im Lande Nachfrage ist. Nur durch solche
Ausfuhr kann jener Überschuß einen hinlänglichen
Wert erhalten, um die Arbeit und Kosten der Produk-
tion einzubringen. Die Küstengegenden und die Ufer
schiffbarer Flüsse bieten nur deshalb der Industrie eine
vorteilhafte Lage dar, weil sie die Ausfuhr und den
Austausch solcher überschüssigen Produkte gegen an-
dere, die im Lande mehr begehrt sind, erleichtern.
Wenn die ausländischen Waren, die so mit den
überschüssigen Produkten des heimischen Fleißes ge-
kauft wurden, die Nachfrage des inländischen Marktes
übersteigen, so muß der Überschuß wieder ins Ausland
gesendet und gegen etwas vertauscht werden, wonach
mehr Nachfrage im Lande ist. Alljährlich werden un-
gefähr 96000 Oxhoft Tabak in Virginien und Maryland
mit überschüssigen Produkten des britischen Fleißes
gekauft; die Nachfrage Großbritanniens jedoch erfordeit
kaum 14,000. Wenn also die übrigen 82,000 nicht ins
Ausland geschickt und gegen etwas, v^-onach mehr
Nachfrage im Lande ist, vertauscht würden, so müßte
ihre Einfuhr sofort aufhören, und mit ihr auch die
produktive Arbeit aller der Einwohner Großbritanniens,
die gegenwärtig mit Herstellung der Waren beschäftigt
sind, womit die 82,000 Oxhoft jährlich gekauft werden.
Diese Waren, die ein Teil vom Boden- und Arbeits-
produkte Großbritanniens sind, haben im Lande selbst
keinen Mai'kt, und würden, wenn sie auch des auslän-
dischen Marktes beraubt wären, nicht mehr hervorge-
bracht werden können. Selbst der weitschweifigste
Außenhandel kann mithin in manchen Fällen zur Un-
terstützung der produktiven Arbeit des Landes und
Kap. v.: Die verschiedenen Kapitalanlagen. 135
zur Erhöhung des Betrages seiner Jahresproduktion eben-
so notwendig sein, als der direkteste.
Wenn der Kapitalvorrat eines Landes sich bis zu
dem Grade vermehrt hat, daß er in der Beschaffung
des Bedarfs und in der Unterstützung der produktiven
Arbeit des Landes nicht mehr volle Beschäftigung
findet, so bemächtigt sich der Überschuß ganz von selbst
des Zwischenhandels, und verrichtet dieselben Dienste
für fremde Länder. Der Zwischenhandel ist die natür-
liche Wirkung und das Symptom eines großen Volks-
wohlstandes, scheint aber nicht seine natürliche Ursache
zu sein. Staatsmänner, die ihn durch besondere Auf-
munterang begünstigen wollten, scheinen die Wirkung
und das Symptom irrtümlich als Ursache betrachtet
zu haben. Holland im Verhältnis zu seiner Gebiets-
ausdehnung und Einwohnerzahl bei weitem das reichste
europäische Land, hat demgemäß den größten Zwischen-
handel in Europa. England, wohl das zweitreichste
Land Europas, wird gleichfalls als stark daran beteiligt
angesehen, wiewohl bei näherer Betrachtung sein soge-
nannter Zwischenhandel nur ein weitschweifiger Außen-
handel für den Konsum sein dürfte. Von dieser Art
sind großenteils die Geschäfte, die die Waren Ost- und
Westindiens sowie Amerikas nach den verschiedenen
europäischen Märkten befördern. Diese Waren werden
in der Regel entweder unmittelbar mit Erzeugnissen
britischen Fleißes oder mit anderen durch sie bezahlten
Waren gekauft, und die schließlichen Eingänge dieser
Geschäfte w^erden fast immer in Großbritannien gebraucht
und verzehrt. Der in britischen Schiffen zwischen den
verschiedenen Häfen des Mittelmeeres und der in gleicher
Weise von britischen Kaufleuten zwischen den verschie-
denen Häfen Indiens betriebene Handel bilden wohl
die Hauptzweige des eigentlichen Zwischenhandels von
Großbritannien.
136 Zweites Bucli: Das Kapital.
Der Umfang des Binnenhandels und des Kapitals,
das darin angelegt werden kann, findet notwendig seine
Grenze an dem Werte der überschüssigen Produkte
aller der Plätze im Lande, die ihre Produkte mit ein-
ander austauschen ; der Umfang des auswärtigen Handels
für den Konsum an dem Betrage der überschüssigen
Produkte des ganzen Landes und dessen, was damit
gekauft werden kann ; der Umfang des Zwischenhandels
am Betrage der überschüssigen Produkte aller Länder
der Welt. Sein möglicher Umfang ist daher im Ver-
gleich mit dem der beiden anderen gewissermaßen un-
endlich, und vermag die größten Kapitalien in sich auf-
zunehmen.
Die Rücksicht auf den eigenen Gewinn ist der
einzige Beweggrund, der den Besitzer eines Kapitals
bestimmt, es im Ackerbau, in der Industrie oder in
irgend einem Zweige des Groß- oder Kleinhandels
anzulegen. Die verschiedenen Mengen produktiver
Arbeit, die sein Kapital in Bewegung setzen, und die
verschiedenen Werte, die es dem jährlichen Boden-
und Arbeitsertrage des Volks hinzufügen kann, je nach-
dem er das Kapital in der einen oder anderen dieser
drei Arten anwendet, kommen für ihn nicht in Betracht.
Daher werden in Ländern, wo die Landwirtschaft das
gewinnreichste Geschäft und Pachtung und Bodenkultur
der geradeste Wog zu einem glänzenden Vermögen
ist, die Kapitalien der Einzelnen naturgemäß in der für
das ganze Volk ersprieI51ichsten Weise verwendet werden.
Doch scheinen die landwirtschaftlichen Gewinne in
keinem Teile Europas bedeutender zu sein, als in an-
deren Gewerben. Zwar haben Spekulanten seit einigen
Jahren das Publikum an allen Ecken mit den glänzend-
sten Schilderungen der Gewinne belustigt, die sich durch
Anbau und Verbesserung des Bodens machen ließen.
Ohne in eine Erörterung ihrer Rechnungen einzugehen,
Kap. V: Die verschiedenen Kapitalanlagen. X37
werden wir uns durch eine sehr einfache Beobachtung
überzeugen, daß ihr Ergebnis falsch sein muß. Man
sieht täglich die glänzendsten Vermögen, die im Laufe
eines Menschenlebens durch Handel und Industrie er-
worben wurden, und zwar oft mit einem sehr kleinen,
ja häufig ohne alles Kapital. Dagegen ist im Laufe
dieses Jahrhunderts vielleicht kein einziges Beispiel
in Europa vorgekommen, daß ein solches Vermögen
in gleicher Zeitdauer uud mit gleichem Kapital durch
Landwirtschaft erworben worden wäre. Und doch liegt
in allen großen Ländern Europas noch viel gutes Land
unbebaut, und der größere Teil des bebauten ist weit
davon entfernt, in so hohem Maße kultiviert zu sein, als
er dessen fähig wäre. Der Ackerbau ist daher fast
überall fähig, ein weit größeres Kapital aufzunehmen,
als jemals in ihm angelegt worden ist. "Welche Um-
stände in der europäischen Wirtschaftspolitik den in
den Städten betriebenen Gewerben einen so großen
Vorzug vor den auf dem Lande betriebenen verschafft
haben, daß es Privatleute oft vorteilhafter finden, ihre
Kapitalien in dem entferntesten Zwischenhandel Asiens
und Amerikas anzulegen, als zur Verbesserung und
Kultur der fruchtbarsten Ländereien in ihrer nächsten
Umgebung, will ich in den beiden folgenden Büchern
ausführlich zu erläutern suchen.
Drittes Buch.
Die verschiedenen Fortschritte zum Reichtum
bei den verschiedenen Nationen.
Erstes Kapitel.
Der natürliche Fortschritt zum Reichtum.
Der wichtigste Verkehr jeder zivilisierten Gesell-
schaft ist der, welcher zwischen den Stadtbewohnern
und den Landleuten geführt wird. Er besteht im
Austausch der Rohprodukte gegen Fabrikate, entweder
unmittelbar, oder durch Vermittelung des Geldes oder
gewisser Geld vertretender Papiere. Das Land versorgt
die Stadt mit Unterhaltsmitteln und Rohstoffen für die
Fabrikation. Die Stadt bezahlt diese Lieferungen da-
durch, daß sie den Landbewohnern einen Teil des
verarbeiteten Produkts zurückschickt. Von der Stadt,
in der eine Reproduktion von Substanzen weder statt-
findet, noch stattfinden kann, darf man mit Recht sa-
gen, daß sie ihren ganzen Reichtum und ihren Unter-
halt vom Lande gewinnt. Wir dürfen aber deshalb
nicht glauben, daß der Gewinn der Stadt ein Verlust
für das Land sei. Beide gewinnen gegenseitig und
wechselseitig, und die Teilung der Arbeit ist in diesem,
wie in allen anderen Fällen vorteilhaft für alle die ver-
schiedenen Personen, die in den mannigfaltigen Be-
schäftigungen, in die die Arbeit geteilt ist, Verwendung
finden. Die Landbewohner kaufen von der Stadt eine
größere Menge von Fabrikaten mit dem Ertrage einer
Kap. I: Der natürliche Fortschritt zum Reichtum. 139
viel kleineren Arbeitsmenge, als sie aufwenden müßten,
wenn sie die Fabrikate selbst zu verfertigen versuchten.
Die Stadt bietet einen Markt dar für den überschüssigen
Ertrag des Landes oder für das, was über den Unter-
halt der Landwirte selbst erzeugt wird; und in der
Stadt vertauschen die Landbewohner diesen Überschuß
gegen andere Artikel, für die bei ihnen Nachfrage be-
steht. Je größer die Zahl und das Einkommen der
Stadtbewohner ist, einen desto ausgedehnteren Markt
bietet die Stadt den Landbewohnern dar; und je aus-
gedehnter der Markt ist, desto vorteilhafter ist er für
eine größere Zahl von Personen. Das Korn, das eine
Meile von der Stadt wächst, wird dort für denselben
Preis verkauft wie dasjenige, das aus einer Entfernung
von zwanzig Meilen kommt. Allein der Preis des
letzteren muß im Allgemeinen nicht nur die Kosten
der Pflanzung und der Beförderung auf den Markt
decken, sondern auch den gewöhnlichen Wirtschafts-
gewinn für den Landwirt. Deshalb gewinnen die Eigen-
tümer und ßebauer des Landes, das in der Nähe der
Stadt liegt, in dem Preise dessen, was sie verkaufen,
außer dem gewöhnlichen Wirtschaftsgewinn den gan-
zen Wert der Fracht der von entfernteren Gegenden
zugeführten Produkte; und sie sparen außerdem in
dem Preise dessen, was sie verkaufen, den ganzen
Wert der Fracht. Man vergleiche die Kultur der in
der in der Nähe einer großen Stadt liegenden Ländereien
mit der Kultur entfernter, und man wird sich leicht
überzeugen, wie sehr das Land durch den Verkehr
mit der Stadt gewinnt. Bei allen absurden Meinungen
über die Handelsbilanz ist doch noch nie behauptet
worden, daß das Land durch seinen Verkehr mit der
Stadt oder die Stadt durch ihren Verkehr mit dem Lande
verliere.
Da nach der Natur der Dingo der Lebensunter-
140 Drittes Bucli: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
halt der Bequemlichkeit und dem Luxus vorangeht, so
muß notwendig die Industrie, die den ersteren herbei-
schafft, älter sein, als die, die für die letzteren sorgt.
Die Bodenkultur, die die Lebensmittel schafft, muß
daher notwendig dem Entstehen der Stadt, die nur die
Mittel zu Bequemlichkeit und Luxus liefert, vorangehen.
Nur die überschüssigen Produkte des Landes, d. h.
diejenigen, die nach Abzug des Unterhalts seiner Be-
bauer übrig bleiben, werden zur Ernährung der Stadt
abgegeben, deren Zunahme daher mit der Zunahme
jenes Überschusses gleichen Schritt halten muß. Aller-
dings braucht die Stadt nicht immer alle ihre Lebens-
mittel vom platten Lande der Umgegend oder sogar
nur von dem Gebiete zu beziehen, zu dem sie gehört,
sondern kann sie aus weit entfernten Ländern erhalten ;
und dies hat, obschon es keine Ausnahme von der
allgemeinen Regel bildet, in verschiedenen Zeiten und
Ländern doch beträchtliche Abweichungen im Fortschritt
des "Wohlstandes verursacht.
Die Ordnung der Dinge, die im allgemeinen, wenn
auch nicht in jedem einzelnen Lande, durch die Not-
wendigkeit aaferlegt ist, wird überall durch die natür-
lichen Neigungen des Menschen gefördert. Hätten nie-
mals menschliche Einrichtungen diese natürlichen Nei-
gungen durchkreuzt, so hätten sich die Städte nirgends
über das Maß vergrößern können, das durch die Bo-
denkultur des umliegenden Gebietes vorgezeichnet war,
wenigstens bis dahin, wo dies Gebiet vollständig kul-
tiviert w^ar. Bei gleichen oder fast gleichen Gewinnen
werden es die meisten Menschen vorziehen, ihr Kapital
lieber in der Landwirtschaft, als in der Industrie oder
im auswärtigen Handel anzulegen. Wer sein Kapital
in Grundbesitz anlegt, hat es mehr unter Aufsicht und
zur Verfügung, und sein Vermögen ist weniger Un-
glücksfällen ausgesetzt, als das des Händlers, der es
Kap. I: Der natürlirho Fortschritt zum Reichtum. 141
nicht nur Wind und Wellen, sondern auch den unsiche-
reren Elementen menschlicher Torheit und Ungerech-
tigkeit überlassen muß, indem er in entfernten Ländern
Leuten Kredit gibt, deren Charakter und Lage er fast
niemals genau kennt. Das Kapital des Grundherrn da-
gegen, das in dem Anbau des Bodens festgelegt ist,
scheint so gesichert zu sein, als es überhaupt die
Natur menschlicher Angelegenheiten erlaubt. Die Schön-
heit der Natur, die Freuden des Landlebens, die Ruhe
des Gemüts, die es verspricht, und wo nicht die Un-
gerechtigkeit menschlicher Gesetze sie stört, die Un-
abhängigkeit, die es tatsächlich gewährt, sind Reize,
die einen jeden mehr oder weniger anziehen; und wie
der Bodenanbau die ursprüngliche Bestimmung des
Menschen war, so scheint der letztere auf jeder Stufe
seines Daseins eine Vorliebe für diese seine erste Be-
schäftigung behalten zu haben.
Ohne den Beistand einiger Handwerker läßt sich
der Landbau allerdings nur in sehr unbequemer Weise
und mit beständigen Unterbrechungen betreiben.
Schmiede, Zimmerleute, Rad- und Pflugmacher, Maurer,
Gerber, Schuhmacher und Schneider sind Leute, deren
Dienste der Landmann oft gebraucht. Nicht minder
bedürfen diese Handwerker einander, und da ihr Wohn-
platz nicht wie der des Landmanns durchaus an einen
bestimmten Fleck gebunden ist, so lassen sie sich
naturgemäß in gegenseitiger Nähe nieder und bilden
so eine kleine Stadt oder einen Flecken. Bald
kommen Schlächter, Brauer, Bäcker und viele andere
Handwerker und Krämer hinzu, die zur Versorgung
mit dem Bedarf jener notwendig oder brauchbar sind,
und die Stadt weiterhin vergrößern. So dienen die
Stadt- und die Landbewohner einander gegenseitig.
Die Stadt bildet einen beständigen Markt, wohin die
Landleute sich begeben, um ihre Produkte gegen Ge-
werbserzeuanissc umzusetzen. Die Einwohner der Stadt
142 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
werden durch diesen Verkehr mit dem Material für
ihre Arbeit und den Mitteln ihrer Ernährung versorgt.
Die Menge veredelter Arbeit, die sie den Land-
leuten verkaufen, bestimmt notwendig die Menge von
Materialien und Lebensmitteln, die sie kaufen. Folglich
kann ihre Beschäftigung wie ihr Unterhalt nur in dem
Verhältnis zunehmen, wie sich die Nachfrage des plat-
ten Landes nach veredelter Ware vermehrt; und diese
Nachfrage kann wiederum nur in dem Verhältnis stei-
gen, wie sich die Kultur des Bodens ausdehnt. Hätten
daher menschliche Einrichtungen nie störend in den
natürlichen Lauf der Dinge eingegriffen, so würde in
allen politischen G-emeinschaften die steigende Wohl-
habenheit und Vergrößerung der Städte die Folge der
Besserung und Kultur des Landes gewesen und im
Verhältnis zu dieser Kultur vorgeschritten sein.
In unsern nordamerikanischen Kolonien, wo un-
bebautes Land noch zu leichten Bedingungen zu haben
ist, sind noch in keiner Stadt Gewerbe für den aus-
wärtigen Verkauf eingerichtet worden. Wenn dort
ein Handwerker etwas mehr Kapital gesammelt hat,
als dazu nötig ist, sein Gewerbe behufs Versorgung
der Umgegend zu betreiben, so ist er nicht versucht,
damit eine Fabrik für entferntere Umsätze zu errichten,
sondern er verwendet es auf den Ankauf und die
Kultur unbebauter Ländereien. Aus einem Hand-
werker wird er ein Pflanzer, und wieder der hohe
Arbeitslohn noch der leichte Unterhalt, den dies Land
den Handwerkern gewährt, kann ihn bestechen, lieber
für andere Leute, als für sich selbst zu arbeiten. Er
fühlt, daß ein Handwerker der Knecht seiner Kunden
ist, von denen er seinen Unterhalt empfängt, daß da-
gegen ein Pflanzer, der sein eignes Land bebaut und
seinen Lebensunterhalt durch die Arbeit seiner eigenen
Familie gewinnt, tatsächlich ein Herr und von aller
Welt unabhängig ist.
Kap. I: Der natürliche Fortschritt zum Reichtum. 143
Dagegen sucht in Ländern, wo entweder unange-
bautes Land nicht mehr vorhanden oder nicht unter
leichten Bedingungen zu haben ist, jeder Handwerker,
der mehr Kapital gesammelt hat, als er in den Geschäften
der Umgegend verwenden kann, für entfernte Umsätze
zu arbeiten. Der Schmied errichtet eine Eisenwaren-,
der Weber eine Leinen- oder Wollwaren-Fabrik. Diese
verschiedenen Fabriken verzweigen sich mit der Zeit
immer weiter, und vervollkommnen und verfeinern
sich daher auf die mannigfachste Art, wie es leicht be-
greiflich ist und also hier nicht weiter auseinanderge-
setzt zu werden braucht.
Industrielle Kapitalanlagen werden bei gleichen
oder fast gleichen Gewinnen natürlich Anlagen im
auswärtigen Handel vorgezogen, und zwar aus dem-
selben Grunde, aus dem der Ackerbau der Industrie
vorgezogen wird. Wie das Kapital des Grundherrn
oder Pächters sicherer ist, als das des Industriellen,
so ist das des letzteren, da er es immer unter Aufsicht
und zu seiner Verfügung hat, sicherer als das Kapital
des Kaufmanns, der auswärtigen Handel treibt. Zwar
muß auf jeder Entwicklungsstufe jedes Volks der über-
schüssige Teil der rohen oder verarbeiteten Produkte,
d. h. derjenige, wonach im Lande selbst keine Nach-
frage ist, nach auswärts versandt und gegen etwas
vertauscht werden, wofür im Lande Bedarf ist. Ob
aber das Kapital, das jene überschüssigen Produkte
ausführt, ein fremdes oder inländisches ist, hat wenig
Bedeutung. Wenn das Volk nicht Kapital genug er-
worben hat, um alle seine Ländereien anzubauen und
alle seine Rohprodukte in der vollständigsten Weise
zu verarbeiten, so ist es sogar sehr vorteilhaft, daß die
Rohprodukte mittelst fremden Kapitals ausgeführt wer-
den, damit das ganze Volkskapital auf nützlichere Zwecke
verwendet werden kann. Der Reichtum dos alten
X44 Dnttes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
Ägypten, Chinas und Hindostans beweist hinlänglich,
daß ein Volk einen hohen Grad von Wohlstand erreichen
kann, wenn auch der größte Teil seines Ausfuhrhandels
von Fremden betrieben wird. Der Fortschritt unserer
nordamerikanischen und westindischen Kolonien würde
weit weniger schnell gewesen sein, wenn kein anderes
als das ihnen gehörige Kapital auf die Ausfuhr ihrer
überschüssigen Produkte verwendet worden wäre.
Dem natürlichen Laufe der Dinge gemäß ist also
der größere Teil des Kapitals jeder aufblühenden Ge-
sellschaft zuerst auf die Landwirtschaft, dann auf die
Industrie, und erst zuletzt auf den auswärtigen Handel
gerichtet. Diese Ordnung der Dinge ist so durchaus
natürlich, daß sie, glaube ich, in jedem Volke, das ein
größeres Gebiet bewohnt, stets in einem gewissen Grade
inne gehalten wurde. Ein Teil der Ländereien mußte
angebaut sein, ehe Städte von einiger Bedeutung ent-
stehen konnten, und eine Art gröberer Gewerbe mußte
in den Städten getrieben werden, ehe man daran denken
konnte, sich auf auswärtigen Handel einzulassen.
Obwohl aber diese natürliche Reihenfolge der Dinge
bis zu einem gewissen Grade bei jedem Volke eintreten
mußte, so ist sie in allen neueren Staaten Europas in
vielen Beziehungen gerade umgekehrt worden. Der
auswärtige Handel einiger ihrer Städte hat alle ihre
feineren Manufakturen, d. h. solche, die sich für ent-
fernten Absatz eignen, eingeführt; und Industrie und
auswärtiger Handel im Verein haben die wesentlichsten
Fortschritte derLandwirtschaft veranlaßt. Die Sitten und
Gewohnheiten, die der Charakter ihrer ursprünglichen
Regierungen mit sich brachte, und die sich fort erhielten,
nachdem diese Regierungen schon bedeutende Ände-
rungen erlitten hatten, zwangen sie in diesen unnatür-
lichen und rückwärtsschreitenden Gang hinein.
Zweites Kapitel.
Entmutigung des Äckerbaus in dem früheren
Zustand Europas nach dem Fall des
römischen Reichs.
Als die germanischen und skythischen Völkerschaf-
ten die westlichen Provinzen des römischen Reichs über-
fluteten, dauerten die Wirren, die auf eine so große
Umwälzung des Bestehenden folgten, mehrere Jahrhun-
derte fort. Die Räubereien und Gewalttätigkeiten,
die die Barbaren gegen die früheren Einwohner ver-
übten, unterbrachen den Verkehr zwischen Stadt und
Land. Die Städte verödeten und das Land blieb un-
bebaut; die westlichen Provinzen Europas, die sich
unter der Römerherrschaft eines hohen Grades vonWohl-
stand erfreut hatten, sanken in die tiefste Armut und
Barbarei. Während dieser Wirren erwarben oder rissen
die Häupter oder Anführer jener Völkerschaften die
meisten Ländereien an sich. Ein großer Teil war unan-
gebaut ; aber kein Teil, ob angebaut oder nicht, war ohne
einen Eigentümer. Das gesamte Land wurde in Be-
schlag genommen und der größte Teil durch einige
wenige Eigentümer.
Diese ursprüngliche Beschlagnahme unangebauter
Ländereien könnte zwar ein großes, doch vorübergehen-
des Übel gewesen sein. Sie hätten bald wieder durch
Vererbung oder Veräußerung geteilt und in kloine
Stücke zerschlagen werden können. Aber das Gesetz
der Erstgeburt ließ die Teilung durch Erbfolge nicht
Adam Smith, Volkswohlstand. II. 10
14G ürlttes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
ZU, und die Einführung der Fideikommisse verhinderte
die Parzellierung durch Veräußerung.
Wenn Grrund und Boden wie bewegliches Eigen-
tum nur als Mittel des Unterhalts und Genusses be-
trachtet wird, so teilt das natürliche Gesetz der Erbfolge
jenen wie dieses unter alle Kinder der Familie: unter
alle, deren Unterhalt und Genuß, wie angenommen
werden darf, dem Vater gleich teuer ist. Dieses na-
türliche Erbfolgegesetz galt demgemäß bei den Kömern,
die in der Vererbung von Grund und Boden so wenig
einen Unterschied zwischen älteren und jüngeren, männ-
lichen und weiblichen Kindern machten, als wir bei
der Verteilung von beweglichem Eigentum. Solange
man aber Grund und Boden nicht bloß als ein Mittel
des Unterhalts, sondern der Macht und Schirmherrlich-
keit ansah, hielt man es für besser, ihn ungeteilt auf
einen zu vererben. In jenen gesetzlosen Zeiten war
jeder Grundherr ein kleiner Fürst. Seine Bauern waren
seine Untertanen. Er war ihr Richter und in gewissen
Beziehungen ihr Gesetzgeber im Frieden und ihr An-
führer im Kriege. Er führte nach Belieben Krieg,
oft gegen seine Nachbarn, manchmal auch gegen seinen
Fürsten. Daher hing die Sicherheit eines Landbesitzes,
der Schutz, den sein Eigentümer denen, die darauf
wohnten, gewähren konnte, von seiner Größe ab. Ihn
teilen, hieß, ihn zu Grunde richten, und alle seine Be-
wohner der Gefahr aussetzen, durch die Einfälle der
Nachbarn unterdrückt und vernichtet zu werden. Das
Gesetz der Erstgeburt griff daher zwar nicht sofort,
aber im Laufe der Zeit bei der Erbfolge in Grundbe-
sitz aus demselben Grunde Platz, aus dem es sich bei
der Vererbung des Throns in Monarchien, zwar auch
nicht immer beim ersten Entstehen, so doch später gel-
tend machte. Damit die Macht und folglich die Sicher-
heit der Monarchie nicht durch die Teilung geschwächt
werde, muß sie ganz auf eins der Kinder übergehen.
Kap. II: Entmutigung- des Ackerbaus. 147
Welchem unter ihnen ein so wichtiger Vorzug gegeben
werden soll, muß durch eine allgemeine Regel, die sich
nicht auf die zweifelhaften Unterschiede des persönlichen
Verdienstes, sondern auf ein klares, augenfälliges und
unbestreitbares Merkmal gründet, bestimmt werden.
Unter den Kindern derselben Familie gibt es keinen
anderen unbestreitbaren Unterschied als den des Ge-
schlechts und des Alters. Das männliche Geschlecht hat
allgemein den Vorzug vor dem weiblichen, und bei
sonstiger Gleichheit erhält der Altere überall den Vor-
rang vor dem Jüngeren. Daher das Recht der Erst-
geburt und der sogenannten Erbfolge in gerader Linie.
Gesetze bleiben oft noch lange Zeit in Kraft, nach-
dem die Umstände, die sie zuerst hervorriefen und
sie allein rechtfertigen konnten, nicht mehr vor-
handen sind. Bei dem gegenwärtigen Zustande Europas
ist der Eigentümer eines einzigen Morgen Landes ge-
nau ebenso sicher in seinem Besitz, als der Besitzer
von hunderttausend. Dennoch wird das Erstgeburts-
recht noch immer respektiert, und dürfte sich, da unter
allen Einrichtungen keine so -geeignet ist, den Familien-
stolz zu nähren, noch manches Jahrhundert erhalten.
In jeder anderen Beziehung kann nichts dem wahren
Interesse einer zahlreichen Familie mehr zuwiderlaufen,
als ein Recht, das, um eins der Kinder zu bereichern,
alle übrigen zu Bettlern macht.
Fideikommisse {Entails) sind die natürliche Folge
des Erstgeburtsrechts. Sie wurden eingeführt, um eine
gewisse Erbfolge in gerader Linie zu erhalten, zu welcher
das Erstgeburtsrecht die erste Idee gab, und um zu
verhindern, daß ein Teil des ursprünglichen Grundbe-
sitzes durch Schenkung, Vermächtnis oder Verkauf, in-
folge Torheit oder Mißgeschick eines der späteren Erben
der Stammlinie entfremdet werde. Den Römern waren
sie gänzlich unbekannt; weder ihre Substitutionen, noch
148 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
ihre Fideikommisse haben eine Ähnlichkeit mit den
Entails, wenn auch einige französische Juristen der
neueren Einrichtung Namen und Gewand jener alten
zu geben beliebt haben.
Solange großer Grundbesitz eine Art Fürstentum
war, mochten die Fideikommisse nicht unvernünftig sein.
Gleich den sogenannten Grundgesetzen einiger Monar-
chien konnten sie oft verhindern, daß die Sicherheit
von Tausenden durch die Laune oder den Übermut
eines Einzelnen gefährdet werde. Aber beim gegen-
wärtigen Zustande Europas, wo kleiner wie großer Be-
sitz ihre Sicherheit in den Gesetzen des Staats finden,
kann es nichts Alberneres geben. Sie sind auf die
albernste aller Voraussetzungen gegründet, auf die Vor-
aussetzung, als ob alle folgenden Geschlechter der
Menschen auf die Erde und alles, was sie trägt, nicht
ein gleiches Recht hätten, wie die Vorfahren, und daß
das Eigentum der heutigen Generation nach den Ein-
fällen derer beschränkt und geordnet sein dürfte, die
vielleicht schon fünfhundert Jahre tot sind. Gleichwohl
werden Fideikommisse noch im größeren Teile Europas,
und namentlich in solchen Ländern respektiert, in denen
adelige Geburt ein notwendiges Erfordernis zu bürger-
lichen und militärischen Ehrenstellen ist. Man hält
die Fideikommisse für nötig zur Aufrechthaltung des
ausschließlichen Vorrechts des Adels auf die hohen
Ämter und Würden des Staats; und da dieser Stand
nun einmal einen ungerechten Vorzug vor seinen Mit-
bürgern an sich gerissen hat, so hielt man es, damit
ihn seine Armut nicht lächerlich mache, für recht, ihm
auch noch einen zweiten zuzuerteilen. Das gemeine
Recht in England ist zwar, wie man sagt, dem ewigen
Eigentum entgegen, und dieses ist dort eingeschränkter,
als in allen anderen europäischen Monarchien, obgleich
auch England nicht o-anz frei davon ist. In Schottland
Kap. II: Entmutigung des Ackerbaus. 149
soll mehr als ein Fünftel, vielleicht sogar mehr als ein
Drittel alles Grundeigentums unter Fideikommiß stehen.
So wurden große Strecken unangebauten Landes
nicht nur von einzelnen Familien in Beschlag genom-
men, sondern auch die Möglichkeit, wieder geteilt zu
werden, so viel als möglich auf immer abgeschnitten.
Ein großer Eigentümer ist jedoch selten ein guter
Landwirt. Injenen gesetzlosen Zeiten, die so barbarische
Einrichtungen entstehen ließen, hatte der große Eigen-
tümer genug damit zu tun, sein Grebiet zu verteidigen,
oder seine Gerichtsbarkeit und Autorität über das Ge-
biet seiner Nachbarn auszudehnen. Er hatte keine
Muße, um auf Anbau und Verbesserung des Bodens
zu denken. Als aber die Herstellung von Gesetz und
Recht ihm diese Muße gewährte, fehlte es ihm oft an
Neigung und fast immer an der nötigen Fähigkeit zur
Landwirtschaft. Kam der Aufwand für sein Haus und
seine Person, wie es sehr oft der Fall war, seinem
Einkommen gleich oder überstieg es gar, so hatte er
kein Kapital, um es auf die Bewirtschaftung zu ver-
wenden. War er ein guter Wirt, so fand er es in der
Regel vorteilhafter, seine jährlichen Ersparnisse auf
neue Güterkäufe, als auf die Verbesserung seines alten
Besitzes zu verwenden. Um Grundbesitz gewinnbrin-
gend zu verbessern, ist, wie bei allen anderen Geschäfts-
unternehmungen, ein genaues Achten auf kleine Er-
sparnisse und Gewinne erforderlich, dessen ein Mann,
der in großem Reichtum geboren und erzogen ist, selten
fähig ist, selbst wenn er von Natur einen Hang zur
Sparsamkeit hat. Die Lage eines solchen Mannes macht
ihn ganz natürlich mehr zu Luxusausgaben, als zu ge-
winnbringenden Anlagen geneigt, deren er nicht bedarf.
Die Eleganz seiner Kleidung, seiner Equipage, seines
Hauses und seiner Möbel, das sind die Dinge, auf die
er von Kindheit an zu achten gewohnt ist, und diese
Sinnesrichtung verläßt ihn auch nicht, wenn es sich
X50 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
um die Melioration seiner Güter handelt. Er verschönert
vielleicht vier oder fünfhundert Morgen in der Umgebung
seines Hauses mit Kosten, die zehnmal so hoch sind,
als das Land nach aller seiner Verbesserung- wert ist,
und findet, daß er bei derartigen Kulturen (und für an-
dere hat er wenig Sinn) bankerott geworden sein würde,
ehe nur der zehnte Teil seines Guts fertig wäre. Es
gibt in beiden Teilen des vereinigten Königreichs noch
große Gutskomplexe, die seit den Zeiten der Feudal-
anarchie ununterbrochen in den Händen derselben Fa-
milie geblieben sind. Man vergleiche den gegenwärtigen
Zustand solcher Güter mit den Besitzungen der kleinen
Eigentümer in ihrer Nähe, und man wird keinen anderen
Beweis brauchen, um sich zu überzeugen, wie ungünstig
so ausgedehntes Grundeigentum der Bodenkultur ist.
War schon von den großen Eigentümern wenig
für die Bodenverbesserung zu erwarten, so ließ sich
noch weniger von denen hoffen, die das Land unter
ihnen inne hatten. Unter der früheren Verfassung Eu-
ropas waren die Bauern alle vom Belieben des Gutsherrn
abhängig; alle oder fast alle waren Sklaven; nur war
ihre Sklaverei von milderer Art, als die unter den
alten Griechen und E-ömern, oder selbst die in unseren
westindischen Kolonieen. Sie galten eigentlich mehr
dem Gute als dem Gutsherrn gehörig, und konnten
daher wohl mit dem Gute, aber nicht für ihre Person ver-
kauft werden. Mit Einwilligung ihres Herrn konnten sie
heiraten, und er durfte die Ehe später nicht durch den
Verkauf des Mannes und des Weibes an verschiedene
Personen trennen. Schädigte er einen an Leib oder
Leben, so unterlag er einer Strafe, wenn auch in der
ßegel nur einer geringen. Aber Eigentum konnten die
Bauern nicht erwerben; was sie erwarben, war für den
Herrn erworben, und er konnte es ihnen nach Gefallen
nehmen. Alle Bodenverbesserungen durch solche Skia-
Kap. II: Entmutigung des Ackerbaus. 151
ven waren eigentlich vom Herrn selbst ausgeführt, da
sie auf seine Kosten ausgeführt wurden und Aussaat,
Vieh und Ackergerät ihm gehörte. Er hatte allein den
Gewinn davon. Die Sklaven konnten nichts als ihren
täglichen Unterhalt erwerben. Eigentlich war es also
der Eigentümer selbst, der sein Land inne hatte und
durch seine Leibeigenen bebauen ließ. Diese Art von
Sklaverei besteht noch in Rußland, Polen, Ungarn,
Böhmen, Mähren und anderen Teilen Deutschlands.
Nur in den westlichen und südwestlichen Ländern Eu-
ropas ist sie nach und nach gänzlich abgeschafft worden.
Wenn aber bedeutende Verbesserungen selten von
großen Eigentümern zu erwarten sind, so sind sie am
wenigsten zu erwarten, wenn sie Sklaven als Arbeiter
verwenden. Die Erfahrung aller Zeiten und Länder be-
weist, glaube ich, daß die von Sklaven verrichtete Ar-
beit, obgleich sie nur deren Unterhalt zu kosten scheint,
am Ende doch die teuerste von allen ist. Ein Mensch,
der kein Eigentum erwerben kann, kann auch kein
anderes Interesse haben, als so viel wie möglich zu essen,
und so wenig wie möglich zu arbeiten. Was er mehr
tun soll, als genügend ist, um ihm Unterhalt zu ver-
schaffen, läßt sich ihm nur mit Gewalt, nicht durch sein
eignes Interesse abzwingen. Wie sehr der Getreidebau
im alten Italien verfiel, Avie unvorteilhaft er für den
Gutsherrn wurde, als der Betrieb Sklaven anheimfiel,
ist sowohl von Plinius wie von Columella geschildert
worden. Nicht viel besser war es zur Zeit des Ari-
stoteles im alten Griechenland. Von der idealen Republik
redend, die Plato in seinen „Gesetzen" schildert, meint
er, um fünftausend müßige Menschen — die Zahl von
Kriegern, die als zur Verteidigung der Republik er-
forderlich angenommen war — samt ihren Weibern und
Knechten zu unterhalten, sei ein Gebiet von grenzen-
loser Ausdehnung und Fruchtbarkeit gleich den Ebenen
von Babylon nötig.
152 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
Der Stolz macht den Menschen herrschsüchtig, und
nichts ist ihm peinlicher, als sich herablassen zu sollen?
niedriger stehende zu überzeugen (anstatt ihnen zu be-
fehlen). "Wenn das Gesetz es gestattet und die Natur
der Arbeit es verträgt, zieht er deshalb in der Regel
den Dienst der Sklaven dem freier Männer vor. Die
Zucker- und Tabakpflanzungen können die Kosten der
Sklavenkultur vertragen; der Getreidebau, scheint es,
kann es heutigen Tages nicht. In den englischen Ko-
lonien, deren hauptsächlichstes Erzeugnis Getreide ist,
wird die Arbeit meist durch freie Leute getan. Der
neuliche Beschluß der Quäker in Pennsylvanien, alle
ihre Negersklaven in Freiheit zu setzen, kann uns über-
zeugen, daß deren Zahl nicht sehr groß gewesen sein
wird. Hätten sie einen beträchtlichen Teil ihres Be-
sitzes ausgemacht, so hätte ein solcher Beschluß niemals
durchgehen können. In unsern Zuckerkolonien hingegen
wird alle Arbeit uud in unsern Tabakskolonien die
meiste von Sklaven verrichtet. Die Gewinne einer Zucker-
pflanzung in allen unseren westindischen Kolonien sind
in der Regel weit größer, als die jeder andern Kultur
in Europa oder Amerika; und die Gewinne einer Tabaks-
pflanzung sind zwar nicht so hoch wie jene, aber doch,
wie bereits bemerkt, höher als die des Getreidebaues.
Beide können die Kosten einer Sklavenkultur tragen,
nur kann es Zucker noch besser als Tabak. Daher ist
die Zahl der Schwarzen im Verhältnis zu den Weißen
in unsern Zuckerkolonien weit größer, als in unsern
Tabakskolonien .
Auf die leibeigenen Bauern der früheren Zeiten folgte
allmälig eine Art vonP/chtern, die gegenwärtig in Frank-
reich unter dem Namen der Metayers bekannt sind. Im
Lateinischen heißen sie Ooloni partiarii. In Epgland sind
sie schon so lange abgekommen, daß ich jetzt keinen
Kap. II: Entmutigung des Ackerbaus. 153
englischen Namen für sie weiß. Der Eigentümer versah
sie mit der Aussaat, dem Vieh und dem Ackergerät,
kurz mit allem zum Anbau des Gutes erforderlichen
Kapital. Der Ertrag wurde gleichmäßig zwischen dem
Eigentümer und dem Pächter geteilt, jedoch mit Abzug
dessen, was zur Erhaltung des Kapitals erforderlich
schien, das, wenn der Pächter das Gut verließ oder ihm
gekündigt wurde, dem Eigentümer zurückzuerstatten war.
Die Bewirtschaftung durch solche Pächter ge-
schieht eigentlich ebenso auf Kosten des Eigentümers,
wie die Bewirtschaftung durch Sklaven, doch ist ein
sehr wesentlicher Unterschied vorhanden. Die Pächter
können als freie Leute Eigentum erwerben, und haben,
da sie einen bestimmten Anteil vom Bodenertrag er-
halten, ein offenbares Interesse daran, daß der Gesamt-
ertrag so groß als möglich sei, damit auch ihr Anteil
es werde. Ein Sklave hingegen, der über seinen
Unterhalt hinaus nichts erwerben kann, denkt nur an
seine Bequemlichkeit und bringt außer seinem Unter-
halt möglichst wenig hervor. Wahrscheinlich teils
wegen dieses Vorzugs der freien Arbeit, teils wegen der
Eingriffe in die Autorität der großen Barone, zu denen
die Leibeigenen von den auf jene stets eifersüchtigen
Landesherren ermuntert wurden, und die zuletzt jene
Art Dienstbarkeit geradezu lästig gemacht zu haben
scheinen, kam die Leibeigenschaft in den meisten Ländern
Europas ab. Doch ist die Zeit und Art, in der eine so
wichtige Umwälzung zustande kam, einer der unklarsten
Punkte in der neueren Geschichte. Die römische Kirche
schreibt sich ein großes Verdienst daran zu, und sicher
ist, daß schon im zwölften Jahrhundert Alexander III.
eine Bulle behufs allgemeiner Sklavenemancipation er-
ließ. Sie scheint jedoch mehr eine fromme Ermahnung,
als ein Gesetz gewesen zu sein, dem die Gläubigen unbe-
dingten Gehorsam schuldig gewesen wären. Die Sklaverei
15-1 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
dauerte fast überall noch mehrere Jahrhunderte fort,
bis sie nach und nach durch die vereinte Wirkung der
oben erwähnten beiden Interessen des Grundeigen-
tümers einerseits, und des Landesherrn andererseits
abgeschafft wurde. Ein freigelassener Leibeigener, der
gleichzeitig im Besitz des Landes gelassen wurde, konnte
es, da er kein eigenes Kapital hatte, nur mit Hilfe
dessen bewirtschaften, was ihm der Grundeigentümer
vorschoß, und muß deshalb das gewesen sein, was die
Franzosen einen Metaijer nennen.
Indessen auch diese letztere Klasse von Bauern
konnte kein Interesse haben, einen kleinen Teil des
Kapitals, das sie von ihrem Anteil am Ertrag etwa
ersparten, für weitere Bodenverbesserungen zu veraus-
gaben, da der Grundherr, der nichts verausgabte, doch
den halben Ertrag erhielt. Schon der Zehute, der doch
nur ein Zehntel des Ertrags ist, hat sich als ein sehr
großes Hinderniß der Bodenverbesserung erwiesen.
Eine Abgabe, die sich auf die Hälfte belief, mußte daher
eine förmliche Schranke dagegen sein. Es konnte allen-
falls im Interesse eines Metayer liegen, dem Boden so
viel abzugewinnen, wie mittelst des vom Eigentümer
gelieferten Kapitals möglich war ; aber niemals konnte er
ein Interesse daran haben, einen Teil seines eignen Kapi-
tals dazu zu tun. In Frankreich, wo noch fünf Sechstel
des ganzen Reichs sich in den Händen dieser Art von
Bauern befinden sollen, klagen die Grundbesitzer, daß
ihre Metayers das Vieh ihrer Herren lieber zu Fuhr-
gelegenheiten als zum Ackerbau benutzen, weil sie in
dem einen Falle den ganzen Gewinn für sich behalten,
im anderen ihn mit ihrem Grundherrn teilen müssen.
Diese Art von Pächtern besteht noch in einigen Teilen
Schottlands, wo man sie steel-bow tenants*) nennt. Jene
*) Unter steel-bow-goods vei'steht das .schottische Recht
diejenigen Bestandteile eines Landguts, die Eigentum des Be-
Kap. II: Entmutigung- des Ackerbaus. J[55
alten englischen Lehnsleute, die nach dem Oberrichter
Gilbert und Doktor Blackstone eher Verwalter des
Gutsherrn als eigentliche Pächter waren, gehörten wahr
scheinlich zu derselben Kategorie.
Auf diese Art von Lehnsleuten folgten, obwohl nur
ganz allmählich, die eigentlichen Pächter, die das Land
mit ihrem eigenen Kapital bestellen, und dem Grund-
eigentümer eine bestimmte Rente zahlen. Haben solche
Pächter langjährige Kontrakte, so finden sie es zuweilen
in ihrem Interesse, einen Teil ihres Kapitals auf Guts-
verbesserungen zu wenden; denn sie können erwarten,
es mit einem großen Gewinn vor Ablauf der Pacht-
zeit wieder zu erhalten. Doch war auch der Besitz
solcher Pächter lange Zeit äußerst unsicher, und ist es
in vielen Teilen Europas noch. Sie konnten vor Ab-
lauf ihres Termins durch einen neuen Käufer gesetzlich
aus ihrer Pacht getrieben werden; in England sogar
durch eine erdichtete Klage auf Wiedereinsetzung in
rechtmäßigen Besitz. Waren sie einmal ungesetzlicher-
weise durch Gewalttat ihres Herrn vertrieben, so war
das Rechtsmittel ein sehr mangelhaftes ; sie wurden nicht
immer in ihrem Besitz restituiert, sondern erhielten
allenfalls Entschädigungen, die ihrem wirklichen Ver-
luste niemals gleich kamen. Selbst in England, wo der
freie Bauernstand immer am meisten geachtet war, wurde
doch erst um das vierzehnte Jahr Heinrichs VII. die
Besitzstörungsklage eingeführt, wodurch der Pächter
nicht blos Schadenersatz, sondern Wiedereinsetzung in
den Besitz erlangt, und nach der über seinen Anspruch
nicht blos durch eine einzige Instanz entschieden werden
kann. Diese Klage hat sich als ein so wirksames Rechts-
mittel erwiesen, daß in der neueren Praxis der Grund-
herr bei einer Klage atif Wiedereinsetzung selten von
sitzers sind und die der abzieliende Pächter (tenant) nicht mit-
nehmen darf. R. P.
156 Drittes Buch : Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
denjenigen B/echtsmitteln Gebrauch macht, die ihm als
Grundherrn zustehen, sondern im Namen seines Päch-
ters die Besitzstörungsklage anstellt. In England ist
also die Sicherheit des Pächters ebenso groß, wie die
des Eigentümers. Überdies ist in England eine Pacht
auf Lebenszeit, die vierzig Schilling Pachtzins gibt, ein
Freigut und berechtigt den Inhaber zu einer Stimme
bei Parlamentswahlen; und da ein großer Teil der
Bauern solche Freigüter hat, so wird der ganze Stand
wegen der politischen Wichtigkeit, die er durch das
Stimmrecht erlangt, in der Achtung der Grundherren
gehoben. Es dürfte kaum izgendwo anders Beispiele
geben, daß Pächter auf einem Grund und Boden, der
ihnen nicht gehört, Gebäude aufführen, bloß im Vertrauen
auf das Ehrgefühl ihres Grundherrn, das ihm nicht
gestatten werde, sich eine so wichtige Gutsverbesserung
zu Nutze zu machen. Diese den Landleuten so gün-
stigen Gesetze und Gewohnheiten haben vielleicht mehr
zu der gegenwärtigen Größe Englands beigetragen,
als alle seine viel gerühmten Handelsordnungen zu-
sammengenommen .
Das Gesetz, das die längsten Pachtkontrakte gegen
alle Gutsnachfolger sicherstellt, gehört, soviel ich weiß,
Großbritannien an. Es wurde in Schottland schon 1449
von Jakob IL durch ein Gesetz eingeleitet, dessen
wohltätiger Einfluß jedoch durch Fideikommisse sehr
gehemmt wurde, da die Erben von Fideikommissen
gewöhnlich keine Pachtverträge auf eine längere Reihe
von Jahren, zuweilen sogar nur auf ein Jahr, eingehen
durften. Eine Parlamentsakte hat neuerdings ihre Fesseln
in diesen Punkten etwas gelockert, obgleich sie noch
immer viel zu fest sind. Da überdies in Schottland
ein Pachtgut kein Stimmrecht bei Parlamentswahlen
gibt, so stehen die Landleute bei ihren Gutsherren
dort weniger in Achtung, als in England.
Kap. II: Entmiitio-iing des Ackerbaus. 157
In anderen Ländern Europas fand man es zwar auch
ratsara, die Pächter sowohl gegen die Erben wie gegen
die Käufer zu schützen ; aber man beschränkte diesen
Schutz doch nur auf einen sehr kleinen Zeitraum: in
Frankreich z. B. auf neun Jahre von Beginn der Pacht
an. Allerdings ist er in diesem Lande vor Kurzem auf
siebenundzwanzig Jahre ausgedehnt worden; aber auch
dieser Zeitraum ist noch zu kurz, um den Pächter zu
den wichtigsten Verbesserungen zu ermutigen. Früher
waren die Grundeigentümer die Gesetzgeber in allen
Ländern Europas. Die agrarischen Gesetze wurden da-
her alle auf die vermeintlichen Interessen des Eigen-
tümers zugeschnitten. So meint man, es liege in seinem
Interesse, wenn kein von seinen Vorfahren bewilligter
Pachtkontrakt ihn auf lange Zeit daran hindere, vom
vollen Werte seines Landes den Genuß zu haben. Hab-
sucht und Ungerechtigkeit sind immer kurzsichtig und
man sah nicht, wie sehr diese Anordnung von Ver-
besserungen abhalten und dadurch mit der Zeit dem
wahren Interesse der Grundeigentümer schaden mußte.
Auch hielt man die Bauern, außer zur Zahlung der
Rente, auch noch zu einer Menge v^on Diensten gegen
den Grundherrn verbunden, die selten in der Pacht
ausdrücklich benannt oder durch eine genaue Regel
bestimmt waren, sondern sich nach dem Herkommen
des Edelhofs oder der Baronie richteten. Da also dabei
für die Willkür ein großer Spielraum verblieb, waren
die Pächter vielen Plackereien unterworfen. In Schott-
land hat die Abschaffung aller Dienste, die nicht aus-
drücklich im Kontrakte stipuliert sind, innerhalb weniger
Jahre den Zustand der Landleute wesentlich verbessert.
Die Leistungen für den Staat, die man den Land-
leuten auferlegte, waren nicht weniger willkürlich als
jene Privatdienste. Die Herstellung und Unterhaltung
der Landstraßen, eine Last, die, wenn auch nicht überall
158 Drittes Buch: Die vei'schiedenen Fortschritte z. Reichtum.
gleich drückend, noch in allen Ländern bestehen dürfte,
war nicht die einzige. Wenn die königlichen Truppen,
der Hofstaat oder königliche Beamte eine Gegend
passierten, so waren die Landleute verpflichtet, ihnen
Pferde, Wagen und Lebensmittel um den vom Fourier
festgesetzten Preis zu stellen. Großbritannien ist,
glaube ich, die einzige Monarchie in Europa, wo dieser
Druck gänzlich abgeschafft ist. In Frankreich und
Deutschland besteht er noch.
Die Staatssteuern, denen die Landleute unterworfen
wurden, waren ebenso regellos und drückend wie die
Dienste. So ungern die Barone ihrerseits dem Landes-
herrn eine Geldbeisteuer bewilligten, so erlaubten sie
ihm doch leicht, ihre Hintersassen zu „besteuern" (wie
man es euphemistisch nannte), ohne einzusehen, wie
sehr dies am Ende ihr eignes Einkommen treffen müsse.
Die taille, wie sie noch jetzt in Frankreich besteht,
kann als ein Beispiel jener alten Steuern dienen. Sie
ist eine Abgabe auf die mutmaßlichen Gewinne des
Pächters, die nach dem vorhandenen Inventar geschätzt
werden. Es liegt folglich in seinem Interesse, so wenig
als möglich zu haben, und also auch so wenig als mög-
lich auf den Anbau und nichts auf die Verbesserung
des Landes zu wenden. Wenn sich auch ein Kapital
in der Hand eines französischen Pächters sammelte,
so käme doch die taille einem Verbote gleich, es je in
der Landwirtschaft anzulegen. Überdies gilt diese
Steuer als eine Verunehrung für jeden, der ihr unter-
worfen ist, da sie ihn nicht nur unter den Rang eines
Edelmanns, sondern unter den eines Bürgers stellt;
und wer das Gut eines andern pachtet, unterliegt ihr.
Dieser Herabsetzung wird sich weder ein Edelmann,
noch selbst ein Bürger, der Kapital besitzt, unterwerfen.
Die Steuer hindert also nicht nur das auf dem Lande
angesammelte Kapital an der Anlage in Bodenverbesse-
Kap. TT: Entmutigun.e,- des Ackerbaus. 159
rungen, sondern macht ihnen auch alle übrigen Kapi-
talien abwendig. Die alten Zehnten und Fünfzehnten,
die früher in England so üblich waren, scheinen, so-
weit sie Grund und Boden trafen, ähnliche Steuern
gewesen zu sein, wie die taille.
Unter allen diesen Entmutigungen ließ sich nicht
erwarten, daß die Bauern viel für die Bodenkultur tun
würden. Diese Menschenklasse hat selbst bei voller ge-
setzlicher Freiheit und Sicherheit mit großen Nach-
teilen zu kämpfen. Der Pächter verhält sich zum Eigen-
tümer, wie ein Kaufmann, der mit geborgtem Gelde,
zu einem anderen, der mit eignem Kapital arbeitet.
Beider Kapitalien können zunehmen, aber das des einen
wird bei ebenso guter Anwendung stets langsamer zu-
nehmen, als das des anderen, wegen des so großen
Gewinnteiles, der von den Zinsen des Darlehns auf-
gezehrt wird. Ebenso muß das vom Pächter bewirtschaf-
tete Gut bei gleich verständiger Wirtschaft weit lang-
samer an Wert zunehmen als das vom Eigentümer
bewirtschaftete, wegen des großen Teils vom Ertrag,
der in der Rente draufgeht und der, Avenn der Pächter
Eigentümer gewesen wäre, von ihm zu weiteren Boden-
verbesserungen hätte verwendet werden können. Über-
dies ist der Stand eines Pächters nach der Natur der
Dinge geringer als der eines Eigentümers. In den
meisten Ländern Europas werden die Landleute für
eine geringere Klasse gehalten, als selbst die besseren
Geschäftsleute und Handwerker, und überall für geringer,
als die großen Kaufleute und Fabrikanten. Darum
wird selten ein Mann von Vermögen den höheren Stand
verlassen, um in den niedrigeren einzutreten. Selbst
unter den gegenwärtigen Verhältnissen wird daher wenig
Kapital aus anderen Gewerben auf die Bodenkultur im
Pachtwege übergehen. Mehr als in jedem anderen Lande
geschieht es vielleicht in Großbritannien, obgleich auch
160 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
hier die großen Kapitalien, die hie und da in Pach-
tungen angelegt sind, gewöhnlich auch in Pachtungen
erworben worden, dem Erwerbszweige, in dem Kapitalien
gewöhnlich am langsamsten erworben werden. Nächst
kleinen Eigentümern sind aber in allen Ländern reiche
und große Pächter die Hauptbeförderer der Boden-
kultur, Sie sind es vielleicht in England noch mehr
als in jeder anderen europäischen Monarchie. In den
Republiken Holland und Bern sollen die Pächter nicht
hinter den englischen zurückstehen.
Die frühere europäische Wirtschaftspolitik war auch
in anderen Beziehungen der Landwirtschaft, gleichviel
ob vom Eigentümer oder vom Pächter betrieben, un-
günstig: erstens, durch das, wie es scheint, fast überall
geltende Verbot, Korn ohne besondere Erlaubnis aus-
zuführen; und zweitens durch die Beschränkungen, die
dem inländischen Handel nicht bloß in Getreide, son-
dern in fast allen Produkten der Landwirtschaft durch
die albernen Gesetze gegen Spekulanten, Höker und
Aufkäufer, sowie durch die Marktprivilegien aufgelegt
wurden. Es wurde bereits bemerkt, auf welche Weise
durch das Getreideausfuhrverbot in Verbindung mit
einigen Begünstigungen der Getreideeinfuhr die Kultur
des alten Italiens, des von Natur fruchtbarsten Landes
in Europa und zu jener Zeit Sitz des größten Reiches
der Welt, gehemmt wurde. Bis zu welchem Grade
solche dem inländischen Getreidehandel auferlegte Be-
schränkungen, verbunden mit dem allgemeinen Aus-
fuhrverbot, die Bodenkultur in weniger fruchtbaren
und weniger begünstigten Ländern hemmen mußten, ver-
mag man sich kaum vorzustellen.
Drittes Kapitel.
Entstehen und Wachsen der Städte nach dem
Falle des römischen Reichs.
Die Einwohner der Städte und Flecken waren nach
dem Falle des römischen Reichs nicht besser daran,
als die des platten Landes. Freilich waren sie eine
Menschenklasse, die von den ersten Einwohnern der alten
griechischen und italischen Republiken sehr verschieden
war. Diese bestanden vornehmlich aus den Grundeigen-
tümern, unter die das Staatsgebiet ursprünglich ver-
teilt war, und die es geraten fanden, ihre Häuser nahe
bei einander zu bauen und sie behufs gemeinsamer
Verteidigung mit einer Mauer zu umgeben. Nach dem
Falle des römischen Reichs dagegen scheinen die Grund-
eigentümer gewöhnlich in befestigten Schlössern auf
ihren Gütern und mitten unter ihren Pächtern und
Dienstleuten gelebt zu haben. Die Städte wurden haupt-
sächlich von Gewerbtreibenden und Handwerkern be-
wohnt, die damals in einem sklavenähnlichen Zustande
gelebt zu haben scheinen. Die Privilegien, die man in
alten Dokumenten den Einwohnern einiger der bedeutend-
sten Städte von Europa bewilligt findet, zeigen hinläng-
lich, was sie vor jenen Verleihungen waren. Leute,
denen es als ein Privilegium bewilligt wird, daß sie
ihre Töchter ohne Erlaubnis ihres Herrn verheiraten
dürfen, daß bei ihrem Tode ihre Kinder und nicht ihr
Herr ihr Vermögen erben soll, und daß sie über ihren
Nachlaß testamentarisch verfügen dürfen, müssen sich
Adam Smith, Volkswohlstaud. 11. ^'-
162 Drittes Buch: Die verscliiedenen Fortschritte z. Reichtum.
vor jenen Verleihungen entweder ganz oder doch fast
■ganz in dem nämlichen Zustande der Leibeigenschaft
befunden haben, wie die Bauern auf dem Lande.
Sie scheinen in der Tat eine sehr arme niedrige
Klasse von Menschen gewesen zu sein, die, wie die
Trödler und Hausierer heutzutage, mit ihren Waren von
Ort zu Ort und von Markt zu Markt zu ziehen pflegten.
In allen europäischen Ländern wurden damals ebenso,
wie heute noch in verschiedenen tartarischen Staaten
Asiens, von den Personen und Waren der Reisenden
Abgaben erhoben, wenn sie durch gewisse Edelhüfe
kamen, gewisse Brücken passierten, ihre Waren von
Markt zu Markt führten und auf dem Markte eine Ver-
kaufsbude errichteten. Diese Abgaben waren in England
unter dem Namen von Passier-, Brücken-, Stand- und
Marktzöllen bekannt. Bald vom König, bald von einem
der großen Lords, die anscheinend in gewissen Fällen
dazu ermächtigt waren, wurde einzelnen Handelsleuten,
zumal solchen, die auf den Domänen des Königs oder
des Lord wohnten, eine allgemeine Befreiung von diesen
Abgaben bewilligt. Solche Handelsleute wurden des-
halb, obgleich sie in anderer Beziehung noch leibeigen
oder nicht viel besser als leibeigen waren, freie Handels-
leute genannt. Zum Ersatz pflegten sie ihrem Schutz-
herrn eine Art jährlicher Kopfsteuer zu zahlen, denn
in jenen Zeiten wurde Schutz selten ohne bare Bezahlung
bewilligt, und diese Abgabe mochte als ein Ersatz für
den Verlust angesehen werden, die ihre Patrone durch
ihre Befreiung von andern Abgaben erlitten. Anfäng-
lich scheinen sowohl die Kopfsteuern als die Befreiungen
durchaus persönlich gewesen zu sein, und nur einzelne
Individuen entweder lebenslänglich oder bis auf Wider-
ruf berührt zu haben. In den sehr unvollständigen
Nachrichten, die aus dem Domesday-book über ver-
schiedene Städte Englands veröffentlicht worden sind.
Kap. Ill: Entstellen und Wachsen der Städte. 163
werden oft bald die Abgaben, welche einzelne Bürger
für diese Art Schutz an den König oder an einen anderen
großen Heri-n zahlten, bald nur der Gesamtbetrag aller
solcher Abgaben erwähnt*).
So knechtisch aber auch die Lage der Stadtbewohner
ursprünglich gewesen sein mag, so sind sie doch offen-
bar weit früher zu Freiheit und Unabhängigkeit gelangt,
alsdie Bauern aufdemLande. Der aus solchen städtischen
Kopfsteuern sich ergebende Teil der königlichen Ein-
künfte wurde gewöhnlich gegen eine bestimmte Rente
bald an den Sheriff der Grafschaft, bald an andere Leute
auf eine Reihe von Jahren verpachtet. Oft hatten die
Bürger selbst Kredit genug, um die Pachtung der aus
ihrer Stadt fließenden Steuern zu übernehmen, indem sie
solidarisch für die ganze Rente hafteten"'*). Derartige
Verpachtungen scheinen dem damals üblichen Wirt-
schaftssystem der europäischen Fürsten entsprochen
zu haben; denn sie überließen oft ganze Güter ihren
Insassen pachtweise, wobei letztere solidarisch für die
ganze Rente hafteten, aber die Eintreibung nach Gut-
dünken besorgen und die Rente durch eigene Verwalter
an die königliche Schatzkammer zahlen konnten, so
daß sie von der Zudringlichkeit der königlichen Beamten
befreit blieben, was man in jener Zeit als äußerst wich-
tig ansah.
Anfänglich wurden die städtischen Pachtungen
ebenso wie andere den Bürgern wahrscheinlich nur auf
eine Reihe von Jahren überlassen. Im Laufe der Zeit
jedoch scheint es allgemeine Praxis geworden zu sein,
sie ihnen gegen eine bestimmte, nie zu erhöhende Rente
gewissermaßen in Erbpacht zu geben. Da auf diese
*) Siehe : Brady's Historical Treatise of Cities and Boroughs^
pag. 3 u. ff.
**) Siehe: Madox Firma Burgi pag. 18; und History of the
Exchequer ch. X. sect. V. pag. 223, first edition.
11*
164 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
Weise die Zahlung eine immerwährende geworden war,
so wurden natürlich die Befreiungen, für die sie entrichtet
wurde, es ebenfalls und hörten nunmehr auf, persönlich
zu sein und konnten nicht mehr den Einzelnen als
solchen, sondern als Bürgern einer gewissen Stadt
zustehen, die deshalb eine Freistadt hieß, wie jene Per-
sonen Freibürger oder freie Handelsleute geheißen hatten.
Zugleich mit dieser Bewilligung wurden den Bür-
gern der Stadt die wichtigen oben genannten Privilegien
erteilt, daß sie ihre Töchter nach Gutdünken verheiraten,
daß ihre Kinder sie beerben und daß sie über ihr be-
wegliches Vermögen letztwillig verfügen durften. Ob
Privilegien dieser Art schon früher einzelnen als solchen
zugleich mit der Gewerbefreiheit bewilligt zu werden
pflegten, weiß ich nicht; ich halte es jedoch nicht für
unwahrscheinlich, obgleich ich keinen direkten Beweis
dafür beibringen kann. Wie dem aber auch sei, die
Hauptattribute der Leibeigenschaft und Sklaverei wurden
nun wenigstens von ihnen genommen und sie wurden
nun frei im heutigen Sinne des Worts.
Dies war nicht alles. In der Regel wurden sie
gleichzeitig zu einer Gemeinde od er Korporation erhoben,
mit dem Recht, ihre städtischen Beamten und Vertre-
tungen selbst zu wählen, Ortsstatute zu erlassen, Mauern
zu ihrer Verteidigung aufzuführen und sämtliche Ein-
wohner einer gewissen militärischen Disziplin zu unter-
werfen sowie zum Wachtdienst heranzuziehen d. h. zur
Beschützung und Verteidigung jener Mauern gegen An-
griffe und Überfälle sowohl bei Nacht wie bei Tage.
In England waren sie in der Regel von der Hundert-
schafts- und Grafschafts-Gerichtsbarkeit befreit, und alle
vorkommenden Rechtsstreitigkeiten außer den die Krone
betreffenden der Entscheidung ihrer eigenen Obrigkeiten
überlassen. In anderen Ländern war ihnen oft eine noch
Kap. Ill: Entstehen und Wachsen der Städte. 165
weit größere und ausgedehntere Gerichtsbarkeit zuge-
billigt*).
Es mochte wohl notwendig sein, Städten, die ihre
Einkünfte in Pacht hatten, auch eine gewisse Executiv-
Gerichtsbarkeit zu verleihen, um ihre Bürger zur Zah-
lung anhalten zu können. In jenen gesetzlosen Zeiten
würde es sehr bedenklich gewesen sein, wenn sie diese
Art Justiz bei einem anderen Tribunal hätten suchen
sollen. Gleichwohl muß es auffallend erscheinen, daß
die Fürsten aller Länder Europas sich auf diese AVeise
für eine festbestimmte und niemals zu erhöhende Rente
des Teils ihrer Einkünfte entäußerten, der unter allen
am ehesten lediglich durch den natürlichen Gang der
Dinge, ohne Kosten oder Mühe ihrerseits, wachsen konnte,
und daß sie überdies aus freien Stücken eine Art unab-
hängiger Republiken im Herzen ihrer Reiche errichteten.
Um dies zu verstehen, muß man sich erinnern, daß
damals vielleicht in keinem europäischen Staate ein
Landesherr imstande war, im ganzen Umfang seines
Gebietes den schwächeren Teil seiner Untertanen gegen
die Bedrückung der Großen zu schützen. Diejenigen,
welche das Gesetz nicht beschützen konnte, und die
nicht stark genug waren, sich selbst zu verteidigen,
mußten entweder zu dem Schutze eines Großen ihre
Zuflucht nehmen und, um ihn zu erhalten, seine Sklaven
oder Vassallen werden, oder sie mußten unter sich ein
gemeinsames Schutz- und Trutzbündnis schließen. Die
einzelnen Einwohner der Städte und Flecken waren
zur Verteidigung ohnmächtig; dagegen mit ihren Nach-
barn zu Schutz und Trutz verbunden, waren sie im-
stande, einen nicht verächtlichen Widerstand zu leisten.
Die Barone verachteten die Bürger, die sie nicht bloß
*) Siehe: Madox Firma Burgi. Ferner; Pfeffel, Abrege
chronologique de l'histoire d'AlIemagne.
166 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
als einen anderen Stand, sondern als einen Haufen
emanzipierter Sklaven, und fast als eine andere Species
von Geschöpfen ansahen. Der "Wohlstand der Bürger
weckte stets ihren Neid und Zorn, und sie plünderten
sie bei jeder Gelegenheit ohne Gnade und Erbarmen.
Die Bürger ihrerseits haßten und fürchteten die Adligen.
Auch der König haßte und fürchtete die letzteren, wo-
gegen er die Bürger wohl verachten konnte, aber keinen
Grund hatte, sie zu hassen oder zu fürchten. So machte
ein gegenseitiges Interesse die Bürger geneigt, den
König zu unterstützen, und den König, ihnen gegen
den Adel zu helfen. Die Bürger waren die Feinde seiner
Feinde, und es lag in seinem Interesse, sie gegen diese
Feinde so sicher und unabhängig wie möglich zu stellen.
Durch die Erlaubnis, ihre Magistrate zu wählen und
durch das Recht, Ortsstatute zu erlassen, Mauern zu
ihrer Verteidigung zu bauen und alle Einwohner einer
Art militärischer Disziplin zu unterwerfen, gab er ihnen
alle Mittel zur Sicherheit und Unabhängigkeit von den
Baronen, die er zu geben imstande war. Ohne die
Herstellung einer geordneten Verfassung dieser Art und
ohne die Macht, ihre Bewohner zu nötigen, nach einem
bestimmten Plan oder System zu handeln, würde kein
freiwilliger Bund zu Schutz und Trutz ihnen dauernde
Sicherheit verschafft oder sie in Stand gesetzt haben,
dem König ansehnlichen Beistand zu leisten. Indem
dieser ihnen die Einkünfte ihrer Stadt in Erbpacht gab,
benahm er denen, die er zu Freunden und gewisser-
maßen zu Verbündeten zu haben wünschte, allen Grund
zur Eifersucht und zu dem Verdachte, daß er sie später
etwa durch Erhöhung der Rente oder durch Vergebung
der Pacht an einen anderen drücken werde.
Die Fürsten, die mit ihren Baronen am gespannte-
sten lebten, scheinen demgemäß in Bewilligungen an
ihre Bürger am freigebigsten gewesen zu sein. Der
Kap. Ill: Entstehen und Wachsen der Städte. JßJ
König Johann von England z. B. war anscheinend einer
der größten Wohltäter der Städte*). Nachdem Philipp
der Erste von Frankreich allen Einfluß auf seine Ba-
rone verloren hatte, zog, nach P. Daniel, gegen das
Ende seiner Regierung sein Sohn Ludwig, später bekannt
unter dem Namen Ludwigs des Dicken, die Bischöfe
seines Königreiches darüber zu Rate, welches die ge-
eignetsten Mittel sein dürften, die Gewalt der grol3on
Barone einzuschränken. Sie machten zwei Vorschläge.
Der eine ging dahin, eine neue Art Gerichtsbarkeit ein-
zuführen und in jeder größeren Stadt seines Gebiets
Magistrate und städtische Vertretungen herzustellen ;
der andere, eine neue Miliz zu bilden und die Einwoh-
ner der Städte unter dem Befehl ihrer Magistrate unter
Umständen zum Beistande des Königs ausrücken zu
lassen. Von diesem Zeitpunkte ist, den französischen
Altei tumsforschern zufolge, die Einführung der Magi-
strate und Stadtvertretungen in Frankreich zu datieren.
In Deutschland erlangten die meisten freien Städte un-
ter den unseligen Regierungen der Hohenstaufen zuerst
ihre Privilegien und ward der berühmte hanseatische
Bund zuerst furchtbar.*''')
Die städtische Miliz scheint damals den Mannen
der Adligen nicht nachgestanden zu haben, und da sie
bei plötzlichen Vorfällen schneller versammelt werden
konnte, so gewann sie oft in ihren Streitigkeiten mit
den benachbarten Baronen die Oberhand. In Ländern
wie Italien und die Schweiz, in denen wegen ihrer
Entfernung vom Hauptsitze der Regierung oder wegen
der natürlichen Stärke des Landes oder aus irgend
einem anderen Grunde der Landesherr nach und nach
sein ganzes Ansehen verlor, wurden die Städte in der
Regel unabhängige Republiken, unterjochten den Adel
=*=) Siehe Madox. ^''*) Siehe Pfeffel.
J 68 Drittes Bucli: Die verscluedenen Fortschritte z. Reichtum.
der Umgegend und zwangen ihn, seine Burgen niederzu-
reißen und gleicli anderen friedlichen Einwohnern in der
Stadt zu wohnen. Dies ist die kurze Geschichte der
Republik Bern, sowie verschiedener anderer Städte in
der Schweiz. Mit Ausnahme von Venedig, dessen Ge-
schichte etwas anders verlief, war es die Geschichte
aller bedeutenden italienischen Republiken, deren soviele
zwischen dem Ende des zwölften und dem Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts entstanden und untergegangen
sind. In Ländern wie Frankreich und England, wo
das Ansehen des Landesherrn, so gering es oft war,
doch niemals ganz erlosch, hatten die Städte keine
Gelegenheit, völlig unabhängig zu werden. Indes wurden
sie doch so mächtig, daß der Landesherr ihnen ohne
ihre Einwilligung außer der festgesetzten Pachtrente
keine Abgaben auflegen konnte. Sie wurden daher
aufgefordert, Abgeordnete zu der allgemeinen Stände-
versammlung des Reichs zu schicken, um im Verein
mit der Geistlichkeit und den Baronen dem König bei
dringenden Gelegenheiten außerordentliche Hilfe zu
bewilligen. Da sie auch seine Macht gewöhnlich mehr
begünstigten, so scheinen ihre Abgeordneten öfters als
ein Gegengewicht gegen die Macht der großen Barone
benutzt worden zu sein. Daher die Vertretung der
Städte in den ständischen Versammlungen aller großen
europäischen Monarchien.
Auf diese Weise wurde zu einer Zeit, wo die Bauern
des platten Landes noch jeder Art von Gewalttätigkeit
ausgesetzt waren, in den Städten Ordnung und gute Ver-
waltung und mit diesen zugleich Freiheit und Sicherheit
der einzelnen begründet. Menschen in wehrloser Lage
begnügen sich aber mit ihrem notwendigen Unterhalt,
weil ihr Mehrerwerb nur die Ungerechtigkeit ihrer Unter-
drücker reizen würde. Sind sie hingegen sicher, die
Früchte ihres Fleißes zu genießen, so strengen sie sich
natürlich an, ihre Lage zu verbessern, und nicht nur
Kap. Ill: Entstehen und "Wachsen der Städte. 169
das notwendige, sondern auch die Bequemlichkeiten und
feineren Genüsse des Lebens zu erwerben. Dieser Fleiß,
der auf etwas mehr als den notwendigen Unterhalt
ausgeht, stellte sich daher weit früher in den Städten,
als bei den Bewohnern des platten Landes ein. Wenn
sich in den Händen eines armen Bauern, der unter dem
Druck der Leibeigenschaft schmachtete, ein kleines Ka-
pital sammelte, so verbarg er es sorgfältig vor seinem
Herrn, dem es sonst geh()rt hätte, und ergriff die erste
Gelegenheit, um in eine Stadt zu entfliehen. Das Gesetz
war damals so nachsichtig gegen die Städter und so be-
eifert, die Macht der Barone über die Landbewohner zu
schmälern, daß der Flüchtling, wenn er sich ein Jahr
lang vor der Verfolgung seines Herrn verbergen konnte,
auf immer frei war. Alle Kapitalien, die sich in den
Händendes fleißigen Teils der Landbewohner sammelten,
flüchteten sich daher natürlich in die Städte, die einzigen
Zufluchtsorte, wo sie ihrem Erwerber sicher waren.
Allerdings müssen die Einwohner einer Stadt zuletzt
immer ihren Unterhalt und alle Stoffe und Hilfsmittel
ihrer Industrie vom Lande empfangen. Doch sind die
Einwohner einer Stadt, die entweder an der Meeresküste
oder an den Ufern eines schiffbaren Flusses liegt, nicht
notwendig darauf beschränkt, ihren Bedarf aus der Um-
gegend zu beziehen. Sie haben einen viel weiteren Spiel-
raum und können ihren Bedarf aus den entlegensten
Enden der Welt beziehen, entweder in Tausch gegen
ihre gewerblichen Erzeugnisse, oder durch Rhederei zwi-
schen fremden Ländern und Vermittelung ihres gegen-
seitigen Austausches. Auf solche Weise kann eine Stadt
zu großem Wohlstand und Glanz gelangen, während
nicht nur ihre Umgebung, sondern auch die Länder, mit
denen sie Handel treibt, arm und elend bleiben. Jedes
dieser Länder einzeln könnte der Stadt vielleicht nur
einen kleinen Teil ihres Unterhalts oder ihrer Beschäf-
tigung gewähren, aber alle zusammen sind sie imstande.
170 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
ihr Unterhalt und Beschäftigung im reichsten Maße
zu verschaffen. Indes gab es doch in dem engen Ver-
kehrskreiso jener Zeiten einige Länder, die reich und
gevverbsam waren; so das griechische Reich, solange es
bestand, und das Reich der Sarazenen während der Herr-
schaft der Abbassiden; so auch Ägypten bis zu seiner
Eroberung durch die Türkon, ein Teil der Küsten der
Berberei und alle Provinzen Spaniens, die unter der
Herrschaft der Mauren standen.
Die Städte Italiens scheinen die ersten in Europa
gewesen zu sein, die sich durch den Handel zu einem
hohen Grade von Wohlstand aufschwangen. Italien lag
im Mittelpunkte der damaligen Zivilisation. Auch die
Kreuzzüge, die zwar durch die großen von ihnen zuge-
fügten Verluste an Kapitalien und Menschen den Fort-
schritt der meisten europäischen Länder notwendig hem-
men mußten, waren doch dem Aufschwünge einiger
italienischen Städte äußerst günstig. Die großen Heere,
welche von allen Seiten her zur Eroberung des heiligen
Landes auszogen , gaben der Schiff fahrt Venedigs, Genuas
und Pisas teils durch die Beförderung der Heere, noch
mehr aber durch ihre Versorgung mit Lebensmitteln,
außerordentlichen Aufschwung. Sie waren gleichsam
die Proviantmeister dieser Heere, und so wurde die
verderblichste Tollheit, die jemals die europäischen Völ-
ker befallen hat, eine Quelle des Reichtums für jene
Republiken.
Die Einwohner der Handelsstädte nährten durch
Einfuhr der fertigen Fabrikate und kostspiehgen Luxus-
artikel reicherer Länder die Eitelkeit der großen Eigen-
tümer, die jene Waren mit großen Mengen ihrer Roh-
produkte gierig kauften. Der Handel fast ganz Europas
bestand damals vornehmlich in dem Austausch seiner
Rohprodukte gegen die industriellen Erzeugnisse zivi-
lisierterer Völker. So wurde die Wolle Englands ge-
Kap. Ill: Entstehen und AVachsen der Städte. 17 J
gen französische Weine und die feinen Tücher Flanderns
vertauscht, wie heutzutage das Getreide Polens gegen
den Wein und Branntwein Frankreichs und die Soiden-
und Sammetwaren Frankreichs und Italiens.
Auf diese Art wurde durch den auswärtigen Handel
der Geschmack an den feineren und künstlicheren Fabri-
katen in Länder vorpflanzt, in denen solche Gegenstände
nicht verfertigt wurden. Als jedoch dieser Geschmack
so allgemein wurde, dal.5 er eine beträchtliche Nachfi'age
hervorrief, suchten die Kaufleuto, um die Frachtkosten
zu ersparen, Manufakturen derselben Art in ihrem eige-
nen Lande zu errichten. Daher der Ursprung der ersten
Fabriken für entfernte Absatzgebiete, die nach dem
Falle des römischen Reichs in den westlichen Ländern
Europas entstanden.
Kein großes Land hat, wie bemei'kt werden muß,
jemals ohne alle Industrie bestanden oder bestehen kön-
nen; und wenn man von einem Lande sagt, es habe
keine Industrie, so meint man damit die feineren und
künstlicheren d. h. solche, die sich für entfernte Ab-
satzgebiete eignen. In jedem großen Lande ist die Klei-
dung und das Hausgerät der großen Mehrzahl des Volkes
das Produkt seiner eigenen Industrie. Dies ist sogar in
den armen Ländern, die nach dem gewöhnlichen Aus-
druck keine Industrie haben, noch allgemeiner der Fall,
als in den reichen, wo sie als hoch entwickelt betrachtet
wird. In den letzteren wird man im Allgemeinen unter
den Kleidern und dem Hausgerät der niedrigsten Volks-
klasse einen weit größeren Teil ausländischer Produkte
finden, als in den erstereu.
Die Industrien, die sich für entfernte Absatzgebiete
eignen, scheinen auf zweierlei Art in die verschiedenen
Länder verpflanzt worden zu sein.
Zuweilen wurden sie in der oben erwähnten Art
durch die so zu sagen gewaltsame Einwirkung der
172 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
Kapitalien einzelner Kaufleute und Unternehmer einge-
führt, die sie auf die Nachahmung fremder Industrien
derselben Art verwendeten. Solche Industrien haben
daher ihren Ursprung im auswärtigen Handel, und dies
scheint mit der früheren Seiden-, Sammt- und Brokat-
industrie, dieim dreizehnten Jahrhundert inLucca blühte,
der Fall gewesen zu sein. Von da wurde sie durch
die Tyrannei eines der Helden Macchiavell's, Castruccio
Castracani, verbannt; er vertrieb im Jahre 1310 neun
Hundert Familien aus Lucca, von denen einunddreißig
nach Venedig flohen und sich erboten, daselbst die Seiden-
industrie einzuführen*). Ihr Anerbieten wurde ange-
nommen; sie erhielten viele Vorrechte und fingen die
Geschäfte mit dreihundert Arbeitern an. Ahnlich scheint
es mit der Manufaktur von feinen Tüchern gegangen
zu sein, die schon vor Alters in Flandern blühte und in
den ersten Regierungsjahren der Königin Elisabeth nach
England verpflanzt wurde; und ebenso mit der jetzigen
Seidenindustrie vonLyon undSpitalflields. Derartig ver-
pflanzte Industrien verarbeiten in der Regel ausländische
Stoffe, da sie ausländische Waren nachahmen. Beim
ersten Aufblühen der venezianischen Industrie kamen die
Stoffe, sämtlich aus Sicilien und der Levante. Die noch
ältere Industrie Luccas Wurdegleichfalls mitausländischen
Stoffen betrieben. Die Kultur des Maulbeerbaums und
die Zucht der Seidenwürmer scheint im nördlichen Italien
nicht vor dem sechzehnten Jahrhundert üblich gewesen
zu sein; nach Frankreich kamen diese Geschäfte erst
unter der Regierung Karls IX. Die flandrischen Manu-
fakturen wurden hauptsächlich mit spanischer oder eng-
lischer Wolle betrieben. In England war die spanische
Wolle zwar nicht das Material der ersten Wollmanufak-
turten überhaupt, aber doch das der ersten Manufakturen
für entfernten Absatz. Rohstoff der Lyoner Manufak-
*) Siehe Sandi, Istoria civile di Vinezia, Parte II. Vol. I,
pag. 247, 256.
Kap. Ill; Entstehen und Wachsen der Städte. 173
turen ist bis zum heutigen Tag zur größern Hälfte aus-
ländische Seide; bei ihrer ersten Errichtung bestand
das ganze oder fast das ganze Material daraus. Unter
den Rohstoffen der Manufakturen in Spitalfields ist wohl
nichts von englischer Herkunft. Da solche Manufakturen
in der Regel von wenigen Privatleuten eingeführt werden,
so haben sie ihren Sitz bald in einer Seestadt, bald in
einer Stadt im Innern des Landes, je nachdem Interesse,
Einsicht oder Laune es fügt.
Ein andres Mal entstehen Manufakturen für entfernten
Absatz auf natürlichem Wege und gleichsam von selbst
durch die allmälige Verfeinerung jener groben, aufs
Haus beschränkten Manufakturen, die auch in den ärmsten
und rohesten Ländern immer betrieben werden müssen.
Solche Manufakturen arbeitenge wohnlich mit Materialien,
welche das Land hervorbringt, und scheinen oft zuerst
in Gegenden vervollkommnet zu sein, die, wenn auch
nicht allzuweit, so doch immer entfernt von der Seeküste,
ja manchmal ohne alle Wasserverbindung waren. Ein
von Natur fruchtbares und leicht zu bebauendes Binnen-
land bringt einen großen Überschuß von Lebensmitteln
über die zum Unterhalt der Bauern nötige Menge her-
vor, und bei den hohen Kosten der Landfracht und der
Schwierigkeit der Fluf3schifffahrt wird es oft schwer,
diesen Überschuß auszuführen. Der Überfluß macht
daher die Lebensmittel wohlfeil und veranlaßt zahlreiche
Arbeiter, welche finden, daß sie sich hier durch Fleiß
mehr Unterhaltsmittel und Lebensgenuß verschaff en kön-
nen, als anderwärts, sich in der Gegend niederzulassen.
Sie verarbeiten nur die Rohstoffe, die das Land hervor-
bringt, und vertauschen ihre fertigen Waren, oder, was
dasselbe ist, den Preis dieser Waren gegen neue Roh-
stoffe und Lebensmittel. Sie geben dem überschüssigen
Teile der Bodenerzeugnisse einen neuen Wert, indem
sie die Kosten, diese nach einem Seehafen oder auf
174 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
einen entfernten Markt zu schaffen, ersparen; und ver-
schaffen zugleich im Tausch für die Bodenerzeugnisse
dem Landmann wohlfeiler als zuvor die ihm nützlichen
oder angenehmen Gegenstände. Die Landleute erhalten
für ihre überschüssigen Erzeugnisse bessere Preise und
kaufen ihren Bedarf an anderen Waren wohlfeiler. Da-
durch werden sie ermutigt und befähigt, den Über-
schuß durch weitere Verbesserungen und vollkommnere
Bodenkultur noch zu vermehren; und wie die Frucht-
barkeit des Landes den Manufakturen ihr Dasein gab,
so wirkt der Fortschritt der Manufakturen wieder auf
das Land zurück und erhöht dessen Fiuchtbarkeit.
Die Industriellen versorgen zuerst die Umgegend und
später, wenn ihre Arbeit sich vervollkommnet und ver-
feinert, entferntere Märkte; denn wenn auch weder
das Rohprodukt noch selbst die gröberen Manufaktur-
waren die Kosten einer bedeutenden Landfracht ohne
große Schwierigkeit tragen könnten, so vermag es doch
die feinere und künstlichere Ware ganz leicht. Sie
enthält oft in einem kleinen Baume den Preis einer
großen Menge von Ilohprodukten. Ein Stück Tuch
z. B. das nur achtzig Pfund wiegt, schließt nicht nur
den Preis von achtzig Pfund Wolle, sondern manch-
mal auch den von mehreren tausend Pfund Gretreide, die
den Unterhalt der verschiedenen Arbeiter und ihrer
Arbeitgeber bildeten, in sich. Auf diese Weise wird
das Getreide, welches in seiner eigenen Gestalt nur mit
großer Schwierigkeit hätte versandt werden können, in
der Gestalt eines fertigen Fabrikats wirksam ausgeführt
und kann mit Leichtigkeit in die entlegensten Ge-
genden der Welt versendet werden. Auf diesem na-
türlichen Wege sind die Manufakturen von Leeds, Hali-
fax, Sheffield, Birmingham und Wolverhampton ent-
standen. Sie sind Kinder des Ackerbaues. In der
neueren Geschichte Europas ist ihre Ausbreitung und
Kap. Ill: Entstehen und Wachsen der Städte. 175
Veivollkommnung gewöhnlich später eingetreten als
die solcher Gewerbe, die dem auswärtigen Handel ihr
Dasein verdanken. England war in der Fabrikation
feiner Tücher aus spanischer Wolle schon länger als
ein Jahrhundert berühmt, ehe eines der jetzt in den
oben erwähnten Städten blühenden Gewerbe auf ent-
fernten Absatz eingerichtet war. Die Ausbreitung und
Vervollkommnung dieser letzteren konnte nur infolge
der Ausbreitung und Vervollkommnung des Ackerbaues
eintreten, — der letzten und größten Wirkung des
auswärtigen Handels und der durch ihn unmittelbar
verpflanzten Industrie, wie ich dies jetzt begründen
werde.
Viertes Kapitel.
Wie der städtische Verkehr zur Vervollkomm-
nung der Landwirtschaft beigetragen hat.
Die Zunahme und der Reichtum der Handels- und
Industriestädte trug auf dreifache Weise zur Kultur und
Verbesserung der Gegenden bei, in denen sie lagen:
Erstens ermutigten sie durch Gewährung eines
großen und leichten Absatzes für die Rohprodukte des
Landes zu seiner Kultur und weiteren Verbesserung.
Dieser wohltätige Einfluß beschränkte sich nicht auf
die Gegenden, in denen sie lagen, sondern breitete sich
mehr oder weniger auf alle Länder aus, mit denen sie
in Verkehr standen. Diesen allen eröffneten sie einen
Markt für ihre rohen und verarbeiteten Produkte und
erteilten ihnen infolge davon Antriebe zu Fleiß und
Kultur. Doch zog ihr eigenes Land wegen seiner Nähe
den größten Vorteil von diesem Markte. Da seine Roh-
produkte weniger Frachtkosten zu tragen hatten, so
konnten die Händler den Produzenten bessere Preise
bewilligen, und sie den Konsumenten doch ebenso wohl-
feil liefern, als die aus entfernteren Gegenden.
Zweitens wurde das von den Städtern erworbene
Vermögen oft dazu verwendet, verkäufliche Ländereien
an sich zu bringen, die sonst meist unbebaut geblieben
wären. Kaufleute haben in der Regel den Ehrgeiz,
Gutsbesitzer zu werden, und wenn sie es sind, erweisen
sie sich gewöhnlich als die eifrigsten Förderer der Boden-
kultur. FAn Kaufmann ist gewohnt, sein Geld haupt-
Kap. IV. : Der städt. Yerkclir ein Förderer d. Landwirtschaft. 177
sächlich in gewinnreichen Unternehmungen anzulegen,
während ein Landedelmann gewohnt ist, es hauptsächlich
in großem Aufwände draufgehen zu lassen. Der eine
sieht sein Geld oft davon gehen und mit Gewinn wieder
zurückkehren ; der andere hingegen erwartet, wenn er
sich einmal davon getrennt hat, kaum je etwas davon
wiederzusehen. Diese verschiedenen Gewohnheiten wir-
ken auf ihre Sinnesart und Neigung in jeder Art von
Geschäften. Ein Kaufmann ist in der Regel unter-
nehmend, ein Landjunker ängstlich. Der eine scheut
es nicht, auf einmal ein großes Kapital für die Ver-
besserung seines Landes zu verausgaben, wenn er nur
die wahrscheinliche Aussicht hat, ein größeres Kapital
wieder herauszuschlagen; der andere wagt, wenn er
wirklich ein Kapital hat, was nicht immer der Fall ist,
nur selten, es auf diese Weise zu verwenden. Wenn
er überhaupt etwas für Verbesserungen tut, so geschieht
es in der Regel nicht mit einem Kapital, sondern mit
den Ersparnissen aus seinen jährlichen Einkünften.
Wer jemals in einer Handelsstadt gelebt hat, die in
einer wenig kultivierten Gegend liegt, muß oft bemerkt
haben, um wie viel kühner Kaufleute in solchen Unter-
nehmungen vorgehen, als Landedelleute. Überdies macht
die Gewöhnung an Ordnung, Sparsamkeit und Aufmerk-
samkeit, wozu Handelsgeschäfte den Kaufmann von
selbst heranbilden, diesen weit geschickter, Unterneh-
mungen der Art mit Gewinn und Erfolg durchzuführen.
Drittens und letztens bringen Handel und Industrie
nach und nach Ordnung und Verwaltung und damit
zugleich individuelle Freiheit und Sicherheit unter den
Landbewohnern mit sich, die zuvor fast in beständigem
Kriegszustande mit ihren Nachbarn und in sklavischer
Abhängigkeit von ihren Obern gelebt hatten. Diese
Wirkung ist zwar am wenigsten beachtet worden, ist
aber gleichwohl die wichtigste von allen. Hume ist
Adam Smith, Volkswohlstaud. U. 1-2
178 Di'itte.s Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
meines Wissens der einzige Schriftsteller, der darauf
hingewiesen hat.
In einem Lande, das weder auswärtigen Handel,
noch irgend eine der feineren Manufakturen besitzt, findet
ein großer Eigentümer nichts, wofür er den Überschuß
seiner Bodenprodukte vertausdien könnte, und ver-
braucht deshalb alles in bäurischer Gastlichkeit daheim.
Ist der Überschuß seiner Bodenprodukte groß genug,
um hundert oder tausend Menschen zu erhalten, so
kann er doch keinen anderen Gebrauch davon machen,
als hundert oder tausend Menschen damit zu ernähren.
Er ist daher allezeit von einer Menge von Schmarotzern
und Abhängigen umgeben, die, weil sie für ihren Unter-
halt keinen Gegenwert zu geben haben, sondern nur von
seiner Gnade leben, ihm gehorchen müssen, wie Soldaten
dem Fürsten, der sie bezahlt. Vor der Ausbreitung des
Handels und der Industrie in Europa überstieg die Gast-
lichkeit der Reichen und Großen, vom Landesherrn
herab bis zum kleinsten Baron, alle Begriffe. West-
minster-Hall war der Speisesaal Wilhelms des Roten
und mag oft für seine Gesellschaft nicht zu groß ge-
wesen sein. Als ein Beweis verschwenderischen Reich-
tums wurde es angesehen, daß Thomas Becket den Fuß-
boden seiner Halle mit Stroh oder Heu bestreuen ließ,
damit die Ritter oder Knappen, die keine Sitze be-
kommen konnten, sich ihre schönen Kleider nicht ver-
derben sollten, wenn sie sich auf den Boden setzten, um
ihr Mahl zu verzehren. Der große Graf von Warwick
soll auf seinen verschiedenen Gütern jeden Tag dreißig-
tausend Menschen ernährt haben ; und wenn diese Zahl
auch übertrieben sein mag, so muß sie immerhin sehr
groß gewesen sein, um eine solche Übertreibung zu-
zulassen. Eine ähnliche Gastfreiheit war noch vor
wenigen Jahren in vielen Gegenden der schottischen
Hochlande Sitte. Sie scheint allen Völkern eigen zu
Kap. IV. : Der städt. Verkehr ein Fih'derer d. Landwirtschaft. 1 79
sein, die wenig Handel und Industrie kennen. „Ich
habe gesehen," erzählt Dr. Pococke, „wie ein arabischer
Häuptling in einer Stadt, wohin er gegangen war, um
Vieh zu verkaufen, auf offener Straße speiste, und alle
Vorübergehenden, selbst gemeine Bettler, einlud, sich
zu ihm zu setzen und an dem Mahle teilzunehmen."
Die Bauern waren vom großen Grundeigentümer
in jeder Beziehung ebenso abhängig wie seine Dienst-
leute. Die nicht Leibeigenen waren Pächter auf Zeit
(Tenants at will), die eine dem Unterhalt, den ihnen das
Land lieferte, in keiner Weise entsprechende Rente
zahlten. Eine Krone (fünf Schilling), eine halbe Krone,
ein Schaf, ein Lamm war noch vor wenigen Jahren in
den schottischen Hochlanden ein üblicher Pachtzins für
ein Stück Land, das eine Familie nährte. An einigen
Orten ist es noch bis heute so; auch erhält man für
Geld dort jetzt nicht mehr Waren als anderwärts. In
einem Lande, wo die überschüssigen Produkte eines
großen Gutes auf dem Gute selbst verzehrt werden
müssen, wird es dem Eigentümer oft angenehmer sein,
wenn es zum Teil nicht in seinem Hause geschieht,
wofern nur die Verzehrer von ihm ebenso abhängig
bleiben, als sein Gefolge oder sein Hausgesinde. Er er-
spart sich dadurch die Last einer zu großen Gesellschaft
oder eines zu großen Hausstandes. Ein Pächter auf
Zeit, der gerade genug Land hat, um seine Familie
zu unterhalten und einen Erbzins zu zahlen, ist ebenso
abhängig vom Eigentümer, und muß ihm ebenso be-
dingungslos gehorchen, wie ein Diener oder Angestellter.
Seine Dienstboten und Angestellten füttert er in seinem
Hause, und seine Zinsleute in den ihrigen. Beider
Existenz hängt von seiner Gnade ab, und die Dauer
des Verhältnisses von seinem Belieben.
Auf die Autorität, welche die großen Eigentümer
unter solchen Verhältnissen über ihre Pächter und Dienst-
12*
180 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
leute hatten, gründete sich die Macht der alten Barone.
Sie wurden im Frieden die Richter und im Kriege die
Anführer all' derer, die auf ihren Gütern wohnten.
Sie konnten innerhalb ihrer Besitzungen die Ordnung
aufrecht erhalten und das Gesetz zur Geltung bringen,
weil sie die Gesamtkräfte aller Einwohner gegen das
Unrecht eines einzelnen aufzubieten vermochten. Nie-
mand sonst hatte hinlängliche Macht dazu. Nament-
lich hatte sie der König nicht. In jenen Zeiten war er
wenig mehr als der größte Eigentümer auf seinen
Domänen, dem die übrigen großen Eigentümer zur
gemeinschaftlichen Verteidigung gegen gemeinsame
Feinde eine gewisse Ehrerbietung zollten. Die Zahlung
einer kleinen Schuld innerhalb des Gebiets eines großen
Eigentümers, wo alle Einwohner bewaffnet und an ge-
genseitiges Zueinanderstehen gewöhnt waren, erzwingen
zu wollen, würde dem König, wenn er es kraft eigener
Gewalt versucht hätte, beinahe ebensoviel Anstrengung
gekostet haben, als die Dämpfung eines Bürgerkriegs.
Er war daher genötigt, im größten Teile des Landes
die Rechtspflege denen zu überlassen, die sie zu hand-
haben vermochten, und aus dem nämlichen Grunde den
Befehl über die Landmiliz denen zu überlassen, welchen
diese Miliz gehorchte.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß diese Territo-
rialgerichtsbarkeit ihren Ursprung in den Lehnsgesetzen
habe. Nicht blos die höchste Civil- und Kriminal-Ge-
richtsbarkeit, sondern auch die Macht, Truppen auszu-
heben, Geld zu schlagen, und selbst Provinzialgesetze für
ihre Untertanen zu machen, dies alles waren Rechte,
die schon Jahrhunderte früher, ehe nur der Name des
Feudalrechts in Europa bekannt war, den großen Eigen-
tümern als Allod zukamen. Die Macht der angelsächsi-
schen Barone vor der Eroberung scheint ebenso groß
gewesen zu sein, wie die Macht der normannischen
Kap. lY. : Der ytädt. Verkehr ein Förderer d. Landwirtschaft. XQ ^
Barone nachher; aber das Lehnrecht ist erst nach der
Eroberung in England gemeines Recht geworden. Daß
die großen Barone in Frankreich lange vor Einführung
des Feudalrechts die ausgedehnteste Macht und Gerichts-
barkeit besaßen, ist unzweifelhaft. Diese Macht und
Gerichtsbarkeit entsprang notwendig aus den eben ge-
schilderten Verhältnissen des Eigentums und der Ge-
wohnheiten. Auch ohne auf das entfernte Altertum
der französischen und englischen Monarchie zurückzu-
gehen, kann man in weit späterer Zeit viele Belege dafür
finden, daß aus derartigen Ursachen stets auch derartige
Wirkungen entstehen müssen. Es ist noch keine dreißig
Jahre her, daß Cameron von Lochiel, ein Edelmann
von Lochabar in Schottland, der kein Staatsbeamter, ja
nicht einmal ein reichsunmittelbarer Baron, sondern nur
ein Yassall des Herzogs von Argyll und nicht einmal
Friedensrichter war, dennoch die höchste Kriminaljustiz
über seine Leute ausübte. Er soll es zwar ohne alle
gerichtlichen Förmlichkeiten, aber mit großer Gerech-
tigkeit getan haben, und es ist nicht unwahrscheinlich,
daß der Zustand jener Gegend es damals für ihn not-
wendig machte, sich diese Autorität anzumaßen, um
den öffentlichen Frieden zu erhalten. Dieser Edelmann,
dessen Rente nie über £ 500 jährlich betrug, führte
1745 achthundert seiner Leute gegen die Regierung
ins Feld.
Die Einführung des Lehnrechts, weit entfernt, die
Macht der großen Ijehnsbarone zu erweitern, kann viel-
mehr als ein Versuch angesehen werden, sie einzu-
schränken. Das Lehnrecht führte eine geregelte Sub-
ordination mit einer langen Reihe von Diensten und
Pflichten ein, vom König bis zum kleinsten Grundbe-
sitzer herunter. Während der Minderjährigkeit des
Grundherrn fiel die Rente und die Verwaltung des Gutes
in die Hände des unmittelbaren Lehnsherrn, und folglich
182 Di'ittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
bei allen großen Eigentümern in die Hände des Königs,
der für den Unterhalt und die Erziehung des Mündels
zu sorgen hatte und dem als Vormund das Recht zu-
stand, ihn seinem Stande entsprechend zu verheiraten.
Wenn nun diese Einrichtung schon darauf abzielte, die
Macht des Königs zu heben und die der großen Grund-
herren zu schwächen, so konnte sie doch nicht ausreichen,
um Ordnung und eine gute Verwaltung unter den Be-
wohnern des Landes herzustellen, weil sie jene Verhält-
nisse des Eigentums und der Sitten, aus denen die Miß-
stände erwuchsen, nicht ausreichend ändern konnte. Die
Macht der Regierung blieb, wie vorher, im Haupte zu
schwach und in den untergeordneten Gliedern zu stark,
und die übermäßige Stärke der untergeordneten Glieder
war die Ursache der Schwäche des Hauptes. Nach der
Einführung der Lehnsordnung war der König noch eben-
so unfähig, die Gewalttätigkeit der großen Barone ein-
zuschränken, wie vorher. Sie fuhren fort, nach Belieben
mit einander fast ohne Unterlaß Krieg zu führen, oft
genug auch gegen den König; und das offene Land
blieb nach wie vor ein Schauplatz der Gewalttätigkeit,
des Raubes und der Zerrüttung.
Aber was all' die Gewalt der Lehnseinrichtungen nie-
mals hatte bewirken können, das brachte allmählich der
stille und unmerkliche Einfluß des auswärtigen Handels
und der Industrie zuwege. Diese lieferten den großen
Besitzern allmählich Artikel, für die sie das ganze über-
schüssige Produkt ihrer Ländereien vertauschen, und
die sie selber ganz verbrauchen konnten, ohne sie mit
ihren Pächtern und Dienstleuten teilen zu müssen. Alles
für uns und nichts für andere, das scheint auf allen
Kulturstufen die elende Maxime der Herren des Menschen-
geschlechts gewesen zu sein. Sobald sie daher ein
Mittel finden konnten, den ganzen Betrag ihrer Rente
selbst zu verbrauchen, hatten sie keine Neigung mehr.
Kap. IV. : Der städt. Verkehr ein Förderer d. Landwirtschaft. [83
sie mit anderen Leuten zu teilen. Für ein Paar diaman-
tene Schnallen oder derartigen Tand und Überfluß gaben
sie den Unterhalt oder, was dasselbe ist, den Preis des
Unterhalts von tausend Menschen auf ein Jahr, und da-
mit die ganze "Wucht und Macht hin, die dies ihnen
verschaffen konnte. Doch die Schnallen waren ganz ihr
eisen, und kein anderes Menschenkind konnte einen
Anteil daran fordern, während sie bei der früheren
Ausgabeart mit wenigstens tausend Menschen hätten
teilen müssen. Für die Richter, die hier zu wählen
hatten, war der Unterschied entscheidend; und so gaben
sie allmählich für die Befriedigung der kindischsten, ge-
meinsten und armseligsten aller Eitelkeiten ihre ganze
Macht und Autorität hin.
In einem Lande, wo es keinen auswärtigen Handel
und keine feinere Industrie gibt, kann ein Mann von
zehntausend Pfund jährlich sein Einkommen nicht wohl
anders verwenden, als zum Unterhalt von etwa tausend
Familien, die ihm natürlich Untertan sind. Unter den
jetzigen Verhältnissen Europas kann ein Mann von
zehntausend Pfund jährlich sein ganzes Einkommen aus-
geben (und tut es auch gewöhnlich), ohne unmittelbar
zwanzig Leute zu ernähren oder mehr als zehn Soldaten
zu kommandieren, die des Kommandierens nicht wert
sind. Mittelbar erhält er vielleicht eine ebenso große
oder noch größere Anzahl von Menschen, als bei seinem
früheren Ausgabesystem ; denn wenn auch die Menge
der kostbaren Produkte, für welche er sein ganzes Ein-
kommen hingibt, nur sehr klein ist, so muß doch die
Anzahl der Arbeiter, von denen jene gesammelt und zu-
bereitet wurden, sehr groß sein. Ihr hoher Preis rührt
in der Regel vom Lohn ihrer Arbeit und den Gewinnen
air ihrer Arbeitgeber her. Indem er den Preis bezahlt,
bezahlt er mittelbar all' den Lohn und Gewinn und
trägt so mittelbar zum Unterhalt aller Arbeiter und
X84 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
Arbeitgeber bei. Doch trägt er gewöhnlich nur einen
sehr kleinen Teil zum Lohn oder Gewinn jedes einzel-
nen bei; bei sehr wenigen vielleicht ein Zehntel, bei
vielen nicht ein Hundertstel, und bei manchen nicht ein
Tausendstel, ja nicht ein Zehntausendstel des ganzen
jährlichen Unterhalts. Wenn er also auch zu ihrer aller
Unterhalt beiträgt, so sind sie doch alle mehr oder we-
niger unabhängig von ihm, weil sie alle im allgemeinen
auch ohne ihn leben können.
"Wenn die großen Grrundeigentümer ihre Renten
für den Unterhalt ihrer Pächter und Dienstleute aus-
geben, so erhält ein jeder von ihnen alle seine Pächter
und Dienstleute vollständig. Wenn sie die Kenten hin-
gegen für den Unterhalt von Gewerbsleuten und Hand-
w^erkern ausgeben, so können sie alle zusammen ge-
nommen eine ebenso große oder, wegen der mit einer
rohen Gastlichkeit verknüpften Vergeudung, eine noch
größere Anzahl von Leuten erhalten als früher; allein
jeder von ihnen trägt, einzeln genommen, oft nur einen
sehr kleinen Teil zum Unterhalt jedes einzelnen jener
großen Anzahl bei. Der Gewerbsmann oder Handwerker
zieht seinen Unterhalt nicht aus der Beschäftigung für
einen, sondern für hundert oder tausend Kunden. Ob-
wohl er daher ihnen allen in einem gewissen Maße
verpflichtet ist, so ist er doch nicht von einem einzelnen
völlig abhängig.
Wenn auf diese Weise der persönliche Aufwand der
großen Grundeigentümer allmählich zunahm, so war es
nicht anders möglich, als daß die Anzahl ihrer Leute
ebenso allmählich abnahm, bis sie endlich alle entlassen
wurden. Derselbe Grund be wog sie auch, nach und nach
den unnötigen Teil ihrer Pächter zu entlassen. Die
Pachtgüter wurden erweitert und die Bauern trotz aller
Klagen über Entvölkerung bis zu der Anzahl vermindert,
die nach dem damaligen unvollkommenen Zustande der
Kap. IV. : Der ,st;ult, Verkehr ein Fünlerer <1. Landwirtschalt. 185
Landwirtschaft zum Anbau nötig war. Durch die
Entfernung der unnötigen Mauler und durch die Ein-
forderung des vollen Pachtwertes vom Pächter gewann
der Eigentümer einen größeren Überschuß oder, was
dasselbe ist, den Preis eines größeren Überschusses, und
Kaufleute und Fabrikanten sorgten bald dafür, daß er
den größeren Überschuß in derselben Weise, wie früher
den kleineren, für seine eigene Person ausgab. Dieselben
Ursachen wirkten fort, und so wünschte er, seine Renten
über die Summe zu steigern, die sein Grundbesitz im
damaligen Zustande des Anbaues eintrug. Seine Pächter
konnten aber nur unter der einen Bedingung in eine
Erhöhung ihrer Pacht willigen, daß sie in ihrem Besitze
auf einehinreichendeReihe von Jahren gesichert würden,
um Zeit zu haben, ihre Auslagen für die Verbesserung
des Bodens mit Gewinn wieder zu erhalten. Die kost-
spielige Eitelkeit des Grundeigentümers machte ihn
willig, auf diese Bedingung einzugehen, und so entstan-
den die langen Pachten.
Selbst ein Pächter auf Zeit, der den vollen Wert
des Bodens bezahlt, ist nicht gänzlich vom Grundherrn
abhängig. Die Geldvorteile, die sie von einander haben,
sind gleich und beruhen auf Gegenseitigkeit, und ein
solcher Pächter wird weder sein Leben noch sein Ver-
mögen in dem Dienste des Eigentümers bloßstellen.
Hat er aber einen Pachtkontrakt auf eine lange Reihe
von Jahren, so ist er völlig unabhängig, und sein Grund-
herr darf von ihm auch nicht den kleinsten Dienst er-
warten, der nicht entweder ausdrücklich in dem Kontrakte
bedungen, oder dem Pächter nach den allgemeinen
Landesgesetzen auferlegt ist.
Nachdem so die Pächter unabhängig geworden und
die Dienstleute entlassen waren, vermochten die großen
Eigentümer nicht mehr die geregelte Rechtspflege zu
unterbrechen oder den Landfrieden zu stören. Sie hatten
186 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
nicht wie Esau in Zeiten des Hungers und Not für ein
Linsengericht, sondern im Übermut des Reichtums für
Flitterkram und Tand, der sich besser zum Spielzeug
für Kinder als zum Ziel der Wünsche von Männern
eignet, ihr Erstgeburtsrecht verkauft und wurden ebenso
unbedeutend, wie irgend ein wohlhabender Bürger und
Geschäftsmann in einer Stadt. Nun wurde im offenen
Lande nicht minder als in der Stadt eine feste Regierung
eingeführt, da dort wie hier niemand mehr Macht genug
besaß, um sich ihren Maßregeln zu widersetzen.
Es gehört vielleicht nicht hierher, aber ich kann die
Bemerkung nicht unterdrücken, daß in handeltreibenden
Ländern sehr alte Familien, die viele Generationen hin-
durch große Güter vom Vater auf den Sohn vererbten,
sehr selten sind. In Ländern hingegen, die wenig Han-
del haben, wie Wales oder die schottischen Hochlande,
sind sie sehr häufig. Die arabischen Geschichten sind
alle mit Genealogie angefüllt und eine darunter, die von
einem Tartarischen Chan geschrieben und in mehrere
europäische Sprachen übersetzt worden ist, enthält fast
nichts anderes; ein Beweis, daß unter diesen Völkern alte
Familien sehr häufig sind. In Ländern, wo ein reicher
Mann sein Einkommen nicht anders ausgeben kann,
als zum Unterhalt von soviel Menschen, wie davon leben
können, vermag er nicht weiter zu gehen; und sein
Wohltätigkeitssinn wird selten so unbezähmbar sein,
daß er mehr Menschen zu unterhalten suchen sollte,
als er vermag. Aber wo er den größten Teil seines
Einkommens für seine eigene Person ausgeben kann,
gibt es oft für seinen Aufwand keine Schranken, weil
seine Eitelkeit oder Eigenliebe keine Schranken hat.
Deshalb bleiben in liandeltreibenden Ländern die Reich-
tümer trotz der strengsten Gesetze gegen Verschwen-
dung sehr selten lange in derselben Familie, bei ein-
fachen Völkern dagegen geschieht es oft ohne alle
Kap. IV. : Der städt. Verkehr ein Förderer d. Land Wirtschaft. 187
gesetzliche Vorkehrungen, denn unter Hirtenvölkern, wie
den Tartaren und Arabern, macht die verzehrbare Natur
ihres Eigentuuis alle solche Vorkehrungen überflüssig.
Auf diese Weise war eine für das Glück der Ge-
sellschaft ungemein wichtige Revolution durch zwei
Klassen von Leuten zuwege gekommen, die nicht im
mindesten die Absicht hatten, der Allgemeinheit zu
dienen. Das einzige Motiv der großen Eigentümer war
die Befriedigung einer höchst kindischen Eitelkeit; die
Kaufleute und Handwerker aber handelten zwar aus
einem weit weniger lächerlichen aber durchaus eigen-
nützigen Beweggrund, nämlich in Verfolgung ihres
Krämertriebes, den Pfennig zu nehmen, wo er zu haben
ist. Keine von beiden Klassen hatte eine Kenntnis
oder Ahnung von der großen Revolution, welche die Tor-
heit der einen und die Emsigkeit der anderen nach
und nach zuwege brachte.
So sind Handel und Gewerbe der Städte in den
meisten Ländern Europas die Ursache und Veranlassung
zu den Fortschritten der Bodenkultur geworden, statt
ihre Wirkung zu sein.
Da indessen dieser Vorgang dem natürlichen Laufe
der Dinge entgegengesetzt ist, so ist er auch langsam
und unsicher. Man vergleiche den langsamen Fortschritt
derjenigen europäischen Länder, deren Wohlstand haupt-
sächlich von ihrem Handel und ihrer Industrie abhängt,
mit den schnellen Fortschritten unserer nordamerikani-
schen Kolonien, deren Wohlstand gänzlich auf dem
Ackerbau beruht. Im größten Teile Europas verdoppelt
sich die Einwohnerzahl, wie man annimmt, erst in fünf-
hundert Jahren ; in einigen unserer nordamerikanischen
Kolonien verdoppelte sie sich in zwanzig oder fünfund-
zwanzig Jahren. In Europa verhindern die Erstgeburts-
rechte und verschiedene Methoden, das Eigentum der
Familien zu verewigen, die Teilung der großen Güter,
188 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
und machen dadurch eine Vermehrung der kleinen
Eigentümer unmöglich. Ein kleiner Eigentümer aber,
der jeden Teil seines Gütchens kennt, der es mit all
der Liebe betrachtet, welche Eigentum, zumal kleines
Eigentum einflößt, und der deshalb seine Freude daran
hat, es nicht bloß anzubauen, sondern auch zu schmücken,
ist gewöhnlich der emsigste, verständigste und glück-
lichste Förderer der Bodenkultur. Überdies werden
durch die nämlichen Gesetze so viele Ländereien dem
Markte entzogen, daß stets mehr Kapitalien zum Kauf
vorhanden sind, als Land zum Verkauf, sodaß der E,est
stets zu einem Monopolpreise verkauft wird. Die Rente
trägt niemals die Zinsen des Kaufgeldes aus und ist
außerdem noch mitKostenfür die Erhaltung und anderen
gelegentlichen Lasten beschwert, denen der Geldzins
nicht unterliegt. Land zu kaufen, ist in Europa überall
eine höchst unvorteilhafte Anlage eines kleinen Kapitals.
Allerdings wird ein Mann von mäßigem Vermögen,
wenn er sich vom Geschäft zurückzieht, sein kleines
Kapital der größeren Sicherheit wegen manchmal in
Grundbesitz anlegen. Auch pflegen oft Leute, deren
Einkommen aus einer anderen Quelle fließt, ihre Er-
sparnisse auf diese Weise zu sichern. Aber ein junger
Mann, der ein Kapital von zwei oder drei tausend £
auf den Kauf und Anbau eines kleinen Gutes verwendet,
statt sich dem Handel oder einer Profession zu widmen,
kann zwar hoffen, recht glücklich und unabhängig zu
leben, muß aber aller Hoffnung auf großes Vermögen
oder große Auszeichnung, die zu gewinnen er bei einer
anderen Kapitalanlage dieselbe Chance hätte wie jeder
andere, auf immer entsagen. Kann jedoch ein solcher
Mann nicht Eigentümer werden, so verschmäht er es
auch oft, Pächter zu werden. Die geringe Menge und
der hohe Preis des verkäuflichen Grundbesitzes hindert
mithin zahlreiche Kapitalien, im Anbau und in der
Verbesserung des Bodens Verwendung zu suchen, die
Rap. IV. : Der städt. Verkehr ein Fönlerer d. Lamlwirtscliaft. \QQ
sonst diese Richtung eingeschlagen haben würden.
In Nordamerika hingegen sind fünfzig oder sechzig £
oft ein hinlängliches Kapital, um eine Pflanzung damit
anzufangen. Der Kauf und die Kultur unangebauten
Bodens ist dort die gewinnbringendste Anlage für die
kleinsten wie für die größten Kapitalien und der ge-
radeste Weg zu all' dem Vermögen und Ansehen, die
man daselbst zu erwerben vermag. Allerdings ist solcher
Boden in Nordamerika fast für nichts oder zu einem
Preise zu haben, der weit hinter dem Werte seiner
freiwilligen Produkte zurückbleibt; was in Europa oder
überhaupt in jedem Lande, wo sämtlicher Grund und
Boden längst Privateigentum ist, nicht statthaben kann.
Ginge jedoch Grundeigentum beim Tode eines Eigen-
tümers, der eine zahlreiche Familie hinterläßt, auf alle
Kinder zu gleichen Teilen über, so würde es gewöhn-
lich zum Verkauf kommen, und es käme dann soviel
Land auf den Markt, daß es keinen Monopolpreis mehr
haben könnte. Die freie Rente von Grund und Boden
würde den Zinsen des Kaufgeldes näher kommen, und
man könnte ein kleines Kapital ebenso vorteilhaft auf
den Ankauf von Grund und Boden, wie auf irgend
etwas anderes verwenden.
England ist wegen der natürlichen Fruchtbarkeit
seines Bodens, wegen der großen Ausdehnung seiner
Seeküste im Verhältnis zum ganzen Lande und wegen
der vielen schiffbaren Flüsse, die es durchschneiden
und vielen seiner Binnenplätze bequeme Wasservei*-
bindung verschaffen, von Natur vielleicht ebenso ge-
eignet wie irgend ein großes Land Europas der Sitz
auswärtigen Handels, einer Industrie für entfernten Um-
satz und aller Bodenkultur zu sein, die dadurch ver-
anlaßt werden kann. Auch war seit Beginn der Re-
gierung Elisabeths die englische Gesetzgebung auf die
Interessen des Handels und der Industrie vorzugweise
bedacht, und in der Tat gibt es in Europa, selbst
190 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.-
Holland nicht ausgenommen, kein Ijand, dessen Gesetze
im allgemeinen diesen Zweigen des Gewerbfleißes gün-
stiger wären. Daher sind auch Handel und Industrie
während dieser ganzen Zeit immer mehr vorgeschritten.
Auch die Landwirtscliaft hat zweifellos Fortschritte ge-
macht; aber sie scheint dem weit schnelleren Fortschritt
des Handels und der Industrie nur langsam und in
einiger Entfernung gefolgt zu sein. Der grüßte Teil
des Landes war wohl schon vor der Regierung Elisabeths
angebaut; aber selbst jetzt noch liegt ein sehr großer
Teil brach, und der bei weitem größte Teil ist noch
lange nicht so kultiviert, wie er sein könnte. Gleich-
wohl begünstigt das englische Gesetz den Ackerbau
nicht nur mittelbar durch den Schutz des Handels,
sondern auch unmittelbar durch manche direkte Auf-
munterungen. Außer in Zeiten der Teurung ist die
Getreideausfuhr nicht nur frei, sondern wird durch eine
Prämie befördert; in Zeiten mäßiger Fülle aber ist die
Einfuhr fremden Getreides mit Abgaben belegt, die einem
Verbote gleichkommen. Die Einfuhr lebenden Viehs,
außer von Irland, ist stets verboten, und auch von
Irland ist sie erst seit kurzem frei gegeben worden.
Die Landwirte haben also ein Monopol auf die zwei
größten und Mächtigsten Artikel der Landwirtschaft,
Brot und Fleisch. Sind auch diese Ermunterungen, wie
ich später zeigen werde, im Grunde wohl ganz illusorisch,
so zeigen sie doch wenigstens zur Genüge den guten
Willen der Gesetzgebung, den Ackerbau zu fördern.
Aber was weit wichtiger ist als all' dies: die englischen
Landleute genießen soviel Sicherheit, Unabhängigkeit
und Achtung, als das Gesetz nur geben kann. Kein
Land mithin, wo das Recht der Erstgeburt gilt, Zehnten
gezahlt werden und Fideikommisse gestattet sind, so
sehr sie auch dem Geiste des Gesetzes zuwiderlaufen,
kann der Landwirtschaft mehr Förderung zu teil
werden lassen, als England. Und dennoch ist seine
Kap. IV. : Der städt. Verkolir oin Förderer d. Landwirtscliaft. 191
Bodenkultur noch auf verhältnismäßig niederer Stufe.
Wie würde es damit aussehen, wenn das Gesetz der
Landwirtschaft unmittelbar keine andere Forderung
hätte zu teil werden lassen, als die aus dem Fortschritt
des Handels unmittelbar entspringende, und wenn die
Landleute in derselben Lage geblieben wären, wie in
den meisten andern Ländern Europas? Seit Beginn der
Regierung Elisabeths sind jetzt mehr als zweihundert
Jahre verflossen, ein Zeitraum so lang, wie menschlicher
"Wohlstand zu dauern pflegt.
Frankreich scheint schon ein Jahr früher, ehe Eng-
land sich als ein handeltreibendes Land auszeichnete,
einen bedeutenden Handel getrieben zu haben. Die
französische Marine war vor der Expedition Karls VIH.
nach Neapel, nach den Begriffen der Zeit, bedeutend.
Die Landwirtschaft Frankreichs steht jedoch im Ganzen
auf einer niedrigeren Stufe als die Englands. Das Ge-
setz des Landes gab ihr niemals eine so direkte Auf-
munterung.
Der Außenhandel Spaniens und Portugals nach
anderen Teilen Europas wird zwar größtenteils auf
fremden Schiffen betrieben, ist aber sehr bedeutend.
Der Handel mit ihren Kolonien wird auf ihren eignen
Schiffen betrieben und ist wegen des großen Umfangs
und Reichtums jener Kolonien noch viel größer. Doch
haben beide Länder niemals eine bedeutende Industrie
für fernen Umsatz gehabt, und der größte Teil ihres
Grund und Bodens liegt noch brach. Portugals aus-
wärtiger Handel ist von älterem Datum als der jedes
anderen großen Landes in Europa, mit Ausnahme von
Italien.
Italien ist das einzige große Land Europas, das
durch auswärtigen Handel und Industrie für fernen Um-
satz in allen Teilen kultiviert und verbessert worden ist.
Vor dem Einfalle Karls VIII. war Italien nach Guicciar-
192 Drittes Buch: Die verschiedenen Fortschritte z. Reichtum.
dini in seinen gebirgigsten und dürrsten Gegenden nicht
weniger angebaut, als in den ebensten und fruchtbar-
sten. Die günstige Lage und. die große Zahl unabhän-
giger Staaten, die damals dort bestanden, trugen wahr-
scheinlich zu dieser Kultur nicht wenig bei. Auch ist
es, trotz dieser Erklärung eines der einsichtigsten und
maßvollsten der neueren Geschichtsschreiber, nicht un-
möglich, daß Italien zu jener Zeit nicht besser ange-
baut war, als England gegenwärtig.
Das in einem Lande durch Handel und Industrie
erworbene Kapital ist jedoch ein sehr prekärer und
unsicherer Besitz, bis ein Teil von ihm in der Kultur
seines Bodens gesichert und realisiert ist. Ein Kaufmann
ist, wie man sehr richtig sagt, nicht notwendig der
Bürger eines bestimmten Landes. Es ist ihm höchst
gleichgültig, an welchem Ort er seinen Handel treibt,
und eine Kleinigkeit kann ihn veranlassen, sein Kapital
und mit ihm alle Gewerbtätigkeit, die es unterstützt,
von einem Lande nach einem anderen zu bringen.
Kein Kapital kann als zum Lande gehörig betrachtet
werden, ehe es nicht in Gebäuden oder in den dauern-
den Verbesserungen des Bodens so zu sagen über das
Land ausgebreitet wurde. Von dem großen Reichtum,
den die meisten Hansestädte besessen haben sollen, ist
jetzt keine Spur mehr übrig, außer in den vergessenen
Geschichten des dreizehnten und vierzehnten Jahrhun-
derts. Es ist sogar ungewiß, wo einige dieser Städte
gelegen haben, oder welchen europäischen Städten die
lateinischen Namen zukommen, die ihnen gegeben wa-
ren. In Italien hingegen haben zwar die Unglücksfälle,
die das Land am Ende des fünfzehnten und am An-
fange des sechzehnten Jahrhunderts zu erleiden hatte,
den Handel und die Industrie der lombardischen und
toskanischen Städte bedeutend verringert; aber diese
Länder gehören doch noch zu den bevölkertsten und
Kap. IV. : Dor städt. Yerkelir ein Förderer d. Landwirtschaft. 193
bestangebauten in Europa. Die Bürgerkriege Flanderns
und die darauf folgende spanische Herrschaft vernichte-
ten den großen Handel Antwerpens, Gents und Brüg-
ges; aber Flandern ist noch immer eines der reichsten,
bestangebauten und bevölkertsten Länder Europas. Die
gewöhnlichen Erschütterungen des Krieges und des
Staats trocknen leicht die Quellen des nur dem Handel
entsprossenen Reichtums aus; derjenige hingegen, der
aus den solideren Verbesserungen des Ackerbaues her-
vorgeht, ist weit dauerhafter, und kann nur durch die
gewaltsameren Zuckungen zerstört werden, wie sie durch
jahrhundertlange Verheerungen feindlicher und barba-
rischer Völkerschaften veranlaßt werden, und wie sie
einige Zeit vor und nach dem Falle des römischen
Reiches im Westen Europas stattgefunden haben.
Adam Smith, Volkswohlstand. 11. '<J
Viertes Buch.
Die Systeme der politischen Ökonomie.
Einleitung.
Die politische Ökonomie, als ein Zweig des Wis-
sens eines Staatsmanns oder Gesetzgebers betrachtet,
verfolgt zwei veischiedene Ziele: erstens, wie dem Volke
reichliches Einkommen oder Unterhalt zu verschaffen,
oder, richtiger, wie es instand zu setzen sei, sich selbst
ein reichliches Einkommen oder Unterhalt zu verschaf-
fen ; und zweitens, wie dem Staat oder Gemeinwesen
ein zur Bestreitung der öffentlichen Dienste hinreichen-
des Einkommen zu sichern sei. Sie hat den Zweck,
sowohl die Staatsbürger, als auch den Herrscher zu
bereichern.
Die verschiedene Entwicklung des Reichtums in
verschiedenen Zeitaltern und bei verschiedenen Völkern
hat zwei verschiedene Systeme der politischen Ökonomie
in Hinsicht auf das Ziel, das Volk zu bereichern, her-
vorgerufen. Das eine von ihnen kann das Handels-,
das andere das Landwirtschaftssystem genannt werden.
Ich werde beide so vollständig und deutlich, wie ich
kann, darzulegen suchen, und werde mit dem Handels-
s} stem beginnen. Es ist das neuere System und unser
Land wie unsere Zeit sind am besten damit vertraut.
Erstes Kapitel.
Grundsätze
des Handels- oder Merkantilsystems.
Daß der Reichtum in Geld oder in Gold und Silber
bestehe, ist eine vulgäre Vorstellung, die ihren natürlichen
Entstehungsgrund in der doppelten Funktion des Geldes
als Verkehrswerkzeug und als Wertmesser hat. In-
folge seiner Eigenschaft als Verkehrs Werkzeug können
wir, wenn wir Geld haben, uns alles, was wir brauchen,
leichter verschaffen, als mittelst jeder andern Ware.
Das Wichtigste ist immer, Geld zu haben. Wenn
wir das haben, hält es nicht schwer, jeden andern
Kauf zu machen. Infolge seiner Eigenschaft als Wert-
messer schätzen wir den Wert aller anderen Waren
nach der Menge Geldes, für die sie zu haben sind. Wir
sagen von einem reichen Manne, er sei viel, und von
einem armen, er sei wenig Geld „wert". Von einem
sparsamen Manne, d. h. einem Manne, der gern reich
sein möchte, sagt man, er liebe das Geld; und von
einem sorglosen, freigebigen oder verschwenderischen
Menschen, er achte das Geld nicht. Reich werden heißt
Geld erwerben; kurz, Vermögen und Geld werden
in der gewöhnlichen Sprachweise als durchaus gleich-
bedeutend angesehen.
Ein reiches Land, meint man, müßte ebenso wie
ein reicher Mann Überfluß an Geld haben; und Gold
und Silber in einem Lande anzuhäufen, sei der leichteste
Weg, es zu bereichern. Nach der Entdeckung Amerikas
pflegte die erste Frage der Spanier, wenn sie an einer
196 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
unbekannten Küste landeten, dahin zu lauten, ob Gold
oder Silber in der Gegend zu finden sei. Nach den
Nachrichten, die sie darüber einzogen, beurteilten sie,
ob es der Mühe lohne, sich daselbst niederzulassen, bezvv.
ob das Land der Eroberung wert sei. Piano Car[)ino,
ein Mönch, der vom König von Frankreich als Gesandter
zu einem der Söhne des berühmten Dschingiskhan ge-
sandt war, erzählt, die Taitaren hätten ihn oft gefragt,
ob es in Frankreich viele Schafe und Ochsen gebe?
Ihre Frage hatte denselben Zweck, wie die der Spanier ;
sie wollten wissen, ob das Land reich genug sei, um
die Eroberung zu verlohnen. Unter den Tartaren, wie
unter allen andern Hirtenvölkern, die gewöhnlich mit
dem Gebrauche des Geldes nicht bekannt sind, ist Vieh
das Verkehrswerkzeug und der Maßstab des Wertes.
Nach ihrer Ansicht bestand daher der ßeichtum in
Vieh, wie er nach der Ansicht der Spanier in Gold
und Silber bestand. Von beiden Ansichten kam viel-
leicht die tartarische der Wahrheit näher.
Locke findet folgenden Unterschied zwischen Geld
und anderen beweglichen Gütern. Alle anderen beweg-
lichen Güter, sagt er, sind so leicht zu verbrauchen, daß
man sich auf den in ihnen bestehenden Reichtum nicht
verlassen kann, und daß eine Nation, die in dem einen
Jahre einen Überfluß daran hat, im nächsten Jahre,
ohne alle Ausfuhr, sondern lediglich durch Verschwen-
dung, großen Mangel daran haben kann. Geld hingegen
sei ein beständiger Freund, der zwar von Hand zu Hand
wandere, aber wenn man verhindern kann, daß er aus
dem Lande geht, nicht leicht der Vergeudung und dem
Verbrauch ausgesetzt sei. Daher sei Gold und Silber
der solideste und wichtigste Teil des beweglichen Reich-
tums einer Nation, und die Vermehrung dieser Metalle
sollte deshalb, wie er meint, das Hauptziel der Staats-
wirtschaft sein.
Kap. T.: Griiiidsiltze des Haiulols- oder Merkantilsy.stcMiis. [97
Andere räumen ein, daß wenn ein Volk sich von
aller Welt isolieren könnte, wenig darauf ankommen
würde, wie viel oder wie wenig Geld bei ihm umlaufe.
Die Verbrauchsgegenstände, die mittelst dieses Geldes
in Umlauf kämen, würden nur für eine größere oder
kleinere Anzahl Geldstücke vertauscht werden ; aber
die tatsächliche Wohlhabenheit oder Armut des^Landes
würde, das geben sie zu, nur von dem Überfluß oder
dem Mangel dieser Verbrauchsgegenstände abhängen.
Anders hingegen, meinen sie, verhalte es sich mit Län-
dern, die mit fremden Völkern Verbindungen haben,
auswärtige Kriege zu führen genötigt sind und Flotten
und Heere in fernen Gegenden unterhalten müssen.
Dies könne, sagen sie, nur dadurch geschehen, daß zu
ihrer Bezahlung Geld außer Landes geschickt werde,
und ein Volk könne nicht viel wegschicken, wenn es
nicht viel habe. Mithin müsse jedes Volk in Friedens-
zeiten Gold und Silber aufhäufen, um eintretenden Falls
die Mittel zur Führung auswärtiger Kriege zu besitzen.
Infolge dieser vulgären Vorstellungen haben alle
europäischen Völker, freilich ohne sonderlichen Erfolg,
auf alle möglichen Mittel gesonnen, Gold und Silber in
ihren Ländern aufzuhäufen. Spanien nnd Portugal,
die die bedeutendsten Minen besitzen, aus denen Europa
mit diesen Metallen versorgt wird, haben ihre Ausfuhr
entweder unter den härtesten Strafen verboten oder
sie mit einer hohen Abgabe belegt. Ähnliche Verbote
scheinen früher bei den meisten anderen europäischen
Völkern gang und gäbe gewesen zu sein und finden
sich sogar, wo man es am wenigsten erwarten sollte,
in einigen alten schottischen Parlamentsakten, die die
Ausfulir von Gold und Silber aus dem Königreiche
bei schwerer Strafe untersagen. Die gleiche Politik
befolgten früher Frankreich und England.
Als diese Länder Handelsstaaton wurden, fanden die
198 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Kaufleute dies Verbot in vielen Fällen äußerst lästig.
Sie konnten oft die fremden Waren, die sie nach ihrem
Land einführen oder in andere fremde Länder bringen
wollten, vorteilhafter mit Gold oder Silber, als mit
jeder andern Ware kaufen. Sie machten daher gegen
das Verbot, als für den Handel schädlich, Vorstellungen.
Sie machten geltend, dali erstlich die Ausfuhr von
Gold und Silber zum Ankauf fremder Waren nicht
immer die Menge dieser Metalle im Reiche vermindere.
Im Gegenteil könne sie sie oft vei-grol^ern, weil jene
Waren, wenn sich ihr Verbrauch im Lande nicht ver-
mehre, nach fremden Ländern zurück exportiert werden
könnten, und dann, mit großem Gewinn verkauft, mehr
Geld zurückbrächten, als zu ihrem Ankauf fortgesendet
war. Mun vergleicht diese Tätigkeit des auswärtigen
Handels mit dem Säen und Ernten beim Ackerbau:
„Betrachten wir die Tätigkeit des Landwirts nur zur
Saatzeit, wo er viel gutes Korn in die Erde hineinwirft,
so werden wir ihn eher für einen Narren als für einen
Landwirt halten; sehen wir aber auf das Ziel seiner
Arbeiten in der Ernte, so werden wir den Wert und
reichen Erfolg seines Handels entdecken."
Zweitens machten sie geltend, daß das Verbot die
Ausfuhr von Gold und Silber nicht verhindern könne,
die wegen ihres im Verhältnis zum AVerte kleinen Um-
fangs leicht hinaus zu schmuggeln seien. Die Ausfuhr
könne nur durch gehörige Beachtung dessen, was sie
die Handelsbilanz nannten, verhütet werden. Wenn
das Land Waren in einem höheren Betrag ausführe
als einführe, so würden ihm fremde Völker einen Saldo
schuldig bleiben, der notwendig in Gold und Silber
bezahlt werden müsse und dadurch die Menge dieser
Metalle im Eeich vergrößere. Wenn hingegen das
Land Waren im höheren Betrag einfühle als ausführe,
so würde es fremden Nationen einen Saldo schuldig
Kap. I.: Grundsätze des Handels- oder Merkantilsvstems. 19g
bleiben, der diesen auf dieselbe Weise gezahlt werden
müsse und jene Menge verringern würde. In diesem
Falle könne das Verbot die Ausfuhr nicht verhüten,
sondern sie nur kostspieliger, weil gefahrvoller, machen.
Der Wechselkurs werde dadurch noch ungünstiger für
das schuldende Land, weil der Geschäftsmann, der einen
Wechsel auf das Ausland kaufe, dem Bankier, der ihn
verkauft, nicht nur das in der Natur der Sache liegende
llisiko, sowie die Mühe und Kosten der Versendung
des Geldes, sondern auch noch die aus dem Verbote
entstellende Gefahr vergüten müsse. Je mehr aber der
Wechselkurs gegen ein Land stehe, desto ungünstiger
werde auch die Handelsbilanz für es, weil das Geld
dieses Landes im Vergleich zu dem des Landes, das
die Bilanz für sich habe, notwendig um ebensoviel im
Werte sinken müsse. Sei z. B. der Wechselkurs zwi-
schen England und Holland 5°/o gegen England, so
würden in England 105 Unzen Silber nötig sein, um
einen Wechsel von 100 Unzen Silber auf England zu
kaufen; 105 Unzen Silber w^ären also in England nur
soviel wert, wie 100 Unzen in Holland, und würden
auch nur eine verhältnismäßige Menge holländischer
Waren kaufen; 100 Unzen Silber in Holland würden
dagegen soviel wert sein, wie 105 Unzen in England
und eine verhältnismäßige Menge englischer Waren
kaufen. Die englischen Waren, die man nach Holland
verkaufe, würden um die Differenz des Wechselkurses
wohlfeiler, und die holländischen Waren, die man nach
England verkaufe, um soviel teurer verkauft; das eine
würde um die Differenz des Wechselkurses weniger
holländisches Geld nach England, und das andere um
soviel mehr englisches Geld nach Holland ziehen ; und
die Handelsbilanz stehe mithin notwendig um soviel
ungünstiger für England und erfordere die Ausfuhr
eines größeren Saldo an Gold und Silber nach Holland.
200 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Diese Argumente waren teils richtig und teils so-
phistisch. Sie waren richtig, so weit sie anführten, daß
die Ausfuhr des Goldes und Silbers im Handel dem
Lande oft vorteilhaft sein könne und daß kein Verbot
ihre Ausfuhr zu verhüten vermöge, wenn Privatleute
bei dieser Ausfuhr Vorteil fänden. Sophistisch aber
waren sie in der Annahme, daI3 die Erhaltung oder
Vermehrung jener Metalle die Beachtung der Regierung
mehr verdiene, als die Erhaltung oder Vermehrung
jeder anderen nützlichen Ware, die bei der Freiheit
des Handels ohne jede Bedachtnahme von selbst in
der nötigen Menge vorhanden sein wird. Sophistisch
war auch vielleicht die Behauptung, der hohe Preis der
Wechsel vermehre notwendig die sogenannte ungünstige
Handelsbilanz, oder veranlasse die Ausfuhr einer grö-
ßeren Menge Goldes und Silbers. Dieser hohe Preis
war allerdings den Kaufleuten, die Geld ins Ausland
zu schicken hatten, sehr nachteilig, denn sie mußten
die Wechsel, welche sie von ihren Bankiers auf aus-
ländische Plätze erhielten, um so teurer bezahlen. Allein
das aus dem Verbot entspringende Risiko verursachte
zwar den Bankiers außergewöhnliche Kosten, aber des-
halb wurde nicht notwendig mehr Geld aus dem Lande
geführt. Diese Kosten wurden vielmehr gewöhnlich alle
im Lande verauslagt, um das Geld aus dem Lande zu
schmuggeln, und konnten kaum einen Sixpence mehr
als die gezogene Summe hinaustreiben. Auch mußte der
hohe Preis der Wechsel die Kaufleute bewegen, die Aus-
fuhr mit der Einfuhr womöglich ins Gleichgewicht zu
bringen, um den hohen Wechselkurs auf eine möglichst
kleine Summe zu bezahlen. Überdies mußte der hohe
Preis der Wechsel wie eine Steuer wirken, den Preis
der fremden Waren erhöhen und dadurch ihren Ver-
brauch vermindern. Er konnte daher die sogenannte
ungünstige Handelsbilanz und folglich die Ausfuhr
Kap. T. : Grundsätze des Handels- oder Merkantilsystems. 201
des Goldes und Silbers nicht vermehren sondern nur
vermindern.
Doch wie dem auch sei, diese Argumente überzeug-
ten die Leute, an die sie gerichtet waren. Sie waren von
Kaufleuten an Parlamente und Ministerien, an den Adel
und die Gentry gerichtet, d. h. von Leuten, die man
in Handelsangelegenheiten für sachverständig hielt, an
Leute, die recht wohl wußten, daß sie nichts davon
verständen. Daß der auswärtige Handel das Land be-
reichere, zeigte die Erfahrung dem Adel und der Gentry
so gut wie den Kaufleuten; aber in welcher Weise, das
wußte keiner von ihnen recht. Die Kaufleute wußten
vollkommen, in welcher Weise er sie bereicherte; es
Avar ihre Sache, das zu wissen; aber auf welche Art
er das Land bereichere, ging sie nichts an. Daran
dachten sie nur, w^enn sich eine Gelegenheit bot, vom
Lande eine Veränderung in den Gesetzen über den
auswärtigen Handel zu verlangen. Dann wurde es
nötig, etwas von den wohltätigen Wirkungen des aus-
wärtigen Handels zu reden und über die Art, wie diese
Wirkungen durch die bestehenden Gesetze gehemmt
würden. Den Richtern, die in der Sache zu entscheiden
hatten, schien es sehr einleuchtend, wenn man ihnen
sagte, daß der auswärtige Handel Geld ins Land bringe,
daß aber die fraglichen Gesetze ihn verhinderten, es
in dem Umfange zu tun, wie er es sonst könnte. Jene
Argumente hatten daher den gewünschten Erfolg.
Das Verbot der Gold- und Silberausfuhr war in Frank-
reich und England auf die Landesmünzen beschiänkt,
ausländische Münzen aber und Barren waren freigegeben.
In Holland und an einigen anderen Orten war diese Frei-
heit sogar auf die Landesmünze ausgedehnt. Die Auf-
merksamkeit der Regierung wurde von der Verhütung
der Gold- und Silberausfuhr abgezogen und auf die Über-
wachung der Handelsbilanz als der einzigen Ursache,
202 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
die eine Vermehrung oder Verminderung jener Metalle
bewirken könne, hingelenkt. Von einer fruchtlosen
Sorge wurde sie auf eine noch weit verwickeitere schwie-
riofere und doch ebenso fruchtlose g-elenkt. Der Titel
von Muns Buche: „Englands Schatz im auswärtigen
Handel" wurde ein Grundsatz in der politischen Ökono-
mie nicht allein Englands, sondern auch aller anderen
Handelsstaaten. Der inländische oder Binnenhandel,
der wichtigste von allen, der Handel in dem ein gleich
großes Kapital das größte Einkommen liefert und dem
Volke die ausgebroitetste Beschäftigung verschafft, wurde
nur als nebensächlich gegenüber dem auswärtigen Han-
del betrachtet. Der Binnenhandel, hieß es, bringe weder
Geld ins Land, noch führe er etwas hinaus. Das Land
könne also durch ihn weder reicher noch ärmer werden,
außer insofern seine Blüte oder sein Verfall indirekt
auf den Zustand des auswärtigen Handels Einfluß übe.
Ein Land, das keine eignen Bergwerke hat, muß
ohne Zweifel sein Gold und Silber aus fremden Ländern
beziehen, gerade wie ein Land, das keine eignen "Wein-
berge hat, seine Weine anderswoher beziehen muß. Es
scheint jedoch nicht nötig zu sein, daß der Staat seine
Aufmerksamkeit mehr auf den einen als auf den andern
Gegenstand verw'ende. Ein Land, das die Mittel hat,
AVein zu kaufen, wird immer soviel Wein erhalten, wie
es braucht; und ein Land, das die Mittel hat, Gold und
Silber zu kaufen, wird niemals um diese Metalle in Ver-
legenheit sein. Sie sind gleich allen anderen Waren
füi- einen gewissen Preis zu kaufen, und wie sie der
Preis aller anderen Waren sind, so sind diese wieder
der Preis jener Metalle. Wir können mit vollkommener
Sicherheit darauf rechnen, daß die Freiheit des Handels
uns ohne alle Fürsorge der Regierung stets mit soviel
Wein versorgen wird, wäe wir brauchen, und können mit
ebenso großer Sicherheit darauf rechnen, dadurch stets
Kap. T. : Gnindsät/e des Handels- oder INIerkantilsystems. 203
auch mit allem Golde und Silber versorgt zu werden, das
wir zu kaufen und, sei es zum Umlauf unsrer Waren
oder zu andern Zwecken, zu verwenden imstande sind.
Die Menge jeder Ware, die menschliche Betrieb-
samkeit entweder zu kaufen oder zu produzieren vermag,
richtet sich in jedem Lande nach der wirksamen Nach-
frage, d. h. nach der Nachfrage derjenigen, die bereit
sind, die gesamte Rente, Arbeit und Gewinn zu zahlen,
die für die Herstellung der Sache und für ihre Versen-
dung- nach dem Markte zu zahlen sind. Keine Ware
aber richtet sich leichter oder genauer nach dieser wirk-
samen Nachfrage, als Gold und Silber, weil wegen ihres
geringen Volumens und großen Wertes keine leichter
als diese Metalle von einem Orte nach dem anderen, von
Orten, wo sie wohlfeil, nach anderen, wo sie teuer sind,
von Orten, wo sie die wirksame Nachfrage überschreiten,
nach anderen, wo sie hinter ihr zurückbleiben, gebracht
werden kann. Ist z. B. in England eine Nachfrage
nach einer größeren Menge Goldes, so kann ein Paket-
boot fünfzig Tonnen Gold von Lissabon, oder wo es
sonst zu haben ist, hierherbringen, woraus mehr als
fünf Millionen Guineen geprägt werden. Ist dagegen
eine wirksame Nachfrage nach Getreide in ebenso hohem
Betrag vorhanden, so würden, die Tonne zu fünf Guineen
gerechnet, eine Million Schiffstonnen oder tausend
Schiffe von je tausend Tonnen Gehalt dazu nötig sein.
Die ganze englische Flotte reichte dazu nicht aus.
Wenn die in ein Land eingeführte Menge Goldes und
Silbers die wirksame Nachfrage übersteigt, so kann keine
Wachsamkeit der Regierung die Ausfuhr verhüten. All'
die harten Gesetze Spaniens und Portugals sind nicht im-
stande, ihr Gold und Silber im Lande zu halten. Die
fortwährenden P]infuhren aus Peru und Brasilien über-
steigen die wirksame Nachfrage jener T^änder und
drücken dort den Preis der Metalle unter das Niveau,
204 Vierte« Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
auf dem er in den benachbarten Ländern steht. Wenn
hingegen in einem Lande ihre Menge hinter der wirk-
samen Nachfrage zurückbleibt, so daß ihr Preis über
sein Niveau in den benachbarten Ländern steigt, so
hat die Regierung nicht nötig, sich um ihre Einfuhr
besondere Mühe zu geben. Selbst wenn sie die Ein-
fuhr zu verhindern strebte, würde sie nicht imstande
sein, dies durchzusetzen. Als die Spartaner die Mittel ge-
wonnen hatten, Gold und Silber zu kaufen, durchbrachen
diese Metalle alle Dämme, die die Lykurgischen Gesetze
ihrem Eingange nach Lacedämon entgegengesetzt hatten.
Alle harten Zollgesetze vermögen die Einfuhr des Tees
der ostindischen Gesellschaften Hollands und Gothen-
burgs nicht zu verhindern, weil ihr Tee etwas wohlfeiler
ist, als der der britischen Gesellschaft. Und doch ist
ein Pfund Tee von der besten Qualität, das mit 16 sh.
bezahlt wird, ungefähr hundertmal so groß wie die bez.
Menge Silbers und zweitausendmal so groß wie die bez.
Menge Gold, und folglich um soviel schwerer einzu-
schmuggeln.
Dem leichten Transport von Gold und Silber von
Orten, wo sie im Überfluß vorhanden sind, nach anderen,
wo sie fehlen, ist es teilweise zuzuschreiben, daß der
Preis dieser Metalle nicht fortwährend ebenso schwankt,
wie der der meisten anderen Waren, die durch ihren
Umfang gehindert sind, ihren Platz bei Uberfüllung
oder Entleerung des Marktes leicht zu verändern. Zwar
ist auch der Preis dieser Metalle nicht ganz von Schwan-
kungen frei, aber sie sind in der Regel langsam, allmählich
und gleichmäßig. Mannimmt z.B., vielleicht ohne rechten
Grund, an, daß in Europa diese Metalle im gegenwärtigen
und vorigen Jahrhundert wegen der beständigen Ein-
fuhren aus dem spanischen Westindien ununterbrochen
aber allmählich im Preise gesunken seien. Um jedoch
eine plötzliche Veränderung im Preise von Gold und
Kap. T. : Grundsätze dos Handels- oder Merkantilsy.stcms. 205
Silber hervorzubringen, so daß der Goldpreis aller
anderen Waren dadurch auf einmal auffallend gesteigert
oder gedrückt würde, dazu würde eine ähnliche Devo-
lution im Handel erforderlich sein, wie die, welche durch
die Entdeckung Amerikas veranlaßt worden ist.
Wenn trotz alledem einmal Gold und Silber in
einem Lande, das sie zu kaufen imstande ist, fehlen
sollten, so gibt es dafür mehr Ersatzmittel, als für jede
andere Ware. Wenn die Rohstoffe für die Industrie
fehlen, so muß diese in Stockung geraten. Fehlt es
an Lebensmitteln, so müssen die Leute darben. Doch
'wenn Geld fehlt, wird der Tausch an seine Stelle treten,
wenn er auch mit großen Unbequemlichkeiten verknüpft
ist. Kaufen und verkaufen auf Kredit und monatliche
oder halbjährige Abrechnung der Kaufleute würde das
Geld schon viel leichter ersetzen. Ein gut eingerichtetes
Papiergeld aber wird seine Stelle nicht nur ohne Unbe-
quemlichkeit, sondern oft sogar mit Vorteil ersetzen.
Die Fürsorge der Regierung wäre daher in keiner Hin-
sicht so unnütz angewandt, als in der Überwachung
der Goldmenge im Lande.
Gleichwohl ist keine Klage häufiger, als die über
Geldmangel. Geld, wie Wein, ist stets selten bei Leuten,
die keine Mittel haben, sie zu kaufen, noch Kredit, sie zu
borgen. Wer eines oder das andere hat, wird selten
um das Geld oder den Wein, die er braucht, verlegen
sein. Die Klage über Geldmangel wird jedoch nicht bloß
von leichtsinnigen Verschwendern erhoben. Man hört sie
zuweilen allgemein in einer Handelsstadt und ihrer Um-
gegend. Ihre gewöhnliche Ursache ist Überspekulation.
Nüchterne Männer, deren Unternehmungen nicht im
richtigen Verhältnis zu ihren Kapitalien stehen, haben
oft ebenso wenig Mittel, Geld zu kaufen, oder Kredit, es
zu borgen, wie Verschwender, deren Aufwand in keinem
richtigen Verhältnisse zu ihrem Einkommen steht. Ehe
206 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
ihre Unternehmungen etwas einbringen, ist ihr Kapital
dahin, und mit ihm ihr Kredit. Sie laufen überall um-
her, um Geld zu borgen, und jedermann antwortet ihnen,
er habe keines zu verleihen. Aber auch solche allgemeinen
Klagen über Geldmangel beweisen nicht immer, daß
nicht die gewöhnliche Zahl von Gold- und Silberstücken
im Lande umlaufe, sondern nur, daß sie vielen Leuten
fehlen, die nichts dafür zu geben haben. Wenn die
Handelsgewinno einmal größer sind, als gewöhnlich, so
verfallen in der Regel große wie kleine Geschäftsleute
in den Fehler einer zu großen Ausdehnung der Geschäfte.
Sie senden nicht immer mehr Geld als gewöhnlich aus'
dem Lande, aber sie kaufen im Lande selbst und aus-
wärts eine ungewöhnliche Menge von Waren auf Kredit,
die sie in der Hoffnung, daß die llimessen vor dem Zahl-
tage eingehen werden, auf entfernte Märkte senden. Die
Zahltage erscheinen jedoch vor dem Eingang der Ri-
messen, und sie haben nichts in Händen, womit sie ent-
weder Geld kaufen oder gute Sicherheit für Darlehen
geben könnten. Es ist also nicht ein Mangel an Gold
und Silber, sondern die Schwierigkeit, die es solchen
Leuten macht, zu borgen, und die, welche ihre Gläu-
biger haben, Zahlung zu erhalten, was jene allgemeine
Klage über Geldmangel verursacht.
Es würde zu lächerlich sein, allen Ernstes beweisen
zu wollen, daß Reichtum nicht in Geld oder in Gold
und Silber, sondern in dem besteht, was das Geld
kauft und dieser Kaufkraft wegen wert ist. Das Geld
macht ohne Zweifel immer einen Teil des National-
kapitals aus; aber es ist schon gezeigt worden, daß es
nur einen kleinen und immer den am wenigsten ein-
träglichen Teil von ihm ausmacht.
Nicht deshalb findet es der Kaufmann im allge-
meinen leichter, Waren mit Geld, als Geld mit Waren
zu kaufen, weil der Reichtum wesentlicher in Geld als
Kap. ].: Gninrlsätze des Handels- oder Merkantilsystcms. 207
Waren besteht, sondern deshalb, weil das Geld das be-
kannte und feststehende Verkehrswerkzeug ist, wofür
alle Dinge leicht in Umtausch gegeben werden, das
aber nicht immer mit gleicher Leichtigkeit für jedes
Ding in Tausch zu erhalten ist. überdies sind die
meisten Waren dem Verderben mehr ausgesetzt als
Geld, und der Kaufmann kann oft einen weit größeren
Verlust durch das Behalten der Ware als lediglich den
des Geldes erleiden. Wenn seine Waren ihm auf Lager
bleiben, ist er auch Geldforderungen, denen er nicht
nachzukommen vermag, mehr ausgesetzt, als wenn er
ihren Preis in seiner Kasse hat. Vor allem entspringt
sein Gewinn unmittelbarer aus dem Verkauf, als aus
dem Kauf, und aus all' diesen Gründen ist er gewöhn-
lich vielmehr darauf bedacht, seine AVaren gegen
Geld, als sein Geld gegen Waren zu vertauschen.
Ein Kaufmann kann bei einem noch so reichlich ge-
füllten Warenlager zuweilen ruiniert sein, weil er nicht
zur rechten Zeit verkaufen kann; ein Volk oder Land
dagegen ist solchen Unfällen nicht ausgesetzt. Das
ganze Kapital eines Kaufmanns besteht oft in leicht
verderblichen Waren, die Geld kaufen sollen; dagegen
ist es immer nur ein sehr kleiner Teil der jährlichen
Boden- und Arbeitsprodukte eines Landes, der von den
Nachbarn Gold und Silber einkaufen soll. Der bei weitem
größere Teil läuft unter ihnen selbst um und wird von
ihnen verbraucht, und selbst von dem Überschüsse, der
nach anderen Ländern gesandt wird, hat das Meiste ge-
wöhnlich die Bestimmung, ander'e ausländische Waren
zu erkaufen. Wäre daher Gold und Silber auch nicht
für die zum Ankauf dieser Metalle bestimmten Waren
zu haben, so ginge die Nation deshalb doch nicht zu
Grunde. Sie könnte allerdings dadurch Verlust und
Unbequemlichkeit erleiden und gezwungen sein, zu dem
einen oder andern der Ersatzmittel des Geldes zu greifen ;
allein das jährliche Boden- und Arbeitsprodukt würde
208 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
das nämliche oder beinahe das nämliche bleiben, weil
ein gleiches oder beinahe gleiches verzehrbares Kapital
anf go wendet werden würde, es zu erzielen. Obschon
Waren nicht immer ebenso leicht Geld verschaffen, wie
Gold Waren, so verschaffen sie es a^^f die Länge doch
gewisser, als dieses jene. Waren können zu manchen
anderen Zwecken dienen, als zum Kaufe von Geld; Geld
aber dient zu keinem anderen, als zum Kaufe von Waren.
Das Geld sucht also notwendig Waren auf, aber Waren
suchen nicht immer oder nicht notwendig das Geld
auf. Wer kauft, ist nicht stets gewillt, wieder zu
verkaufen, sondern will oft nur brauchen oder ver-
zehren, wogegen derjenige, der verkauft, immer wieder
zu kaufen beabsichtigt. Der eine kann oft mit dem
Kauf sein Geschäft beendet haben, der andere dagegen
hat immer nur die Hälfte der Arbeit getan. Nicht um
seiner selbst willen lieben die Menschen das Geld,
sondern um dessen willen, was sie damit kaufen künnen.
Verbrauchbare Waren, sagt man, gehen bald zu
Grunde, während Gold und Silber dauerhafterer Natur
sind und ohne fortwährende Ausfuhr leicht Menschen-
alter hindurch aufgehäuft werden könnten, zur unglaub-
lichen Vermehrung des wahren Reichtums des Landes.
Nichts könne daher für ein Land so schädlich sein, als
derjenige Handel, der im Vertauschen so dauerhafter
Waren gegen so vergängliche bestehe. Den Handel aber,
der im Tausch englischer Eisenwaren gegen französische
Weine besteht, sehen wir nicht für nachteilig an, ob-
gleich Eisenwaren sehr dauerhaft sind und ohne die
fortwährende Ausfuhr leicht Jahrhunderte hindurch
aufgehäuft werden könnten, zur unglaublichen Vermeh-
rung der Töpfe und Pfannen des Landes. Allein es
leuchtet ein, daß die Zahl solcher Utensilien in jedem
Lande notwendig durch den Gebrauch begrenzt ist, den
man davon machen kann; daf3 es albern sein v/ürde.
Kap. T.: Grundsätze dos Handels- oder Merkantilsvstems. 209
mehr Töpfe und Pfannen zu haben, als zum Kochen der
Lebensmittel, die gewöhnlich verbraucht werden, nötig
sind ; und daß, wenn die Menge der Lebensmittel zu-
nimmt, zugleich mit ihr die Zahl der Töpfe und Pfannen
leicht vermehrt werden kann, indem ein Teil des Zu-
wachses an Lebensmitteln dazu verwendet würde, sie zu
kaufen, oder mit andern Worten, eine weitere Anzahl
Arbeiter damit ernährt würde, deren Geschäft es ist, sie
zu verfertigen. Ebenso leicht sollte es einleuchten, daß
in jedem Lande die Menge Gold und Silber durch den
Bedarf an diesen Metallen begrenzt ist; daß man ihrer
bedarf, um als Münzen Waren in Umlauf zu setzen oder
als Geschirr eine Sorte Hausgerät zu liefern; daß die
Menge gemünzten Geldes sich in jedem Lande nach dem
Betrage der damit in Umlauf gesetzten Waren richtet,
so daß, wenn sich dieser Betrag vermehrt, sofort ein Teil
der Waren ins Ausland gesendet wird, um die frische
Menge Geldes zu kaufen, die nötig ist, um sie in Umlauf
zu setzen; daß die Menge des Gold- und Silbergerätes
sich nach der Zahl und dem Iveichtum der Familien
richtet, die sich einen solchen Luxus erlauben können,
so daß, wenn sich die Zahl und der Reichtum solcher
Familien vermehrt, höchst wahrscheinlich ein Teil des
vermehrten Reichtums dazu verwendet werden wird, eine
neue Menge goldener und silberner Geräte da zu kaufen,
wo man sie eben findet; und daß es endlich ebenso töricht
wäre, den Reichtum eines Landes durch Einfuhr oder
Zurückhalten einer unnötigen Menge Goldes und Silbers
vermehren zu wollen, wie es töricht wäre, einer Familie
dadurch zu einer besseren Mahlzeit verhelfen zu w'ollen,
daß man sie zwänge, eine unnötige Menge Küchenge-
rät zu halten. Wie die Kosten dieses unnötigen Ge-
rätes die Menge oder die Güte der für den Haushalt
erforderlichen Lebensmittel vermindern, aber nicht ver-
mehren würden, so würden auch in einem Lande die
Adam Smitb, Volkswohlstand. II. 1-t:
210 Viertes Burli: Die Svstpino der politischen Ökonomie,
Kosten des Ankaufs einer unnötigen Menge Goldes und
Silbers notwendig das Vermögen schmälern, das dem
Volke Nahrung, Kleidung, Wohnung, Unterhalt und
Arbeit verschafft. Gold und Silber sind, wie man fest-
halten muß, sei es als Münze oder als Geschirr, genau
ebenso Geräte, wie das Küchengeschirr. Vermehrt sich
der Bedarf an ihnen, vermehren sich die verzehrbaren
Waren, die damit in Umlauf gesetzt oder daraus ver-
fertigt werden, so wird sich unfehlbar auch die Menge
jener Metalle vermehren. Versuchte man hingegen,
diese Menge durch außerordentlicheMittel zu vermehren,
so würde sich ebenso unfehlbar der Bedarf und damit
zugleich die Menge vermindern, die niemals den Be-
darf übersteigen kann. Sollten sie jemals über dies
Maß hinaus zunehmen, so ist ihre Versendung so leicht
und der Verlust, wenn sie müßig und unbenutzt liegen,
so groß, daß kein Gesetz, ihre sofortige Ausfuhr aus
dem Lande verhindern kcinnte.
Es ist nicht immer notwendig, Gold und Silber
aufzuhäufen, um ein Land in den Stand zu setzen,
auswärtige Kriege zu führen und in entfernten Gegenden
Flottefi und Heere zu unterhalten. Flotten und Heere
unterhält man nicht mit Gold und Silber, sondern mit
verzehrbaren Waren. Ein Volk, das durch das Jahres-
produkt seines heimischen Fleißes, durch das jährliche
Einkommen aus seinem Grund und Boden, seiner Arbeit
und seinem verzehrbaren Vorrat die Mittel gewinnt,
jene verbrauchbaren AVaron in entfernten Gegenden zu
kaufen, kann dort auch Kriege führen.
Der Sold und die Lebensmittel für ein Heer in
einem entfernten Lande lassen sich auf dreierlei Art
beschaffen, erstens durch Hinsendung eines Teils des
angesammelten Gold- und Silbervorrats, zweitens eines
Teils vom Jahresprodukt der Industrie, oder endlich
eines Teils der landwirtschaftlichen Produkte.
Kap. I.: Grundsätze des Handels- oder Merkantilsvstems. 211
Das in einem Lande vorhandene oder angesammelte
Gold und Silber kann man in drei Gattungen einteilen :
erstens das umlaufende Geld, zweitens die Geräte der
Familien und drittens das Geld, welches durch langjäh-
rige Sparsamkeit gesammelt und im Schatz des Fürsten
niedergelegt ist.
Von dem umlaufenden Gelde des Landes kann nur
selten viel entbehrt werden, weil selten ein Überfluß
davon vorhanden sein kann. Der Betrag der in einem
Lande jährlich gekauften und verkauften Waren erfor-
dert eine gewisse Menge Geldes, um die Waren in L^m-
lauf zu setzen und an ihre eigentlichen Verbraucher zu
verteilen: mehr aber ist nicht verwendbar. Der Um-
laufskanal zieht eine zu seiner Füllung hinreichende
Summe an sich, und läßt niemals mehr zu. Doch wird
gewöhnlich bei einem auswärtigen Kriege diesem Kanal
etwas entzogen. Da eine große Zahl von Menschen
außerhalb unterhalten wird, so werden weniger im Lande
selbst unterhalten. Es sind daselbst weniger Waren im
Umlaufe und es ist weniger Geld dazu nötig, sie in
Umlauf zu setzen. Auch wird bei solchen Gelegenheiten
gewöhnlich eine größere Menge Papiergeld dieser oder
jener Art, wie Schatzkammerscheine, Admiralitäts-
wechsel und in England Banknoten, ausgegeben, und
da dasselbe die Stelle des umlaufenden Goldes und Sil-
bers vertritt, so wird dadurch dje Ausfuhr einer größeren
Menge des letzteren ermöglicht. Alles dies wäre jedoch
nur eine dürftige Hilfs(|uelle zur Führung eines kost-
spieligen und mehrere Jahre lang dauernden Krieges.
Das Einschmelzen des Gold- und Silbergeräts der
Privatleute hat sich auf alle Fälle als noch unwirksamer
erwiesen. Die Franzosen hatten beim Beginn des letz-
ten Kriegs von diesem Mittel nicht so viel Nutzen, um
den Verlust der Fasson zu ersetzen.
Die angesammelten Schätze des Fürsten boten in
212 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
früheren Zeiten eine weit grüi^ere und dauerndere Hilfs-
quelle dar. Gegenwärtig scheint mit Ausnahme des
Königs von Preußen kein europäischer Fürst einen
Staatsschatz anzusammeln.
Die Fonds, aus denen die auswärtigen Kriege dieses
Jahrhunderts, die kostspieligsten vielleicht, die je da-
gewesen sind, bestritten wurden, scheinen die Ausfuhr
des umlaufenden Geldos oder der Gold- und Silbergeräte
der Privaten oder des fürstlichen Schatzes wenig berührt
zu haben. Der letzte französische Krieg kostete Groß-
britannien mehr als 9U Millionen, mit Einschluß nicht
nur der 75 Millionen neu hinzugekommener Staatsschul-
den, sondern auch der zwei Zuschlags-Schillinge auf
jedes £ Grundsteuer und der jährlichen Darlehen aus
dem Tilgungsfonds. Mehr als zwei Drittel dieser Summe
wurde in fernen Ländern ausgegeben: in Deutschland,
Portugal, Amerika, in den Häfen des mittelländischen
Meeres, in Ost- und Westindien. Die Könige von Eng-
land hatten keinen Staatsschatz. Nie hat man davon
gehört, daß eine außergewöhnliche Menge von Geräten
eingeschmolzen worden wäre. Das im Lande umlaufende
Gold und Silber wird auf nicht mehr als achtzehn
Millionen geschätzt, doch gilt diese Schätzung nach der
letzten Umprägung des Goldes als zu gering. Nehmen
wir daher nach der übertriebensten Berechnung, von der
ich je gesehen oder gehört habe, an, daß der Umlauf in
Gold und Silber zusammen 30 Millionen £ betrug.
Wäre der Krieg mittelst unseres Geldes geführt worden,
so würde auch nach dieser höchsten Berechnung das
ganze Geld in einem Zeitraum von sechs bis sieben
Jahren zwei mal hin und her geschickt worden sein.
Dies angenommen, würde es den sprechendsten Beweis
liefern, wie unnötig die Überwachung des Geldumlaufs
durch die Begiorung ist, da nach jener Voraussetzung
das oanze Geld des Landes in einer kurzen Zeit zweimal
Kap. I.: Grundsätze des Handels- oder ]\Ierkantilsystems. 213
hin und her gegangen sein muß, ohne daß irgend ein
Mensch etwas davon gemerkt hat. Der Umlaufskanal
war anscheinend keinen Augenblick leerer, als er sonst
zu sein [)t'legte. Es fehlte wenig Leuten an Geld, wenn
sie nur Mittel hatten, es zu kaufen. Die Gewinne des
Außenhandels sind während des ganzen Krieges, nament-
lich aber gegen sein Ende, größer als gewöhnlich. Dies
verursachte, wie gewöhnlich, eine allgemeine Überspe-
kulation in allen großbritannischen Häfen, und daraus
entstand wieder die gewöhnliche auf jedeÜberspekulation
folgende Klage über Geldmangel. Nun fehlte es vielen
Leuten an Geld, da sie weder Mittel hatten, es zu
kaufen, noch Kredit, es zu borgen: und weil die Schuld-
ner es schwer fanden zu borgen, war es auch für die
Gläubiger schwer, Bezahlungzu erhalten. Fürdiejedoch,
die den AVert des Goldes und Silbers bezahlen konn-
ten, war es auch für diesen Wert zu haben.
Die ungeheuren Kosten des letzten Krieges müssen
also nicht durch die Ausfuhr von Gold und Silber, son-
dern durch die britischer Waren dieser oder jener Art
bestritten worden sein. Wenn die Regierung, oder
wer in ihrem Namen handelte, mit einem Kaufmann
Rimessen nach dem Auslande verabredete, so suchte die-
ser natürlich seinen auswärtigen Korrespondenten, auf
den er einen Wechsel zog, lieber durch AVarcn als
durch Geld zu bezahlen. War für britische Waren dort
kein Begehr, so suchte er sie in ein anderes Land zu
senden, wo er einen Wechsel auf das erstere kaufen
konnte. Die Versendung von Waren auf einen geeig-
neten Markt wirft stets erheblichen Gewinn ab, die
Versendung von Gold und Silber selten irgend einen.
Werden diese Metalle behufs Ankaufs fremder Waren
weggesendet, so entspringt der Gewinn des Kaufmanns
nicht aus dem Kaufe, sondern aus dem Verkaufe der
Rückladung. Werden sie aber bloß zur Bezahlung einer
214 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Schuld fortgeschickt, so erhält er nichts dafür zurück
und macht folghch keinen Gewinn. Darum sinnt er auf
Mittel, seine auswärtigen Schulden durch Ausfuhr von
Waren und nicht von Gold und Silber zu bezahlen.
Daher ist von dem Verfasser des Buches : „the present
state of the nation" mit Recht auf die große Ausfuhr
britischer Waren während des letzten Kriegs, ohne ent-
sprechende Einfuhr, aufmerksam gemacht worden.
Außer den oben erwähnten drei Sorten von Gold
und Silber gibt es in allen großen Handelsstaaten eine
ganze Anzahl Barren, die zum Behuf des auswärtigen
Handels abwechselnd ein- und ausgeführt werden. Da
diese Barren unter den verschiedenen Handelsstaaten auf
gleiche Weise umlaufen, wie die Landesmünze in jedem
einzelnen Lande, so kann man sie als das Geld der großen
Handelsrepublik ansehen. Die Landesmünze erhält ihre
Bewegung und Richtung von den Waren, die innerhalb
eines einzelnen Gebietes umlaufen; das Geld der Handels-
republik erhält sie von denen, die zwischen verschie-
denen Ländern in Umlauf sind. Beide dienen zur Er-
leichterung der Tausche: jene zwischen verschiedenen
Individuen desselben Volks, diese zwischen den Indi-
viduen verschiedener Völker. Etwas von diesem Gelde
der großen Handelsrepublik kann wohl zur Führung
des letzten Krieges verwendet worden sein und ist
wahrscheinlich in der Tat so verwendet worden. Natür-
lich wird es in der Zeit eines allgemeinen Krieges eine
andere Bewegung und Richtung erhalten, als die, welche
es mitten im tiefsten Frieden einhält; es wird mehr auf
dem Schauplatze des Krieges umlaufen und mehr dazu
dienen, dort und in benachbarten Gegenden den Sold
und Unterhalt der verschiedenen Armeen zu bezahlen.
AV^ie viel aber auch Großbritannien von diesem Gelde der
Handelsrepublik jährlich gebraucht haben mag, so mul.i
das Land es doch alle Jahre entweder mit britischen
Kap. I.: Grundsätze dos ITandels- oder iMerkantilsy.stems. 215
Waren oder mit sonst etwas, das mittelst dieser Waren
gekauft worden war, angeschafft haben, und dies führt
uns doch wieder zu dem jährlichen Boden- und Arbeits-
ertrage des Landes als der schließlichen Hilfsquelle der
Kriegsführung zurück. Natürlich muß ein so großer
jährlicher Aufwand mit einem großen jährlichen Ertrag
bestritten worden sein. So beliefen sich z. ß. die Aus-
gaben 1761 auf mehr als neunzehn Millionen. Keine
Ansammlung hätte eine so große jährliche Verschwen-
dung ertragen können. Keine Produktion, selbst nicht
die Gold- und Silberproduktion, hätte dazu hingereicht.
Alles Gold und Silber, das in einem Jahre nach Spanien
und Portugal eingeführt wird, beläuft sich nach den
besten Quellen gewöhnlich nicht auf viel über 6 Milli-
onen £, was in gewissen Jahren kaum hingereicht hätte,
die Kriegskosten für vier Monate zu decken.
Die Waren, die sich am besten zur Ausfuhr in
ferne-Länder eignen, um daselbst entweder den Sold und
Unterhalt eines Heeres oder einen Teil des hierzu be-
stimmten Geldes der Handelsrepublik zukaufen, scheinen
die feineren und künstlichen Fabrikate zu sein, die bei
kleinem Umfang großen Wert haben und deshalb mit
wenigen Kosten weit versandt werden können. Ein Land,
dessen Industrie einen großen jährlichen Überschuß an
solchen Fabrikaten, die im xlusland Absatz finden, her-
vorbringt, kann jahrelang einen kostspieligen Krieg aus-
halten, ohne viel Gold und Silber auszuführen, oder über-
haupt viel zur Ausfuhr übrig zu haben, iillerdings muß
in diesem Falle ein beträchtlicher Teil des jährlichen
Überschusses seiner Fabrikate ausgeführt werden, ohne
dem Lande einen Ersatz zurückzubringen, wiewohl ihn
der Kaufmann erhält; denn die Regierung kauft letzterem
seine Wechsel aufs Ausland ab, um dort den Sold und
Unterhalt einer Armee damit zu bezahlen. Ein Teil
jenes Überschusses kann auch dem Lande noch etwas
216 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
zurückbringen. Im Kriege pflegt an die Fabrikanten
eine doppelte Nachfrage heranzutreten, und sie finden
sich berufen, erstens Waren zur Ausfuhr herzustellen,
mit denen die aufs Ausland behufs Bezahlung des Soldes
und Unterhalts der Armee gezogenen AVechsel gezahlt
werden können, und zweitens diejenigen Waren, die
zum Ankauf der gewöhnlichen Rückladungen dienen
sollen, die im Lande selbst verbraucht zu werden pflegen.
Daher können oft mitten im verheerendsten auswärtigen
Kriege die meisten Fabriken in großem Flor stehen und
umgekehrt bei Wiederkehr des Friedens zurückgehen.
►Sie können mitten im E-uin ihres Landes blühen und
mit der Wiederkehr seines Wohlstandes verfallen. Die
Verschiedenheit der Lage vieler britischer Industrie-
zweige während des letzten Krieges und einige Zeit
nach dem Frieden können zur Erläuterung des eben
Gesagten dienen.
Kein sehr kostspieliger odei' lange dauernder aus-
wärtiger Krieg kann füglich durch Ausfuhr von Roh-
produkten bestritten werden. Die Ti-ansportkoston einer
so großen Menge davon, daß der Sold und Unterhalt
eines Heeres damit bezahlt werden könnte, wären zu
groß. Auch bringen nur wenige Länder viel mehr
Rohprodukte hervor, als zum Unterhalt der eigenen Be-
wohner hinreicht. Eine große Menge von ihnen hinaus-
senden, hieße also einen Teil der dem Volke unentbehr-
lichen Unterhaltsmittel wegsenden. Anders verhält es
sich mit der Ausfuhr von Fabrikaten. Der Unterhalt
der mit ihrer Verfertigung beschäftigten Leute bleibt
im Lande, und nur der ÜberschufJ ihrer Arbeiten wird
ausgeführt. Hume macht wiederholt auf die Unfähig-
keit der alten Könige von England aufmerksam, ohne
Unterbrechung einen langwierigen auswärtigen Krieg
zu führen. Die Engländer jener Zeit hatten, um den
Sold und Unterhalt ihrer Heere im Auslande zu kaufen,
Kap. I.: Grundsätze des Handels- oder Merkantilsysteins. 217
nichts weiter, als entweder die Rohprodukte ihresBodens,
von denen dem heimischen Verbrauch nicht viel ent-
zogen werden konnte, oder einige wenige Fabrikate
der gröbsten Art, deren Versendung gleich der der
Rohprodukte zu kostspielig war. Jene Unfähigkeit ent-
sprang nicht aus dem Geldmangel, sondern dem Mangel
an feineren und künstlicheren Fabrikwaren. Kaufen und
Verkaufen w urde in England damals wie jetzt mittelst
des Geldes bewirkt. Die Summe des umlaufenden Geldes
mut3 sich damals zu der Zahl und dem Werte der durch-
schnittlich en Käu fe und Verkäufe ebenso verhalten haben ,
wie jetzt, oder muß vielmehr größer gewesen sein, weil
es damals kein Papiergold gab, welches jetzt zum großen
Teil die Stelle des Goldes und Silbers vertritt. Unter
Völkern, die wenig Handel und Industrie kennen, kann
aus Gründen, die wir später entwickeln werden, der
Landesherr bei außerordentlichen Gelegenheiten nur
selten viel Beistand von seinen Untertanen erhalten.
In solchen Ländern sucht er daher in der Regel einen
Schatz zu sammeln, der in Fällen der Not seine einzige
Zuflucht ist. Aber auch abgesehen von dieser Not-
wendigkeit ist er in einer Lage, welche der zur Samm-
lung eines Schatzes erforderlichen Sparsamkeit günstig
ist. In einfachen Verhältnissen ist der Aufwand selbst
des Landesherrn nicht von der eiteln Lust an einer
glänzenden Hofhaltung bestimmt, sondern wird zu
Gnadenbezeugungen für die Lehnsleute und zur Gast-
freiheit gegen das Gefolge verwendet. Freigebigkeit
und Gastlichkeit arten aber sehr selten in Verschwendung
aus, wie es die Eitelkeit fast immer tut. Jeder Tar-
tarenfürst hat demzufolge einen Schatz. Die Schätze
des Mazeppa, desKosackenhäuptlings in der Ukraine und
berühmten Bundesgenossen Karls XII., sollen sehr gro]3
gewesen sein. Die merovingischen Könige von Frank-
reich hatten jeder einen Schatz, und wenn sie ihr Reich
218 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
unter ihre Kinder teilten, teilten sie auch den Schatz.
Die sächsischen Fürsten und die ersten Könige nach der
Eroberung scheinen ebenfalls einen Schatz angesammelt
zu haben. Der erste Schritt jedes neuen Regenten war,
sich des Schatzes des vorigen Königs zu bemächtigen,
denn dies sicherte die Nachfolge am besten. Die Fürsten
zivilisiei'ter und handeltreibender Staaten haben es nicht
in dem Grade nötig, einen Schatz aufzuhäufen, weil sie
in außerordentlichen Fällen gewöhnlich außerordentliche
Beihülfe von ihren Untertanen erhalten können, und
sind deshalb auch weniger darauf bedacht. Sie folgen
naturgemäß oder vielleicht notgedrungen der Mode der
Zeit, und ihr Aufwand richtet sich nach derselben über-
triebenen Eitelkeit, die den Aufwand aller übrigen großen
Eigentümer in ihren Staaten leitet. Der bedeutungs-
lose Prunk ihres Hofes wird von Tag zu Tag glänzender,
und die Ausgaben für ihn verhindern nicht nur die
Ansammlung, sondern greifen auch oft den zu nötigeren
Ausgaben bestimmten Fonds an. Was Dercyllidas vom
persischen Hofe sagte, daß er dort viel Glanz, aber
wenig Kraft, viele Diener, aber wenig Krieger gesehen
habe, läßt sich auch auf den Hof mancher europäischen
Fürsten anwenden.
Die Einfuhr von Gold und Silber ist nicht der wich-
tigste, und noch weit weniger der einzige Gewinn, den
eine Nation aus ihrem auswärtigen Handelzieht. Zwischen
welchen Plätzen auch der auswärtige Handel getrieben
wwden mag: sie haben alle zwei verschiedenartige Vor-
teile von ihm. Er führt den Überschuß ihrer Boden-
und Arbeitsprodukte, wonach im Lande keine Nachfrage
ist, aus, und bringt dafür etwas anderes zurück, was
im Lande begehrt wird. So gibt er dem, was für sie
Überfluß ist, durch Austausch gegen etwas anderes,
das einen Teil ihrer Bedürfnisse befriedigen und ihre
Genüsse vermehren kann, einen Wert. Die Schranken
Kap. I.: Grundsätze ties Handels- oder ]\[erkantilsystems. 219
des heimischen Marktes werden durch seine Dazwischen-
kunft kein Hindernis, die Teilung der Arbeit in jedem
Industriezweige bis zur höchsten Vollkommenheit zu ent-
wickeln. Indem er einen ausgedehnteren Markt für den
Überschuß der i^rbeitserzeugnisse eröffnet, ermutigt
er zur Vervollkommnung der hervorbringenden Kräfte,
zur äußersten Vermehrung der Jahresproduktion und
dadurch zur Vergrößerung des wahren Einkommens und
Reichtums des Volkes. Diese großen und wichtigen
Dienste leistet der auswärtige Handel unausgesetzt allen
Ländern, zwischen denen er getrieben wird. Sie alle
haben großen Vorteil von ihm, den größten aber das-
jenige, in dem der Kaufmann seinen Sitz hat, da dieser
sich gewöhnlich die Befriedigung des Bedarfs seines
eignen Landes und die Ausfuhr von seinem Überfluß
am meisten angelegen sein läßt. Die Einfuhr des nötigen
Goldes und Silbers in Länder, die keine Bergwerke
haben, ist ohne Zweifel ein Gegenstand des auswärtigen
Handels, aber jedenfalls nur ein höchst unbedeutender.
Ein Land, das lediglich in dieser Absicht auswärtigen
Handel triebe, würde kaum in einem Jahrhundert ein
Schiff zu befrachten haben.
Nicht durch die Einfuhr von Gold und Silber hat die
Entdeckung Amerikas Europa reicher gemacht. Durch
den lleichtum der amerikanischen Minen sind diese Me-
talle wohlfeiler geworden. Silbergerät kann jetzt für
etwa den dritten Teil des Getreides oder der Arbeit se-
kauft werden, die es im fünfzehnten Jahrhundert gekostet
haben würde. Mit dem nämlichen Aufwände von Arbeit
und Waren kann Europa jährlich etwa dreimal soviel
Silbergeschirr kaufen, als zu jener Zeit. Wenn aber eine
Ware für den dritten Teil des bisherigen Preises ver-
kauft wird, so können nicht nur die früheren Käufer
dreimal soviel davon kaufen, sondern sie ist nun auch
für eine weit größere Zahl von Käufern, vielleicht für
220 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
zehn- oder zwanzigraal mehr als früher, erreichbar ge-
Avorden, so daß jetzt nicht dreimal, sondern zvvanzig-
oder dreiliigmal soviel Silbergeschirr in Europa sein
kann, als selbst bei dem jetzigen Kulturzustande vorhan-
den sein würde, wenn die amerikanischen Minen nicht
entdeckt worden wären. Insofern hat Kuropa allerdings
einen wirklichen, wenn auch sehr unbedeutenden Vorteil
gewonnen. Die Wohlfeilheit des Goldes und Silbers
macht diese Metalle eher weniger zu Münzen geeignet,
als sie es früher waren. Um die nämlichen Käufe zu
machen, müssen wir uns jetzt mit einer größeren Menge
dieser Münzen beladen und einen Schilling bei uns tragen,
wo vorher ein Grot (4 d.) genügte. Es ist schwer zu
sagen, was geringfügiger ist, dieser Nachteil oder jener
Vorteil. Keins von beiden konnte im Zustand Europas
eine wesentliche Veränderung hervorbringen. Dennoch
hat die Entdeckung Amerikas gewiß eine sehr wichtige
Veränderung hervorgebracht. Indem sie allen Waren
Europas einen neuen und unerschöpflichen Markt öffnete,
gab sie zu neuen Arbeitsteilungen und technischen Ver-
besserungen Anlaß, die in dem engen Kreise des frühe-
ren Handels aus Mangel an einem für den größten Teil
seiner Erzeugnisse hinreichend aufnahmefähigen Markte
nie hätten Platz greifen können. Die produktiven
Kräfte der Arbeit entwickelten sich, und ihr Erzeugnis
und mit ihm das wahre Einkommen und der wahre
Reichtum der Einwohner nahm in allen Ländern Europas
zu. Fast alle europäischen Waren waren für Amerika
neu und viele waren es für Europa. So entstand eine
neue lioihe von Tauschen, an die man vorher nie ge-
dacht hatte, und die für den neuen Erdteil ebenso
vorteilhaft hätten werden können, wie sie es für den
alten unstreitig waren. Allein die barbarische Unge-
rechtigkeit der Europäer machte ein Ereignis, das für
alle wohltätig sein konnte, für manche dieser un-
glücklichen Länder verderblich und zerstörend.
Kap. 1.: Onindsätzo dos Handels- oder Morkantilsystoms. 221
Die ziemlich gleichzeitige Entdeckung eines Weges
nach Ostindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung
eröffnete trotz der größeren Entfernung dem auswärtigen
Handel vielleicht einen noch größeren Spielraum, als
selbst die Entdeckung Amerikas. In Amerika gab es
nur zwei Völkerschaften, die höher als die Wilden standen,
und diese wurden fast zu gleicher Zeit vertilgt wie ent-
deckt. Die übrigen waren vollständig wild. Dagegen
waren China, Hindostan, Japan, so wie mehrere andere
ostindische Eeiche, ohne ergiebige Gold- und Silberminen
zu besitzen, in jeder anderen Beziehung weit reicher, kul-
tivierter und in Künsten und Gewerben vorgeschrittener,
als Mexiko oder Peru, selbst wenn wir den übertriebenen
durchaus unglaubwürdigen Berichten spanischer Schrift-
steller über den alten Zustand jener Reiche Glauben
schenken wollten. Reiche und zivilisierte Nationen
können aber stets mit einander viel größere Werte
austauschen als mit Wilden und Barbaren. Gleichwohl
hat Europa bisher von seinem Handel mit Ostindien
viel weniger Vorteil gezogen, als von dem mit Amerika.
Die Portugiesen mono[)olisierten den ostindischen
Handel fast ein Jahrhundert lang für sich, und die
übrigen europäischen Nationen konnten nur mittelbar
durch die Portugiesen Waren nach jenem Lande
senden oder von dorther empfangen. Als die Holländer
im Anfange des vorigen Jahrhunderts die Portugiesen
zu verdrängen anfingen, überließen sie ihren ganzen
Ostindien-Handel einer privilegierten Gesellschaft. Eng-
länder, Franzosen, Schweden und Dänen folgten
diesem Beispiel, so daß bis jetzt keine einzige große
europäische Nation den Vorteil freien Verkehrs nach
Ostindien gehabt hat. Dies erklärt hinreichend, warum
dieser Verkehr niemals so vorteilhaft gewesen ist, wie
der nach Amerika, der zwischen fast allen europä-
ischen Nationen und ihren Kolonien für alle Staats-
222 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
bürger frei war. Die aussoliließenden Privilegien jener
ostindischen Gesellschaften, ihre großen ßeichtümer,
die hohe Begünstigung und Beschützung, die diese
ihnen seitens der Regierungen verschafften, haben
vielen Neid gegen sie erregt. Dieser Neid hat oft
ihren Handel als durchaus verderblich geschildert,
weil er alle Jahre so große Mengen Silbers aus dem
Lande führe. Die Gegenpartei hat erwidert, ihr Handel
könne wohl durch die stete Silberausfuhr Europa im
allgemeinen ärmer machen, aber nicht das einzelne
Land, von dem der Handel getrieben werde: denn
durch die Ausfuhr eines Teils der Rückladungen nach
anderen europäischen Ländern komme jährlich eine
weit größere Summe jenes Metalls ins Land, als aus-
geführt worden sei. Sowohl jener Vorwurf, als diese
Antwort gründen sich auf die populäre Vorstellung,
die ich eben geprüft habe; es ist daher unnötig, mehr
darüber zu sagen. Wegen der jährlichen Silberaus-
fuhr nach Ostindien ist wahrscheinlich das Silberge-
schirr in Europa etwas teurer, als es sonst sein würde,
und das gemünzte Silber verschafft wahrscheinlich
eine größere Menge Arbeit und AVaren. Die erste
dieser beiden Wirkungen ist ein sehr geringfügiger
Verlust, die letztere ein sehr kleiner Vorteil; beide
sind zu unbedeutend, um irgendwie von Seiten des
Staates Aufmerksamkeit zu verdienen. Dadurch daß
der Handel nach Ostindien den europäischen Waren,
oder, was so ziemlich dasselbe ist, dem mit diesen
Waren gekauften Gold und Silber einen Markt eröffnet,
muß er notwendig die jährliche Produktion europä-
ischer Waren, und folglich den wahren Reichtum und
das wahre Einkommen Europas vermehren. Daß er
es bis heute so wenig getan hat, ist wahrscheinlich
den Einschränkungen zu danken, mit denen er überall
zu kämpfen hat.
Kap. I.: Grundsätze' des ITandols- oder Merkantilsystems. 223
Ich hielt es selbst auf die Gefahr hin, ermüdend
zu werden, für nötig, die populäre Vorstellung, daß
der ßeichtum in Geld oder in Gold und Silber be-
stehe, ausführlich zu untersuchen. Gold bedeutet, wie
bereits bemerkt, nach dem gewöhnlichen Sprachge-
brauch oft so viel wie Reichtum, und diese Zwei-
deutigkeit des Ausdrucks hat uns jene volkstümliche
Vorstellung so geläufig gemacht, daß selbst diejenigen,
welche von ihrer Ungereimtheit überzeugt sind, sehr
leicht ihre Grundsätze vergessen und sie im Verlauf
ihres Raisonnements als eine ausgemachte und unleug-
bare Wahrheit annehmen. Einige der besten eng-
lischen Schriftsteller über den Handel fangen mit der
Bemerkung an, daf3 der Reichtum eines Landes nicht
bloß in seinem Gold und Silber, sondern auch in seinen
Ländereien, Häusern und verbrauchbaren "Waren aller
Art bestehe. Im Laufe ihrer Darlegungen scheinen
aber die Ländereien, Häuser und Waren ihrem Ge-
dächtnisse zu entschwinden, und die Kraft ihrer
Gründe beruht oft auf der Voraussetzung, daß aller
Reichtum in Gold und Silber bestehe, und daß sie zu
vermehren die große Aufgabe der nationalen Industrie
und des Handels sei.
Die beiden Grundsätze einmal aufgestellt, daß der
Reichtum in Gold und Silber bestehe, und daß diese
Metalle in ein Land, das keine Bergwerke habe, nur
mittelst der Handelsbilanz oder mittelst einer die Ein-
fuhr überwiegenden Ausfuhr gebracht werden können,
— wurde es notwendig die Hauptaufgabe der politi-
schen Ökonomie, die Einfuhr fremder Waren zum
inneren Verbrauch möglichst zu vermindern, und die
Ausfuhr der Erzeugnisse einheimischen Fleißes miig-
lichst zu vermehren. Die beiden großen Hebel, das
Land zu bereichern, waren daher Beschränkungen der
Einfuhr und Ermunterunaen der Ausfuhr.
224 Viertes Buch: Die Systeme der politisrhen C)konomie.
Die Einfuhrbeschränkungen waren doppelter Art:
Erstens Beschränkungen der Einfuhr solcher zum
inneren Verbrauch bestimmter fremder Waren, die im
Ijande selbst erzeugt werden konnten: gleichviel aus
welchem Lande sie kamen. Zweitens, Beschränkungen
der Einfuhr fast aller Arten von "Waren aus Ländern,
denen gegenüber eine nachteilige Handelsbilanz vor-
ausgesetzt wurde. Diese Beschränkungen bestanden
bald in hohen Zöllen und bald in gänzlichen Verboten.
Die Ausfuhi- wuide bald durch Rückzölle, bald
durch Prämien, bald durch vorteilhafte Handelsverträge
mit fremden Staaten und bald durch Begründung von
Kolonien in entfernten Ländern begünstigt.
Rückzölle gab man in zweierlei Fällen. Wenn die
heimischen Fabrikate einem Zoll oder einei- Akzise
unterworfen waren, wurde bei der Ausfuhr oft das
Ganze oder ein Teil davon zurückgegeben; und wenn
ausländische einem Zoll unterworfene AVaren eingeführt
wurden, um wieder ausgeführt zu werden, wurde bei
der Ausfuhr entweder der ganze Zoll, oder ein Teil
davon zurückerstattet.
Ausfuhrprämien gab man zur Ermunterung man-
cher erst beginnender oder solcher Industrien, denen
man eine besondere Begünstigung glaubte angedeihen
lassen zu müssen.
Durch vorteilhafte Handelsverträge verschaffte
man den Waren und Kaufleuten des eignen Landes
in fremden Staaten gewisse Vorrechte vor den Waren
und Kaufleuten anderer Staaten.
Durch die Begründung von Kolonien in entfernten
Ländern vv'urden den Waren und Kaufleuten des die
Kolonie gründenden Landes nicht nur besondere Vor-
rechte, sondern oft auch ein Monopol erteilt.
Die beiden oben erwähnten Einfuhibeschränkungen
zusammen mit diesen vier Ausfuhrbegünstigungen bilden
Kap. T. : Grundsätze des Handels- oder MerkantilsA-stems. 225
die sechs Hauptmittel, duich die das Handelssystem
die Menge des Goldes und Silbers in einem Lande zu
vermehren gedenkt, indem es die Handelsbilanz zu
seinen Gunsten wendet. Ich werde jedes dieser Mittel
in einem besonderen Kapitel erörtern, und ohne auf
ihre angebliche Wirkung, Geld ins Land zu bringen,
weiter Rücksicht zu nehmen, hauptsächlich untersuchen,
welchen Einfluß ein jedes auf das jährliche Produkt
seines Fleißes haben muß. Je nachdem sie dazu dienen,
den Wert dieses Jahresprodukts zu vermehren oder zu
vermindern, müssen sie offenbar den wahren Reich-
tum und das Einkommen des Landes vermehren oder
vermindern.
Adam Smith, Volkswohlstand. II. 15
Z vv e i te s K a p i t e 1.
Beschränkungen der Einfuhr solcher Waren, die
im Lande selbst hervorgebracht werden können.
Schränkt man die Einfuhr solcher Waren, die im
Lande selbst hervorgebracht werden können, entweder
durch hohe Zölle ein oder verhindert sie durch gänz-
liche Verbote, so wird dadurch der einheimischen mit
ihrer Erzeugung beschäftigten Industrie mehr oder
weniger das Monopol auf dem inländischen Markte
gesichert. So sichert das Verbot, Vieh oder gesalzenes
Fleisch aus fremden Ländern einzuführen, den bri-
tischen Viehzüchtern das Monopol auf dem inländischen
Fleischmarkte. Die hohen Getveidezölle, die in Zeiten
mäßiger Ernten prohibitiv wirken, verschaffen den
Getreideproduzenten einen gleichen Vorteil. Das Verbot
der Einfuhr fremder Wollwaren begünstigt ebenso die
Wollwareufabrikanten. Die Seidenindustrie hat neuer-
dings, obwohl sie nur ausländische Materialien ver-
arbeitet, denselben Vorteil erhalten. Die Leinen-
industrie hat ihn zwar noch nicht, ist aber auf dem
besten Wege dazu. Ebenso haben auch manche andere
Industrielle ganze oder partielle Monopole gegen ihre
Landsleute erlangt. Die Menge der Waren, deren Ein-
fuhr in Großbritannien ganz oder teilweise verboten
ist, ist viel größer, als man sich in der Regel denkt,
wenn man mit den Zollgesetzen nicht vertiaut ist.
Daß dieses Monopol des inländischen Marktes die
Industriezweige, denen es zuteil wird, oft sehr fördert
Kap. IL: Beschränkungen der Warenoinfulir. 227
und ihnen einen größeren Teil der Arbeitskräfte und
des Kapitals zuwendet, als es sonst der Fall gewesen
sein würde, unterliegt keinem Zweifel. Ob es aber
den allgemeinen Gewerbfleiß des Volkes vermehrt oder
ihm die vorteilhafteste Richtung gibt, ist wohl nicht
ganz ebenso ausgemacht.
Der allgemeine Gewerbfleiß des Volkes kann nie-
mals die Grenzen überschreiten, die ihm das National-
kapital setzt. Wie die Zahl der Arbeiter, die ein
Privatmann beschäftigen kann, in bestimmtem Verhältnis
zu seinem Kapital stehen muß, so muß auch die Zahl
derjenigen, die von sämtlichen Gliedern eines großen
Volks fortwährend beschäftigt werden, im Verhältnis
zum Gesamtkapital dieses Volkes stehen, und kann
dieses Verhältnis niemals überschreiten. Keine Handels-
regelungen können den Gewerbfleiß eines Volkes höher
entwickeln, als sein Kapital es erlaubt. Sie können nur
einen Teil von ihm in eine Richtung lenken, die er
sonst nicht genommen haben würde, und es ist keines-
wegs sicher, daß diese künstliche Richtung für das Volk
vorteilhafter sei, als die, welche er von selbst genommen
haben würde.
Jeder einzelne ist stets darauf bedacht, die vor-
teilhafteste Anlage für das Kapital, über das er zu ge-
bieten hat, ausfindig zu machen. Er hat allerdings nur
seinen eignen Vorteil und nicht den des Volkes im
Auge; aber gerade die Bedachtnahme auf seinen eignen
Vorteil führt ganz von selbst dazu, daß er diejenige An-
lage bevorzugt, welche zugleich für die Gesellschaft
die vorteilhafteste ist.
Erstens sucht jeder sein Kapital möglichst nahe
bei seinem Wohnsitz, und folglich möglichst im hei-
mischen Gewerbfleiß anzulegen, falls er dabei den
üblichen Kapitalgewinn oder doch nicht viel weniger
zu erzielen vermag.
15='-
228 Viertes Budi: Die Systeme der politischen Ökonomie.
So zieht jeder Großhändler bei gleichem oder an-
nähernd gleichem Gewinn den inneren dem auswärtigen
Handel, und wiederum den auswärtigen Handel zum
Konsum dem Zwischenhandel vor. Im Binnenhandel
kommt ihm sein Kapital niemals so weit aus dem Ge-
sicht, wie gewöhnlich bei dem auswärtigen. Er wird
den Charakter und die Lage der Leute, denen er Kredit
gibt, besser kennen lernen, und wenn er getäuscht
werden sollte, so kennt er die Landesgesetze besser,
die Abhülfe schaffen können. Im Zwischenhandel ist
das Kapital des Kaufmanns so zu sagen auf zwei fremde
Länder vorteilt, und kein Teil kehrt notwendig unter
seine unmittelbare Aufsicht und Vorfügung zurück.
Das Kapital, das ein Amsterdamer Kaufmann verwendet,
um Getreide von Königsberg nach Lissabon und Früchte
und Wein von Lissabon nach Königsberg zu schaffen,
ist in der Regel zur Hälfte in Königsberg und zur
Hälfte in Lissabon und braucht niemals nach Amster-
dam zu kommen. Der natürliche Wohnsitz eines solchen
Kaufmanns müßte Königsberg oder Lissabon sein, und
nur ganz besondere Umstände können ihn bestimmen,
den Aufenthalt in Amsterdam vorzuziehen. Das Unbe-
hagen, von seinem Kapital so weit getrennt zu sein,
bestimmt ihn aber gewöhnlich, einen Teil der Königs-
berger Waren, die für den Lissaboner Markt, und einen
Teil der Lissaboner Waren, die für Königsberg be-
stimmt waren, nach Amsterdam kommen zu lassen; und
obwohl er sich dadurch den doppelten Kosten des Ein-
unil Ausladens, sowie der Bezahlung einiger Abgaben
und Zölle unterwirft, so läßt er sich doch diesen Übel-
stand gern gefallen, um nur einen Teil seines Kapitals
immer unter seiner Aufsicht und zur Verfügung zu
haben; und so kommt es, daß jedes Land, das be-
deutenden Zwischenhandel treibt, stets das Emporium
oder der Hauptmarkt für die Waren all' der Länder
Kap. IL: Bescliräiikiingen der Wareneinfuhr. 229
wird, deren Handel es betreibt. Der Kaufmann sucht
stets, um ein zweites Ein- und Ausladen zu ersparen,
möglichst viele Waren dieser Länder auf dem heimischen
Markte zu verkaufen und dadurch, soviel an ihm liegt,
den Zwischenhandel in einen auswärtigen Handel zu
verwandeln. Ebenso wird ein Kaufmann, der auswär-
tigen Handel treibt, immer froh sein, möglichst viel der
für auswärtige Märkte aufgehäuften Waren mit gleichem
oder annähernd gleichem Gewinn im Lande selbst ver-
kaufen zu können. Durch tunlichste Verwandlung des
auswärtigen Handels in einen Binnenhandel erspart er
sich die Gefahr und Mühe der Ausfuhr. Die Heimat
ist auf diese Weise so zu sagen der Mittelpunkt, um
welchen die Kapitalien der Einwohner fortwährend um-
laufen und nach welchem sie beständig streben, obgleich
sie manchmal durch besondere Ursachen abgestoßen
und nach entfernteren Anlagen hingetrieben werden
können. Ein im Binnenhandel angelegtes Kapital setzt
aber, wie bereits gezeigt wurde, notwendig eine größere
Menge heimischen Fleißes in Bewegung und schafft
einer größeren Anzahl von Einwohnern Einkommen und
Beschäftigung, als ein gleich großes Kapital, das im
auswärtigen Handel angelegt ist, und ein in dem aus-
wärtigen Handel angelegtes hat den gleichen Vorzug
vor einem ebenso großen im Zwischenhandel angelegten
Kapital. Bei gleichem oder auch nur annähernd gleichem
Gewinn ist mithin jeder von selbst geneigt, sein Kapital
in der Weise anzulegen, wie es dem heimischen Fleiße
wahrscheinlich die meiste Unterstützung gowälirt und
der größten Anzahl von Mensehen in seinem Lande
Einkommen und Beschäftigung verschafft.
Zweitens sucht jeder, der sein Kai»ital zur Unter-
stützung des heimischen Gewerb floi(.5es verwendet,
diesen Gewerbfleii3 natürlich so zu lenken, daß der
Ertrag einen möglichst groJJen Wort darstellt.
230 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Der Ertrag des Gewerbfleißes besteht in dem, was
er dem zu bearbeitenden Gegenstande oder Stoffe an
Wert zusetzt. Je nachdem dieser Ertrag groß oder
gering ist, sind es auch die Gewinne des Kapitalisten.
Kapitalien werden aber nur des Gewinns halber auf die
Gewerbe verwendet, und man wird sie daher stets dem-
jenigen Gewerbe zuzuwenden suchen, deren Produkte
den größten Wert hoffen lassen, d. h. die größte Menge
Geldes oder anderer Waren einzutauschen versprechen.
Nun ist das Jahreseinkommen jedes Volkes immer
gerade so groß, wie der Tauschwert der gesamten
Jahresergebnisse seines Fleißes oder vielmehr das Ein-
kommen ist nichts anderes, als dieser Tauschwert selber.
Da aber jeder sein Kapital möglichst zur Unterstützung
des inländischen Gewerbfleißes zu verwenden und diesen
Gewerbfleiß so zu leiten sucht, daß sein Produkt den
grollten Wert erhält, so arbeitet auch jeder notwendig
dahin, das Jahreseinkommen des Volks so groß zu
machen, als er kann. Allerdings beabsichtigt er in
der Regel w eder, das allgemeine Wohl zu fördern, noch
weiß er, in welchem Maß er es befördert. Wenn er
dem heimischen Gewerbfleiß vor dem fremden den
Vorzug gibt, so hat er nur seine eigene Sicherheit
vor Augen, und wenn er diesen Gewerbfleiß so lenkt,
daß sein Produkt den größten Wert erhält, so bezweckt
er lediglich seinen eignen Gewinn und wird in diesem
wie in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren
Hand geleitet, einen Zweck zu befördern, der ihm
keineswegs vorschwebte. Das Volk hat davon keinen
Schaden, daß jenes seine Absicht nicht war. Oft fördert
er durch die Verfolgung seines eignen Interesses das der
Gesellschaft weit wirksamer, als wenn er es zu befördern
wirklich beabsichtigte. Ich habe niemals gesehen, daß
Leute, die zum allgemeinen Besten Handel zu treiben
vorgaben, viel Gutes ausgerichtet hätten. In der Tat
Kap. TT.: Beschränkungen der Warencinfuhr. 231
geben es die Kaufleute auch nur selten vor und es be-
darf nur weniger Worte, es ihnen auszureden.
Auf welche Gattungen des heimischen Gewerb-
fleißes jemand sein Kapital verwenden soll, und bei
welcher das Produkt den größten Wert verspricht, kann
offenbar jeder einzelne nach seinen örtlichen Verhält-
nissen weit besser beurteilen, als es ein Staatsmann
oder Gesetzgeber für ihn tun könnte. Der Staatsmann,
der sich versucht fühlte, Privatleuten Anleitung zu
geben, wie sie ihre Kapitalien anlegen sollen, würde sich
nicht allein eine höchst unnötige Fürsorge aufladen,
sondern sich eine Autorität anmaßen, die nicht einmal
einem Ministerium oder einem Senat, geschweige denn
einem einzelnen Manne getrost überlassen werden
könnte, und die nirgends so gefährlich sein würde, als
in der Hand eines Mannes, der töricht und dünkelhaft
genug wäre, sich dazu fähig zu erachten.
Den Erzeugnissen inländischen Gewerbfleißes
irgend welcher Art das Monopol des heimischen Marktes
zugestehen, heißt aber gewissermaßen nichts anderes,
als Privatleuten die Art vorzeichnen, wie sie ihre Ka-
pitalien anlegen sollen, und muß fast in allen Fällen
eine nutzlose oder schädliche Maßnahme sein. Können
die Produkte des heimischen Gewerbfleißes ebenso
wohlfeil geliefert werden, wie die des ausländischen,
so ist die Maßnahme offenbar nutzlos; wo nicht, so
muß sie in der Regel schädlich sein. Bei jedem klugen
Hausvater ist es Grundsatz, niemals etwas im Hause
machen zu lassen, was er billiger kaufen kann. Der
Schneider macht sich seine Schuhe nicht selbst, sondern
kauft sie vom Schuhmacher; der Schuhmacher macht
sich seine Kleider nicht, sondern beschäftigt den
Schneider; und der Landmann macht weder das eine
noch das andere, sondern gibt den beiden Handwerkern
zu tun. Sie alle finden es in ihrem Interesse, ihren
232 Viertes Buch: Die S^'Steme der politischen Ökonomie.
ganzen Fleiß auf dasjenige zu verwenden, worin sie
etwas vor ihren Nachbarn voraus haben, und mit einem
Teile ihrer Erzeugnisse, oder, was dasselbe ist, mit dem
Preise eines Teils davon ihren übrigen Bedarf zu kaufen.
Was im Verfahren jeder Familie Klugheit ist, kann
in dem eines großen Reichs schwerlich töricht sein.
Wenn uns ein fremdes Land mit einer Ware wohlfeiler
versehen kann, als wir selbst sie zu machen imstande
sind, so ist es besser, daß wir sie ihm mit einem Teile
vom Erzeugnis unserer Industrien, in denen wir vor
dem Auslande etwas voraushaben, abkaufen. Der all-
gemeine Gewerbfleiß des Landes, der sich immer nach
dem darin angelegten Kapital richtet, wird dadurch so
wenig vermindert, wie der Gewerbfleiß der oben er-
wähnten Handwerker, sondern es bleibt ihm nur über-
lassen, die einträglichste Beschäftigung zu M'ählen.
Sicherlich verfehlt er diesen Zweck, wenn er auf eine
Sache gelenkt wird, die man wohlfeiler kaufen kann, als
er sie zu verfertigen vermag. Der Wert seines jährlichen
Erzeugnisses wird gewiß mehr oder weniger vermindert,
wenn er von der Verfertigung offenbar wertvollerer
Waren ab- und auf die Verfertigung minder wertvoller
hingelenkt wird. Vorausgesetzt, die Ware könnte vom
Auslande wohlfeiler bezogen, als im Lande hergestellt
werden, so wäre man imstande, sie bloß mit einem
Teile der Waren, oder, was dasselbe ist, einem Teil
vom Preise der Waren zu kaufen, welche die mit einem
gleich großen Kapital betriebene Industrie im Lande
selbst hätte erzeugen können, wenn man sie ihrem
natürlichen Laufe überlassen hätte. Die Landesindustrie
wird mithin durch jede solche Maßnahme nur von einem
mehr oder weniger vorteilhaften Gewerbe abgelenkt,
und der Tauschwert ihres jährlichen Produkts muß
sich notwendig vermindern, anstatt sich, wie es der Ge-
setzgeber gewollt hat. zu vergrößern.
Kap. IL: Beschränkungen der ^Yareneinfuhr. 233
Zwar kann eine oder die andere Industrie sich durch
solche Maßnahmen bisweilen schneller entwickeln, als
es sonst hätte geschehen können, und die Ware kann
nach einer gewissen Zeit im Lande ebenso wohlleil oder
noch wohlfeiler hergestellt werden, als im Auslande;
aber wenn auch auf diese Weise die Industrie des Volks
früher, als es sonst hätte geschehen können, mit Vor-
teil in einen besonderen Kanal geleitet wird, so folgt
doch keineswegs daraus, daß die Totalsumme der Lan-
desindustrie oder des Volkseinkommens durch eine
solche Maßnahme vermehrt -»werden könne. Der Ge-
werbfleiß des Volkes kann sich nur in dem Maße ver-
mehren, wie sein Kapital zunimmt, und sein Kapital
kann nur in dem Maße zunehmen, wie nach und nach
etwas vom Volkseinkommen ers[)art wird. Aber die
unmittelbare Wirkung jeder solchen Maßnahme ist eine
Verminderung ihres Einkommens, und was ihr Ein-
kommen vermindert, wird gewiß ihr Kapital nicht
schneller vermehren, als es sich von selbst vermehrt
haben würde, wenn man beide, Kapital und Industrie,
ihrem natürlichen Gange überlassen hätte.
Wenn auch das Volk ohne solche Maßnahmen die
gewünschte Industrie niemals erhalten hätte, so würde
es darum in irgend einer Periode seiner Dauer doch
nicht notwendig ärmer sein. In jeder Periode seiner
Dauer könnte doch sein ganzes Kapital und sein ganzer
Gewerbfleiß zwar auf andere Gegenstände, aber in einer
Weise verwendet worden sein, die zur Zeit die vorteil-
hafteste war. In jeder Periode hätte ihr Einkommen
das größte sein können, welches das Kapital zu liefern
vermochte, und sowohl Kapital als Einkommen könnten
mit der größtmöglichen Schnelligkeit gewachsen sein.
Die natürlichen Vorteile, welche ein Land in Her-
vorbringung gewisser Waren vor einem andern voraus
hat, sind mitunter so groß, daß es, wie alle Welt zugibt.
234 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
vergeblich sein würde, dagegen anzukämpfen. In Treib-
häusern, Mistbeeten und dergleichen lassen sich in Schott-
land sehr gute Trauben ziehen und auch recht guter
Wein davon gewinnen; nur würde dieser etwa dreißig-
mal soviel kosten, als ein mindestens ebenso guter Wein
des Auslandes. Wäre es ein vernünftiges Gresetz, die
Einfuhr aller fremden Weine zu verbieten, bloß um die
Erzeugung des Clarets und Burgunders in Schottland
zu befördern? Wenn es aber eine offenbare Albern-
heit wäre, auf ein Gewerbe dreißigmal mehr Kapital
und Fleiß zu verwenden, als nötig ist, um eine gleiche
Menge der begehrten Waren aus fremden Ländern zu
kaufen, so muß es auch eine, zwar nicht ganz so auf-
fällige, doch durchaus ähnliche Albernheit sein, auf ein
Gewerbe den dreißigsten oder auch nur den dreihundert-
sten Teil mehr an Kapital und Fleiß zu verw^enden.
Ob die Vorteile, welche ein Land vor dem anderen
voraus hat, natürliche oder erworbene sind, kommt hier-
bei nicht in Betracht. Solange das eine I^and diese
Vorteile hat und das andere sie entbehrt, solange ist
es auch für das letztere vorteilhafter, von dem ersteren
zu kaufen, als selbst zu erzeugen. Der Vorteil, den
ein Handwerker über seinen Nachbar hat, der ein an-
deres Handwerk treibt, ist nur ein erworbener, und doch
finden es beide vorteilhafter, von einander zu kaufen,
als Dinge zu verfertigen, die nicht zu ihrem Geschäft
gehören.
Kaufleute und Fabrikanten ziehen von dem Monopol
des inländischen Marktes den grüßten Vorteil. Das
Verbot der Einfuhr fremden Viehs und gesalzenen
Fleisches, so wie die hohen Getreidezölle, die in Zeiten
mäßiger Ernten einem Verbote gleichkommen, sind lange
nicht so vorteilhaft für die Viehzüchter und Landwirte
Großbritanniens, als andere ähnliche Verordnungen es
für die Kaufloute und Fabrikanten sind. Fabrikate,
Kap. IL: Beschninkung-en der Wareneinfuhr. 235
besonders feinere, sind leichter aus einem Lande in das
andere zu schaffen, als Getreide oder Vieh. Daher ist
auch der auswärtige Handel namentlich mit Einfuhr oder
Ausfuhr von Fabrikaten beschäftigt. Bei Fabrikaten
wird schon ein sehr kleiner Vorteil den Ausländer in
Stand setzen, unsere Arbeiter zu unterbieten, selbst auf
dem inländischen Markte. Dagegen müßte er sehr
große Vorteile voraus haben, wenn er das nämliche
auch bei den Rohprodukten des Bodens sollte tun
können. Wäre die freie Einfuhr fremder Fabrikwaren
erlaubt, so würden manche heimische Industrien wahr-
scheinlich zu leiden haben, einige vielleicht sogar zu
Grunde gehen, und ein bedeutender Teil des gegen-
wärtig in ihnen angelegten Kapitals und Gewerbfleißes
würde eine andere Beschäftigung suchen müssen. Aber
auch die freieste Einfuhr der Rohprodukte könnte auf
den Ackerbau keinen solchen EinfJuß haben.
Würde z. B. die p]iufuhr fremden Viehs jemals
gänzlich freigegeben, so könnte doch so wenig ein-
geführt werden, daß der britische Viehhandel nur un-
bedeutend davon betroffen würde. Lebendes A^ioh ist
vielleicht die einzige Ware, deren Transport zur See
kostspieliger ist als zu Lande. Zu Lande geht es selbst
auf den Markt; zur See muß nicht nur das Vieh, sondern
auch sein Futter und Wasser nicht ohne viele Kosten
und Schwierigkeiten transportiert werden. Die kurze
Überfahrt zwischen Irland und GrofJbritannien erleichtert
zwar die Einfuhr irischen Viehs; wenn aber aucli seine
freie Einfuhr, die jüngst nur auf eine gewisse Zeit
bewilligt worden ist, auf immer nachgegeben würde, so
könnte sie doch die Interessen der britischen Vieh-
züchter nicht sonderlich berühren. Die Teile Groß-
britanniens, die an die irische See grenzen, sind sämt-
lich Weideländer. Zu ihrem Gebrauch kann iiländisches
Vieh nicht eingeführt und müßte erst mit vielen Kosten
236 Viertes Bucli: Die Systeme der politischen Ökonomie.
und Schwierigkeiten durch diese weiten Landstriche
getrieben werden, ehe es auf seinen eigenthchen Markt
gelangen könnte. Fettes Vieh liei^e sich so weit gar-
nicht treiben. Es wäre daher nur möglich, mageres
Vieh einzuführen, und diese Einfuhr würde mit dem
Interesse der Landschaften, die sich mit Viehmast ab-
geben, nicht streiten, durch den verminderten Preis
des mageren Viehes ihnen vielmehr vorteilhaft werden:
sie würde also nur mit dem Interesse der Gegenden,
in denen man Vieh züchtet, streiten. Die geringe Menge
des seit der freien Einfuhr aus Irland eingebrachten
Viehs, sowie der gute Preis, zu dem mageres Vieh noch
immer verkauft wird, scheint jedoch zu beweisen, daß
auch die Viehzucht treibenden Gegenden Großbri-
tanniens durch die freie Einfuhr irischen Viehes nicht
sonderlich leiden. Das gewöhnliche Volk Irlands soll
sich zwar der Ausfuhr des Viehs bisweilen mit Gewalt
widersetzt haben; wenn aber die Exporteure einen be-
deutenden Nutzen dabei gehabt hätten, so würden sie,
da das Gesetz auf ihrer Seite war, den Widerstand
des Pöbels wohl mit Leichtigkeit überwunden haben.
Überdies müssen Gegenden, in denen Viehmast ge-
trieben wird, stets hoch kultiviert sein, während die
Vieh züchtenden in der Regel noch weit im Anbau zurück
sind. Der hohe Preis des mageren Viehs vermehrt den
Wert des unangebauten Bodens, und ist dadurch gleich-
sam eine Prämie auf die Unterlassung des Anbaues.
Für ein durchaus gut angebautes Land ist es vorteil-
hafter mageres Vieh einzuführen, als es selbst zu ziehen.
Die Provinz Holland soll daher jetzt auch diesen Grund-
satz befolgen. Die gebirgigen Teile von Schottland,
Wales und Northumberland sind keiner hohen Kultur
fähig und scheinen von der Natur zu den viehzüchtenden
Gegenden Großbritanniens bestimmt zu sein. Die völlig
■freie Einfuhr fremden Viehs könnte keine andere Wir-
Kap. IT.: Bosclirilnkun.i^oii <ler Warenoinfuhr. 237
kung haben, als diese viehzüchtenden Gegenden zu hin-
dern, aus der zunehmenden Bevölkerung und Kultur
des übrigen Reichs Vorteil zu ziehen, ihre Preise auf
eine unmäßige Hübe zu treiben und allen besser an-
gebauten und kultivierten Teilen des Landes eine
effektive Steuer aufzulegen.
Die völlio- freie P]infuhr gesalzenen Fleisches k(')nnte
das Interesse der großbritannischen Viehzüchter ebenso
wenig berühren, wie die Einfuhr lebenden Viehs. Ge-
salzenes Fleisch ist nicht nur eine sehr voluminöse
Ware, sondern auch im Vergleich mit frischem Fleisch
von geringerer Güte und, da es mehr Arbeit und Kosten
verursacht, von höherem Ih'eise. Es kann daher niemals
mit dem frischen, sondern höchstens mit dem Salzfleisch
des Landes in Wettbewerb treten. Es dient zur Verpro-
viantierung der Schiffe für weite ßeisen und zu ähnlichen
Zwecken, kann aber niemals einen beträchtlichen Teil
der Volksnahrung ausmachen. Die geringe Einfuhr von
Salzfleisch aus Irland seit der Freigabe der P]infuhr ist
ein Erfahrungsbeweis, daß unsere Viehzüchter nichts
davon zu fürchten haben. Es scheint nicht, daß der
Fleischpreis davon erheblich berührt worden wäre.
Selbst die freie Einfuhr fremden Getreides könnte
das Interesse der großbritannischen Landwirte nur
wenig berühren. Getreide ist eine noch weit volumi-
nösere Ware als Fleisch. Ein Pfund Weizen zu einem
Penn}' ist so teuer, wie ein Pfund Fleisch zu vier Pence.
Die geringe Menge fremden Getreides, die selbst in
Zeiten des größten Mangels eingeführt worden ist, kann
unsere Landwirte überzeugen, daß sie auch von der
freiesten Einfuhr nichts zu fürchten haben. Die durch-
schnittliche Jahreseinfuhr beträgt nach dem sehr gut
unterrichteten Verfasser der Abhandlungen über den Ge-
treidehandel (Tracts upon the corn trade) nur 23,728
Quarters aller Getreidesorten und übersteigt nicht ^/sti
des jährlichen Verbrauchs. Wie aber die Ausfuhrprämie
238 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
auf Getreide in fruchtbaren Jahren eine größere Aus-
fuhr veranlaßt, so muß sie auch in Jahren des Mangels
eine größere Einfuhr bewirken, als bei dem dermaligen
Zustande der Landwirtschaft sonst stattfinden würde.
In Folge der Prämie kann der Überfluß des einen
Jahres den Mangel des andern nicht ausgleichen, und
da die durchschnittliche Ausfuhrmenge dadurch ver-
mehrt wird, so muß es auch bei dem dermaligen Zu-
stande des Ackerbaus mit der durchschnittlichen Einfuhr
geschehen. Da ohne die Prämie weniger Getreide aus-
geführt werden würde, so ist es wahrscheinlich, daß
durchschnittlich auch weniger eingeführt werden würde,
als jetzt. Die Getreidehändler, die den Getreidehandel
zwischen Großbritannien und dem Auslande vermitteln,
würden viel weniger zu tun haben und sehr dabei zu
kurz kommen; aber die Landwirte könnten sehr wenig
dabei verlieren. Daher habe ich auch die Getreidehändler
viel mehr als die Landwirte um die Erneuerung und
Fortdauer der Prämie besorgt gesehen.
Gutsbesitzer und Pächter sind, sehr zu ihrer Ehre,
von dem elenden Monopolgeiste am wenigsten ange-
steckt. Der Unternehmer einer großen Fabrik ist zu-
weilen schon beunruhigt, wenn innerhalb zwanzig Meilen
ein gleichartiges Werk errichtet wird. Der holländische
Unternehmer der Wollwarenfabrik zu Abbeville stellte
die Bedingung, daß innerhalb dreißig Meilen von dieser
Stadt kein gleichartiges Werk errichtet werden dürfe.
Pächter und Gutsbesitzer sind dagegen in der Regel
eher geneigt, Anbau und Kultur auf den benachbarten
Pachtungen und Gütern zu befördern, als sie zu hindern.
Sie haben keine Geheimnisse der Art, v^'ie die meisten
Fabrikanten, und lieben es vielmehr, ein neues Ver-
fahren, das sie vorteilhaft befunden haben, ihren Nach-
barn mitzuteilen und nach Kräften zu verbreiten.
Pins quaestns, sagt der alte Cato, stahilissimnsqiie mini-
Kap. II.: Bcschränkunoen der Warcneinfiihr. 239
meqne invidiosiis; minimeque male cogitantes sunt, qiii
in PO studio occupaii sunt. Gutsbesitzer und Pächter
sind in allen Teilen des Landes zerstreut und können
daher nicht so leicht zusammentreten, wie Kaufleute
und Fabrikanten, die, in Städten zusammenlebend und
an jenen exklusiven Korporationsgeist gewöhnt, der in
Städten herrschend ist, natürlich allen ihren Landsleuten
gegenüber das nämliche ausschließliche Vorrecht zu
behaupten suchen, das sie gewöhnlich gegenüber den
Bürgern ihrer Stadt besitzen. Sie scheinen demgemäß die
ursprünglichen Fjrfinder jener auf die Einfuhr fremder
Waren gelegten Beschränkungen zu sein, die ihnen das
Monopol des inneren Marktes sichern. Wahrscheinlich
um ihnen nachzuahmen und sich mit Leuten, die allem
Anscheine nach sie drücken wollten, ins Gleichgewicht
zu setzen, vergaßen Gutsbesitzer und Pächter Groß-
britanniens so sehr den ihrem Stande natürlichen Edel-
mut, daß sie um das ausschliel31iche Vorrechtnachsuchten,
ihre Landsleute mit Getreide und Fleisch zu versorgen.
Sie haben sich wohl nicht Zeit genommen, zu überlegen,
wieviel weniger ihr Interesse durch die Freiheit des
Handels berührt werde, als das der Leute, deren Beispiel
sie folgten.
Das dauernde Verbot der Getreide- und Viehein-
fuhr bedeutet in der Tat eine Verordnung, daß die
Bevölkerung und Industrie des Landes niemals das Maaß
übersteigen soll, das die Rohprodukte des eigenen
Bodens unter-halten können.
Es gibt indessen zwei Fälle, in denen es im All-
gemeinen vorteilhaft zu sein scheint, die fremde Industrie
zu Gunsten der einheimischen etwas zu belasten.
Der erste ist der, wenn eine gewisse Industrie zur
Verteidigung des Landes notwendig ist. Die Ver-
teidigung Großbritanniens hängt z. B. sehr erheblich
von der Zahl seiner Matrosen und Schiffe ab. Die
Navigationsakte sucht daher mit vollem Rechte den
240 Viei'tes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
großbiitannischen Matrosen und Schiffen das Monopol
der Rhederei ihres Landes zu geben, in einigen Fällen
durch gänzliche Verbote, in anderen durch schwere
Belastung der Schiffe fremder Länder. Die hauptsäch-
lichsten Anordnungen dieser Akte sind folgende:
Erstens : allen Schiffen, deren Mannschaft nicht zu
^4 und deren Eigentümer und Kapitäne nicht britische
Untertanen sind, ist bei Strafe des Verlustes von Schiff
und Ladung verboten, nach britischen Kolonien und
Pflanzungen Handel zu treiben oder sich mit dem
Küstenhandel Großbritanniens zu befassen.
Zweitens: viele der voluminösesten Einfahrartikel
können nach Grroßbritannien nur entweder in den eben
beschriebenen Schiffen oder in Schiffen desjenigen
Landes gebracht werden, in dem die Waren erzeugt
worden sind, und wenn deren Eigentümer, Kapitäne und
^U der Seeleute dem bez. Lande angehören; werden sie
in Schiffen der letzteren Art eingeführt, so sind sie
dem doppelten Eingangszoll unterworfen. Werden sie
in Schiffen eines andern Landes eingeführt, so steht
Verlust von Schiff und Ladung darauf. Als jene Akte
erlassen wurde, waren die Holländer, wie noch heute,
die größten Frachtführer Europas, und durch diese
Verordnung w^urden sie gänzlich davon ausgeschlossen,
die Frachtführer Großbritanniens zu sein, d. h. uns
die Waren irgend eines anderen europäischen Landes
zuzuführen.
Drittens : viele der voluminösesten Einfuhrartikel
dürfen auch in britischen Schiffen nur aus dem
Ursprungslande eingeführt werden, bei Strafe des Ver-
lustes von Schiff und Ladung. Auch diese Verordnung
war vermutlich gegen die Holländer gerichtet, Holland
war damals wie jetzt das große Emporium für alle
europäischen Waren, und durch diese Verordnung
wurden die britischen Schiffe abgehalten, die Waren
andrer europäischer Länder in Holland einzunehmen.
Kap. Tl.: Beschrilnkun^'on der Wareneinfiihr. 241
Viertens: gesalzene Fische aller Art, Wallfisch-
barten, Fischbein, Tran und Fett unterliegen, wenn
sie nicht von britischen Schiffen gefangen und an ihrem
Bord bereitet sind, dem doppelten Eingangszoll. Die
Holländer, die noch jetzt die größten Fischer in Europa
sind, waren damals die einzigen, die fremde Nationen
mit Fischen zu versorgen suchten. Durch diese Ver-
ordnung wurde es ihnen sehr erschwert, Großbritannien
ferner damit zu versorgen.
Als die Navigationsakte erlassen wurde, bestand
zwischen England und Holland zwar kein eigentlicher
Krieg, aber doch die heftigste Erbitterung. Diese nahm
ihren Anfang unter dem langen Parlament, das die
Akte auch zuerst entwarf, und brach bald nachher in
den holländischen Kriegen unter dem Protektor und
Karl dem Zweiten aus. Es ist daher nicht unmöglich,
daß manche der Verordnungen dieser berühmten Akte
aus der nationalen Erbitterung hervorgegangen sind;
dennoch sind sie so weise, als wenn sie von dem be-
sonnensten Vorstände eingegeben wären. Die nationale
Erbitterung ging zu jener Zeit ganz auf dasselbe Ziel,
welches die bedächtigste Weisheit hätte empfehlen
können — auf die Verminderung der holländischen
Seemacht, der einzigen, welche die Sicherheit Englands
zu gefährden imstande war.
Das Navigationsgesetz ist dem auswärtigen Handel
oder dem Zuwachs an Reichtum, der aus ihm entstehen
kann, nicht günstig. Das Interesse einer Nation in
ihren Handelsbeziehungen zu anderen Nationen ist, wie
das eines Kaufmanns zu seinen Kunden: so wohlfeil
zu kaufen und so teuer zu verkaufen, als möglich. Sie
wird aber wahrscheinlich dann wohlfeil kaufen, wenn
sie durch die vollkommenste Handelsfreiheit aller Na-
tionen aufmuntert, die Waren, die sie braucht, zu ihr
zu bringen, und aus demselben Grunde wird sie teuer
Adam Smith, VolU-swdlilstaml. U. 16
242 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
verkaufen können, wenn so ihre Märkte sich mit der
größten Zahl von Käufern füllen. Allerdings legt die
Navigationsakte den fremden Schiffen, die die Erzeug-
nisse britischen Gewerbfleißes zu holen kommen, keine
Last auf; sogar der frühere Eingangszoll, der von allen
aus- und eingeführten Waren erhoben wurde, ist durch
verschiedene spätere Akte bei den meisten Ausfuhr-
artikeln aufgehoben worden.' Allein wenn die Ausländer
durch Verbote oder hohe Zölle verhindert werden, be-
hufs Verkaufs zu kommen, so können sie oft auch be-
hufs Einkaufs nicht kommen, weil sie ohne Ladung die
Fracht von ihrem Lande nach Grroßbritannien verlieren
müßten. Wenn wir also die Zahl der Verkäufer ver-
mindern, vermindern wir damit auch die der Käufer
und müssen dann höchst wahrscheinlich nicht nur die
fremden Waren teurer kauf en, sondern auch die unsrigen
wohlfeiler verkaufen, als es bei vollkommener Handels-
freiheit geschehen würde. Da jedoch Verteidigung weit
wichtiger ist als Reichtum, so ist die Navigationsakte
vielleicht das weiseste aller Handelsgesetze Englands.
Der zweite Fall, in dem es im allgemeinen vor-
teilhaft sein wird, fremde Waren zur Ermunterung des
heimischen Gewerbfleißes mit Abgaben zu belasten, ist
der, ^venn im Lande selbst auf die Erzeugnisse des
letzteren Steuern gelegt sind. In diesem Falle scheint
es billig, daß von den gleichen Erzeugnissen des aus-
wärtigen Gewerbfleißes dieselben Steuern erhoben
werden. Dies würde dem einheimischen Gewerbfleiße
kein Monopol auf dem inneren Markt geben, noch einem
einzelnen Gewerbe einen größeren Anteil an dem Ka-
pital und der Arbeit des Landes zuwenden, als es von
selbst geschähe. Es würde nur verhindern, daß ein Teil
der ihm naturgemäß zuströmenden Kapitalien und
Arbeitskräfte durch die Steuer in eine minder natür-
liche Richtung gelenkt würde, und die Konkurrenz
Kap. IT.: JlosrliränkunQon der Warcnoinfuhr. 243
zwischen dem fremden und einheimischen Gewerbflcißc
nach der Steuer möglichst auf dem Fuße lassen, wie
zuvor. Wenn in Großbritannien eine solche Steuer auf
Erzeugnissse heimischen Gewerbfleißes gelegt wird, so
pflegt man gleichzeitig, um die lauten Klagen unsrer
Kaufleute und Fabrikanten über drückende Konkurrenz
zu beschwichtigen, eine viel stärkere Abgabe auf die
Einfuhr aller gleichartigen fremden Waren zu legen.
Diese zweite Beschränkung der Handelsfreiheit
sollte, nach einigen, in manchen Fällen viel weiter aus-
gedehnt werden, als gerade nur auf solche fremde
Waren, die mit den im Lande besteuerten in Wett-
bewerb geraten können. Wenn in einem Lande die
Lebensbedürfnisse besteuert werden, behauptet man, sei
es angemessen, nicht allein die aus andern Ländern
eingeführten gleichen Lebensbedürfnisse, sondern alle
Arten fremder Waren zu besteuern, die mit irgend
einem Erzeugnisse des einheimischen Gcwerbfleißes in
Konkurrenz geraten könnten. Die Lebensmittel, sagt
man, werden durch solche Steuern notwendig teurer,
und der Preis der Arbeit muß stets mit dem Preise des
Unterhalts der Arbeiter steigen. Polglich werde jede
Ware, die das Erzeugnis einheimischen Gewerbfleißes
sei, selbst wenn sie nicht unmittelbar besteuert ist, in-
folge solcher Steuern doch teurer, weil die Arbeit, durch
die sie entstehe, teurer werde. Solche Steuern wirkten
also ebenso, als wenn auf jede einzelne im Lande ver-
fertigte Ware eine Steuer gelegt sei, und um den ein-
heimischen Gewerbfleiß mit dem fremden auf gleichen
Fuß zu setzen, werde es notwendig, auf jede fremde
Ware einen Zoll zu legen, der der Preiserhöhung der
einheimischen Waren, mit denen jene in Wettbewerb
treten könne, gleich komme.
Ob Steuern auf den Lebensbedarf, wie in Groß-
britannien auf Seife, Salz, Leder, Lichter usw., den
IG*
244 Viertes Buch: Die Systeme der politisrhen Ökonomie.
Preis der Arbeit und folglich den aller anderen Waren
steigern, werde ich später in dem Kapitel über die Be-
steuerung erörtern. AngenomTnen einstweilen, daß sie
diese Wirkung haben, wie es unzweifelhaft der Fall
ist, so ist doch diese allgemeine Preiserhöhung aller
Waren infolge des erhöhten Arbeitspreises ein Fall,
der sich von der Preiserhöhung einer einzelnen Ware
durch eine unmittelbar auf sie gelegte Steuer in fol-
genden zwei Beziehungen unterscheidet.
Erstens weiß man immer ganz genau, um wieviel
der Preis einer solchen Ware durch die Steuer erhöht
wird ; wieviel Einfluß aber die allgemeine Preiserhöhung
der Arbeit auf jedes besondere Arbeitserzeugnis hat, läßt
sich niemals auch nur mit einiger Genauigkeit angeben.
Es wäre daher unmöglich, die Steuer auf jede fremde
Ware mit dieser Preiserhöhung jeder einheimischen in
ein nur einigermaßen genaues Verhältnis zu bringen.
Zweitens haben Steuern auf den Lebensbedarf bei-
nahe denselben Einfluß auf die Umstände des Volkes,
wie ein unfruchtbarer Boden und ein ungünstiges Klima.
Die Lebensmittel werden dadurch auf dieselbe Art ver-
teuert, als wenn zu ihrer Erzeugung mehr Arbeit und
Kosten erforderlich wären. Wie es aber bei dem natür-
lichen, vom Boden und Klima herrührenden Mangel
albern wäre, die Leute anzuleiten, wie sie ihre Kapita-
lien und ihren Fleiß anwenden sollen, so auch bei der
künstlichen aus den Steuern entspringenden Teuerung.
In beiden Fällen würde es offenbar das Beste sein, es
ihnen zu überlassen, ihren Fleiß tunlichst ihrer Lage
anzupassen und diejenigen Beschäftigungen ausfindig zu
machen, in denen sie, trotz ihrer ungünstigen Verhält-
nisse, einen Vorteil auf dem heimischen oder fremden
Markte haben könnten. Ihnen eine neue Steuer aufzu-
legen, weil sie schon mit Steuern überbürdet sind; und
weil sie schon den Lebensbedarf zu teuer bezahlen.
Kap. Tl.: Beschnlnkungen der Warenoinfuhr. 245
ihnen auch noch die meisten andern Waren zu ver-
teuern, das ist gewiß der törichtste Weg, sie schadlos
zu halten.
Solche Steuern sind, wenn sie eine gewisse Höhe
erreicht haben, ein Fluch, wie die Unfruchtbarkeit des
Bodens und die Rauhheit des Klimas; und dennoch
werden sie gerade in den reichsten und gewerbfleißig-
sten Ländern am allermeisten aufgelegt. Andere Länder
könnten so große Übel nicht ertragen. Wie nur die
kräftigsten Körper bei einer ungesunden Diät leben
und gesund bleiben können, so können auch nur solche
Nationen bei so großen Steuern bestehen und gedeihen,
die in jeder Art von Gewerbfleiß die größten natür-
lichen und erworbenen Vorteile genießen. Holland ist
das schwerstbesteuerte Land in Europa und bleibt
unter besonders günstigen Umständen blühend, nicht,
wie man törichter Weise geglaubt hat, wegen seiner
Steuern, sondern trotz ihrer.
Wie es zwei Fälle gibt, in denen es in der Regel
vorteilhaft ist, den fremden Gewerbfleiß behufs Auf-
munterung des heimischen zu belasten, so gibt es
zwei andere, wo man bisweilen zu überlegen hat:
erstens, inwieweit es angemessen ist, die freie Einfuhr
gewisser fremder Waren fortdauern zu lassen, und
zweitens, inwieweit oder auf welche Art diese freie Ein-
fuhr, nachdem sie eine Zeit lang unterbrochen war,
wiederherzustellen angemessen wäre.
Der Fall, in welchem man bisweilen zu überlegen
hat, inwieweit es gut ist, die freie Einfuhr gewisser
fremder Waren fortdauern zu lassen, ist der, wenn
eine andere Nation die Einfuhr mancher unserer Fabri-
kate durch hohe Zölle oder Verbote beschränkt. Die
Rache schreibt in diesem Falle natürlich Wiederver-
geltung durch Auflage derselben Zölle und Verbote
auf die Einfuhr einiger oder aller ihrer Fabrikate vor.
246 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie,
Selten unterlassen es die Nationen, in dieser Weise
Vergeltung zu üben. Die Franzosen waren solion früh
darauf bedacht, ihre Industrie durch die Beschränkung
der Einfuhr fremder Waren, die mit den ihrigen hätten
in Wettbewerb treten können, zu begünstigen. Hierin
bestand großenteils die Wirtschaftspolitik Colberts, der
hierin trotz seines großen Talents durch die Sophisterei
der Kaufleute und Fabrikanten, die stets Monopole
gegen ihre Landsleute verlangen, getäuscht worden zu
sein scheint. Heute sind die einsichtsvollsten Männer
in Frankreich der Meinung, daß seine derartigen Maß-
nahmen dem Lande nicht heilsam gewesen sind. Durch
den Tarif von 1667 belegte dieser Minister eine große
Menge fremder Fabrikate mit hohen Zöllen. Auf seine
Weigerung, sie zu Gunsten der Holländer zu mildern,
verboten diese 1676 die Einfuhr der französischen Weine,
Branntweine und Manufakturwaren. Der Krieg von 1672
scheint zum Teil durch diese Handelsstreitigkeiten her-
vorgerufen zu sein; der Friede zu Nimvvegen machte
ihnen 1678 ein Ende. Einige Zölle wurden zu Gunsten
der Holländer gemildert, die ihrerseits ihr Verbot auf-
hoben. Um dieselbe Zeit begannen die Franzosen und
Engländer ihren Gewerbfleiß gegenseitig durch Zölle
und Verbote zu drücken ; doch scheinen die Franzosen
das erste Beispiel gegeben zu haben. Der Geist der Feind-
seligkeit, der seitdem immer zwischen diesen beiden Na-
tionen geherrscht hat, hat bis jetzt auf beiden Seiten eine
Zollermäßigung verhiudei't. ] 697 verboten die Engländer
die Einfuhr von Spitzen flandrischen Fabrikats, wofür
die Regierung Flanderns, das damals unter spanischer
Herrschaft stand, die Einfuhr der englischen Wollen-
waren verbot. Im Jahre ] 700 wurde in England das
Einfuhrverbot gegen Spitzen unter der Bedingung auf-
gehoben, daß die Einfuhr englischer Wollenwaren in
Flandern wieder auf den alten Fuß gesetzt würde.
Kap. IT.: Beschränk iiii,i;pn der Warenein fuhr. 247
Solche Wiedervergeltungen mögen angemessen
sein, wenn eine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, da-
durch die Aufhebung der beklagten Verbote und liohon
Zölle zu bewirken. Die Wiedergewinnung eines groi3on
auswärtigen Marktes wird in der Regel den vorüber-
gehenden Nachteil, eine Zeitlang gewisse Waren teurer
bezahlen zu müssen, mehr als ausgleichen. Ob solche
Wiedervergeltungen aber die gewünschte Wirkung
hoffen lassen, dies zu beurteilen, ist vielleicht weniger
die Sache des Gesetzgebers, der sich allein von alla'G-
meinen sich immer gleich bleibenden Prinzipien leiten
lassen sollte, als der Geschicklichkeit jenes hinterlistigen,
verschlagenen Tiers, das man einen Staatsmann oder
Politiker zu nennen pflegt, und dessen Entschlüsse sich
nach den momentanen Schwankungen richten. Wenn
keine Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, einen solchen
AViderruf durchsetzen zu können, so scheint es eine
schlechte Methode zu sein, den Schaden, der gewissen
Klassen unseres Volkes zugefügt worden, dadurch
wieder gut machen zu wollen, daß wir selbst nicht nur
diesen Klassen, sondern auch fast allen übrigen Schaden
zufügen. Wenn unsere Nachbarn irgend einen unserer
Industrieartikel verbieten, so verbieten wir gewöhnlich
nicht nur dieselbe Ware, denn dies würde kaum schwer
empfunden werden, sondern mehrere andere der ihrigen.
Dies mag unzweifelhaft einigen Klassen unserer Ar-
beiter Aufmunterung geben und sie durch den Aus-
schluß einiger ihrer Mitbewerber instand setzen, ihre
Preise auf dem inländischen Markt zu erhöhen. Aber
die Arbeiter, die durch das Verbot der Nachbarn leiden,
haben keinen Vorteil von den unsrigen. Im Gegenteil
werden sie und fast alle übiigen Klassen unserer Mit-
bürger durch unser Verbot gezwungen, gewisse AVaren
teurer zu bezahlen als früher. Jedes derartige Gesetz
legt mithin dem Lande eine faktische Abgabe auf, nicht
248 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
zugunsten derjenigen Klasse von Gevveibtreibenden,
die von des Nachbars Verbot Schaden hat, sondern
zugunsten anderer.
Der Fall, in welchem man bisweilen zu überlegen
hat, in wieweit und auf welche Art es angemessen ist,
die freie Einfuhr, nachdem sie eine Zeit lang unter-
brochen war, wiederherzustellen, ist der, wenn gewisse
Industrien durch hohe Zolle und Verbote auf die kon-
kurrierenden fremden Waren dermaßen in Aufnahme
gekommen sind, daß sie eine große Menge Hände be-
schäftigen. Dann kann die Humanität fordern, daß die
Handelsfreiheit nur langsam, stufenweise und mit vieler
Zurückhaltung und Behutsamkeit hergestellt werde.
"Würden die hohen Zölle und Verbote auf einmal fort-
genommen, so könnten sich die wohlfeileren fremden
Waren so plötzlich auf den heimischen Markt stürzen,
daß auf einmal viele Tausende unsres Volkes ihres
gewohnten Geschäfts und Unterhalts beraubt würden.
Ohne Zweifel könnten daraus sehr bedeutende Wirren
entstehen; doch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht
so schlimm, wie man gewöhnlich denkt, und dies zwar
aus folgenden beiden Gründen:
Erstens, alle die Fabrikate, von denen ein Teil
nach anderen europäischen Ländern zu gehen pflegt,
ohne eine Ausfuhrprämie zu genießen, können durch
die freieste Einfuhr fremder Waren nur wenip; leiden.
Solche Fabrikate müssen auswärts ebenso wohlfeil ver-
kauft werden, wäe die fremden Waren gleicher Art,
und müssen folglich im Lande selbst noch wohlfeiler
sein. Sie würden daher den inneren Markt doch be-
haupten ; und wenn auch mitunter ein launischer Mann
der Mode die fremden Waren den wohlfeileren und
besseren inländischen bloß aus dem Grunde vorziehen
sollte, weil sie fremd sind, so könnte diese Torheit
der Natur der Sache nach doch so wenig einreißen,
Kap. TL: Beschränknngpii der Warenoinfnlir. 249
daß ihr Einfluß auf die allgemeinen Geschäfte des
Volks nicht fühlbar sein dürfte. Nun wird jährlich
ein großer Teil unserer Wollen waren, unseres Leders
und unserer Eisenwaren nach anderen europäischen
Ländern ausgeführt, ohne Ausfuhrprämien zu erhalten,
und gerade dies sind diejenigen Industrien, welche
bei uns die meisten Hände beschäftigen. Die Seiden-
industrie würde vielleicht bei dieser Handelsfreiheit
am meisten leiden, und nächst ihr die Leinenindustrie,
obwohl letztere weit weniger als erstere.
Zweitens, wenn auch dui'ch Wiederherstellung der
Handelsfreiheit eine große Anzahl von Leuten aus ihrer
gewöhnlichen Beschäftigung und ihrem bisherigen Brod-
erwerb getrieben würden, so folgt daraus doch keines-
wegs, das sie dadurch aller Beschäftigung und alles
Broderwerbes beraubt seien. Durch die Verminderuno;
der Armee und Flotte wurden am Schluß des letzten
Krieges mehr als hunderttausend Soldaten und Seeleute
(eine gleiche Zahl, wie sie in den größten Industrien
beschäftigt wird), auf einmal aus ihrer bisherigen Be-
schäftigung gerissen ; aber \N'enn sie auch sicherlich hart
davon getroffen wurden, so waren sie doch nicht aller
Beschäftigung und alles Broderwerbes beraubt. Die
meisten Seeleute begaben sich wahrscheinlich nach und
nach, wie sich die Gelegenheit zeigte, in den Dienst
der Handelsmarine, und in der Zwischenzeit verloren
sie und die Soldaten sich in der großen Masse des
Volkes und fanden in vielerlei Geschäften Arbeit. Aus
einer so großen Änderung der Lage von mehr als
hunderttausend Menschen, alle an das Waffenhand-
werk und zum Teil an Eaub und Plünderung gewöhnt,
entsprang nicht nur keine gewaltige Erschütterung,
sondern auch kaum eine merkliche Unordnung. Die
Zahl der Landstreicher nahm kaum ii'gendwo auffallend
zu, und selbst die Arbeitslöhne ermäßigten sich, soviel
250 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
ich erfahren konnte, bei keinem Gewerbe, außer in
der Handelsmarine. Vergleicht man aber die Gewohn-
heiten eines Soldaten und eines Fabrikarbeiters, so
wird man zugeben müssen, daß die des letzteren ihn
für die Verwendung in einem neuen Gewerbe weniger
untauglich machen, als die des ersteren für Vorwen-
dung in einem Geschäft überhaupt. Der Fabrikarbeiter
war immer gewöhnt, seinen Unterhalt nur seiner Ar-
beit zu verdanken; der Soldat erwartet ihn von seinem
Solde. Anstrengung und Fleiß sind dem einen, Müßig-
gang und Zerstreuung dem anderen vertraut. Es ist
aber gewiß viel leichter, seinen Fleiß von einer Art
Arbeit auf die andere hinüber zu leiten, als Müßig-
gang und Zerstreuung überhaupt zur Arbeit zu bringen.
Überdies haben, wie schon bemerkt, die meisten In-
dustrien so viel Verwandschaft mit anderen, daß ein
Arbeiter seinen Fleiß leicht von der einen auf die
andere übertragen kann. Auch wird die Mehrzahl
solcher Arbeiter gelegentlich zu ländlichen Arbeiten
verwendet. Das Kapital, das sie zuvor in einem Ge-
werbe beschäftigte, wird doch im Lande bleiben, um
eine gleiche Anzahl von Menschen auf andere Weise
zu beschäftigen. Wenn aber das Kapital des Landes
dasselbe bleibt, wird auch die Nachfrage nach Arbeitern
die nämliche oder beinahe die nämliche bleiben, ob-
schon sie an anderen Orten und in anderen Gewerben
beschäftigt werden. Allerdings haben Soldaten und
Seeleute, wenn sie aus dem königlichen Dienst ent-
lassen sind, die Freiheit, überall in Großbritannien oder
Irland ein Gewerbe zu treiben. Stellt man aber die
gleiche natürliche Freiheit des Gewerbes für alle Staats-
bürger ebenso her, wie für die Soldaten und Seeleute;
d. h. bricht man mit den Zunftprivilegien und schafft
das Lehrlingsgesetz ab, die beide wahre Eingriffe in
die natürliche Freiheit sind; nimmt man endlich das
Kap. IT.: Bcschränkuiigoii der Wareneinfuhr. 251
Ansäßigkeitsgesetz zurück, so daß ein armer Arbeiter,
der in einem Grewerbe oder an einem Orte außer Be-
schäftigung kommt, diese in einem anderen Gewerbe
oder an einem anderen Orte suchen darf, ohne eine Ver-
folgung oder Zurückweisung fürchten zu müssen — so
werden weder der Staat noch Einzehie von der ge-
legentlichen Entlsssung gewisser Gattungen von Fabrik-
arbeitern viel mehr zu fürchten haben, als von der Ver-
abschiedung von Soldaten. Unsere Fabrikanten haben
ohne Zweifel große Verdienste um das Land; aber sie
können keine größeren haben als diejenigen, die es mit
ihrem Blute verteidigen, und verdienen daher auch
nicht mit mehr Schonung behandelt zu werden.
Zu erwarten, daß die Handels- und Gewerbefreiheit
in Großbritannien jemals vollkommen hergestellt werde,
ist freilich ebenso töricht, als zu erwarten, daJ.) hier
einmal ein Ozeanien oder Utopien gegründet werden
könnte. Nicht nur die Vorurteile des Publikums,
sondern, was schwerer zu besiegen ist, die Privat-
interessen vieler einzelnen stehen dem schnurstracks
entgegen. Wenn sich die Offiziere der Armee einer
Verminderung der Truppenzahl mit gleichem Eifer und
gleicher Einmütigkeit widersetzten, wie die Fabrikanten
jedem Gesetz, das die Zahl ihrer Mitbewerber auf dem
inländischen Markte vermehren könnte; wenn die
ersteren ihre Soldaten ebenso aufhetzten, wie die
letzteren ihre Arbeiter gegen die, die derartige An-
ordnungen in Vorschlag bringen, so würde es ebenso
gefährlich sein, die Militärmacht zu vermindern, wie
es jetzt gefährlich geworden ist, das Monopol, das
unsere Fabrikanten gegen uns erhalten haben, irgend-
wie einschränken zu wollen. Dieses Monopol hat in
einigen Zünften ihre Anzahl so vermehrt, daß sie
gleich einem übermäßigen stehenden Heere der Re-
gierung furchtbar geworden sind, und vielfach die
■252 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
gesetzgebende Gewalt einschüchtern. Das Parlainents-
mitghed, das jeden Vorschlag zur Kräftigung dieses
Monopols unterstützt, kann sicher darauf rechnen, nicht
nur den Ruf eines Mannes zu gewinnen, der sich auf
die Greschäfte versteht, sondern sich auch bei einer
Klasse von Leuten, die durch Zahl und Reichtum ein
großes Gewicht haben, Einfluß und Popularität zu ver-
schaffen. Widersetzt er sich ihnen dagegen, oder hat er
gar Ansehen genug, um ihre Absichten zu durchkreuzen,
so kann weder die anerkannteste Rechtschaffenheit, noch
der höchste Rang, noch das größte Verdienst um den
Staat ihn vor der schmählichsten Beschimpfung und
Verleumdung, vor pei'sönlicher Beleidigung und selbst
vor wirklicher Gefahr schützen, wie sie aus der in-
solenten Beschimpfung wütender und in ihren Hoff-
nungen getäuschter Monopolisten entsteht.
Der Unternehmer einer großen Fabrik, der durch
plötzliche Freigebung der heimischen Märkte genötigt
würde, sein Geschäft aufzugeben, würde ohne Zweifel
sehr empfindlich leiden. Der Teil seines Kapitals, der
bisher zum Ankauf von Stoffen und zur Bezahlung der
Arbeiter verwendet wurde, kann vielleicht ohne große
Schwierigkeit eine andere Verwendung finden. Aber
derjenige Teil von ihm, der in den Fabrikgebäuden,
Maschinen usw. festgelegt ist, ließe sich schwerlich
ohne beträchtlichen Verlust veräußern. Die billige
Rücksicht auf sein Interesse fordert daher, daß Ver-
änderungen dieser Art nie plötzlich, sondern langsam,
stufenweise, und nach einer sehr langen Ankündigung
eingeführt werden. Die Gesetzgebung sollte deshalb,
wenn es möglich ist, daß ihre Erwägungen nicht
durch die laute Zudringlichkeit parteiischer Interessen,
sondern durch eine großartige Auffassung des allge-
meinen Besten geleitet werden, vielleicht gerade darum
besonders darauf bedacht sein, weder neue Monopole
Kap. IT.: Bescliränkuno-en der Warenoinrnhr. 253
ZU bewilligen, noch die bereits bewilligton weiter aus-
zudehnen. Jede solche Maßregel führt zu Störungen
im Staatsleben, denen ohne neue Störungen schwer
abzuhelfen ist.
Wie weit es angemessen sein kann, Zölle auf die
Einfuhr fremder Waren zu legen, nicht behufs Ver-
hinderung ihres Imports, sondern behufs Vermehrung
des Staatscinkommens, werde ich später im Kapitel
von den Steuern erörtern. Steuern, die die Einfuhr
verhindern oder auch nur vermindern sollen, sind
offenbar für die Zolleinkünfte ebenso nachteilig, wie
für die Handelsfreiheit.
Drittes Kapitel.
Die außergewöhnlichen
Einfuhrbeschränkungen von Waren aus solchen
Ländern, von denen angenommen wird, daß die
Handelsbilanz mit ihnen ungünstig ist.
Erster Teil.
Die Unvernunft solcher Einschränkungen selbst
nach den Grundsätzen des Handelssystems.
Auf die Wareneinfuhr von den Ländern, von denen
angenommen wird, daß die Handelsbilanz mit ihnen
ungünstig ist, außergewöhnliche Kinschränkungen zu
legen, ist das zweite Auskunftsmittel, wodurch das
Handelssystem die Menge von Gold und Silber zu
steigern gedenkt. So können in Großbritannien schle-
sische Leinen zum heimischen Verbrauch gegen Er-
stattung gewisser Zölle eingeführt werden. Franzö-
sische Cambrics und Linons sind dagegen verboten und
dürfen nur in London behufs Wiederausfuhr in Lager-
häuser aufgenommen werden. Auf die französischen
Weine sind höhere Zölle gelegt, als auf diejenigen
Portugals und jedes anderen Landes. Durch den so-
genannten Impost von 1692 wurden alle französischen
Waren mit einem Wertzoll von 25 °, o belegt, während
die Waren anderer Völker größtenteils viel niedrigeren
Zöllen, die kaum 5°/o übersteigen, unterworfen waren.
Allerdings waren französischer Wein, Branntwein, Salz
und Essig davon ausgenommen; diese Waren sind
entweder durch andere Gesetze, oder durch besondere
Kap. ni. : Bo,srliränkun,2,-en der Warcncinfiilir. Tl. I. 255
Klauseln des nämlichen Gesetzes, anderen schweren
Zöllen unterworfen. 1696 wurde, da der erste Zoll die
Einfuhr nicht hinlänglich abgeschreckt zu haben schien,
ein zweiter Zoll von 25^ o auf alle französischen Waren
mit Ausnahme des Branntweins gelegt und zugleich
auf die Tonne französischen Weins ein neuer Zoll von
£ 25 und auf die Tonne französischen Essigs ein Zu-
schlagszoll von £ 15. Bei den allgemeinen sogenannten
Subsidien oder Zöllen von 5'^,o, die auf alle oder die
meisten der im Zolltarif aufgezählten Waren gelegt
sind, wurden französische Waren niemals vergessen.
Rechnen wir die Eindrittel- und Zweidrittel-Subsidie
für eine ganze, so gab es fünf solcher allgemeinen
Subsidien, sodaß vor dem Anfang des jetzigen Kriegs
75°/o als der niedrigste Zoll betrachtet werden kann,
dem die meisten Rohprodukte oder Fabrikate Frank-
reichs unterworfen waren. Bei den meisten Waren
kommen diese Zölle einem Verbote gleich. Die Fran-
zosen haben, glaube ich, unsere Waren ebenso behandelt;
doch bin ich mit den einzelnen Erschwerungen, die
sie auf sie gelegt haben, nicht so genau bekannt. Diese
gegenseitigen Beschränkungen haben allem billigen Ver-
kehr zwischen den beiden Völkern fast ein Ende gemacht,
und die Schmuggler sind jetzt die Hauptimporteure so-
wohl britischer Waren nach Frankreich, als französischer
Waren nach Großbritannien. Die Grundsätze, die ich im
vorigen Kapitel erörtert habe, hatten ihren Ursprung
in Privatinteressen und dem Monopolgeiste; diejenigen,
die ich in diesem Kapitel prüfen will, in nationalen Vor-
urteilen und feindseliger Gesinnung. Sie sind demgemäß
wohl als noch unvernünftiger zu betrachten, und sind
es selbst nach den Grundsätzen des Handelssystems.
Erstens: Selbst wenn es sicher wäre, daß bei freiem
Handel z. B. zwischen Frankreich und England die
Handelsbilanz zu Gunsten Frankreichs ausfallen würde,
256 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
SO wäre daraus keineswegs zu folgern, daß ein solcher
Handel nachteilig für England wäre, oder daß die
Handelsbilanz seines Gesamthandels sich dadurch mehr
gegen England wenden würde. Sind die Weine Frank-
reichs besser und billiger als diejenigen Portugals, oder
seine Leinen waren billiger und besser, als diejenigen
Deutschlands, so ist es für Großbritannien vorteilhafter,
sowohl den AVein wie die fremden Leinenwaren, die es
braucht, von Frankreich zu kaufen, als von Portugal
und Deutschland. Müßte auch der Wert der jährlichen
Einfuhren von Frankreich dadurch bedeutend steigen,
so würde sich doch der Wert der gesamten Jahresein-
fuhr in dem Maße vermindern, als die französischen
Waren derselben Güte billiger wären als diejenigen
der anderen beiden Länder. Dies würde der Fall
sein selbst bei der Annahme, daß sämtliche einge-
führten französischen Waren in Großbritannien ver-
braucht würden.
Zweitens: Ein großer Teil von ihnen kann nach
anderen Ländern wieder ausgeführt werden, wo sie, mit
Gewinn verkauft, einen dem Kaufpreis der gesamten
eingeführten französischen Waren an Wert vielleicht
gleichkommenden Ertrag zurückbringen können. Was
man oft von dem Ostindienhandel gesagt hat, könnte
möglicherweise von dem Handel mit Frankreich richtig
sein, daß nämlich, obwohl die meisten ostindischen
Waren mit Gold und Silber gekauft werden, die Wieder-
ausfuhr eines Teils von ihnen nach anderen Ländern
mehr Gold und Silber in das den Handel treibende
Land zurückbringe, als der Kaufpreis der gesamten
Wai'en betrage. Einer der wichtigsten Zweige des hol-
ländischen Handels besteht dermalen in der Verfrach-
tung französischer Waren nach anderen europäischen
Ländern. Selbst ein Teil der in Großbritannien getrun-
kenen französischen Weine wird heimlich aus Holland
Kap. ITT.: Besoliviinkun.nen il(>r Warencinruhr. Tl. I. 257
und Seeland eingeführt. Wäre der Handel zwischen
Frankreich und England frei, oder könnten franz()sische
Waren wenigstens zu denselben Zöllen eingeführt
werden, wie diejenigen anderer europäischer Völker,
und würde bei der Ausfuhr der Zoll wieder zurück-
gezahlt, so könnte England einen Anteil an dem für
Holland so vorteilhaften Handel erhalten.
Drittens und letztens gibt es kein sicheres Urteil,
wodurch wir bestimmen könnten, auf welcher Seite die
sogenannte Bilanz zwischen den Ländern liegt, oder
welche von ihren Waren im größten Betrag ausführen.
Nationale Vorurteile und Feindseligkeiten, die stets
durch das Privatinteresse gewisser Händler genährt
werden, sind die Antriebe, die bei allen hierher ge-
hörigen Fragen in der Regel unser Urteil leiten. Doch
gibt es zwei Prüfsteine, die bei solchen Gelegenheiten
oft angewandt werden, nämlich die Zolltabellen und der
Wechselkurs. Die Zolltabellen sind, wie jetzt wohl
allgemein anerkannt ist, ein sehr unsicherer Prüfstein,
weil die Schätzung des Wertes bei den meisten Waren
eine sehr ungenaue ist. Der Gang des Wechselkurses
ist es vielleicht fast ebenso.
Wenn der Wechselkurs zwischen zwei Plätzen wie
London und Paris pari steht, so soll dies ein Zeichen
sein, daß die gegenseitigen Schulden von London und
Paris und umgekehrt gleich stehen. Wenn dagegen in
London auf einen Wechsel auf Paris ein Agio gezahlt
wird, so soll dies ein Zeichen sein, daß die Schulden
von London an Paris durch diejenigen von Paris an
London nicht ausgeglichen werden, sondern daß von
letzterem Platze ein Saldo in Geld weggesendet werden
müsse — eine Sendung für deren Gefahr, Mühe und
Kosten das Agio gefordert und bewilligt werde. Der
gewöhnliche Stand des Soll und Haben zwischen diesen
beiden Städten muß jedoch, so behauptet man, durch
Adam SuüUi, VolUswohlslaiuI. IL 17
258 Viertes Buch: Die Systeine der politischen Ökonomie.
den gewöhnlichen Gang der gegenseitigen Geschäfte
geregelt werden. Wenn keine von ihnen von der
anderen mehr einführe, als nach ihr ausführe, so würde
sich das Soll und Haben einer jeden ausgleichen. Wenn
hingegen eine von ihnen von der anderen für einen
größeren Betrag einfühi'e, als nach ihr ausführe, so
werde die erstere notwendig der anderen mit einer
größeren Summe verschuldet, als die andere ihr. Das
Soll und Haben einer jeden gleiche sich nicht aus, und
von dem Platze, dessen Soll das Haben übersteigt,
müsse Geld weggesendet werden. Da also der gewöhn-
liche Wechselkurs ein Anzeichen von dem gewöhnlichen
Stand der Rechnung zwischen den beiden Plätzen sei,
so müsse er auch ein Anzeichen von dem gewöhnlichen
Gang ihrer Ein- und Ausfuhren sein, da diese jenen
Stand notwendig bestimmen.
Allein wenn selbst der gewöhnliche Gang des Wech-
selkurses ein genügendes Beweismittel für den gewöhn-
lichen Stand der Rechnung zwischen zwei Ländern wäre,
so würde daraus nicht folgen, daß die Handelsbilanz
zu Gunsten des Platzes sei, der den gewöhnlichen Stand
des Soll und Haben zu seinen Gunsten hat. Der ge-
wöhnliche Stand des Soll und Haben zwischen zwei
Plätzen wird nicht immer durch den gewöhnlichen
Gang ihrer Geschäfte miteinander ausschließlich be-
stimmt, sondern ist oft durch den Gang der Geschäfte
eines von ihnen mit anderen Plätzen beeinflußt. So ist
es z. B. üblich, die Waren, welche englische Kaufleute
von Hamburg, Danzig, Riga usw. kaufen, mit Wechseln
auf Holland zu bezahlen, und der gewöhnliche Stand
des Süll und Haben zwischen England und Holland
wird daher nicht ausschließlich durch den gewöhnlichen
Gang der Geschäfte dieser beiden Länder miteinander
bestimmt, sondern durch den Gang der Geschäfte Eng-
lands mit diesen anderen Plätzen beeinflußt. Kln^land
Kap. TIT.: Beschränkungen der "Wareneinfuhr. Tl. T. 259
kann genötigt sein, jedes Jahr Geld nach Holland zu
senden, obwohl seine jährlichen Ausfuhren nach diesem
Lande den Jahresbetrag seiner Einfuhren von dorther
weit übersteigen und obwohl die sogenannte Handels-
bilanz sehr beträchtlich zu Gunsten Englands sein kann.
Auf die Art übrigens, wie das pari des Wechsel-
kurses bisher berechnet wurde, kann der gewöhnliche
Gang des Wechselkurses kein hinlängliches Anzeichen
sein, daß der gewöhnliche Stand des Soll und Haben
zu Gunsten des Landes ist, welches den gewöhnlichen
Gang des Wechselkurses zu seinen Gunsten zu haben
scheint, oder, mit anderen Worten, der wirkliche
Wechselkurs kann von dem berechneten oft so gänzlich
verschieden sein, daß aus dem Gang des letzteren in
vielen Fällen kein sicherer Schluß auf den ersteren
gezogen werden kann.
Wenn man für eine in England zahlbare Summe
Geldes, die dem englischen Münzfuß entsprechend, eine
gewisse Anzahl Unzen reinen Silbers enthält, einen
Wechsel für eine in Frankreich zahlbare Geldsumme; die
dem französischen Münzfuß entsprechend, die gleiche
Zahl Unzen Feinsilber enthält, empfängt, so steht, wie
man sagt, der Wechselkurs zwischen England und
Frankreich pari. Zahlt man mehr, so gibt man an-
geblich ein Agio und der Wechselkurs, sagt man, ist
gegen England und zu Gunsten Frankreichs. Zahlt
man weniger, so erhält man nach der Voraussetzung
ein Agio und der Wechselkurs, heißt es, ist gegen
Frankreich und zu Gunsten Englands.
Allein erstens läßt sich der Wert des Kurantgeldes
verschiedener Länder nicht immer nach dem Münzfuß
ihrer betreffenden Münzen beurteilen. In einigen ist
die Münze mehr, in den anderen weniger abgenutzt,
beschnitten oder sonst verschlechtert. Der Wert des
Kurantgeldes in einem Lande steht aber im Vergleich
260 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
ZU dem eines anderen nicht im Verhältnis zu der Menge
reinen Silbers, die es enthalten sollte, sondern zu der,
die es wirklich enthält. Vor der Umprägung der Silber-
münzen zu König Wilhelms Zeit wurde der Wechsel-
kurs zwischen England und Holland in der üblichen
Manier nach dem Münzfuß ihrer betreffenden Münzen
auf 25^/0 gegen England berechnet. Allein der Wert
der Kurantmünze Englands war damals, wie wir von
Lowndes erfahren, mehr als 25% unter seinem Münz-
werte. Der Avirkliche Wechselkurs kann daher damals
sogar zu Gunsten Englands gewesen sein, trotzdem, daß
der berechnete Kurs so sehr gegen England war; eine
geringere Zahl Unzen reinen Silbers, die in England
effektiv gezahlt wurden, können einen Wechsel auf
eine größere Zahl Unzen reinen Silbers, in Holland
zahlbar, gekauft haben, und wer ein Agio zu geben
glaubte, kann in Wahrheit eines erhalten haben. Die
französische Münze war vor der letzten Umprägung
der englischen Goldmünze viel weniger abgenutzt, als
die englische und vielleicht zwei oder drei Prozent ihrem
Münzwert näher. Wenn daher der berechnete Kurs
mit Frankreich nur zwei oder drei Prozent gegen Eng-
land stand, so konnte der wirkliche Kurs zu seinen
Gunsten sein. Seit der Umprägung der Goldmünze
ist der Wechselkurs beständig zu Gunsten Englands
und gegen Frankreich gewesen.
Zweitens werden in einigen Ländern die Kosten
der Ausmünzung von der Regierung bestritten; in
anderen von Privatleuten, welche ihre Barren nach der
Münze bringen, w-obei die Regierung aus der Ausmün-
zung eine Einnahme zieht. In England werden die
Münzkosten von der Regierung getragen, und wenn
man ein Pfund Standardsilber nach der Münze bringt,
erhält man 62 Schillinge dafür, welche ein Pfund des
gleichen Standardsilbers enthalten. In Frankreich wird
Kap. Til.: Beschränkungen der Wareneinfulir. Tl. T. 261
für die Ausprägung eine Gebühr von 8**/o abgezogen,
die nicht allein die Kosten der Prägung deckt, sondern
auch der llegierung eine kleine Einnahme gewährt.
Da in England die Prägung nichts kostet, so kann
die Kurantmünze niemals viel wertvoller sein, als die
Monge Rohmetall, die sie faktisch enthält. In Frank-
reich, wo die Arbeit bezahlt wird, erhöht sich der Wert
in derselben Art, wie bei der Verarbeitung des Silbers
zu Geschirr. Eine Summe französischen Greldes, die
ein gewisses Gewicht reinen Silbers enthält, ist mithin
mehr wert, als eine Summe englischen Geldes, das ein
gleiches Gewicht reinen Silbers enthält und muß mehr
ßohmetall oder andere Waren erfordern, um sie zu
kaufen. Wenn daher auch die Kurantmünzen der beiden
Länder dem Münzfuß ihrer betreffenden Münzen gleich
nahe kommen, so könnte doch eine Summe englischen
Geldes nicht wohl eine Summe französischen Geldes
kaufen, die eine gleiche Zahl Unzen reinen Silbers
enthält, und folglich auch nicht einen Wechsel auf
Frankreich für eine solche Summe. AVenn für einen
solchen Wechsel nicht mehr Aufgeld bezahlt würde,
als hinreicht, um die Kosten der französischen Prägung
zu decken, so könnte der wirkliche Wechselkurs
zwischen beiden Ländern pari sein, ihr Soll und Haben
könnte gegenseitig sich ausgleichen und der berechnete
Kurs wäre trotzdem bedeutend zu Gunsten Frankreichs.
Wenn weniger als diese Summe bezahlt würde, so könnte
der wirkliche Wechselkurs zu Gunsten Englands sein
und der berechnete gleichwohl zu Gunsten Frankreichs.
Drittens und letztens werden an einigen Plätzen,
wie Rotterdam, Hamburg, Venedig usw., ausländische
Wechsel in dem sogenannten Bankogeld gezahlt, an
anderen dagegen, wie London, Lissabon, Antwerpen,
Livorno, usw., in dem gewöhnlichen Umlaufsmittel des
Landes. Das sogenannte Bankogeld ist stets von
262 Viertes Buch: Die S^^steme der politischen Ökonomie.
größerem Wort, als dieselbe Nominalsumme in gewöhn-
lichen Umlaufsmitteln. Tausend Gulden in der Bank
von Amsterdam z. B. sind mehr wert als tausend Gulden
holländisch Kurant. Die Differenz zwischen ihnen wird
Bankagio genannt, das in Amsterdam in der Regel etwa
5 ° 0 beträgt. Angenommen, das Kurantgeld der beiden
Länder komme dem Münzfuß ihrer bezüglichen Münzen
gleich nahe und das eine zahle ausländische Wechsel
in diesem gewöhnlichen Umlaufsmittel, während das
andere sie in Bankogeld zahlt, so ist es klar, daß der
berechnete Wechselkurs zu Gunsten desjenigen Landes
sein kann, das in Bankogeld zahlt, wenn auch der wirk-
liche Kurs zu Gunsten desjenigen sein sollte, das in
Kurantgeld zahlt; und zwar aus dem nämlichen Grunde,
aus welchem der berechnete Kurs zu Gunsten des Landes
sein kann, welches in besserem Gelde, d. h. in dem
seinem Münzfuße näher kommenden Gelde zahlt, ob-
wolil der wirkliche Kurs zu Gunsten des Landes sein
kann, das in schlechterem zahlt. Der berechnete
Wechselkurs war, vor der letzten Umprägung der Gold-
münze, mit Amsterdam, Hamburg, Venedig und ich
glaube mit allen anderen Plätzen, die in sogenanntem
Bankogeld zahlen, in der Regel gegen London. Daraus
folgt aber keineswegs, daß der wirkliche Kurs gegen
I^ondon gewesen ist. Seit der Umprägung der Gold-
münze hat er sich selbst mit diesen Plätzen zu Gunsten
Londons gewendet. Der berechnete Wechselkurs war
in der Regel mit Lissabon, Antwerpen, Livorno und,
Frankreich ausgenommen, wohl mit den meisten anderen
Plätzen Europas, die in dem gewöhnlichen Kurant zahlen,
zu Gunsten Londons, und es ist nicht unwahrscheinlich,
daß der wirkliche Kurs es ebenfalls war.
Kap. HI.: Eine Absrliwcil'ung über Depositenbanken. 263
Abschweifung über die Depositenbanken,
namentlich diejenige Amsterdams.
Die Umhiufsmittel eines großen Staats wie Frank-
reich und Enghxnd bestehen in der Regel fast ausschließ-
lich aus seiner eigenen Münze. Sollte das Umlaufsmittel
mithin einmal abgenutzt, beschnitten oder sonst unter
seinen Währungswert gesunken sein, so kann der Staat
durch eine Umprägung seiner Münze den Nennwort
leicht wiederherstellen. Das Kurantgold eines kleinen
Staats wie Genua oder Hamburg dagegen kann schwer-
lich durchaus in seiner eigenen Münze bestehen, sondern
wird zu einem großen Teil aus Münzen aller benach-
barten Staaten bestehen, mit denen seine Einwohner
einen ununterbrochenen Verkehr haben. Ein derartiger
Staat kann mithin durch Umprägung seiner Münze nicht
immer seine Umlaufsmittel reformieren. Werden in
diesem Umlaufsmittel auswärtige Wechsel gezahlt, so
muß der unsichere Wert einer Summe Geldes, das seiner
Natur nach selbst so unbestimmt ist, den Wechselkurs
stets erheblich gegen einen solchen Staat wenden, da
seine Umlaufsmittel in allen auswärtigen Ländern unter
ihrem wirklichen Wert stehen.
Um nun den Schaden abzuwenden, den dieser un-
günstige Wechselkurs für die Kaufleute solcher kleinen
Staaten herbeiführen muß, haben diese, sobald sie ihrem
Handel größere Teilnahme zuwendeten, oft verordnet,
daß auswärtige Wechsel von einem gewissen Betrag
nicht in dem gewöhnlichen Kurantgeld, sondern durch
eine Anweisung auf eine bestimmte Bank oder durch
eine Übertragung in deren Büchern bezahlt werden
solle, einer Bank, die auf Kredit gegründet war und
unter dem Schutz des Staates stand; und diese Bank
war stets verpflichtet, in gutem und richtigem, dem
Münzfuß des Staats genau entsprechendem Gelde zu
26-1 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
zahlen. Die Banken von Venedig, Genua, Amsterdam,
Hamburg und Nürnberg scheinen sämtlich ursprüng-
lich mit dieser x^bsicht gegründet zu sein, wenn auch
einige von ihnen später anderen Zwecken dienstbar
gemacht worden sind. Da das Geld solcher Banken
besser ist, als das gewöhnliche Kurantgeld des Landes,
so trug es natürlich ein größeres oder kleineres Agio,
je nachdem das Kurant als mehr oder weniger gegen
den Münzfuß des Staates verschlechtert galt. Das Agio
der Bank von Hamburg z. B., das gewöhnlich etwa
14°/o betragen soll, ist die vorausgesetzte Differenz
zwischen dem Normalgelde des Staats und dem be-
schnittenen, abgenutzten und verschlechterten Kurant,
das von allen benachbarten Ländern hereinströmt.
Vor 1609 verringerte die große Menge beschnittener
und abgenutzter ausländischer Münzen, die der ausge-
dehnte Handel Amsterdams aus allen Teilen Europas
zusammenbrachte, den Wert des dortigen Kurant etwa
9^*0 unter denjenigen des guten, frisch aus der Münze
kommenden Geldes. Das gute Geld kam nicht so bald
in Umlauf, als es auch schon eingeschmolzen oder
ausgeführt wurde, wie es in solchen Fällen stets ge-
schieht. Die Kaufleute konnten bei reichlich vorhan-
denen Umlaufsmitteln nicht immer eine hinreichende
Menge guter Münzen finden, um ihre Wechsel zu
zahlen, und der Wert dieser Wechsel wurde trotz
verschiedener Verordnungen, die es verhüten sollten,
in hohem Maße unsicher.
Um diesem Übelstande abzuhelfen, wurde 1609
unter der Garantie der Stadt eine Bank gegründet.
Diese Bank nahm sowohl die ausländischen, wie die
leichten und abgenutzten Landesmünzen zu ihrem
wahren inneren Werte nach der Landeswährung an und
zog nur so viel ab, wie für die Deckung der Prägungs-
und anderer notwendigen Verwaltungskosten erforder-
Kap. III.: Eine Abschweifung über Depositenbanken. 265
lieh war. Für den nach diesem oeringl'iigigen Abzug
übrig bleibenden Betrag gab sie einen Kredit in ihren
Büchern, der Bankgeld genannt wurde, das, da es ein
genau dem Währungswerte entsprechendes Geld dar-
stellte, stets von demselben tatsächlichen Wert war,
wie dies, und einen höheren inneren Wert hatte, als
das Kurantgeld. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß
alle auf Amsterdam gezogenen Wechsel im Werte von
600 Gulden und darüber in Bankgeld gezahlt werden
sollten, was auf einmal alle Unsicherheit im Werte
dieser Wechsel beseitigte. Infolge dieser Bestimmung
war jeder Kaufmann genötigt, sich ein Konto bei dieser
Bank zu verschaffen, um seine auswärtigen Wechsel
zu bezahlen, was natürlich eine bestimmte Nachfrage
nach Bankgeld veranlaßte.
Außer seinem großen inneren Wert im Verhältnis
zum Kurantgeld und dem durch jene Nachfrage ihm
erteilten AVert, besitzt das Bankgeld noch andere Vor-
züge. Es ist sicher vor Feuersgefahr, Diebstahl und
anderen Unfällen; die Stadt Amsterdam leistet dafür
Bürgschaft; es kann durch eine einfache Übertragung
ohne die Mühe des Zählens oder das Risiko des Trans-
ports von einem nach dem andern Platze, gezahlt werden.
In Folge dieser verschiedenen Voi'züge scheint es von
Anfang an ein Agio gebracht zu haben, und man glaubt
allgemein, daß all das Geld, das ursprünglich in der
Bank deponiert war, darin geblieben ist, da Niemandem
daran lag, Zahlung für eine Schuld zu fordern, die er
gegen ein x\gio verkaufen konnte. Fordert der Be-
sitzer eines Bankkredits Zahlung von der Bank, so ver-
liert er dieses Asio. Wie ein frisch von der Münze
kommender Schilling nicht mehr Waren kaufen wird,
als ein außergewöhnlich abgenutzter Schilling, so würde
auch das gute und vollwichtige Geld der Bank, wenn
es in die Hände eines Privatmanns übergeht und mit
266 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
dem gewöhnlichen Kurant des Landes vermischt und
vertauscht wird, nicht mehr Wort haben, als dieses
Kurant, von dem es l'erner nicht leicht zu unter-
scheiden wäre. So lange es in der Bank blieb, war
sein Vorzug bekannt und unzweifelhaft. Kommt es
dagegen an eine Privatperson, so würde es vielleicht
mühsamer sein, seinen höheren Wert festzustellen, als
es die Differenz wert ist. Duich sein Heraustreten
aus den Kassen der Bank verliert es überdies alle die
anderen Vorzüge des Bankgeldes: seine Sicherheit,
seine leichte und sichere Übertragbarkeit, seine Ver-
wendbarkeit als Zahlmittel für ausländische Wechsel.
Überdies konnte man, wie sich zeigen wird, es nicht
aus den Kassen der Bank entnehmen, ohne vorher die
Aufbewahrungskosten zu bezahlen.
Die Depositen an Bargeld, d. h. die Depositen,
welche die Bank in Münze wiederzuerstatten verpflichtet
war, bildeten das Stammkapital der Bank, oder den
ganzen Wert dessen, was durch das sogenannte Bank-
geld repräsentiert war. Gegenwärtig nimmt man an,
daß sie nur einen sehr kleinen Teil davon bilden. Um
den Bullionhandel zu erleichtern, pflegt die Bank seit
diesen vielen Jahren auf Depositen von Gold- und
Silberbarren Kredit in ihren Büchern zu erteilen.
Dieser Kredit ist in der Regel etwa 5"o unter dem
Münzpreise solcher Barren. Die Bank erteilt dagegen
einen Schein, der den Deponenten oder Inhaber be-
rechtigt, die deponierten Barren innerhalb sechs Mo-
naten jederzeit wieder herauszunehmen, wenn er an
die Bank eine gleiche Menge Bankgeld, wie die, worauf
ihm in ihren Büchern auf das Depositum Kredit ge-
geben war, zurücküberträgt und für die Aufbewahrung
des Deposits, falls es in Silber bestand, V* "/o und falls
in Gold ^,2" 0 zahlt, gleichzeitig aber erklärt, daß mangels
solcher Zahlung und beim Erlöschen dieses Termins das
Kap. HI.: Eine Abychweifiini;' nt)ec Depositenbanken. 267
Depositum der Bank zu dem Preise gehören soll, zu
welchem sie es angenommen oder wofür sie in ihren
Büchern Kredit eröffnet hatte. Was so für die Aufbe-
wahrung des Deposits gezahlt wird, kann als eine Ait
von Lagerhauszins betrachtet werden ; und warum dieser
Lagerhauszins für Gold um soviel teurer sein soll, als
für Silber, dafür hat man verschiedene Gründe geltend
gemacht. Die Feinheit des Goldes, hat man gesagt, ist
schwieriger festzustellen, als die des Silbers. Betrüge-
reien sind leichter möglich und veranlassen bei dem
edleren Metall einen größeren Verlust. Überdies ist
Silber das Währungsmetall, und der Staat, sagte man,
wünsche mehr die Hinterlegung von Silberdepositen
als von Golddepositen zu begünstigen.
Depositen von Barren werden am häufigsten ge-
macht, wenn der Preis etwas niedriger als gewöhnlich
steht, und werden herausgezogen, wenn er steigt. In
Holland steht der Marktpreis des Bullion gewöhnlich
über dem Münzpreise, aus demselben Grunde, aus dem
es in England vor der letzten Umprägung der Gold-
münzen der Fall war. Die Differenz soll in der Regel
6 — 16 Stüber auf die Mark, oder 8 Unzen Silber zu
^^12 fein und V12 Zusatz betragen. Der Bankpreis, oder
der Kredit, den die Bank für Depositen von solchem
Silber (auch in ausländischen Münzen von bekannter und
anerkannter Feinheit, wie die mexikanischen Dollars) er-
teilt, beträgt 22 Gulden für die Mark ; der Münzpreis ist
ungefähr 23 Gulden und der Marktpreis 23 fl. 6 St. bis
23 fl. 16 Stüber, oder 2 bis 3" 0 über dem Münzpreise."'')
*) Die Sätze, zu denen die Bank von Amsterdam in diesem
Augenblick (September 1775) Metall und Münzen annimmt, sind
folgende :
Silber:
Mexikanische Piaster (Dollars) ]
Französische Kronen . . . . / Gulden 22. — pr. Mark
Englische Silbermünzen . . . j
268 Viertes Bucli: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Die Verhältnisse zwischen dem Bankpreise, Münzproise
und Marktpreise der Goldbarren sind beinahe die
gleichen. Man kann in der Regel seinen Bankschein
für die Differenz zwischen dem Münzpreise der Barren
und dorn Marktpreise verkaufen. Ein Schein für Bullion
ist fast stets etwas wert und es kommt daher selten
vor, daß jemand ihn erloschen, oder seine Barren zu
dem Preise, zu dem sie die Bank angenommen hat,
verfallen läßt, indem er sie entweder nicht vor Ab-
lauf der 6 Monate zurücknimmt, oder die Zahlung des
Vi oder ^'2'',ü für die Verlängerung auf abermalige
() Monate verabsäumt. Immerhin soll es, zwar selten,
aber doch gelegentlich vorgekommen sein, und zwar
bei Gold häufiger als bei Silber, wegen der höheren
Lagerhausgebühr, die für die Aufbewahrung des
edleren Metalles zu zahlen ist.
Wer gegen ein Depositum von Bullion sowohl einen
Bankkredit wie einen Schein erhält, zahlt seine Wechsel
bei Fälligwerden mit diesem Bankkredit und vorkauft
Mexikanische neue Piaster . . Gulden 21. — pr. Mark
Ducatons „ 3. — pr. Stück
Reichstaler „ 2. 8 „
Silber in Barren "/j,j fein =21 pr. Mark, und in dem-
selben Verhältnis herab bis zu 74 ^eiu, wofür 5 Gulden gegeben
werden. Barren fein Silber = 23 pr. Mark.
Gold:
Portugiesische Münzen ... 1
Guineen / Gulden 310. — pr. Mark
Loui.sd'or, neue j
Louisd'or, alte, „ 300. — „
Neue Dukaten „ 4. 19. 8 per Due.
Gold in Barren wird im Verhältnis seiner Feinheit zu den
genannten Münzen angenommen; auf Barren fein Gold gibt die
Ijaiik 340 fl. pr. Mark. Im Allgemeinen wird indessen auf
]M Unzen von anerkannter Feinheit etwas mehr gegeben als auf
Gold- und Silberbarren, deren Feinheit erst durch Schmelzen
und Probieren zu ermitteln ist.
Kap. TIT.: Eine Absrlnveifiin,<>- über Depositenhanken. 269
oder behält seinen Schein, je nachdem er glaubt, daß
der Preis des Bullion steigen oder fallen wird. Der
Schein oder der Bankkredit bleiben selten lange in
einer Hand, und es ist dazu auch kein Anlaß vor-
handen. Wer einen Schein hat und Bullion braucht,
findet stets eine Menge Bankgeld zum gewöhnlichen
Preis, und wer Bankgeld hat und Bullion braucht,
findet stets Bankscheine in gleicher Menge.
Die Besitzer von Bankkrediten und die Inhaber von
Scheinen bilden zwei verschiedene Sorten von Gläu-
bigern der Bank. Der Inhaber eines Scheins kann das
Bullion, auf das der Schein ausgestellt ist, nicht heraus-
ziehen, ohne der Bank eine dem Preis, zu dem sie das
Bullion angenommen hatte, gleichkommende Summe
Bankgeld zu verschreiben. Wenn er kein Bankgeld
selbst besitzt, muß er es von anderen kaufen. Der Be-
sitzer von Bankgeld kann Bullion nicht herausziehen,
ohne der Bank Scheine für die Menge, die er braucht,
zu produzieren. Wenn er im eigenen Besitz keine hat,
muß er sie von anderen kaufen. Der Inhaber eines
Scheins, der Bankgeld kauft, kauft damit die Mittel,
eine Menge Bullion herauszunehmen, dessen Münzpreis
ö^/o unter dem pari-Preis steht. Das Agio von 5°,o,
das er in der ßegel dafür bezahlt, wird mithin nicht
für einen eingebildeten, sondern für einen tatsächlichen
Wert gezahlt. Kauft der Besitzer von Bankgeld einen
Schein, so kauft er das Mittel, eine gewisse Menge
Bullion herauszunehmen, dessen Marktpreis in der Regel
2 bis 3 " 0 über dem Münzpreis steht. Der Preis, den
er dafür zahlt, wird mithin ebenfalls für einen tatsäch-
lichen Wert gezahlt. Der Preis des Scheins und der
Preis des Bankgeldes machen zusammen den vollen
Wert oder Preis. des Bullion aus.
Auf Depositen in der Landesmünze gewährt die
Bank ebensowohl Scheine wie Bankkredite. Allein diese
270 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Scheine sind oft von keinem Wert und haben daher auch
keinen Marktpreis. Auf Ducatons z. B., die im Umlauf
3 Gulden 3 Stüber gelten, gibt die Bank nur einen Kredit
von 3 Gulden, oder 5 °/o weniger als ihren Kurantwert.
Sie gibt einen Schein, der den Inhaber gleicherweise
berechtigt, die deponierte Anzahl von Dukatons inner-
halb G Monaten gegen Zahlung von ' t° o für die Auf-
bewahrung wieder herauszunehmen. Dieser Schein wird
oft keinen Marktpreis haben. Drei Gulden Bankgeld
sind in der Regel auf dem Markt 8 Gulden 3 Stüber,
d. h. den vollen Wert der Dukatons, wenn sie aus
der Bank genommen würden, wert, und ehe sie heraus-
genommen werden können, müssen sie Vi^/o für die
Aufbewahrung zahlen, was für den Inhaber des Scheines
lediglich ein Verlust sein würde. Fällt jedoch das Agio
der Bank einmal auf 8*^/0, so können diese Scheine
einen Marktpreis haben und für 1 ° 0 Agio verkauft
werden. Jetzt steht das Agio der Bank in der Regel
5"/o und man läßt daher solche Scheine oft verfallen.
Die Scheine, vvelche für Depositen von Golddukaten
gegeben werden, läßt man noch öfter verfallen, weil
auf sie ein höherer Lagerhauszins, nämlich ^12 ", o für
die Aufbewahrung bezahlt werden muß, wenn man sie
wieder haben will. Die 5^/o, welche die Bank ver-
dient, wenn die Depositen von Münze oder Bullion
verfallen, können als der Lagerhauszins für die Auf-
bewahrung solcher Depositen gelten.
Die Summe des Bankgeldes, für die die Scheine
verfallen, muß sehr bedeutend sein und das ganze
Stammkapital der Bank umfassen, das, wie man annimmt,
seit der Zeit der ersten Depositen darin geblieben ist,
weil niemand ein Interesse daran hatte, seinen Schein
erneuern zu lassen, oder sein Depositum zu erheben, da
aus den bereits angeführten Gründen niemand das eine
oder andere ohne Verlust tun konnte. Welches aber
Kap. TT!.: Eine Abschweifung- über Depositenbanken. 271
auch der Betrag dieser Summe s in mag, im Verhältnis
zur Gesamtmenge des Bankgeldes gilt sie doch nur für
sehr klein. Die Bank von Amsterdam ist seit dieser
langen Zeit das grüßte Lagerhaus Europas für Bullion
gewesen, wofür man die Scheine selten verfallen ließ.
Der bei weitem größte Teil des Bankgeldes oder der
Buchkredite der Bank soll seit diesen vielen Jahren
durch die Depositen geschaffen sein, welche die Edel-
metallhändler ununterbrochen machen und herausziehen.
Forderungen an die Bank können nur auf Grund
eines Scheines erhoben werden. Der kleinere Teil des
Bankgeldes, wofür die Scheine erloschen sind, ist mit
der weit größeren Masse, für die sie noch in Kraft be-
stehen, gemischt, sodaß, wenn auch eine beträchtliche
Summe vorhanden ist, für die es keine Scheine gibt,
dennoch kein besonderer Teil sich darunter befindet,
der nicht zu irgend einer Zeit von irgend wem einge-
fordert werden könnte. Die Bank kann nicht an zwei
Personen für dieselbe Sache Schuldnerin sein und der
Besitzer von Bankgeld, der keinen Schein hat, kann
von der Bank nicht eher Zahlung fordern, als bis er
einen kauft. In gewöhnlichen und ruhigen Zeiten kann
es ihm nicht schwer werden, einen Schein zum Markt-
preise zu kaufen, der in der Regel dem Preis entspricht,
zu welchem er die Münze oder das Bullion verkaufen
kann, das aus der Bank zu nehmen der Schein berechtigt.
Anders kann es freilich während einer öffentlichen
Notlage sich gestalten, bei einem kriegerischen Einfall
z. B., wie der der Franzosen im Jahre 1672. Die Be-
sitzer von Bankgeld sind dann alle bestrebt, es aus der
Bank in eigene Verwahrung zu nehmen, und die Nach-
frage nach Scheinen kann dann ihren Preis auf eine
exorbitante Höhe steigern. Ihre Besitzer können sich
ausschweifenden Erwartungen hingeben und anstatt 2
bis 8°/o die Hälfte des Bankgeldes fordern, das auf die
272 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Depositen, auf welche die Scheine lauten, kreditiert
wurde. Der Feind, der die Verfassung der Bank kennt,
könnte selbst die Scheine aufkaufen, um zu verhindern,
daß der Barschatz fortgeführt werde. In solchen Not-
lagen würde indeß, wie man annimmt, die Bank wohl
ihre gewöhnliche ßegel, nur an die Inhaber von Schei-
nen Zahlung zu leisten, durchbrechen. Die Inhaber
von Scheinen, die kein Bankgeld hätten, müßten doch
den Wert des Deposits, wofür ihre Scheine ausgestellt
worden sind, bis auf 2 oder 3 ''/o erhalten haben. Die
Bank, sagt mau, würde daher in diesem Fall kein
Bedenken tragen, den vollen Wert dessen, was den
Besitzern von Bankgeld, die keine Scheine erhalten
können, als Kredit in ihre Bücher eingeschrieben war,
entweder in Geld oder Bullion zu zahlen und gleich-
zeitig auch die 2 oder 3^/o an solche Inhaber von
Scheinen, die kein Bankgeld haben, da dies der ganze
Betrag ist, auf den sie unter solchen Umständen mit
Recht Anspruch hätten.
Selbst in gewöhnlichen und ruhigen Zeiten liegt
es im Interesse der Inhaber von Scheinen, das Agio
zu drücken, um entweder Bankgeld (und folglich das
Bullion, welches aus der Bank zu nehmen ihr Schein
sie in den Stand setzen würde) um so billiger zu kaufen,
oder ihre Scheine an Leute, die Bankgeld haben und
Bullion herausnehmen wollen, desto teurer zu verkaufen,
da der Preis eines Scheins in der E-egel der Differenz
zwischen dem Marktpreise des Bankgeldes und dem der
Münze oder des Bullion, wofür der Schein bewilligt war,
gleich ist. Im Interesse der Inhaber des Bankgeldes
hingegen liegt es, das Agio zu steigern und entweder
ihr Bankgeld um so teurer zu verkaufen, oder einen
Schein um so billiger zu kaufen. Um die Machen-
schaften der Börsenjobber zu verhüten, die durch diese
entgegenstehenden Interessen veranlaßt werden können,
war die Bank vor einigen Jahren zu dem Entschluß
Kap. IIT. : Eine Abschweifung- über Depositenbanken. 273
gekommen, jederzeit Bankgeld für Kurant mit ö^/o
Agio zu verkaufen und es mit 4''/o Agio wieder zu
kaufen. Infolge dieses Beschlusses kann das Agio
niemals über 5 °/o steigen oder unter 4" o fallen und
das Verhältnis zwischen dem Marktpreis und dem Bank-
und Kurantgeld ist zu allen Zeiten dem Verhältnis
zwischen ihren inneren Werten beinahe gleich. Bevor
dieser Beschluß gefaßt war, pflegte der Marktpreis
des Bankgeldes zuweilen bis auf 9 ° o Agio zu steigen
und zuweilen auf pari zu sinken, je nachdem die ent-
gegenstehenden Interessen den Markt beeinflußten.
Die Bank von Amsterdam erklärt, daß sie von
ihren Depositen nichts ausleihe, sondern für jeden
Gulden, wofür man in ihren Büchern kreditiert steht,
den Wert eines Gulden entweder in Geld oder Barren
liegen habe. Daß sie in ihren Kassen all das Geld
oder Rohmetall hat, wofür Scheine ausgestellt wurden,
die jederzeit zur Einlösung präsentiert werden können
und die tatsächlich beständig hin- und zurückgehen,
ist nicht wohl zu bezweifeln. Ob es aber hinsichtlich
derjenigen Teile ihres Kapitals der Fall ist, wofür die
Scheine schon längst erloschen sind, die in gewöhn-
lichen und ruhigen Zeiten nicht eingefordert werden
können und die tatsächlich aller Wahrscheinlichkeit nach
für immer oder wenigstens so lange, wie die General-
staaten bestehen, bei ihr bleiben werden, ist wohl nicht
so unzweifelhaft. In Amsterdam indessen steht kein
Glaubensartikel fester, als daß für jeden Gulden, der
als Bankgeld umläuft, ein entsprechender Gulden in
Gold oder Silber im Schatze der Bank zu finden sei.
Die Stadt leistet dafür Garantie. Die Bank steht unter
der Direktion der vier regierenden Bürgermeister, die
jedes Jahr wechseln. Jede neue Reihe von Bürger-
meistern untersucht den Schatz, vergleicht ihn mit den
Büchern, leistet einen Eid darauf und liefert ihn mit
Adam Smith, Volkswohlstand. U. i !5
274 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie,
derselben hergebracliten Feierlichkeit ihren Nachfolgern
ab; und in diesem ordentlichen und religiösen Lande
sind Eide noch heilig. Ein derartiger Turnus scheint
allein schon eine ausreichende Sicherheit iregen alle un-
zulässigen Praktiken darzubieten. Inmitten aller der
Revolutionen, die der Parteigeist in der Regierung
von Amsterdam veranlaßt hat, klagte die herrschende
Partei ihre Vorgänger niemals einer Untreue in der
Bankvervvaltung an. Keine Anklage hätte das Ansehen
und das Glück der unterlegenen Partei tiefer schädigen
können, und wenn eine solche Anklage Grund gehabt
hätte, darf man überzeugt sein, daß sie erhoben worden
wäre. Im Jahre 1672, als der König von Frankreich
in Utrecht war, zahlte die Bank von Amsterdam so
leicht, daß an der treuen Erfüllung ihrer Verpflich-
tungen kein Zweifel bleiben konnte. Manche Stücke,
die damals aus ihren Kassen kamen, schienen von
dem Feuer angegriffen zu sein, das im Stadthause
bald nach Gründung der Bank ausgebrochen war, und
mußten mithin seit dieser Zeit dort gelegen haben.
Welchen Betrag der Barschatz der Bank erreicht,
ist eine Frage, die die Berechnungen der Neugierigen
lange beschäftigt hat; doch können darüber nur Ver-
mutungen angestellt werden. Im Allgemeinen rechnet
man, daß ungefähr zweitausend Leute bei der Bank
Konten haben, und wenn man annimmt, daß jeder
durchschnittlich £ 1500 auf seinem Konto habe (was
sehr hoch gerechnet ist), so würde die Gesamtmenge
des Bankgeldes, und folglich auch des Schatzes in
der Bank, sich auf etwa 3 Millionen Pfund oder, zu
11 Gulden das Pfund, auf 33 Millionen Gulden belaufen;
eine bedeutende Summe und hinreichend, um einen sehr
ausgedehnten Umlauf zu unterhalten, aber gleichwohl
weit unter den ausschweifenden Ideen, die manche
Leute sich von diesem Schatz oebildet haben.
Kap. ITT.: Eine Abschweifung^- übei- Depositenbanken. 275
Die Stadt Amsterdam zieht aus der Bank eine be-
deutende Einnahme. Außer dem, was man den oben
berührten Lagerhauszins nennen kann, zahlt jeder bei
der ersten Eröffnung eines Kontos eine Gebühr von
10 Gulden und für jedes neue Konto 3 Gulden 3 Stüber;
für jede Übertragung 2 Stüber, und wenn die Über-
tragung weniger als 300 Gulden beträgt, 6 Stüber, um
die häufige Übertragung so kleiner Beträge zu verhin-
dern. Wer es verabsäumt, sein Konto zweimal im Jahr
auszugleichen, verfällt in eine Strafe von 25 Gulden.
Wer eine Übertragung für mehr als sein Guthaben an-
weist, hat 3''/o für die überschüssige Summe zu zahlen
und seine Anweisung wird überdies bei Seite gelegt.
Auch macht, wie man annimmt, die Bank durch den
Verkauf fremder Münzen oder Barren, die zuweilen
durch Erlöschen der Scheine ihr anheimfallen und die
sie stets liegen läßt, bis sie sie mit Vorteil verkaufen
kann, einen beträchtlichen Gewinn. Ebenso durch Ver-
kauf des Bankgeldes zu 5*^/0 Agio und durch seinen
Kauf zu 4°/o. Diese verschiedenen Einnahmequellen
betragen bei weitem mehr, als zur Bezahlung der Ge-
hälter der Beamten und zur Deckung der Verwaltungs-
kosten erforderlich ist. Die Zahlungen für die Aufbe-
wahrung des Bullion gegen Scheine sollen allein eine
jährliche Nettoeinnahme von 150,000 bis 200,000 Gul-
den ausmachen. Der ursprüngliche Zweck dieser Ein-
richtung war jedoch nicht die Erzielung einer Ein-
nahme, sondern der öffentliche Nutzen. Ihr Zweck
war, die Kaufleute von den Nachteilen eines ungünstigen
Wechselkurses zu befreien. Die Einnahme, welche
daraus entstanden ist, war eine unvorhergesehene und
kann als nebensächlich betrachtet werden.
Es ist nun Zeit, von dieser langen Abschweifung,
in die ich unvermerkt geraton bin, um die Gründe zu
erklären, warum der Wechselkurs zwischen den Län-
18-
276 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
dern, die in sogenanntem Bankgeld zahlen und denen,
die in gewöhnlichem Kurant zahlen, in der Regel zu
Gunsten der ersteren und gegen die letzteren zu sein
scheint, zurückzukehren. Das erstere zahlt in einer
Geldsorte, deren innerer Wert stets derselbe ist und
sich genau dem Münzfuß der bezüglichen Münzen an-
paßt; das letztere in einer Geldsorte, deren innerer
Wert beständig schwankt und fast stets mehr oder
weniger unter jenem Münzful3e steht.
Zweiter Teil.
Von der Unvernunft solcher außerordentlichen Beschrän-
kungen nach anderen Grundsätzen. •
Im Vorhergehenden habe ich zu zeigen gesucht,
wie unnötig es sogar nach den Grundsätzen des Handels-
systems ist, außergewöhnliche Beschränkungen auf die
Einfuhr von Waren aus solchen Ländern zu legen, mit
denen die Handelsbilanz als ungünstig angenommen wird.
Nichts kann jedoch alberner sein, als diese ganze
Lehre von der Handelsbilanz, auf welche nicht allein
diese Einschränkungen, sondern fast alle anderen
Handelsregelungen gegründet sind. Wenn zwei Plätze
miteinander Handel treiben, so nimmt diese Lehre an,
daß, wenn die Handelsbilanz sich ausgleicht, keiner von
ihnen etwas verliert oder gewinnt; wenn sie sich aber
in irgend einem Grade auf die eine Seite neigt, einer
von ihnen verliert und der andere gewinnt, genau in
dem Verhältnis ihrer Abweichung von dem Gleichge-
wicht. Beide Annahmen sind falsch. Ein Handel, der
mittelst Ausfuhrprämien und Monopolen gewaltsam
herbeigeführt ist, kann für das Land, zu dessen Gunsten
er angeblich eingerichtet worden ist, ungünstig sein
und ist es in der Tat gewöhnlich, wie ich später zeigen
Kap. III.: Beschränkungen der Wareneinfuhr. Tl. TT. 277
werde. Der Handel aber, der ohne Gewalt oder Zwang
zwischen zwei Plätzen naturgemäß besteht, ist stets
vorteilhaft für beide, wenn auch nicht für jeden gleich
vorteilhaft.
Unter Vorteil oder Gewinn verstehe ich nicht die
Zunahme der Gold- und Silbermenge, sondern die Zu-
nahme des Tauschwertes des jährlichen Boden- und
Arbeitsertrags des Landes, oder die Zunahme der
jährlichen Einkünfte seiner Bewohner.
Gleicht sich die Bilanz aus, und besteht der Handel
zwischen den beiden Plätzen lediglich im Austausch
ihrer selbsterzeugten Waren, so werden sie in den
meisten Fällen nicht allein beide gewinnen, sondern
gleichmäßig oder beinahe gleichmäßig gewinnen; jeder
wird in diesem Fall einen Markt für einen Teil der
überschüssigen Produkte des andern darbieten; jeder
wird ein Kapital ersetzen, das in der Produktion und
Veredlung dieses Teils von überschüssigen Produkten
des andern angelegt war und das unter eine gewisse
Zahl seiner Einwohner verteilt, ihnen Einkommen und
Unterhalt gab. Ein Teil der Einwohner eines jeden
wird daher indirekt sein Einkommen und seinen Unter-
halt von dem andern beziehen. Da die umgesetzten
Waren ebenfalls als gleichwertig angenommen sind, so
werden auch die im Handel angelegten Kapitalien in
den meisten Fällen gleich oder nahezu gleich sein, und
da beide in der Produktion heimischer Erzeugnisse der
beiden Länder angelegt sind, so wird das Einkommen
und der Unterhalt, die ihre Verteilung den Einwohnern
eines jeden darbieten wird, gleich oder nahezu gleich
sein. Diese Einkünfte und dieser Unterhalt, die man
sich gegenwärtig gewährt, werden je nach dem Umfang
ihrer Geschäfte größer oder kleiner sein. Wenn sie
sich jährlich z. B. auf £ 100,000 oder auf eine Million
auf jeder Seite belaufen, so würde jeder der Plätze den
278 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Einwohnern des andern in dem einen Fall ein jähr-
liches Einkommen von £ 100,000, in dem andern ein
solches von einer Million gewähren.
Wäre ihr Handel so beschaffen, daß einer der
Plätze dem andern nur heimische Produkte zuführte,
während die Rücksendungen des andern lediglich aus
fremden Waren beständen, so würde die Bilanz sich
dennoch ausgleichen, da Waren mit Waren bezahlt
werden. Beide Plätze würden in diesem Falle ge-
winnen, aber nicht gleichmäßig gewinnen, und die Ein-
wohner des Landes, das nur heimische Erzeugnisse aus-
führte, würden die größten Einkünfte aus dem Handel
ziehen. Wenn England z. B. von Frankreich nur die
heimischen Erzeugnisse dieses Landes einführt und keine
Waren heimischer Erzeugung hat, die dort im Begehr
sind, mithin jene durch Hinsendung einer großen
Menge auswärtiger Waren, wie Taback oder ostindische
Waren, zahlt, so würde dieser Handel zwar den Ein-
wohnern beider Länder ein gewisses Einkommen ver-
schaffen, aber denen Frankreichs mehr als denen E]ng-
lands. Das ganze jährlich darin angelegte französische
Kapital würde jährlich unter die Einwohner Frankreichs
verteilt werden. Unter die Engländer dagegen würde
nur der Teil des englischen Kapitals, der zur Erzeu-
gung der englischen Waren diente, mit denen jene aus-
wärtigen Waren gekauft wurden, jährlich verteilt weiden.
Der größere Teil von ihm würde die Kapitalien ersetzen,
welche in Virginien, Hindostan und China angelegt sind
und den Einwohnern dieser fernen Länder Einnahmen
und Unterhalt gegeben hatten. Wären die Kapitalien
mithin gleich oder nahezu gleich, so würde die Anlage
des französischen Kapitals das Einkommen des fran-
zösischen Volkes weit mehr vermehren, als diejenige
des englischen Kapitals das Einkommen des englischen
Volkes. Frankreich würde in diesem Fall einen direkten
Kap. TIT.: Tlc^chriinkuii^on der Wareiipinfulir. Tl. IT. 279
Außenhandel mit England treiben, während England
einen weitschweifigen Handel derselben Art mit Frank-
reich treiben würde. Die verschiedenen Wirkungen
eines im direkten und eines in einem weitschweifigen
Außenhandel angelegten Kapitals sind bereits ausführ-
lich erörtert worden.
Es gibt wahrscheinlich nirgends zwischen zwei
Ländern einen Handel, der gänzlich im beiderseitigen
Austausch heimischer Erzeugnisse, oder heimischer Er-
zeugnisse einerseits und fremder Waren andererseits,
bestände. Fast alle Länder tauschen miteinander teils
heimische, teils ausländische Waren aus. Das Land
aber, in dessen Ausfuhr der größte Teil von heimischer
Erzeugung und der mindeste fremdländischen Ur-
sprungs ist, wird stets am meisten gewinnen.
Wenn England die jährlich von Frankreich ein-
geführten Waren nicht mit Tabak und ostindischen
Waren, sondern mit Gold und Silber bezahlte, so würde
in diesem Fall die Bilanz als ungleich gelten, da Waren
nicht mit Waren, sondern mit Gold und Silber bezahlt
würden. Doch auch in diesem Fall, wie in dem vorher-
gehenden, würde der Handel den Einwohnern beider
Länder ein Einkommen verschaffen, obwohl denen
Frankreichs ein größeres als denen Englands. Einiges
Einkommen würde er auch denen Englands verschaffen.
Das Kapital, das in der Erzeugung englischer Waren,
welche dieses Gold und Silber ankauften, angelegt war;
das Kapital, das unter gewisse Einwohner Englands
verteilt war und ihnen ein Einkommen verschafft hatte,
würde dadurch ersetzt sein und ihnen die Fortsetzung
ihrer Geschäfte ermöglicht haben. Das Gesamtkapital
Englands würde durch diese Gold- und Silberausfuhr
nicht mehr vermindert worden, als durch die Ausfuhi'
eines gleichen Betrags an anderen Waren. Im Gegen-
teil, in den meisten Fällen würde es vermehrt worden.
280 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Es werden keine anderen Waren ins Ausland gesendet,
als für die eine größere Nachfrage im Auslande als
daheim angenommen wird und für die, der Erwartung
zufolge, ein größerer Wert zurückkommt, als ausgeführt
wird. Wenn der Tabak, der in England nur £ 100,000
wert ist. in Frankreich Wein kauft, der in England
£ 110,000 wert ist, so wird der Tausch das Kapital
Englands um £ 10,000 vermehren. Ebenso wenn
£ 100,000 englisches Gold französischen Wein kaufen,
der in England £ 110,000 wert ist, wird dieser Tausch
das Kapital Englands gleichfalls um £ 10,000 vermehren.
Da ein Kaufmann, der für £ 110,000 Wein in seinem
Keller hat, ein reicherer Mann ist, als der, welcher
nur für £ 100,000 Tabak in seinem Speicher hat, so
ist er gleicherweise ein reicherer Mann, als der, welcher
nur für £ 100,000 Gold in seiner Kasse hat. Er kann
eine größere Menge Fleiß in Bewegung setzen und
einer größeren Menge von Leuten Einkommen, Unter-
halt und Beschäftigung gewähren, als jeder der beiden
anderen. Aber das Kapital des Landes ist den Kapi-
talien aller seiner verschiedenen Einwohner gleich,
und die Menge des Fleißes, die darin jährlich unter-
halten werden kann, ist derjenigen gleich, die diese
Kapitalien insgesamt zu erhalten vermögen. Sowohl
das Kapital des Landes, wie die Menge des Gewerb-
fleißes, die darin jährlich unterhalten werden kann,
müssen daher in der liegel durch diese Ausfuhr ver-
mehrt werden. Allerdings würde es vorteilhafter für
England sein, wenn es die Weine Frankreichs mit
seinen Eisenwaren und Tuchen kaufen könnte, als
daß es sie mit dem Tabak Virgin iens oder mit dem
Gold und Silber Brasiliens und Perus kaufen muß. Ein
direkter Außenhandel ist stets vorteilhafter als ein
weitschweifiger; aber ein weitschweifiger Außenhandel,
der mit Gold und Silber betrieben wird, scheint nicht
Kap. III.: Beschränkungen der Wareneinfuhr. Tl. IT. 281
weniger vorteilhaft zu sein, als ein gleich weitschweifi-
ger mit anderen Waren. Auch wird ein Land, das
keine Minen besitzt, durch seine jährliche Ausfuhr
von Gold und Silber nicht wahrscheinlicher an diesen
Metallen erschöpft, als ein Land, das keinen Tabak
baut, durch die gleiche jährliche Ausfuhr dieser Pflanze.
Wie ein Land, das die Mittel hat, Tabak zu kaufen,
ihn niemals lange entbehren wird, so wird auch ein
Land, das die Mittel hat, Gold und Silber zu kaufen,
niemals lange an ihnen Mangel leiden.
Das Geschäft, das ein Arbeiter mit dem Bierhaus
treibt, sagt man, ist ein verlustbringendes Geschäft; und
das Geschäft, das ein Industrievolk mit einem Wein-
lande treibt, kann als ein Geschäft von gleicher Art
betrachtet werden. Ich antworte, daß das Geschäft mit
dem Bierhaus nicht notwendig ein verlustbringendes ist.
Seiner eigenen Natur nach ist es genau so vorteilhaft,
wie jedes andere, obwohl viellleicht eher dem Mißbrauch
ausgesetzt. Die Beschäftigung eines Brauers, und selbst
diejenige eines Branntweinschenkers, sind so notwendige
Arbeitsteilungen, wie irgend eine. Es wird im All-
gemeinen für einen Arbeiter vorteilhafter sein, die
Menge, die er braucht, vom Brauer zu kaufen, als sie
selbst zu brauen, und ist er arm, so wird es in der
Regel vorteilhafter für ihn sein, seinen Bedarf im
kleinen von dem Detaillisten zu kaufen, als im großen
vom Brauer. Er kann unzweifelhaft zuviel von beiden
kaufen, ebenso wie von jedem andern Geschäftsmann in
seiner Gegend, vom Fleischer, wenn er ein Schlemmer
ist, vom Tuchhändler, wenn er gerne unter seines-
gleichen durch seine äußere Erscheinung glänzt. Trotz-
dom ist es für die große Masse der Arbeiter vorteil-
hafter, daß alle diese Geschäfte frei sind, obwohl diese
Freiheit in allen gemißbraucht werden kann und in
einigen vielleicht mehr gemißbraucht wird, als in andern.
282 Viei'tes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Einzelne können zwar ihr Vermögen durch übermäßigen
Verbrauch geistiger Getränke zu Grunde richten ; aber
es scheint keine Gefahr zu haben, daß eine ganze Nation
OS tun werde. In jedem Lande gibt es eine Menge
Leute, die für solche Getränke mehr ausgeben, als sie
dürften; aber die allermeisten werden dafür weniger
ausgeben. Es verdient auch bemerkt zu werden, daß,
wenn wir die Erfahrung zu Rate ziehen, die Billigkeit
des Weins eine Ursache nicht der Trunkenheit, sondern
der Nüchternheit zu sein scheint. Die Einwohner der
Weinländer sind in der Regel die nüchternsten Leute
in Europa, wie die Spanier, Italiener und die Einwohner
der südfranzösischen Provinzen beweisen. In ihr-er
täglichen Kost sind die Leute selten unmäßig. Niemand
gibt sich die Miene der Freigebigkeit und Gastfreiheit,
wenn er von einem Getränke reichlich spendet, das so
billig ist wie Dünnbier-. Im Gegenteil, in den Ländern,
welche entweder wegen zu großer Hitze oder Kälte
keine Trauben hervorbringen und wo der Wein mithin
teuer und selten ist, ist Trunkenheit eirä allgemeines
Laster-, wie unter den nördlichen Nationen und allen
denen, die unter den Tropen leben, z. B. den Negern
an der Küste Guineas. Wenn ein französisches Re-
giment von einer der- Nordprovinzen Frankreichs kommt,
wo der Wein ziemlich teuer ist, und in den Südprovinzen
einquartiert wir-d, wo er sehr billig ist, so lassen sich
die Soldaten, wie ich oft habe bemerken hören, zuerst
durch die Billigkeit des guten AVeines und die Neuheit
der Sache verführen; aber nach einem mehrmonatlichen
Aufenthalt werden die meisten von ihnen so nüchtern,
wie die anderen Bewohner. Wür-den die Zölle auf
fremde Weine und die Akzise auf Malz, Bier und Ale
plötzlich beseitigt, so könnte es in Großbritannien
gleichfalls vorkommen, daß das Militär und die unteren
Klassen des Volks ganz allgemein sich zeitweilig der
Kap. HI.: Be.schriinkungen der Wareneinl'ulir. 'J'l, IT. 283
Trunkenheit hingäben; aber vermutlich würde bald
eine dauernde und fast allgemeine Mäßigkeit darauf
folgen. Gegenwärtig ist Trunkenheit keineswegs das
Laster der vornehmeren Leute oder derjenigen, die sich
die kostspieligsten Getränke leicht anschaffen können.
Ein von Bier trunkener Edelmann wird kaum jemals
unter uns zu sehen sein. Die Beschränkungen des Wein-
handels in Großbritannien scheinen überdies nicht so-
wohl darauf berechnet, die Leute zu hindern, wenn ich
so sagen soll, ins Bierhaus zu gehen, als dahin zu gehen,
wo sie das beste und billigste Getränk kaufen können.
Die Einfuhr portugiesischen Weins ist begünstigt, die-
jenige französischen Weins erschwert. Die Portugiesen,
sagt man allerdings, sind bessere Kunden für unsre
Fabrikanten, als die Franzosen und müssen dahei-
einen Vorzug vor ihnen genießen. Da sie unsre Kunden
sind, meint man, müssen wir auch die ihrigen sein.
So erhebt man die kleinen Kunstgriffe der Krämer
zu politischen Grundsätzen für das Verhalten eines
grollen Reichs; denn nur der geringste Krämer macht
sich die Beschäftigung seiner Kunden zur ßegel. Ein
großer Kaufmann kauft seine Waren stets da, wo sie
am billigsten und am besten sind, ohne Rücksicht
auf irgend ein Interesse der Art.
Dui'ch Grundsätze wie diese jedoch, sind die Na-
tionen überredet worden, daß ihr Interesse erheische,
alle ihre Nachbarn an den Bettelstab zu bringen. Jedes
Volk soll mit neidischem Auge auf die Wohlfahrt aller
der Völker, mit denen es Handel treibt, blicken und
ihren Gewinn als seinen eigenen Verlust betrachten.
Der Verkehr, der unter Nationen wie unter Individuen
naturgemäß ein Band der Einigung und Freundschaft
sein sollte, ist die fruchtbarste Quelle der Zwietracht
und Feindschaft geworden. Der launische Ehrgeiz von
Königen und Ministem ist während des gegenwärtigen
284 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
und des verflossenen Jahrhunderts der Ruhe nicht
minder verhängnisvoll gewesen, als der schamlose Neid
der Kaufleute und Fabrikanten. Die Gewalttätigkeit
und Ungerechtigkeit der Beherrscher des Menschen-
geschlechts ist ein altes Übel, gegen das, fürchte ich,
die Natur der menschlichen Dinge kaum eine Abhülfe
zuläßt. Allein die niedrige Habsucht und der Monopol-
geist der Kaufleute und Fabrikanten, die niemals die
Beherrscher der Menschen sind, noch sein sollten,
können zwar vielleicht nicht gebessert werden, aber
sehr leicht ist es zu verhindern, daß sie die Ruhe
irgend eines anderen Standes, als des eigenen, stören.
Daß es der Monopolgeist war, der ursprünglich
diese Lehre sowohl ersann wie verbreitete, ist unzweifel-
haft; und die Leute, welche sie zuerst lehrten, waren
keineswegs solche Toren, wie man glauben könnte. In
allen Ländern ist es und muß es stets das Interesse
der großen Masse des Volks sein, ihre Bedürfnisse von
denen, die verkaufen, so billig wie möglich zu kaufen.
Der Satz ist so einleuchtend, daß es lächerlich wäre,
sich die Mühe zu geben ihn zu beweisen; auch würde
er niemals in Frage gestellt worden sein, wenn nicht
die interessierte Sophistik der Kaufleute und Fabri-
kanten den gesunden Menschenverstand beirrt hätte.
Ihr Interesse ist in dieser Beziehung demjenigen der
großen Masse des Volkes genau entgegengesetzt. Wie
es das Interesse der Zunftmeister ist, die übrigen Ein-
wohner zu verhindern, andere Leute als sie selbst zu
beschäftigen, so ist es das Interesse der Kaufleute und
Fabrikanten eines jeden Landes, sich das Monopol des
heimischen Marktes zu sichern. Daher rühren in Groß-
britannien und in den meisten anderen europäischen
Ländern die hohen Zölle auf fast alle von fremden
Kaufleuten eingeführte Waren; daher die hohen Zölle
und Verbote auf alle die ausländischen Fabrikate, die
Kap. III.: Beschränkungon der Wareneinfiihr. Tl. II. 285
mit den eigenen in Wettbewerb treten können; daher
auch die außerordentlichen Einschränkungen auf die
Einfuhr fast aller Sorten von Waren aus denjenigen
Ländern, mit denen die Handelsbilanz für ungünstig
gilt, d. h. gegen die die nationale Feindseligkeit am
gewaltigsten entflammt ist.
Der Reichtum einer benachbarten Nation aber, wie
gefährlich im Krieg und in der Politik er sein mag,
ist im Handel sicherlich vorteilhaft. In einem Zustande
der Feindseligkeit kann er unsere Feinde in den Stand
setzen, den unsrigen überlegene Flotten und Armeen
zu unterhalten ; aber in einem Stande des Friedens und
Verkehrs, muß er sie ebenso befähigen, mehr Werte mit
uns auszutauschen und den direkten Produkten unsrer
Industrie, oder was mit ihnen gekauft sein mag, einen
besseren Markt darzubieten. Wie ein reicher Mann wahr-
scheinlich ein besserer Kunde für die gewerbfleißigen
Leute in seiner Nachbarschaft ist, als ein armer, so ist
es gleicherweise ein reiches Volk. Ein reicher Mann,
der selbst Fabrikant ist, ist allerdings ein sehr gefähr-
licher Nachbar für alle diejenigen, welche dasselbe Ge-
schäft treiben. Allein seine übrigen Nachbarn, also bei
weitem die Mehrzahl, gewinnen durch den guten Ab-
satz, den sein Aufwand ihnen gewährt. Sie gewinnen
selbst dadurch, daß er seine ärmeren Wettbewerber
unterbietet. Die Fabrikanten eines reichen Volkes
können auf dieselbe Art unzweifelhaft sehr gefährliche
Nebenbuhler für diejenigen seiner Nachbarn sein. Allein
gerade dieser Wettbewerb ist für die große Masse des
Volkes vorteilhaft, das außerdem durch den guten Ab-
satz, den der große Aufwand eines solchen Volkes in
jeder anderen Beziehung darbietet, erheblich gewinnt.
Privatleute, die ein Vermögen erwerben wollen, denken
niemals daran, sich in entfernte und arme Provinzen dos
Landes zurückzuziehen, sondern gehen entweder in die
286 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Hauptstadt oder in eine der großen Handelsstädte. Sie
wissen, daß, wo wenige Kapitalien umlaufen, wenig zu
gewinnen ist, daß hingegen, wo viele in Bewegung sind,
ein Teil davon ihnen zufallen kann. Dieselben Grund-
sätze, welche auf diese Art den gesunden Menschen-
verstand von einem oder zehn oder zwanzig Individuen
leiten, müssen auch das Urteil von einer oder zehn oder
zwanzig Millionen bestimmen und ein ganzes Volk ver-
anlassen, den Reichtum seiner Nachbarn als eine mut-
maßliche Ursache und Gelegenheit, für sich selbst Reich-
tum zu erwerben, anzusehen. Ein Volk, das sich durch
auswärtigen Handel bereichern will, wird es sicherlich
am wahrscheinlichsten tun, wenn seine Nachbarn sämt-
lich reiche, gewerbfleißige und handeltreibende Völker
sind. Ein großes Volk, das auf allen Seiten von no-
madenhaften armen, unzivilisierten Völkerschaften um-
geben ist, kann ohne Zweifei durch die Kultur seines
Bodens und durch seinen inneren Handel Reichtum
erwerben, aber nicht durch auswärtigen Handel. Es
scheint, daß auf diese Art die alten Egj^pter und in
der Neuzeit die Chinesen ihren großen Reichtum er-
worben haben. Die alten Eg^q^ter, so wird behauptet,
vernachlässigten den auswärtigen Handel, und die neu-
eren Chinesen blicken auf ihn bekanntermaßen mit der
äußersten Verachtung und halten ihn kaum des leise-
sten gesetzlichen Schutzes wert. Die neueren Grund-
sätze des auswärtigen Handels haben wegen der Nei-
gung, alle unsre Nachbarn arm zu machen, soweit sie
diese beabsichtigte Wirkung hervorbringen können, die
Tendenz, eben diesen Handel unbedeutend und ver-
ächtlich zu machen.
Es geschah infolge dieser Grundsätze, daß der
Handel zwischen Frankreich und England in beiden
Ländern so viel Entmutigungen und Beschränkungen
unteruoifen ist. Wenn diese beiden Länder jedoch ihr
Kap. in.: Besrhriinkuno-cn der Warcneinfiihr. Tl. II. 287
wirkliches Interesse zu Rate zögen, ohne jede Handels-
eifersucht oder nationale Feindseligkeit, so könnte der
Handel Frankreichs für Großbritannien vorteilhafter
werden als der jedes anderen Landes, und aus demselben
Grund der Handel Großbritanniens für Frankreich.
Frankreich ist der nächste Nachbar Großbritanniens.
In dem Handel zwischen der Südküste Englands und
den nördlichen und nordwestlichen Küsten Frankreichs
können die Zahlungen, ebenso wie im Binnenhandel
4, 5 oder 6mal im Jahr erwartet werden. Das in diesem
Handel angelegte Kapital könnte daher in jedem der
beiden Länder 4, 5 oder G mal soviel Gewerbfleiß in
Bewegung setzen und 4, 5 oder 6 mal soviel Leuten
Arbeit und LTnterhalt verschaffen, als ein gleiches Ka-
pital in den meisten anderen Zweigen des auswärtigen
Handels. Zwischen den entferntesten Teilen Frank-
reichs und Großbritanniens könnten die Zahlungen
mindestens einmal im Jahr erwartet werden, und auch
dieser Handel würde demnach mindestens ebenso vor-
teilhaft sein, wie die meisten anderen Zweige unseres
europäischen Handels. Er würde mindestens dreimal
so vorteilhaft sein, als der berühmte Handel mit unseren
nordamerikanischen Kolonien, in welchem die Eingänge
selten in kürzeren Zeiträumen als drei Jahren, oft erst
in vier oder fünf Jahren, erfolgen. Überdies faßt
Frankreich ungefähr 24 Millionen Einwohner, während
unsere nordamerikanischen Kolonien kaum mehr als
3 Millionen haben dürften; und Frankreich ist ein viel
reicheres Land, als Nordamerika, obwohl dort wegen
der ungleicheren Verteilung des E-eichtams mehr Ar-
mut und Bettelei herrscht, als im anderen Lande.
Frankreich könnte deshalb einen mindestens achtmal
so umfangreichen und wegen der großen Häufigkeit
der Zahlungen einen 24 mal so vorteilhaften Markt dar-
bieten, als der ist, den unsere nordamerikanischen Ko-
288 Viertes Buch: Die Sj'steme der politischen Ökonomie.
lonien jemals darboten. Der Handel mit Großbritannien
würde für Frankreich genau ebenso vorteilhaft sein
und dem Reichtum der Bevölkerung und der Nähe
der beiden Länder entsprechend dieselbe Überlegen-
heit über den Handel Frankreichs mit seinen Kolonien
besitzen. Dies ist der ungeheure Unterschied zwischen
dem Handel, den die "Weisheit beider Nationen ent-
mutigen zu müssen glaubte und dem, den sie am
meisten begünstigt hat.
Dieselben Umstände aber, die einen offenen und
freien Yerkehr zwischen den beiden Ländern für beide
so vorteilhaft gemacht haben würden, haben diesem
Handel gerade die größten Hindernisse bereitet. Da
sie Nachbarn sind, sind sie notwendig Feinde, und der
Reichtum und die Macht eines jeden wird deswegen
für den andern desto furchtbarer; und was die Vorteile
nationaler Freundschaft vermehren würde, dient nur
dazu, die Heftigkeit des Nationalhasses zu entflammen.
Beide sind reiche und gewerbsame Nationen und die
Kaufleute und Fabrikanten einer jeden fürchten die
wetteifernde Geschicklichkeit und Tätigkeit der andern.
Die Handelseifersucht ist erwacht und sie nährt den
Nationalhaß und wird wiederum von ihm genährt.
Und die Handeltreibenden beider Länder behaupten
mit all der leidenschaftlichen Anmaßung interessierter
Heuchelei den sicheren Untergang eines jeden infolge
jener ungünstigen Handelsbilanz, die, wie sie be-
haupten, die unfehlbare Wirkung eines ungehemmten
Verkehrs mit dem andern sein würde.
Es gibt -keinen Handelsstaat in Europa, dem der
herannahende Ruin von den Doctoren dieses Systems
aus einer ungünstigen Handelbilanz nicht oft voraus-
gesagt worden wäre. Nach all der Angst jedoch, die
sie davor erregt haben, nach all den vergeblichen
Versuchen fast aller handeltreibenden Nationen, diese
Kap. TIT.: Besohränkuno-en der "Wareneinfiilir. Tl. TT. 289
Bilanz zu ihren Gunsten und gegen ihre Nachbarn
zu wenden, scheint es nicht, daß irgend ein Volk in
Europa durch diese Ursache in irgend einer Beziehung
verarmt wäre. Viehnehr sind alle Städte und Länder
in dem Verhältnis, wie sie ihre Häfen allen Nationen
geöffnet haben, durch diesen freien Handel, statt davon
wie nach den Satzungen des Handelss3'stems hätte er-
wartet werden müssen, ruiniert worden zu sein, be-
reichert worden. Allerdings gibt es in Europa einige
wenige Städte, die in gewisser Beziehung den Namen
von Freihäfen verdienen, aber kein Land, das ihn ver-
dient. Holland nähert sich vielleicht diesem Charakter
am meisten, obwohl es noch sehr entfernt davon ist,
und Holland zieht anerkanntermaßen nicht allein seinen
ganzen Reichtum, sondern auch die meisten seiner
anderen notwendigen Unterhaltsmittel aus dem aus-
wärtigen Handel.
In der Tat gibt es eine andere bereits erörterte,
von der Handelsbilanz sehr verschiedene Bilanz, die, "je
nachdem sie günstig oder ungünstig ist, notwendig die
Blüte oder den Verfall eines jeden Volkes veranlaßt.
Dies ist die Bilanz der jährlichen Produktion oder Kon-
sumtion. Wenn, wie bereits bemerkt, der Tauschwert
der Jahreserzeugung denjenigen des Verbrauchs über-
steigt, muß das Volkskapital jährlich im Verhältnis zu-
nehmen. Das Volk lebt in diesem Falle von seinem
Einkommen, und was es jährlich davon erspart, kommt
natürlich zu seinem Kapital hinzu und wird so angelegt,
daß es die Jahresproduktion auch weiterhin vermehrt.
Wenn der Tauschwert der Jahresproduktion hinter dem
der Jahreskonsumtion zurückbleibt, so muß das Volks-
kapital jährlich nach Maßgabe des Defizits abnehmen.
Die Ausgaben des Volks überschreiten in diesem Falle
seine Einnahmen, und es greift notwendig sein Kapital
an. Sein Kapital, und zugleich mit ihm der Tauschwert
Adam Smith, Volkswohlstand. II. 1*J
290 Viei'tos Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
des Jahresprodukts seines Fleißes muß daher notwendig
abnehmen. Diese Bilanz der Erzeugung und des Ver-
brauchs ist von der sogenannten Handelsbilanz durchaus
verschieden. Sie könnte auch bei einem Volk, das keinen
auswärtigen Handel hat, sondern von aller Welt isoliert
wäre, platzgreifen. Sie kann auf dem ganzen Erdenrund
platzgreifen, dessen Reichtum, Bevölkerung und Kultur
sowohl allmählich steigen, wie allmählich sinken kann.
Die Bilanz der Produktion und Konsumtion kann
beständig zu Gunsten einer Nation sein, wenn auch
die Handelsbilanz in der Regel gegen sie ist. Eine
Nation kann vielleicht ein halbes Jahrhundert lang mehr
einführen als ausführen; das Gold und Silber, das
während dieser ganzen Zeit zu ihr kommt, kann sofort
wieder weggehen; ihre umlaufende Münze kann all-
mählich abnehmen und verschiedenes Papiergeld an
deren Stelle treten, und selbst die Schulden, die sie
bei den Völkern, mit denen sie hauptsächlich Handel
treibt, eingeht, können allmählich wachsen, und dennoch
kann ihr wirklicher Reichtum, der Tauschwert des jähr-
lichen Produkts ihres Bodens und ihrer Arbeit, währ'end
derselben Periode in viel größerem Maße wachsen. Der
Zustand unserer nordamerikanischen Kolonien und der
Handel, den sie vor Beginn der gegenwärtigen Unruhen*)
mit Großbritannien trieben, können zum Beweis dienen,
daß dies keineswegs eine unmögliche Annahme ist.
*) Dies wurde im Jahre 1775 geschrieben.
Viertes Kapitel.
Über Rückzölle.
Kaufleute und Fabrikanten begnügen sich nicht mit
dem Monopol des heimischen Marktes, sondern verlangen
auch den ausgedehntesten Absatz im Auslande für ihre
Waren. Ihr Land kann fremden Nationen kein Gesetz
vorschreiben und kann daher selten ihnen dort ein Mo-
nopol verschaffen. Sie sind deshalb in der Regel ge-
nötigt, sich mit Petitionen um gewisse Begünstigungen
der Ausfuhr zu begnügen. Von diesen Begünstigungen
scheinen die sogenannten Rückzölle die billigsten zu
sein. Dem Kaufmann bei der Ausfuhr die ganze Summe
oder einen Teil der Verbrauchssteuern oder Binnenzölle,
die auf heimische Erzeugnisse gelegt sind, zurückzu-
erstatten, kann niemals die Ausfuhr einer größeren
Menge von Waren zur Folge haben, als ausgeführt
worden wären, wenn keine Steuer darauf bestände.
Solche Begünstigungen haben nicht die Tendenz, in
eine bestimmte Anlage einen größeren Teil des Landes-
kapitals zu lenken, als was von selbst hineingeflossen
wäre, sondern kann nur den Zoll hindern, einen Teil
dieses Teils nach anderen Anlagen hinzutreiben. Sie
können nicht zur Zerstfaung des Gleichgewichts führen,
das sich unter allen verschiedenen Beschäftigungen des
Volkes naturgemäß herstellt, sondern nur verliindern,
daß es durch den Zoll umgestoßen werde. Sie können
die natürliche Teilung und Verteilung der Arbeit im
292 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Volk, die aufrecht zu erhalten in den meisten Fällen
vorteilhaft ist, nicht zerstören, sondern nur aufrecht
erhalten.
Ein Gleiches kann von den ßückzöllen auf die
Wiederausfuhr eingeführter fremder Waren gesagt
werden, Rückzölle, die in Großbritannien in der Regel
beinahe den Einfuhrzoll erreichen. Nach der zweiten der
Bestimmungen, die der Parlamentsakte, die die jetzige so-
genannte alte Subsidie auflegte, boigefügtsind, hatte jeder
Kaufmann, ob Engländer oder Fremder, den Anspruch,
die Hälfte des Einfuhrzolles bei der Ausfuhr zurück-
erstattet zu erhalten; der englische Kaufmann unter der
Voraussetzung, daß sie innerhalb neun Monaten erfolge.
Wein, Korinthen und verarbeitete Seide waren die ein-
zigen Artikel, die nicht unter diese Bestimmung fielen,
sondern andere und noch höhere Begünstigungen ge-
nossen. Die durch jene Parlamentsakte aufgelegten
Zölle waren damals die einzigen Einfuhrzölle. Der
Termin, innerhalb dessen diese und alle anderen Rück-
zölle reklamiert werden konnton, wurde späterhin (Stat.
7 Geo. I. eh. 21. sect. 10) auf drei Jahre verlängert.
Die Zölle, welche seit der alten Subsidie aufgelegt
worden sind, werden bei der Ausfuhr meist vollständig
zurückerstattet. Diese allgemeine Bestimmung unter-
liegt jedoch vielfachen Ausnahmen und das Kapitel von
den Rückzöllen ist ein viel komplizierteres geworden,
als es bei der ersten Einrichtung gewesen war.
Bei der Ausfuhr gewisser ausländischer Waren,
von denen man voraussetzte, daß die Einfuhr weit über
den inländischen Bedarf hinausgehe, wurde der volle
Zoll zurückerstattet, ohne daß auch nur die Hälfte der
alten Subsidie einbehalten wurde. Vor der Empörung
unserer nordamerikanischen Kolonien hatten wir das
Tabakmonopol in Maryland und Virginien. Wir im-
portierten ungefähr 96000 Oxhoft und der heimische
Kap. IV.: Über Rückzölle. 293
Verbrauch soll 14000 Oxhoft nicht überstiegen haben.
Zur Beförderung des großen Exports, der erforderlich
war, um uns von dem übrigen zu befreien, wurden
die vollen Zölle zurückerstattet, falls die Ausfuhr inner-
halb dreier Jahre erfolgte.
Noch jetzt haben wir, obwohl nicht vollständig, so
doch nahezu, das Zuckermonopol unserer westindisclien
Inseln. Deshalb werden, wenn der Zucker innerhalb
eines Jahres ausgeführt wird, alle Einfuhrzölle zurück-
erstattet, und wenn er innerhalb dreier Jahre ausgeführt
wird, der volle Zoll bis auf die Hälfte der alten Subsidie,
die noch auf die Ausfuhr der meisten Waren einbe-
lialten wird. Obwohl die Einfuhr von Zucker den in-
ländischen Bedarf erheblich übersteigt, so ist der Über-
schuß doch im Verhältnis zu dem beim Tabak üb-
lichen unbedeutend.
Einige die Eifersucht unserer Fabrikanten beson-
ders erregende Objekte sind einzuführen verboten. Nur
für den Export können sie gegen gewisse Zölle einge-
führt und in Niederlagen untergebracht werden. Auf
diese werden aber beim Export keine Zölle rückver-
gütet. Unsere Fabrikanten, scheint es, sehen es ungern,
daß auch nur diese beschränkte Einfuhr gestattet ist,
und fürchten, ein Teil dieser Waren möchte aus den
Niederlagen gestohlen werden und in Wettbewerb mit
ihren eigenen treten. Die Waren, die unter dieser Be-
schränkung eingeführt werden dürfen, sind Seiden-
zeuge, französische Cambrics und Linons, gefärbte
und bedruckte Baumwollenzeuge usw.
Wir wollen nicht einmal die Frachtführer fianzö-
sischer Waren sein und uns lieber einen Gewinn ent-
gehen lassen, als durch unsere Vermittelung denen, die
wir als unsre Feinde ansehen, einen Gewinn zufheßen
lassen. Auf die Ausfuhr aller französischen Waren
wird nicht nur die Hälfte der alten Subsidie, sondern
auch ein Viertel der anderen Hälfte einbehalten.
294 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
Nach der vierten der der alten Subsidie beigege-
benen Bestimmungen belief sich der ßückzoll auf die
Ausfuhr aller Weine auf weit mehr- als die Hälfte des
Zolls, der zur Zeit auf ihre Einfuhr gelegt war; und
es scheint damals der Zweck der Gesetzgebung ge-
wesen zu sein, den Zwischenhandel in Wein etwas
mehr zu begünstigen. Auch verschiedene andere Ab-
gaben, die entweder damals oder später als die alte
Subsidie eingeführt wurden : der sogenannte Zuschlags-
zoll, die neue Subsidie, die Eindrittel- und Zweidrittel-
subsidie, der Impost von 1692, der Weinstempel,
wurden bei der Ausfuhr zurückgegeben. Da indessen
alle diese Abgaben, mit Ausnahme des Zuschlagszolls
und des Imposts von 1692 bei der Einfuhr in barem
Gelde bezahlt wurden, so ging bei einer so großen
Summe so viel an Zinsen verloren, daß man vernünfti-
gerweise auf keinen vorteilhaften Zwischenhandel in
diesen Artikeln rechnen konnte. Es wurde also nur ein
Teil des sogenannten Weinimposts, und von den £ 25
Zoll auf eine Schiffstonne französischen Wein, oder von
den in den Jahren 1745, 1763 und 1778 eingeführten
Auflagen gar nichts bei der Ausfuhr zurückgegeben.
Die zwei Imj)Oste zu 5%, um die 1779 und 1781 alle
früheren Zölle erhöht wurden, werden bei allen übrigen
ausgeführton Waren, mithin auch beim Wein zurück-
gegeben. Die neueste Abgabe, welche namentlich auf
den Wein gelegt ist, die vom Jahre 1780, wird voll
zurückbezahlt, — eine Vergünstigung die wohl niemals
die Ausfuhr von nur einer einzigen Tonne Wein ver-
anlassen wird, solange man so viele andere schwere
Abgaben einbehält. Diese Bestimmungen galten für
alle Plätze, wohin die Ausfuhr erlaubt ist, außer nach
den biitischen Kolonien in Amerika.
Die siebente Akte vom fünfzehnten Regierungs-
jahre Karls II. unter dem Titel : „Akte zur Begünstigung
Kap. l\.: Über KiickzöUe. 295
des Handels", hatte Großbritannien das Monopol er-
teilt, die Kolonien mit allen Produkten und Fabrikaten
Europas zu versorgen und folglich auch mit Weinen.
In einem Lande mit so ausgedehnter Küste, wie unsere
nordamerikanischen und westindischen Kolonien, wo
unsere Gewalt stets so schwach und den Einwohnern
gestattet war, gewisse Waren in eigenen Schiffen nach
allen Teilen Europas und später wenigstens nach allen
Teilen Europas südlich vom Cap Finisterre zu schaffen,
ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß dieses Monopol
jemals volle Wirkung erlangen konnte, und sie fanden
wahrscheinlich jederzeit Mittel, aus den Ländern, nach
denen sie Waren bringen durften, Ladung zurückzu-
nehmen. Doch scheint es ihnen Schwierigkeiten ge-
macht zu haben, Weine aus den Erzeugungsländern
einzuführen; und von Großbritannien, wo sie mit vielen
schweren Zöllen belastet waren, von denen ein erheb-
licher Teil bei der Ausfuhr nicht rückvergütet wurde,
konnten sie sie nicht wohl einführen. Madeirawein, der
keine europäische Ware ist, konnte direkt nach Amerika
und den westindischen Inseln importiert werden, da
der Handel mit der Insel Madeira in allen nicht aus-
drücklich verbotenen Waren frei war. Dieser Umstand
hatte wahrscheinlich jene allgemeine Vorliebe für Ma-
deirawein veranlaßt, die unsere Offiziere beim Beginn
des Krieges 1755 in allen unseren Kolonien vorfanden
uad die sie nach dem Mutterlande zurückbrachten, wo
jener Wein zuvor nie viel begehrt gewesen war. Am
Schlüsse dieses Krieges 1763 wurde (duich die fünf-
zehnte Akte Sekt. 12 vom 4. Jahre Georgs III.) die
Rückvergütung aller Zölle bis auf £ 3 10 sh. bei der
Ausfuhr von Weinen nach den Kolonien, mit allei-
niger Ausnahme der französischen Weine, deren Ver-
trieb und Verbrauch der Nationalhal3 auf keine Weise
begünstigen wollte, nachgegeben. Die Periode von
296 Viertes Buch: Die Systeme der politischen Ökonomie.
der Erteilung dieser Begünstigung bis zur Empörung
unserer nordamerikanischen Kolonien war wohl zu
kurz, um in den Gewohnheiten dieser Länder eine er-
hebliche Veränderung zu veranlassen.
Dieselbe Akte, welche hinsichtlich des Rückzolls
von Wein, mit Ausschluß des französischen, die Ko-
lonien vor anderen Ländern so sehr begünstigte, be-
günstigte sie um so weniger hinsichtlich der Rück-
zölle auf die meisten anderen Waren. Auf die Aus-
fuhr der meisten Waren nach anderen Ländern wurde
die Hälfte der alten Subsidie zurückvergütet. Aber
dieses Gesetz verordnete, daß auf die Ausfuhr aller
europäischen oder ostindischen Produkte oder Fabri-
kate, mit Ausnahme der Weine, weißen Kalikos und
Mousselins, kein Zoll zurückvergütet werden solle.
Die Rückzölle wurden ursprünglich vielleicht be-
hufs Förderung des Zwischenhandels bewilligt, der,
da die Schiffsfracht von den Ausländern häufig in
Geld bezahlt wird, als ein Mittel betrachtet wurde,
Gold und Silber ins Land zu bringen. Wenn nun
auch der Zwischenhandel sicherlich keiner besonderen
Beförderung bedarf und der Beweggrund der Ein-
richtung vielleicht töricht genug war, so scheint die
Einrichtung selbst doch billig zu sein. Solche Rück-
zöllo können keinen größeren Teil des Landeskapitals
in dieses Gewerbe drängen, als von selbst hineinge-
gangen wäre, wenn es keine Einfuhrzölle gegeben hätte.
Sie verhindern nur, daß das Geschäft durch diese Zölle
gänzlich ausgeschlossen wird. Der Zwischenhandel
sollte aber, obwohl er keine Bevorzugung verdient,
nicht ausgeschlossen, sondern gleich allen anderen
Gewerben frei sein. Er ist eine notwendige Hilfs-
quelle für diejenigen Kapitalien, die weder in der
Landwirtschaft noch in der Industrie des Landes, noch
in seinem Binnenhandel, oder in seinem auswärtigen
Kap. IV.: Über Rückzullo. 297
Handel zum einheimischen Verbrauch Beschäftigung
finden können.
Die Zolleinnahmen leiden nicht, sondern gewinnen
durch solche Rückzölle durch den Teil des Zolls, der
einbehalten wird. Würden die vollen Zölle einbehalten,
so könnten die freunden Waren, auf die sie bezahlt
wurden, selten ausgeführt und folglich auch wegen
Mangel an Absatz nicht eingeführt werden. Die Zölle,
von denen ein Teil einbehalten wird, würden mithin
überhaupt nicht bezahlt worden sein.
Diese Gründe scheinen die Rückzölle hinreichend
zu rechtfertigen und würden sie rechtfertigen, wenn
auch die vollen Zölle, sei es auf die Produkte der hei-
mischen Industrie oder auf fremde Waren, bei der Aus-
fuhr stets rückvergütet würden. Die Akziseeinnahmen
würden allerdings in diesem Falle ein wenig leiden
und die Zolleinnahmen sehr viel mehr; aber die na-
türliche Bilanz des Gewerbfleißes, die natürliche Teilung
und Verteilung der Arbeit, welche durch solche Zölle
stets mehr oder weniger gestört ist, würden durch eine
derartige Maßnahme in etwas wieder hergestellt werden.
Diese Gründe rechtfertigen indessen die Rückzölle
nur auf den Warenexport nach den völlig unabhängigen
Ländern, nicht nach denen, wo unsere Kaufleute und
Fabrikanten ein Monopol haben. Ein Rückzoll z. B.
auf die Ausfuhr europäischer Waren nach unseren ameri-
kanischen Kolonien wird nicht immer eine größere Aus-
fuhr veranlassen, als ohne ihn eingetreten wäre. In
Folge des Monopols, das unsere Kaufleute und Fabri-
kanten dort gemessen, könnte oft vielleicht dieselbe
Menge dorthin gesendet werden, wenn auch die vollen
Zölle einbehalten würden. Der Rückzoll kann daher
oft für die Akzise- und Zolleinnahmen ein reiner Ver-
lust sein, ohne den Handel zu berühren, oder irgend-
wie auszudehnen. Wieweit solche Rückzölle als ein
298 Viertes Buch; Die S^'steme der politischen Ökonomie.
Förderungsmittel für den Gewerbfleiß unserer Kolonien
zu rechtfertigen sind, oder wieweit es für das Mutter-
land vorteilhaft ist, die Kolonien von den Steuern zu
befreien, die von allen übrigen Untertanen bezahlt
werden, wird sich nachher ergeben, wenn ich auf das
Kapitel der Kolonien zu reden komme.
Rückzölle sind indessen, wie stets festzuhalten ist,
nur in den Fällen nützlich, in denen die Waren zum
Export, von denen man sie erhebt, wirklich nach dem
Auslande ausgeführt, und nicht heimlich in unser
eigenes Land zurückgebracht werden. Daß manche
Rückzölle, namentlich die auf Tabak, oft auf diese Art
mißbraucht worden sind und zu vielen, die Einnahmen
ebenso wie den ehrlichen Geschäftsmann schädigenden,
Unterschleifen Veranlassungen gegeben haben, ist wohl-
bekannt.
VERLAGS- UND PARTIE-ARTIKEL
von
R. L PRAGER
Spezialgeschäft für Rechts- u. Staatswissenschaften u. Geschichte
in
BERLIN
1872—1906.
Berlin, NW. 7
No. 21, Mittelstrasse (zwischen Friedrich- und Neustiidt. Kirchstr.)
1907.
Die Firma R. L. Prager wurde als Antiquariat und Sortiment be-
gründet zu Berlin am 1. April 1872 von Robert Ludwig Prager, welcher
noch heute Besitzer der Firma ist. Prokurist ist Paul Schulz. Anfänglich
als gemischtes Geschäft geführt, ist der von Anfang an mit Liebe gepflegten
Spezialität :
„Rechts- und Staatswissenschaften und Geschichte"
in Sortiment, Antiquariat und Verlag nunmehr weitaus der Hauptteil der
Geschäftstätigkeit gewidmet. Der Verlag gehört ausschliesslich dieser Rich-
tung an und wird gebildet aus teils selbst gedruckten, teils in Restauflage
oder in Partien übernommenen Werken.
Der Drucklegung von Dissertationen, kleineren Abhandlungen und
grösseren Werken für Rechnung der Verfasser sowie deren Vertrieb im
Buchhandel wird besondere Sorgfalt zugewandt.
Das Antiquarlager umfasst mehr" als 200,000 Bände und sind darüber
bis Ende 1906 173 Kataloge veröffentlicht worden, ausserdem gibt die
Firma seit 1886 vierteljährlich einen
„Bericht über Neue Erscheinungen und Äntiquaria
aus dem Gesamtgebiete der
Rechts- und Staatswissenschaften"
Preis jährlich postfrei M 1,—
heraus, welcher neben Personalnachrichten und Totenschau, Mitteilungen
über künftig erscheinende Bücher und Antiquarkataloge, die Neuen Erschei-
nungen des betreffenden Vierteljahres in sämtlichen Kultursprachen verzeichnet.
Von grösseren Lagerkatalogen sei des letzten, unter dem Titel:
„Bibliotheca juridico-oeconomico-politica"
erschienenen gedacht, welcher auf 618 Seiten beinahe 20,000 Werke in
wissenschaftlicher Anordnung verzeichnet (Preis M 6, — ) und ein wertvolles
Repertorium der einschlägigen Wissenschaften bildet, sowie der augen-
blicklich vergriffenen
„CoUectio plusquam 4000 dissertationum"
(Preis M 1,—) welche den Bestand des Lagers -an rechtswissenschaftlichen
Dissertationen, Programmen etc. vom 16. Jahrh. bis zur neuesten Zeit zur
Kenntnis des gelehrten Publikums bringt.
An Auktionen wurden im Laufe der Zeit sieben abgehalten.
Die Geschäftsräume befanden sich vom 1. April 1872 bis 31. März
1877 Linienstrasse 138; vom 1. April 1877 bis 30. Sept. 1881 Charlottenstr.
19; vom 1. Oct. 1881 bis 30. Sept. 1890 Universitätstrasse 5; vom 1. Oct.
1890 an befinden sie sich Mittelstrasse 21 im eigenen Hause.
Kommissionär in Leipzig: Carl Fr. Fleischer. Bankverbindung: Deutsche
Bank in Berlin, Dep.-Kasse A. Fernspreclier: Amt I No. 7369. Telegramm-
adresse: Prager Mittelstrasse Berlin,
M. Pf.
Adickes, Fr. Zur Lehre von den Rechtsquellen, insbes. üb. d. Vernunft u.
d. Natur d. Sache als Rechtsquellen u. über das Gewohnheitsrecht. (XII,
81 SS.) gr. 8. Cass. 1872. (M 2) 1 —
Alexi, S. John Law und sein System. Ein Beitrag zur Finanz- u. Münz-
geschichte (VII, 67 SS. m. 2 Tfln. Abb. u. 3 Tabb.) 8. 1885. 5 -
Antiqua, Die westgoth., od. das Gesetzbuch Reccareds. Brachst, e. Par.
Palimps., hrsg. v. F. Blume. (XXIV, 47 SS.) 8. Halle 1847. - 80
Arnold, W. Verfassungsgesch. d. deutschen Freistädte. 2 Bde. (XL, 444 SS.;
XVI, 502 SS.) 8. Hamb. 1854. |M 16) 8 —
Barbovescu, Jon. Geschichte d. röm. Prov. Dacien. (35 SS.) gr. 8. 1885. — 80
— Die Basch-Araba u. d. Anfänge d. romän. Staates. Zugl. e. Beitrag z.
Gesch. d. Dtschn. in Siebenbürgen (V, 41 SS.) gr. 8. 1892. 1 20
— Der autonome Zoll-Tarif von Rumänien vom 17./29. Mai 1886 nebst den
Conventional-Tarifsätzen sowie e. Uebersicht der Veränderungen, welche
durch den Ablauf des Rumän.-Oesterr. Handelsvertrages vom 22. Juni
1875 hervorgerufen sind, zusammengestellt. (68 S Tab.) 4. 1886. 2 —
Basch, J. Wirthschaftliche Weltlage. Börse und Geldmarkt. Für die Jahre
1891-1901. (2.-12. Folge.) 8. 1892-1902. ä 1 —
Die erste Folge erschien bei Leonhard Simion in Berlin.
Baumstark, E. 15 Jahre Gründung der Staats- u. landw. Acad. Eldena.
(82 SS.) 8. Gr. 1860. - 60
— Zur Gesch. d. arbeit. Klasse. (54 SS.) 8. Gr. 1853. ' — 60
Beiträge zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Hrsg. v. G. Pescatore,
Hft. 1: Incerti auctoris summa de success. Eine syst. Darstellung d. Erb-
rechts a. d. alt. Glossatorenzeit. {X, 37 SS.) gr. 8. 1889. 1 60
„ la: Canis, J. i. De modo studendi in jure libellus. N. d. Ed. princ.
V. J. 1476. Hrsg. v. G. Pescatore. (58 SS.) gr. 8. 1889. 2 —
„ 2: Miscellen. (No. 1-13.) (VI, 122 SS.) gr. 8. 1889. 3 —
„ 3: Thomae Diplovatatii Opus de praestantia doctorum. Erste Abth.:
Prooemium. Justinianus. Isidorus Hispalensis. Accursius. (48 u.
184 SS.) gr. 8. 1890. 7 —
Bericht über neue Erscheinungen und Antiquaria aus dem Gesamt-
gebiete der Rechts- und Staatswissenschaften. 4 Nos. jährlich. Jahrg.
1-XXI. 1886-1906. (ä 4 Nos., jede 3 Bg.) gr. 8.
Preis postfrei der Jahrgang 1 —
Inhalt: Personal nachrichten. Nachrichten über künftig erscheinende
Bücher. Kataloge. Neue Erscheinungen. Antiquaria. Anzeigen.
Berlinisches Stadtbuch aus dem Ende des XIV. Jahrh. Neue Ausg. ver-
anstaltet V. d. Stadt. Behörden Berlins. Mit 2 färb. Bildern u. 3 Schrift-
proben. (XLIX, 303 SS.) gr. 8. 1883. (M 12) 4 —
Bernhard, M. Die Holzindustrie in der Grafschaft Glatz. (VIII, 144 SS.)
gr. 8. 1906. 2 —
Bibliotheca juridico-oeconomico-politica. Verz. e. Sammlung v. Werken
aus d. Ges. -Geb. d. Rechts- u. Staatswiss. Zusgest. v. R. L. Prager. (VI,
618 SS.) gr. 8. 1895. Lwd. Auf starkem Papier. 6 —
Herr Professor Dr. K. Schulz, Bibliothekar am Reichsgericht, behandelt
in dem Juristischen Literaturblatt 1896 No. 2 die „Bibliotheca" und den
„Bericht" in einem längeren Aufsatze, in dem es u. A heisst:
„Unendliche Mühe und Arbeit steckt in diesen Verzeichnissen und
„in dem seit 1886 vierteljährlich erscheinenden Bericht. Bibliotheken
„und Bücherkäufer haben an einem blühenden Antiquarhandel ein
4 Verlags- und Partie-Artikel
M. Pf.
„grosses Interesse. Aus diesem Grunde möchte ich „Bibliotheca" und
„„Böricht", erstere als ein nützliches Handbuch für jede juristische
„Bibliothek, letzteren als eine zweckmässige Uebersicht neuer Er-
„scheinungen und neuer antiquarischer Erwerbungen, welche die Biblio-
„theca dauernd ergänzt, der Aufmerksamkeit der Juristen empfehlen."
Bibliotheca juridica et oeconomico-politica. Verzeichniss ein. Sammlung
V. Werken a. d. üesammtgeb. d. Rechts- u. Staatswiss. Vorr. a. d. Lager
V. R. L. Prager in Berlin. (406 SS.) 8. 1886. Gart. 2 —
Bibliothek der Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftswissenschaft. Be-
gründet von F. Stöpel. Fortgeführt von R. Prager.
Von dieser Bibliothek, welche sich zum Ziel gesetzt hat, die hervor-
ragendsten Werke der nationalökonomischen und sozialen Schriftsteller aller
Nationen in billigen und schönen Ausgaben und in guten Uebersetzungen zu
veröffentlichen, sind bisher die folgenden Bände erschienen:
Bd. I. Carey, H- C Die Einheit des Gesetzes, nachgewiesen in den Be-
ziehungen der Natur-, Sozial-, Geistes- u. Moralwiss. Nach d. amerik,
Orig. v. F. Stöpel. (XX, 434 S.) 8. 1878. br. M 5; eleg. Halbfrzbd. 6 -
Bd. II. Malthus, T. R. Versuch über das Bevölkerungsgesetz. Nach d. 7. Ausg.
d. engl. Orig. übers, v. F. Stöpel. 2. Aufl., durchges. und verb. v. R.
Prager. (XVI, 866 S.) 8. 1900. br. M 10; eleg. Halbfrzbd. 11 25
„Die 1879 zuerst erschienene Uebersetzung- Stöpels ist die einzige deutsche, die
den definitiven Text des klassischen englischen Werkes enthält. Es ist deshalb mit
Dank zu begrüssen, dass nach dem Tode Stöpels diese Ausgabe nicht Tom Bücher-
markte verschwunden ist, sondern von anderer Hand in verbesserter Form dem
Publikum von Xcuem vorgelegt wird." (DLitKtg. 1900, Xo. 39.)
Bd. III— VI. Smith, Adam. Untersuchung über das Wesen und die Ursachen
des Volkswohlstandes. Deutsch v. F. Stöpel. 2te Aufl. durchgesehen und
verbessert von Robert Prager. 4 Bde. (1263 S ) 8. 1905-07.
br. M 7; in eleg. Halbfrzbdn. 9 —
„Zu dem Vorzuge der Slöpelsehen Uebertragung gehört eine gewisse Schlichtheit
in der Austlrucksweise, wobei mehr auf die richtige "Wiedergabe des Textes als auf
glatte Darstellung hingezielt wird."
(A. Oncken-Bem in den krit. Blättern f. d. gcs. Soziahviss. April 1905.)
Bd. VII. Smith, E. Peshine. Handbuch der politischen Oekonomie. Nach d.
amerik. Orig. v. F. Stöpel. (XVI, 398 S.) 8. 1878.
br. M 5; eleg. Halbfrzbd. 6 —
Bd. VIII. Blanc, Louis. Organisation der Arbeit. Nach der 9., umgearb. u.
durch ein Kap. vermehrten Ausg. des -Orig. übers, v. Rob. Prager.
(X, 332 S.) 8. 1899. br. M 5; in eleg. Hfz. 6 —
Bd. IX. X. Sismondi, J. C L. Simonde de. Neue Grundsätze der politischen
Oekonomie. Nach d. 2. Ausg. (1827) übers, v. Rob. Prager. In 2 Bdn.
(XXVIII, 359 S. u. VI, 369 S.) 8. 1901-2. br. M 10; eleg. Hfrzbd. 12 —
„^Tevie Grundsätze Sismondis . . „dass diese auch heute noch von Interesse sind
..und dass wir uns freuen, sie in einer neuen gut verdeutschten Ausgabe begi'üssen
;,zu können." — (Litt. Mitt. d. Annalen d. DR. 1901, 7.) ■ _ .
„Die Arbeit ist die einzige Quelle des Reichturas, die Sparsamkeit das einzige
„Mittel, ihn zu bewahren. Aber Reichtum ist nicht Selbstzweck, der einzige Zweck-
„seiner Anhäufung ist der Genuss. Ein AVachsen des Xationalreichtums ohne gleich-
„zeitiges Wachsen der nationalen Genüsse ist ein nationales Uebel. Darum kein laisser
„aUer laisser faü-e, keine zügellose Concuireuz. Der Staat hat zu intervenieren. Er
„muss die Entwicklung des Reichtums und seine gerechte Verteilung überwachen, die
„Schwachen und Armen durch Fürsorge im Fall von Ivrankhcit und Altersschwäche
„schützen gegen die Starken und Reichen, er muss neben die egoistische Berechnung
„des Einzelnen, die nur auf Vermehrung der Produkte gerichtet, eine das Gemeinwohl
„berücksichtigende Berechnung treten lassen, die die Vcrmehiimg der Genüsse und
„des "Wohlbefindens Aller verfolgt. So den ethischen Charakter der Volkswirtschafts-
„lehre betonend, erscheint Sismondi, der in seinen früheren "Werken noch vollständig
„auf dem Standpunkt der Adam Smithschen Lehre steht, in seineu Nouveaux principes
„in entschiedenem Gegensatz zu Smith. Ebenso aber auch zu den SociaUsten. Gleich-
„sam ein Vorgänger der sogenannten Katliedcrsocialistcn hält er an der Grundlage
„und den Einrichtungen des heutigen Gesellschaftslcbens fest und ist iaamcr nur be-
j.müht, durch bcHonnene Reformen die Teilnahme der Allgemeinheit an den C'ultur-
,.fortschritton zu fördern. Die deutsche Uebersetzung seines obengenannten ti-efiliehen
„"W^erkes wird hoffentlich zur richtigen Würdigimg des häufig falsch beurteüten fran-
„zösischen IS'ationalökonomen erhcbUch beitragen." (Liter. Central bl. 1901 Xo. 3.)
„Der Leser mag darauf hingewiesen werden, dass sich die bedeutungsvolleren
Partien im 2. Band vorfinden; nam. im 7. Buch, das von der Bevölkerung handelt.
Hier spielt sich voinehmlich die Polemik mit Malthus, Ricardo und Say ab, die eine
dogmengeschichtliche Bedeutung besitzt "
von R L. Prager in Berlin. 5
M. Pf.
Bibliothek der Volkswirtschaftslehre etc. (Fortsetzung.)
„Voa erheblieliem wivtschaftsgesohiohtl. Interesse ist Sismondis Verhilltais zu
Ricardo im besondorn. In seinen „Prinoiples of Political Economy and Taxation" (1S17)
hat Ricardo das ältere Werk Sismondis .,De la richesse commereiale" mit Auszeichnung
zitiert. In den „Xouveaux principes" wurde bei aller persönlichen Hochachtung niemand
schärfer angegriffen als Ricardo."
(A. e. ausführl. Besprechung A. Onckens in d. Dtschn. LitZtg. 1002, No. 42.)
„Eine Biographie uud kurze Darstellung der Lehre Sismondis Feitet das Werk,
das uns hier in guter Uebersetzung geboten wird, ein. Der Herausgeber erblickt in Sis-
mondi einen Vorgänger der Kathodcrsozialisten, dem die deutsche Arbeiterversicherung
als Ideal vorgeschwebt babe." (Soz. Praxis 1902. No. 17.) — ..Mit dem zweiten Band
kommt die Neubearbeitung des Hauptwerkes des franz. Nationalökonomen zum Ab-
schluss. Ein sorgfältig beai-beitetes alphab. Sachregister erleichtert die Benutzung des
Werkes. Die Uebersetzung, die Herr Prager besorgt hat, liest sich leicht und gut."
(eb. 1902, No. 20.)
„ liegt nun auch der 2. Teil vor. . . . Die Uebersetzung vou Robert Prager
..ist gut und lässt vergessen, dass man es mit einem fremdsprachlichen Werke zu thuu
>at." (Litt. Mitt. d. Annalen d. DR. 1901. 12.)
Bd. XI. Kowaleu'sly., Maxime. Die ökonomische Entwickelung Europas bis
zum Beginn der kapitalistischen Wirtschaftsform. Mit Genehmigung des
Verf. aus dem Russ. übersetzt von L. Motzkin. In 6 Bdn. Bd. I. : Rom.
u. German. Elemente in der Entwicklung der MA. Gutsherrschaft u.
der Dorfgemeinde. (VIII, 539 S.) 8. 1901. br. M 7,50 ; eleg. Hfrzbd. 8 75
Bd. XII. — — Bd. II.: Die Feudalisierung des Grundbesitzes in Ökonom.
Beziehung. (VII, 466 S.) 8. 1902. br. M 6; eleg. Hfzbd. 7 —
Bd. XIII. — — Bd. III.: Englische, Deutsche, Italienische und Spanische
Wirtschaftsverfassung in der zweiten Hälfte des Mittelalters. (VIII, 504 S.)
8. 1905. br. M 7,50; eleg. Hfzbd. 8 75
Bd- IV erscheint Ende des Jahres 1907.
„Die Arbeit Kowalewsky's darf in gen^-isser Beziehung als bahnbrechend bezeichnet
werden, sie ist der erste grosse Versuch, mit Hilfe der vergleichenden Methode eine
Geschichte des Immobiliarbesitzes und ImmobiUarrechts in Europa zu sehreiben.
Der Verfasser beherrscht die deufsche, frz., engl. etc. Litteratur über die einschlägigen
Fragen ebenso wie die RechtsqueUen. Der Rechts- vmd Wirtschaftshistoriker wird
aus dem Werke reiche Anregung und Belehi-ung empfangen."
(Litt. Mitt. d. Annalen d. DR. 1901, 7.)
„Der Verfasser hat sich die verdienstliche Aufgabe gestellt, in der Geschichte
des Eigentums vornehmlich das Verhältnis der beiden streitenden Faktoren des
römischen und des deutschen R. zu einander zu beleuchten. In dem vorliegenden
ersten Bande behandelt er römische und germanische Elemente in der Entwicklung
der mittelalterlichen Gutsherrschaft und der Dorfgemeinde Durchweg lässt das
Buch ein ernstes, wissenschaftliches Streben imd eingehende Studien erkennen. Der
Schwerpunkt liegt weniger in neuen Forschungen, als in der eigenartigen, vergleichen-
den Methode, die den doppelten Einfluss römischer und germanischer Kultur auf die
Entwicklung des ImmobiliargüterR. ebenso klar wie anziehend und in üiessendor
Darstellung zur Anschauung bringt." Schuck. (CBl. f. RWiss. 1901, Hft. 10.)
„L'opera ci sembra molto importante, frutto di recerche solide. Di essa dovrä teuer
conto chiunque nell" avvenire si occuperä dell' ordinamento della proprietä medievale.
E da questo primo volume 6 lecito ritenere che la storia del K., che va flno all' av-
vento del capitalismo. rieseirä all' altezza del difflcilissimo tema." Gius. Salvioli.
(Schluss einer ausführl. Besprecbg. in der ..Cultura" Roma.)
Bd. XVII. XVIII. Thompson, William. Untersuchung über die Grundsätze
der Verteilung des Reichtums zu besonderer Beförderung menschlichen Glücks.
2 Bde. N. e. Einleitung; Gesch. der Sozialist, Ideen in England von
H. S. Foxwell. Uebers. n. d. engl. Orig.-Ausg. (1824) von 0. Collmann.
(XCn, 457 S.; VIII, 555 S.) 8. 1903-1904. 2 Bde.
br. M 15; eleg. Hfzbd. M 17 50
„Das Buch nimmt in der Literatur des Sozialismus keinen unbedeutenden
Platz ein. Sein Verfasser, der als ein äusserst edler, hingebender Charakter geschildert
wird .... war ein sehr begabter Schüler und Freund des englischen Sozialphilosophen
Bentham einerseits und rles Sozialisten Robert Owen andererseits. Man könnte
sagen, dass sein Hauptwerk, mit dem wir es hier zu tun haben, eine Synthese von
Bentham und Owen darstellt Die Skizze des Prof. Foxwell über die Geschichte
der sozialistischen Ideen in England, die der Deutschen Au.sgabe vorangeschickt ist,
ist in Einzelheiten nicht cinwandsfrei, aber voll interessanter Angaben über den
englischen Sozialismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Literatur wohl
niemand so gut kennt, wie der Verfasser." (Dok. d. Sozial. Bd. III. 4. IV. 1903.)
„Die Bibliothek der Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftswissenschaft, welche
uns schon manche hervorragende Werke in billigen und gut ausge\\ ählten Deutsehen
Ausgaben gebracht hat, bietet uns nun William Thompson, Untersuchung über die
Grundsätze der Verteilung des Reichtums in einer von O. Collmann veranstalteten
Deutschen Uebersetzung." „. . . . Vielmehr ist die Frage nur die, ob sein Work über
die Verteilung des Reichtums ehier erneuten Ausgabe bedürftig und wert war. Nach
6 Verlags- und Partie-Artikel
M. Pf.
beiden Ricbtungen hin ist. die Frage zu bejahen, denn Thompsons AVerk ist die be-
deutendste wissenschaftliche Leistung dos ong'lischen Sozialismus. Zum Verständnis
des Thompsonscheu Gedankenkreises trägt die Einleitung von H. S. Foxwell über die
Geschichte der sozialistischen Ideen in England wesentlich bei. Die Uebersetzung ist
lobenswert." (Lit. Mitt. d. Ann. d. Dtsch. R. 1903, No. 5.)
Blanc, Louis. Organisation der Arbeit. Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. VIII.
Blondel, G. De l'enseignement du droit dans les universites allemandes.
(XVI, 88 pp.) gr. in-8. Paris 1885. 2 40
— La reforme des etudes juridiques en Allemagne. (16 pp.) gr. in-8. Par.
1887. (Extr.) _ ^ — 80
— Etude camparöe sur le developpement constitut. de la France et de l'Alle-
magne. (15 pp.) Eoy.-8. Paris 1891. - 80
Blume, Fr. Iter Italicum. Bd. I. Archive, Bibliotheken und Inschriften in
den sardinisch. u. österr. Provinzen. (XXX, 272 SS.) 8. 1824. (M 4,50) 3 —
— — Bd. III. Archive, Bibliotheken und Inschriften der Stadt Rom. (IV,
230 SS.) 1830. (M 3,75) 2 —
— — Bd. IV. Königreich Neapel, n. Nachträgen u. Regg. zu allen 4 Bden.
u. z. Bibl. LL. MSS. Ital. (X, 364 SS.) 8. 1836. (M 6) 4 -
Bd. II ist vergriffen,
— De geminatis et similibus in Digestis invent, capit. (68SS.) 8. Jen. 1820. 1 —
— Der burgundische Reichstag zu Amberieux 501. (30 SS.) 8. Lpz. 1847. 1 —
Bluntschli, J. C. Geschichte des schw^eizer. Bundesrechtes von den ersten
ewigen Bünden bis auf die Gegenw. (2) 2 Bde. gr. 8. 1875. (M 21) 13 —
Bd. I: Geschichtl. Darstellung. (IV, 571 SS.) (M 15) 8 —
Bd. II: Urkundenbuch. (479 SS.) nicht einzeln.
Büdinger, M. Vorlesungen üb. engl. Verfassungsgesch. (X, 341 SS.) gr. 8.
Wien 1880. (M 9) 4 50
(Cabet.) La femme, son malheureux sort dans la societe actuelle, son bon-
heur dans la communaute. 8e ed. (31 pp.) 16. Paris 1848. 1 —
( — ) Le democrate devenu commuuiste malgre lui etc. (31pp.)16. Par. 1847. 1 —
(— ) L'ouvrier, ses miseres actuelles etc. 4e ed. (48 pp.) 16. Par. 1848. 1 —
Carey, H. C. Die Einheit des Gesetzes. Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. I.
Chevalier, M. Des interets materiels en France. (558 pp. Avec une carte.)
8. Paris 1843. (3 fr. 50 c.) 1 —
— La liberte aux Etats-Unis. (56 pp.) 8. Paris 1849. — 60
Daniels, A. v. Alter u. Ursprung d. Sachsenspiegels. (XVIII, 132 SS.) 8.
Berl, 1853. - 80
— De Saxonici Speculi orig. (288 SS.) 8. Berl. 1852. (M 6) _ 1 —
Dechesne, L. La conception du droit et les idees nouvelles. Indep. individ.,
inegalite naturelle des hommes, solidarity sociale, justice distribut. (146 pp.)
8. 1902. 2 —
— L'Evolution econ. et sociale de l'industrie de la Laine en Angleterre.
(300 pp. av. 2 diagr.) gr. 8. 1900. 3 —
Deutsch, H. Die Vorhäufer d. heutigen Testamentsvollstrecker im Römischen
Recht. (VIII, 40 SS.) gr. 8. 1899. 1 20
Doren, A. Deutsche Handwerker und Handwerkerbruderschaften im mittel-
alterlichen Italien. (VI, 160 SS. mit Tabellen.) gr. 8. 1902. 5 —
Duncker, L. Das Gesammteig. (VII, 231 SS.) 8. Marb. 1856. (M 3) 1 80
— Die Lehre v. d. ReaUasten. (XIII, 240 SS.) 8. Marb. 1837. (M 3) 1 80
Einhard. Leben Karl's d. Gr. Einleitg., Urschrift, Erläuterg., Urk.-Samml. hrsg.
v. J. L. Ideler. 2 Bde. (XVI, 276 SS. ; VI, 364 SS.) 8. Harab. 1839. (M 9,75) 6 -
Elvers, R. Die röm. Servitutenlehre. (XIV, 862 SS.) 8. Marb. 1856. (M 11) 5 —
Fahlbeck, P. E. La Royaute et le droit Royal Francs durant la premiere
Periode de l'existeuce du royaume. (486-614.) Trad, par J. H. Kramer.
(XV, 346 pp.) gr. 8. Lund 1883. (M 9) 4 50
— Beovulfsqvädet säsom Källa for Nordisk fornhistoria. (90 SS.) gr. 8. (Se-
parat-Abdruck aus der Antiq. Tidskrift for Sverige.) 1884. 2 —
Ferrari, J. Les philosophes salaries. (VIII, 168 pp.) 8. Par. 1849. (2 fr. 50 c.) 1 —
Franck, A. Le communisme juge p. I'histoire. (lOOpp.) pet. in-8. Par. 1849. — 60
Franklin, 0. Beiträge zur Geschichte der Reception des röm. Rechts in
Deutschland. (VI, 186 SS.) 8. Hann. 1863. (M 3) 1 50
von R. L. Prager in Berlin. 7
M. Pf.
Friedemann, A. Die Selbsthülfe in rechtshistorisch-dogmatischer Darst. unter
bes. Berücksichtigung d. Römischen Rechts. (VI, 34 SS.) gr. 8. 1898. 1 —
Friedlaender, E. DieLehre v. d. unvordenkl. Zeit. (X, 101 SS.)8. Marb. 1843. 1 20
Fröbel, J. Kleine polit. Schriften. 2 Bde. (VIII, 390 SS.; IV, 413 SS.) 8.
Stuttg. 1866. (M 9) 3 —
Gatti de Gamond. Fourier et son Systeme. 5e ed. (384 pp.) 8. Paris 1842. 1 80
— Realisation d'une commune societaire, d'apres la theorie de Ch. Fourier.
(VI, 409 pp.) 8. Paris 1840. Presque epuise. 5 —
Goldenweiser, A. Das Verbrechen als Strafe und die Strafe als Verbrechen.
Leitmotive in Tolstois „Auferstehung". Vortrag gehalten in einer Anwalts-
versammlung in Kiew. (72 SS.) gr. 8. 1903. 2 —
— Zurechnung und strafrechtliche Verantwortlichkeit in positiver Beleuch-
tung. Zwei Vorlesungen gehalten in d. russ. Hochschule für Socialwiss
in Paris. (72 SS.) gr. 8. 1903. 2 — '
Golovine, I. Esprit de l'economie politique. (368 pp.) 8. Paris 1843, 1 50'
Göschen, G. J. Theorie der auswärtigen Wechsel course. Nach der 2. französ
Ausg. Leon Say's von Dr. F. Stöpel. (XII, 132 S.) gr. 8. Frankf. a. M
1875. (M 2,40) 1 50
Gossen, H. H. Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und
der daraus fliessenden Regeln für menschliches Handeln. Neue Ausgabe.
(VIII, 278 SS.) 8. 1889. . 5 -
Dieses lange verschollene, bei Vorkommen im Antiqnarhandel hoch
bezahlte Buch wird hiermit in seiner neuen Ausgabe den Volkswirten
und Mathematikern zugänglich gemacht. Das Werk prüft an der Hand
der Mathematik die wirtschaftlichen Vorgänge und sucht für sie die
feststehende Formel zu finden. Auch der Besitz an Grund und Boden und
die Möglichkeit, diesen in das Eigentum des Staates überzuführen,
findet eingehende Prüfung und mathematische Behandlung.
Grätzer, R. Die Organisation d. Berufsiuteressen. Die deutschen Handels-
u. Gewerbekammern. Die Laudwirthschafts- u. Arbeiterkammern. DerVolks-
wirthschaftsrath. Ihre Geschichte u. Reform. (VIII, 346 SS.) gr. 8. 1890. 6 ~
In dieser Schrift wird der Stand der Gesetzgebung, die Geschichte
und die Reformtendenzen der einzelnen deutschen Berufsvertretungen
(Handels-, Gewerbe-, Landwirtschaftskammern) dargestellt und eingehend
kritisiert. Desgleichen wird der Volkswirtschaftsrat und die preussischen
Gewerbekammern bespi-ochen. Endlich ist ein Abschnitt den Bestrebungen
zur Herstellung von Arbeiterkammern gewidmet.
Guillard, E. Les operations de Bourse. Histoire, pratique, legislation, juris-
prudence, morale, economic politique, reformes. 2. ed. augm. (596 pag.)
gr. 8. Paris 1877. 8 —
— La Bourse, les agents de change et les operations de Bourse en Belgique.
(48 pag.) gr. 8. Paris 1878. 1 50
Halban, A. Zur Geschichte des deutschen Rechtes in Podolien, Wolhynien
und der Ukraine. (XII, 135 SS.) gr. 8. 1896. 4 —
Heydeinann, L. E. Anklänge d. Preuss. Landr. an d. Dtsche. Parentelen-
ordug. (12 SS.) 4. Berl. 1871. 1 —
— De systemate jur. Bor. comm. (16 SS.) 4. Ber. 1851. 1 —
— De jure success, ex stat. march, antiq. (54 SS.) 8. Ber. 1840, 1 —
Hirsch, Dr. H. Socialpolitische Studien. Beiträge zur Politik, Geschichte u.
Ethik der socialen Frage. Zwei Bücher. (VIII, 144 SS.) gr. 8. 1897. 3 —
Huschke, Ph. E. Das alte Rom. .Jahr u. seine Tage. Chron.-rechtsgesch.
Untersuchg. in 2 Büchern. (X, 380 SS.) 8. Bresl. 1869 (M 8,50) 4 —
— Ueber den zur Zeit d. Geb. Christi gehalt. Census. (X, 125 SS.) 8. eb,
1840. (M 2,75) 1 —
— T. Flavii Syntrophi Donationis instrumentum ed. illustr. (56 SS.) 8, ib,
1838. (M 2) 1 —
— Ad leg. XII tab. de tigno juncto comm. (30 pp.) 4. Vrat. 1837. — 80
— De Privileg. FeceniaeHispalae SC. conc.(Liv.XXXlX, 19.) 8. Gott. 1822. 1 —
John, V. Der Name Statistik. (16 SS.) gr. 4. Bern 1883. (S.-A.) - 80
8 Verlags- und Partie-Artikel
M. Pf.
Jollos, B. G. Pisma is Berlina (Briefe aus Berlin; russisch). (VlII, 497 SS.)
gr. 8. 1904. 4 BO
Katzenstein, R. Die Todesstrafe in einem neuen Reichsstrafgesetzbuch. (VI,
34 SS.) gr. 8. 1902. 1 20
Kowalewsky, M. Die Ökonom, Entw. Europas siehe Bibl. d. VWL. u. GW.
Bd. XI-XIII.
Kromrey, M. Baugenossenschaften und der Berliner Spar- und Bauverein.
(VIII, 96 SS.) gr. 8. 1904. 2 -
Kussaka, J. T. Das Japanische Geldwesen. Geschichtlich und kritisch dar-
gestellt. (VII, 100 SS.) 8. 1890. 2 80
Laistner, L. Das Recht in der Strafe. Beitr. z. Geschichte d. Philosophie u. Versuch
einer Dialektik d. Strafrechtsproblems. (IV, 198 SS.) 8. Münch. 187B. (M3) 1 20
Landau, G. Die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und Entwickelung.
(VIII, 392 SS.) 8. Hamb. 1854. (M 7,50) 4 —
Leroux, P. Le carrosse de M. Aguado. Fragment. (141 pp.) 8. Boussac 1848. 1 —
— D'une religion nationale ou du culte. (XVIII, 144 pp.) 8. Bouss. 1846. 1 50
Le Rousseau, J. De l'organisation de la demoeratie. (XII, 480 SS.) gr. 8.
Paris 1850. (7 fr. 50 c.) 3 —
Liebknecht, K. Vorbehaltszahlung und Eventualaufrechnung nach heute
geltendem und künftigem Eeichsrecht. (XII, 217 SS.) gr. 8. 1099. 5 —
Lioy. D. Die Philosophie des Rechts. Nach der 2. Aufl. des Orig. mit Ge-
nehmigung des Verf. übersetzt von Dr. M. di Martino. Neue wohlfeile
Ausgabe. (VIII, 352 SS.) gr. 8. 1906. br. M 4; geb. 5 -
Malthus, T. R. Bevölkerungsgeselz siehe Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. IL
Marwitz, B. Der Bühneneugagements-Vertrag. Ein Handbuch für Juristen
und Laien. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bühnenschieds-
gerichts. (VIII, 222 SS.) 8. 1902. br. M 4; eleg. Lwd. 5 —
Das Buch giebt eine eing'ehende systematische Darstellung- der vertraglichen Be-
ziehungen zwischen Theaterunternehmer und Schauspieler. Ausgehend von den Be-
stimmungen der Vertragsformvüare des deutschen Bühnenvereins und der Genossen-
schaft deutscher Bühnenangehöriger, sucht es unter Benutzung der Entscheidungen
des Bühnensehiedsgerichts sowie dor in- und ausländischen Litteratur zu allgemein
gültigen Resultaten zu kommen, die als Richtschnur bei Streitigkeiten zwischen Unter-
nehmer und Schauspieler dienen können. Am Schlüsse giebt der Verfasser einen
Vertragsentwurf, der die berechtigten Wünsche der Bühnenleiter und der Bühnenrait-
gUeder gleichmässig berücksichtigt. Ein ausführliches Sachregister wird die Benutzung
des Buches wesentlich erleichtern.
,.Herr R.-A. Dr. Marwitz, der schon in so manchem die Bühnenkreiso betr.
Prozess plaidierte, hat soeben im Verlage von R. L. Prager, Berlin, ein Werk er-
scheinen lassen, das seinen Untertitel „Ein Handbuch für Juristen und Laien" mit
Recht fühi-t. Es behandelt den ..Bühnen-Engageiiieiitsvertrag" und bildet einen an
der Hand der gesamten einschlägigen Litteratur und Rechtsprechung aufs sorgfältigste
ausgearbeiteten Leitfaden durch die vielverschlungenen Pfade dieses Gebietes. Das
Buch gewinnt dadurch an Wert, dass es klar, leicht fasslich und nichts weniger als
trocken geschiieben und ausserdem von grosser Uebersichtlichkeit ist. Das Werk
kann allen, die es angeht, warm empfohlen werden."
Berliner Börsen-Courier 1902, No. .34.
Mascher, H. A. Die Preussisch-Deutsche Polizei. Polizeigesetzbuch für den
prakt. Gebrauch syst, zusammengestellt. 4./5. Aufl. (72 Bog. = 1147 SS.)
1885. br. M 13,50; geb. 15 —
Maurer, E. Die Nikobaren. Colonial-Geschichte und Beschrbg.^ nebst motiv.
Vorschlage z. Colonisation dieser Inseln durch Preussen. Mit 4 Karten.
(X, 320 S.) 8. Berl. 1867. (M 4) 2 ~
Mayet, P. Landwirtschaftliche Versicherung in organischer Verb. m. Spar-
anstalten, Bodencredit und Schuldenablösung. (XIV, 449 SS. u. 9 Bl. Tabb.)
gr. 8. 1888. 12 —
Im Anhange: Bauernvergantungen und Colonisation. — Ablösg. v.
Pachtrenten. — Die Landesculturrentenbank. — Die Communaloblig. —
Die Bodencreditanstalt und ihre Beihülfe zur organ. Colonisation des
Hokkaido. — Die Ermässigg. der Grundsteuer. — Das System des Miss-
ernten-Deckungsfonds in Japan.
— Die Collectivversicherung der Gebäude in Japan. (12 S.) gr. 4. 1878. 1 50
— Dasselbe in engl, Uebersetzung. (33 pag.) gr. 8. 1878. 1 50
— Dasselbe in japanischer Uebersetzung. (47 pag.) 8. 1878. 1 50
von E. L. Prager in Berlin. 9
M. Pf.
Mayet, P. Japanische Bevölkerungsstatistik. Historisch, roit Hinblick auf
China, u. kritisch betrachtet. (20 SS.) gr. 4. 1888. 1 50
— Kioikuka Hike. Ekitekiyoku Gakko Chokin Ho. Die Post-Schul-Sparkasse.
üebers. v. N. Omura. (300 SS.) 8. Tokyo 1886. Hfz. In Japan. Sprache. 3 —
— Die japanische Staatsschuld. Zwei Vorträge. (48 SS.) gr. 4. 1879. 3 —
Meding, W. F. C. L. v. Geschichte des im Fürstenthum Lüneburg heimischen
altadeligen Geschlechts derer v. Meding. Tbl. I (einz.). (XII, 348 SS.)
Mit Holzschnitten u. Urkunden, gr. 8. Lpz. 1866. (M 7,50) 4 —
Meidinger, K. üeb. d. Eechte an Kirchenstühlen nach kath. u. prot. KR.
(76 SS.) 8. 1891. 1 60
Mellien. Die Postverwaltung u. die Wechselproteste. (14 SS.) 8. 1877. — 50
Morpurgo, E. Die Statistik und die Socialwissenschaften. A. d. Ital. (VIII,
550 SS.) M. 3 Tfln. u. 1 Karte, gr. 8. Jena 1877. (M 11) 5 —
Munk, W. Wesen u. Voraussetzungen der mora creditoris im gemeinen Recht
u. im BGB. für das Deutsche Eeich. (IX, 72 SS.) gr, 8. 1898. 2 —
Mutzl, Seb. Die Lex Baiwariorum als geschichtl. u. sprachl, Urkunde. (13 SS.)
4. Eichstätt 1859. — 60
Neff, P. Beiträge z. Lehre von der fraus legi facta in d. Dig, (X, 75 SS.)
gr. 8. 1895. 1 60
Negropontes, M. Zuständigkeit der Staaten für die auf d. Meere begang.
Verbrechen. (VIII, 62 SS.) gr. 8. 1894. 1 60
Njälssage, Die, insbesondere in ihren juristischen Bestand theilen. Ein kriti-
scher Beitrag zur altnordischen Rechts- u. Literaturgeschichte von Karl
Lehmann und Hans Schnorr von Carolsfeld. (VIII, 234 SS.) 8. 1883. 6 —
Organisation communale et centrale de la republique, Gouvernement direct,
lIV, 421 pp.) 8. Paris 1851. (4 fr. 50 c.) 2 —
Oertmann, P. Die Volkswirthschaftslehre d. Corpus iur. civ. (VI, 154 SS.)
8. 1891. 4 —
Osenbrüggen, E. Deutsche Rechtsalterthümer a. d. Schweiz. 3 Hefte. (165 SS.)
8. Zur. 1858-59. (M 4,20) 2 50
Pecqueur, C. De la republique de Dien. (XII^ 320 pp.) pet. in-8. Par, 1844,
(2 fr.) — 80
Pergament, Joseph. Social problems of the Bar. Lecture delivered on the
13 th February, 1905. (32 pp.) 8. (1405.) — 80
Pergament, M. Konventionalstrafe und Interesse in ihrem Verhältniss zu
einander. (XI, 106 SS.) gr. 8. 1896. 3 —
Prager, Robert. Die „Ausschreitungen des Buchhandels." Antwort auf die
Denkschrift des Akademischen Schutzvereins. (IV, 142 SS.) 8. 1903. 1 20
— Das Recht am eigenen Bilde. Bibliotheken, Bibliothekare u. Buchhandel.
Die Bibliothek des Börsenvereins. (44 SS.) 8. 1903. 1 —
— Bücher — Menschen — Dinge, Besprochen, (IV, 116 SS.) 8. 1907. 2 —
— Die Organisation des Deutschen Buchhandels. Die Verleger-Erklärung
und die Rechtsprechung. Wissenschaft und Buchhandel. (IV, 163 SS.)
gr. 8. 1905. 2 —
— Urheberrecht und Buchhandel in sozialistischer Beleuchtung. Kleinhandel,
Warenhäuser, Rabatt. Studien. (34 SS.) 8. 1900. — 60
— Das Recht der Handlungsgehilfen nach dem neuen HGB. 2 Vortr. (17 SS.)
gr. 8. 1898. - 60
— Zum § 38 d. n. HGB. u. zur Buchführung überh. (10 SS.) 8. 1898. — 40
— Warenhäuser u. Buchhandel. Eine Osterbetrachtg. (8 SS.) 8. 1901. — 40
Preuss, Hugo. Das Recht d. städt. Schulverwaltung in Preussen. (99 SS.)
gr. 8. 1905. 1 50
Der Schulkonflikt in Berlin hat weit über die Grenzen der Haupt-
stadt hinaus Aufmerksamkeit erregt. Deshalb wird die obige Schrift des
Verfassers des „städtischen Amts rechts", des bekannten Privat-
dozenten der Rechte und Stadtverordneten nicht nur in Preussen, sondern
auch in ganz Deutschland, Interesse finden. Aber auch im Auslande
folgt man den Vorgängen mit Spannung, namentlich in der Schweiz,
in dem das Thema der Schulaufsicht, das die Preuss'sche Schrift an der
Hand der Gesetzgebung und der Akten eingehend untersucht und in
ganz neuer Weise beleuchtet, gegenwärtig aktuell ist.
10 Verlags- und Partie-Artikel
M. Pf.
Privatbeamten-Pensionsversicherung. 3. Fassg. e. Referenten-Entwurfes,
bearb. n. d. Beschl. des v. sozialpolit. Ausschussei des österr. AbgH. am
5. V. 1905 feingesetzten Unterausschusses. (32 SS.)\8. 1905. — 25
Ranke, Leopold von. Lichtstralilen aus seinen Werken. Gesammelt und
mit einem liebensabriss herausgegeben von Arthur Winckler. (XXXII,
176 SS.) kl. 8. 1885. eleg. br. M 3; geb. 4 —
— — Dreissig Expl. auf Büttenpapier, auf der Presse numeriert und in Per-
gamentumschlag, ä, 10 —
„Ranke selbst soll eine lebhafte Freude empfunden haben, als er zu
seinem neunzigsten Geburtstage die „Lichtstrahlen" erhielt. Er schien
darin eine Ehre zu erblicken, die bisher nur den grössten Geistern der
Nation zu Theil geworden ist. Wir besassen „Lichtstrahlen" aus den
Werken Goethes und Schillers, Lessings und Kants, aber noch keine aus
den Werken eines Historikers. In den zahlreichen Schriften Rankes
finden sich wie dazwischen gestreute Perlen tiefe philosophische Be-
trachtungen über den Menschen und seine Entwickelung, über Religion
und Politik, über Staat und Kirche, über Kultur und Sitte, über Staats-
formen, über die öffentliche Meinung und die Parteien, kurz über Alles,
was im Verlaufe seiner historischen Darstellung einer verallgemeinernden
Betrachtung werth erschien. Mit grossem Fleiss und ebenso grosser
Liebe hat sich Winckler in das Studium sämmtlicher Schriften des
Meisters vertieft und die darin befindlichen Stücke von allgemeiner Be-
deutung gesammelt und nach ihrer Zusammengehörigkeit geordnet. Wer
das Buch besitzt, wird es oft und gern zur Hand nehmen; wo man es
auch aufschlägt, überall findet man Gedanken, die zum Nachdenken auf-
fordern. Als Einleitung ist der Lebensabriss Rankes voran geschickt."
(Nord und Süd.)
Rectitudines singularum personarum n. einer einleit. abhandlung üb. land-
ansidlung, landbau, gutsherl. und bäuerl. Verhältnisse der Angelsachsen.
Hrsg. V. H. Leo. (XIV, 252 SS.) 8. Halle 1842. (M 4,50) 2 —
Rein, W. Das Privatrecht u. der Civilprocess der Römer von der ältesten
Zeit bis auf Justinianus. (XIV, 978 öS.) gr. 8. Lpz. 1858. (M 15) 6 —
Richelot, H. Crise du Mont-de-piete de Paris. (68 pp.) gr. 8. Paris 1844. — 60
Rubo, E. T. Zur Lehre von der Verleumdung mit besonderer Bezugnahme
auf alle gegenwärtig geltenden deutschen StrGB. (VIII, 160 SS.) 8. Berl.
1861. (M 2,25) 1 -
Sammlung der deutschen Strafgesetzbücher. Hrsg. v. M. Stenglein. 13 Hfte,
cpl. (2497 S.) 8. München 1858. Schreibpapier. (M 19) 4 —
Fast vergriff'eu.
Sarrazin, R. De partu vivo non vitali. (30 S.) 8. Berl. 1870. —80
Saxl, Max. Zur Duplik des Herrn Professor Schücking. Streiflichter. (65 SS.)
gr. 8. 1905. 1 50
— Materialien und Gesetz. Eine staatsr. Abhdlg. (76 SS.) gr. 8. 1905. 1 50
Schüler, H. Die Liter, oblig. d. alt. röm. Rechts. (VI, 98 SS.) 8. Bresl.
1842. (M 2) 1 50
Seil, W. üeber bedingte Traditionen zugl. als Revision der Lehre von der
Wirkung der Bedingung bei Verträgen. (XXIII, 290 S.) 8. Zur. 1839.
(M 2,40) 1 —
— lieber die röm.-rechtl. Aufhebungsart der Oblig. durch concursum duarum
causarum lucratio. (XII, 190 S.) 8. Zur. 1839. 1 20
Senga, Ts. Gestaltung u. Kj-itik der heutigen Konsulargerichtsbarkeit in
Japan. (VI, 160 SS.) gr. 8. 1897. 4 —
Simon, C. G. Etude sur le Compagnonnage et s. qq. autres assoc, d'on-
vriers. (VI, 166 pp.) 8. Paris 1853. — 80
Sismondi, J. C. L. Simonde de. Neue Grunds, d. polit. Oekonomie. 2 Bde.
siehe Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. IX. X.
Slädecek. Zur Lehre der Pressdelikte. (25 SS.) gr. 8. 1896. - 60
Smith, Adam. Unters, üb. d. Wes. u. die Ursachen des Volkswohlst. 4 Bde.
siehe Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. III-VL
von E. L. Prager in Berlin. 11
M. Pf.
Smith, E. Peshine. Handb. d. polit. Oekonomie. siehe Bibl. d. VWL. u,
GW. Bd. VII.
Stölzel, A. Die Lehre von der operis novi nunciatio und dem interdictum
quod vi aut clam. (XII, 632 SS.) gr. 8. Cass. 1865. (M 8) 3 —
Stöpel, F. Betrachtungen üb. d. Handelsbilanz Deutschlands im J. 1873.
l2) (39 SS.) 8. Fft. 1875. — 60
— Freihandel u. Schutzzoll. (VIII, 134 SS.) 8. Fft. 1876. (M 1,50) 1 -
— Die Handelskrisis in Deutschland. (61 SS.) 8. Fft. 1875. (M 1) — 60
— DieIndustrieu.Haudelspolit.d.Schweiz.(IV,84SS.)8.Fft.l876.{Ml,20) — 80
— Landwirthschaft u. Industrie. (IV, 87 SS.) gr. 8. Fft. 1876. (M 1,50) 1 —
— Die fünf Milliarden. Geg. L. Bamberger. (22 S.) gr. 8. Fft. 1873. — 40
— Adam Smith im Lichte d. Geg. (IV, 135 SS.) 8. 1879. (M 2) 1 50
Storch, H. Handbuch d. Nationalwirthschaftslehre. A. d. Franz. m. Zus. v.
K. H. Hau. 3 Bde. (XX, 492 SS. ; VIII, 518 SS. ; VI, 498 SS. u. Tfln.) 8.
Hamb. 1819-20. (M 22,50) 5 —
Streit, W. Die Heeres-Reorganisation des Augustus. (28 S.) 8. 1876. — 80
Sturm, A. Recht u. Rechtsquellen. (VIII, 199 SS.) gr. 8. Kassel 1883. (M5) 2 50
Sudendorf, H. Berengarius Turonensis od. e. Sammlung ihn betr. Briefe
hrsg. (XVI, 240 SS.) 8. Hamb. 1850. (M 3,20) 1 50
Sullivan, E. Schutz für die heim. Industrie. A. d. Engl. v. F. Stöpel. (XII,
96 SS.) 8. Fft. 1876. (M 1,50) — 80
Temme, J. D. H. Die Lehre von der Tödtung n. Pr. R. (XIV, 242 SS.) 8.
Lpz. 1839. (M 3) 1 20
Thompson, William. Unters, üb. die Grundsätze d. Vert. d. Reichtums zu bes.
Beförd. menschl. Glücks. 2 Bde. siehe Bibl. d. VWL. u. GW. Bd. XVII. XVIIL
Thorsch, 0. Materialien z. e. Gesch. d. öst. Staatsschulden vor d. 18. Jahrh.
(V, 117 SS.) gr. 8. 1891. 3 —
Tornauw, N. v. Das moslem. Recht. (XXIV, 258 SS.) gr.8. Lpz. 1855. (M7) 4 —
Totomianz, V. u. E. Toptschjan. Die social-ökonomische Türkei. (VIII,
128 SS.) 8. 1901. 2 —
Vidal, F. Vivre en travaillant. (324 pp.) 8. Paris 1848. (3 fr. 50 c.) 1 20
Villegardelle, F. Histoire des idees sociales avant la revol. frc. ou les
social, mod. devances et depasses par les anc. penseurs et phllos. Avec
textes ä l'appui. (220 pp.) 12. Paris 1846. — 80
Walther, F. Die Rechtsmittel im Strafverf. n. d. Grunds, des englisch-franz.
StrPR. Mit Vorwort v. C. J. A. Mittermaier. 2 Abthign. (XXVII, 447 S.)
8. Münch. 1853-55. (M 7,60j 3 —
Weissenfeid, E. G. Der „geweihte Degen Daun's". Eine historiographische
Darlegung. (16 SS.) 8. 1883. — 50
Winavert, M. Temoins testamentaires. (20 pp.) gr. 8. 1900. — 60
Winckler, A. Die deutsche Hansa in Russland. Hrsg. mit Unterstützung
_ des Vereins für Hansische Geschichte. (VI, 153 SS.) 8. 1886. 4 —
Ziegler, F. V. v. Ueber die Behandlung des Civilrechts in der Gegenwart.
(48 SS.) 8. Dessau 1876. — 60
— Denkschrift üb. d. Revision e. Universitäts-Statuts. (48 SS.) 8. eb. 1876. — 60
Zobkow,M. Die Theilpacht n. röm. u. österr. Recht. (XII, 156 SS.) gr.8. 1895. 4 —
Zucker, AI. Ein Beitrag zur Entwickelung e. rieht. Rückfallsstatistik. (16 SS.)
gr. 8. Wien 1894. — 60
— Keine Berufung in der Schuldfrage. (22 SS.) 8. 1895. — 60
Blichdruckerei Hans Adler {Inh.: Puff & Fanzig), Greifswald.
HB Smith, Adam
161 Untersuchung über das
S655 Wesen und die Ursachen des
1905 Volkswohlstandes 2. Aufl.
Bd. 1-2
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